Peer Gynt Materialmappe - Staatstheater Braunschweig

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Peer Gynt Materialmappe - Staatstheater Braunschweig
Staatstheater Braunschweig
Spielzeit 2014 / 2015
Materialien
Peer Gynt
Oper von Werner Egk
»Leben heißt – mit Trollen tief in Herz und Seele ringen.
Dichten – Jüngstes Gericht halten über sein eigenes Ich«
Henrik Ibsen
Die Handlung
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Vorspiel
Peter wird vom Vogt, seiner Frau und dem Schmied beobachtet, während er von der
Welt jenseits seines Dorfs und von Macht träumt. Sie versuchen vergeblich, Peer mit
der Nachricht von der Hochzeit von Ingrid, seiner früheren Freundin, mit dem
Dummkopf Mads zu provozieren. Peer tut, was er will.
I. Akt
1. Bild
Peter ist als ungeladener Gast auf die Hochzeitsfeier gekommen. Als Peer tanzen
möchte, wird er von allen Mädchen verhöhnt. Sein Hass auf die gegen ihn
verschworene Dorfgemeinschaft wird durch Solveig abgelenkt, sie jedoch schrickt
vor ihm zurück. Peer fängt daraufhin zu trinken an und verkündet seine Phantasie,
Kaiser der Welt zu werden.
Die vom Schmied aufgehetzten Gäste würden Peer gerne verprügeln, nur der naive
Mads, und Solveig stehen außerhalb der aufgebrachten Menge. Als sich Solveig
jedoch weigert, mit Peer zu tanzen, bedrängt und beleidigt er sie. Zwar entschuldigt
er sich sofort, entführt dann aber Ingrid vor den Augen ihres Bräutigams. Peers
Mutter Aase erscheint auf dem Fest, um ihren Sohn vor Angriffen zu schützen.
Die Jagd nach Peer beginnt.
2. Bild
Der Alte, der Herrscher über das Trollreich, und seine Tochter, die Rothaarige,
erwarten Peer. Währenddessen sind Aase und Solveig auf der Suche nach ihm.
Peer hat Ingrid längst satt und stößt sie von sich. Als sich daraufhin die Rothaarige
Peer zeigt, wird er in ihren Bann gezogen.
3. Bild
Der Alte verkündet seinen Untertanen, dass er Peer sein Reich und seine Tochter
vermachen will. Um König zu werden, muss Peer aber seine Menschlichkeit
verlieren. Als die Trolle ihm die Augen ritzen wollen, setzt sich Peer zur Wehr und
ruft in höchster Not Solveigs Namen. Das Trollreich verschwindet.
4. Bild
Solveig hat Peer gefunden und will für immer bei ihm bleiben. Durch sie fühlt Peer
sich gegen alles Böse gefeit. Doch die Rothaarige präsentiert ihm ein hässliches
Wesen, angeblich sein im Trollreich gezeugter Sohn. Peer flieht vor dieser Situation
nach Amerika.
Die Handlung
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II. Akt
5. Bild
Peer ist zu Reichtum gekommen. Der korrupte Präsident der Republik, in deren
Hafen Peer sein mit Gold beladenes Schiff ankert, will das Auslaufen des Schiffes
verhindern, wird aber von Peer bestochen. Peer erzählt drei Kaufleuten von seinem
Lebensziel, Kaiser der Welt zu werden. Diese beschließen, sein Schiff zu
annektieren, das beim Auslaufen jedoch explodiert. Kurz darauf erteilt der Präsident
Peer die erkaufte Auflauferlaubnis.
6. Bild
Der verwüstete Peer sitzt in einer Kneipe und betrachtet ein Panoptikum von
perversen Absonderlichkeiten. Der Alte, der Wirt der Kneipe, zerrt seine Tochter
herbei. Ihre Reize tun zuerst ihre Wirkung: Peer meint durch sie den Sinn der Liebe
erkannt zu haben. Der Alte triumphiert, denn Peer hat Solveig verraten. Bald jedoch
kommt Peer auf die Spur der Rothaarigen und ihres Vaters und will in seine Heimat
zurückkehren.
III. Akt
7. Bild
Drei Vögel, die nach dem Sinn des Lebens fragen, versperren Peer den Weg. Da tritt
ihm ein Unbekannter entgegen und fordert Peers Leichnam. Peer muss erfahren,
dass seine Mutter gestorben, der Hof versteigert und er selbst für tot erklärt sei.
Verzweifelt bittet Peer den Unbekannten um Hilfe. Dieser nimmt ihn mit ins Trollreich.
8. Bild
Peer steht bei dem Alten vor Gericht, der ihn doch noch zum Herrscher des
Trollreiches gewinnen will. Zeugen sollen Peers Eignung beweisen. Ingrid, Mads und
die drei Kaufleute belasten Peer, doch am schwersten wiegt die Anklage der Mutter.
Der Alte und die Rothaarige triumphieren bereits, da bittet Aase dennoch für ihren
Sohn. Eine Frist von einem Jahr muss Peer gewährt werden. In tiefer Verzweiflung
verlässt Peer die Gerichtsstätte.
9. Bild
Solveig wartet immer noch auf Peer. Peer und der Unbekannte hören sie, aber der
Unbekannte versucht Solveigs Worte umzudeuten, doch Peer erkennt, dass ihre
Liebe seine einzige Chance ist. Solveigs Antwort auf die Frage, wo Peer all die Zeit
war, spricht ihn frei. Durch sie findet er Ruhe und sein Zuhause.
Werner Egk
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Der Komponist Werner Egk
Werner Egk wird am 17. Mai 1901 in Auchsesheim bei Donauwörth als drittes Kind
des Lehrers Joseph Mayer geboren. 1921 beginnt er das Kompositions- und
Dirigierstudium bei Carl Orff in München und sammelt erste Theatererfahrungen als
Inspizient, Kulissenmaler und Leiter der Bühnenmusik, erste Kompositionen
entstehen ab 1923. In Berlin kommt Egk in Kontakt mit Bertolt Brecht, Kurt Weill und
anderen Künstlern der Zeit. Erstmals arbeitet er für den Rundfunk. 1936-1940 wird
Egk zum Kapellmeister der Preußischen Oper Unter den Linden Berlin berufen. In
diesen Jahren werden u.a. die Oper »Peer Gynt« und das Ballett »Joan von Zarissa«
uraufgeführt. Es folgen zahlreiche von den Nationalsozialisten in Auftrag gegebene
bzw. wohlwollend aufgenommene Kompositionen für Bühne, Film und Konzertsaal.
Ab 1941 ist er vorwiegend als freischaffender Komponist tätig und wird zum Leiter
der »Fachschaft Komponisten« in der STAGMA gewählt, die sich innerhalb der
Reichsmusikkammer für Aufführungsrechte bemüht. In mehreren Prozessen nach
1945 wehrt sich Egk gegen die Stigmatisierung als Hofkomponist der Nazis, 19501953 wird er zum Rektor der Hochschule für Musik in West-Berlin und 1951 beginnt
er eine dreijährige Zusammenarbeit mit der Bayerischen Staatsoper München. 1953
bis 1963 folgen die Uraufführungen der Opern »Die chinesische Nachtigall«, »Der
Revisor« als Auftragswerk der Schwetzinger Festspiele und »Die Verlobung in San
Domingo«. 1969-1971 ist Egk Präsident des Deutschen Musikrates, 1972 erhält er
die Auszeichnung zum Ehrenbürger der Stadt München und 1976 wird er zum
Präsidenten der Confédération Internationale des Sociétés d’Auteurs et
Compositeurs ernannt. Egk stirbt am 10. Juli 1983 im Alter von 82 Jahren in Inning
am Ammersee; auf eigenen Wunsch wird er auf dem städtischen Friedhof in
Donauwörth beigesetzt.
Entstehung
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Zur Entstehung des »Peer Gynt«
von Werner Egk
Am 1. November 1937 konnte ich mit der Niederschrift der Peer Gynt-Partitur
beginnen. Die Arbeit wurde ein gutes Dutzendmal durch Blitzreisen nach Berlin für
die Leitung der Aufführungen von »Carlos«, »Kitesch«, vor allem aber von »Mignon«
unterbrochen.
Die jeweils fertigen Teile meiner Partitur gingen sofort beim Verlag B. Schott's Söhne
in Mainz in Druck, der Klavierauszug wurde gleichzeitig hergestellt und seitenweise
an die Staatsoper geschickt, die mir und dem Verlag hart auf den Fersen blieb.
Im Frühjahr 1938 liefen bereits die Vorbereitungen für die Uraufführung im November
an: Regie - Bühnenbild - Kostüme - Besetzung. Wenn das neunte und letzte Bild bis
zum 31. August fertig wurde, konnte die Uraufführung zum vorgesehenen Termin
stattfinden.
Die Partitur war am 1. September fertig, obwohl sich noch im Juni ein dicker Balken
quer gelegt hatte. Ich erhielt mitten in der Arbeit am achten Bild folgendes Schreiben:
Siusi, prov. di Bolzano, den 8. Juni 1938
An den Herrn Komponisten, Werner Egk
Lochham, Post Planegg, Bayern.
Geehrter Herr Komponist!
Mit größtem Befremden sehe ich aus den Zeitungen, daß die Staatsoper die
Uraufführung eines Opers ankündigen, ohne daß meine Einwilligung für die OperBearbeitung eingeholt worden ist.
Durch Herrn Sigvard Abrahamsen, Berlin-Charlottenburg 2, Uhlandstraße 183,
haben Sie seinerzeit meine Bedingungen für die Oper-Bearbeitung von »Peer Gynt*
erhalten.
Ich bitte Sie nun, einen diesbezüglichen Vertrag mit Herrn Abrahamsen bis zum 1.
Juli 1938 abschließen zu wollen, da ich sonst gegen weitere Ankündigungen für
diese Oper einschreiten müsse.
Ich bin nicht gewillt, die Frist über den 1. Juli hinaus zu verlängern, auch bin ich nicht
bereit, irgendwelche Änderungen bezüglich meiner Bedingungen vorzunehmen.
hochachtungsvoll
Bergliot Ibsen-Björnson
Entstehung
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Bis zu diesem Brief hatte ich auf Grund einer irrigen Information von kompetenter
Seite geglaubt, daß in Norwegen die dreißigjährige Schutzfrist Geltung habe und daß
infolge dessen keinerlei Genehmigung für die Verwendung des Dramas von Ibsen
nötig sei.
Jetzt aber mußte ich zur Kenntnis nehmen, daß die norwegische Schutzfrist auf
fünfzig Jahre verlängert worden war. Mit dem Anwalt, Herrn Abrahamsen, wollte ich
nicht reden, weil er eine Diskussion der Bedingungen von vornherein abgelehnt
hatte, also mußte ich mit der Familie selbst reden. Ich war bereit, die geforderte
Summe zu bezahlen, nicht aber die geforderte Beteiligung an meinen Tantiemen.
Frau Bergliot Ibsen, Tochter des Dichters Björnstjerne Björnson, Witwe Seiner
Exzellenz, des Herrn Ministers Sigurd Ibsen und Schwiegermutter von Olaf
Gulbransson war die Repräsentantin der Familie des großen Dichters.
Sie lebte in Siusi, dem ehemaligen Seiss, das nach dem ersten Weltkrieg an Italien
gefallen war. Es gelang mir in aller Eile eine zuverlässige und wirksame Empfehlung
an ihren Bruder, einen entschiedenen und erbitterten Gegner der Naziherrschaft, den
Regisseur und Schauspieler Björn Björnson zu bekommen. Er lebte während des
Sommers in nächster Nähe seiner Schwester. Am Sonntag, den 19. Juni, fuhr ich mit
Elisabeth in aller Herrgottsfrühe nach Siusi. Wir kamen dort um 10 Uhr vormittags an
und meldeten uns schnurstracks bei Herrn Björnson.
Er las meine Empfehlung mehrere Male sehr aufmerksam durch und fragte dann
freundlich nach unserem Anliegen. Ich erklärte ihm meinen Fall und bat ihn um die
Liebenswürdigkeit, mich bei seiner Schwester anzumelden.
»Lieber Freund«, sagte er, »ich kann alles Mögliche für Sie tun, aber das kann ich
nicht. Mein Haus liegt zwar nicht mehr als dreihundert Meter von dem ihrigen
entfernt, aber ich habe diese Frau seit mehreren Jahren nicht mehr gesehen.«
In Wirklichkeit sagte er nicht »diese Frau«, sondern etwas Schlimmeres, das man im
engsten Familienkreis zu sagen pflegt, wenn man andeuten will, daß sich das
Denken eines Familienmitgliedes den normalen Maßstäben entzogen hat.
Als er meine Verzweiflung sah, meinte er: »Gehen Sie ruhig ohne Anmeldung hinauf.
Wenn Ihnen niemand das Parktor aufschließt, kommen Sie eben wieder herunter.
Ihre Frau lassen Sie aber besser hier. Betreten Sie das Grundstück nur in Begleitung
von Fräulein Lehmann. Diese dürre, alte Ziege ist Hausdame bei meiner Schwester
und die einzige Person, welche mit ihren Bluthunden fertig wird.«
Ich ging hinauf und läutete an dem großen eisernen Parktor. Lange Zeit blieb alles
still, dann erschienen zuerst sechs kolossale Hunde und zuletzt Fräulein Lehmann,
eine zarte alte Dame. Unter den interessierten Blicken der schweigsamen Bestien
erklärte ich ihr mein Anliegen durch die Gitterstäbe des Tores. Sie sagte kurz:
»Kommen Sie in einer Stunde wieder, jetzt schläft sie noch.«
Entstehung
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Um zwölf kam ich wieder und wurde von Fräulein Lehmann eingelassen. Ich hielt
mich dicht an sie wegen der Bluthunde, die uns stumm begleiteten, kam glücklich ins
Haus und wurde in den ersten Stock geführt.
Auf der Treppe fuhr meine Begleiterin plötzlich nervös zusammen und warf mir einen
mißtrauisch prüfenden Blick zu, warum, verstand ich erst später. Ich folgte ihr in den
Salon, sie ließ mich allein. Der Salon war vollgestopft mit vergilbten Photographien
weltberühmter Dichter, Schauspieler und großartiger Persönlichkeiten. Verwelkte
Lorbeerkränze mit verblaßten, ausgebleichten Schleifen bedeckten die Wände. Es
war wie in einem Mausoleum.
Plötzlich öffnete sich die Türe, und eine Erscheinung, eine Art Papst weiblichen
Geschlechts, stand vor mir, in ein schimmerndes weißes Moireekleid gehüllt, mit
einem enormen, mystisch leuchtenden Amethystkreuz auf der Brust und einem
Glorienschein wunderschöner weißer Haare um das mächtige Haupt. Es war Frau
Ibsen.
Ihre Exzellenz eröffnete die Konversation: »Wissen Sie eigentlich, daß ich nicht nur
Violine spiele, sondern auch singe? Wollen Sie mich singen hören?«
Sie stürzte sich auf den Flügel, entriß ihm einige Akkorde und produzierte laute,
metallisch hohe Töne mit einem Ausdruck, der in der Oper der Ankündigung
unmittelbar bevorstehender Katastrophen dient. Sie kletterte im Fortissimo bis zum
dreigestrichenen C und hielt es so lange aus, als wollte sie sagen: »Hier laßt uns
Hütten bauen.«
Als ihr endlich die Luft ausging, fragte sie fordernd: »Was sagen Sie dazu?«
Was sollte ich sagen? Es war klar, daß von meiner Antwort viel für mich abhing, und
so murmelte ich errötend: »Man kann sich eine überraschendere Verbindung von
Kraft und Anmut in einer Stimme kaum vorstellen.« Anmut, das war sicher nicht das
Richtige, aber es fiel mir nichts Passenderes ein.
Frau Bergliot war tief befriedigt und bedauerte, daß sie sich mir gegenüber eines
Rechtsanwalts bedient hatte, und lud mich zum Essen ein. Vorher durfte ich im
Garten noch zwei Puppenhäuser besichtigen, die so groß waren, daß ihre Enkel in
ihnen herumgehen konnten.
Dann zeigte sie mir ihr Automobil, eine gewaltige Maschine, der sie 14 Tage vor
meinem Besuch bei ihrer Ausfahrt aus Berlin zu einer unbeabsichtigten
Fühlungnahme mit einer Straßenbahn verholfen hatte.
»Ich bin mit diesem Wagen allein bis hierher gefahren. Und da sagt mein Fahrlehrer,
ich könnte nicht Auto fahren, verstehen Sie das?«
Ich verstand es nicht.
Entstehung
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Ihre Äußerungen waren kraftvoll, dynamisch und verständlich. Besonders rückhaltlos
sprach sie über die Presse im allgemeinen und über die norwegische Presse im
besonderen: »Kaum hatte ich wieder einmal norwegischen Boden unter den Füßen,
da fragten sie mich, was ich über Hitler denke. >Ich bewundere ihn nicht nur, ich
liebe ihn!< Ja, das habe ich gesagt, Sie hätten erleben müssen, was dann losging!«
Ich versuchte, endlich auf mein Anliegen zu kommen. Ich kam und kam nicht dazu,
auch nicht während des ausgezeichneten Essens. Erst beim Kaffee konnte ich sie
bitten, meinen Vorschlägen zuzustimmen, und erklärte ihr alles.
Sie akzeptierte sofort und sagte: »Wenn ich gewußt hätte, daß sie so ein
sympathischer junger Mann sind, hätte ich Herrn Abrahamsen gar nicht bemüht.«
»Ihre Zustimmung freut mich ungemein, und ich danke Ihnen von ganzem Herzen
dafür. Sie werden sicher verstehen, wenn ich Sie nach dem vorhergegangenen
Briefwechsel um eine schriftliche Formulierung bitte.«
»Das geht leider nicht so schnell, mein lieber junger Freund. Vorher muß ich noch
mit meinem Mann sprechen.« Auf alles war ich gefaßt, aber nicht darauf, daß sich
der schon seit zwanzig Jahren verewigte Staatsminister Sigurd Ibsen auch noch mit
mir befassen sollte. Ich muß ziemlich dumm ausgesehen haben, als sich
herausstellte, daß die eheliche Gemeinschaft über den Tod hinaus durch die
Mitwirkung von Fräulein Lehmann aufrechterhalten wurde.
Man benutzte dazu einen runden Tisch, ein auf Papierschnipselchen geschriebenes
Alphabet und ein Weinglas. Die beiden Nekromantinnen saßen Abend für Abend im
verdunkelten Mausoleum und unterrichteten Seine Excellenz über die
Tagesereignisse, holten seinen Rat ein und nahmen seine Anordnungen entgegen.
Soviel stand fest: Ohne Sigurd kam es zu keiner Aufführung meiner Oper. Jedenfalls
nicht vor 1956, dem Jahr, in dem die Schutzfrist erlöschen würde.
Mit dem Mute der Verzweiflung flehte ich meine Gastgeberin an, sie möge mir doch
am selben Abend Gelegenheit geben, meinen Fall Seiner Excellenz persönlich
vorzutragen.
»Er spricht kein Wort, wenn außer mir und Fräulein Lehmann noch jemand im Raum
ist. Es hat wirklich keinen Zweck, ich kann Ihnen aber versprechen, daß ich Ihnen die
Entscheidung meines Mannes umgehend mitteilen werde.«
Als sie sah, wie niedergeschmettert ich war, sagte sie: »Er ist ein guter Mensch!«
Die Damen begleiteten midi zur Türe. Als Fräulein Lehmann auf der Treppe wieder
zusammenfuhr, erklärte mir Frau Ibsen das Phänomen: »Mein Schwiegersohn
Gulbransson hat unser liebes altes Fräulein Lehmann im Evakostüm gezeichnet. Ich
habe die Zeichnung hier aufgehängt. Fräulein Lehmann fährt jedesmal zusammen,
wenn sie vorbeigeht. Ihre Nerven sind nicht mehr die besten.« Ich konnte Fräulein
Lehmann gut verstehen, die Zeichnung war sehr realistisch.
Entstehung
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Nachdem ich die Bluthunde, eng an das Fräulein geschmiegt, hinter mich gebracht
hatte, holte ich Elisabeth ab, dankte den gastfreien Björnsons und fuhr nach Hause.
Noch in der gleichen Woche erhielt ich die Mitteilung, daß Frau Ibsen nicht vermocht
hatte, ihren Mann dazu zu bewegen, meine Vorschläge anzunehmen.
Wahrscheinlich hatte er auf einer magischen Leinwand in Walhall oder im Paradies
den »Peer Gynt«- Film mit Hans Albers gesehen, den er das Jahr vorher erlaubt
hatte.
Unsere letzte Hoffnung war Tietjen. Er meinte nur: »Lassen Sie mich das ordnen.«
Wie er es fertiggebracht hat, von der seligen Exzellenz einen tragbaren Kompromiß
zu erreichen, habe ich nie erfahren.
Am 31. Oktober fand die erste Orchesterprobe für die Premiere von »Peer Gynt«
statt, die erste von insgesamt 13 Orchesterproben. Post festum habe ich mir
geschworen, nie mehr als 13 Proben zu einer Premiere zu akzeptieren, sondern
allenfalls 12 oder aber 14.
Um die Zeit dieser ersten Orchesterprobe war »eine bedeutsame kulturelle
Neueinrichtung ins Leben gerufen worden, die der Verständigung zwischen
Kunstschaffenden und Kunstbetrachtern« dienen sollte, ein Einfall des
Propagandaministers. Bei der ersten derartigen Pressekonferenz sprach Professor
Arthur Kusterer über seine vom Deutschen Opernhaus in der Bismarckstraße
angenommene neue Oper »Katharina«. Er bezeichnete »Einfachheit und
Leichtverständlichkeit der musikalischen Sprache als oberstes Gesetz des
Schaffenden«. Das hat er gut getroffen, geholfen hat es ihm nichts. »Werner Egk
war«, die Presse hielt das ausdrücklich fest, »leider durch Krankheit verhindert.«
Trotzdem entkam ich der aufgestellten kleinen Pressemühle nicht, in der jedes
Mißverständnis zwischen Kunstbetrachtern und Kunstschaffenden zermahlen
werden sollte. Am Mittwoch, den 3. November, mußte ich meinen Auftritt im »Haus
der deutschen Presse« nachholen. Die Konferenz begann jedoch nicht mit dem
Thema »Peer Gynt«-Oper, sondern mit Ausführungen über die aktuelle Entwicklung
der Hausmusik. Sehr spannend war das nicht. Vor Beginn der Veranstaltung war der
Saal wie elektrisch geladen, vertrug aber das viele Reden über Hausmusik so
schlecht wie ein Paukenfell den Platzregen. Viele gähnten verstohlen, manche offen.
Ich rieb mir den Nasenrücken und mahlte mit den Kiefern. Als die Musikerzieher
endgültig aufhören mußten zu reden, weil auf ihren Vortrag hin keine einzige kleine
Frage kam, war die Reihe an mir.
Ich war gut disponiert und sprach ohne Manuskript frei von der Leber weg. Die
Spannung stieg wieder an. Ich erzählte: Warum, trotz Grieg, und einiges über das
Wie und das Was.
Entstehung
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Dann kamen die Fragen. Da hatte ein Kunstbetrachter tatsächlich den Klavierauszug
und selbst die Regie-Anweisungen gelesen. »Sie wollen die Trolle also nicht als
Fabelwesen gelten lassen?«
»Nein.«
Das war ihm zu wenig: »Was mißfällt Ihnen an der traditionellen Darstellung der
Trollwelt?«
»Das Gewürge und Gewühle, das sich üblicherweise in den Schauspielaufführungen
des ›Peer Gynt‹ um die Füße des Helden wickelt.«
»Sie wollen also eine andere Impression?«
»Nein, ich will eine andere Expression.«
»Sie schreiben auf Seite 69 des Klavierauszuges, daß die Trolle die »erschreckende
Verkörperung menschlicher Minderwertigkeit sind. Wo finden Sie diese
Minderwertigkeit heute?«
»Heute? Genau wie immer: überall, unten und oben.«
»Wie sehen Sie zum Beispiel das Kostüm eines Obertrolls?«
Ich wurde langsam wütend über seine zielstrebige Hinterfotzigkeit und sagte eiskalt:
»Stecken Sie einen fetten Statisten in Generalshosen, ziehen Sie ihm ein Netzhemd
über und dekorieren Sie das mit einer Menge Orden und Ehrenzeichen, dann haben
Sie ein perfektes Kostüm!«
»Bravo Egk«, kam es gedämpft, aber deutlich vernehmbar aus der Ecke, in der ich
Herrn von der Nüll stehen sah.
Der Frager war bedient. Alle dachten das Gleiche: »Hermann heesst er!«
Die Presse berichtete neutral, der »Angriff« fand meinen speach ironisch und
sarkastisch gewürzt. Das war nicht schlimm. Niemand, der mich verstanden hatte,
konnte es wagen, das zuzugeben. Schon der Gedanke war strafbar. Ein
unschätzbarer taktischer Vorteil für Subversive.
Die Generalprobe am 22. November verlief eindrucksvoll. Die Chefredaktion der
Berliner Illustrierten verständigte mich, daß fünf Seiten Photos von dieser
sensationellen Aufführung erscheinen würden. Am Tage der Uraufführung, am
Donnerstag, den 24. November, hatte »man« ihnen vier davon gestrichen.
Nach der Generalprobe traf der Schweizer Musikkritiker Oboussier unsere Freundin
Agathe von Tiedemann, die damalige Sekretärin Furtwänglers, auf dem Opernplatz
und erzählte ihr, daß die Musikbetrachter gruppenweise, je nach Ausrichtung, die
Köpfe zusammengesteckt hätten. Die einen fürchteten, das Ding könnte ins Auge
gehen, die anderen hofften es. Einer meinte: »Mir egal, fällt mir doch im Traum nicht
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ein, darüber zu schreiben. Ich setzte mich nicht in die Nesseln.« Ein zweiter: »Wir
werden das Schwein schon schlachten.«
Die Gerüchte schwirrten nur so durch die Wandelgänge: Egk hat die Oper gar nicht
selbst geschrieben, sie stammt von dem Emigranten Krenek, der sich hinter dem
Strohmann Egk versteckt. Klatsch. Ein Kunstbetrachter nahm die Sache von der
heiteren Seite und amüsierte sich damit, die Texte zu verdrehen. In der Pause sang
er statt: »Erklärt mir das Warum und Weil«: »Erklärt mir das Warum Kurt Weill.«
Klatsch. »Das Stüde ist ein Schlüsselstück: Der Obertroll Göring, der Ziegenbock
Goebbels und die Kuh La Jana!« Klatsch. Jeder weiß doch, daß der Name der
bildschönen Tänzerin in Goebbels Katalog steht! (Leporello: Madamina, il catalogo e
questo delle belle che ama il padron mio.) Der Ziegenbock favorisiert sie in letzter
Zeit!« Alle fanden meinen »Peer Gynt« ein starkes Stück - oder »ein starkes Stück«.
Die Premiere verlief ohne Zwischenfall. Nur im dritten Bild entrüstete sich eine Dame
im Parkett über den Tanz der Kuh mit dem Ziegenbock: »Eine Kuh hat nichts in der
Oper verloren!« »Wieso sind Sie dann hier?« konterte ein Nachbar. Höflich war das
nicht, aber saftig genug, um den Berliner Klatsch zu nähren. Der Schlußapplaus
steigerte sich bis zu der Anzahl von Vorhängen, welche die heute schon legendär
gewordene »Zauberflöte« am gleichen Ort in der Inszenierung von Gustaf
Gründgens und mit dem »Wunder Karajan« am Pult (von der Nüll in der BZ)
erreichen konnte. Mehr kann man nicht verlangen.
Ahlersmeyer, »unser Mathieu«, war und blieb als Sänger-Darsteller der Titelrolle
unübertroffen. Als ihn das rothaarige Aas in der südamerikanischen Hafenkneipe
lockte und lockte, sang er mit einer mitreißenden Verve ohnegleichen:
»Dein Hähnchen bin ich, dein glückseliges, Pick mich, du kleine Henne, Ei sieh', wie
gern ich renne . . . «
Er war umwerfend als tollgewordenes Mannsbild, als titanischer Übergockel,
erschütternd als Zurückgestoßener, Verschmähter, wie später auf dem Grunde des
Elends.
Seine Partner waren ebenbürtig: Tegetthoff, Rödin, Heidersbach. Nach dem Krieg
war Rödin schon in die Kulissen der Ewigkeit abgegangen, aber ich hatte die
Genugtuung, seiner Frau in Schweden noch einmal durch die Erinnerung an seine
Leistung das Herz zu erfreuen. Frau Heidersbach traf ich um die gleiche Zeit in
Stockholm anläßlich einer Aufführung des Balletts »Abraxas« an der Kgl. Oper. Wir
feierten Wiedersehen, und sie war glücklich über den immer noch nachwirkenden
Glanz ihrer Solveig.
Anschließend an die Uraufführung fuhren wir nach Kopenhagen, genossen das
fabelhafte Büffet auf der Fähre (bei uns wurde Görings »Kanonen statt Butter« schon
groß geschrieben), genossen eine ausgezeichnete Aufführung der »Geigenmusik«
Entstehung
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und ein trotz der Zeitumstände ungetrübtes Wiedersehen mit unserem Freund
Knudage Rijsager, dem großen dänischen Komponisten.
Am 3. Dezember waren wir wieder in Berlin, lasen zustimmende Briefe von Freunden
und Fremden und wußten die folgenden Zeilen besonders zu schätzen:
z. Z. Berlin, den 25-11-1938
Sehr geehrter Herr Werner Egk!
Vor meiner Weiterreise nach Kopenhagen sende ich Ihnen meine herzlichsten
Glückwünsche anläßlich der Uraufführung Ihrer Oper »Peer Gynt«! Ich hatte die
Gelegenheit, der Aufführung beizuwohnen, und ich habe sowohl Ihr Talent, Fantasie
und Schöpfergeist bewundern müssen. Ich glaube, es ist Ihneyi gelungen, eine
Musik etwa im Sinne Peer-Gynt-Ibsen zu schreiben.
Die herzlichsten Grüße!
Bergliot Ibsen
Der verblichene Sigurd wird bei der nächsten Konversation via Lehmann zustimmend
das Tischbein gehoben haben. Vielleicht aber war er auch unsichtbar mit Papa
Henrik neben Bergliot in der Loge gesessen? Wer kann das wissen?
Wir ruderten durch die inzwischen unmäßig angeschwollene Presseflut. Die
skandinavische Presse war wider Erwarten uneingeschränkt positiv. Erstaunlich, ich
hatte ihr literarisches Nationalheiligtum auf den Opernsockel gestellt und das ohne
Unterstützung durch ihren musikalischen Nationalheiligen Edvard Grieg.
Das Gros der deutschen Presse würdigte den Erfolg von Werk und Wiedergabe,
dichtete und trachtete aber so, daß man von ihrer spaltenfüllenden Schreibe sagen
konnte: »Das Unverfängliche, hier wird's Ereignis.«
Nur Herr von der Nüll stellte in der BZ die Grundsatzfrage, ob es erlaubt sei, auf dem
Theater auch die Nachtseiten der menschlichen Existenz darzustellen, und
antwortete ohne Umschweife, es müsse erlaubt sein, weil nur die ganze Wahrheit
Voraussetzung der Kunst sei.
Im »Haus der deutschen Kunst« in München war das nicht erlaubt. Der Künstler
Adolf Hitler hatte dort am Vorabend der Eröffnung der großen deutschen Kunstschau
ein Bild von der Wand gerissen und in die Ecke gefeuert, weil es die Ludwigstraße
bei Nacht zeigte: Regennasses Pflaster, matte Reflexe der Straßenlaternen,
Häuserfassaden, die sich nach oben im Dunkel verlieren. Warum um Gottes willen?
Er sagte es selbst: »Bei uns gibt es kein Dunkel, sondern nur den strahlenden, hellen
Tag.« Das Lichte, Höhere, Erhabene, Erhebende, das war richtig.
Von der Nüll bekam sein Plädoyer für die Darstellung der Nachtzeiten schlecht. Im
Januar 1939 wurde er dafür an den Pressepranger gestellt. Man las in den
»Nationalsozialistischen Monatsheften«, dem Organ »zur weltanschaulichen
Entstehung
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Schulung und Ausrichtung der Partei«: »Immerhin hält der zuständige
Musikbetrachter der BZ eine Linie, die bereits an mehreren hervorstechenden
Beispielen verfolgt werden konnte. Ein durchgreifender Wandel wird hier
unumgänglich sein!«
Lieber, mutiger, töricht tapferer, lebensfroher Freund von der Nüll! Sie hatten dich
schon lange aufs Korn genommen, im Januar hatten sie dich im Visier, bald nach
Kriegsbeginn wurdest du als entbehrlich eingezogen und warst unter den ersten
Opfern des Wahnsinns. Sie haben dich, wie sie selbst zu sagen pflegten,
abgeschossen. Heute weiß kaum noch einer, woran du gestorben bist, ich aber
vergesse es nicht.
Es gab aber auch jemanden, dem die Oper »in die Nase gefahren« war. Wer hatte
denn da so böse im »Angriff«, der Zeitung der »Deutschen Arbeitsfront«,
geschrieben? Irgendein orthodoxer Parteischnüffler? Weit schlimmer: Es war der
Referent der Musikprüfstelle im Propagandaministerium. Entsprechend sah sie aus,
die Bilanz:
Ich stank nach Bert Brecht, den sie verfemt und aus dem Lande gejagt hatten. Meine
Musik stank nach »Verjudung«. Sie stank auch nach »Negermusik«. Ganz
besonders stark und durchdringend stank sie nach der berüchtigten Systemzeit.
Der Zeigefinger des Referenten zeigte auf »brechtisch anmutende Worte« in meinem
Libretto, wies wiederholt hier auf Einflüsse Kurt Weills, des verhaßten jüdischen
Komponisten der »Dreigroschenoper«, deutete lange auf Jazzeinflüsse, blieb auch
bei dem Negerboxer stehen, den das Adlerauge des Referenten im sechsten Bild
entdeckt hatte, und warnte vor der »zweiseelischen Ibsen-Oper mit Allüren aus der
Schreckenskammer der System-Oper.«
Das war alarmierend, und wir wurden nervös. Ein Zivilist in Begleitung eines
Arbeitsdienstführers hatte die Staatsoper während der zweiten Vorstellung unter
lautem Protest verlassen. Das bedeutete aber nichts, es war, wie sich herausstellte,
nur der hoffnungslose Intendant Spring aus Köln. Daß aber zahlreiche, ganz offenbar
interessierte Bühnen um keinen Preis dazu zu bewegen waren, einen Aufführungsvertrag abzuschließen, das bedeutete, daß sie Angst hatten. Angst wovor?
Es gab kein ausdrückliches Verbot und kein offizielles »Unerwünscht«. Es gab im
Gegenteil Versicherungen des Wohlwollens durch Leute, die wissen mußten, was
unter der Decke gespielt wurde. Über dem Ganzen lag wie dichter Nebel ein
ungreifbarer anonymer Widerstand.
Endlich, am Sonnabend, dem 17. Dezember, erhielt ich einen Hinweis. Ein blasser
bebrillter Herr, mir kaum dem Namen nach bekannt, meldete sich: »Ich bin Mitglied
einer maßgebenden Gruppe von Kulturpolitikern. Wir tagen regelmäßig und
bestimmen ›die Marschrichtung‹. Ich komme zu Ihnen, weil mir die Methode nicht
Entstehung
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gefällt, mit der man Sie erledigen will. Übermorgen in der nächsten Aufführung des
›Peer Gynt‹ wird eine Einheit SA in Zivil, verteilt auf alle Platzkategorien, eine Kund
gebung des ›gesunden Volksempfindens‹ veranstalten. Wenn Sie das nicht
verhindern können, sind Sie erledigt. Ich bitte Sie um absolute Diskretion.«
Ich dankte dem blassen Herrn für seine Mitteilung und rannte im Schrecken in die
Oberwallstraße zu Tietjen. Außer Atem flehte ich ihn an, etwas zu unternehmen. Ich
erinnerte ihn an das Staatsopernkonzert im Jahre 1934, in dem Alban Bergs
unerwünschtes Werk »Fünf Stücke aus Lulu für den Konzertgebrauch« von Kleiber
uraufgeführt wurde. Wie man sagte, unter dem Schutz von dreihundert
Geheimpolizisten in Zivil. Damals wurde doch auch eine organisierte Kundgebung
des »gesunden Volksempfindens« verhindert.
»Nein«, sagte Tietjen, »diesmal werde ich nichts unternehmen.« »Aus welchem
Grund, bitte?«
Er antwortete nur mit zwei Sätzen: »Wir stehen unmittelbar vor einem Krieg, der
verloren ist, bevor er begonnen wird. Sie und ich, wir beide werden nach dem Krieg
eine starke Position haben, wenn sie uns jetzt herausschmeißen.«
Ich war verzweifelt. In meiner Angst rief ich den blassen Herrn an und bluffte: »Am
Montag werden dreihundert Geheimpolizisten im Haus unter den Linden wirksam für
Ruhe sorgen.«
Wir bedankten uns gegenseitig, dann wurde aufgelegt.
Am Sonntag jagten Motorradstaffetten der SA durch Berlin und bliesen das
Unternehmen Staatsoper ab. Nur ein paar SA Leute waren nicht erreichbar und
fingen am Montag während meiner Aufführung an, Krach zu machen. Sie wurden
niedergezischt. Als sie merkten, daß etwas nicht nach Plan gegangen war, blieben
sie stumm. Hinterher war alles sehr komisch.
Auch im Januar warteten wir vergeblich auf einen Vertragsabschluß mit einem der
interessierten Opernhäusern. Dafür wurden in der Januar-Nummer der »NSMonatshefte« nicht nur von der Nüll, sondern auch ich an den Musikpranger gestellt.
Ich war ein »schlimmerer Grenzfall als Strawinsky«. Mein Fall mußte »ganz anders
beurteilt werden, wenn weitere Bühnen des Reiches die Neigung zeigen, diesen
›Peer Gynt‹ herauszubringen«. Das war eine unverhüllte Drohung. Wir konnten nicht
mehr schlafen, fühlten uns wie in einen Kohlensack geschnürt, mit Bleiplatten auf der
Brust.
Wir dachten nach, was die anonymen Späher notiert haben konnten: Meine
»unselige, pazifistische Weltanschauung« anläßlich der Konzertaufführung von
»Furchtlosigkeit und Wohlwollen« mit Hermann Scherchen am Pult, den
»kommunistischen Musikrummel«, in dem »der ganze Klüngel wieder einmal
wunderschön beisammen« war, einschließlich Egk und Scherchen, das »Unheil«,
das Arnold Schönberg in meiner musikalischen Sprache angerichtet hatte, die
Entstehung
_____________
»Wirkungen des Sowjetstern auf unser Kulturleben«, die ich begünstigt hatte - und
das in den Spalten der Zeitschrift »Völkische Kultur« (1934-1936), schließlich die
»Meistersingerparodie« in der »Zaubergeige« und »Schönberg und Strawinsky«, die
mich »als Paten meiner Musik« in Köln kompromittiert hatten . . .
Bisher hatte man immer nur Stinkbomben, drei Stück zu zwanzig Pfennig, geworfen.
Auch durch Tietjens Bemerkung, der Krieg stehe vor der Tür, waren wir
niedergeschmettert. Die »Geheime Reichssache«, die uns unter dem Datum des 17.
August ins Haus geschneit war, kam uns wieder hoch, der Fragebogen mit den
Rubriken »Wehrpaß«, »Zuständige Wehrersatzdienststelle«, »Tauglichkeitsgrad«
und »Kriegsbeorderung«. Damals hatte mir Elisabeth einfach verboten, einem
eventuellen Gestellungsbefehl Folge zu leisten. Ich glaubte nicht an diese
Möglichkeit, aber sie sagte: »Wenn du in diesen Krieg gehst, sind wir geschiedene
Leute.« Dabei blieb sie auch im Januar 1939, als es dann soweit war. Die Monate
nach der glanzvollen Uraufführung waren ein Alpdruck.
Werner Egk
_____________
Der Fall Werner Egk
Ein trauriges Beispiel für eine traurig kompromittierte Generation
von Fred K. Prieberg, DIE ZEIT, 25. April 1969 07:00 Uhr
Herr Professor Werner Egk, der berühmte Komponist, hatte kein Verständnis für den
Zorn eines jungen Mannes; am 27. Februar erwirkte er eine Einstweilige Verfügung
gegen den Carl Hanser-Verlag in München und gegen den in Amsterdam lebenden
Komponisten Dr. Konrad Boehmer. In einem von Hanser publizierten Sammelband
»Kritik / von wem / für wen / wie« hatte Boehmer behauptet, Egk sei »eine der
übelsten Figuren nationalsozialistischer Musikpolitik« gewesen.
Das ist ein schwerwiegender Vorwurf, berührt er doch in Jahrzehnten gewachsene
und durch gesellschaftliches wie künstlerisches Renommee gefestigte Autorität.
Die Anwälte des Verlages, verschreckt durch den Streitwert von 30 000 Mark, ließen
sich auf einen Vergleich ein. Das Buch soll weiter verkauft werden – und sei es mit
einem dicken, schwarzen Strich statt jener schlimmen Worte.
Wußte Boehmer nicht, was er schrieb? Wer ihn als zwar hitzigen, aber klaren und
reflektiven Geist kennt, weiß, daß er die Quellen studiert hat. Wenn er den
Wahrheitsbeweis antreten soll, wird er das faszinierend-schillernde Bild einer
Generation entwerfen, die sich – halb gezogen, halb hingesunken – von Politikern
korrumpieren ließ.
Darauf nämlich läuft Egks Biographie der Zeit von 1933 bis 1945 am Ende hinaus:
Sie muß die Stationen des Erfolges nachzeichnen, den Höhenflug einer Karriere
skizzieren, immer eingedenk der Tatsache, daß niemand im Dritten Reich Karriere
machte, den die Nationalsozialisten nicht wollten. Sie muß Ausflüchte und
Entschuldigungen werten, Motive durchschauen. Sie muß das Unverständnis der
Jugend – Boehmer, Jahrgang 1941, zählt zu den glücklicherweise Zuspätgeborenen
– angesichts der Behauptung formulieren, daß es möglich gewesen sein soll,
antinationalsozialistisch gedacht und gehandelt und gleichwohl 40 000 Mark im Jahr
verdient zu haben... so wie Egk.
Egk war nicht Mitglied der NSDAP. Daher konnte er dem Gericht jenen Bescheid
vorlegen, mit dem die Spruchkammer München-Land ihm am 17. Oktober 1947
bestätigt hatte, er sei nicht vom Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und
Militarismus betroffen. Das Protokoll zeugt für die Fragwürdigkeit solcher Verfahren.
Der »Persilschein« war alles, und so hörte die Kammer freundliche Worte von
Heinrich Strobel, dem Herausgeber der Musikzeitschrift »Melos«, von dem
Dirigenten Hans Rosbaud und anderen, darunter den Kollegen Erich Kloss, einst
Dirigent des NS-Reichssinfonieorchesters, Fritz Büchtger, Schöpfer zweier
Parteikantaten, Hans Sachse, der Reich und Führer damals ebenso eifrig besang,
und Wilhelm Gutknecht, Landesleiter der Reichsmusikkammer, wiewohl er sich der
Spruchkammer bescheiden als »Referent« vorstellte. Von Befangenheit keine Spur!
Werner Egk
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Die Spruchrichter folgten dem Gesetz. Dennoch mahnten sie: »Jeder, der seine
Leistung und seinen Namen dem Nationalsozialismus zur Verfügung stellte, hat
damit eine Schuld auf sich geladen. Auch Egk kann dieser Vorwurf nicht erspart
werden.«
Es ist eben der Vorwurf, den Konrad Boehmer in weniger wohlgesetzten Worten
erhob, und ihm, dem Journalisten der linksradikalen Zeitung »Vrij Nederland«, ist
berechtigtes Interesse zuzubilligen – wie der ganzen Jugend, die wissen möchte,
wie tapfer oder wie feige die Väter einmal waren.
Feigheit steht nicht im Strafgesetzbuch. Boehmer, selber mit einem
nationalsozialistischen Erzeuger behaftet, tritt natürlicherweise als Moralist auf.
Er weiß, daß die tapferen Väter an ihrer Tapferkeit starben. Werner Egk war 1933
auf dem Weg nach oben, zu weit oben, als daß es ihn gelüstete, tapfer zu sein.
In seinem Antrag gegen Boehmer und den Verlag heißt es freilich: »Er wurde nicht
Mitglied der Reichsmusikkammer, weil er aus passivem Widerstand den
Ariernachweis nicht erbracht hatte.«
Richter sind keine Historiker. Sonst wüßten sie, daß jeder Komponist pauschal durch
einen Fragebogen die vorläufige Mitgliedschaft der RMK erhielt. Der dann verlangte
arische Nachweis zog sich hin, und selbst 1939 hatte nur ein Teil der
Musikschaffenden ihn erbracht. Aber zu der Zeit war Egk als Staatsoperndirigent
schon in der Reichstheaterkammer, und das genügte. Passiver Widerstand, der sich
so dokumentieren ließe? Da sind die Artikel, die Egk für das Hetzblatt »Völkische
Kultur« schrieb, darunter ein eilfertiges Lob auf Eichenauers berüchtigtes Buch
»Musik und Rasse«, und das war kein Organ, das Antifaschisten auch nur ein Wort
gegönnt hätte. Da sind die Verlautbarungen und Reden als Führer der Fachschaft
Komponisten in der RMK, darunter die Ansprache bei den Kulturtagen der HJ 1942
in Salzburg: keine Huldigungen an Hitler, aber taktisch formuliertes Einerseitsandererseits, und zuweilen eine Erinnerung an die »neue Zeit«.
Da fiel auch – im »Völkischen Beobachter« ausgerechnet – das Stichwort »Musik
und Politik«, nämlich so: »Nach einem Gesundungsprozeß ..., der sich überall
fühlbar anzeigt, hoffen wir auf die Vermählung einer idealen Politik mit einer realen
Kunst, damit sich in unserm Leben alles dorthin wenden möge, woher es seine
Kräfte zieht: zum Guten, Wahren, Gerechten und Schönen.«
Klingt so die listig verschlüsselte Sprache des Widerstandes?
Egks künstlerische Karriere – o ja, von kleinen Funktionären und niederen
Dienststellen ab und an mißtrauisch betrachtet – spiegelt sich in seinem
Werkverzeichnis. Aber einiges fehlt darin. Nicht die Opern, deren eine Hitler so gut
gefiel, daß er dem Komponisten 1939 durch Goebbels einen mit 10 000 Mark
dotierten Kompositionsauftrag zukommen ließ. Nicht die Orchesterstücke, von denen
zwei im 6. Frankfurter Museumskonzert 1935
Werner Egk
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statt des »entarteten« Hindemith und eines 1943 beim 3. Konzert des
Stabsmusikkorps des SS-Führungshauptamtes erklangen. Nicht die Vertonung von
Klopstocks Hymne »Mein Vaterland« (1937), die im Dritten Reich eben nicht harmlos
war und prompt in dem Goebbelschen Propagandafilm »Das deutsche Lied« ihre
Rolle spielte. Nicht einmal die Musik zu dem Festspiel »Olympische Jugend«, ein
Auftrag Hitlers für die Olympiade 1936, belohnt mit einer Goldmedaille.
Der Historiker vermißt allerdings die Musik zu dem nationalen Mysterienspiel »Job
der Deutsche« (1933), zu Weinhebers großdeutschem Weihespiel »Die hohen
Zeichen« (1939) und namentlich zu dem Propagandastreifen »Blaue Jungs« (1941)
mit dem schwungvoll-demagogischen »Marsch der deutschen Jugend« – und er
rätselt, wie wohl ein überzeugter Anhänger Hitlers Regimetreue demonstrieren
konnte, wenn schon ein Antifaschist sich so überzeugender Tarnung bediente.
Und dann Egks Auslandsgastspiele. Etwa im besetzten Paris und in Prag. In der
Presse stand damals, welchen Sinn sie hatten: Kulturpropaganda für NSGroßdeutschland und eine europäische Fronde gegen die »jüdisch-bolschewistische
Weltpest«.
Der Historiker weiß, daß kein Künstler der Kompromittierung durch das Regime
entrinnen konnte, wenn er tätig sein und Erfolg haben wollte. Wer war so treuherzignaiv, zu glauben, er allein sei keine »Figur nationalsozialistischer Musikpolitik«?
Die totale Lenkung nutzte jeden Künstler als Objekt. Seine Kunst war der Partei
nützlich – oder sie wurde als »entartet« verboten und totgeschwiegen.
Boehmers Attacke gegen einen Mythos hat gewiß vielerlei Ursachen. Egk ist ein
mächtiger Mann. Er verabscheut junge Avantgardisten. Die Kürzung der Münchner
Musica-Viva-Konzerte brachte er zuwege, indem er dem musikhistorisch
ahnungslosen, aber den Etat bestimmenden Aufsichtsgremium ein »schlimmes«
Werk von György Ligeti vorspielte. Er hätte dabei auf eine alte Begründung
zurückgreifen können. »Ist die Ausscheidung aller jener Werke vollzogen, die auf
keinen Fall aus einer inneren Beziehung zu den Triebkräften der Zeit entstanden
sind, dann erst wird man zu den geeigneten Werken vorstoßen. Diese werden...
beweisen, daß sie ebenso weit entfernt sind von den zergrübelten, resignierten,
quälenden oder sentimental-erotischen Zuständen wie von einem künstlich
gemachten ›dionysischen‹ Pathos eines vergangenen Gehirnmenschentums, als sie
wieder beginnen, aus dem gesunden und harmonischen Ebenmaß von Körper,
Seele und Geist zu wirken.«
Also schrieb Egk 1936, und die Zeit, die er meinte, war Hitlers Zeit. Wir leben heute
in einer anderen Epoche. Und wer wollte es Konrad Boehmer verdenken, daß ihm
stellvertretend für seine Generation übel wird angesichts einer solchen Biographie?
Eine Einstweilige Verfügung ist fürwahr ein zweischneidiges Ding.
Werner Egk’s Peer Gynt in Berlin 1938: Opera and Politics
Clemens Risi
__________________
erschienen in: Erika Fischer-Lichte/Barbara Gronau/Christel Weiler
(Hrsg.): Global Ibsen. Performing Multiple Modernities, New
York/London: Routledge, 2011, S. 176-187.
Summary
Werner Egk’s opera Peer Gynt premiered at the Berlin Staatsoper in November
1938. Seventy years later the composer and his opera’s relationship to the Nazi
regime still remains unclear. Writings dealing with Egk and his Peer Gynt can be
divided into two opposite camps. One argued that Egk’s intention was to criticize the
Nazi regime by using so-called ‘Entartete Musik’ (degenerate music) for the troll
world. Yet, it seems highly unlikely that the composer and conductor of an institution
as prominent as the Berlin Staatsoper would have been in a position to openly
criticize the Nazi regime as late as 1938. Indeed, the opposite camp saw Egk’s
project as part of a general trend encouraged by the Nazi regime to maintain a clear
racial distinction between good and evil and propagate the concept of the Nordic
hero. This article does not aim to pass a definite verdict on whether Egk supported or
opposed the Nazi regime. Instead, I wish to discuss whether and to what extent
music is at all capable of conveying political meaning. My aim is to demonstrate the
potential within Ibsen’s Peer Gynt and Egk’s musical setting of it, interpreted and/or
applied in such diametrically opposed ways.
****
“Now Peer Gynt … is a great play: a masterpiece of Norwegian literature, as Faust is
a masterpiece of German literature … [L]ike Faust, again, it is full of scenes that
haunt a composer and compel him to give them musical expression.”1
It was the critic and playwright George Bernard Shaw who was eager to experience
the great musical potential of Ibsen’s play. But after having listened to the incidental
music by Edvard Grieg, Shaw was anything but pleased. He was of the opinion that
Grieg, “… being only a musical grasshopper in comparison with the musical giant of
Bayreuth, … could only catch a few superficial points in the play instead of getting to
the very heart and brain of it”.2
1
Shaw, George Bernard, “Bassetto’s uncle and Peer Gynt” (The Star, 16 March 1889), in (ed.: Dan H.
Laurence) Shaw’s Music. The complete musical criticism in three volumes, London: The Bodley Head,
1981, vol. 1, 579.
2
Shaw, “Music for the theatre” (The World, 27 January 1892), ibid., vol. 2, 527.
Werner Egk’s Peer Gynt in Berlin 1938: Opera and Politics
Clemens Risi
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It is possible that this dissatisfaction with the existing Peer Gynt composition led the
protagonist of this article, the German composer and conductor Werner Egk (190183), to undertake a musical setting of Ibsen’s Peer Gynt. The result was an opera,
which premiered at the Berlin Staatsoper in 1938. Whether Egk managed to capture
the very “heart and brain” of Ibsen’s play is impossible to say. Instead I will focus on
Egk’s own vision for Peer Gynt and its placement within the political climate at the
time.
****
“Werner Egk is among the most well-known and controversial figures of the musical
life of National Socialist Germany.”3 During the Nazi dictatorship, he quickly built an
impressive career as a conductor and composer. His first big success, Die
Zaubergeige, adapted from Franz Graf von Pocci, premiered in Frankfurt am Main in
1935. It earned Egk the admiring support of the artistic director of the Preußisches
Staatstheater, Heinz Tietjen, who commissioned him to compose a new opera for the
Staatsoper - Peer Gynt.
Evidently, Tietjen was not the only one impressed by Egk’s work. After attending a
performance of Peer Gynt in 1939, Joseph Goebbels and Hitler expressed their
appreciation, with the latter inviting Egk to his box in order to congratulate him on his
opera.4 Egk had previously won a gold medal for his musical composition of the
festival piece Olympische Jugend at the 1936 Olympic Games.5 In 1941 he
composed the music for the UFA film Jungens, which included the “Marsch der
Deutschen Jugend” (“March of the German Youth”), subsequently adopted by the
‘Hitlerjugend’ (Hitler Youth) with its chorus: “Onward! Onward! The flag waves before
us! Greater Germany is the name of our proud ship; we stand upon her one and all!”6
3
“Werner Egk gehört zu den bekanntesten und umstrittensten Gestalten des NS-Musiklebens.”
Englert, Uwe, Magus und Rechenmeister. Henrik Ibsens Werk auf den Bühnen des Dritten Reiches,
Tübingen: A. Francke, 2001, 204.
4
Egk always contested this claim; cf. Walter, Michael, “Hitler in der Oper. Der ‘Führer’ und Werner
Egks Peer Gynt”, ibid., Hitler in der Oper. Deutsches Musikleben 1919-1945, Stuttgart & Weimar:
Metzler, 1995, 175; cf. Prieberg, Fred K., Musik im NS-Staat, Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch
Verlag, 1982, 320.
5
Egk, Werner, Die Zeit wartet nicht. Künstlerisches, Zeitgeschichtliches, Privates aus meinem Leben,
München: Goldmann, 1981, 257-8.
6
“Fahren! Fahren wir! Die Fahne weht voran! Groß-Deutschland heißt unser stolzes Schiff, drauf
steh’n wir Mann für Mann!“, Englert, op. cit., 205; cf. Prieberg, op. cit., 25.
Werner Egk’s Peer Gynt in Berlin 1938: Opera and Politics
Clemens Risi
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Illustration 1: Werner Egk: “Marsch der Deutschen Jugend” (1941), in:
Prieberg, F. K., Musik im NS-Staat, Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch
At the end of the war, Egk tried with considerable success to veil, distort, or
reinterpret his involvement with the Nazi leaders. He was acquitted on his second
appeal at his denazification trial and went on to rapidly rebuild a successful career in
post-war Germany. He held the post of professor and director at the Hochschule für
Musik (now Universität der Künste) in Berlin from 1950-3 and was awarded the Order
of Merit of the Federal Republic of Germany, one of the highest honors awarded for
special services rendered to the country. In view of the research available at the time,
it seems evident that Egk was, in the words of Michael Kater, an “enigmatic
opportunist.”7
****
But let us return to Peer Gynt. How did Werner Egk arrive at this particular choice for
his opera commissioned by the Berlin Staatsoper? According to his presumably
somewhat unreliable memoirs of 1973 (memory, as we know, can be selective and
very creative), he was looking for material on the theme of the prodigal son.8
It seems much more likely, however, that, on being given the opportunity to create
his first opera on the most important opera stage of the Third Reich, he wanted to
jump on the bandwagon and cash in on the success of Ibsen, especially Peer Gynt.
While the play’s popularity was not restricted to the National Socialist era, it was
particularly well received during that time.
Henrik Ibsen’s plays always played an important role on German stages.
Between 1936 and 1940 - the period of the conception and first performances of
Egk’s production - Peer Gynt was the most performed play of the Third Reich along
with Hamlet.9 Of all the translations available in the Third Reich - including those by
Ludwig Passarge, Christian Morgenstern, and Dietrich Eckart - Eckart’s translation
was chosen most of the time.10
Dietrich Eckart wrote his version in 1911 to provide an alternative to the
then widely used Morgenstern translation, which was too literal for his taste.
Eckart’s new translation clearly dominated and dictated the Third Reich’s perceptions
of Peer Gynt. Dietrich Eckart, Hitler’s mentor and friend, died nine years before
7
Kater, Michael H., “Werner Egk. The Enigmatic Opportunist”, in id., Composers of the Nazi Era, New
York & Oxford: Oxford University Press, 2000.
8
Cf. Egk op. cit.
9
Englert, op. cit., 133.
10
Ibid., 136-7.
Werner Egk’s Peer Gynt in Berlin 1938: Opera and Politics
Clemens Risi
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Hitler’s rise to power; however, he played a significant role in the formation of
National Socialist ideology. Goebbels and Hitler called Eckart a “pioneer advocate of
a clear and intellectually superior anti-Semitism.”11
Eckart’s version of Peer Gynt not only became the most performed play during the
Third Reich; it was also the first choice when plays were selected for special National
Socialist holidays such as the day of remembrance of the fallen at Feldherrnhalle (9
November), the day of Hitler’s rise to power (30 January) and, last but not least, the
Führer’s birthday (20 April). Performances of Eckart’s Peer Gynt translation with
Grieg’s music were staged for the leisure organization ‘Kraft durch Freude’ (Strength
through Joy) (as was Egk’s opera). The 1936 production of Eckart’s translation was
presented on a daily basis to 3.300 spectators at the Theater des Volkes, an official
stage of the ‘Deutsche Arbeitsfront’ (German Labor Front),12 formerly known as Max
Reinhardt’s Großes Schauspielhaus or Circus Schumann. Peer Gynt performances
such as those presented at the Reichstheater-Festwoche (Reich’s Theater Festival)
in 1934 were celebrated by the press for their ideological doctrines. A review in the
Völkischer Beobachter brought these performances into direct association with the
“Nordic character, selective breeding and racial hygiene” propagated by Alfred
Rosenberg.13
The specific adaptation of literary material is always a prerequisite for political
absorption. What was so remarkable about the Eckart translation in the context of the
Third Reich’s ‘Peer Gynt climate’? Eckart produced a tendentious reinterpretation of
the material, which in many ways arrived at the right time for National Socialist
ideology. From the very beginning, Eckart considered Peer Gynt an exceptional
genius.14 He emphasized the Nordic origins of Peer Gynt, calling him the “Heir to the
Vikings.” To support his characterization of the superhuman genius in spite of many
episodes to the contrary, Eckart inserted the negative episodes as if they were taking
place in a dream world.15
Ibsen’s original passages were altered to highlight the conflicts between Peer and his
surroundings.16 The racist undertone is also evident in numerous passages in the
11
“Vorkämpfer eines klaren und geistig überlegenen Antisemitismus.” Ibid., 138, footnote 61.
Ibid., 190-1.
13
Völkischer Beobachter [Berliner Ausgabe], 31 May 1934, quoted in Englert, op. cit., 190.
14
Englert, op. cit., 68.
15
Ibid., 70.
16
Ibid., 75.
12
Werner Egk’s Peer Gynt in Berlin 1938: Opera and Politics
Clemens Risi
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translation, such as when Peer Gynt resists his transformation into a troll by arguing
that he does not want to spend the rest of his life “with bulging lips.”17
In his recent study on Ibsen productions of the Third Reich, Magus und
Rechenmeister: Henrik Ibsens Werk auf den Bühnen des Dritten Reichs, Uwe
Englert clearly points out the tendency towards anti-Semitism in the troll scenes,
already in stagings of the first decades of the twentieth century. The performance at
the Königliches Schauspielhaus in Berlin in 1914 with Max Pohl in the role of the troll
king, delivering his lines with a Yiddish accent and intonation, serves as a clear
example here.18
****
While Werner Egk might not have used Eckart’s translation as the basis for his
opera, instead choosing to write his own version “freely redesigned, based upon
Ibsen,” he also never expressly distanced himself from that translation.19 In either
case, we must assume that his opera would have been received within the
framework of the prevalent ‘Peer Gynt climate’, which was dominated by Eckart’s
version. Moreover, as Englert has pointed out, some blatant similarities between the
two versions remain. Werner Egk’s version of the text reduced Ibsen’s original to
three acts and nine scenes.
Several scenes, such as the episodes in Cairo, and a number of characters such as
“the tall crooked one” or “the thin one” are omitted completely. Egk also shifted the
scenes with the vendors in Morocco to Central America. The desert scenes with
Anitra were amalgamated into a single scene set in a Central American harbour bar
with a female dancer identical to the daughter of the troll king. Egk cut many of the
characters or merged them into one, thereby focusing on the conflict between the evil
troll world (including, in a sense, the act set in Central America) and the good world
of Solveig. This focus on the conflict, simplifying the plot into a clear distinction
between good and evil, can already be found in the Eckart translation. Absent in
Ibsen’s play, the antithetic nature of the characters is obvious in both Eckart and Egk.
Alice N. Benston considers the absence of antagonistic structures to be a
distinguishing mark of Ibsen’s work: “The antithetical pairing of character types that
Ibsen used so prominently before … is absent here.”20 In contrast, Englert identifies
17
“mit hängender Lippe”; ibid., 76.
Ibid., 80-2.
19
Cf. Schneider, Frank, “‘...nach langer Irrfahrt kehrst du dennoch heim...’. Werner Egks Peer Gynt.
Ein musikalischer Fall zur Dialektik der Anpassung”, Beiträge zur Musikwissenschaft, 1986, vol. 28,
12.
20
Englert, op. cit., 209 and footnote 376, with reference to Benston, Alice N.: “Ambiguity, Discontinuity
and Overlapping in Peer Gynt”, Modern Drama 2, 1984, vol. 27, 160.
18
Werner Egk’s Peer Gynt in Berlin 1938: Opera and Politics
Clemens Risi
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the following feature in the two translations: “In both versions, the polarized structure
ultimately escalates into a competition between Peer and the trolls, with Peer as
victor.”21 Egk himself wrote: “The end of my opera libretto signifies the final victory of
the positive, and the definitive and devastating defeat of all that belongs to the world
of the trolls - those driven by base desires, the low, the common and the negative.”22
Another similarity between the Egk and the Eckart version is the active role of Peer
Gynt, culminating in his decision to go to Solveig and plead for forgiveness and
salvation.
Illustration 2: Werner Egk: “Peer Gynt”, Staatsoper Berlin (1938): Final
Scene, in: 200 Jahre Staatsoper im Bild. Aus Anlaß des 200jährigen
Jubiläums der Berliner Staatsoper hg. von Julius Kapp, Berlin 1942, 195.
Peer Gynt’s desire and will to act was underlined by Egk himself in the article he
wrote to introduce his opera: “Peer Gynt is not saved by Solveig; the act that allows
him to escape the danger of sinking into a sea of vileness and meanness is his own
act, and the decision which allows him to become human is his own decision …”23
Egk the librettist used simplification in order to intensify the conflict between good
and evil, thus providing Egk the composer with the best conditions for working with
musical contrasts. Traces of the influence of Egk’s musical role models Richard
Strauss, Carl Orff, and Igor Stravinsky (to a lesser degree) are evident. In the very
first scene, Egk clearly set the angelic Solveig apart from the crude wedding guests
surrounding her in Haegstad. Egk contrasted the rhythmically heavy dance with high,
sustained soprano tones in unison with the harp, celesta, flute, and glockenspiel.24
The sentimental exaggeration of Solveig culminated in the finale, which some critics
deemed kitschy. It was a streamlined, folksy song in the style of a repetitive cradle
song. Its soporific effect, however, was ruptured by two forceful outbursts in high b
flats, potentially reawakening even the sleepiest of spectators. The final tones were
dedicated to Solveig, transcending to other spheres, a willingly sacrificial woman and
mother.25 However, the most controversial scenes even at the time and then later in
the field of research referred to the troll world.
21
Englert, op. cit., 209-10.
“Der Schluß meines Opernbuches bedeutet einen endgültigen Sieg des Positiven und eine
endgültige und vernichtende Niederlage alles dessen, was zur Welt der Trolle, zur Welt des Niedrigen,
Triebhaften, Gemeinen und Negativen gehört.” Egk, Werner, “Werner Egk über seinen ‘Peer Gynt’”, in
Programmheft der Berliner Staatsoper zu Peer Gynt, 24 November 1938, 8; cf. Englert, op. cit., 210.
23
“Peer Gynt wird nicht von Solvejg erlöst, die Tat, durch die er der Gefahr entgeht, im Meer der
Niedrigkeit und Gemeinheit unterzugehen, ist seine eigene Tat, und die Entscheidung, durch die er
zum Menschen wird, ist seine eigene Entscheidung …” Egk, op. cit.,8; cf. Englert op. cit., 209.
24
Egk, Werner, Peer Gynt. Vocal score, Mainz: Schott, 1966 [1938], 10-2.
25
Ibid., 243-5.
22
Werner Egk’s Peer Gynt in Berlin 1938: Opera and Politics
Clemens Risi
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Illustration 3: Werner Egk: “Peer Gynt”, Staatsoper Berlin (1938): Halle
des Alten, in: 200 Jahre Staatsoper im Bild. Aus Anlaß des 200jährigen
Jubiläums der Berliner Staatsoper hg. von Julius Kapp, Berlin 1942, 195.
Here Egk’s musical language was richly tinged by innuendo, falling back on music
which was labeled ‘degenerate’ according to the 1938 doctrine. Egk quoted and
parodied the musical entertainment of the 1920s: dances such as the Charleston and
Tango,26 the song and ballad style of Kurt Weill,27 and Jazz devices such as the
muted trumpet and saxophone licks, an indirect but unmistakable quote from
Jacques Offenbach’s Cancan.28 When the troll king first entered with his daughter,
Egk had the pair “accompanied by a muted trumpet in a drawn-out singsong, sliding
around between a few tones, as if a Rabbi were preparing to sing the liturgy,” 29 a
fitting description of singing in Jewish Synagogues in 1933: “the oriental pulling,
stretching and sliding of the tones with melismas and the use of falsetto.”30
****
As this collage of forbidden and ‘degenerate’ music fades we are faced with the
underlying problem of this opera. For the real question raised by the issue of the troll
world is one which has kept research on Werner Egk alive until today. In an
autobiography written in his later years, the composer conveniently sought to steer
the answer in a particular direction. Who were the trolls meant to represent? Who
was meant to be denounced with the help of the highly virtuosic and (judged by the
style of the time) satirical music? In principle, critics agree that the music was
intended as a denouncement; they don’t, however, agree on the question of who was
being denounced. Egk and the well-meaning circles around him have tried to imply
that the trolls represented the Nazi rulers and their supporters. In the sharpest of
contrasts, the opposing party advocated the opinion that the opera and therefore its
composer used the troll scenes to denounce - in complete conformity with the system
- so-called ‘racially inferior’ people, specifically the Jews. The starting point is clear:
Egk hid behind the mask of ‘degenerate’ music in order to denounce people who, in
one of his stage directions, he himself called “frightening embodiments of human
inferiority”.31
26
Cf. Walter op. cit., 178; Egk, op. cit., 142-3.
Cf. Schneider, op. cit., 16.
28
Englert, op. cit., 212; cf. Toussaint, Ulrike, Studien zu den Opern Werner Egks, Mainz: Are Musik
Verlag, 2005, 141-2; Egk, op. cit., 81, 83.
29
Schneider, op. cit., 15.
30
Prieberg, op. cit., 85; cf. Schneider, op. cit., 15; Egk, op. cit., 37-9.
31
“erschreckende Verkörperung menschlicher Minderwertigkeit”, Egk, op. cit., 69.
27
Werner Egk’s Peer Gynt in Berlin 1938: Opera and Politics
Clemens Risi
__________________
Illustration 4: Werner Egk: “Peer Gynt”. Vocal score, Mainz: Schott, 1966
[1938], 69.
According to Egk’s stage directions this group included “a crowd of pushy, pedantic
people, dull-witted brutes, sadists and gangsters of all shades. They wear battered
clothing, part bourgeois, part old, cast-off official outfits or shreds of uniforms.”
Complicating the matter is the question of whether the composer was attacking the
system with the very music it rejected, hoping that the system was not paying too
close attention, or whether he was simply taking the system’s line to characterize and
denounce the people it rejected as degenerates.
A costume sketch of the troll king seems to give an iconographic clue as to how the
artists working at the Frankfurt Opera House in 1940 interpreted the troll scenes: the
troll king bears a yellow star on his jacket.
Illustration 5: Werner Egk: “Peer Gynt”, Oper Frankfurt (1940): Der Alte;
Production: Herbert Decker, Stage Design: Helmut Jürgens, Costume
Design: Charlotte Vocke; in: Englert, U., Magus und Rechenmeister.
Henrik Ibsens Werk auf den Bühnen des Dritten Reiches, Tübingen: A.
Francke, 2001, ill. 19.
Far from providing answers, however, this fact further obscures the matter; it is all too
tempting to jump to conclusions when confronted with the costume sketches in
Englert’s book. While the star is yellow, it is five-pointed and hence a pentagram - not
a hexagram. Thus, it clearly refers to that occult sign whose magical properties are
rooted in popular belief and are supposed to ward off evil. The pentagram is
mentioned in Faust, for example. However, it is hard to shake off my first association
of that sign with the yellow Star of David used during the Nazi regime to label
someone as Jewish. As of November 1939, all Jews in German-occupied Poland had
to wear the yellow Star of David; in the German Reich, however, this law was not
passed until September 1941.
****
Music, as a highly arbitrary system of signs, has the potential to be assigned all sorts
of possible meanings and is therefore perfectly suited to be pressed into the service
of diverse causes. That this could happen in a single play, indeed within a single
Werner Egk’s Peer Gynt in Berlin 1938: Opera and Politics
Clemens Risi
__________________
scene, is highly unusual, if not unique. Here, the same music has been interpreted as
serving two factions that could not be further removed from one another.
In Egk’s case, the ideological framework of the National Socialist era gave rise to this
peculiar situation. The entanglement of artists and their work in this ideological
framework burdened not only the artists and their art, but continuously compels
critics and researchers to take sides and strive to find clear and definite answers,
allowing them to categorize political stances.
Faced with the necessity to take part in this search for reasons, stances, and
ideological involvements, it is crucial to avoid drawing premature conclusions which
seem to present themselves. Instead, one must remember the existence of multiple
histories, especially in such an ephemeral sphere as theatre, where as many
different meanings may emerge out of a single performance as there are spectators
watching it. Particularly in the case of Peer Gynt, the level of ambiguity makes
researchers diligently return to the scene in an effort to find definitive answers.
Ambiguity functions as a blank or gap which motivates them to dig deeper in an effort
to fill it. It describes a never-ending circle or spiral that revolves around the same
coordinates (in Egk’s case anti-Semitism, racism, and National Socialist critique) but
will not come to a halt.
____________________________
32 “eine Versammlung von Strebern, Pedanten, Beschränkten, Rohlingen, Sadisten und Gangsters
aller Schattierungen. Sie tragen heruntergekommene menschliche Kleidung, zum Teil Bestandteile
bürgerlicher Kleidung, zum Teil veraltete, abgelegte Amtstrachten oder Uniformstücke“, ibid.
Bibliography
_______________
Benston, A. N., “Ambiguity, Discontinuity and Overlapping in Peer Gynt”,
Modern Drama 2, 1984, vol. 27, 157-173.
Egk, W., Peer Gynt. Vocal score, Mainz: Schott, 1966 [1938].
—, “Werner Egk über seinen ‘Peer Gynt’”, Programmheft der Berliner
Staatsoper zu Peer Gynt, 24 November 1938.
—, Die Zeit wartet nicht. Künstlerisches, Zeitgeschichtliches, Privates aus
meinem Leben, München: Goldmann, 1981.
Englert, U., Magus und Rechenmeister. Henrik Ibsens Werk auf den Bühnen
des Dritten Reiches, Tübingen: A. Francke, 2001.
Kater, M. H., “Werner Egk. The Enigmatic Opportunist”, in id., Composers
of the Nazi Era, New York & Oxford: Oxford University Press, 2000.
(pages missing: 3-30).
Prieberg, F. K., Musik im NS-Staat, Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch
Verlag, 1982.
Shaw, G. B., “Bassetto’s uncle and Peer Gynt” (The Star, 16 March 1889),
in (ed.? Dan H. Laurence) Shaw’s Music. The complete musical criticism in
three volumes, London: The Bodley Head, I, 1981, 576-580.
—, “Music for the theatre” (The World, 27 January 1892), in (ed.? Dan H.
Laurence) Shaw’s Music. The complete musical criticism in three volumes,
London: The Bodley Head, II, 1981, 521-527.
Schneider, F., “‘...nach langer Irrfahrt kehrst du dennoch heim...’. Werner
Egks Peer Gynt. Ein musikalischer Fall zur Dialektik der Anpassung”,
Beiträge zur Musikwissenschaft, 1986, vol. 28, 10-17.
Toussaint, U., Studien zu den Opern Werner Egks, Mainz: Are Musik
Verlag, 2005.
Walter, M., Hitler in der Oper. Deutsches Musikleben 1919-1945, Stuttgart
& Weimar: Metzler, 1995.
Illustrations
_____________
Illustration 1
Illustration 2
Illustration 3
Illustration 4
Illustration 5
Märchen
_____________
Per Gynt
In alten Zeiten lebte in Kvam ein Schütze, der hieß Per Gynt. Er lag beständig
droben im Gebirge und schoß dort Bären und Elche, denn damals gab es noch mehr
Wälder auf dem Fjäll, und in ihnen hielt sich derartiges Getier auf. Einmal, spät im
Herbst, nachdem das Vieh schon längst von den Bergweiden herabgetrieben war,
wollte Per Gynt wieder einmal hinauf in den Fjäll. Außer drei Sennerinnen hatten
schon alle Hirtenleute das Gebirge verlassen. Als Per Gynt die Hövringalm erreichte,
wo er in einer Sennhütte übernachten wollte, war es schon so dunkel, daß er die
Hand nicht vor sich sehen konnte. Da fingen die Hunde plötzlich zu bellen an, daß es
ihm ganz unheimlich zumute wurde. Plötzlich stieß er mit dem Fuß an etwas an, und
als er es anfaßte, war es kalt und groß und schlüpfrig, da er aber nicht vom Wege
abgekommen zu sein meinte, konnte er sich gar nicht erklären, was das sein könnte;
aber geheuer war es ihm nicht.
»Wer ist denn das?« fragte Per Gynt, denn er merkte, daß es sich bewegte.
»Ei, ich bin der Krumme«, lautete die Antwort. Damit war aber Per so klug wie
vorher. Er ging nun daran entlang, »denn einmal muß ich doch daran
vorbeikommen«, dachte er.
Im Weitergehen stieß er plötzlich wieder an etwas, und als er es anfühlte, war es
wieder kalt und groß und schlüpfrig.
»Wer ist das?« fragte Per Gynt.
»Ich bin der Krumme«, lautete die Antwort wieder.
»Ei, ob du gerade oder krumm bist, du mußt mich doch weiterlassen«, sagte Per
Gynt, denn er merkte, daß er im Kreise herumging und der Krumme sich um die
Sennhütte herumgeschlängelt hatte. Bei diesen Worten schob sich der Krumme ein
wenig auf die Seite, so daß Per Gynt an die Sennhütte hingelangen konnte. Als er
hineinkam, war es da drinnen nicht heller als draußen; er stolperte und tastete an
den Wänden umher, denn er wollte seine Flinte abstellen und seine Jagdtasche
ablegen. Aber während er so suchend umhertappte, spürte er wieder das Kalte,
Große und Schlüpfrige.
»Wer ist das denn jetzt?« rief Per Gynt.
»Ach, ich bin der große Krumme«, lautete die Antwort. Und wohin er auch faßte und
wohin er den Fuß setzte, überall fühlte er den Ring des Krummen um sich gelegt.
»Hier ist nicht gut sein«, dachte Per Gynt, »denn dieser Krumme ist draußen und
drinnen, aber ich werde diesen Querkopf bald gerademachen.« Er nahm seine Flinte,
ging wieder hinaus und tastete den Krummen entlang, bis er den Kopf fand.
»Wer bist du denn eigentlich?« fragte er.
»Ach, ich bin der große Krumme von Etnedal«, sagte der große Troll. Da machte Per
Gynt kurzen Prozeß und schoß ihm drei Kugeln mitten durch den Kopf.
»Schieß noch einmal« rief der Krumme. Aber Per Gynt wußte es besser, denn wenn
er noch einmal geschossen hätte, wäre die Kugel auf ihn selbst zurückgeprallt. Als
Märchen
_____________
dies getan war, faßten Per Gynt und die Hunde fest zu und zogen den großen Troll
aus der Hütte heraus, damit sie es sich in der Hütte bequem machen könnten.
Währenddessen lachte und höhnte es von allen Bergen ringsum.
»Per Gynt zog viel, aber die Hunde zogen mehr!« ertönte es.
Am Morgen wollte Per Gynt hinaus auf die Jagd. Als er tief in den Fjäll hineinkam,
sah er ein Mädchen, das Schafe und Ziegen über einen Berggipfel trieb. Als er aber
den Gipfel erreicht hatte, war das Mädchen fort und die Tiere auch, und Per Gynt sah
nichts als ein großes Rudel Bären.
»Ich habe doch noch nie Bären in Rudeln beisammen gesehen«, dachte Per Gynt.
Als er aber näher kam, waren alle bis auf einen verschwunden. Da klang es von
einem Berge in der Nähe:
»Nimm in acht den Eber dein, Per Gynt steht draußen mit dem Stutzen sein!«
»Ach, dann geht es Per Gynt schlecht, nicht aber meinem Eber, denn er hat sich
heute nicht gewaschen«, rief es aus dem Berge. Per Gynt wusch sich die Hände mit
seinem eigenen Wasser und schoß den Bären tot. Im Berge erhob sich ein
schallendes Gelächter.
»Du hättest auf deinen Eber achtgeben sollen«, rief die eine Stimme.
»Ich habe nicht daran gedacht, daß ei die Waschschüssel in den Hosen hat«,
erwiderte die andere.
Per Gynt zog dem Bären die Haut ab und vergrub den Körper im Geröll; aber den
Kopf und das Fell nahm er mit. Auf dem Rückweg begegnete er einem Bergfuchs.
»Sieh, mein Lämmchen, wie fett du bist!« rief es von einem Hügel her. »Seht nur, wie
hoch Per Gynt den Stutzen trägt!« tönte es von einem anderen Hügel, als Per Gynt
die Flinte zum Schießen an die Wange legte und den Fuchs erschoß. Er zog auch
diesem den Balg ab und nahm ihn mit; und als er in der Sennhütte ankam, nagelte er
die Köpfe mit aufgesperrten Rachen außen an die Wand. Darauf machte er Feuer
und stellte einen Suppentopf darüber; aber es rauchte so fürchterlich, daß er kaum
die Augen offenhalten konnte, und er mußte deshalb eine Luke aufmachen. Plötzlich
kam ein Troll herbei und steckte seine Nase durch die Luke herein, aber die Nase
war so lang, daß sie bis an den Herd reichte.
»Hier kannst du sehen ein Riechehorn«, sagte er.
»Hier kannst du schmecken ein Suppenkorn«, sagte Per Gynt und goß ihm den
ganzen Topf Suppe über die Nase. Der Troll stürzte davon und jammerte laut; aber
ringsum von allen Höhen lachte und spottete und rief es:
»Gyri Suppenrüssel, Gyri Suppenrüssel!«
Hierauf war eine Weile alles still; doch dauerte es nicht lange, da erhob sich draußen
wieder Lärm und Getöse. Per Gynt sah hinaus, und da erblickte er einen mit Bären
bespannten Wagen; der große Troll wurde aufgeladen, und dann ging es hinauf in
den Fjäll mit ihm. Plötzlich wurde ein Eimer Wasser durch den Schornstein
Märchen
_____________
herabgegossen und erstickte das Feuer, und Per Gynt saß im Dunkeln. Da begann
es in allen Ecken zu lachen und zu spotten, und eine Stimme sagte:
»Jetzt wird es Per Gynt nicht besser gehen wie den Sennerinnen in der Val-hütte.«
Per Gynt zündete das Feuer wieder an, rief seine Hunde herbei, verschloß die
Sennhütte und ging weiter nach Norden bis zur Val-hütte, in der die drei Sennerinnen
waren. Als er eine Strecke zurückgelegt hatte, sah er ein Feuer, als wenn die ganze
Val-hütte in hellen Flammen stünde, und in demselben Augenblick stieß er auf ein
Rudel Wölfe, von denen er einige niederschoß und die anderen erschlug. Als er die
Val-hütte erreicht hatte, war es da stockfinster und weit und breit kein Brand zu
sehen, aber es waren vier fremde Männer in der Hütte, die es auf die Sennerinnen
abgesehen hatten; das waren vier Bergtrolle, die hießen Gust i Väre, Tron Valfjeldet,
Kjöstöl Aabakken und Rolf Eld- förpungen. Gust i Väre stand vor der Tür und sollte
Wache halten, während die anderen bei den Sennerinnen drinnen waren und
zudringlich werden wollten. Per Gynt schoß auf Gust i Väre, verfehlte ihn aber, und
da lief er davon. Als dann Per Gynt in die Stube kam, waren die Sennerinnen übel
dran; zwei von ihnen waren ganz außer sich vor Schrecken und flehten zu Gott um
Hilfe und Rettung, die dritte aber, die man die tolle Kari nannte, hatte keine Angst.
Sie sagte, sie sollten nur kommen, sie hätte wirklich Lust, zu sehn, ob solche Kerle
auch Schneid hätten. Als aber die Trolle merkten, daß Per Gynt im Zimmer war,
fingen sie zu jammern an und sagten zu Eldförpungen, er solle Feuer machen. In
demselben Augenblick fielen die Hunde über Kjöstöl Aabakken her und warfen ihn
kopfüber auf den Herd, daß Asche und Funken nur so umherstoben.
»Hast du meine Schlangen gesehen, Per Gynt?« fragte Tron Valfjeldet - so nannte er
die Wölfe.
»Ja, und nun sollst du denselben Weg gehen wie deine Schlangen!« rief Per Gynt
und erschoß ihn. Dann schlug er Aabakken mit dem Flintenkolben tot; aber
Eldförpungen war durch den Schornstein entflohen. Nachdem Per Gynt dies getan
hatte, begleitete er die Sennerinnen nach ihrem Dorfe, denn sie trauten sich nicht
länger in der Hütte zu bleiben.
Als nun die Weihnachtszeit herankam, war Per Gynt wieder unterwegs. Er hatte von
einem Hof auf Dovre gehört, wo sich am Christabend so viele Trolle einfanden, daß
die Bewohner flüchten und auf anderen Höfen Unterkunft suchen mußten; dieses
Gehöft wollte Per Gynt aufsuchen, denn er hatte Lust, diese Trolle zu sehen. Er zog
zerrissene Kleider an, nahm einen zahmen Bären, der ihm gehörte, sowie einen
Pfriemen, Pech und Draht mit. Als er den Hof erreicht hatte, ging er ins Haus hinein
und bat um Obdach.
»Gott steh uns bei!» sagte der Mann. »Wir können dir kein Obdach geben, wir
müssen selbst den Hof verlassen, denn an jedem Heiligen Abend wimmelt es hier
von Trollen.«
Aber Per Gynt meinte, er werde das Haus schon von den Trollen säubern. Da hieß
man ihn dableiben, und er bekam noch obendrein eine Schweinshaut. Darauf legte
Märchen
_____________
sich der Bär hinter den Herd, Per holte Pech, Pfriemen und Draht hervor und machte
sich daran, aus der ganzen Schweinshaut einen einzigen großen Schuh zu machen.
Als Schnürband zog er einen dicken Strick hindurch, so daß er den Schuh
rundherum zuschnüren konnte, und überdies hatte er noch zwei Handspeichen
bereit. Plötzlich kamen die Trolle auch schon mit Fiedeln und Spielleuten
dahergezogen, und die einen tanzten, die andern aßen von dem Weihnachtsessen,
das auf dem Tisch stand, einige brieten Speck, andere brieten Frösche und Kröten
und ähnliches ekelhaftes Zeug - dieses Weihnachtsessen hatten sie selber mitgebracht. Inzwischen bemerkten einige den von Per Gynt verfertigten Schuh. Da er
offenbar für einen großen Fuß bestimmt zu sein schien, wollten die Trolle ihn
anprobieren, und als jeder von ihnen einen Fuß hineingestellt hatte, zog Per Gynt
den Schuh zu, zwängte eine Speiche hinein und schnürte ihn so stark zu, daß alle
miteinander in dem Schuh festsaßen. Aber jetzt streckte der Bär die Nase vor und
schnupperte nach dem Braten.
»Möchtest du Kuchen haben, mein weißes Kätzchen?« sagte einer der Trolle und
warf dem Bären einen noch brennend heißen gebratenen Frosch in den Rachen.
»Schlag los, Meister Petz!« rief Per Gynt. Da wurde der Bär so zornig, daß er auf die
Trolle losfuhr und nach allen Seiten Hiebe austeilte und sie kratzte. Und Per Gynt
schlug mit der anderen Speiche in den Haufen hinein, wie wenn er allen den Schädel
einschlagen wollte. Da mußten die Trolle die Flucht ergreifen; Per Gynt aber blieb da
und schmauste die ganze Weihnachtszeit über von dem Weihnachtsessen, und nun
hörte man viele Jahre lang nichts mehr von den Trollen. Der Bauer aber hatte eine
weiße Stute; da gab ihm Per Gynt den Rat, von dieser Stute Füllen aufzuziehen,
diese dann in den Bergen herumstreifen und da Junge kriegen zu lassen.
Nach vielen Jahren war die Weihnachtszeit wieder einmal vor der Tür. Der Bauer war
im Walde und fällte Holz zum Feste. Da kam ein Troll herbei und rief ihm zu:
»Hast du deine große weiße Katze noch?«
»Ja, sie liegt daheim hinter dem Ofen«, sagte der Mann, »und sie hat sieben Junge
bekommen, die noch viel größer und böser sind als sie selbst.«
»Dann kommen wir nie mehr zu dir!« rief der Troll.
Die Trollhochzeit
Es war einmal in einem Sommer vor langer, langer Zeit, da zogen die Leute von
Melbustad mit der Herde zur Alm. Aber sie waren noch nicht lange oben, da fingen
die Tiere an so unruhig zu werden, daß es rein unmöglich war, sie in Ordnung zu
halten. Zwar probierten viele Mädchen sie zu hüten, aber es wurde nicht besser, bis
eine kam, die versprochen war, und der Versprach war kürzlich gefeiert worden. Da
wurden sie auf einmal ruhig und waren ganz leicht zu hüten. Das Mädchen blieb
allein oben, und hatte kein anderes Wesen bei sich als einen Hund. Als sie nun eines
Nachmittags in der Hütte saß, da schien es ihr, als ob ihr Schatz käme und sich
Märchen
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neben sie setzte und davon anfing, daß sie jetzt Hochzeit machen wollten. Aber sie
blieb ganz still sitzen und gab keine Antwort; denn er kam ihr so wunderlich vor.
Nach und nach kamen mehr und immer mehr Leute herein, und die begannen die
Tische mit Silberzeug zu decken und Speisen aufzutragen, und die Brautjungfern
brachten die Krone und den Schmuck und ein schönes Brautkleid, und das zogen sie
ihr an, und die Krone setzten sie ihr auf, wie es damals Brauch war, und Ringe
steckten sie ihr an die Finger.
Es schien ihr auch, als ob sie alle die Leute kennte, die da waren; da waren die
Frauen vom Dorf und die Mädchen, die mit ihr im gleichen Alter waren. Aber der
Hund hatte wohl gemerkt, daß da etwas nicht geheuer war. Er rannte in langen
Sätzen hinunter nach Melbustad und heulte und bellte ganz erbärmlich und ließ den
Leuten keine Ruhe, bis man ihm folgte. Der Bursche, der ihr Liebster war, nahm
seine Flinte und stieg hinauf auf die Alm; aber als er in die Nähe kam, da stand
ringsherum eine Menge gesattelter Pferde. Er schlich sich an die Hütte und schaute
durch einen Spalt in die Tür und sah, wie sie alle drin beisammensaßen. Es war ganz
klar, daß das Trolle und Unterirdische waren, und deshalb feuerte er seine Büchse
über das Dach ab. In dem Augenblick flog die Tür auf, und ein graues Garnknäuel,
größer als das andere, schoß heraus und schnurrte ihm um die Beine. Als er hineinkam, da saß sie im vollen Brautstaat, und es fehlte nur noch ein Ring am kleinen
Finger, so wäre sie fertig gewesen.
»Aber um Himmels willen, was ist hier denn los?« fragte er, als er sich umsah. Alles
Silberzeug stand noch auf dem Tisch, aber all die schönen Speisen waren zu Moos
und Pilzen und Kuhmist und Kröten und Fröschen und derlei geworden.
»Was bedeutet denn das alles?« sagte er. »Du sitzt ja da im Staat wie eine Braut?«
»Wie kannst du nur fragen?« sagte das Mädchen. »Du hast ja selbst hier gesessen
und von der Hochzeit gesprochen den ganzen Nachmittag!«
»Nein, ich bin ja eben erst gekommen«, sagte er, »das muß wohl einer gewesen
sein, der meine Gestalt angenommen hat.«
Da kam sie auch allmählich wieder zu sich selbst, aber erst nach langer Zeit kam sie
wieder ganz zu Verstand, und sie erzählte, daß sie steif und fest geglaubt habe, er
selbst und die ganze Verwandtschaft und Bekanntschaft sei dagewesen. Er nahm sie
gleich mit in das Dorf, und damit sie kein solches Teufelszeug mehr zu fürchten
hätte, hielten sie Hochzeit, während sie noch den Brautstaat der Unterirdischen
anhatte. Die Krone und der ganze Schmuck wurde in Melbustad aufgehängt und soll
heutigentags noch dort hängen.
Vor langen, lang en Jahren wohnten einmal zwei alte wohlhabende Leute auf einem
Hof oben in Hadeland. Die hatten einen Sohn, der war Dragoner und ein großer
hübscher Kerl. Im Gebirg hatten sie eine Alm, und die war nicht wie die meisten
Sennhütten, sondern schön und solid gebaut und hatte sogar einen Schornstein und
ein Dach und Fenster. Da oben wurde den ganzen Sommer gehaust, aber wenn sie
im Herbst heimgezogen waren, so merkten die Holzhauer und Jäger und Fischer und
Märchen
_____________
wer sonst um diese Zeit im Wald zu tun hatte, daß das Bergvolk da sein Wesen trieb
mit seiner Herde. Und bei denen war ein Mädchen, die war so wunderschön, wie sie
niemals etwas Ähnliches gesehen hatten.
Davon hatte der Sohn oft gehört, und in einem Herbst, als sie von der Alm schon zu
Hause waren, da zog er seine volle Uniform an, sattelte sein Dienstpferd, steckte
seine Pistolen in die Satteltasche, und so ritt er hinauf. Als er gegen die Alm zu kam,
da brannte in der Sennhütte ein solches Feuer, daß es über alle Wege hinleuchtete,
und da merkte er wohl, daß die Bergleute darin waren. Da band er sein Pferd an eine
Tanne, nahm eine Pistole aus der Satteltasche und schlich an die Hütte heran und
schaute durchs Fenster; darin saßen ein alter Mann und eine Frau, die waren ganz
krumm und zusammengeschrumpft vor Alter und so unerhört häßlich, wie er nie
etwas in seinem Leben gesehen hatte; aber es war auch ein Mädchen dabei, die war
so wunderschön, daß er sich stracks in sie verliebte und meinte, er könne nicht leben
ohne sie. Alle hatten Kuhschwänze und das schöne Mädchen auch. Er konnte
sehen, daß sie eben erst gekommen waren, denn es war noch alles in Unordnung.
Das Mädchen war dabei, den häßlichen Alten zu waschen, und die Frau machte
Feuer unter dem großen Käsekessel am Herd.
In dem Augenblick stieß der Dragoner die Tür auf und schoß gerade über den Kopf
des Mädchens seine Pistole ab, so daß sie zu Boden taumelte. Aber da wurde sie
auf einmal so häßlich, wie sie zuvor schön gewesen war, und eine Nase bekam sie,
so lang wie ein Pistolenfutteral.
»Jetzt kannst du sie nehmen, jetzt gehört sie dir«, sagte der alte Mann. Aber der
Dragoner war wie festgewachsen; wo er stand, da stand er und konnte keinen Schritt
tun, weder vor- noch rückwärts. Da fing der Alte an, das Mädchen zu waschen; und
da wurde sie ein bißchen ansehnlicher: die Nase war nur noch halb so groß, und der
häßliche Kuhschwanz wurde hinaufgebunden, aber schön war sie nicht, das hätte
nur ein Lügner behaupten können.
»Nun gehört sie dir, mein stolzer Dragoner, setz sie nun vor dich aufs Pferd und reite
in die Stadt und halte Hochzeit mit ihr. Aber für uns kannst du in der kleinen Kammer
im Backhaus decken, denn wir wollen nicht mit der übrigen Hochzeitsgesellschaft
zusammen sein«, sagte das alte Scheusal, ihr Vater; »aber wenn der Teller umgeht,
kannst du auch bei uns vorsprechen.«
Er wagte nichts anderes zu tun und nahm sie mit vor sich auf das Pferd und richtete
die Hochzeit her. Aber bevor sie zur Kirche gingen, bat die Braut eine von den
Brautjungfern, sie möchte sich gut hinter sie stellen, damit niemand sehen könnte,
wie ihr Schwanz abfiele, wenn der Priester ihre Hände zusammenlegte.
Also wurde die Hochzeit gefeiert, und als der Teller umging, ging der Hochzeiter
hinaus in die Kammer, wo für die alten Leute vom Berg gedeckt war. Diesmal sah er
dort nichts, aber als die Hochzeitsgäste gegangen waren, lag so viel Gold und Silber
da und ein solcher Haufen Geld, wie er noch nie beisammen gesehen hatte.
Märchen
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Nun ging es lange Zeit schön und gut; jedesmal, wenn Gäste da waren, deckte die
Frau für die alten Leute draußen in der Kammer, und jedesmal lag so viel Geld da,
daß sie bald nicht mehr wußten, was sie damit anfangen sollten. Aber häßlich war
sie und häßlich blieb sie, und er war ihrer herzlich überdrüssig. So konnte es nicht
ausbleiben, daß er zuweilen böse war und ihr mit Schlägen und Püffen drohte.
Einmal wollte er in die Stadt; und da es Herbst und schon gefroren war, so sollte das
Pferd erst beschlagen werden. Also ging er in die Schmiede — denn er war selbst
ein tüchtiger Schmied -, aber wie er es auch anstellte, so war das Hufeisen entweder
zu groß oder zu klein und wollte durchaus nicht passen. Er hatte kein anderes Pferd
zu Hause und mühte sich ab bis zum Mittag und bis in den Nachmittag hinein.
»Wirst du denn niemals mit dem Beschlagen zu Streich kommen?« sagte die Frau.
»Du bist schon kein sonderlich guter Mann, aber du bist noch ein viel schlechterer
Schmied. Da bleibt mir nichts anderes übrig, als daß ich selbst in die Schmiede gehe
und das Pferd beschlage; dieses Eisen ist zu groß, das müßtest du kleiner machen,
und dieses hier ist zu klein, das müßtest du größer machen.«
Sie ging in die Schmiede, und das erste, was sie tat, daß sie das Hufeisen in beide
Hände nahm und geradebog.
»Da schau her«, sagte sie, »so mußt du es machen.« Damit bog sie es wieder
zusammen, als ob es aus Blei wäre. »Jetzt halte das Bein her«, sagte sie, und das
Hufeisen paßte so aufs Haar, daß der beste Schmied es nicht besser hätte machen
können. »Du hast ja ganz gehörige Kräfte in den Fingern!« sagte der Mann und
schaute sie an.
»Meinst du?« gab sie zur Antwort. »Wie glaubst du denn, daß es mir gegangen
wäre, wenn du solche Kräfte hättest? Aber ich hab dich viel zu lieb, als daß ich
meine Kräfte gegen dich brauchen sollte«, sagte sie. Und von diesem Tag an war er
der beste Ehemann.
Ikarus
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Der Ikarus vom Lautertal
Gustav Messmer und eine schwäbische Dorfgeschichte
von Patricia Noll
In dem 600-Seelen-Dorf Buttenhausen auf der schwäbischen Alb zaubert er so
manch Einheimischen heute noch ein Lächeln ins Gesicht. Mit seinen
Flugfahrrädern, die nach einem Sturz wieder eingesammelt wurden - Gustav
Mesmer. Korbmacher, Künstler, Flugradbauer.
Im Dorf hatte er es beileibe nicht immer leicht, wurde über 35 Jahre zu Unrecht in der
Psychiatrie eingesperrt, landete im Altenheim, versuchte von dort aus seinen Traum
vom Fliegen wahr zu machen - immer wieder. Und schaffte es schließlich mit seinem
Werk bis zur Weltausstellung nach Sevilla. Eine späte Genugtuung in seinem
Albdorf.
Gustav Messmer, geboren im oberschwäbischen Altshausen 1903, dem Jahr, als
den Gebrüdern Wright der erste Motorflug gelingt. Fast sechzig Jahre später, in
seiner Autobiografie, "einer unbekannten Person", beschreibt er seine Ankunft
poetisch:
"Drei Jahre, 16 Tage waren vorüber, als die Brücke, die Schwelle ins 19. Jahrhundert
überschritten gefeiert war, der Sylvester 1899, als ich, in wachlosem Geheimnis
mehr, von Vater – Mutter und fünf Geschwister die Ankunft aus dem Mutterleibe mit
voller Hoffnung, die große Familienbescherung erwartet war."
Nur wenige glückliche Jahre sollten in den nächsten sechzig vor ihm liegen. Durch
eine Krankheit verliert er den Anschluss in der Schule, der Erste Weltkrieg macht
einen Schulabschluss undenkbar. "Wo die Schule versagt, geht das ganze Leben
einen Nebenweg", schreibt Mesmer später. Nach einer Zeit in der Landwirtschaft
entschließt sich Mesmer zum Eintritt ins Benediktinerkloster Beuron. Schon dort
erfährt er sechs Jahre einen "religiösen Überschwang", alle "Himmelsherrlichkeit"
zerfällt nach und nach, er kommt mit dem Klosterleben nicht zurecht und tritt aus. In
Zweifeln. Aus Bruder Alexander wird wieder Gustav Mesmer.
Der 17. März 1929 sollte das Leben des eigenbrötlerischen jungen Mannes für
immer verändern. Holger Reile beschreibt diesen Schicksalstag in seinem Hörspiel
"Gustav Mesmer - Ikarus vom Lautertal genannt":
"An jenem Sonntag ging er zur evangelischen Pfarrkirche und störte die gerade
stattfindende Konfirmationsfeier. In der vollbesetzten Kirche soll er mehrmals laut
erklärt haben, dass hier nicht das Blut Christi ausgeteilt werde und sowieso alles
Schwindel sei."
Ikarus
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Man entsorgt den Sonderling. Mit der schnellen Diagnose "paranoide Schizophrenie"
landet er in der geschlossenen Psychiatrie, in Bad Schussenried. 35 Jahre wird der
gesunde junge Mann hinter dicken Mauern und Tag für Tag im Anstaltsgarten
verbringen. Franz Xaver Ott liest aus der Biografie:
"Innere Wehmut, das Abgeschlossensein. Ja merkte das Gott und kein Mensch
mehr? Die Zeitspanne verschlummerte jede Hoffnung. Der Anstaltsgarten war von
einer hohen Mauer umgeben, kein Blick ins Volkstreiben wäre möglich gewesen.
Hohe eng gepflanzte Bäume füllten die Anlage wie ein Buchenwald. Die Patienten
taumelten ganz nach ihrem Vermögen umher. Ich setzte mich meist in die Nischen
oder auf den Sockel der Mauer und scheuchte meine Langeweile und das Leid durch
kleine Beschäftigungen, Kiesel sortierend oder baute etwas mit Ästen und
Grashalmen zusammen."
Mesmer fängt an Flugfahrräder zu konstruieren, unermüdlich. Der Traum vom
Fliegen - bei Gustav Mesmer ist er aus der Not geboren, anders kann er seinem
Gefängnis nicht entkommen. Von den Ärzten erntet er nur Spott und Hohn. Doch der
Traum Mesmers ist kein Wahn, der intelligente Mann kennt inzwischen moderne
Flugzeuge. Aber darum geht es ihm nicht. Ein kleiner Flugverkehr schwebt ihm vor,
von Dorf zu Dorf, nur mit Muskelkraft. Freiheit. Die findet er nach 35 Jahren das erste
Mal im Dorf Buttenhausen, auf der schwäbischen Alb. 61 Jahre alt, kommt er dort
1964 in das diakonische Altenheim, erhält eine eigene kleine Werkstatt hinter dem
Giftlager der Landwirtschaft. Freiheit und Anerkennung findet er, dafür herrschen hier
gute Voraussetzungen. Die Kultur-Geschichte Buttenhausens kennt viele
Außenseiter und prägt das etwas andere Alb-Dorf bis heute.
"7. Juli 1787. Phillip Friedrich Freiherr von Liebenstein erlässt einen
"Judenschutzbrief" und siedelt 25 jüdische Familien an. Für sie wird Buttenhausen
biblische Verheißung: "Geh´Du aus Deinem Land, aus deinem Geschlecht, aus dem
Haus Deines Vaters in das Land, das ich Dir zeigen werde." Eine reichsritterliche,
freie Insel mitten in Württemberg. Schutz. Der ist nötig. In anderen Gemeinden sind
sie nicht willkommen, die württembergische Ständeversammlung beschloss: "Alle
sesshaften Juden auszuschaffen." Buttenhausen geht das nichts an."
1788 lebten in Buttenhausen 200 Christen und 14 Juden. Bald schon stellten sie
mehr als die Hälfte der Dorfbevölkerung. Buttenhausen blühte auf, die Dorfherren
und christlichen Nachbarn profitierten vom florierenden Handel, die Toleranz wuchs
in diesem kulturellen Biotop. Man glich sich an. Das ehemals reichsfreie
Buttenhausen blieb dadurch auch nach der Angliederung an das Herzogtum
Württemberg: "anders". Eine Zigarrenfabrik, neueste Pariser Mode, später eine
stattliche Realschule für beide Konfessionen, neue Pädagogik-Ansätze und ein
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gemeinsamer Kindergarten - und das in einem 600 Seelen Dorf – das gab es sonst
nirgends auf der Alb. 146 Jahre währte der Schutzbrief. Bis 1933."
Gustav Mesmers Geschichte ist auch eine Geschichte der Einsamkeit. Seine Familie
hatte die ganzen Jahre seine erflehte Entlassung aus der Psychiatrie abgelehnt.
Niemand wollte mehr etwas von ihm wissen. Das ist kein Einzelschicksal. Auch viele
der heutigen Bewohner des Landheims in Buttenhausen haben kaum Kontakt zur
Außenwelt. Die weißen, schroffen Kalkfelsen im engen Taleinschnitt sind nur die
sichtbaren Grenzen. "Das normale Leben betrifft dich nicht mehr", formulierte
Mesmer.
Dass das so wenig wie möglich passiert, dafür arbeitet Thomas Niethammer, seit gut
zwei Jahren ist er der Leiter im Landheim Buttenhausen, Gustav Mesmer kannte er
nicht mehr persönlich. Aber auch für ihn strahlt er noch heute Mut und Hoffnung aus.
" "Sein Ziel war sicher net "I ben an Künstler", sondern sein Ziel war, Antworten fürs
Leben zu finden. Und es wird ja berichtet, dass er mal gefragt wurde ob er mal
geflogen sei? Dann sagt er "Ja, mal mit dem Hubschrauber, aber des war net des
wirkliche Fliaga". Das finde ich sehr bemerkenswert, dass es ihm nicht ums wirklich
fliegen ging, sondern eine Vision zu haben"."
Die nahm bei Mesmer sehr klare Formen an - und hatte im Aufbau auf ein altes
Damenfahrrad eine Spannweite von bis zu 10 Metern.
Jeden Sonntag war der hagere, schmächtige Mann mit den blitzenden Augen und
dem verschmitzten Lachen die Attraktion im Lautertal und steuerte seine schweren
Flugobjekte ins Tal. Rudolf Schustereder, der heutige Ortsvorsteher, sah ihn einmal
fliegen:
" "In´d Lauter nei amol!"
Für Schustereder, damals noch ein Kind, und die anderen gehörte Mesmer
"irgendwie" dazu, an Kunst dachte niemand:
"´S war immer luschtig, wenn er denn da runter gfahra isch, s´war immer sehenswert,
also damals war´s mehr zur Volksbelustigung."
Auch ein anderer kleiner Junge aus dem Nachbarort beobachtete Mesmers
akrobatische Flugversuche, immer und immer wieder:
"Als Kind hat mich das sehr fasziniert. Ich bin auch gerne mit seinen Flugfahrrädern
gefahren, das durfte man dann nach einer gewissen Zeit, wenn man sein Vertrauen
hatte."."
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Heute, ist Stefan Hartmeier erwachsen, Fotodesigner, Inhaber einer
Kommunikationsagentur und Vorstand der Gustav-Mesmer Stiftung.
Mittendrin im Kunst- und Ausstellungsgeschäft organisieren er und seine Kollegen
in den achtziger Jahren die ersten Ausstellungen. Recklinghausen, Ulm, Wien,
Mannheim, Lausanne. Die Bleistiftzeichnungen und Aquarelle werden in Büchern
über naive Kunst abgedruckt, Fernsehsender und Printmedien wie "stern" und "Die
Zeit" widmen sich dem "knitzen" Älbler. Buttenhausen hat einen neuen berühmten
Sohn. Aber er ist nicht der erste.
Auch Theodor Rotschild wird in Buttenhausen geboren. Mit seinen Dorfgeschichten
von der rauen Alb setzt der Schulmeister seiner Heimat ein Denkmal. in denen das
Lautertal lebendig wird:
""Die Winter waren lang und schneereich in unsrem Tale. Eisige Kälte hielt lange Zeit
an und schlug alles Leben in der Natur in Fesseln. Wir nützten die Zeit so gut als
möglich. Jede schulfreie Stunde konnte man uns auf unseren einfachen Schlitten an
den zahlreichen Bergabhängen sehen. Mit Blitzesschnelle fuhren wir talwärts. Das
war ein Leben! Wir hätten mit keinem König tauschen mögen."
Theodor Rothschild tauschte mit dem Leben eines Lehrers. 40 Jahre lang führte er
das jüdische Waisenhaus in Esslingen. 1938 verbrennen SA Männer seine gesamte
Bibliothek und misshandeln ihn schwer. Theodor Rothschild bleibt – bei seinen
Kindern. 1942 wird er ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Was bleibt
ist, neben dem Schrecken, das "Heimweh nach den Himmelsgärten meiner Kindheit".
Theodor Rothschild stirbt am 10. Juli 1944 an Unterernährung und
Lungenentzündung.
Die Spuren des Holocaust: in Buttenhausen fehlte plötzlich über die Hälfte der
Dorfbevölkerung. In den leerstehenden Häusern und dem Schloss Liebenstein
entsteht ein Arbeitslager und eine Verwahranstalt der Hauptstadt Stuttgart. Trinker,
sogenannte "gefallene Mädchen" und "Halbe Kräfte", wie die etwas
zurückgebliebenen Insassen genannt werden, stellen jetzt das neue "Gegengewicht".
Der Weg zur vielgepriesenen Toleranz war weit. Walter Ott damals Landwirt im
Landheim und Gründer der jüdischen Geschichtssammlung, erinnert sich:
"I bin a Fremder gwesa, ma hot Distanz ghalta, und wenn i in Wirtschaft bin, des war
gfährlich, des war net so oifach"."
Man hat sich in kleinen Schritten aneinander "rangeschafft", auch diesmal schweißt
der kommerzielle Nutzen die dörfliche Notgemeinschaft zusammen. Das Landheim
Buttenhausen wurde schnell der größte Arbeitgeber in der ganzen Gegend, und man
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beißt selten die Hand, die gibt. Die Bewohner des Landheims, die heute gut die
Hälfte der 600 Buttenhäuser Einwohner stellen, sind inzwischen akzeptiert, sogar im
Kirchenrat vertreten und waren auch schon bei der Ortschaftsratswahl aufgestellt aber wurden nicht gewählt. Der heutige Ortsvorsteher versteht seine Gemeinde als
"bunt" und fasst für den praktischen Gebrauch zusammen:
" "Die sind net schlechter und net besser, die sind halt anders."
Und "Die Anderen" kommen in Buttenhausen nicht nur aus dem Landheim. Ein
buntes Künstlervolk scheint ebenfalls vom Geist Mesmers angezogen, oder ist es
Zufall? Die Schwäbische Alb ist das "Alaska Deutschlands" und damit ein beliebter
Platz für Aussteiger und Kreative, die sich noch ein Stück Freiheit sichern wollen - in
dörflicher Enge. Wolfgang Stockburger machte seine ersten Gehversuche im
ländlichen Raum als Zivildienstleistender im Landheim, lernte Gustav Mesmer
kennen und schätzen und blieb. Der Töpfermeister mit eigener Werkstatt in der alten
Schule am Ortsausgang von Buttenhausen hat seinen eigenen Traum.
"Klar, wenn man als Künstler selbständig wird, geht das nicht ohne Traum. Und man
hat izn nicht aufgegeben obwohl er immer härter wird jetzt. Der Überlebenskampf
wird härter."
Noch härter ist buchstäblich das Geschäft eines Künstlerkollegen auf der
gegenüberliegenden Talseite, "Über dem Jordan", wie die ehemalige Judensiedlung
jenseits der Lauter heute noch heißt. Dort, hoch oben wie ein Adlerhorst,
hat der Steinbildhauer Franz Ludescher ein Künstlerhaus nach eigenem Entwurf
gebaut. Achteckig, im Oktogon, rundherum verglast, mit Ausblick auf
Wacholderheiden, mittendrin eine verglaste Domkuppel, die den Blick frei gibt auf die
Wolken. Ludescher baute, biologisch, und - wie Mesmer - alles von Hand mit Holz
Lehm und Glas und gegen etliche Widerstände. Auch das Warum verbindet ihn mit
Gustav Mesmer.
"I hab an Traum g´habt vomma runda Haus, des hab i in dr Bildhauerei g´habt, i bau
au Steinkreise und deshalb musste das dort entstehen."
Es ist wohl kein Zufall: Vor seinem Haus, steht eine seiner großen Skulpturen.
Weißer Marmor. Ein Adler. Der Traum vom Fliegen wohnt noch in Buttenhausen.
Und eine Schlüsselfigur der jungen deutschen Demokratie hat hier ihre Wurzeln:
1875 wird Matthias Erzberger in Buttenhausen geboren. Sein Vater ist Schneider und
Postbote und Katholik, ärmliche Verhältnisse und seine Jugend in der liberalen
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christlich-jüdischen Landgemeinde prägen ihn. Vor Arbeitern, Handwerkern und
Bauern hält er hunderte von Vorträgen und hilft Ihnen sich in Vereinen zusammen zu
schließen. In Mainz ist er Mitbegründer der christlichen Gewerkschaft. 1903 wird
Erzberger als Vertreter des katholischen Zentrums in den Reichstag gewählt. 1918
leitet Erzberger jene Delegation, die in einem Eisenbahnwagen im Wald von
Compiègne die Waffenstillstandserklärung unterzeichnet. Das ist das Ende des
ersten Weltkriegs – und der Anfang der antirepublikanischen Hetze gegen Matthias
Erzberger.
"Unerträglich, undurchführbar, aber nicht unannehmbar" - mit diesen Worten
befürwortet Erzberger 1919 den Versailler Friedensvertrag. Danach wird er
Reichsfinanzminister und ordnet das Steuer- und Finanzwesen neu, schafft
Strukturen, die bis heute Bestand haben. Erzberger war ein engagierter Streiter für
die Demokratie und war bei den Gegnern der Weimarer Republik verhasst, 1921
sieht er seinen Tod voraus: "Die Kugel, die mich treffen soll, ist schon gegossen". Am
26.August wird Matthias Erzberger bei einem Attentat im Schwarzwald erschossen."
Nicht nur die deutsche Nachkriegsgeschichte, auch Buttenhausen hatte diesen
berühmten Sohn lange vergessen. Erst seit 2004 erinnert ein Museum in seinem
Geburtshaus an ihn. Auch Gustav Mesmer soll so einen festen Platz finden; die
Pläne dazu sind fertig, müssen nur heraus aus der Schublade, dann soll der alte
Kuhstall des Landheims Museum, Restaurant, Hofladen und Kunsttherapiezentrum
in einem werden. Alles wird Stefan Hartmeier nicht zeigen können, über 100
Flugfahrräder hat er momentan auf einem Dachboden des Altenheims archiviert,
dazu Musikinstrumente wie die Doppelhalsgeige, die Trompetengitarre und andere
praktische Kuriositäten.
"Eine Reihe von Sprungschuhen, die beim Abspringen und Landen sehr wichtig
waren, die sind hier mit Federn ausgestattet, und diese Federn spannen sich ein,
wenn man landet. Und man hat somit eine weichere Landung."
Mit einfachstem, gebrauchtem Material konstruierte der Erfinder komplizierte
Mechanismen - fernab jeder TÜV-Abnahme. Scharfe Ecken und Kanten aus dünnem
Blech, verrostete Nägel, spitzer Draht. Es müssen immer viele Schutzengel mit
Gustav Mesmer geflogen sein. Ernsthafte Verletzungen gab es nie, aber als er schon
über 90 war, musste ihm der rechte Daumen amputiert werden. Blutvergiftung - sehr
wahrscheinlich durch einen der rostigen Nägel. Seine Welt wird dadurch wieder
kleiner, eine Welt, die er sich selbst geschaffen hatte. Heimleiter Thomas
Niethammer betrachtet das als seine wahre Kunst:
"Ihm ist es gelungen, sich einen Spielraum zu verschaffen, das können die wenigsten
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Menschen, insbesondere psychisch kranke Menschen. Sie fühlen sich in die Ecke
gedrängt. Und da wird der Spielraum, den man persönlich hat, immer kleiner."
Gustav Mesmer konnte das aus eigenem Antrieb, den anderen hilft dabei in
Buttenhausen die Kunsttherapeutin und Psychologin Sarah Boger. Und auf eine
Diskussion, ob das nun Kunst sei oder nicht, lässt sich die kleine, quirlige Frau gar
nicht erst ein. Denn wenn Sie von der Kunsttherapie redet, dann sowieso immer nur
von den Künstlern und Künstlerinnen:
"Ja, das mach ich bewusst, weil die Leute die malen sind ja nicht Patienten die
malen, weil sie Patienten sind, sondern die malen ja, weil sie was ausdrücken wollen.
Und deshalb finde ich den Ausdruck Künstler und Künstlerinnen berechtigt."
(...) *)
Kurz nachdem er nicht mehr schaffen, arbeiten, malen und schreiben konnte, ist
Gustav Mesmer im Alter von 92 Jahren gestorben.
"Kannst Du einmal fliegen,
steig auf einen Hügel, steige in die Höhe
Ach, wär dies für Dich so schön, so frei
sein wie die Vögel,
auch den letzten Raum der Erde zu passieren
bei Sonnenschein wie blühender Natur
Wenn ich schaukle durch die Lüfte,
welch herrliches Gefühl,
Unser Menschheitstraum ist nun erfüllet,
es gibt jetzt nur noch Auferstehn.
Der Luftraum ist noch frei für Dich,
Erfinde Dir schnell ein paar Flügel.
Frei sollen sie Dich heben,
Du sollst durch die Lüfte schweben,
Ach, wär das Dein Glück. "

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