Stellungnahme vom 29. März 2012

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Stellungnahme vom 29. März 2012
De uts ch er No ta r ve rein
Der Präsident
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Berlin, 29. März 2012
Vorschläge der EU-Kommission zur Beseitigung von Problemen bei
der Besteuerung grenzüberschreitender Erbfälle
Zu dem von der Europäischen Kommission vorgelegten Vorschlag zur Beseitigung von
Problemen bei der Besteuerung grenzüberschreitender Erbfälle möchten wir wie folgt
Stellung nehmen, wobei wir eine kurze Inhaltsübersicht voranstellen möchten. Wir sind im
Transparenz-Register der Europäischen Kommission unter der Nummer 4214197228-35
registriert.
Inhaltsübersicht:
A. Mitteilung der Kommission zum Abbau grenzübergreifender Erbschaftsteuerhindernisse
innerhalb der EU
1. Empfehlungen der Kommission zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung von Erbschaften
2.
Arbeitspapier
der
Kommissionsdienststellen
zu
den
Grundsätzen
diskriminierungsfreien Erbschaftsbesteuerung
B. Kritische Würdigung des Kommissions-Pakets zur Erbschaftsteuer
1. Maßnahmen zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung
2. Reichweite der Grundfreiheiten auf dem Gebiet der Erbschaftsteuer
C. Gesamtergebnis und Thesen
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einer
A.
Mitteilung
der
Kommission
zum
Abbau
grenzübergreifender
Erbschaftsteuerhindernisse innerhalb der EU
In ihrer Mitteilung vom 15.12.2011 an das Europäische Parlament, den Rat und den
Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss1 hebt die Kommission einleitend hervor,
dass die Besteuerung grenzüberschreitender Erbfälle zu den 20 vordringlichsten Problemen
zählt,
mit
denen
sich
Bürger
und
kleinere
Unternehmen
bei
der
Entfaltung
grenzüberschreitender Aktivitäten konfrontiert sehen. Nach Angaben der Kommission lebten
2010 schätzungsweise rd. 12,3 Millionen EU-Bürger in einem anderen Mitgliedstaat als
ihrem Herkunftsland. Der grenzübergreifende Immobilienbesitz in der EU habe zwischen
2002 und 2010 um 50% zugenommen. Zudem sei ein steigender Trend hin zu
Kapitalanlagen in anderen Mitgliedstaaten zu verzeichnen. Konservativen Schätzungen
zufolge sei mit 290.000 bis 360.000 grenzüberschreitenden Erbfällen pro Jahr zu rechnen.
In rechtlicher Hinsicht stellt die Kommission fest, dass es eine EU-weite Gesetzgebung im
Bereich der Erbschaftsbesteuerung nicht gibt. Die Mitgliedstaaten besäßen deshalb die
Befugnis zum Erlass eigener erbschaftsteuerrechtlicher Bestimmungen. Gegenwärtig
würden von den 27 Mitgliedstaaten nur 18 Staaten spezielle Steuern auf den
Vermögenserwerb von Todes wegen erheben. Von den übrigen Mitgliedstaaten würden
einige
jedoch
Erbschaften
auf
andere
Weise,
beispielsweise
im
Rahmen
der
Einkommensteuer, besteuern.
Die in 18 Mitgliedstaaten vorhandenen Erbschaftsteuerregelungen würden sich zudem in
Bezug auf den Gegenstand der Besteuerung unterscheiden: Teilweise würde der (ungeteilte)
Nachlass besteuert; teilweise sei die Steuer (wie in Deutschland) als Erbanfallsteuer
ausgestaltet. Erhebliche Unterschiede bestünden auch hinsichtlich der persönlichen
Kriterien, an die die Erbschaftsteuerpflicht geknüpft sei (Wohnsitz, gewöhnlicher Aufenthalt,
Staatsangehörigkeit des Erblassers oder des Erben), und der Höhe der Steuersätze.
Letztere beliefen sich in einigen Mitgliedstaaten bei einem Erwerb zwischen familienfremden
Personen auf 60-80%.
Die Kommission sieht vor diesem Hintergrund zwei Hauptschwierigkeiten, die sich in
grenzüberschreitenden Erbfällen stellen können:
1
KOM(2011) 864.
Schreiben Deutscher Notarverein vom 2. April 2012, Seite
2
(1)
Die diskriminierende Ungleichbehandlung von In- und Auslandssachverhalten im
Erbschaftsteuerrecht der einzelnen Mitgliedstaaten;
(2)
Doppel- oder Mehrfachbesteuerungen ein und desselben Vorgangs, die nur selten
durch Gewährung bilateraler oder unilateraler Steuerermäßigungen gemildert würden.
Die Kommission weist darauf hin, dass der EuGH bisher in acht von zehn Fällen, die ihm seit
2003 zur Entscheidung vorgelegt worden seien, eine Verletzung des EG-Vertrags2 durch
diskriminierende Erbschaftsteuerregelungen der Mitgliedstaaten festgestellt habe. Allerdings
sei der EuGH in der Rechtssache Block3 zu der Erkenntnis gelangt, dass die parallele
Ausübung von Besteuerungsrechten durch zwei oder mehrere Mitgliedstaaten beim
gegenwärtigen
Stand
des
Gemeinschaftsrechts
weder
eine
diskriminierende
Ungleichbehandlung durch einen einzelnen Mitgliedstaat noch eine nichtdiskriminierende
Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit darstelle. Auch die Kommission erkennt in ihrer
Mitteilung an, dass danach die Kompetenz zur Beseitigung einer daraus resultierenden
Doppelbesteuerung bei den einzelnen Mitgliedstaaten verbleibt.
Die Kommission ist weiter der Auffassung, dass die bestehenden Probleme bei der
Besteuerung
grenzüberschreitender
Erbfälle
ohne
eine
Harmonisierung
des
Erbschaftsteuerrechts der Mitgliedstaaten gelöst werden können. Die Mitgliedstaaten sollten
ihre nationalen Bestimmungen jedoch so aufeinander abstimmen, dass das Potenzial für
Doppel- oder Mehrfachbesteuerungen verringert würde.
Da die Mitgliedstaaten zurzeit nur wenige Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) auf dem
Gebiet des Erbschaftsteuerrechts geschlossen hätten4 und mit dem Abschluss weiterer DBA
in naher Zukunft auch nicht gerechnet werden könne, konzentriert sich die Kommission auf
die Unterbreitung von Vorschlägen, wie die Mitgliedstaaten ihre Besteuerungsrechte durch
Rechtsakte oder Verwaltungsvorschriften besser koordinieren könnten. Ihre Lösungsansätze
konkretisiert die Kommission in einer an die Mitgliedstaaten gerichteten Empfehlung.5 Das
Ziel der vorgeschlagenen Maßnahmen sei es, dass die Gesamtsteuerbelastung in einem
grenzüberschreitenden Erbfall in der EU nicht über der eines inländischen Erbfalls liege.
Fiskalisch betrachtet würde sich die Umsetzung der Lösungsvorschläge angesichts des
geringen Beitrags der Erbschaftsteuer zu den Gesamteinnahmen der Mitgliedstaaten kaum
auf deren Gesamtsteueraufkommen auswirken.
2
3
4
5
In der durch den Vertrag von Lissabon konsolidierten Fassung als Vertrag über die Arbeitsweise der
Europäischen Union (AEUV), Bek. v. 9.5.2008, ABl EU Nr. C 115, S. 47.
EuGH, Urt. v. 12.2.2009, C-67/08, EuGHE 2009, I-883 = NJW 2009, 977.
Vgl. dazu die Übersicht im Anhang II der KOM(2011) 864.
„Commission Recommendation regarding for double taxation of inheritances”, C(2011) 8819.
Schreiben Deutscher Notarverein vom 2. April 2012, Seite
3
Zum
anderen
will
die
Kommission
die
EU-Bürger
in
einem
Arbeitspapier
der
6
Kommissionsdienststellen über die aus den Grundfreiheiten und der EuGH-Rechtsprechung
abgeleiteten
Grundsätze
für
eine
diskriminierungsfreie
Erbschaftsbesteuerung
grenzüberschreitender Sachverhalte informieren. Den Mitgliedstaaten soll auf diese Weise
zugleich eine Hilfestellung gegeben werden, ihre erbschaftsteuerrechtlichen Regelungen
europarechtskonform auszugestalten.
Die Kommission hat angekündigt, die weitere Rechtsentwicklung in den Mitgliedstaaten
aufmerksam zu beobachten. Die Ergebnisse dieses Monitoring während der nächsten drei
Jahre sollen in einem Bericht festgehalten werden. Die Kommission behält sich vor, weitere
Vorschläge
zur
Beseitigung
etwa
dann
noch
festgestellter
grenzübergreifender
Erbschaftsteuerhindernisse zu unterbreiten.
1.
Empfehlungen
der
Kommission
Doppelbesteuerung von Erbschaften
zur
Vermeidung
einer
Die Kommission versteht in ihrer auf der Grundlage des Art. 292 AEUV erlassenen
Empfehlung unter Erbschaftsteuern alle Steuern auf Zuwendungen von Todes wegen, die
von den Mitgliedstaaten und ihren regionalen Untergliederungen, unabhängig von der
Bezeichnung der Steuer, erhoben werden. Es sollen auch alle Steuern auf Schenkungen
miterfasst werden, die in Vorwegnahme der Erbfolge ausgeführt und unter den gleichen oder
ähnlichen Voraussetzungen besteuert würden wie Erbschaften.
Geeignete Instrumente zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung sind in den Augen der
Kommission sowohl die Anrechnung der in einem anderen Mitgliedstaat (Belegenheitsstaat)
gezahlten Erbschaftsteuer auf die inländische Steuerschuld als auch die Freistellung der
Erbschaft von der Besteuerung im Wohnsitzstaat. Zentrale Bedeutung für die Zuweisung der
Besteuerungsrechte soll hierbei der persönlichen Verbindung („personal link“) zukommen,
die der Erblasser oder Erbe zu einem Mitgliedstaat hat. Diese Verbindung kann auf
unterschiedlichen Merkmalen wie Domizil, Wohnsitz, ständige Wohnstätte, Mittelpunkt der
Lebensinteressen, gewöhnlicher Aufenthalt, Staatsangehörigkeit oder dem Ort der
tatsächlichen Geschäftsleitung beruhen. Die genaue Bedeutung dieser Begriffe soll sich
nach
der
Rechtsordnung
des
jeweiligen
Mitgliedstaates
richten,
die
diese
als
Anknüpfungspunkt für die Steuerpflicht verwendet.
6
„Commission Staff Working Paper“, SEC(2011) 1488.
Schreiben Deutscher Notarverein vom 2. April 2012, Seite
4
Bei der prinzipiellen Zuordnung der Besteuerungsrechte geht die Kommission von folgenden
Regeln aus:
a)
Unbewegliches
Vermögen
und
Betriebsvermögen
einer
festen
Geschäftseinrichtung
Ein Mitgliedstaat darf unbewegliches Vermögen, das in seinem Staatsgebiet liegt, besteuern.
In diesem Fall soll der Wohnsitzstaat zur Gewährung der Steuerermäßigung verpflichtet sein.
Bewegliches Vermögen, das zum Betriebsvermögen einer festen Geschäftseinrichtung
gehört, kann von dem Mitgliedstaat besteuert werden, in dem sich die Geschäftseinrichtung
befindet. Auch in diesem Fall soll den Wohnsitzstaat die Verpflichtung zur Freistellung oder
Anrechnung der ausländischen Steuer treffen.
b)
Sonstiges
bewegliches
Vermögen,
das
nicht
zu
einer
festen
Geschäftseinrichtung zählt
Ein Mitgliedstaat, zu dem weder der Erblasser noch der Erbe eine persönliche Verbindung
hatte, soll auf eine Besteuerung des sonstigen beweglichen Vermögens ganz verzichten,
wenn ein anderer Mitgliedstaat das Vermögen aufgrund einer mit ihm bestehenden
persönlichen Verbindung des Erblassers und/oder des Erbes besteuert.
Weisen der Erblasser und der Erbe jeweils eine persönliche Verbindung zu einem anderen
Mitgliedstaat auf, soll der Mitgliedstaat, dem der Erbe persönlich verbunden war, eine
Ermäßigung für die im Wohnsitzstaat des Erblassers bezahlte Steuer gewähren.
Hat eine Person nach den einschlägigen Vorschriften der Mitgliedstaaten eine persönliche
Verbindung zu verschiedenen Mitgliedstaaten, sollen die zuständigen Finanzbehörden im
Wege eines Verständigungsverfahrens eine Einigung darüber erzielen, welchem Staat in
diesen Fällen ein Besteuerungsrecht zusteht und welcher Staat zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung verpflichtet ist.
Die Kommission empfiehlt den Mitgliedstaaten, bei der Bestimmung der engeren
persönlichen Verbindung einer natürlichen Person zu einem Mitgliedstaat auf folgende, nach
ihrer Rangfolge gestaffelte Merkmale zurückzugreifen:
(a)
Die ständige Wohnstätte der Person;
Schreiben Deutscher Notarverein vom 2. April 2012, Seite
5
(b)
wenn der Mitgliedstaat, in welchem die Person über eine ständige Wohnstätte verfügt,
sein Besteuerungsrecht nicht ausübt, oder wenn eine Person in mehr als einem
Mitgliedstaat über eine ständige Wohnstätte verfügt, soll es auf die engeren
persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen der Person zu einem Mitgliedstaat
(Mittelpunkt der Lebensinteressen) ankommen;
(c)
falls der Mitgliedstaat, dem nach den in (b) genannten Kriterien ein Besteuerungsrecht
zusteht, keine Steuer erhebt oder nicht bestimmt werden kann, in welchem
Mitgliedstaat die Person den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen hatte, oder falls sie in
keinem der Mitgliedstaaten eine ständige Wohnstätte hat, soll auf den gewöhnlichen
Aufenthalt der Person abgestellt werden;
(d)
wenn der Mitgliedstaat, der nach den in (c) genannten Merkmalen besteuern dürfte,
sein Besteuerungsrecht nicht ausübt oder wenn die Person ihren gewöhnlichen
Aufenthalt in mehr als einem oder in keinem Mitgliedstaat hatte, dann soll sich die
maßgebliche persönliche Verbindung nach der Staatsangehörigkeit richten.
Bei
anderen
als
natürlichen
Personen
(beispielsweise
bei
einer
gemeinnützigen
Organisation) soll es für die Bestimmung der engeren persönlichen Verbindung zu einem
Mitgliedstaat nach der Empfehlung der Kommission auf den Ort der tatsächlichen
Geschäftsleitung ankommen.
c)
Frist für die Gewährung einer Steuerermäßigung
Die Kommission spricht sich dafür aus, dass die Mitgliedstaaten eine angemessene
Zeitspanne von z.B. 10 Jahren festlegen, innerhalb derer eine Freistellung von der
Erbschaftsteuer oder die Anrechnung der in einem anderen Mitgliedstaat gezahlten Steuer
möglich sein soll.
2.
Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen zu den Grundsätzen einer
diskriminierungsfreien Erbschaftsbesteuerung
In dem Arbeitspapier analysiert die Kommission die Rechtsprechung des EuGH auf dem
Gebiet der Erbschaft- und Schenkungsteuer. Ausgangspunkt ist die Entscheidung des EuGH
in der Rechtssache Barbier aus dem Jahr 2003,7 in der sich das Gericht erstmals mit dem
Einfluss der Grundfreiheiten auf das Erbschaftsteuerrecht befasst hat. Vorrangiger
Prüfungsmaßstab ist dabei in allen Entscheidungen die in Art. 63 Abs. 1 AEUV verankerte
7
EuGH, Urt. v. 11.12.2003, C-364/01, EuGHE 2003, I-15013 = ZEV 2004, 74.
Schreiben Deutscher Notarverein vom 2. April 2012, Seite
6
Kapitalverkehrsfreiheit. Lediglich in der Rechtssache Maria Geurts8 hat der EuGH zur
Überprüfung einer Steuerbefreiung für Familienunternehmen, die eine bestimmte Anzahl im
Inland beschäftigter Arbeitnehmer zur Voraussetzung hatte, die Niederlassungsfreiheit
(Art. 49 AEUV) herangezogen.
Auf der Basis ihrer Rechtsprechungs-Auswertung formuliert die Kommission folgende
Prinzipien:
a)
Territoriale Merkmale von Nachlassgegenständen
Den Mitgliedstaaten ist es nach Auffassung der Kommission untersagt, im Ausland
belegenes Vermögen steuerlich schlechter zu behandeln als im Inland belegenes Vermögen.
Dies gelte sowohl in Bezug auf Bewertungsmethoden als auch für die Abzugsfähigkeit von
Schulden oder Lasten, soweit diese im Zusammenhang mit Vermögensgegenständen im Inund Ausland stünden. Die Mitgliedstaaten dürften auch keine höheren Steuersätze für den
Erwerb im Ausland gelegenen Vermögens vorsehen. Das gemeinschaftsrechtliche
Diskriminierungsverbot erstrecke sich auch auf Aktien, die an ausländischen Börsen
gehandelt würden, und auf Anteile an Gesellschaften mit Sitz im Ausland.
b)
Ungleichbehandlung von Personen aufgrund ihrer Gebietsansässigkeit
Wo sich Gebietsansässige und Gebietsfremde in vergleichbarer Situation befänden, sei es
den Mitgliedstaaten verboten, Gebietsfremde anders zu besteuern als Gebietsansässige.
Insbesondere dürften Gebietsansässigen keine Bewertungsvorteile, keine erweiterten
(sachlichen) Steuerbefreiungen und keine höheren persönlichen Freibeträge gewährt
werden. Umgekehrt sei es den Mitgliedstaaten verwehrt, den Abzug von Nachlassschulden
einseitig nur für Gebietsfremde einzuschränken.
c)
Besteuerung von Unternehmen
Der Erwerb eines Unternehmens von Todes wegen dürfe nicht deshalb eine bevorzugte
steuerliche Behandlung erfahren, nur weil das Unternehmen im Inland betrieben oder
fortgeführt werde oder weil dessen Mitarbeiter im Inland ansässig seien. Steuerbefreiungen
oder sonstige Steuervergünstigungen für den Erwerb von (Familien-)Unternehmen müssten
im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen in gleicher Weise zuteil werden wie inländischen
Steuerpflichtigen.
8
EuGH, Urt. v. 25.10.2007, C-464/05, EuGHE 2007, I-9325 = ZEV 2008, 92.
Schreiben Deutscher Notarverein vom 2. April 2012, Seite
7
d)
Diskriminierungsverbot
bei
der
Besteuerung
gemeinnütziger
Einrichtungen
Nach
Auffassung
der
Kommission
ist
es
den
Mitgliedschaften
untersagt,
Hinterlassenschaften an gemeinnützige Einrichtungen nur deshalb weniger vorteilhaft zu
besteuern, nur weil die Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat errichtet wurde.
B.
Kritische Würdigung des Kommissions-Pakets zur Erbschaftsteuer
Der Bestandsaufnahme der EU-Kommission zu den bestehenden Problemen bei der
Besteuerung grenzüberschreitender
Erbfälle und Schenkungen ist
uneingeschränkt
beizupflichten. Angesichts der fortschreitenden Globalisierung und der weiter wachsenden
Mobilität gewinnt die Thematik für Unionsbürger und Unternehmen immer mehr an Gewicht.
Ursachen für eine Doppelbesteuerung von Erbschaften und Schenkungen sind die
Einbeziehung ausländischen Vermögens in die inländische Besteuerung gepaart mit den
verschiedenen länderspezifischen Anknüpfungspunkten der Erbschaftsteuerpflicht. Eine
Doppelbesteuerung
kann
zudem
entstehen,
wenn
zwischen
den
verschiedenen
Steuerrechtsordnungen der Mitgliedstaaten Überschneidungen bei der Beurteilung der
Belegenheit und Qualifikation beweglicher Gegenstände als inländisches Vermögen
auftreten.
Insbesondere
beim
Übergang
von
Anteilen
an
Personen-
und
Kapitalgesellschaften, zu deren Vermögen ausländischer Immobilienbesitz gehört, kann es
zu einer Besteuerung sowohl durch den Belegenheitsstaat als auch durch den Sitzstaat der
Gesellschaft kommen.
International ist außerdem zu beobachten, dass der Steuerwettbewerb auch vor der
Erbschaft- und Schenkungsteuer nicht halt macht. Dies zeigt sich innerhalb der EU darin,
dass einige Länder wie Schweden und Österreich in den letzten Jahren auf die
Erbschaftsteuer ganz verzichtet haben.9 In Portugal wurde zum 1.1.2004 die Erbschaft- und
Schenkungsteuer für Vermögensübergänge innerhalb der Familie aufgehoben.10 Italien hat
dagegen die im Jahr 2001 abgeschaffte Erbschaftsteuer 2006 wieder eingeführt.11 Aus Sicht
der Steuerpflichtigen ist es daher grundsätzlich zu begrüßen, dass sich die Kommission den
9
10
11
Zu Schweden vgl. Strömberg/Kristofferson, in: Mennel/Förster, Steuern in Europa, Amerika und Asien,
Teil: Schweden, 36, Rn. 275; zur Rechtsentwicklung in Österreich siehe Steiner, ZEV 2007, 239, 240.
Vgl. Stieb, in: Mennel/Förster, Steuern in Europa, Amerika und Asien, Teil: Portugal, 115, Rn. 253.
Siehe dazu Lobis, in: Mennel/Förster, Steuern in Europa, Amerika und Asien, Teil: Italien, 58, Rn. 200;
Conci/Psaier, ZEV 2007, 420.
Schreiben Deutscher Notarverein vom 2. April 2012, Seite
8
Problemen bei der grenzübergreifenden Besteuerung von Erbschaften und Schenkungen
annimmt.
Parallel dazu findet das internationale Erbschaftsteuerrecht zunehmend auch auf
wissenschaftlichen Tagungen Beachtung. So wurde das Thema der internationalen
Doppelbesteuerung von Erbschaften und Schenkungen zuletzt auf dem Kongress der
International Fiscal Association (IFA) 2010 in Rom behandelt.12
1.
Maßnahmen zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung
Maßnahmen zur Verhinderung einer Doppelbesteuerung können grundsätzlich auf
europäischer Ebene in Form von Richtlinien oder ggf. in einem multilateralen Abkommen
getroffen werden. Daneben kommen im bilateralen Verhältnis zwischen einzelnen
Mitgliedstaaten der Abschluss von Verträgen in Gestalt von DBA oder unilaterale
Maßnahmen der einzelnen Mitgliedstaaten in Betracht.
Die Kommission verfolgt seit einiger Zeit das Vorhaben, unterschiedliche nationale
Steuerregelungen dadurch zu koordinieren, dass sie in Mitteilungen („KOM“) bestimmte
gemeinsame Verhaltensweisen vorschlägt.13 Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang
auch auf die Mitteilung vom 11.11.2011.14 Darin setzt die Kommission auf bilaterale
Lösungen nach dem Modell des „EU Joint Transfer Pricing Forum“ zur Schiedskonvention. In
dieser KOM wird vorgeschlagen, ein „EU Forum on Double Taxation“ als Expertengremium
einzusetzen sowie einen „Code of Conduct“ für die Anwendung von DBA zu entwickeln.
Diese Strategie, die bestehenden Besteuerungsprobleme bei grenzüberschreitenden
Sachverhalten durch eine bessere Abstimmung und Koordinierung auf Ebene der einzelnen
Mitgliedstaaten zu lösen, setzt die Kommission mit der vorliegenden Empfehlung fort.
a)
Lösung des Problems durch Erbschaftsteuer-DBA
Das wirksamste Mittel zur Vermeidung einer europaweiten Doppelbesteuerung bei der
Kollision von Besteuerungsansprüchen verschiedener Mitgliedstaaten wäre zweifelsohne der
Abschluss von DBA. Aus Sicht des deutschen Rechts handelt es sich dabei um
völkerrechtliche Verträge zwischen zwei Staaten, die nach ihrer Zustimmung durch den
deutschen Bundestag gemäß Art. 59 Abs. 2 GG wie jede andere innerstaatliche Norm
12
13
14
Vgl. IFA (Hrsg.), Death as a taxable event and its international ramification, Cahiers de droit
fiscalinternational, Vol. 95b, 2010; vgl. hierzu auch Watrin, ZEV 2010, H. 10, S. VI.
Vgl. dazu KOM(2006) 823 v. 19.12.2006; KOM(2010) 769 v. 20.12.2010.
KOM(2011) 712.
Schreiben Deutscher Notarverein vom 2. April 2012, Seite
9
Geltung beanspruchen. In einem DBA legen die beteiligten Staaten verbindlich fest, welchem
Staat bei konkurrierenden Besteuerungsansprüchen das primäre Besteuerungsrecht zusteht.
Zugleich
regeln
die
DBA
das
Verständigungsverfahren
zur
Lösung
von
Anwendungsproblemen und den zur Durchführung des Abkommens erforderlichen
Informationsaustausch.
Auch auf Deutschland trifft jedoch der Befund der Kommission zu, dass DBA zu Erbschaftund Schenkungsteuern die Ausnahme bilden. Während die Bundesrepublik Deutschland auf
dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen rund 90 DBA geschlossen hat,
bestehen auf dem Gebiet der Erbschaft- und Schenkungsteuer lediglich Abkommen mit
Dänemark (1997), Frankreich (2009), Griechenland (1912/1953), Schweden (1995), der
Schweiz (1980) und den USA (1986/2001).15 Mit Finnland wurde 1997 ein DBA paraphiert,
ohne dass dieses bis heute ratifiziert wurde. Die zwischenzeitlich mit den Niederlanden und
Großbritannien aufgenommenen Verhandlungen über den Abschluss eines DBA werden
nicht mehr weiter geführt. Verhandlungen über den Abschluss eines Erbschaftsteuer-DBA
laufen derzeit noch mit Finnland und Italien.16
Wie der Überblick der Kommission über den Stand der zwischen den Mitgliedstaaten
bestehenden DBA verdeutlicht, ist Deutschland damit kein Einzelfall. Insgesamt wird
innerhalb der EU von diesem Instrument zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung wenig
Gebrauch gemacht. Durch die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Block ist zudem
geklärt, dass es keine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung der einzelnen Mitgliedstaaten
zum Abschluss von DBA gibt.
b)
Unilaterale
Maßnahmen
zur
Vermeidung
einer
Doppelbesteuerung
innerhalb der EU
Der Schutz gegen eine Doppelbesteuerung innerhalb der EU kann somit nur durch
unilaterale Entlastungsmaßnahmen der einzelnen Mitgliedstaaten verbessert werden. Der in
diese Richtung weisende Ansatz der Kommission ist deshalb im Bereich der Erbschaftsteuer
nur konsequent.
15
16
Vgl. zum Stand der DBA und der Abkommensverhandlungen am 1.1.2011 die Übersicht des BMF v.
17.1.2012 – IV B 2 – S 1301/07/10017 – 03, www.bundesfinanzministerium.de → BMF-Startseite →
Aktuelles → BMF-Schreiben.
Vgl. dazu Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, Stand: Juli 2011, § 2 Rn. 206.
Schreiben Deutscher Notarverein vom 2. April 2012, Seite 10
aa) Kriterien der Kommission für die Zuweisung konkurrierender
Besteuerungsrechte
Die von der Kommission vorgeschlagenen Anknüpfungspunkte für die Zuweisung von
Besteuerungsrechten
folgen
im
Wesentlichen
den
Bestimmungen
des
OECD-
Musterabkommens für ein Abkommen zwischen zwei Staaten zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Nachlass-, Erbschaft- und Schenkungsteuer in
seiner Neufassung aus dem Jahre 1982 (OECD-MA). Während der Geltungsbereich des
OECD-Musterabkommens jedoch auf Nachlass- und Erbschaftsteuern (einschließlich
Steuern von Schenkungen auf den Todesfall) beschränkt ist,17 möchte die Kommission auch
Schenkungen unter Lebenden erfassen. Daneben gibt es aber auch DBA, wie das am
3.4.2009 in Kraft getretene DBA zwischen Deutschland und Frankreich,18 die auch für
Schenkungen gelten.
(a)
Belegenheitsprinzip bei unbeweglichem Vermögen und
Betriebsstättenvermögen
Nach Art. 5 Abs. 1 OECD-MA bleibt unbewegliches Vermögen der Besteuerung durch den
Belegenheitsstaat (Quellenstaat) unterworfen. Das auf dem Belegenheitsprinzip beruhende
Besteuerungsrecht für unbewegliches Vermögen hat gemäß Art. 5 Abs. 3 OECD-MA auch
Vorrang vor anderen Zuordnungen. Es gilt auch, wenn das unbewegliche Vermögen zu
einem Unternehmen gehört oder es der Ausübung eines freien Berufs oder einer sonstigen
selbständigen Tätigkeit ähnlicher Art dient.
Nach Art. 5 Abs. 2 Satz 1 OECD-MA bestimmt sich der (abkommensrechtliche) Begriff des
unbeweglichen Vermögens nach dem Recht des Vertragsstaates, in dem das Vermögen
liegt. Durch diese Bezugnahme auf die Rechtsordnung des jeweiligen Belegenheitsstaates,
die die Kommission generell übernommen hat, wird ein Qualifikationskonflikt bei der
Zuordnung des unbeweglichen Vermögens und seiner Bestandteile (Zubehör, Inventar,
Nutzungsrechte an Grundvermögen etc.) ausgeschlossen.
Die von der Kommission anerkannte Steuerberechtigung des Mitgliedstaates, in dem sich
eine feste (Geschäfts-)Einrichtung befindet, findet ihr Vorbild in Art. 6 Abs. 1 und Abs. 7
OECD-MA. Danach wird das bewegliche Betriebsvermögen einer Betriebsstätte eines
Unternehmens und das bewegliche Vermögen, das zu einer der Ausübung eines freien
17
18
Vgl. Art. 2 Abs. 2 OECD-MA.
Vgl. Art. 1 lit. b) DBA Frankreich.
Schreiben Deutscher Notarverein vom 2. April 2012, Seite 11
Berufs oder einer sonstigen selbständigen Tätigkeit ähnlicher Art dienenden festen
Einrichtung gehört, dem Besteuerungsrecht des „Betriebsstättenstaates“ unterworfen.
Problematisch erscheint indes, dass die Kommission auf jede weitere Konkretisierung des
Ausdrucks der festen (Geschäfts-)Einrichtung verzichtet. Diese Aufgabe bleibt damit dem
innerstaatlichen Recht der einzelnen Mitgliedstaaten vorbehalten. Infolgedessen wird es zu
einer Vielzahl von Überschneidungen kommen, die ohne nähere einheitliche Vorgaben auch
kaum in Verständigungsverfahren geklärt werden können.
Demgegenüber finden sich in Art. 6 Abs. 3 bis Abs. 6 OECD-MA nähere Regelungen dazu,
wodurch und unter welchen Voraussetzungen eine Betriebsstätte begründet wird bzw.
welche Einrichtungen und Bestände von Gütern oder Waren eines Unternehmens nicht unter
den Betriebsstättenbegriff fallen. Hier sollte die Kommission prüfen, ob und inwieweit den
Mitgliedstaaten – unter Rückgriff auf die vorgenannten Bestimmungen des OECDMusterabkommens – nicht nähere Kriterien an die Hand gegeben werden können, um
drohende
Qualifikationskonflikte
zu
entschärfen.
Wege,
die
Kollision
von
Besteuerungsansprüchen verschiedener Mitgliedstaaten zu lösen, könnten zudem unter
Heranziehung des OECD-Musterabkommens und der Kommentierung zum OECDMusterabkommen im Bericht des Fiskalausschusses der OECD gesucht werden.19
(b)
Aufteilung der Besteuerungsrechte zwischen Wohnsitz- und Quellenstaat bei
sonstigem Vermögen
Die von der Kommission vertretene Maxime, dass das primäre Besteuerungsrecht für das
sonstige bewegliche Vermögen dem Wohnsitzstaat des Erblassers zustehen soll, folgt im
Grundsatz der Anknüpfung in Art. 8 OECD-MA. Zu den sonstigen Vermögenswerten, die
dem Besteuerungsrecht des Wohnsitzstaates unterliegen, zählen u. a. das gesamte in
Drittstaaten
belegene
Vermögen,
Kapitalvermögen
sowie
Beteiligungen
an
Kapitalgesellschaften. Beteiligungen des Erblassers an Personengesellschaften sollten
dagegen grundsätzlich so behandelt werden, als wäre der Erblasser Eigentümer oder
Inhaber der Gegenstände des Gesellschaftsvermögens (sog. Transparenzprinzip).20 Dem
Belegenheitsstaat stünde damit im Verhältnis zum Wohnsitzstaat des Erblassers das
vorrangige Besteuerungsrecht auch hinsichtlich des Grund- und Betriebsstättenvermögens
zu, das zum Vermögen einer Personengesellschaft gehört.
19
20
Auch der BFH greift in seiner Rechtsprechung bei der Auslegung eines DBA auf das OECDMusterabkommen und den Kommentar zum OECD-Musterabkommen als Auslegungshilfen zurück, vgl.
dazu BFH, Urt. v. 28.6.2006 – I R 92/05, BStBl. I 2007, 100; BFH, Urt. v. 16.12.1998 – I R 40/97,
BStBl. I 1999, 207.
In diesem Sinne auch Anm. 14 ff., 19 ff. des offiziellen Kommentars zu Art. 8 OECD-MA.
Schreiben Deutscher Notarverein vom 2. April 2012, Seite 12
Nach Art. 4 Abs. 2 lit. a Satz 1 OECD-MA richtet sich der Wohnsitz des Erblassers vorrangig
nach dem Vorhandensein einer ständigen Wohnstätte in einem Vertragsstaat. Auch die von
der Kommission propagierten Kollisionsregeln in Konfliktfällen eines „Doppelwohnsitzes“
entsprechen in ihren Abstufungen der in Art. 4 Abs. 2 OECD-MA aufgestellten Rangfolge
(Mittelpunkt der Lebensinteressen, gewöhnlicher Aufenthalt, Staatsangehörigkeit).
Anders als Art. 8 OECD-MA, der dem Wohnsitzstaat des Erblassers das ausschließliche
Besteuerungsrecht zuweist, spricht die Kommission in ihrer Empfehlung lediglich davon,
dass der Mitgliedstaat, in dem der Erbe seinen Wohnsitz hat, die Doppelbesteuerung
wahlweise im Wege der Freistellungs- oder der Anrechnungsmethode verhindern soll. Bei
der Freistellungs-/Befreiungsmethode nimmt der zur Vermeidung der Doppelbesteuerung
verpflichtete Staat bestimmte Vermögensgegenstände ganz von der Besteuerung aus.
Allerdings kann der Wohnsitzstaat nach Art. 10A 2. Halbs. OECD-MA bei der Festsetzung
der Steuer für das Vermögen, für das er das Besteuerungsrecht behält, den Steuersatz zur
Anwendung bringen, der anzuwenden wäre, wenn das betreffende Vermögen nicht aus der
eigenen Besteuerung herausgenommen wäre (sog. Progressionsvorbehalt). Demgegenüber
erklärt sich bei der Anrechnungsmethode der zur Vermeidung der Doppelbesteuerung
gehaltene Staat bereit, die im anderen Staat für das Vermögen gezahlte Steuer auf die
inländische
Steuerschuld
anzurechnen,
ohne
dass
der
Anrechnungsstaat
seine
21
uneingeschränkte Besteuerungskompetenz aufgibt.
Danach ist es der Bundesrepublik Deutschland weiterhin gestattet, ihre unbeschränkte
Steuerpflicht auch im Verhältnis zu anderen Mitgliedstaaten an den Wohnsitz oder
gewöhnlichen Aufenthalt des Erwerbers im Inland anzuknüpfen. Voraussetzung für die
Aufrechterhaltung
der
unbeschränkten
Steuerpflicht
wäre
nach
der
Kommissions-
Empfehlung nur, dass Deutschland eine Anrechnung der im Wohnsitzstaat des
Erblassers/Schenkers gezahlten Steuer zulässt. Entsprechende Vorbehaltsklauseln finden
sich bereits in Art. 11 Abs. 2 lit. b DBA-Frankreich, Art. 8 Abs. 2 DBA-Schweiz und Art. 26
Abs. 1 lit. b DBA-Schweden.
Zweifelhaft ist dagegen, ob Deutschland aufgrund der Empfehlung der Kommission an der
erweiterten unbeschränkten Steuerpflicht gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 lit. b ErbStG
festhalten kann. Danach gelten auch deutsche Staatsangehörige als (unbeschränkt
steuerpflichtige) Inländer, die sich nach Aufgabe eines Wohnsitzes im Inland erst seit
weniger als fünf Jahren dauernd im Ausland aufhalten (sog. Wegzügler). Zwar verstößt die
21
Vgl. dazu Art. 10B OECD-MA.
Schreiben Deutscher Notarverein vom 2. April 2012, Seite 13
Anordnung einer erweiterten unbeschränkten Steuerpflicht nach Wegzug nach Ansicht des
EuGH nicht gegen Europarecht.22 Nach dem Vorschlag der Kommission soll aber ein
Mitgliedstaat, zu dem weder der Erblasser noch der Erbe eine persönliche Verbindung hat,
auf eine Besteuerung des sonstigen beweglichen Vermögens, das in dem anderen
Mitgliedstaat aufgrund einer solchen Verbindung besteuert wird, ganz verzichten.
An dieser Stelle sollte die Kommission ihre Position mit Rücksicht auf die fiskalischen
Interessen der Mitgliedstaaten noch einmal überdenken und Sonderregeln für die
Besteuerung von Wegzüglern zulassen. Vergleichbare Bestimmungen zur Aufrechterhaltung
der
erweiterten
unbeschränkten
Steuerpflicht
für
deutsche
Staatsangehörige
sind
beispielsweise in Art. 4 Abs. 3 DBA-Frankreich, Art. 4 Abs. 4 DBA-Schweiz und Art. 27 DBASchweden verankert. Zum Ausgleich sollte der Mitgliedstaat, der den Erwerb nur aufgrund
der verlängerten unbeschränkten Steuerpflicht seiner Besteuerung unterwirft, verpflichtet
sein, die durch den Wohnsitzstaat erhobene Erbschaftsteuer anzurechnen.
Die von der Kommission darüber hinaus vorgeschlagene Sonderanknüpfung für andere als
natürliche Personen (Ort der Geschäftsleitung) deckt sich mit § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. d 1. Alt.
ErbStG. Danach müsste Deutschland auf eine Besteuerung im Verhältnis zu Körperschaften,
Personenvereinigungen und Vermögensmassen abweichend von dieser Norm nur dann
verzichten, wenn der Ort der Geschäftsleitung einer Körperschaft mit (Satzungs-)Sitz in
Deutschland in einem anderen Mitgliedstaat liegen sollte.
(c)
Berücksichtigung von Schulden und Lasten
Die Empfehlung der Kommission beschäftigt sich nicht ausdrücklich mit dem Abzug von
Schulden. Hier sollte die Kommission – entsprechend den Regelungen zum Schuldenabzug
in Art. 9 OECD-MA – klarstellen, dass Schulden, die mit einer bestimmten Vermögensart
(unbewegliches Vermögen, bewegliches Betriebsvermögen einer festen Einrichtung,
sonstiges Vermögen) zusammenhängen, jeweils vom Wert dieses Vermögens abgezogen
werden dürfen. Erwägenswert erscheint auch die Aufnahme einer Regelung zur
Berücksichtigung eines Schuldenüberhangs nach dem Vorbild des Art. 9 Abs. 4 und Abs. 5
OECD-MA.
(d)
22
Aufnahme eines Gegenseitigkeitsvorbehalts
Vgl. EuGH, Urt. v. 23.2.2006, C 513/03, van Hilten/van der Heijden, EuGHE 2006, I-1957 = ZEV 2006,
460.
Schreiben Deutscher Notarverein vom 2. April 2012, Seite 14
Nach den Vorstellungen der Kommission sollen ihre Vorschläge in allen Mitgliedstaaten
umgesetzt werden. Solange dies jedoch noch nicht der Fall ist, sollte ein Mitgliedstaat
berechtigt sein, die Befreiung oder Anrechnung davon abhängig zu machen, dass auch der
jeweils
andere,
sein
Besteuerungsrecht
ausübende
Mitgliedstaat
entsprechende
Maßnahmen in seiner Rechtsordnung verankert hat. Auf diese Weise könnte ein
Mitgliedstaat seine unilateralen Maßnahmen zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung unter
einen Gegenseitigkeitsvorbehalt stellen.
Das deutsche Erbschaftsteuerrecht enthält eine vergleichbare Regelung in § 13 Abs. 1
Nr. 16
lit. c
ErbStG.
Danach
sind
auch
Zuwendungen
an
ausländische
Religionsgesellschaften, Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen
i. S. d. § 13 Abs. 1 Nr. 16 lit. a und lit. b ErbStG von der Erbschaftsteuer befreit, wenn der
ausländische Staat für entsprechende Zuwendungen an deutsche steuerbegünstigte
Körperschaften ebenfalls eine Steuerbefreiung gewährt und das BMF dies durch förmlichen
Austausch entsprechender Erklärungen mit dem ausländischen Staat feststellt (sog.
Gegenseitigkeitserklärung).
bb) Handlungsbedarf für den deutschen Gesetzgeber
Dem
Zweck,
eine
Erbschaftsteuerrecht
Doppelbesteuerung
§ 21
ErbStG.
Die
zu
vermeiden,
Bestimmung
sieht
dient
für
im
den
nationalen
Erwerb
von
Auslandsvermögen, der nicht unter die Vorschriften eines DBA fällt, die Möglichkeit einer
Anrechnung der ausländischen Steuer auf die deutsche Erbschaft- und Schenkungsteuer
vor. Auf Antrag des Steuerpflichtigen kann die auf den Auslandserwerb entfallende deutsche
Steuer um den anrechnungsfähigen Betrag der ausländischen Steuer gekürzt werden.23
Anrechenbar ist nur die festgesetzte, auf den Erwerber entfallende, gezahlte und keinem
Ermäßigungsanspruch unterliegende ausländische Steuer. Die Festsetzung und Zahlung der
ausländischen Steuer ist von dem Erwerber durch Vorlage entsprechender Urkunden
nachzuweisen (§ 21 Abs. 3 Satz 1 ErbStG). Überdies greifen die in § 21 Abs. 1 bis 3 ErbStG
normierten Anrechnungsvorschriften ein, wenn ein DBA die Anrechnung der ausländischen
Steuer
auf
die
inländische
Steuer
anordnet,
ohne
dass
in
dem
DBA
das
Anrechnungsverfahren in allen Einzelheiten geregelt wird (§ 21 Abs. 4 ErbStG).
Die Anrechnungsmöglichkeiten nach § 21 ErbStG sind jedoch in mehrfacher Hinsicht
begrenzt. Zudem weichen die Voraussetzungen für die Anrechnung teilweise von den
23
Näher dazu Meincke, ErbStG, 15. Aufl. 2009, § 21 Rn. 2.
Schreiben Deutscher Notarverein vom 2. April 2012, Seite 15
Vorschlägen der Kommission ab, woraus sich ein Handlungsbedarf für den deutschen
Gesetzgeber ergeben könnte.
(a)
Entsprechungsklausel gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 ErbStG
Die Kommission spricht sich in ihrer Empfehlung dafür aus, auch Einkommensteuern auf den
Wertzuwachs
des
gewinnrealisierenden
Nachlasses
(capital
gains
Veräußerungsvorgang
24
Erbschaftsteuer zu betrachten.
tax),
die
begreifen,
den
als
Erbfall
als
fiktiven,
anrechnungspflichtige
Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 ErbStG ist eine ausländische
Steuer jedoch nur anrechenbar, wenn sie der deutschen Erbschaftsteuer entspricht. Dies ist
sowohl bei ausländischen Erbanfallsteuern als auch bei ausländischen Nachlasssteuern zu
bejahen.25 Eine Vergleichbarkeit mit der deutschen Erbschaft- und Schenkungsteuer hat der
BFH dagegen für die anlässlich des Todes eines Erblassers erhobene kanadische capital
gains tax verneint.26 Die Anrechenbarkeit anderer Steuern, beispielsweise der spanischen
Wertzuwachsteuer (Plus Valia),27 ist derzeit noch ungeklärt.
An die Stelle der sehr formalistischen Sichtweise des BFH könnte eine materielle
Betrachtung treten, die mehr auf die wirtschaftliche bzw. funktionale Vergleichbarkeit von inund ausländischen Steuern abstellt.28 Dadurch könnten auch ausländische Steuern in die
Anrechnung einbezogen werden, die in materieller Hinsicht die Vermögenssubstanz bei
einem unentgeltlichen Übergang von Todes wegen oder unter Lebenden erfassen.
(b)
Begriff des Auslandsvermögen
In § 21 Abs. 1 ErbStG wird die Anrechnung ausländischer Steuer an das Vorhandensein von
Auslandsvermögen geknüpft, das im Ausland besteuert wird. Dabei hängt der Begriff des
Auslandsvermögens gemäß § 21 Abs. 2 ErbStG davon ab, ob der Erblasser Steuerinländer
war oder nicht. War der Erblasser Inländer, zählen zum Auslandsvermögen nur die in § 121
BewG genannten Vermögensgegenstände und alle Nutzungsrechte an diesen. Nicht erfasst
werden dagegen beispielsweise Anteile an ausländischen Kapitalgesellschaften von weniger
als 10% des Grund- oder Stammkapitals und private Forderungen im Ausland wie
24
25
26
27
28
Das OECD-Musterabkommen ist an dieser Stelle lückenhaft, vgl. Art. 2 OECD-MA.
Vgl. nur Jüptner, in : Fischer/Jüptner/Pahlke/Wachter, ErbStG, 3. Aufl. 2011, § 21 Rn. 38. In den
Mitgliedstaaten der EU ist die Erbschaftsteuer ganz überwiegend als Erbanfallsteuer ausgestaltet, vgl. dazu
die Übersicht bei Watrin/Kappenberg, IStR 2010, 546, 548.
BFH, Urt. v. 26.4.1995 – II R 13/92, BStBl. II 1995, 540; kritisch dazu Geck, in: Kapp/Ebeling, ErbStG,
Stand: Dezember 2011, § 21 Rn. 60, der sich für die Anrechnung der kanadischen capital gains tax
ausspricht.
Die Anrechenbarkeit bejahend Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, Stand: Juli 2011, § 21 Rn. 23.
In diesem Sinne Jülicher, a.a.O., § 21 Rn. 21.
Schreiben Deutscher Notarverein vom 2. April 2012, Seite 16
Wertpapierbestände und Bankguthaben bei ausländischen Kreditinstituten.29 Im Ergebnis
wird dadurch die auf diese Vermögensgegenstände entfallende ausländische Steuer von der
Anrechnung ausgeschlossen. War der Erblasser dagegen kein Inländer i. S. d § 2 Abs. 1
Nr. 1 ErbStG, umfasst der Begriff des Auslandsvermögens alle Vermögensgegenstände,
sofern sie nicht zum Inlandsvermögen i. S. d. § 121 BewG rechnen. Damit verbunden ist
eine weitgehende Anrechnungsmöglichkeit der ausländischen Steuer.30
Die unterschiedliche Bemessung der Anrechnungsmöglichkeiten danach, ob das Vermögen
von einem Steuerinländer oder einem Steuerausländer erworben wird, ist nicht frei von
Widersprüchen31 und entspricht nicht den von der EU-Kommission vorgeschlagenen
Zuteilungsregeln. Der deutsche Gesetzgeber sollte deshalb den Vorstoß der Kommission
zum Anlass nehmen, den nach § 21 ErbStG für die Anrechenbarkeit einer ausländischen
Steuer maßgeblichen Begriff des Auslandsvermögens neu zu definieren. Ziel der
Neubestimmung sollte sein, eine Anrechnung der ausländischen Steuer zu ermöglichen, die
in einem anderen Mitgliedstaat für das Vermögen gezahlt wird, das nach den
Abgrenzungskriterien der Kommission vorrangig in diesem Staat besteuert werden darf.
(c)
Steuermehrbelastung durch die per-country-limitation
Bei einem Mischerwerb, der nur zum Teil aus Auslandsvermögen besteht, ist die
ausländische Steuer nach § 21 Abs. 1 Satz 2 ErbStG nur auf den Teil der deutschen
Erbschaftsteuer anrechenbar, der auf das Auslandsvermögen entfällt. Durch diese
Begrenzung wird verhindert, dass die ausländische Steuer, die diesen Höchstbetrag
übersteigt, nicht die auf das Inlandsvermögen entfallende Erbschaftsteuer mindert.32 Ist das
Auslandsvermögen in verschiedenen Staaten belegen, ist der Höchstbetrag gemäß § 21
Abs. 1 Satz 3 ErbStG für jeden Staat gesondert zu ermitteln (sog. per-country-limitation). Auf
diese Weise soll eine Saldierung nicht ausgeschöpfter Anrechnungsüberhänge zwischen
Niedrig- und Hochsteuerländern unterbunden werden.
Die per-country-limitation kann zwar zu steuerlichen Mehrbelastungen führen.33 Ein
international anerkannter Grundsatz der Anrechnung ist jedoch, das der anrechnende
Wohnsitzstaat nicht verpflichtet ist, die über sein Steuerniveau hinausgehende, im
Belegenheitsstaat anfallende Steuer dem Steuerpflichtigen zu erstatten oder diese durch
29
30
31
32
33
Vgl. BFH, Urt. v. 16.1.2008, II R 45/05, BStBl. II 2008, 623 = ZEV 2008, 448; Meincke, a.a.O., § 21
Rn. 30.
Vgl. nur Watrin/Kappenberg, ZEV 2011, 105, 109.
Vgl. dazu die Kritik bei Meincke, a.a.O., § 21 Rn. 32 m. w. N.
Zu der zu diesem Zweck durchzuführenden Verhältnisrechnung siehe Meincke, a.a.O., § 21 Rn. 22.
Vgl. dazu Plewka/Watrin, ZEV 2002, 253, 255.
Schreiben Deutscher Notarverein vom 2. April 2012, Seite 17
eine Reduzierung der Steuer auf inländische Vermögensteile bei einem Mischerwerb zu
ermäßigen.34 Die Begrenzung der Anrechnungsbeträge durch Aufteilung der auf das
Auslandsvermögen entfallenden Steuer nach dem Muster des § 21 Abs. 1 Satz 3 ErbStG ist
somit nicht systemwidrig, auch wenn bei dieser Regelung fiskalische Zwecke im Vordergrund
stehen dürften.35
Die Berechnung des Höchstbetrags für jeden einzelnen Staat kann allerdings dazu führen,
dass der persönliche Freibetrag nach § 16 ErbStG anteilig durch den Erwerb des
Auslandsvermögens verbraucht wird. Infolgedessen steht für das Inlandsvermögen ein
geringerer Freibetrag zur Verfügung als in den Fällen, in denen der Nachlass nur aus
Inlandsvermögen besteht.36 Der Anrechnungsmechanismus nach § 21 Abs. 1 ErbStG wird
zumindest insoweit der Zielsetzung der Kommission, eine Steuermehrbelastung in
grenzüberschreitenden Erbfällen zu beseitigen, nicht gerecht.
(d)
Zahlung festgesetzter ausländischer Schenkungsteuer als rückwirkendes
Ereignis
Der BFH hat entschieden, dass die nach Eintritt der Bestandskraft des deutschen
Schenkungsteuerbescheids erfolgte Zahlung einer nach § 21 Abs. 1 ErbStG anrechenbaren
ausländischen Steuer ein rückwirkendes Ereignis i. S. d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO
darstellt.37 In dem zugrunde liegenden Fall erhielt der Kläger (K) im Jahr 1994 mehrere
Geldzuwendungen von seiner Mutter (M). M wohnte im Kanton Tessin (Schweiz). Das
Finanzamt setzte dafür ein Jahr später gegenüber K Schenkungsteuer fest. Im Jahr 2002
erhob auch die Finanzbehörde des Kantons Tessin bei K Schenkungsteuer für die
empfangenen Zuwendungen. K bezahlte die tessinische Steuer und beantragte daraufhin
ihre Anrechung auf die im Inland bereits bezahlte Schenkungsteuer. Der BFH sah in der
Steuerzahlung ein rückwirkendes Ereignis gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO und
verpflichtete das Finanzamt, die Schenkungsteuerbescheide aus dem Jahre 1995 zu ändern.
Eine
Anrechnung
ausländischer
Erbschaft-
und
Schenkungsteuer
ist
nach
der
Rechtsprechung des BFH somit auch bei bestandskräftigen Steuerbescheiden möglich.
Demzufolge entspricht das deutsche Verfahrensrecht schon heute den Vorgaben der EUKommission zur Einräumung einer angemessenen Frist, innerhalb derer die Anrechnung
einer in einem anderen Mitgliedstaat bezahlten Steuer noch möglich sein soll.
34
35
36
37
Jülicher, a.a.O., § 21 Rn. 61 m. w. N.
Vgl. dazu Meincke, a.a.O., § 21 Rn. 30.
Siehe dazu BFH, Urt. v. 11.4.2006, II R 35/05, BStBl. II 2006, 627 = ZEV 2006, 464.
BFH, Urt. v. 22.9.2010, II R 54/09, BStBl. II 2011, 247 = ZEV 2011, 150.
Schreiben Deutscher Notarverein vom 2. April 2012, Seite 18
2.
Reichweite der Grundfreiheiten auf dem Gebiet der Erbschaftsteuer
Das Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen, in dem die EU-Bürger auf die Bedeutung
des Europarechts für die grenzübergreifende Erbschaftsbesteuerung hingewiesen werden
sollen, ist im Kontext der Vertragsverletzungsverfahren zu sehen, die die Kommission in
letzter Zeit gegen einige Mitgliedstaaten eingeleitet hat. Zu erwähnen ist hier insbesondere
das
Vertragsverletzungsverfahren
gegen
Spanien,38
das
wegen
der
Vielzahl
der
Ferienhäuser und Ferienwohnungen dort auch in Deutschland mit großem Interesse verfolgt
werden dürfte.
a)
Einführung eines Wahlrechts in Fällen beschränkter Steuerpflicht
Durch das zum 1.1.2009 in Kraft getretene Erbschaftsteuerreformgesetz39 wurden bereits die
Begünstigungstatbestände für unternehmerisch genutztes Vermögen gemäß §§ 13a, 13b
ErbStG und für zu Wohnzwecken vermietete Grundstücke nach § 13c ErbStG auf EU-/EWRSachverhalte erstreckt. Nunmehr hat der deutsche Gesetzgeber auch auf das von der EUKommission gegen Deutschland angestrengte Vertragsverletzungsverfahren vom 14.3.2011
reagiert und die Konsequenzen aus der Rechtssache Mattner40 gezogen. In dem Fall ging es
um die schenkweise Übertragung einer im Inland belegenen Immobilie von einer
Steuerausländerin auf ihre ebenfalls im Ausland ansässige Tochter. Der EuGH hat zu der
Besteuerung dieser freigebigen Zuwendung festgestellt, dass die unterschiedliche Höhe des
persönlichen Freibetrags für beschränkt und unbeschränkt Steuerpflichtige eine nicht
gerechtfertigte Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellt. Zur Beseitigung dieser
Schlechterstellung von Steuerausländern gegenüber Inländern räumt § 2 Abs. 3 S. 1 ErbStG
i. d. F. durch das Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz41 dem Erwerber in Fällen der
beschränkten Steuerpflicht ein Wahlrecht ein, den Vermögensanfall als unbeschränkt
steuerpflichtig zu behandeln („fiktive unbeschränkte Steuerpflicht“). Durch Ausübung dieser
Option kommt der Erwerber in den Genuss der höheren persönlichen Freibeträge nach § 16
Abs. 1 ErbStG und des Versorgungsfreibetrags nach § 17 ErbStG.
Der Antrag setzt nach § 2 Abs. 3 Satz 1 ErbStG n. F. voraus, dass der Erblasser zurzeit
seines Todes, der Schenker zurzeit der Ausführung der Schenkung oder der Erwerber
zurzeit der Entstehung der Steuer seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der EU oder des
38
39
40
41
Vgl. dazu die Pressemitteilung der EU-Kommission vom 27.10.2011, IP/11/1278, abrufbar unter
http://ec.europa.eu/taxation_customs/common/infringements/infringement_cases/index_de.htm.
ErbStRG v. 24.12.2008, BGBl. I 2008, 3076.
EuGH, Urt. v. 22.4.2010, C-510/08, ZEV 2010, 270.
BGBl. I 2011, 2592.
Schreiben Deutscher Notarverein vom 2. April 2012, Seite 19
EWR hat. Wird der Antrag gestellt, unterliegt allerdings der gesamte Erwerb in Deutschland
unabhängig von der Art und Belegenheit des Vermögens der unbeschränkten Steuerpflicht.
b)
Drittstaatenwirkung der Kapitalverkehrsfreiheit und deren Abgrenzung zur
Niederlassungsfreiheit
Die KOM äußert sich nicht näher zu dem problematischen Verhältnis zwischen der
Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 Abs. 1 AEUV) und der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV).
Dabei ist die Abgrenzung zwischen beiden Grundfreiheiten von erheblicher Relevanz.42 Denn
nur die Kapitalverkehrsfreiheit gilt grundsätzlich auch gegenüber Drittstaaten, während die
Niederlassungsfreiheit auf den EU- bzw. EWR-Raum beschränkt ist.
Der EuGH geht in seiner Rechtsprechung zum Ertragsteuerrecht davon aus, dass eine
nationale Steuerregelung vorrangig an Art. 49 AEUV zu messen ist, wenn die Maßnahme
vorwiegend die Ausübung der Niederlassungsfreiheit betrifft und die Einschränkung des
Kapitalverkehrs nur eine zwangsläufige Folge ist.43 Nach Auffassung des EuGH wird die
Kapitalverkehrsfreiheit in diesem Bereich des Steuerrechts von der Niederlassungsfreiheit
verdrängt, wenn es bei der nationalen Steuerregelung um den Besitz einer Beteiligung geht,
die es ermöglicht, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft
auszuüben und deren Tätigkeit zu bestimmen.44 Die Folge ist, dass Steuerpflichtige in
Drittstaatenfällen EU-rechtlich nicht geschützt sind, auch wenn die Niederlassungsfreiheit
eigentlich betroffen wäre, aber aufgrund des Drittlandsbezugs nicht zur Anwendung gelangt.
Nach der Judikatur des EuGH gilt die Spezialität der Niederlassungsfreiheit gegenüber der
Kapitalverkehrsfreiheit jedoch nicht für das Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht. Dies liegt
daran, dass sich der EuGH bei der Prüfung, ob Erbschaften und Schenkungen in den
Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit fallen, nicht auf den Begriff der „Direktinvestitionen“
in Abschn. I des Anhangs I der Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24.6.198845 stützt,
sondern auf die in Abschn. XI des Anhangs I aufgeführten Schenkungen, Erbschaften und
Vermächtnisse.46 Dieser begrifflichen Anknüpfung ist auch der II. Senat des BFH in seiner
42
43
44
45
46
Näher dazu Hey, DStR 2011, 1149, 1151 f.
Vgl. EuGH, Urt. v. 12.9.2006, C-196/04, Rs. Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas,
EUGHE 2006, I-7995 = DStR 2006, 1686; Urt. v. 6.11.2007, C-415/06, Rs. Stahlwerk Ergste Westig,
EuGHE 2007, I-151 = DStRE 2008, 619.
Vgl. EuGH, Urt. v. 29.3.2007, C-347/04, Rs. Rewe Zentralfinanz, EUGHE 2007, I-2647 = NJW 2007, 2905,
Rn. 22 u. 70; EuGH, Urt. v. 25.10.2007, C-464/05, Rs. Maria Geurts, EuGHE 2007, I-9325 = ZEV 2008,
92, wonach dafür schon eine Beteiligung von 50% genügen soll.
ABl EG 1988 Nr. L 178, S. 5.
In der im Anhang I enthaltenen Nomenklatur für den Kapitalverkehr werden unter Abschn. XIII (Sonstiger
Kapitalverkehr) im Übrigen auch ausdrücklich Erbschaftsteuern erwähnt.
Schreiben Deutscher Notarverein vom 2. April 2012, Seite 20
Vorlage zum EuGH vom 15.12.2010 gefolgt.47 Da es in dem Fall um den Erbschaftserwerb
einer 100%-igen Beteiligung an einer kanadischen Kapitalgesellschaft geht, wird der EuGH
zu der Frage Stellung nehmen müssen, ob auch der Erwerb von Anteilen an
Kapitalgesellschaften mit Sitz und Geschäftsleitung in Drittstaaten in den Schutzbereich der
Kapitalverkehrsfreiheit fällt.
Sollte der EuGH auf dem Gebiet des Erbschaftsteuerrechts tatsächlich von einem
prinzipiellen Vorrang der Kapitalverkehrs- gegenüber der Niederlassungsfreiheit ausgehen,
scheint die Erstreckung auf Drittstaatensachverhalte – zumindest auf der Grundlage der
bisherigen EuGH-Rechtsprechung48 – unausweichlich.49 Unter dieser Prämisse würde sich
jedoch die weitere Frage stellen, inwieweit gegenüber Drittstaaten die nach Art. 65 Abs. 1
lit. a
AEUV
erweiterten
Rechtfertigungsgründe
für
eine
Beschränkung
der
Kapitalverkehrsfreiheit zum Tragen kommen. Denn die Amtshilfe- und Betreibungsrichtlinie
gilt nur zwischen den Mitgliedstaaten der EU.50 Gegenüber den meisten Drittstaaten fehlt es
hingegen an Auskunfts- und Beitreibungsmöglichkeiten, mittels derer eine effektive
steuerliche Kontrolle sichergestellt werden könnte.
Auch im Verhältnis zu Drittstaaten ist eine steuerliche Ungleichbehandlung nach der
bisherigen Rechtsprechung des EuGH jedoch nur dann im Allgemeininteresse gerechtfertigt,
wenn
(1) die Gewährung eines Steuervorteils von Voraussetzungen abhängt, die zwingend einer
Überprüfung durch die zuständigen Behörden im Ausland bedürfen,
(2) mit dem Drittstaat kein Steuerabkommen besteht, das einen Austausch von
Informationen vorsieht und
(3) der Steuerpflichtige nicht in der Lage ist, die entsprechenden Nachweise selbst zu
erbringen.51
Eine generelle Versagung nationaler Steuerbegünstigungen für nicht im EU-/EWR-Raum
Ansässige, beispielsweise der Steuerbefreiungen für das Familienheim gemäß § 13 Abs. 1
Nrn. 4a – 4c ErbStG, ist damit kaum vereinbar.52
47
48
49
50
51
52
BFH, EuGH-Vorlage. v. 15.12.2010, II R 63/09, ZEV 2011, 146 (Az. des EuGH: C-31/11).
Vgl. EuGH, Urt. v. 18.12.2007, C-101/05, Rs. A, EuGHE 2007, I-11531 = IStR 2008, 66; EuGH, Urt. v.
27.9.2009, C-318/07, Rs. Persche, EuGHE 2009, I-359 = DStR 2009, 207, Rn. 70; für eine
bereichsspezifische Reduktion des Anwendungsbereichs der Kapitalverkehrsfreiheit dagegen Schön, in:
FS Wassermeyer, 2005, S. 489, 502 ff.
So auch Hey, DStR 2011, 1149, 1152; Scheller/Bader, ZEV 2011, 112, 116.
Vgl. Scheller/Bader, ZEV 2011, 112, 116 f.
Vgl. EuGH, Urt. v. 18.12.2007, C-101/05, Rs. A, EuGHE 2007, I-11531 = IStR 2008, 66.
Hey, DStR 2011, 1149, 1152.
Schreiben Deutscher Notarverein vom 2. April 2012, Seite 21
Die Kommission fordert die Mitgliedstaaten indes nicht auf, Steuervergünstigungen weltweit
zu gewähren. Insoweit sollte hier das Urteil des EuGH zu der Vorlage des BFH vom
15.12.2010 abgewartet werden.
c)
Erbschaftsteuerrechtliche Diskriminierung ausländischer gemeinnütziger
Körperschaften und Familienstiftungen
Nach § 13 Abs. 1 Nr. 16 lit. b ErbStG ist die Steuerbefreiung für Zuwendungen an
gemeinnützige Körperschaften davon abhängig, dass es sich um Körperschaften mit Sitz
oder Geschäftsleitung im Inland handelt. Dies stellt eine europarechtswidrige Diskriminierung
dar, die auch nicht durch die unter dem Gegenseitigkeitsvorbehalt stehende Ausdehnung der
Steuerbegünstigung in § 13 Abs. 1 Nr. 16 lit. c ErbStG beseitigt wird.53 Ausgehend von der
Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Missionswerk Werner Heukelbach54 hat eine
ausländische gemeinnützige Organisation, die die Voraussetzungen des inländischen
Rechts für die Gewährung von Steuervergünstigungen erfüllt, in gleicher Weise einen
Anspruch auf Gewährung dieser Vergünstigungen wie eine gemeinnützige Organisation mit
Sitz oder Geschäftsleitung im Inland.
Demgegenüber hat der Gesetzgeber für den Bereich des Ertragsteuerrechts auf die
Rechtsprechung des EuGH55 reagiert. Nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 KStG i. d. F. des JStG 200956
können grundsätzlich auch gemeinnützige Körperschaften aus anderen Mitgliedsstaaten im
Rahmen der beschränkten Steuerpflicht die Körperschaftsteuerbefreiung nach § 5 Abs. 1
Nr. 9 KStG in Anspruch nehmen, sofern sie die Voraussetzungen der §§ 51 ff. AO erfüllen.57
Nach Auffassung des EuGH können die Mitgliedstaaten im Grundsatz frei bestimmen, was
sie als gemeinnütziges Handeln ansehen und welche Zwecke sie steuerlich begünstigen
wollen. Ein Mitgliedstaat ist insbesondere nicht dazu verpflichtet, ausländische Tätigkeiten
und Zwecke steuerlich zu fördern, die im Inland nicht förderungsfähig sind.58 Auch können
die Finanzbehörden von den Steuerpflichtigen alle Belege verlangen, die ihnen für die
Beurteilung der Frage notwendig erscheinen, ob die ausländische Körperschaft die
Voraussetzungen für die Gewährung der Steuerbefreiung nach den einschlägigen
53
54
55
56
57
58
Hey, DStR 2011, 1149, 1155 f.
EuGH, Urt. v. 10.2.2011, C-25/10, ZEV 2011, 482.
EuGH, Urt. v. 14.9.2006, C-386/05, Rs. Centro di Musicologia Walter Stauffer, EuGHE 2006, I-8203 =
ZEV 2006, 458; EuGH, Urt. v. 27.9.2009, C-318/07, Rs. Persche, EuGHE 2009, I-359 = DStR 2009, 207.
BGBl. I 2008, 2794.
Hierbei stellt sich allerdings die Frage, inwieweit die Tätigkeit einer ausländischen Körperschaft, die ihre
steuerbegünstigten Zwecke im Ausland verwirklicht, einen den Anforderungen des § 51 Abs. 2 AO
entsprechenden „strukturellen Inlandsbezug“ aufweist.
EuGH, Rs. Persche, a.a.O., Rn. 47 f.
Schreiben Deutscher Notarverein vom 2. April 2012, Seite 22
Bestimmungen des Gemeinnützigkeitsrechts erfüllt.59 Gelingt dem Steuerpflichtigen der
Nachweis nicht, können die Finanzbehörden die Steuerbefreiung versagen.
Europarechtswidrig ist auch die unterschiedliche Behandlung der Erstausstattung von in- und
ausländischen Familienstiftungen nach § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG.60 Gemäß dieser
Vorschrift richtet sich die Besteuerung der Vermögensübertragung an eine inländische
Familienstiftung nach dem persönlichen Verhältnis des nach der Stiftungsurkunde entferntest
Berechtigten zum Stifter. Demgegenüber kommt bei der Errichtung einer ausländischen
Familienstiftung stets die Steuerklasse III zur Anwendung, ohne dass diese steuerliche
Ungleichbehandlung sachlich gerechtfertigt wäre.
C.
Gesamtergebnis und Thesen
Das ambitionierte Vorhaben der EU-Kommission, die erheblichen Probleme bei der
Besteuerung grenzüberschreitender Erbschaften und Schenkungen zu lösen, verdient
politische Unterstützung. Die Empfehlungen der Kommission sollten den Mitgliedstaaten
einen Anstoß geben, ihre Erbschaftsteuergesetze auf darin enthaltene diskriminierende
Regelungen zu durchforsten und existierende Ungleichbehandlungen zu Lasten von
Steuerausländern zu beseitigen. Eine kritische Analyse der Vorschläge zeigt jedoch auch,
dass die empfohlenen Maßnahmen zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung innerhalb der
EU in einigen Punkten noch korrigiert bzw. präzisiert werden sollten. Die Würdigung des
Gesamtpakets der Kommission zur Erbschaftsteuer führt somit zu folgenden Thesen:
(1)
Mangels einer gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtung der Mitgliedstaaten zum
Abschluss von DBA auf dem Gebiet der Erbschaft- und Schenkungsteuer sollte eine
Doppelbesteuerung durch unilaterale Maßnahmen in Form von Steuerermäßigungen
vermieden werden. Um dies im EU-Raum flächendeckend sicherzustellen, bedarf es –
entsprechend dem Ansatz der Kommission – einer besseren Koordinierung und
Verzahnung der nationalen Erbschaftsteuerbestimmungen der Mitgliedstaaten.
(2)
Die
von
der
Kommission
formulierten
Kollisionsregeln
für
die
Zuweisung
konkurrierender Besteuerungsrechte beruhen im Kern auf den Regelungen des OECDMusterabkommens
zur
Erbschaftsteuer.
Qualifikationskonflikte,
die
bei
der
Besteuerung grenzüberschreitender Sachverhalte auftreten können, sollten demzufolge
unter
Rückgriff
auf
das
OECD-Musterabkommen
und
die
dazu
ergangene
Kommentierung gelöst werden.
59
60
Vgl. EuGH, Rs. Persche, a.a.O., Rn. 54, 65.
Wie hier Hey, DStR 2011, 1149, 1156.
Schreiben Deutscher Notarverein vom 2. April 2012, Seite 23
(3)
Die Zuweisung des primären Besteuerungsrechtes für unbewegliches Vermögen und
bewegliches Vermögen einer festen (Geschäfts-)Einrichtung zum Belegenheitsstaat
entspricht international anerkannten Grundsätzen. Die Kommission sollte jedoch
darüber hinaus nach dem Vorbild der Regelungen in Art. 6 Abs. 3 bis Abs. 6 OECD-MA
die Merkmale festlegen, bei deren Vorliegen eine feste Geschäftseinrichtung
angenommen werden kann.
(4)
Deutschland
kann
die
unbeschränkte
Erbschaftsteuerpflicht
auch
bei
grenzüberschreitenden Vermögensnachfolgen weiterhin gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1
ErbStG
an
die
Inländereigenschaft
des
Erwerbers
knüpfen,
sofern
dem
Steuerpflichtigen eine Anrechnung der im Wohnsitzstaat des Erblassers/Schenkers
gezahlten Steuer gestattet wird.
(5)
Unter der Voraussetzung einer Anrechnungs- oder Steuerbefreiungsmöglichkeit im
Inland sollte es den Mitgliedstaaten freigestellt bleiben, Sondervorschriften für die
Besteuerung von Wegzüglern nach dem Muster des § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 lit. b
ErbStG beizubehalten.
(6)
Die Kommission sollte die von ihr empfohlenen Besteuerungsregeln mit Blick auf Art. 9
OECD-MA um eine Bestimmung zum Schuldenabzug ergänzen.
(7)
Ein grundsätzlich zur Gewährung der Steuerermäßigung verpflichteter Mitgliedstaat
(Wohnsitzstaat) kann die Anrechnung oder Freistellung der ausländischen Steuer
davon abhängig machen, dass auch der Quellenstaat die Empfehlung der Kommission
umgesetzt hat (Gegenseitigkeitsvorbehalt).
(8)
Der Gesetzgeber sollte in der Entsprechungsklausel des § 21 Abs. 1 Satz 1 ErbStG
eine materielle Betrachtungsweise verankern, die auch die Anrechnung ausländischer
Veräußerungsgewinnsteuern (capital gains tax) zulässt, die anlässlich des Todes eines
Erblassers oder anlässlich der Vornahme einer Schenkung anstelle einer Erbanfalloder Nachlasssteuer erhoben werden.
(9)
Der Gesetzgeber sollte den Begriff des Auslandsvermögens in § 21 Abs. 2 ErbStG neu
fassen, so dass eine Anrechnung der in einem anderen Mitgliedstaat gezahlten Steuer
nach den Kriterien der Kommission nicht ausgeschlossen ist.
Schreiben Deutscher Notarverein vom 2. April 2012, Seite 24
(10) Um einem durch die Einbeziehung von Auslandsvermögen bedingten Verbrauch der
persönlichen
Freibeträge
nach
§ 16
ErbStG
bei
der
Besteuerung
des
Inlandsvermögens entgegenzuwirken, ist de lege lata eine Nachjustierung des
Anrechnungsmechanismus
in
§ 21
Abs. 1
ErbStG
erforderlich.
Mögliche
Steuermehrbelastungen durch die per-country-limitation sind dagegen hinzunehmen.
(11) Die Frage, ob und wenn ja unter welchen Voraussetzungen erbschaftsteuerrechtliche
Begünstigungstatbestände auf Drittstaatensachverhalte zu erstrecken sind, sollte unter
Berücksichtigung der noch ausstehenden Entscheidung des EuGH zu der Vorlage des
BFH vom 15.12.2010 erfolgen.
(12) Die auf inländische Körperschaften und inländische Familienstiftungen beschränkten
Steuervorteile der §§ 13 Abs. 1 Nr. 16 lit. b, 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG sind
europarechtswidrig und sollten daher umgehend an die Vorgaben der EuGHRechtsprechung angepasst werden.
Für weitere Fragen stehen wir gern zur Verfügung.
Dr. Oliver Vossius
Berichterstatter der Stellungnahme
Notarassessor Dr. Jörg Ihle, Bonn,
Fachredakteur „Steuerrecht“ der Zeitschrift „notar“
Schreiben Deutscher Notarverein vom 2. April 2012, Seite 25