Musik und Drama - Richard-Wagner-Verband Berlin
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Musik und Drama - Richard-Wagner-Verband Berlin
MUSIK und DRAMA Mitteilungen des Richard-Wagner-Verbandes Berlin-Brandenburg e. V. Jahrgang 2007, Nr. 23, Dezember 2007 „Nur wer das Fürchten nie erfuhr, schmiedet Notung neu.“ Editorial Burkhard Ulrich im Gespräch Liebe Mitglieder, liebe Leserin, lieber Leser, unsere Berliner Opernhäuser haben die Spielzeit 2007/2008 vielversprechend begonnen. Ob mit außergewöhnlichen Premieren, ansprechenden Repertoireauff ührungen oder großer Starbesetzung, insgesamt war es ein sehr erfreulicher Saisonstart. Wir dürfen gespannt sein, was uns noch erwartet. Auch die Sanierung der „Staatsoper Unter den Linden“ scheint auf einem guten Weg zu sein. Mit der Einigung über den Hauptstadtvertrag ist ein großer Teil der Finanzierung mit 200 Millionen Euro durch den Bund gesichert. Dies wird allerdings nicht ausreichen, um das Projekt auf eine solide finanzielle Basis zu stellen. Ein Blick nach Hamburg zeigt, dass mit bürgerlichem Engagement große Vorhaben, wie der Errichtung der Elbphilharmonie, verwirklicht werden können. „Musik und Drama“ wirft in dieser Ausgabe wieder einen Blick nach Brandenburg. Lassen auch Sie sich von der Neueröffnung des Staatstheaters in Cottbus begeistern. S eine außergewöhnliche Textverständlichkeit, die aufhorchen lässt, hat ihn weit über die Grenzen Deutschlands nicht nur bekannt, sondern berühmt gemacht: Burkhard Ulrich, Tenor und Ensemblemitglied der Deutschen Oper Berlin. Im September war er bei uns, um im Gespräch mit dem Moderator des Abends, Matthias Spruß, über sein Leben, seine Motivation und sein Berufsbild zu sprechen sowie den Mitgliedern des Richard-Wagner-Verbandes Rede und Antwort zu stehen. Den meisten von uns war er aus eigenem Erleben gut bekannt. „Mime“ kommt, raunte man sich im Vorfeld des Abends zu. In der Tat: Mit der Rolle des Mime im „Rheingold“ und im „Siegfried“ gelang ihm ein internationaler Durchbruch, der seinesgleichen sucht. Bei vielen Zuhörern und Zuschauern wurde er gleichsam zur Identitätsfigur mit Wagners unheilvollem Zwerg. Das Charakterfach gestaltete er nicht nur an der Deutschen Oper, sondern auch in Aix-en-Provence und konzertant unter der Stabführung von Sir Simon Rattle in Berlin. Neben Rattle kamen auch andere Größen des Dirigentenfachs an Ulrich nicht vorbei, unter anderem Riccardo Muti, Christian Thielemann, Marc Albrecht und Marc Minkowski. Dabei glänzte er vor allem in Rollen, die nicht exorbitant ausladend sind: Monostatos („Die Zauberflöte“), Don Basilio („Die Hochzeit des Figaro“), Schujski („Boris Godunow“) oder Valzacchi („Der Rosenkavalier“). Bregenz, Leipzig, Basel, Essen und Köln waren nur einige Stationen auf seinem beruflichen Lebensweg. Sein Erfolgskonzept: Fleiß, Ausdauer, charakterlicher Gestaltungswille und eine hohe musikalische Begabung, die er aus seinem Elternhaus mitbekam und ihn über die Kirchenmusik und über das Studium der Gesang- und Instru- Zur Vorbereitung Ihres Besuches der einzigen Berliner Ring-Auff ührung in dieser Opernsaison möchte ich Ihnen den bemerkenswerten und aufschlussreichen Beitrag „Der traurige Gott“ unseres Mitgliedes Herrn Prof. Dr. Gerd Rienäcker empfehlen. Das Jahr 2008 steht im Zeichen des Gedenkens des 125. Todestages Richard Wagners. Mit zahlreichen Veranstaltungen werden wir Leben und Werk reflektieren. Ihr Matthias Spruß Foto: D. Kahle Ich darf Ihnen eine anregende Lektüre der neuen Ausgabe von „Musik und Drama“ und für den bevorstehenden Jahreswechsel alles Gute wünschen. Burkhard Ulrich Nr. 23, Dezember 2007 MUSIK UND DRAMA mentalpädagogik zur musikalischen Reifeprüfung führte. 1996 bekam er sein erstes Engagement in Koblenz, bis 2001 war er Ensemblemitglied in Kiel, wo ihn auch Eva Wagner-Pasquier für die Rollen des Loge und Mime entdeckte. Wie bereitet man sich auf solche Herausforderungen vor? Ein Jahr studiere er intensiv die Musik, so Ulrich. Erst dann sei er zur dramatischen Ausgestaltung mit Hilfe eines Coachs bereit. Was Bayreuther Festspiele 2007 Skizzen und Eindrücke D as Festspielhaus Bayreuth eröffnete in diesem Jahr die Saison am 25. Juli mit einer Neuinszenierung der Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“. Regie Katharina Wagner, die Tochter des amtierenden Festspielleiters Wolfgang Wagner. Traditionell gibt es zur Eröffnung der Bayreuther Festspiele am Grabe Richard und Cosima Wagners im Park der Villa Wahnfried ein Grabsingen, das immer von den Künstlern des Festspielhauses gestaltet wird. Die Ansprache hielt in diesem Jahr Ulf Klausenitzer, der erste Geiger des Festspielorchesters, von den Musikhochschulen Nürnberg und Würzburg kommend. Der Festspielchor wurde wieder von Eberhard Friedrich geleitet. Wie immer war das Grabsingen sehr gut besucht und es wurde wiederholt zur Stätte regen Gedankenaustausches, besonders natürlich über die abends anstehende Premiere. Unser Verband hatte in diesem Jahr zum ersten Mal einen Kranz am Grabe Richard und Cosima Wagners niedergelegt, was von vielen Besuchern äußerst positiv zur Kenntnis genommen wurde. Die Musikwelt war, wie selten zuvor, auf die abendliche Auff ührung gespannt, denn die „Meistersinger“ sind noch nie außerhalb der Familie Wagner am Hügel inszeniert worden. Heftige Diskussionen machten bereits schon Wochen und Monate vor der Premiere in Wagnerkreisen die Runde. Dabei handelte es sich um MUSIK UND DRAMA 2 Nr. 23, Dezember 2007 schätzt er an der Ensemblearbeit? Die Charakterfindung bei Neuproduktionen und die Zusammenarbeit im Team, bei der nicht jeder kurzfristig eingesprungene Kollege „sein Ding“ mache, ohne nachzufragen. Welche Rolle reize ihn derzeit am meisten? Die Rolle des Herodes in „Salome“ von Richard Strauss. Irgendwann bin ich soweit, schmunzelt Burkhard Ulrich. Ich übe schon fleißig. Gibt es ein Opernhaus, auf dessen Bühne er einmal unbedingt singen wolle? Natürlich Bayreuth! Mitglieder in den Wagnerverbänden, aber auch um Musikkritiker bis hin zu Musikwissenschaftlern. Aus Bayreuth gab es eine sehr gut geführte und engagierte Pressearbeit, die durch Alexander Busche geleitet wurde. „Parsifal“. Zum letzten Mal in der Inszenierung von Christoph Schlingensief. Entrümpelter, aber nicht bewegender als in den Vorjahren. Besonders schade, dass der verwesende Hase natürlich zum Schluss noch einmal ausführlich gezeigt werden musste, um die schöne „Weltentrückungsmusik“ wieder vollends zu zerstören! Die Premiere war voller Erwartungen, egal ob man Hoffnungen in klassischer bzw. historischer oder in Richtung zukunftweisender, moderner bis futuristischer Sichtweise hegte. Auf der Premiere standen sich dann erwartungsgemäß Befürworter und Gegner ihrer Arbeit mit Buhs und Bravi gegenüber. Obwohl ein Großteil des Publikums die Arbeiten von Katharina Wagner vor der Meistersingerproduktion kannte, fielen die Reaktionen trotzdem extrem heftig aus. Während man nach den ersten zwei Akten im angeregten Pausengespräch noch die Aussage hörte: „Damit könne man ja leben, aber wie wird der dritte Akt?“ Jeder, der „die Meistersinger“ sah und hörte oder die vielfältigen Kritiken gelesen hat, kann sich eine eigene Meinung bilden. Das Ensemble ist von der Regisseurin, wie nun schon in gewohnter Weise, wieder sehr gut in Szene gesetzt worden. Auch merkt man die Begeisterung bei den Sängern und Sängerinnen für Katharina Wagner. Aber in musikalischer, sängerischer und inszenatorischer Hinsicht dürfte in den nächsten Jahren noch einiges nachgearbeitet werden. Wir dürfen auf die „Werkstatt Bayreuth“ äußerst gespannt sein. Weitere Auff ührungen waren der Das meinen auch wir, die Mitglieder des Richard-Wagner-Verbandes. Wir wünschen Burkhard Ulrich viel Glück und freuen uns vorerst über seine Präsens in Berlin und so manchen Opernabend mit ihm in der Hauptstadt. Dieter Kahle Der „Tannhäuser“ wirkte in diesem Jahr umso vollkommener, da Solisten, Chor und die Lichtregie Philippe Arlauds mit den Kostümen von Carin Bartels besonders zur Geltung kamen. Ein überraschendes Dirigiererlebnis war Christoph Ulrich Meier, der für den erkrankten Fabio Luisi sehr kurzfristig einspringen musste. Im Vorfeld von manchen Kritikern der Festspiele unwürdig befunden, legte er ein fulminantes und höchst gelungenes Debüt hin und ließ das Publikum im „Tannhäuser“ geradezu schwelgen. „Der Ring des Nibelungen“ in der Inszenierung von Tankred Dorst wurde in diesem Jahr zum zweiten Mal gegeben. Musikalisch mit Höchstleistungen von Christian Thielemann ausgestattet und bedacht, war das Sängerensemble schon etwas differenzierter zu betrachten. Wie immer ein strahlender Chor in der Götterdämmerung, der aber, so schien es, durch die Regie am Schluss der Götterdämmerung etwas beeinträchtigt wirkte, was dem sängerischen Können, dank Eberhard Friedrich, aber wenig anhaben konnte. Rainer Fineske Krokodilstränen einer Grande Dame W kodilstränen“ überschrieb, zunächst eine eher unsympathische und kaltherzige Seite Cosimas kennen. Im Sommer 1886 kämpfte der 75jährige Vater Cosimas, Franz Liszt, der sich auf der Zugfahrt nach Bayreuth eine Erkältung eingeholt hatte, bald nach seiner Ankunft mit dem Tod. In Cosimas Augen leider zur Unzeit: die Festspiele hatten bereits begonnen und so Foto: R. Vogler ar Cosima Wagner eine bedeutende Persönlichkeit? Diese ihm häufig gestellte Frage beantwortete der junge Historiker Oliver Hilmes den zahlreich erschienenen Mitgliedern und Freunden des Richard-Wagner-Verbandes BerlinBrandenburg mit einem eindeutigen „ja“. Schließlich habe die Witwe Richard Wagners Bedeutendes ge- La Grande Dame Anhand des Kapitels „La Grande Dame“ zeigte Hilmes Cosima in ihrer Rolle als „Königin-Witwe“, geht man einmal davon aus, dass die Wagners ja so etwas wie die Königsfamilie Bayreuths waren. Die gebürtige Französin Cosima verstand es durch ihre imposante Erscheinung Menschen anzuziehen und stellte eine gesellschaftliche Instanz dar, nicht nur in Bayreuth, sondern auch in der Hauptstadt Berlin. „Die hohe Frau“, wie sie auch von Vielen genannt wurde, forderte dabei auch ganz höfisch die Einhaltung eines ungeschriebenen Verhaltenscodexes ein. So durften z. B. Komponisten wie Verdi oder Leoncavallo nicht in ihrer Gegenwart erwähnt werden. Der Tenor Leo Slezak erfuhr dies am eigenen Leibe, als er zum Entsetzen aller Anwesenden bei einem Vorsingen in Bayreuth eine Arie Leoncavallos zum Besten gab, worauf er schließlich ohne Engagement entlassen wurde. Oliver Hilmes schaffen: die Bayreuther Festspiele. Ohne sie wäre wohl aus dem nur mäßig erfolgreichen Experiment Richard Wagners nie die Institution oder – wie Hilmes es ausdrückte – „Marke“ geworden, die wir heute noch kennen. Oliver Hilmes, der spätestens durch seine Alma Mahler-Werfel Biografie „Witwe im Wahn“ einem breiten Leserkreis bekannt ist, war am 17. September 2007 Gast des Wagnerverbandes, um sein jüngstes Buch „Cosima Wagner – Herrin des Hügels“ vorzustellen. Da das umfangreiche Werk den Rahmen der Veranstaltung selbstverständlich gesprengt hätte, hatte Hilmes vier (gekürzte) Kapitel seines Buches ausgewählt, um die unterschiedlichen Facetten der Cosima Wagner exemplarisch darzustellen. Krokodilstränen Die Zuhörer lernten in dem Kapitel, welches Hilmes mit dem Titel „Kro- blieb zwischen den Aufführungen und sonstigen gesellschaftlichen Verpflichtungen für die Sorge um den todkranken Vater kaum Zeit. Als Liszt am 31. Juli 1886 dann tatsächlich starb, besuchte Cosima zwar den Toten, schlief jedoch am Sterbebett ein. Eine absurde Szene, die Hilmes in seinem Buch schildert. Auch bei der Beerdigung zeigte sich der respektlose Umgang mit dem toten Komponisten: weder wurde die Fahne auf dem Festspielhaus auf Halbmast gesetzt, noch gab es ein Gedenkkonzert oder erklang eine Komposition des Verstorbenen im Rahmen der Trauerfeier in der katholische Kirche Bayreuths. Stattdessen improvisierte Bruckner auf Parsifal-Themen. An dieser Episode lässt sich sehr gut Cosima Wagners Weltbild erkennen. Für sie waren Richard Wagners Werk und insbesondere die Festspiele das Zentrum ihres Denkens. Ihm war alles unterzuordnen, selbst der Tod des eigenen Vaters. Die höfische Ergebenheit, die Viele ihr gegenüber an den Tag legten, zeigt sich auch an einer Posse aus dem Jahr 1894. Cosima hatte in diesem Jahr ihren Hausarzt gebeten, ihren erkrankten Hund im städtischen Krankenhaus operieren zu lassen. Diese ungewöhnliche und besondere Behandlung des Wagnerschen Neufundländers kam jedoch schnell ans Tageslicht und wurde zum Skandal. Dem behandelnden Arzt brachte die ganze Geschichte einen Verweis ein. Cosima war sich jedoch keiner Schuld bewusst und forderte hingegen sogar selbstbewusst das Anlegen anderer Maßstäbe für die Familie des „Meisters“. Wie sicher Cosima ihre Gefolgschaft in späteren Jahren auch im Griff hatte, darf nicht vergessen werden, wie schwer es für „die Meisterin“ nach dem Tode Wagners war, sich zunächst gegen die Wagnerianer durchzusetzen. Ihren Plan, den „Tannhäuser“ auf den Spielplan des Jahre 1891 zu setzen, musste sie gegen viele Widerstände durchsetzen, galt doch dieses Werk Vielen als Bayreuth-unwürdig. Der letztendliche Erfolg des „Tannhäusers“ festigte aber die Position als „Herrin des Hügels“. Nr. 23, Dezember 2007 MUSIK UND DRAMA 3 Damit ist das Bild Cosimas aber noch nicht komplett gewesen. Dass die „hohe Frau“ aber auch eine andere Seite hatte, schilderte der Autor ebenfalls in diesem Kapitel. Cosima war neben der Grande Dame auch noch eine Hausfrau, die sich um kleinste Belange im Hause Wahnfried selbst kümmerte und ihrem Personal dezidierte Anweisungen gab, wie Dinge erledigt werden sollten. Nichts wurde dem Zufall überlassen. Weder im Haushalt, noch bei den Festspielen. Dass diese Pläne nicht realisiert wurden, lag wohl weniger an Cosimas Verhandlungsgeschick, als vielmehr an dem Widerstand Bismarcks, der alles andere als ein Musikfreund war, sowie an von den vorneherein leeren Versprechungen Wilhelms, denen die Festspielchefin auf den Leim ging. Foto: R. Vogler Dreikaiserjahr Cosima Wagner war eine äußerst geschickte Managerin, die es verstand Fäden zu spinnen und zu taktieren. Ihr besonders trickreiches Vorgehen zeigte Hilmes in dem dritten Kapi- tel seiner Lesung, das die Vorgänge rund um das Dreikaiserjahr 1888 schildert, auch wenn in diesem Fall Cosimas Bemühungen ohne Erfolg blieben. Sie hatte bereits im Jahre 1887 den Diplomaten Philipp Graf zu Eulenburg-Hertefeld als „Postillon D’Amour“ eingespannt, der ihr den Kontakt zum Prinzen Wilhelm, dem späteren Kaiser Wilhelm II., ebnen sollte. Graf zu Eulenburg galt nämlich als ein enger und wohl auch intimer Freund des jungen Prinzen. Als Wilhelm 1888 durch den unerwarteten Tod seines Vaters Friedrich III. überraschend schnell deutscher Kaiser wurde, sah Cosima das Gelingen ihrer Pläne in greifbarer Nähe. Es ging Cosima vor allem darum, die Bayreuther Festspiele zur nationalen Sache zu machen. Ihr schwebte dabei neben einer Professur für „Wagnerkunde“ ein Protektorat des Hauses Hohenzollern für die Festspiele vor. MUSIK UND DRAMA 4 Nr. 23, Dezember 2007 Das dynastische Prinzip Viel erfolgreicher waren jedoch Cosimas Bemühungen am Vorabend des Ersten Weltkriegs ihrem Sohn Siegfried, dem einzigen männlichen Nachkommen Richard Wagners, die Vorherrschaft auf dem grünen Hügel zu sichern. Wie Hilmes in seinem letzten Kapitel schilderte, wurde dieses dynastische Prinzip zum einen durch Cosimas Tochter Isolde und ihren ehrgeizigen Ehemann Franz Beidler bedroht. Durch deren gemeinsamen Sohn geriet nämlich die „Thronfolge“ für den bislang unverheirateten Siegfried in Gefahr. Was mit einem Zerwürfnis Beidlers und Cosimas 1906 begonnen hatte, endete schließlich im Jahre 1915 mit der Niederlage Isoldes im so genannten Beidler-Prozess, welcher der „Entwagnerung“ Isoldes gleichkam. Nach damaliger Rechtslage war Isolde nicht als Tochter Wagners, sondern als Kind Hans von Bülows anzusehen, da Isolde noch während Cosimas Ehe mit ihrem ersten Ehemann Hans von Bülow gezeugt wurde, auch wenn es unzweifelhaft war, dass sie das erste gemeinsame Kind Wagners und Cosimas war. Eine weitere Gefahr für das dynastische Prinzip waren die immer wieder aufflammenden Gerüchte bezogen auf Siegfried Wagners Homosexualität. Auch das Ehepaar Beidler hatte zwischenzeitlich mit der Offenlegung pikanter Details gedroht. Hier konnte nur eine Hochzeit des inzwischen über 40jährigen Siegfrieds helfen. Es gelang schließlich Siegfried im Jahre 1915 mit der jungen Winifred Wiliams zu verheiraten, der ursprünglich aus England stammenden Pflegetochter des begeisterten Wagnerianers Karl Klindworth. Sie sorgte für den dringend benötigten Nachwuchs und schenkte Siegried in kurzer Folge die Kinder Wieland, Friedelind, Wolfgang und Verena. Hilmes schildert in seinem Buch die Schwierigkeiten mit denen die junge Frau im Hause Wahnfried zu kämpfen hatte. So war Cosima auch im Alter darauf bedacht, aristokratische Umgangsformen zu pflegen. Außerdem durften neben der bereits erwähnten Tatsache, dass bestimmte Personen in Gegenwart Cosimas nicht genannt werden durften, auch bestimmte „geweihte“ Gegenstände nicht berührt werden. So setzte Winifred sich beispielsweise zum Entsetzen Cosimas und zur Erheiterung Siegfrieds einfach auf den Lieblingssessel Wagners, auf dem seit dem Tode des Meisters niemand mehr hatte Platz nehmen dürfen. Der vollkommen auf Cosima fixierte Tagesablauf wird der jungen Frau ebenfalls gewöhnungsbedürftig gewesen sein. So verlief jeder Tag nach strengen Regeln. Selbst das Zubettgehen Cosimas war ein solches Ritual, welches durch den Papagei, der die glucksenden Trinkgeräusche Cosimas beim Genuss ihres allabendlichen Biers nachahmte, eine heitere Seite bekam. Auch wenn Hilmes in seiner Lesung nur wenige gekürzte Kapitel seines Buches vorstellen konnte, so bekam man schnell einen Eindruck, wie interessant und auch für den Laien gut lesbar seine Cosima-Biografie ist. Hervorzuheben ist vor allem die Tatsache, dass sich Oliver Hilmes in seinem Buch eingehend und vielfältig der Person Cosima Wagner widmet und nicht mit einem Auge stets auf das Leben Richard Wagners schielt. So hat Hilmes die bislang bestehende literarische Lücke zwischen den zahlreichen Wagner-Biografien zum einen und der Winifred Wagner Biografie Brigitte Hamanns („Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth“) geschlossen. Für den Fachmann gewinnt das Buch zudem seinen Reiz durch die Auswertung bislang verschollen geglaubter Quellen, wie z. B. den Akten des Beidler-Prozesses. Bleibt also nur noch die Frage nach der nächsten Witwe, die Oliver Hilmes nach Alma Mahler-Werfel und Cosima Wagner zu porträtieren gedenkt. Hier winkte er allerdings ab: ein Witwen-Biograf wolle er nicht werden, daher wäre also als nächstes ein Mann Rüdiger Vogler an der Reihe. Beethoven und Wagner Dieter Reuscher referierte zum 180. Todestag Ludwig van Beethovens Wenn es in seinen Jugendjahren zwei Idole gab, an denen sich Wagner orientierte, dann waren es William Shakespeare und Ludwig van Beethoven. Wagner war 14 Jahre alt, als Beethoven starb. Sein magischer Ansatz, etwas wie Shakespeare und Beethoven zu gestalten wich in späteren Jahren dem Willen, es auch analytisch seinen Heroen gleich zu tun. An exemplarischen Beispielen machte Dieter Reuscher deutlich, wie stark sich die Schaffenskraft Beethovens in Wagners Werken niederschlug, den er nicht nur als Komponist, sondern ehrfurchtsvoll als „Tondichter“ bezeichnete. Dennoch gingen beide, bedingt durch die unterschiedliche Persönlichkeitsstruktur, auch unterschiedliche Wege. So bleibt Wagner immer im Sinnlichen stecken, versucht Sinnliches und Geistliches zu verbinden, während Beethoven immer fern davon bleibt. Beethoven hängt hingegen dem Glauben an eine bessere Welt an, will die Menschen retten und transportiert Ethos, der unter anderem in der 7. Sinfonie (A-Dur) und auch in der 9. Sinfonie seinen Niederschlag findet. Er denkt schreibend und schreibt Foto: D. Kahle „I ch glaube an Gott, Mozart und Beethoven“. Diese Aussage Richard Wagners, festgehalten in dessen Novelle „Eine Pilgerfahrt zu Beethoven“ (1840), stellte Dieter Reuscher an den Anfang seines Vortrages, den er zum 180. Todestag Beethovens vor den Mitgliedern des Richard-Wagner-Verbandes hielt. Reuscher, Vorstandsmitglied des Verbandes und langjähriger Operndirektor in Cottbus, Magdeburg und Eisenach, lies es sich nicht nehmen, nach seinen spannenden Ausführungen über Bach und Wagner nun auch Beethoven und Wagner als Wegbereiter einer musikalischen Epoche näher zu beleuchten, die Einflüsse Beethovens auf Wagner aufzuzeigen und die unterschiedliche Vorgehensweise beider Meister zu bewerten. ner. Er kann und will von der Sinnlichkeit nicht lassen, schreibt träumend und durchlebt erst das fertige Werk. Dennoch erleben wir Ähnlichkeiten: Beide neigen zu Ausbrüchen aus der Tonalität. Während Beethoven sich jedoch immer wieder einfängt und regelmäßig zur Tonalität zurückfindet, bleibt dies Wagner zumeist versagt. Beide versuchen, aus wenig mehr zu machen. Die ersten eindringlichen Takte aus Beethovens 5. Sinfonie erinnern stark an die späteren Leitmotive, mit denen Wagner seine Zuhörer sparsam zur Wiedererkennung zwingt. Beide suchen Anleihen beim Volkslied, wie das Quartett aus „Fidelio“ und das Quintett aus den „Meistersingern“ zeigen. Im Vergleich weisen sich hier beide Meister als Brüder im Geiste aus, die Ethos und Form miteinander zu verbinden suchen. Unbestreitbar haben beide in ihrer Zeit das Tor zu einer neuen Stilepoche aufgestoßen und die musikalische Welt nachhaltig bereichert. Rainer Fineske dankt Dieter Reuscher denkend. Entsinnlichkeit geht bei ihm mit Keuschheit einher. Die erotische Eskapade ist ihm fremd. Anders Wag- Dieter Reuscher, der gegenwärtig ein „Fidelio“ - Projekt mit jungen Künstlern betreut, hat mit seinem Vortrag über Beethoven und Wagner wieder Neugierde geweckt und zum Nachdenken angeregt. Der Richard-Wagner-Verband Berlin-Brandenburg e. V. dankt es ihm. Dieter Kahle Einweihung des Staatstheaters in Cottbus D Um 18.00 Uhr begann der festliche Abend mit der Begrüßung durch den Intendanten und Vorstandsvorsitzenden der Brandenburgischen Kulturstiftung Herrn Martin Schüler, der insbesondere die sehr aufwändige und originalgetreue Rekonstruktion des Hauses darstellte, und dementsprechend auch die Mitarbeiter dieser sehr umfangreichen und spannenden Aufgabe zu würdigen wusste. Keiner vermochte sich bis da- Foto: R. Fineske er Intendant des Staatstheaters Cottbus, Herr Martin Schüler , lud am 22. September 2007 zur feierlichen Wiedereröffnung des „Grossen Hauses Am Schillerpark“ mit der romantischen Oper „Die Rheinnixen“ von Jacques Offenbach ein. Das Ensemble beim Schlussapplause Nr. 23, Dezember 2007 MUSIK UND DRAMA 5 Grußworte überbrachte Frau Prof. Johanna Wanka, die Ministerin für Wissenschaft, Kultur und Forschung im Land Brandenburg und Vorsitzende des Stiftungsrates der Brandenburgischen Kulturstiftung Cottbus. Dem schloss sich der Oberbürgermeister der Stadt Cottbus Herr Frank Szymanski an, der als Stellvertretender Vorsitzender dem Stiftungsrat der Brandenburgischen Kulturstiftung Cottbus ebenfalls angehört. Um 18.30 Uhr begann pünktlich die Aufführung der romantischen Oper „Die Rheinnixen“ von Jacques Offenbach. Ein seit 140 Jahren nicht mehr aufgeführtes Werk. An diesem Abend konnte das Publikum sein Theater mit einer echten musikhistorischen Sensation wieder in Besitz nehmen. Weltweit steht diese wunderbare romantische Oper – ein Füllhorn herrlichster Chöre, Ensembles und Arien – tatsächlich nur im Staatstheater Cottbus auf dem Spielplan. Im Anschluss an die Aufführung gab der Intendant im Foyer des ersten Ranges einen Empfang für alle Gäste des Abends. Auf den Fußspuren der Götter Rainer Fineske im Gespräch mit Tankred Dorst und Ursula Ehler „W otan, Götter und Halbgötter haben keinen festen Ort, sie vagieren frei, sie nisten sich im Vorhandenen, im Gegenwärtigen ein, ziehen sich dann wieder zurück, verschwinden vielleicht für immer, hinterlassen vielleicht eine Spur, einen unverstandenen Hinweis auf ihre Existenz.“ Diese Sicht auf Wagners Weltmärchen, nachzulesen im Regiekonzept „Die Fußspur der Götter“ hat Tankkred Dorst verinnerlicht, als er sich – erschrocken über den Auftrag – an die wohl schwierigste und anspruchvollste Regiearbeit machte, nämlich den „Ring des Nibelungen“ in Bayreuth zu inszenieren. Im November war er bei uns, um sich gemeinsam mit Ursula Ehler, seiner Ehefrau und Mitarbeiterin, den Fragen unserer Mitglieder zu stellen und über seine Intentionen Auskunft zu geben. „Man fährt wie in ein Bergwerk ein und fühlt sich dabei wie ein Hilfsheizer“, so Dorst. Nur ein freier Autor habe überhaupt die Zeit dazu, sich an so was zu wagen. Wenn man sich dieser Herausforderung annehme, müsse man wissen, dass Brünhilde, Wotan und die anderen Gestalten alles abdecken und einen Dichter daran hindern, eigene Stücke zu schreiben. Dabei ist der Dramatiker Tankred Dorst ein engagierter Viel- MUSIK UND DRAMA 6 Nr. 23, Dezember 2007 schreiber, der sowohl in der Theater- als auch in der Filmwelt zu Hause ist und die ausschließliche Hingabe an Wagners „Ring“ zuweilen als Opfergang empfinden musste. Hinzu kommt, dass man in der Werkstatt Bayreuth niemals gänzlich fertig wird. Es bleibt immer etwas zu wünschen übrig und die Weiterentwicklung einer Inszenierung scheitert zuweilen schlichtweg an Zeit und Umsetzungsproblemen. Dennoch gibt Tankred Dorst nicht auf. Seine Sicht auf das Weltendrama sollte bei allem Verständnis für frühere Inszenierungen auch künftig ohne Verweis auf moderne Aktualitäten erzählt werden und Pathos möglichst vermeiden. „Ich bin kein pathetischer Mensch. Dramatische Szenen kann ich nicht leiden“, so Dorst. Wenn das bei den Zuschauern zuweilen Irritation hervorrufen sollte, müsse nachgebessert werden. Der Regisseur sei den Zuschauern gegenüber zur Klarheit verpflichtet. Die Interpretation einer Aussage müsse szenisch greifbar sein. Wenn das nicht geschähe, haben wir etwas falsch gemacht. Ursula Ehler, seine vertraute Mitarbeiterin, pflichtet ihm bei. Also auf nach Bayreuth, auf in die Abgründe der menschlichen Gesellschaft, Ein wahrhaft feierlicher Auftakt für eine spannende und verheißungsvolle Zukunft des „Alten Neuen Hauses“. Als Vorsitzender des Richard-WagnerVerbandes Berlin-Brandenburg nahm ich mit Freuden eine persönliche Einladung des Cottbusser Intendanten Martin Schüler an. Einige von uns kennen ihn nicht nur durch seine Intendanz, sondern auch als Regisseur der Oper „Cosima“ von Siegfried Matthus in Gera. Der Richard-Wagner-Verband Berlin-Brandenburg unterhält, man kann sagen seit nunmehr über 20 Jahren, freundschaftliche Beziehungen zum Staatstheater Cottbus, die zur Zeit unserer fast schon legendären ehemaligen Vorsitzenden Frau Lucie Brauer begannen. Rainer Fineske wie Dorst sie sieht. „Das Wüste und Wilde“, so der Dichter, „ist noch immer ein Teil unserer Gegenwart und lebt in den Köpfen wider aller Vernunft. Es beherrscht zu Zeiten unser Leben und vernichtet den schönen Schein, in dem wir uns so friedfertig sicher fühlen“. „Der Ring des Nibelungen“ wirft auch in der Inszenierung von Tankred Dorst Zukunftsfragen auf, die vergeblich Antworten suchen: Wisst ihr, wie das wird? Dieter Kahle Foto: D. Kahle hin richtig vorzustellen, wie viel Arbeit und Material für dieses zwar komplett erhaltene, aber äußerst renovierungsbedürftige Jugendstiltheater, finanziert von den Cottbusser Bürgern und ohne staatliche Zuschüsse mit Hilfe des Architekten und Baumeisters Ernst Bernhard Sehring errichtet, von Nöten waren. Letzterer ist auch Baumeister des Berliner Theater des Westens gewesen. Tankred Dorst Philippe Olivier über die ewige Herausforderung der Bayreuther Ring-Inszenierungen A m 15. Oktober 2007 war Philippe Olivier, einer der großen französischen Wagner-Kenner beim Richard-WagnerVerband zu Gast. Philippe Olivier ist Musikwissenschaftler, Schriftsteller, Fernsehund Rundfunkautor. In diesem Jahr wurde er auch zum Gastprofessor an der Universität Rostock ernannt. Sein jüngstes Buch ist „Der Ring des Nibelungen in Bayreuth – von den Anfängen bis heute“ (Schott Verlag, 2007, 272 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, 49,95 EUR). Die 14 Bayreuther Ring-Inszenierungen seit 1876 – dies war auch das Thema seines Vortrags beim Richard-WagnerVerband. Ansicht nach hatte man nicht genug Zeit, die Produktion ausreichend vorzubereiten. Da waren zum Beispiel die Kostüme: Wagner hatte gehört, dass es in Berlin und Hamburg Auff ührungen von Hebbels „Nibelungen“ gab. Nachdem er die Auff ührungen mit Cosima besucht hatte, meinte er, dass diese pseudo-germanischen Kostüme sehr passend für den Ring wären. Nach der Auff ührung in Bayreuth war er ernüchtert. Der Ring ist – bis heute – ein beträchtliches Unternehmen. Einen ganzen Zyklus von vier Opern zu inszenieren war musikalisch, technisch und menschlich äußerst kompliziert. Man kann – auch heute – nie zu 100 Prozent zufrieden sein. Foto: D. Kahle Im Anschluss an den Vortrag hatten wir noch einige Fragen an Philippe Olivier. Anzeige „Kinder macht Neues“ Rainer Fineske, Philippe Olivier Monsieur Olivier, wie zufrieden war Wagner selbst mit der Ring-Inszenierung, die er in Bayreuth erlebt hat? Eine komplizierte und einfache Frage zugleich. Kompliziert, weil man eigentlich über viele von seinen Werken sprechen müsste. Mit der ersten kompletten Ringauff ührung in Bayreuth 1876 war Wagner überhaupt nicht zufrieden – er war enttäuscht. Seiner Wann war die „Werkstatt Bayreuth“ der Ausgangspunkt von Innovationen? Welche Bayreuther Inszenierungen waren eher ein Spiegel ihrer Zeit und der Entwicklungen, die außerhalb stattfi nden? In diesem Punkt will ich mich nicht für zu scharfsinnig halten – schließlich bin ich zu jung um alle Insze- Nr. 23, Dezember 2007 MUSIK UND DRAMA 7 nierungen erlebt zu haben. Natürlich hat die Arbeit von Chéreau Geschichte geschrieben. ment des Theaters ist, muss man sehr vorsichtig mit der Bewertung sein. Herr Olivier, Sie haben mehrere Jahre für Olivier Messiaen gearbeitet und sind daher auch ein großer Kenner Messiaens und seines musikalischen Werks. Wie würden Sie die Affinität von Messiaen zu Wagner – und besonders zum Parsifal – beschreiben? Die Inszenierungen Wieland Wagners sind zu einer Legende gewor- Ein ruhiges Plätzchen D er Leiter des Wahnfried-Archives, Herr Dr. Sven Friedrich, hat alle Wagner-Verbände angeschrieben und um finanzielle Hilfe für die Neugestaltung des Wahnfried-Parkes gebeten. Es sollen sieben neue Parkbänke in historischem Stil aus Schmiedeeisen aufgestellt werden. Pro Bank entstanden 800,- € Kosten und wir haben im Vorstand einstimmig beschlossen, uns an dieser Aktion zu beteiligen. Es soll als besonderer Ausdruck der Verbundenheit des Bundeshauptstadt-Verbandes zu Bayreuth und der Villa-Wahnfried gelten. „Unsere Bank“ hat selbstverständlich auch ein Messingschild erhalten, auf dem graviert wurde, wer diese Bank gestiftet hat. Also ruhen Sie sich im Wahnfried-Park auf unserer Bank aus, mit dem Gedanken, ein Teil davon gehört Ihnen. den. Zwei Personen haben das Opernleben in Europa in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts besonders geprägt – Wieland Wagner und Maria Callas. Es ist zu schade, dass die Callas nicht nach Bayreuth gekommen ist. Und das, obwohl es durchaus Kontakte zwischen ihr und Wieland Wagner gegeben hat – es war sein Traum, die Callas in Bayreuth zu haben. Haben Sie selbst eine Lieblingsinszenierung und welche hätten Sie besonders gern gesehen? Zu gern hätte ich die beiden „Wieland-Inszenierungen“ gesehen – und zum Vergleich auch die seines Bruders Wolfgang Wagner. Als Forscher hätte ich natürlich besonders gern die Urauff ührung gesehen – denn das ist schließlich der Ursprung… Letztlich funktioniert jede Inszenierung nur unter den gesellschaftlichen – und auch den technischen Bedingungen ihrer Zeit. Wenn man nur an die sich wandelnde Beleuchtungstechnik denkt, die ja ein Grundele- MUSIK UND DRAMA 8 Nr. 23, Dezember 2007 In seiner Kompositionsklasse am Pariser Konservatorium hat Messiaen fast alle Wagner-Opern eingehend studiert. Sein Lehrer dort war schließlich Paul Dukas (1865 – 1935), der ja der Generation französischer Komponisten angehörte, die nach München und Bayreuth pilgerten und vom „Wagnerismus“ geprägt waren. Paul Dukas war ein exzellenter Kenner des Wagnerschen Werks. Rainer Fineske Für Messiaen war Wagner wohl das Muster des Künstlers. So hat ja auch Messiaen die Texte zu vielen seiner Werke selbst geschrieben – so das Libretto zu seiner Oper „Saint Francoise d’Assise“. Ursprünglich wollte er seine Oper auch selbst inszenieren. Die „Poèmes pour Mi“ (gemeint ist seine Frau) von 1936 komponierte Messiaen für eine große Wagner-Sopranstimme: für Marcelle Bunlet, die große Wagner-Sängerin, die in Bayreuth die Kundry unter Toscanini gesungen hatte. Hinzu kommt die musikalische Struktur. Oft fragte er sich, was hätte Wagner noch gemacht, wenn er weitere zehn Jahre gelebt hätte? Man fühlt bei Tristan und besonders im Parsifal eine Entwicklung – nicht direkt zur Atonalität, aber zu einer Musik, die keine Hemmungen im Umgang mit der alten Harmonik und Tonaliät kennt. Für Messiaen war das sehr wichtig. Das Interview führte Christian Christiani. Fotos: Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung, Bayreuth Foto: D. Kahle Ja, er war – als gläubiger Katholik – ganz besonders am Parsifal interessiert. Obwohl Messiaen erzfranzösisch war und nur Französisch sprach, war Wagner für ihn äußerst wichtig. Der traurige Gott S So überschreibt Peter Wapnewski eines seiner Bücher, in denen von Richard Wagner, von seinen Werken die Rede ist1. „Wotans Trauer“, so Martin Gregor-Dellin, „ist Wagners Trauer über sein zum Scheitern verurteiltes Erlösungs-Projekt“2 I. Erstem Blick freilich zeigt Wotan sich anders: Groß, erhaben, als LichtGestalt! „Licht-Alben“, so der Wanderer zu Mime, seien die Götter, als „Licht-Alberich“ hüte er die Schar3. Ruhe, Erhabenheit strahlt aus Wotans Rede, wenn er der Burg Walhall ansichtig wird: „Vollendet das ewige Werk! Auf Berges Gipfel die Götterburg; prächtig prahlt der prangende Bau!“4. Stolz führt er – nach etlichen, glücklich überwundenen Komplikationen? – Fricka und ihre Geschwister über die Regenbogenbrücke5: So grüss ich die Burg, sicher vor Bang` und Grau`n! Folge mir, Frau! In Walhall wohne mit mir.“6 Mit seinem Speer zerschlägt er Siegmunds Schwert7; sein Speer ist es, der Loge herauf ruft, damit er Brünnhilde mit Feuer umgebe8. Alles, so Wotan drohend zu Mime, gehorche des Speeres Herrn, und es lässt, dies zu bestätigen, ein leiser Donner sich vernehmen.9 Als Herr des Felsens und des Feuers10 versucht er Siegfried, den Enkel, in die Schranken zu weisen, ein für allemal! (?) Es kommt anders: Siegfried zerschlägt den Speer. Ruhig, so scheint es, sammelt Wotan die Stücke auf; plötzlich verschwindet er im Dunkel. Wie es um ihn bestellt ist, erfahren wir aus Waltrautes Bericht11: Stumm sei er in die Burg zurückgekehrt, stumm habe er angewiesen, die Weltesche zu fällen, in Scheite zu verwandeln, die Scheite rings um Walhall aufzuschichten. Stumm habe er die Götter und Helden in den Saal gewiesen, damit sie auf das Ende warten. Der Unüberwindliche, von einem zum anderen Augenblick ist er überwunden; besiegt der Unbesiegbare, zusammengebrochen, der dem Felsen glich. Von einem Augenblick zum anderen? II. Der zweite Blick bietet anderes: Er zeigt einen Verstrickten, der von einem Versuch zum anderen taumelt, die Sticke zu lösen, ohne dass es ihm gelänge. Begrüßt er Walhall, so weist Fricka auf unheilvolle Verträge, die er mit den Riesen geschlossen habe12: Freia, ihre Schwester, sei das Pfand – sie aber steht für die Jugend, Unsterblichkeit der Götter ein, und wird sie als Geisel verschleppt, so ist es um die Jugend der Götter getan, wenn nicht...... Was immer jedoch Wotan versucht, der Verstickung zu entkommen, wird, ja, muss scheitern. Wohl lässt einer der Riesen sich ein auf Ersatz, aufs Rheingold, das Alberich geraubt hatte. Es her zu schaffen, d.h. Alberich zu entreißen, verwandelt den Gott in einen Betrüger und Dieb13, schlimmer noch, zur brüllenden Bestie, da er Alberich den Ring gewaltsam entreißt14. Damit hat er den Was immer jedoch Wotan versucht, der Verstickung zu entkommen, wird, ja, muss scheitern. Feind sich geschaffen, einen, der gegen ihn zu Felde ziehen wird. Der Weg führt in den Abgrund. Erst jetzt? III. Blicken wir in Vorgeschichten, diesseits und jenseits dessen, wovon in der „Ring“-Tetralogie die Rede ist: Einst, so erzählen es die Nornen, Erdas Töchter 15, war die Weltesche unver1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 sehrt, und zu ihren Füßen rauschte der Weisheits-Quell. „Ein kühner Gott trat zum Trunk an den Quell; seiner Augen eines zahlt er als ewigen Zoll.“ – wofür? Und: „Von der Weltesche brauch da Wotan einen Ast; eines Speeres Schaft entschnitt der Starke dem Stamm“. Beklemmend, was daraus sich ergibt: „In langer Zeiten Lauf zehrte die Wunde den Wald. Falb fielen die Blätter. Dürr darbte der Baum. Traurig versiegte des Trunkes Quell“. Hatte der junge Gott sich versehrt, so versehrte Beklemmend, was daraus sich ergibt er die Natur, und dies mit ungewusster, jedoch verheerender Nachwirkung: „in langer Zeiten Lauf...“ Von den Gründen solch doppelter Zerstörung wissen die Nornen nichts zu sagen, stattdessen kreisen ihre Gedanken unentwegt um fortschreitende Zerstörung, um das bevorstehende Ende der Götter. Karg auch sind Wotans Auskünfte: „Um dich als Weib zu gewinnen, mein eines Auge setzt` ich werbend daran:...“ 16 – . Wotans Auge als Pfand der Liebe, Selbstverstümmelung des Liebenden als Opfer für die Geliebte? Derlei bekommt Fricka, die Gattin zu hören, vielleicht um derzeitige, zukünftige Einsprüche abzufangen: Längst haben Spannungen sich eingenistet inmitten der Götterfamilie, zuvörderst Peter Wapnewski, Der traurige Gott. Richard Wagner in seinen Helden. München 1978 Martin Gregor-Dellin, Richard Wagner. Sein Leben. Sein Werk. Sein Jahrhundert, München, Zürich 1980, S. 369 „Siegfried“, erster Aufzug, zweite Szene „Das Rheingold“, zweites Bild Donner und Froh hatten sie gebaut – nach einem Gewitter, dass die Luft und Wotans Seele reinigen sollte! „Das Rheingold“, viertes Bild „Die Walküre“, zweiter Aufzug, letzte Szene:. „Zurück vor dem Speer! In Stücken das Schwert!“ Siegmund, nunmehr waffenlos, ist Hunding ausgeliefert. „Die Walküre“, dritter Aufzug, letzte Szene „Siegfried“ erster Aufzug, zweite Szene „Siegfried“, dritter Aufzug, zweite Szene „Götterdämmerung“, Erster Aufzug, zweites Bild „Das Rheingold“ zweites Bild Ein eigenes, hier nicht erörtertes Thema: Loge, der den Gott berät, mit ihm nach Nibelheim herunter fährt, Alberich überlistet – um das Gold den Rheintöchtern zurück zu geben oder, wenn dies unmöglich, die Götter zu vernichten! Alberich warnt ihn. Darauf Wotans Antwort: „Her den Ring! Kein Recht an ihm schwörst du schwatzend dir zu.“. In Patrice Chéreaus Inszenierung schlägt Wotan Alberich, um den Ring zu bekommen, den Finger ab. Alberich, verwundet, schreit auf. „Götterdämmerung“, Prolog „Das Rheingold“, zweites Bild Nr. 23, Dezember 2007 MUSIK UND DRAMA 9 zwischen Fricka und Wotan. Warum solche Spannung? Brünnhilde erfährt anderes17: „Als junger Liebe Lust mir verblich, verlangte nach Macht mein Muth; von jäher Wünsche Wüthen gejagt, gewann ich mir die Welt“. Auch das ist bestenfalls halbe Wahrheit. Schon der Abfolge – erst Wotans Liebe, hernach sein Verlangen nach Herrschaft – sind Fragezeichen eingesenkt: Ist „junger Liebe Lust“ dem Machtwillen gewichen? Im Dunkel bleibt, welcher „Wünsche Wüthen“ ihn vor sich her treibt; als pure Übertreibung entlarvt sich, dass er „die Welt“ gewann. Wie also ist es um Wotans – erst Wotans Liebe, hernach sein Verlangen nach Herrschaft – Liebe, Machtwille, Herrschaft bestellt, wie um das gewonnene, als „Welt“ apostrophierte Terrain? Ein Blick in germanische, skandinavische Mythen hilft weiter18: Einst herrschten Natur-, ja, Bauerngötter, an ihrer Spitze Thor, der Donnerer. Später jedoch kam Odin alias Wodan, Gott der Jagd, des Krieges: Schrittweise habe er die Bauerngötter bezwungen – dergestalt sei eine Religion durch die andere abgelöst worden. Genau dieser Vorgang ist dem Beginn der „Ring“-Tetralogie vorangesetzt; er bestimmt Wotans Handeln und Wotans Beziehungen zu den anderen Göttern, d.h. zu Fricka und zu ihren Geschwistern. Er, der Kriegsgott, begegnet Göttern der Natur, er begehrt Einlass in ihre Familie, in eine geschlossene Gesellschaft, die ihn als Fremden abweisen könnte, wenn nicht... Zweierlei Option steht ihm offen: Entweder schnürt er, da fremd, abgewiesen, sein Bündel, oder er sucht einzudringen, sich einzunisten als unabweisbar. Liebe, Begehren allein öffnen ihm nicht die Türe. Macht ist gerufen um der Liebe willen; erobert werden soll jene Familie, die sonst dem „jungen Gott“ verschlossen war. Eben deshalb suchte er die Weltesche, den Brunnen auf: Weisheit besonderer Art galt es zu erlangen – Wissen darum, MUSIK UND DRAMA 10 Nr. 23, Dezember 2007 wie Macht, Herrschaft zu gewinnen sei. Aufschlussreich die Antwort, vor allem ihre Prämisse: Da Herrschaft unweigerlich die Beherrschten und die Herrschenden versehrt, ist Versehrung des Eigenen der Preis für Herrschaftswissen. Also musste Wotan Hand an sich legen. Und – aufs Neue beraten? – legte er Hand an die Weltesche, gleichgültig um die Folgen. Also verwandelte er den abgeschlagenen Ast in eine Waffe. Unweigerlich, so lehrt es die Geschichte, musste gewonnene Herrschaft stabilisiert, zementiert werden. Daher die Burg, in der Wotan die Familie, von der aus er die Welt beherrschen will! Was jedoch dem Wegbeginn des Gottes eingesenkt ist als Wunde, gräbt jedem weiteren Schritt sich ein als Kette von Verhängnissen, es gibt kein Entrinnen. Sollte die Burg gebaut werden, größer, mächtiger als je, so brauchte es Baumeister. Wer anders als die größten, stärksten Lebewesen, die Riesen, könnten die Burg aus riesigem Felgestein errichten? Sie jedoch konnte Wotans Speer nicht besiegen; also brauchte es Verträge zwischen Bauherren und Bauleuten; sie nun, die Verträge, wurden dem Speer eingraviert; Was jedoch dem Wegbeginn des Gottes eingesenkt ist als Wunde, gräbt jedem weiteren Schritt sich ein als Kette von Verhängnissen, es gibt kein Entrinnen. was sie enthalten, gereicht den Göttern zum Verderben, wenn nicht.... Freia, die Göttin der Fruchtbarkeit, des Lebens sei der Preis für das Bauwerk.... IV. Und nun Jahrzehnte, möglicherweise Jahrhunderte später: Nicht in Walhall findet die Gattin ihren Mann, sondern im fernen Gebirge19. Sie stellt ihn zur Rede: Hunding habe sie um 17 18 19 20 21 22 23 24 Beistand gebeten, weil ein Anderer – er nannte sich „Wehwalt“ 20 – ihm die Gattin geraubt habe. Die heilige Ehe gälte es zu wahren. Als Wotan aufbegehrt, verweist sie ihn auf seine Untreue21. Tatsächlich und seit langem hatte er die Burg verlassen. Hinab trieb es ihn zur Göttin Erda, die ihn gewarnt hatte und – ein erstes, letztes Mal? – dem Verhängnis sich in den Weg stellte22: Von ihm umworben, gebar sie Brünnhilde. Hinab trieb es ihn auf die Erde, zu den Menschen: Mit ihnen zeugte er jene Mädchen, die als Walküren die gefallenen Helden nach Walhall brinZerbruch der Ehe, gepaart dem Inzest! gen sollten. Mit ihnen zeugte er die Geschwister Siegmund und Sieglinde, als Wolfe streifte er mit dem Sohn durch die Wälder23, um ihn stark, ja, unüberwindbar zu machen. Den Sohn trieb er in Hundings Behausung, damit die Geschwister sich erkennen und in Liebe sich umfangen: Zerbruch der Ehe, gepaart dem Inzest! Darob stellt Fricka ihn zur Rede, sie selbst, nicht nur der geprellte Hunding fordert Rache, Wiederherstellung ehelicher Gesetze. Warum hatte Wotan sie außer Kraft gesetzt – er selbst und durch das von ihm gezeugte Geschwisterpaar? Gehorchend blanker Not! Von Alberichs Fluch gejagt, brauchte er Helden, die ihm verfügbar waren im bevorstehenden Kampf gegen den Nibelung. Aber nur einer, der stärker ist als Gott, der ihm trotzt, könnte ihn retten24: Siegmund, den er aufzog, dem er die Schwester und ein Schwert zuspielte, mit dem Hunding besiegt werden soll. Fortwährende Untreue, Überschreitung ehelicher Gesetze sollten, sollen herhalten zu Wotans Rettung, zur Rettung der Götterfamilie: Außer „Die Walküre“ zweiter Aufzug, dritte Szene Vgl. hierzu Wolfgang Golther, Handbuch der germanischen Mythologie, Rostock 1895, Essen 2004, S. 161 ff. „Die Walküre“, zweiter Aufzug, zweite Szene „Die Walküre“, erster Aufzug, dritte Szene. Erst Sieglinde erfährt den eigentlichen Namen des Bruders und Geliebten. „Die Walküre“, zweiter Aufzug, zweite Szene „Das Rheingold“ viertes Bild So erzählt es Siegmund in: „Die Walküre“, erster Aufzug, dritte Szene. So Wotan in seinem Monolog, in: „Die Walküre, erster Aufzug“. Kraft gesetzt aber wird ein Gutteil jener Regelwerke, denen Götterfamilie, Götterherrschaft sich verdanken – die der Ehe. Werden Regelwerke verletzt, die das Ganze bislang zusammen halten, so verliert es Zusammenhalt und Legitimation. Ein Dilemma tut sich auf: Werden Regelwerke verletzt, die das Ganze bislang zusammen halten, so verliert es Zusammenhalt und Legitimation. Werden Regelwerke eingehalten, so kann Wotan den bevorstehenden Kampf gegen Alberich nicht gewinnen; also bricht seine Herrschaft, bricht das Götterreich zusammen. Normen einzuhalten, Normen zu brechen – beides führt zu gleichem Resultat – „in langer Zeiten Lauf“, es gibt kein Entrinnen. Weiß der Gott darum, so kann oder will er es Fricka nicht mitteilen; niemals könnte sie es verstehen, geschweige denn akzeptieren. Also weicht er zurück, erfüllt er, was die Gattin fordert: „Laß ab vom Wälsung“. Mehr noch: „Entzieh dem (dem Schwert. G.R.) den Zauber; zerknick es dem Knecht. Schutzlos find` ihn der Feind“ 25 – damit Hunding siegt. Also verlangt er von Brünnhilde, dass sie den Siegmund nicht schützt, und da sie aufbegehrt, bedroht er sie. Also zerschlägt er Siegmunds Schwert, verstößt er Brünnhilde, weil sie ihm trotzte, auf den Felsen: Brünnhilde aber, von Erda geboren, ist Natur wie ihre Mutter; an der Natur vergeht der Gott sich aufs Neue – endgültig! weist sie auf Brünnhilde: Sie jedoch, die Ungehorsame habe er verstoßen. Fassungslos kehrt die Mutter sich ab. „Lass mich wieder hinab. Schlaf verschließe mein Wissen“. Und, aufs Neue bedrängt, voll Erbitterung: „Du bist nicht, was du dich nennst!“ Wohl wahr: Wotan ist nicht mehr Gott, und bald wird er nicht einmal Wanderer sein; Siegfried, der Enkel, zerschlägt ihm den Speer, das letzte Signum ehemaliger Herrschaft. VI. Erfüllt sich in allem nur, was seit Beginn vorgezeichnet, so hat Wagner dies überdeutlich komponiert: Zwar tönt es feierlich, wenn es um Walhall geht; doch seine Musik ist ärmlich; wenige Partikel nur hat sie aufzubieten; schlecht werden sie ineinander gefügt – dies alles kann das weihevolle Getön der Blechbläser und Harfen nicht unter den Tisch kehren. Schlimmer noch: Dem Beginn der Oberstimme ist Alberichs Ring-Motiv eingraviert – als ob beides, der Ring und die Götterburg, gleichem Regelwerk gehorchen, als ob gleiches Unheil darin wohne! Später, wenn Wotan erbittert das Ende vor sich wähnt28, hat die zum „Motiv“ geschrumpfte Walhall-Musik ihre Erhabenheit verloren: Versetzt mit Themen der Tarnkappe und des Goldes, gerät es aus dem Geleise angestammten Wohlklanges, angestammter Tonart, als ob die Burg geborsten, auseinander gebrochen sei. Dergestalt wird es Hagen aufnehmen, wenn er im düsteren Nachtgesang künftige Leichen um sich versammelt.29 V. Und es lassen die Folgen nicht auf sich warten: „Seit er von dir geschieden, zur Schlacht nicht mehr schickte uns Wotan... Einsam zu Ross, ohne Ruh noch Rast, durchschweift er als Wanderer die Welt“ 26. Wotans einziger Monolog 30, darin er Auskunft gibt über sein Woher und Wohin31, ist gezeichnet durch unentwegtes Tasten, Stolpern, Taumeln. Dem knapp geschilderten Weg zur Macht taugen nur wenige Takte Rezitativ, und mehr als ausgehaltene Basstöne hat das Orchester nicht zu Nochmals hatte er Erda aufgesucht27, einem Kinde vergleichbar, das sein Spielzeug zerstörte, zur Mutter rannte, damit sie es repariere. Die Mutter jedoch verweist ihn auf die Nornen: Nacht für Nacht hätten sie ihm doch das Nötige gesagt. Dann – er verlangt, dass sie sein Schicksal wende –, ver- 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 geben. Themen, die nach und nach erklingen, gewähren ihm nur Zwischen-Aufenthalte; mehr und mehr künden sie, wie sehr er verstrickt sei. Werden dem Rezitativ ariose, liedhafte Abschnitte eingewoben, so nur für wenige Takte; selbst wenn sie das Rezitativ zu Fall bringen, fügen sie sich nicht zum Ganzen: Von Themenfeld zu Themenfeld, von einem Liedbzw. Ariensegment zum anderen, von Plattform zu Plattform wechselt das Geschehen, von einer Ebene zur anderen taumelt der Gott, ohne dass er je ankommt. Erst recht verweisen die Ausbrüche der Wut, dass er eingekreist ist: Von Alberichs Tarnhelm und von Walhalls Zerstörung. Und es gellt ihm viele Male Alberichs Fluch um die Ohren: Ein Thema übrigens, das ohnmächtiges Aufbegehren mit dem Absturz vereint. Denn Alberich, dem Wotan den Ring, damit alle Macht entriss, ist nicht besser daran, was immer er gegen Wotan unternehmen wird: Er nämlich hat, von den Rheintöchtern verhöhnt, der „Minne Macht“ entsagt32 ; „freudlos“ , „fahl und bleich“ 33 lebt denn auch Hagen, Alberichs Sohn. Der Ring, von Alberich geschmiedet, um Herrschaft zu gewinnen anstelle verweigerter MinDem traurigen Gott gesellt sich der traurige Nibelung. ne, prägt, so scheint es, den Nibelungen und Göttern gleicherweise auf als Kainsmal. Und mit ihm der Fluch, den der Ring in sich birgt, also auch die Ohnmacht des Aufbegehrens, der Absturz. Es ist der Ring, der die Feinde ineinander schließt34: Dem traurigen Gott gesellt sich der traurige Nibelung. Wer nun dürfte den einen gegen den anderen ausspielen, als ob der eine im Lichte, nur der andere in der Finsternis wohne?! Gerd Rienäcker „Die Walküre“, zweiter Aufzug, zweite Szene So Waltraute zu Brünnhilde im ersten Aufzug der „Götterdämmerung“. „Siegfried“ , dritter Aufzug, erste Szene „Die Walküre“, zweiter Aufzug, dritte Szene „Götterdämmerung“, erster Aufzug, erstes Bild „Die Walküre“ , a.a.O. a.a.O. Wotan zu Brünnhilde: “Mit mir rath` ich, red` ich zu dir“. „Das Rheingold“, erste Szene Götterdämmerung“, zweiter Aufzug, erste Szene Als „Ring des Nibelungen“ hat denn auch Richard Wagner seine Tetralogie bezeichnet. Nr. 23, Dezember 2007 MUSIK UND DRAMA 11 Wir über uns Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts gab es Interesse an der Gründung einer Richard-Wagner-Stipendienstiftung, aus der die ersten Richard Wagner Verbände 1908 hervorgingen. Der Berliner Verband konstituierte sich dann im Jahre 1909. Inzwischen gibt es weltweit über 120 Richard Wagner Verbände in über 40 Ländern. Wir, der Richard-Wagner-Verband Berlin-Brandenburg, wollen das Verständnis für das Werk Richard Wagners wecken und vertiefen, das künstlerische Leben in Berlin mitgestalten und den künstlerischen Nachwuchs fördern. Darüber hinaus unterstützen wir die auf Wunsch Richard Wagners gegründete und in Bayreuth bestehende Richard-Wagner-Stipendienstiftung und setzen uns im Sinne Richard Wagners für den Fortbestand der Bayreuther Festspiele ein. Die Durchführung wissenschaftlicher Vorträge zum Werk Richard Wagners, aber auch zu anderen Themen der Musikkultur, bilden einen weiteren Schwerpunkt der Arbeit. Auch die Unterstützung von Forschungsvorhaben, speziell an Berliner Hochschulen und die Förderung künstlerischer Vorhaben, vorrangig an Opernhäusern Berlins, sehen wir als unsere Aufgabe an. Wir führen in der Regel einmal im Monat eine Veranstaltung durch, wo wir zunächst ungezwungen über aktuelle Ereignisse diskutieren und den persönlichen Kontakt pflegen. Anschließend haben wir Künstler oder Wissenschaftler zu Gast, deren Vorträge sich überwiegend mit dem Werk Richard Wagners befassen. Wir reisen zu interessanten Opernaufführungen und veranstalten Konzerte mit unseren Stipendiaten. Unsere Ehrenmitglieder sind: Ks. Theo Adam Lucie Brauer Prof. Götz Friedrich † Ks. René Kollo Deborah Polaski Christian Thielemann Impressum Musik und Drama Nr. 23, Dezember 2007 Herausgeber Richard-Wagner-Verband Berlin-Brandenburg e. V. MUSIK UND DRAMA 12 Nr. 23, Dezember 2007 AUFNAHMEANTRAG Ich beantrage die Mitgliedschaft im Richard-Wagner-Verband Berlin-Brandenburg e. V. Ich zahle: den satzungsmäßigen Mindestbeitrag von: € sowie jährlich eine freiwillige Spende von: € Familienname: Vorname: Straße, Nummer: PLZ, Ort Geburtsdatum Telefon: Fax: E-Mail: Ich bin mit der Aufnahme der o. g. Daten in das Mitgliederverzeichnis einverstanden: Datum: Unterschrift: Sollten wir auch Ihr Interesse am Richard-Wagner-Verband BerlinBrandenburg e. V. geweckt haben, füllen Sie bitte das nebenstehende Beitrittsformular aus und schicken es an die angegebene Adresse. Jährliche Beitragssätze: Mitglieder Studenten, Auszubildende, Erwerbslose Jur. 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