Musik und Drama - Richard-Wagner-Verband Berlin

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Musik und Drama - Richard-Wagner-Verband Berlin
MUSIK und DRAMA
Mitteilungen des Richard-Wagner-Verbandes Berlin-Brandenburg e. V.
Jahrgang 2007, Nr. 23, Dezember 2007
„Nur wer das Fürchten nie erfuhr, schmiedet Notung neu.“
Editorial
Burkhard Ulrich im Gespräch
Liebe Mitglieder,
liebe Leserin, lieber Leser,
unsere Berliner Opernhäuser haben die
Spielzeit 2007/2008 vielversprechend begonnen. Ob mit außergewöhnlichen Premieren,
ansprechenden
Repertoireauff ührungen
oder großer Starbesetzung, insgesamt war es
ein sehr erfreulicher Saisonstart. Wir dürfen
gespannt sein, was uns noch erwartet.
Auch die Sanierung der „Staatsoper Unter
den Linden“ scheint auf einem guten Weg zu
sein. Mit der Einigung über den Hauptstadtvertrag ist ein großer Teil der Finanzierung
mit 200 Millionen Euro durch den Bund gesichert. Dies wird allerdings nicht ausreichen,
um das Projekt auf eine solide finanzielle Basis zu stellen. Ein Blick nach Hamburg zeigt,
dass mit bürgerlichem Engagement große
Vorhaben, wie der Errichtung der Elbphilharmonie, verwirklicht werden können.
„Musik und Drama“ wirft in dieser Ausgabe
wieder einen Blick nach Brandenburg. Lassen auch Sie sich von der Neueröffnung des
Staatstheaters in Cottbus begeistern.
S
eine außergewöhnliche Textverständlichkeit, die aufhorchen lässt, hat ihn weit über die
Grenzen Deutschlands nicht nur bekannt, sondern berühmt gemacht:
Burkhard Ulrich, Tenor und Ensemblemitglied der Deutschen Oper
Berlin. Im September war er bei uns,
um im Gespräch mit dem Moderator
des Abends, Matthias Spruß, über
sein Leben, seine Motivation und
sein Berufsbild zu sprechen sowie
den Mitgliedern des Richard-Wagner-Verbandes Rede und Antwort zu
stehen. Den meisten von uns war er
aus eigenem Erleben gut bekannt.
„Mime“ kommt, raunte man sich im
Vorfeld des Abends zu. In der Tat:
Mit der Rolle des Mime im „Rheingold“ und im „Siegfried“ gelang ihm
ein internationaler Durchbruch,
der seinesgleichen sucht. Bei vielen
Zuhörern und Zuschauern wurde
er gleichsam zur Identitätsfigur mit
Wagners unheilvollem Zwerg. Das
Charakterfach gestaltete er nicht
nur an der Deutschen Oper, sondern
auch in Aix-en-Provence und konzertant unter der Stabführung von Sir
Simon Rattle in Berlin. Neben Rattle
kamen auch andere Größen des Dirigentenfachs an Ulrich nicht vorbei,
unter anderem Riccardo Muti, Christian Thielemann, Marc Albrecht und
Marc Minkowski. Dabei glänzte er
vor allem in Rollen, die nicht exorbitant ausladend sind: Monostatos
(„Die Zauberflöte“), Don Basilio
(„Die Hochzeit des Figaro“), Schujski („Boris Godunow“) oder Valzacchi („Der Rosenkavalier“). Bregenz,
Leipzig, Basel, Essen und Köln waren
nur einige Stationen auf seinem beruflichen Lebensweg. Sein Erfolgskonzept: Fleiß, Ausdauer, charakterlicher Gestaltungswille und eine
hohe musikalische Begabung, die er
aus seinem Elternhaus mitbekam und
ihn über die Kirchenmusik und über
das Studium der Gesang- und Instru-
Zur Vorbereitung Ihres Besuches der einzigen Berliner Ring-Auff ührung in dieser
Opernsaison möchte ich Ihnen den bemerkenswerten und aufschlussreichen Beitrag
„Der traurige Gott“ unseres Mitgliedes
Herrn Prof. Dr. Gerd Rienäcker empfehlen.
Das Jahr 2008 steht im Zeichen des Gedenkens des 125. Todestages Richard Wagners.
Mit zahlreichen Veranstaltungen werden
wir Leben und Werk reflektieren.
Ihr Matthias Spruß
Foto: D. Kahle
Ich darf Ihnen eine anregende Lektüre der
neuen Ausgabe von „Musik und Drama“
und für den bevorstehenden Jahreswechsel
alles Gute wünschen.
Burkhard Ulrich
Nr. 23, Dezember 2007
MUSIK UND DRAMA
mentalpädagogik zur musikalischen
Reifeprüfung führte. 1996 bekam er
sein erstes Engagement in Koblenz,
bis 2001 war er Ensemblemitglied in
Kiel, wo ihn auch Eva Wagner-Pasquier für die Rollen des Loge und
Mime entdeckte. Wie bereitet man
sich auf solche Herausforderungen
vor? Ein Jahr studiere er intensiv
die Musik, so Ulrich. Erst dann sei
er zur dramatischen Ausgestaltung
mit Hilfe eines Coachs bereit. Was
Bayreuther Festspiele 2007
Skizzen und Eindrücke
D
as Festspielhaus Bayreuth eröffnete in diesem Jahr die Saison am 25. Juli mit einer
Neuinszenierung der Oper „Die
Meistersinger von Nürnberg“. Regie
Katharina Wagner, die Tochter des
amtierenden Festspielleiters Wolfgang Wagner.
Traditionell gibt es zur Eröffnung
der Bayreuther Festspiele am Grabe
Richard und Cosima Wagners im
Park der Villa Wahnfried ein Grabsingen, das immer von den Künstlern
des Festspielhauses gestaltet wird.
Die Ansprache hielt in diesem Jahr
Ulf Klausenitzer, der erste Geiger des
Festspielorchesters, von den Musikhochschulen Nürnberg und Würzburg kommend. Der Festspielchor
wurde wieder von Eberhard Friedrich
geleitet. Wie immer war das Grabsingen sehr gut besucht und es wurde
wiederholt zur Stätte regen Gedankenaustausches, besonders natürlich
über die abends anstehende Premiere.
Unser Verband hatte in diesem Jahr
zum ersten Mal einen Kranz am Grabe Richard und Cosima Wagners niedergelegt, was von vielen Besuchern
äußerst positiv zur Kenntnis genommen wurde.
Die Musikwelt war, wie selten zuvor,
auf die abendliche Auff ührung gespannt, denn die „Meistersinger“ sind
noch nie außerhalb der Familie Wagner am Hügel inszeniert worden.
Heftige Diskussionen machten bereits schon Wochen und Monate vor
der Premiere in Wagnerkreisen die
Runde. Dabei handelte es sich um
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schätzt er an der Ensemblearbeit? Die
Charakterfindung bei Neuproduktionen und die Zusammenarbeit im
Team, bei der nicht jeder kurzfristig
eingesprungene Kollege „sein Ding“
mache, ohne nachzufragen. Welche
Rolle reize ihn derzeit am meisten?
Die Rolle des Herodes in „Salome“
von Richard Strauss. Irgendwann
bin ich soweit, schmunzelt Burkhard
Ulrich. Ich übe schon fleißig. Gibt es
ein Opernhaus, auf dessen Bühne er
einmal unbedingt singen wolle? Natürlich Bayreuth!
Mitglieder in den Wagnerverbänden, aber auch um Musikkritiker bis
hin zu Musikwissenschaftlern. Aus
Bayreuth gab es eine sehr gut geführte und engagierte Pressearbeit,
die durch Alexander Busche geleitet
wurde.
„Parsifal“. Zum letzten Mal in der
Inszenierung von Christoph Schlingensief. Entrümpelter, aber nicht
bewegender als in den Vorjahren.
Besonders schade, dass der verwesende Hase natürlich zum Schluss noch
einmal ausführlich gezeigt werden
musste, um die schöne „Weltentrückungsmusik“ wieder vollends zu
zerstören!
Die Premiere war voller Erwartungen, egal ob man Hoffnungen
in klassischer bzw. historischer oder
in Richtung zukunftweisender, moderner bis futuristischer Sichtweise
hegte.
Auf der Premiere standen sich dann
erwartungsgemäß Befürworter und
Gegner ihrer Arbeit mit Buhs und
Bravi gegenüber. Obwohl ein Großteil des Publikums die Arbeiten von
Katharina Wagner vor der Meistersingerproduktion kannte, fielen die
Reaktionen trotzdem extrem heftig
aus. Während man nach den ersten
zwei Akten im angeregten Pausengespräch noch die Aussage hörte:
„Damit könne man ja leben, aber wie
wird der dritte Akt?“
Jeder, der „die Meistersinger“ sah und
hörte oder die vielfältigen Kritiken
gelesen hat, kann sich eine eigene
Meinung bilden. Das Ensemble ist
von der Regisseurin, wie nun schon
in gewohnter Weise, wieder sehr gut
in Szene gesetzt worden. Auch merkt
man die Begeisterung bei den Sängern und Sängerinnen für Katharina Wagner. Aber in musikalischer,
sängerischer und inszenatorischer
Hinsicht dürfte in den nächsten Jahren noch einiges nachgearbeitet werden. Wir dürfen auf die „Werkstatt
Bayreuth“ äußerst gespannt sein.
Weitere Auff ührungen waren der
Das meinen auch wir, die Mitglieder
des Richard-Wagner-Verbandes.
Wir wünschen Burkhard Ulrich viel
Glück und freuen uns vorerst über
seine Präsens in Berlin und so manchen Opernabend mit ihm in der
Hauptstadt.
Dieter Kahle
Der „Tannhäuser“ wirkte in diesem
Jahr umso vollkommener, da Solisten, Chor und die Lichtregie Philippe
Arlauds mit den Kostümen von Carin Bartels besonders zur Geltung
kamen. Ein überraschendes Dirigiererlebnis war Christoph Ulrich Meier, der für den erkrankten Fabio Luisi
sehr kurzfristig einspringen musste.
Im Vorfeld von manchen Kritikern
der Festspiele unwürdig befunden,
legte er ein fulminantes und höchst
gelungenes Debüt hin und ließ das
Publikum im „Tannhäuser“ geradezu
schwelgen.
„Der Ring des Nibelungen“ in der Inszenierung von Tankred Dorst wurde
in diesem Jahr zum zweiten Mal gegeben. Musikalisch mit Höchstleistungen von Christian Thielemann
ausgestattet und bedacht, war das
Sängerensemble schon etwas differenzierter zu betrachten. Wie immer
ein strahlender Chor in der Götterdämmerung, der aber, so schien es,
durch die Regie am Schluss der Götterdämmerung etwas beeinträchtigt
wirkte, was dem sängerischen Können, dank Eberhard Friedrich, aber
wenig anhaben konnte.
Rainer Fineske
Krokodilstränen einer Grande Dame
W
kodilstränen“ überschrieb, zunächst
eine eher unsympathische und kaltherzige Seite Cosimas kennen. Im
Sommer 1886 kämpfte der 75jährige
Vater Cosimas, Franz Liszt, der sich
auf der Zugfahrt nach Bayreuth eine
Erkältung eingeholt hatte, bald nach
seiner Ankunft mit dem Tod. In Cosimas Augen leider zur Unzeit: die Festspiele hatten bereits begonnen und so
Foto: R. Vogler
ar Cosima Wagner eine bedeutende Persönlichkeit? Diese ihm häufig gestellte Frage
beantwortete der junge Historiker
Oliver Hilmes den zahlreich erschienenen Mitgliedern und Freunden des
Richard-Wagner-Verbandes BerlinBrandenburg mit einem eindeutigen
„ja“. Schließlich habe die Witwe
Richard Wagners Bedeutendes ge-
La Grande Dame
Anhand des Kapitels „La Grande
Dame“ zeigte Hilmes Cosima in ihrer Rolle als „Königin-Witwe“, geht
man einmal davon aus, dass die Wagners ja so etwas wie die Königsfamilie Bayreuths waren. Die gebürtige
Französin Cosima verstand es durch
ihre imposante Erscheinung Menschen anzuziehen und stellte eine
gesellschaftliche Instanz dar, nicht
nur in Bayreuth, sondern auch in der
Hauptstadt Berlin. „Die hohe Frau“,
wie sie auch von Vielen genannt wurde, forderte dabei auch ganz höfisch
die Einhaltung eines ungeschriebenen
Verhaltenscodexes ein. So durften z.
B. Komponisten wie Verdi oder Leoncavallo nicht in ihrer Gegenwart
erwähnt werden. Der Tenor Leo Slezak erfuhr dies am eigenen Leibe, als
er zum Entsetzen aller Anwesenden
bei einem Vorsingen in Bayreuth eine
Arie Leoncavallos zum Besten gab,
worauf er schließlich ohne Engagement entlassen wurde.
Oliver Hilmes
schaffen: die Bayreuther Festspiele.
Ohne sie wäre wohl aus dem nur mäßig erfolgreichen Experiment Richard
Wagners nie die Institution oder – wie
Hilmes es ausdrückte – „Marke“ geworden, die wir heute noch kennen.
Oliver Hilmes, der spätestens durch
seine Alma Mahler-Werfel Biografie „Witwe im Wahn“ einem breiten
Leserkreis bekannt ist, war am 17.
September 2007 Gast des Wagnerverbandes, um sein jüngstes Buch „Cosima Wagner – Herrin des Hügels“
vorzustellen. Da das umfangreiche
Werk den Rahmen der Veranstaltung
selbstverständlich gesprengt hätte,
hatte Hilmes vier (gekürzte) Kapitel
seines Buches ausgewählt, um die unterschiedlichen Facetten der Cosima
Wagner exemplarisch darzustellen.
Krokodilstränen
Die Zuhörer lernten in dem Kapitel,
welches Hilmes mit dem Titel „Kro-
blieb zwischen den Aufführungen und
sonstigen gesellschaftlichen Verpflichtungen für die Sorge um den todkranken Vater kaum Zeit. Als Liszt am 31.
Juli 1886 dann tatsächlich starb, besuchte Cosima zwar den Toten, schlief
jedoch am Sterbebett ein. Eine absurde Szene, die Hilmes in seinem Buch
schildert. Auch bei der Beerdigung
zeigte sich der respektlose Umgang mit
dem toten Komponisten: weder wurde
die Fahne auf dem Festspielhaus auf
Halbmast gesetzt, noch gab es ein Gedenkkonzert oder erklang eine Komposition des Verstorbenen im Rahmen
der Trauerfeier in der katholische Kirche Bayreuths. Stattdessen improvisierte Bruckner auf Parsifal-Themen.
An dieser Episode lässt sich sehr gut
Cosima Wagners Weltbild erkennen.
Für sie waren Richard Wagners Werk
und insbesondere die Festspiele das
Zentrum ihres Denkens. Ihm war alles unterzuordnen, selbst der Tod des
eigenen Vaters.
Die höfische Ergebenheit, die Viele
ihr gegenüber an den Tag legten, zeigt
sich auch an einer Posse aus dem Jahr
1894. Cosima hatte in diesem Jahr ihren Hausarzt gebeten, ihren erkrankten Hund im städtischen Krankenhaus
operieren zu lassen. Diese ungewöhnliche und besondere Behandlung des
Wagnerschen Neufundländers kam
jedoch schnell ans Tageslicht und
wurde zum Skandal. Dem behandelnden Arzt brachte die ganze Geschichte
einen Verweis ein. Cosima war sich
jedoch keiner Schuld bewusst und
forderte hingegen sogar selbstbewusst
das Anlegen anderer Maßstäbe für die
Familie des „Meisters“.
Wie sicher Cosima ihre Gefolgschaft
in späteren Jahren auch im Griff hatte, darf nicht vergessen werden, wie
schwer es für „die Meisterin“ nach
dem Tode Wagners war, sich zunächst
gegen die Wagnerianer durchzusetzen. Ihren Plan, den „Tannhäuser“
auf den Spielplan des Jahre 1891 zu
setzen, musste sie gegen viele Widerstände durchsetzen, galt doch dieses
Werk Vielen als Bayreuth-unwürdig.
Der letztendliche Erfolg des „Tannhäusers“ festigte aber die Position als
„Herrin des Hügels“.
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Damit ist das Bild Cosimas aber
noch nicht komplett gewesen. Dass
die „hohe Frau“ aber auch eine andere
Seite hatte, schilderte der Autor ebenfalls in diesem Kapitel. Cosima war
neben der Grande Dame auch noch
eine Hausfrau, die sich um kleinste
Belange im Hause Wahnfried selbst
kümmerte und ihrem Personal dezidierte Anweisungen gab, wie Dinge
erledigt werden sollten. Nichts wurde dem Zufall überlassen. Weder im
Haushalt, noch bei den Festspielen.
Dass diese Pläne nicht realisiert wurden, lag wohl weniger an Cosimas
Verhandlungsgeschick, als vielmehr
an dem Widerstand Bismarcks, der
alles andere als ein Musikfreund war,
sowie an von den vorneherein leeren
Versprechungen Wilhelms, denen die
Festspielchefin auf den Leim ging.
Foto: R. Vogler
Dreikaiserjahr
Cosima Wagner war eine äußerst geschickte Managerin, die es verstand
Fäden zu spinnen und zu taktieren.
Ihr besonders trickreiches Vorgehen
zeigte Hilmes in dem dritten Kapi-
tel seiner Lesung, das die Vorgänge
rund um das Dreikaiserjahr 1888
schildert, auch wenn in diesem Fall
Cosimas Bemühungen ohne Erfolg
blieben. Sie hatte bereits im Jahre
1887 den Diplomaten Philipp Graf
zu Eulenburg-Hertefeld als „Postillon D’Amour“ eingespannt, der ihr
den Kontakt zum Prinzen Wilhelm,
dem späteren Kaiser Wilhelm II.,
ebnen sollte. Graf zu Eulenburg galt
nämlich als ein enger und wohl auch
intimer Freund des jungen Prinzen.
Als Wilhelm 1888 durch den unerwarteten Tod seines Vaters Friedrich
III. überraschend schnell deutscher
Kaiser wurde, sah Cosima das Gelingen ihrer Pläne in greifbarer Nähe.
Es ging Cosima vor allem darum, die
Bayreuther Festspiele zur nationalen
Sache zu machen. Ihr schwebte dabei
neben einer Professur für „Wagnerkunde“ ein Protektorat des Hauses
Hohenzollern für die Festspiele vor.
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Das dynastische Prinzip
Viel erfolgreicher waren jedoch Cosimas Bemühungen am Vorabend
des Ersten Weltkriegs ihrem Sohn
Siegfried, dem einzigen männlichen
Nachkommen Richard Wagners, die
Vorherrschaft auf dem grünen Hügel
zu sichern. Wie Hilmes in seinem letzten Kapitel schilderte, wurde dieses
dynastische Prinzip zum einen durch
Cosimas Tochter Isolde und ihren
ehrgeizigen Ehemann Franz Beidler
bedroht. Durch deren gemeinsamen
Sohn geriet nämlich die „Thronfolge“ für den bislang unverheirateten
Siegfried in Gefahr. Was mit einem
Zerwürfnis Beidlers und Cosimas
1906 begonnen hatte, endete schließlich im Jahre 1915 mit der Niederlage
Isoldes im so genannten Beidler-Prozess, welcher der „Entwagnerung“
Isoldes gleichkam. Nach damaliger
Rechtslage war Isolde nicht als Tochter Wagners, sondern als Kind Hans
von Bülows anzusehen, da Isolde noch
während Cosimas Ehe mit ihrem ersten Ehemann Hans von Bülow gezeugt wurde, auch wenn es unzweifelhaft war, dass sie das erste gemeinsame
Kind Wagners und Cosimas war.
Eine weitere Gefahr für das dynastische Prinzip waren die immer wieder
aufflammenden Gerüchte bezogen
auf Siegfried Wagners Homosexualität. Auch das Ehepaar Beidler hatte
zwischenzeitlich mit der Offenlegung
pikanter Details gedroht. Hier konnte nur eine Hochzeit des inzwischen
über 40jährigen Siegfrieds helfen. Es
gelang schließlich Siegfried im Jahre
1915 mit der jungen Winifred Wiliams zu verheiraten, der ursprünglich aus England stammenden Pflegetochter des begeisterten Wagnerianers
Karl Klindworth. Sie sorgte für den
dringend benötigten Nachwuchs und
schenkte Siegried in kurzer Folge die
Kinder Wieland, Friedelind, Wolfgang und Verena. Hilmes schildert
in seinem Buch die Schwierigkeiten
mit denen die junge Frau im Hause
Wahnfried zu kämpfen hatte. So war
Cosima auch im Alter darauf bedacht,
aristokratische Umgangsformen zu
pflegen. Außerdem durften neben
der bereits erwähnten Tatsache, dass
bestimmte Personen in Gegenwart
Cosimas nicht genannt werden durften, auch bestimmte „geweihte“ Gegenstände nicht berührt werden. So
setzte Winifred sich beispielsweise
zum Entsetzen Cosimas und zur Erheiterung Siegfrieds einfach auf den
Lieblingssessel Wagners, auf dem
seit dem Tode des Meisters niemand
mehr hatte Platz nehmen dürfen.
Der vollkommen auf Cosima fixierte
Tagesablauf wird der jungen Frau
ebenfalls gewöhnungsbedürftig gewesen sein. So verlief jeder Tag nach
strengen Regeln. Selbst das Zubettgehen Cosimas war ein solches Ritual,
welches durch den Papagei, der die
glucksenden Trinkgeräusche Cosimas
beim Genuss ihres allabendlichen Biers
nachahmte, eine heitere Seite bekam.
Auch wenn Hilmes in seiner Lesung
nur wenige gekürzte Kapitel seines
Buches vorstellen konnte, so bekam
man schnell einen Eindruck, wie
interessant und auch für den Laien
gut lesbar seine Cosima-Biografie
ist. Hervorzuheben ist vor allem die
Tatsache, dass sich Oliver Hilmes in
seinem Buch eingehend und vielfältig
der Person Cosima Wagner widmet
und nicht mit einem Auge stets auf
das Leben Richard Wagners schielt.
So hat Hilmes die bislang bestehende
literarische Lücke zwischen den zahlreichen Wagner-Biografien zum einen
und der Winifred Wagner Biografie
Brigitte Hamanns („Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth“) geschlossen. Für den Fachmann gewinnt das
Buch zudem seinen Reiz durch die
Auswertung bislang verschollen geglaubter Quellen, wie z. B. den Akten
des Beidler-Prozesses.
Bleibt also nur noch die Frage nach der
nächsten Witwe, die Oliver Hilmes
nach Alma Mahler-Werfel und Cosima Wagner zu porträtieren gedenkt.
Hier winkte er allerdings ab: ein Witwen-Biograf wolle er nicht werden,
daher wäre also als nächstes ein Mann
Rüdiger Vogler
an der Reihe.
Beethoven und Wagner
Dieter Reuscher referierte zum 180. Todestag Ludwig van Beethovens
Wenn es in seinen Jugendjahren zwei
Idole gab, an denen sich Wagner
orientierte, dann waren es William
Shakespeare und Ludwig van Beethoven. Wagner war 14 Jahre alt, als Beethoven starb. Sein magischer Ansatz,
etwas wie Shakespeare und Beethoven
zu gestalten wich in späteren Jahren
dem Willen, es auch analytisch seinen Heroen gleich zu tun. An exemplarischen Beispielen machte Dieter
Reuscher deutlich, wie stark sich die
Schaffenskraft Beethovens in Wagners
Werken niederschlug, den er nicht nur
als Komponist, sondern ehrfurchtsvoll
als „Tondichter“ bezeichnete. Dennoch
gingen beide, bedingt durch die unterschiedliche
Persönlichkeitsstruktur,
auch unterschiedliche Wege. So bleibt
Wagner immer im Sinnlichen stecken,
versucht Sinnliches und Geistliches zu
verbinden, während Beethoven immer
fern davon bleibt. Beethoven hängt
hingegen dem Glauben an eine bessere
Welt an, will die Menschen retten und
transportiert Ethos, der unter anderem
in der 7. Sinfonie (A-Dur) und auch in
der 9. Sinfonie seinen Niederschlag findet. Er denkt schreibend und schreibt
Foto: D. Kahle
„I
ch glaube an Gott, Mozart und
Beethoven“. Diese Aussage Richard
Wagners, festgehalten in dessen
Novelle „Eine Pilgerfahrt zu Beethoven“ (1840), stellte Dieter Reuscher an
den Anfang seines Vortrages, den er
zum 180. Todestag Beethovens vor den
Mitgliedern des Richard-Wagner-Verbandes hielt. Reuscher, Vorstandsmitglied des Verbandes und langjähriger
Operndirektor in Cottbus, Magdeburg und Eisenach, lies es sich nicht
nehmen, nach seinen spannenden
Ausführungen über Bach und Wagner
nun auch Beethoven und Wagner als
Wegbereiter einer musikalischen Epoche näher zu beleuchten, die Einflüsse
Beethovens auf Wagner aufzuzeigen
und die unterschiedliche Vorgehensweise beider Meister zu bewerten.
ner. Er kann und will von der Sinnlichkeit nicht lassen, schreibt träumend
und durchlebt erst das fertige Werk.
Dennoch erleben wir Ähnlichkeiten:
Beide neigen zu Ausbrüchen aus der
Tonalität. Während Beethoven sich
jedoch immer wieder einfängt und regelmäßig zur Tonalität zurückfindet,
bleibt dies Wagner zumeist versagt.
Beide versuchen, aus wenig mehr zu
machen. Die ersten eindringlichen
Takte aus Beethovens 5. Sinfonie erinnern stark an die späteren Leitmotive, mit denen Wagner seine Zuhörer
sparsam zur Wiedererkennung zwingt.
Beide suchen Anleihen beim Volkslied,
wie das Quartett aus „Fidelio“ und
das Quintett aus den „Meistersingern“
zeigen. Im Vergleich weisen sich hier
beide Meister als Brüder im Geiste aus,
die Ethos und Form miteinander zu
verbinden suchen. Unbestreitbar haben
beide in ihrer Zeit das Tor zu einer neuen Stilepoche aufgestoßen und die musikalische Welt nachhaltig bereichert.
Rainer Fineske dankt Dieter Reuscher
denkend. Entsinnlichkeit geht bei ihm
mit Keuschheit einher. Die erotische
Eskapade ist ihm fremd. Anders Wag-
Dieter Reuscher, der gegenwärtig ein
„Fidelio“ - Projekt mit jungen Künstlern betreut, hat mit seinem Vortrag
über Beethoven und Wagner wieder
Neugierde geweckt und zum Nachdenken angeregt. Der Richard-Wagner-Verband Berlin-Brandenburg e. V.
dankt es ihm.
Dieter Kahle
Einweihung des Staatstheaters in Cottbus
D
Um 18.00 Uhr begann der festliche
Abend mit der Begrüßung durch den Intendanten und Vorstandsvorsitzenden
der Brandenburgischen Kulturstiftung
Herrn Martin Schüler, der insbesondere die sehr aufwändige und originalgetreue Rekonstruktion des Hauses darstellte, und dementsprechend auch die
Mitarbeiter dieser sehr umfangreichen
und spannenden Aufgabe zu würdigen
wusste. Keiner vermochte sich bis da-
Foto: R. Fineske
er Intendant des Staatstheaters
Cottbus, Herr Martin Schüler ,
lud am 22. September 2007
zur feierlichen Wiedereröffnung des
„Grossen Hauses Am Schillerpark“ mit
der romantischen Oper „Die Rheinnixen“ von Jacques Offenbach ein.
Das Ensemble beim Schlussapplause
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Grußworte überbrachte Frau Prof.
Johanna Wanka, die Ministerin für
Wissenschaft, Kultur und Forschung
im Land Brandenburg und Vorsitzende des Stiftungsrates der Brandenburgischen Kulturstiftung Cottbus.
Dem schloss sich der Oberbürgermeister der Stadt Cottbus Herr Frank
Szymanski an, der als Stellvertretender
Vorsitzender dem Stiftungsrat der
Brandenburgischen
Kulturstiftung
Cottbus ebenfalls angehört.
Um 18.30 Uhr begann pünktlich die
Aufführung der romantischen Oper
„Die Rheinnixen“ von Jacques Offenbach. Ein seit 140 Jahren nicht mehr
aufgeführtes Werk. An diesem Abend
konnte das Publikum sein Theater mit
einer echten musikhistorischen Sensation wieder in Besitz nehmen. Weltweit steht diese wunderbare romantische Oper – ein Füllhorn herrlichster
Chöre, Ensembles und Arien – tatsächlich nur im Staatstheater Cottbus
auf dem Spielplan.
Im Anschluss an die Aufführung gab
der Intendant im Foyer des ersten
Ranges einen Empfang für alle Gäste
des Abends.
Auf den Fußspuren der Götter
Rainer Fineske im Gespräch mit Tankred Dorst und Ursula Ehler
„W
otan, Götter und Halbgötter haben keinen festen
Ort, sie vagieren frei, sie
nisten sich im Vorhandenen, im Gegenwärtigen ein, ziehen sich dann
wieder zurück, verschwinden vielleicht
für immer, hinterlassen vielleicht eine
Spur, einen unverstandenen Hinweis
auf ihre Existenz.“ Diese Sicht auf
Wagners Weltmärchen, nachzulesen
im Regiekonzept „Die Fußspur der
Götter“ hat Tankkred Dorst verinnerlicht, als er sich – erschrocken über den
Auftrag – an die wohl schwierigste und
anspruchvollste Regiearbeit machte,
nämlich den „Ring des Nibelungen“ in
Bayreuth zu inszenieren. Im November war er bei uns, um sich gemeinsam
mit Ursula Ehler, seiner Ehefrau und
Mitarbeiterin, den Fragen unserer Mitglieder zu stellen und über seine Intentionen Auskunft zu geben. „Man fährt
wie in ein Bergwerk ein und fühlt sich
dabei wie ein Hilfsheizer“, so Dorst.
Nur ein freier Autor habe überhaupt
die Zeit dazu, sich an so was zu wagen.
Wenn man sich dieser Herausforderung annehme, müsse man wissen,
dass Brünhilde, Wotan und die anderen Gestalten alles abdecken und einen
Dichter daran hindern, eigene Stücke
zu schreiben. Dabei ist der Dramatiker
Tankred Dorst ein engagierter Viel-
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schreiber, der sowohl in der Theater- als
auch in der Filmwelt zu Hause ist und
die ausschließliche Hingabe an Wagners „Ring“ zuweilen als Opfergang
empfinden musste. Hinzu kommt,
dass man in der Werkstatt Bayreuth
niemals gänzlich fertig wird. Es bleibt
immer etwas zu wünschen übrig und
die Weiterentwicklung einer Inszenierung scheitert zuweilen schlichtweg
an Zeit und Umsetzungsproblemen.
Dennoch gibt Tankred Dorst nicht
auf. Seine Sicht auf das Weltendrama
sollte bei allem Verständnis für frühere
Inszenierungen auch künftig ohne
Verweis auf moderne Aktualitäten
erzählt werden und Pathos möglichst
vermeiden. „Ich bin kein pathetischer
Mensch. Dramatische Szenen kann
ich nicht leiden“, so Dorst. Wenn das
bei den Zuschauern zuweilen Irritation hervorrufen sollte, müsse nachgebessert werden. Der Regisseur sei den
Zuschauern gegenüber zur Klarheit
verpflichtet. Die Interpretation einer
Aussage müsse szenisch greifbar sein.
Wenn das nicht geschähe, haben wir
etwas falsch gemacht. Ursula Ehler,
seine vertraute Mitarbeiterin, pflichtet
ihm bei.
Also auf nach Bayreuth, auf in die Abgründe der menschlichen Gesellschaft,
Ein wahrhaft feierlicher Auftakt für
eine spannende und verheißungsvolle
Zukunft des „Alten Neuen Hauses“.
Als Vorsitzender des Richard-WagnerVerbandes Berlin-Brandenburg nahm
ich mit Freuden eine persönliche Einladung des Cottbusser Intendanten
Martin Schüler an. Einige von uns
kennen ihn nicht nur durch seine Intendanz, sondern auch als Regisseur
der Oper „Cosima“ von Siegfried
Matthus in Gera. Der Richard-Wagner-Verband Berlin-Brandenburg unterhält, man kann sagen seit nunmehr
über 20 Jahren, freundschaftliche Beziehungen zum Staatstheater Cottbus,
die zur Zeit unserer fast schon legendären ehemaligen Vorsitzenden Frau
Lucie Brauer begannen.
Rainer Fineske
wie Dorst sie sieht. „Das Wüste und
Wilde“, so der Dichter, „ist noch immer
ein Teil unserer Gegenwart und lebt in
den Köpfen wider aller Vernunft. Es
beherrscht zu Zeiten unser Leben und
vernichtet den schönen Schein, in dem
wir uns so friedfertig sicher fühlen“.
„Der Ring des Nibelungen“ wirft
auch in der Inszenierung von Tankred
Dorst Zukunftsfragen auf, die vergeblich Antworten suchen: Wisst ihr, wie
das wird?
Dieter Kahle
Foto: D. Kahle
hin richtig vorzustellen, wie viel Arbeit
und Material für dieses zwar komplett
erhaltene, aber äußerst renovierungsbedürftige Jugendstiltheater, finanziert
von den Cottbusser Bürgern und ohne
staatliche Zuschüsse mit Hilfe des Architekten und Baumeisters Ernst Bernhard Sehring errichtet, von Nöten waren. Letzterer ist auch Baumeister des
Berliner Theater des Westens gewesen.
Tankred Dorst
Philippe Olivier über die ewige
Herausforderung der Bayreuther Ring-Inszenierungen
A
m 15. Oktober 2007 war
Philippe Olivier, einer der
großen französischen Wagner-Kenner beim Richard-WagnerVerband zu Gast.
Philippe Olivier ist Musikwissenschaftler, Schriftsteller, Fernsehund Rundfunkautor. In diesem Jahr
wurde er auch zum Gastprofessor
an der Universität Rostock ernannt.
Sein jüngstes Buch ist „Der Ring des
Nibelungen in Bayreuth – von den
Anfängen bis heute“ (Schott Verlag,
2007, 272 Seiten mit zahlreichen
Abbildungen, 49,95 EUR). Die 14
Bayreuther Ring-Inszenierungen seit
1876 – dies war auch das Thema seines Vortrags beim Richard-WagnerVerband.
Ansicht nach hatte man nicht genug
Zeit, die Produktion ausreichend vorzubereiten.
Da waren zum Beispiel die Kostüme:
Wagner hatte gehört, dass es in Berlin und Hamburg Auff ührungen von
Hebbels „Nibelungen“ gab. Nachdem
er die Auff ührungen mit Cosima
besucht hatte, meinte er, dass diese
pseudo-germanischen Kostüme sehr
passend für den Ring wären. Nach
der Auff ührung in Bayreuth war er
ernüchtert.
Der Ring ist – bis heute – ein beträchtliches Unternehmen. Einen
ganzen Zyklus von vier Opern zu inszenieren war musikalisch, technisch
und menschlich äußerst kompliziert.
Man kann – auch heute – nie zu 100
Prozent zufrieden sein.
Foto: D. Kahle
Im Anschluss an den Vortrag hatten
wir noch einige Fragen an Philippe
Olivier.
Anzeige
„Kinder macht Neues“
Rainer Fineske, Philippe Olivier
Monsieur Olivier, wie zufrieden war
Wagner selbst mit der Ring-Inszenierung, die er in Bayreuth erlebt hat?
Eine komplizierte und einfache Frage
zugleich. Kompliziert, weil man eigentlich über viele von seinen Werken
sprechen müsste. Mit der ersten kompletten Ringauff ührung in Bayreuth
1876 war Wagner überhaupt nicht
zufrieden – er war enttäuscht. Seiner
Wann
war
die
„Werkstatt
Bayreuth“ der Ausgangspunkt von
Innovationen? Welche Bayreuther
Inszenierungen waren eher ein
Spiegel ihrer Zeit und der Entwicklungen, die außerhalb stattfi nden?
In diesem Punkt will ich mich nicht
für zu scharfsinnig halten – schließlich bin ich zu jung um alle Insze-
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nierungen erlebt zu haben. Natürlich hat die Arbeit von Chéreau
Geschichte geschrieben.
ment des Theaters ist, muss man sehr
vorsichtig mit der Bewertung sein.
Herr Olivier, Sie haben mehrere
Jahre für Olivier Messiaen gearbeitet und sind daher auch ein großer
Kenner Messiaens und seines musikalischen Werks. Wie würden
Sie die Affinität von Messiaen zu
Wagner – und besonders zum Parsifal – beschreiben?
Die Inszenierungen Wieland Wagners sind zu einer Legende gewor-
Ein ruhiges Plätzchen
D
er Leiter des Wahnfried-Archives, Herr Dr. Sven Friedrich, hat alle Wagner-Verbände angeschrieben und um finanzielle
Hilfe für die Neugestaltung des Wahnfried-Parkes gebeten. Es sollen sieben
neue Parkbänke in historischem Stil
aus Schmiedeeisen aufgestellt werden.
Pro Bank entstanden 800,- € Kosten
und wir haben im Vorstand einstimmig beschlossen, uns an dieser Aktion
zu beteiligen. Es soll als besonderer
Ausdruck der Verbundenheit des Bundeshauptstadt-Verbandes zu Bayreuth
und der Villa-Wahnfried gelten. „Unsere Bank“ hat selbstverständlich auch
ein Messingschild erhalten, auf dem
graviert wurde, wer diese Bank gestiftet hat. Also ruhen Sie sich im Wahnfried-Park auf unserer Bank aus, mit
dem Gedanken, ein Teil davon gehört
Ihnen.
den. Zwei Personen haben das
Opernleben in Europa in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts besonders geprägt – Wieland Wagner
und Maria Callas. Es ist zu schade,
dass die Callas nicht nach Bayreuth
gekommen ist. Und das, obwohl es
durchaus Kontakte zwischen ihr
und Wieland Wagner gegeben hat
– es war sein Traum, die Callas in
Bayreuth zu haben.
Haben Sie selbst eine Lieblingsinszenierung und welche hätten
Sie besonders gern gesehen?
Zu gern hätte ich die beiden „Wieland-Inszenierungen“ gesehen – und
zum Vergleich auch die seines Bruders Wolfgang Wagner. Als Forscher
hätte ich natürlich besonders gern die
Urauff ührung gesehen – denn das ist
schließlich der Ursprung…
Letztlich funktioniert jede Inszenierung nur unter den gesellschaftlichen
– und auch den technischen Bedingungen ihrer Zeit. Wenn man nur
an die sich wandelnde Beleuchtungstechnik denkt, die ja ein Grundele-
MUSIK UND DRAMA
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Nr. 23, Dezember 2007
In seiner Kompositionsklasse am
Pariser Konservatorium hat Messiaen fast alle Wagner-Opern eingehend studiert. Sein Lehrer dort
war schließlich Paul Dukas (1865
– 1935), der ja der Generation französischer Komponisten angehörte,
die nach München und Bayreuth
pilgerten und vom „Wagnerismus“
geprägt waren. Paul Dukas war ein
exzellenter Kenner des Wagnerschen
Werks.
Rainer Fineske
Für Messiaen war Wagner wohl das
Muster des Künstlers. So hat ja auch
Messiaen die Texte zu vielen seiner
Werke selbst geschrieben – so das
Libretto zu seiner Oper „Saint Francoise d’Assise“. Ursprünglich wollte
er seine Oper auch selbst inszenieren.
Die „Poèmes pour Mi“ (gemeint ist
seine Frau) von 1936 komponierte
Messiaen für eine große Wagner-Sopranstimme: für Marcelle Bunlet,
die große Wagner-Sängerin, die in
Bayreuth die Kundry unter Toscanini gesungen hatte.
Hinzu kommt die musikalische
Struktur. Oft fragte er sich, was hätte Wagner noch gemacht, wenn er
weitere zehn Jahre gelebt hätte? Man
fühlt bei Tristan und besonders im
Parsifal eine Entwicklung – nicht
direkt zur Atonalität, aber zu einer
Musik, die keine Hemmungen im
Umgang mit der alten Harmonik
und Tonaliät kennt. Für Messiaen
war das sehr wichtig.
Das Interview führte Christian Christiani.
Fotos: Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung, Bayreuth
Foto: D. Kahle
Ja, er war – als gläubiger Katholik
– ganz besonders am Parsifal interessiert. Obwohl Messiaen erzfranzösisch war und nur Französisch
sprach, war Wagner für ihn äußerst
wichtig.
Der traurige Gott
S
So überschreibt Peter Wapnewski eines seiner Bücher, in denen
von Richard Wagner, von seinen
Werken die Rede ist1. „Wotans Trauer“,
so Martin Gregor-Dellin, „ist Wagners
Trauer über sein zum Scheitern verurteiltes Erlösungs-Projekt“2
I. Erstem Blick freilich zeigt Wotan
sich anders: Groß, erhaben, als LichtGestalt! „Licht-Alben“, so der Wanderer zu Mime, seien die Götter, als
„Licht-Alberich“ hüte er die Schar3.
Ruhe, Erhabenheit strahlt aus Wotans
Rede, wenn er der Burg Walhall ansichtig wird: „Vollendet das ewige
Werk! Auf Berges Gipfel die Götterburg; prächtig prahlt der prangende
Bau!“4. Stolz führt er – nach etlichen,
glücklich überwundenen Komplikationen? – Fricka und ihre Geschwister
über die Regenbogenbrücke5: So grüss
ich die Burg, sicher vor Bang` und
Grau`n! Folge mir, Frau! In Walhall
wohne mit mir.“6 Mit seinem Speer
zerschlägt er Siegmunds Schwert7;
sein Speer ist es, der Loge herauf ruft,
damit er Brünnhilde mit Feuer umgebe8. Alles, so Wotan drohend zu
Mime, gehorche des Speeres Herrn,
und es lässt, dies zu bestätigen, ein leiser Donner sich vernehmen.9 Als Herr
des Felsens und des Feuers10 versucht
er Siegfried, den Enkel, in die Schranken zu weisen, ein für allemal! (?)
Es kommt anders: Siegfried zerschlägt
den Speer. Ruhig, so scheint es, sammelt Wotan die Stücke auf; plötzlich
verschwindet er im Dunkel. Wie es
um ihn bestellt ist, erfahren wir aus
Waltrautes Bericht11: Stumm sei er
in die Burg zurückgekehrt, stumm
habe er angewiesen, die Weltesche
zu fällen, in Scheite zu verwandeln,
die Scheite rings um Walhall aufzuschichten. Stumm habe er die Götter
und Helden in den Saal gewiesen, damit sie auf das Ende warten.
Der Unüberwindliche, von einem zum
anderen Augenblick ist er überwunden; besiegt der Unbesiegbare, zusammengebrochen, der dem Felsen glich.
Von einem Augenblick zum anderen?
II. Der zweite Blick bietet anderes: Er
zeigt einen Verstrickten, der von einem
Versuch zum anderen taumelt, die Sticke zu lösen, ohne dass es ihm gelänge.
Begrüßt er Walhall, so weist Fricka
auf unheilvolle Verträge, die er mit
den Riesen geschlossen habe12: Freia,
ihre Schwester, sei das Pfand – sie aber
steht für die Jugend, Unsterblichkeit
der Götter ein, und wird sie als Geisel
verschleppt, so ist es um die Jugend der
Götter getan, wenn nicht......
Was immer jedoch Wotan versucht,
der Verstickung zu entkommen, wird,
ja, muss scheitern. Wohl lässt einer der
Riesen sich ein auf Ersatz, aufs Rheingold, das Alberich geraubt hatte. Es her
zu schaffen, d.h. Alberich zu entreißen,
verwandelt den Gott in einen Betrüger
und Dieb13, schlimmer noch, zur brüllenden Bestie, da er Alberich den Ring
gewaltsam entreißt14. Damit hat er den
Was immer jedoch Wotan
versucht, der Verstickung
zu entkommen, wird,
ja, muss scheitern.
Feind sich geschaffen, einen, der gegen
ihn zu Felde ziehen wird. Der Weg
führt in den Abgrund.
Erst jetzt?
III. Blicken wir in Vorgeschichten,
diesseits und jenseits dessen, wovon in
der „Ring“-Tetralogie die Rede ist:
Einst, so erzählen es die Nornen, Erdas
Töchter 15, war die Weltesche unver1
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sehrt, und zu ihren Füßen rauschte
der Weisheits-Quell. „Ein kühner
Gott trat zum Trunk an den Quell;
seiner Augen eines zahlt er als ewigen
Zoll.“ – wofür? Und: „Von der Weltesche brauch da Wotan einen Ast; eines
Speeres Schaft entschnitt der Starke
dem Stamm“.
Beklemmend, was daraus sich ergibt:
„In langer Zeiten Lauf zehrte die Wunde den Wald. Falb fielen die Blätter.
Dürr darbte der Baum. Traurig versiegte des Trunkes Quell“. Hatte der
junge Gott sich versehrt, so versehrte
Beklemmend,
was daraus sich ergibt
er die Natur, und dies mit ungewusster, jedoch verheerender Nachwirkung:
„in langer Zeiten Lauf...“
Von den Gründen solch doppelter
Zerstörung wissen die Nornen nichts
zu sagen, stattdessen kreisen ihre Gedanken unentwegt um fortschreitende Zerstörung, um das bevorstehende
Ende der Götter.
Karg auch sind Wotans Auskünfte: „Um dich als Weib zu gewinnen,
mein eines Auge setzt` ich werbend
daran:...“ 16 – . Wotans Auge als Pfand
der Liebe, Selbstverstümmelung des
Liebenden als Opfer für die Geliebte?
Derlei bekommt Fricka, die Gattin zu
hören, vielleicht um derzeitige, zukünftige Einsprüche abzufangen: Längst
haben Spannungen sich eingenistet
inmitten der Götterfamilie, zuvörderst
Peter Wapnewski, Der traurige Gott. Richard Wagner in seinen Helden. München 1978
Martin Gregor-Dellin, Richard Wagner. Sein Leben. Sein Werk. Sein Jahrhundert,
München, Zürich 1980, S. 369
„Siegfried“, erster Aufzug, zweite Szene
„Das Rheingold“, zweites Bild
Donner und Froh hatten sie gebaut – nach einem Gewitter, dass die Luft und Wotans Seele
reinigen sollte!
„Das Rheingold“, viertes Bild
„Die Walküre“, zweiter Aufzug, letzte Szene:. „Zurück vor dem Speer! In Stücken das Schwert!“
Siegmund, nunmehr waffenlos, ist Hunding ausgeliefert.
„Die Walküre“, dritter Aufzug, letzte Szene
„Siegfried“ erster Aufzug, zweite Szene
„Siegfried“, dritter Aufzug, zweite Szene
„Götterdämmerung“, Erster Aufzug, zweites Bild
„Das Rheingold“ zweites Bild
Ein eigenes, hier nicht erörtertes Thema: Loge, der den Gott berät, mit ihm nach Nibelheim herunter fährt,
Alberich überlistet – um das Gold den Rheintöchtern zurück zu geben oder, wenn dies unmöglich, die
Götter zu vernichten!
Alberich warnt ihn. Darauf Wotans Antwort: „Her den Ring! Kein Recht an ihm schwörst du schwatzend
dir zu.“. In Patrice Chéreaus Inszenierung schlägt Wotan Alberich, um den Ring zu bekommen, den
Finger ab. Alberich, verwundet, schreit auf.
„Götterdämmerung“, Prolog
„Das Rheingold“, zweites Bild
Nr. 23, Dezember 2007
MUSIK UND DRAMA
9
zwischen Fricka und Wotan. Warum
solche Spannung?
Brünnhilde erfährt anderes17: „Als junger Liebe Lust mir verblich, verlangte
nach Macht mein Muth; von jäher
Wünsche Wüthen gejagt, gewann ich
mir die Welt“.
Auch das ist bestenfalls halbe Wahrheit. Schon der Abfolge – erst Wotans
Liebe, hernach sein Verlangen nach
Herrschaft – sind Fragezeichen eingesenkt: Ist „junger Liebe Lust“ dem
Machtwillen gewichen? Im Dunkel
bleibt, welcher „Wünsche Wüthen“ ihn
vor sich her treibt; als pure Übertreibung entlarvt sich, dass er „die Welt“
gewann. Wie also ist es um Wotans
– erst Wotans Liebe,
hernach sein Verlangen
nach Herrschaft –
Liebe, Machtwille, Herrschaft bestellt,
wie um das gewonnene, als „Welt“
apostrophierte Terrain?
Ein Blick in germanische, skandinavische Mythen hilft weiter18: Einst
herrschten Natur-, ja, Bauerngötter, an
ihrer Spitze Thor, der Donnerer. Später
jedoch kam Odin alias Wodan, Gott
der Jagd, des Krieges: Schrittweise
habe er die Bauerngötter bezwungen
– dergestalt sei eine Religion durch die
andere abgelöst worden.
Genau dieser Vorgang ist dem Beginn
der „Ring“-Tetralogie vorangesetzt;
er bestimmt Wotans Handeln und
Wotans Beziehungen zu den anderen
Göttern, d.h. zu Fricka und zu ihren
Geschwistern. Er, der Kriegsgott,
begegnet Göttern der Natur, er begehrt Einlass in ihre Familie, in eine
geschlossene Gesellschaft, die ihn
als Fremden abweisen könnte, wenn
nicht... Zweierlei Option steht ihm
offen: Entweder schnürt er, da fremd,
abgewiesen, sein Bündel, oder er sucht
einzudringen, sich einzunisten als
unabweisbar. Liebe, Begehren allein
öffnen ihm nicht die Türe. Macht ist
gerufen um der Liebe willen; erobert
werden soll jene Familie, die sonst dem
„jungen Gott“ verschlossen war. Eben
deshalb suchte er die Weltesche, den
Brunnen auf: Weisheit besonderer Art
galt es zu erlangen – Wissen darum,
MUSIK UND DRAMA
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Nr. 23, Dezember 2007
wie Macht, Herrschaft zu gewinnen
sei. Aufschlussreich die Antwort, vor
allem ihre Prämisse: Da Herrschaft
unweigerlich die Beherrschten und die
Herrschenden versehrt, ist Versehrung
des Eigenen der Preis für Herrschaftswissen. Also musste Wotan Hand an
sich legen. Und – aufs Neue beraten?
– legte er Hand an die Weltesche,
gleichgültig um die Folgen. Also verwandelte er den abgeschlagenen Ast
in eine Waffe. Unweigerlich, so lehrt
es die Geschichte, musste gewonnene
Herrschaft stabilisiert, zementiert werden. Daher die Burg, in der Wotan die
Familie, von der aus er die Welt beherrschen will!
Was jedoch dem Wegbeginn des Gottes eingesenkt ist als Wunde, gräbt
jedem weiteren Schritt sich ein als
Kette von Verhängnissen, es gibt kein
Entrinnen. Sollte die Burg gebaut
werden, größer, mächtiger als je, so
brauchte es Baumeister. Wer anders als
die größten, stärksten Lebewesen, die
Riesen, könnten die Burg aus riesigem
Felgestein errichten? Sie jedoch konnte Wotans Speer nicht besiegen; also
brauchte es Verträge zwischen Bauherren und Bauleuten; sie nun, die Verträge, wurden dem Speer eingraviert;
Was jedoch dem Wegbeginn
des Gottes eingesenkt ist
als Wunde,
gräbt jedem weiteren Schritt
sich ein als Kette
von Verhängnissen,
es gibt kein Entrinnen.
was sie enthalten, gereicht den Göttern
zum Verderben, wenn nicht.... Freia,
die Göttin der Fruchtbarkeit, des Lebens sei der Preis für das Bauwerk....
IV. Und nun Jahrzehnte, möglicherweise Jahrhunderte später: Nicht in
Walhall findet die Gattin ihren Mann,
sondern im fernen Gebirge19. Sie stellt
ihn zur Rede: Hunding habe sie um
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Beistand gebeten, weil ein Anderer
– er nannte sich „Wehwalt“ 20 – ihm
die Gattin geraubt habe. Die heilige
Ehe gälte es zu wahren. Als Wotan
aufbegehrt, verweist sie ihn auf seine
Untreue21.
Tatsächlich und seit langem hatte er
die Burg verlassen. Hinab trieb es ihn
zur Göttin Erda, die ihn gewarnt hatte und – ein erstes, letztes Mal? – dem
Verhängnis sich in den Weg stellte22:
Von ihm umworben, gebar sie Brünnhilde. Hinab trieb es ihn auf die Erde,
zu den Menschen: Mit ihnen zeugte er
jene Mädchen, die als Walküren die
gefallenen Helden nach Walhall brinZerbruch der Ehe,
gepaart dem Inzest!
gen sollten. Mit ihnen zeugte er die
Geschwister Siegmund und Sieglinde, als Wolfe streifte er mit dem Sohn
durch die Wälder23, um ihn stark, ja,
unüberwindbar zu machen. Den Sohn
trieb er in Hundings Behausung, damit die Geschwister sich erkennen und
in Liebe sich umfangen: Zerbruch der
Ehe, gepaart dem Inzest! Darob stellt
Fricka ihn zur Rede, sie selbst, nicht
nur der geprellte Hunding fordert Rache, Wiederherstellung ehelicher Gesetze. Warum hatte Wotan sie außer
Kraft gesetzt – er selbst und durch das
von ihm gezeugte Geschwisterpaar?
Gehorchend blanker Not! Von Alberichs Fluch gejagt, brauchte er Helden,
die ihm verfügbar waren im bevorstehenden Kampf gegen den Nibelung.
Aber nur einer, der stärker ist als Gott,
der ihm trotzt, könnte ihn retten24:
Siegmund, den er aufzog, dem er die
Schwester und ein Schwert zuspielte,
mit dem Hunding besiegt werden soll.
Fortwährende Untreue, Überschreitung ehelicher Gesetze sollten, sollen
herhalten zu Wotans Rettung, zur
Rettung der Götterfamilie: Außer
„Die Walküre“ zweiter Aufzug, dritte Szene
Vgl. hierzu Wolfgang Golther, Handbuch der germanischen Mythologie, Rostock 1895, Essen 2004, S. 161 ff.
„Die Walküre“, zweiter Aufzug, zweite Szene
„Die Walküre“, erster Aufzug, dritte Szene. Erst Sieglinde erfährt den eigentlichen Namen des Bruders
und Geliebten.
„Die Walküre“, zweiter Aufzug, zweite Szene
„Das Rheingold“ viertes Bild
So erzählt es Siegmund in: „Die Walküre“, erster Aufzug, dritte Szene.
So Wotan in seinem Monolog, in: „Die Walküre, erster Aufzug“.
Kraft gesetzt aber wird ein Gutteil jener Regelwerke, denen Götterfamilie,
Götterherrschaft sich verdanken – die
der Ehe.
Werden Regelwerke verletzt,
die das Ganze bislang
zusammen halten,
so verliert es Zusammenhalt
und Legitimation.
Ein Dilemma tut sich auf: Werden
Regelwerke verletzt, die das Ganze
bislang zusammen halten, so verliert
es Zusammenhalt und Legitimation. Werden Regelwerke eingehalten,
so kann Wotan den bevorstehenden
Kampf gegen Alberich nicht gewinnen; also bricht seine Herrschaft,
bricht das Götterreich zusammen.
Normen einzuhalten, Normen zu
brechen – beides führt zu gleichem
Resultat – „in langer Zeiten Lauf“, es
gibt kein Entrinnen.
Weiß der Gott darum, so kann
oder will er es Fricka nicht mitteilen; niemals könnte sie es verstehen,
geschweige denn akzeptieren. Also
weicht er zurück, erfüllt er, was die
Gattin fordert: „Laß ab vom Wälsung“. Mehr noch: „Entzieh dem (dem
Schwert. G.R.) den Zauber; zerknick
es dem Knecht. Schutzlos find` ihn
der Feind“ 25 – damit Hunding siegt.
Also verlangt er von Brünnhilde, dass
sie den Siegmund nicht schützt, und
da sie aufbegehrt, bedroht er sie. Also
zerschlägt er Siegmunds Schwert,
verstößt er Brünnhilde, weil sie ihm
trotzte, auf den Felsen: Brünnhilde
aber, von Erda geboren, ist Natur wie
ihre Mutter; an der Natur vergeht der
Gott sich aufs Neue – endgültig!
weist sie auf Brünnhilde: Sie jedoch,
die Ungehorsame habe er verstoßen.
Fassungslos kehrt die Mutter sich
ab. „Lass mich wieder hinab. Schlaf
verschließe mein Wissen“. Und, aufs
Neue bedrängt, voll Erbitterung:
„Du bist nicht, was du dich nennst!“
Wohl wahr: Wotan ist nicht mehr
Gott, und bald wird er nicht einmal
Wanderer sein; Siegfried, der Enkel,
zerschlägt ihm den Speer, das letzte
Signum ehemaliger Herrschaft.
VI. Erfüllt sich in allem nur, was seit
Beginn vorgezeichnet, so hat Wagner
dies überdeutlich komponiert:
Zwar tönt es feierlich, wenn es um
Walhall geht; doch seine Musik ist
ärmlich; wenige Partikel nur hat sie
aufzubieten; schlecht werden sie ineinander gefügt – dies alles kann das
weihevolle Getön der Blechbläser und
Harfen nicht unter den Tisch kehren.
Schlimmer noch: Dem Beginn der
Oberstimme ist Alberichs Ring-Motiv eingraviert – als ob beides, der
Ring und die Götterburg, gleichem
Regelwerk gehorchen, als ob gleiches
Unheil darin wohne! Später, wenn
Wotan erbittert das Ende vor sich
wähnt28, hat die zum „Motiv“ geschrumpfte Walhall-Musik ihre Erhabenheit verloren: Versetzt mit Themen der Tarnkappe und des Goldes,
gerät es aus dem Geleise angestammten Wohlklanges, angestammter
Tonart, als ob die Burg geborsten,
auseinander gebrochen sei. Dergestalt
wird es Hagen aufnehmen, wenn er
im düsteren Nachtgesang künftige
Leichen um sich versammelt.29
V. Und es lassen die Folgen nicht auf
sich warten: „Seit er von dir geschieden, zur Schlacht nicht mehr schickte
uns Wotan... Einsam zu Ross, ohne
Ruh noch Rast, durchschweift er als
Wanderer die Welt“ 26.
Wotans einziger Monolog 30, darin
er Auskunft gibt über sein Woher
und Wohin31, ist gezeichnet durch
unentwegtes Tasten, Stolpern, Taumeln. Dem knapp geschilderten Weg
zur Macht taugen nur wenige Takte
Rezitativ, und mehr als ausgehaltene
Basstöne hat das Orchester nicht zu
Nochmals hatte er Erda aufgesucht27,
einem Kinde vergleichbar, das sein
Spielzeug zerstörte, zur Mutter rannte, damit sie es repariere. Die Mutter
jedoch verweist ihn auf die Nornen:
Nacht für Nacht hätten sie ihm doch
das Nötige gesagt. Dann – er verlangt,
dass sie sein Schicksal wende –, ver-
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geben. Themen, die nach und nach
erklingen, gewähren ihm nur Zwischen-Aufenthalte; mehr und mehr
künden sie, wie sehr er verstrickt sei.
Werden dem Rezitativ ariose, liedhafte Abschnitte eingewoben, so nur
für wenige Takte; selbst wenn sie das
Rezitativ zu Fall bringen, fügen sie
sich nicht zum Ganzen: Von Themenfeld zu Themenfeld, von einem Liedbzw. Ariensegment zum anderen,
von Plattform zu Plattform wechselt
das Geschehen, von einer Ebene zur
anderen taumelt der Gott, ohne dass
er je ankommt. Erst recht verweisen
die Ausbrüche der Wut, dass er eingekreist ist: Von Alberichs Tarnhelm
und von Walhalls Zerstörung. Und es
gellt ihm viele Male Alberichs Fluch
um die Ohren: Ein Thema übrigens,
das ohnmächtiges Aufbegehren mit
dem Absturz vereint. Denn Alberich,
dem Wotan den Ring, damit alle
Macht entriss, ist nicht besser daran,
was immer er gegen Wotan unternehmen wird: Er nämlich hat, von den
Rheintöchtern verhöhnt, der „Minne
Macht“ entsagt32 ; „freudlos“ , „fahl
und bleich“ 33 lebt denn auch Hagen,
Alberichs Sohn. Der Ring, von Alberich geschmiedet, um Herrschaft zu
gewinnen anstelle verweigerter MinDem traurigen Gott gesellt sich
der traurige Nibelung.
ne, prägt, so scheint es, den Nibelungen und Göttern gleicherweise auf als
Kainsmal. Und mit ihm der Fluch,
den der Ring in sich birgt, also auch
die Ohnmacht des Aufbegehrens, der
Absturz.
Es ist der Ring, der die Feinde ineinander schließt34: Dem traurigen Gott
gesellt sich der traurige Nibelung.
Wer nun dürfte den einen gegen den
anderen ausspielen, als ob der eine im
Lichte, nur der andere in der Finsternis
wohne?!
Gerd Rienäcker
„Die Walküre“, zweiter Aufzug, zweite Szene
So Waltraute zu Brünnhilde im ersten Aufzug der „Götterdämmerung“.
„Siegfried“ , dritter Aufzug, erste Szene
„Die Walküre“, zweiter Aufzug, dritte Szene
„Götterdämmerung“, erster Aufzug, erstes Bild
„Die Walküre“ , a.a.O.
a.a.O. Wotan zu Brünnhilde: “Mit mir rath` ich, red` ich zu dir“.
„Das Rheingold“, erste Szene
Götterdämmerung“, zweiter Aufzug, erste Szene
Als „Ring des Nibelungen“ hat denn auch Richard Wagner seine Tetralogie bezeichnet.
Nr. 23, Dezember 2007
MUSIK UND DRAMA
11
Wir über uns
Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts
gab es Interesse an der Gründung einer
Richard-Wagner-Stipendienstiftung,
aus der die ersten Richard Wagner
Verbände 1908 hervorgingen. Der
Berliner Verband konstituierte sich
dann im Jahre 1909. Inzwischen gibt
es weltweit über 120 Richard Wagner
Verbände in über 40 Ländern.
Wir, der Richard-Wagner-Verband
Berlin-Brandenburg, wollen das Verständnis für das Werk Richard Wagners wecken und vertiefen, das künstlerische Leben in Berlin mitgestalten
und den künstlerischen Nachwuchs
fördern.
Darüber hinaus unterstützen wir die
auf Wunsch Richard Wagners gegründete und in Bayreuth bestehende
Richard-Wagner-Stipendienstiftung
und setzen uns im Sinne Richard
Wagners für den Fortbestand der
Bayreuther Festspiele ein.
Die Durchführung wissenschaftlicher
Vorträge zum Werk Richard Wagners,
aber auch zu anderen Themen der
Musikkultur, bilden einen weiteren
Schwerpunkt der Arbeit. Auch die Unterstützung von Forschungsvorhaben,
speziell an Berliner Hochschulen und
die Förderung künstlerischer Vorhaben, vorrangig an Opernhäusern Berlins, sehen wir als unsere Aufgabe an.
Wir führen in der Regel einmal im
Monat eine Veranstaltung durch, wo
wir zunächst ungezwungen über aktuelle Ereignisse diskutieren und den
persönlichen Kontakt pflegen. Anschließend haben wir Künstler oder
Wissenschaftler zu Gast, deren Vorträge sich überwiegend mit dem Werk
Richard Wagners befassen.
Wir reisen zu interessanten Opernaufführungen und veranstalten Konzerte
mit unseren Stipendiaten.
Unsere Ehrenmitglieder sind:
Ks. Theo Adam
Lucie Brauer
Prof. Götz Friedrich †
Ks. René Kollo
Deborah Polaski
Christian Thielemann
Impressum
Musik und Drama Nr. 23, Dezember 2007
Herausgeber
Richard-Wagner-Verband Berlin-Brandenburg e. V.
MUSIK UND DRAMA
12
Nr. 23, Dezember 2007
AUFNAHMEANTRAG
Ich beantrage die Mitgliedschaft
im Richard-Wagner-Verband Berlin-Brandenburg e. V.
Ich zahle:
den satzungsmäßigen Mindestbeitrag von:
€
sowie jährlich eine freiwillige Spende von:
€
Familienname:
Vorname:
Straße, Nummer:
PLZ, Ort
Geburtsdatum
Telefon:
Fax:
E-Mail:
Ich bin mit der Aufnahme der o. g. Daten
in das Mitgliederverzeichnis einverstanden:
Datum:
Unterschrift:
Sollten wir auch Ihr Interesse am
Richard-Wagner-Verband
BerlinBrandenburg e. V. geweckt haben,
füllen Sie bitte das nebenstehende Beitrittsformular aus und schicken es an
die angegebene Adresse.
Jährliche Beitragssätze:
Mitglieder
Studenten, Auszubildende,
Erwerbslose
Jur. Personen (Institutionen)
40 €
25 €
100 €
Adressen:
Den Aufnahmeantrag sowie weitere
Korrespondenz richten Sie bitte an den
Richard-Wagner-Verband
Berlin-Brandenburg e. V.
Helmstedter Str. 12
10717 Berlin
Tel
Fax
Mail
Web
030 864 23 674
030 864 23 695
[email protected]
www.wagnerverband-berlin.de
Diese Sätze reichen für die Deckung der
Kosten nicht aus, daher bitten wir unsere Mitglieder, über den Mindestbeitrag
hinaus eine jährliche Spende zu leisten.
KTO 256 169 101
BLZ 100 100 10
Postbank Berlin
Redaktion
Matthias Spruß
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben
die Meinung des jeweiligen Autors wieder.
Gestaltung und Satz
Ulrich Puhlfürst
[email protected]