Co-Verhalten von Frauen bei Alkoholismus ihres Partners

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Co-Verhalten von Frauen bei Alkoholismus ihres Partners
Thematischer Hintergrundbericht
Co-Verhalten von Frauen bei Alkoholismus ihres Partners
In unserer traditionell sehr alkoholtoleranten Kultur ist Alkohol ein Bestandteil des Lebensstils.
Andererseits ist Alkohol die Droge Nummer 1 und verantwortlich für eine Fülle von sozialen und
gesundheitlichen Problemen. Laut Schätzungen sterben in der Schweiz jährlich mehr als 2'000
Menschen an den Folgen übermässigen Alkoholkonsums. Der Alkoholmissbrauch verursacht in der
Schweiz Gesamtkosten von 6.5 Milliarden Franken pro Jahr. Zwei Drittel dieser Kosten sind
immaterielle Kosten, die das körperliche und seelische Leid der gesundheitsgeschädigten Personen
und der Angehörigen der Alkoholabhängigen widerspiegeln.1
Bevölkerungsumfragen, deren Ergebnisse nur eine grobe Schätzung darstellen, kommen zum
Schluss, dass in der Schweiz mit über 300 000 Personen gerechnet werden muss, die
alkoholabhängig sind.2 Die Zahl der Menschen, die Personen mit Alkoholproblemen nahe stehen, wird
auf eine Million geschätzt – viele von ihnen sind Partnerinnen eines alkoholabhängigen Mannes, von
denen wiederum die Mehrzahl Co-Verhaltensweisen entwickelt. Fachleute gehen davon aus, dass CoVerhalten zusammen mit Suchterkrankungen das grösste sozialmedizinische Problem unserer
Gesellschaft darstellt.
Co-Verhalten - ein frauenspezifisches Problem
Mit Co-Verhalten werden Verhaltensweisen von Bezugspersonen oder vom Bezugssystem (Familie)
beschrieben, die die Fehlhaltung der süchtigen Person und seine Sucht unterstützen und eine
rechtzeitige Therapie verhindern.3 Der Druck aus dem familiären oder beruflichen Umfeld ist jedoch
entscheidend, ob Alkoholabhängigkeit angegangen wird oder nicht. Die Praxis zeigt: Ein geringer
Prozentsatz der Alkoholabhängigen sucht von sich aus eine Beratungsstelle auf.
Frauen neigen stärker zu Co-Verhaltensweisen als Männer. Verschiedene Untersuchungen zeigen,
dass Co-Verhalten ein geschlechtsspezifisches Problem ist. Die Problematik des weiblichen CoVerhaltens wird – neben der weiblichen Ausrichtung sich am Partner zu orientieren und eigene
Bedürfnisse zurückzustellen – massgeblich bestimmt durch soziale und ökonomische Faktoren.4
Entwicklung des Co-Verhaltens
Co-Verhalten entwickelt sich nicht von heute auf morgen, sondern ist ein Prozess, der Hand in Hand
mit der allmählichen Suchtentwicklung beim Partner einhergeht. Eine co-handelnde Frau versucht, mit
dem Verhalten des süchtigen Partners und dessen Sucht zurechtzukommen, um die Beziehung oder
die Familie zu stützen. Je mehr sich der süchtige Partner mit der Beschaffung des Suchtmittels und
dem Konsum beschäftigt, desto mehr konzentriert sich die co-handelnde Frau auf die Kontrolle des
abhängigen Partners und auf die Beseitigung der psycho-sozialen Folgen. Die Stadien des CoVerhaltens sind: Beschützen und Entschuldigen, Kontrollieren, Anklagen.
Co-Verhalten wird für die Betroffenen selber zum Problem
Co-Verhalten wird auf die Dauer für die betroffenen Frauen selber zum Problem. Sie leiden unter der
schwierigen, kräftezehrenden und manchmal aussichtslos erscheinenden Situation. Die
unermüdlichen Versuche, dem Partner zu helfen, dessen Probleme aufzufangen und zu lösen,
können eine Frau an den Rand ihrer Kräfte bringen: Die Situation wird häufig so belastend, dass sie
auf die eigene Stimmung und Gesundheit schlägt. Gefühle von Enttäuschung, Verzweiflung, Wut und
1
Broschüre SFA (2004): Soziale Kosten des Alkoholmissbrauchs in der Schweiz.
2
SFA (1997). Alkohol, Tabak und illegale Drogen in der Schweiz 1994-1996
3
Singerhoff, L. (2002). Frauen und Sucht. Beltz
4
Galliker, M. (2004)
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Trauer machen sich breit. Emotionale Belastungen beeinträchtigen das körperliche Wohlbefinden
einer Frau und können zu Schlafschwierigkeiten führen. Schuld- und Schamgefühle sind oft Gründe
dafür, dass sich eine Frau zunehmend aus dem sozialen Leben zurückzieht. Freundschaften und
Beziehungen zu anderen Menschen werden nicht mehr gepflegt und eigene Wünsche und
Bedürfnisse zurückgesteckt. Mit der Zeit entwickeln sich Gefühle der Einsamkeit, der
Hoffnungslosigkeit, der Ausweglosigkeit und der Ohnmacht.5 Nicht selten greifen Frauen in dieser
belastenden Situation selber zu Medikamenten, anderen psychoaktiven Substanzen oder sie
entwickeln psychosomatische Störungen. Frauen mit Co-Verhaltensweisen benötigen in dieser
Situation dringend fachliche Unterstützung.
Fehlendes Wissen und Problembewusstsein für die Thematik des Co-Verhaltens
Viele co-handelnde Frauen sind sich der suchtfördernden Folgen ihrer Verhaltensweisen nicht
bewusst. In der Bevölkerung, aber auch bei den potentiell betroffenen Frauen fehlen das Wissen
sowie ein Problembewusstsein für diese spezielle Verhaltensweise. Erst wenn Partnerinnen von
alkoholabhängigen Menschen über die Zusammenhänge von Co-Verhalten aufgeklärt sind, kann eine
Auseinandersetzung und Verhaltensänderung stattfinden. Denn mit einem entsprechenden Verhalten
kann die Partnerin bei sich selbst und beim Alkoholabhängigen einiges in Bewegung setzen.
Frauen für die Thematik des Co-Verhaltens mittels einer Zeitschrift sensibilisieren
Mit einer Zeitschrift, die Unterhaltung mit fundierten Präventionsinhalten verbindet, wird das Thema
des weiblichen Co-Verhaltens in Zusammenhang mit dem Alkoholismus bearbeitet. Frauen sollen
niederschwellig und bezugnehmend auf ihre unterschiedlichen Lebenswelten für Co-Verhaltensweisen
sensibilisiert und das Selbsthilfepotential gefördert und gestärkt werden.
August 2006
5
Broschüre SFA (2006). Leben mit einem alkoholabhängigen Partner. Die Mit-Betroffenheit einer Frau.
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