Leseprobe
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Hugo Kastner Das Schach-Sammelsurium Für Hans und René Schwab, die mir die Welt des Schachs eröffnet haben. Hugo Kastner Das Schach-Sammelsurium Tag für Tag Anekdoten, Kurioses, Kalendarium, Biografien, Partien und Rekorde Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 978-3-86910-184-2(Print) ISBN 978-3-86910-293-1(PDF) Der Autor: Hugo Kastner, Jahrgang 1952, studierte Geografie und Anglistik an der Universität Wien und unterrichtet seit mehr als dreißig Jahren Geografie, Wirtschaftskunde, Englisch, Management und Schach an einem Wiener Gymnasium. Er ist zudem als Trainer im Schulschach tätig. Enzyklopädische Publikationen zu Karten- und Würfelspielen sowie weitere umfangreiche Spezialwerke zu Backgammon und Snooker bilden neben geografischen Fachbüchern den Schwerpunkt der Arbeit dieses Autors. Daneben ist Hugo Kastner seit vielen Jahren journalistisch als Spielerezensent, Kolumnen- und Fach artikelautor für das Österreichische Spielemuseum tätig. Bei humboldt sind bereits neun seiner Bücher erschienen, darunter in Co-Autorenschaft mit Michael Ehn das umfangreiche, thematisch gegliederte Werk „Alles über Schach“. (www.hugo-kastner.at) Hinweis für den Leser: Die Informationen dieses Buches sind von Autor, Verlag und Redaktion nach bestem Wissen und Gewissen sorgfältig erwogen und geprüft. Dennoch kann keine Gewähr auf Vollständigkeit und Richtigkeit übernommen werden. 2., aktualisierte Auflage © 2011 humboldt Eine Marke der Schlüterschen Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Hans-Böckler-Allee 7, 30173 Hannover www.schluetersche.de www.humboldt.de Autor und Verlag haben dieses Buch sorgfältig geprüft. Für eventuelle Fehler kann dennoch keine Gewähr übernommen werden. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle muss vom Verlag schriftlich genehmigt werden. Schachliche Beratung: René Schwab Gastautor und schachhistorische Beratung: Michael Ehn Lektorat: Eckhard Schwettmann, Gernsbach Covergestaltung: DSP Zeitgeist GmbH, Ettlingen shutterstock/Yan Vugenfirer Coverfoto: Innengestaltung: akuSatz Andrea Kunkel, Stuttgart Abbildungen im Innenteil: Sammlung Michael Ehn Satz: PER Medien+Marketing GmbH, Braunschweig Druck: Grafisches Centrum Cuno GmbH & Co. KG, Calbe Hergestellt in Deutschland. Gedruckt auf Papier aus nachhaltiger Forstwirtschaft. 5 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Länderabkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Kalender – Farbtafeln Januar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Februar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 März . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 Farbtafeln F1 – F8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 April . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 Farbtafeln F9 – F16 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Mai . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Juni . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Farbtafeln F17 – F24 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Juli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 August . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 Farbtafeln F25 – F32 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 September . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 Oktober . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 November . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Dezember . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 6 Inhalt Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 Offizielle Schach-Regeln des Weltschachverbandes (FIDE) . . . . . . . . . . 426 Anhang 1 – Partieformular . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 Anhang 2 – Nationale Meisterschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deutsche Meister 1879 – 1943 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ostdeutsche und DDR-Meister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Österreichische Meister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schweizer Meister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sowjetische Meister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 433 433 435 436 437 Anhang 3 – Große Turniere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dortmunder Schachtage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Linares /Morelia – GM-Turnier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wijk aan Zee – GM-Turnier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 439 439 440 Anhang 4 – Ehrentafel der Juniorenweltmeister(innen) . . . . . . . . . . . . 442 Anhang 5 – Schlüssel der Schacheröffnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 Themenblöcke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 7 Vorwort Über der Einmaligkeit einer Schachpartie schwebt das Unberechenbare, das wir Schicksal nennen. Milan Vidmar Mit großer Freude warte ich auf die aktualisierte 2. Auflage des Schachsammelsuriums. Es handelt sich um ein sehr persönlich gefärbtes Buch, anders als die vielen theoretischen Werke über das königliche Spiel. Im Schachsammelsurium soll vor allem die Reichhaltigkeit und Tiefe des Schachs auf 366 Kalenderseiten spürbar werden. Eineinhalb Jahrtausende hat das königliche Spiel nahezu alle Kulturen unseres Erdkreises geprägt, mit fast magnetischer Anziehungskraft Hunderte von Millionen Menschen in den Bann gezogen und Anekdoten und Geschichten hervorgebracht, die wie bei keinem anderen Spiel eine Einbettung in das Denken der Völker bewirkte. Stärker als jedes andere Spiel erlaubt das Schach eine geistvolle und komplexe, dabei auch psychologische und soziale Auseinandersetzung mit Freunden und Spielpartnern. Schach ist auch wunderbar geeignet, Brücken zwischen Jung und Alt zu schlagen und dabei auf sportlich fairer Ebene Kommunikation zu ermöglichen. Beim Schach erlebt man ganz direkt die berauschende Passion des Spielens, eine Mischung aus Gewinnenwollen und einem Faktor an Unbestimmtheit, wie es der Altmeister des Spiels, Alex Randolph, einmal ausdrückte. Vielleicht ist es gerade die Erkenntnis, dass der Mensch nicht nur als Homo sapiens (sprich: Denker) oder Homo Faber (sprich: Macher) sondern vielmehr als Homo ludens, also als Spieler, den weiten und dornigen Weg zu Kunst, Wissenschaft und Politik gefunden hat, die dem Schach zu ungebrochener Popularität verhilft. In diesem Sinne durfte ich als Mitglied des Schachclubs Donaustadt, des größten Wiener Schachvereins, mit Freude die Entstehung dieses außergewöhnlichen Buches unseres langjährigen Clubmitglieds Hugo Kastner begleiten. Das unendliche Mosaik des königlichen Spiels wirft tausend Fragen auf, ob dies nun technische Probleme, Einschätzung und Sichtung des umfangreichen Materials oder das nötige schachhistorische Wissen betreffen mag – alles unabdingbare Voraussetzungen für eine derart kaleidoskopartige Zusammenstellung, wie sie „Das große humboldt Schachsammelsurium“ bzw. in der aktualisierten Neuauflage das „Schachsammelsurium“ bieten. Jedenfalls darf ich mit Stolz diese Mischung aus lebendigen Biografien, denkwürdigen Partien und Problemen, kleinen Anekdoten, tiefgründigen Geschichten sowie kuriosen und bizarren Geschehnissen rund ums Schachbrett empfehlen. Hugo Kastner hat mit diesem Werk als Fachbuchautor ein weiteres Mal – wie schon bei seinen Karten- und Würfelenzyklopädien sowie, zusammen mit Michael Ehn, im ebenso umfangreichen Buch „Alles über Schach“ – ein einzigartig facettenreiches und trotz der Begrenzung auf 64 Felder stimmiges „Modell des Lebens“ vorgestellt. 8 Vorwort Der Zoom von eineinhalbtausend Jahren auf 366 Kalendertage wird dem reinen Liebhaber des Kulturguts Schach ebenso viel Freude bereiten wie dem begeisterten Amateur- und Berufsspieler, stellt er doch ein wunderbares Mosaik des Schachuniversums dar und ist damit eine wahre Hommage an unser aller Hobby. Freuen Sie sich daher auf eine lange und doch kurzweilige Zeitreise durch die Jahrhunderte. Wir wünschen Ihnen viel Spaß und danken dem Humboldt Verlag und der Schlüterschen Verlagsgesellschaft im Namen aller Freunde des Schachspiels für die Bereitschaft, sich auf eine Weiterführung dieses großen Projekts einzulassen. Wien, Januar 2011 Großmeister Niki Stanec, zehnmaliger österreichischer Staatsmeister 9 Einführung Das Schach hat wie die Liebe, wie die Musik, die Fähigkeit, den Menschen glücklich zu machen. Siegbert Tarrasch Die wegen der großen Leserschaft notwendig gewordene zweite, aktualisierte Auflage des „Schachsammelsuriums“ – mit einem stark erweiterten Kalendarium – beweist einmal mehr, dass dieses ehrwürdige Spiel auch im 21. Jahrhundert nichts von seiner Faszination verloren hat. Gerade im Zeitalter des Computers spielen Millionen Menschen praktisch täglich Schach. Und Millionen kommunizieren auch über ihre Bildschirme mit Schachpartnern, die irgendwo am Erdball verstreut diesem eineinhalbtausend Jahre alten Spiel frönen. Schach ist und bleibt ein Teil des Weltkulturerbes – mögen auch andere Aktivitäten einem schnellen Wandel unterworfen sein. Der einleitende Ausspruch des großen Lehrmeisters Siegbert Tarrasch mag eine Erklärung für dieses Phänomen bieten, eine andere ist wohl die Einzigartigkeit des Schachspiels. Die in sich abgeschlossene Welt der 64 Felder, die trotz relativ eingängiger Regeln ungeheure Komplexität und Vielschichtigkeit, die hohe Ästhetik einzelner Partien und Stellungsmuster, die im geistigen Wettkampf frei werdende Emotionalität und letztlich die Harmonie des Spiels an sich – alles das trägt zum Genuss bei, den Siegbert Tarrasch in seinem Überschwang in leidenschaftliche Worte kleidete. Wenn ich von Kultur spreche, meine ich auch die schier unglaubliche Zahl von mehr als 60 000 Büchern, die Schach als literarische Spielwiese belegen. Vom „Codex Alfonso“ des kastilischen Königs beginnend über Lucena, Gustavus Selenus, Greco, Philidor, Bilguer, Dufresne bis zu Kasparow wird Schach als Teil unserer Identität beschrieben. Und doch sind viele Werke der Schachliteratur vorwiegend für Spezialisten geschrieben, für Menschen, die bereits den Weg zum königlichen Spiel gefunden haben. Hier war einer meiner Ansätze für dieses Schachmosaik. Ohne Figuren und Brett, ohne Computer-Schachprogramm, ohne Spielpartner dürfen Sie sich dieses Mal der langen Schachgeschichte nähern. Vielleicht wäre der Titel „366 Genüsse für Minuten“ ganz treffend für dieses Buch. Der zweite Ansatz ist jedoch die unendlich vielfältige Welt der Schachhistorie, mit faszinierenden Spielertypen, mit kunsthistorischen Elementen, mit spannenden, fast paradoxen Problemstellungen und Studien, mit kuriosen Anekdoten und Geschichten, mit unglaublichen Rekorden und Gedankensplittern, die auch in andere Bereiche des Lebens hineinführen. Bilder, Diagramme und Texte sollen Ihnen den Weg in diese bunte Welt des Schachs leicht werden lassen. Der Aufbau des Schachsammelsuriums erlaubt einige Schwerpunktsetzungen und damit ein geistiges Abenteuer für die Leserin oder den Leser. Zum 10 Einführung einen wird eine aus vierzehn Teilen bestehende Chronologie präsentiert, die historisch wichtige Momente des königlichen Spiels von der vermuteten Entstehung in Indien über die Verbreitung nach Europa, über Meilensteine der Regelkunde, große Turniere, Weltmeisterschaftsbegegnungen, Olympiaden bis hin zu Highlights der deutschen, österreichischen und Schweizer Schachgeschichte chronologisch erfasst. Hier bietet sich dem Schachinteressenten ein guter Überblick über die ersten 1500 Jahre. Im Kalenderblock werden Geburts- und Todestage großer Schachmeister sowie deutscher und österreichischer Großmeister festgehalten, mit kurzen Angaben zur Nationalität der betreffenden Spieler. Dazu kommen weitere Höhepunkte der WM-Geschichte. Der Hauptteil des „Kalenderblatts“ wird durch eine bunte Mischung aus Biografien der Meister, denkwürdigen Partien, trickreichen Problemstellungen, Lehrbuchbeispielen, Anekdoten und Geschichten, Rekorden und vieles mehr gebildet. Hier dürfen Sie sich ein Eintauchen in eine faszinierende Parallelwelt erwarten. Jeder Monat wird mit einem Übersichtsblatt eingeleitet, wo Sie auf einen Blick die Angebote der folgenden vier Wochen erfassen können. Zweiunddreißig Farbtafeln illustrieren als eingestreuter Bildteil das spannende Mosaik des Schachgeschehens. Abgerundet wird das ganze Werk durch diverse Anhänge, wie etwa einem beispielhaften Partieformular, einer tabellarischen Erfassung der nationalen Meister Deutschlands, Österreichs, der Schweiz sowie der Sowjetunion, einer Auflistung der Sieger in großen internationalen Turnieren, einer kompletten Übersicht über alle Juniorenweltmeister und zuletzt einem detaillierten Schlüssel der Schacheröffnungen. Eine umfangreiche, thematisch und chronologisch aufgebaute Literaturliste, ergänzt um informative Internetsites sowie gängige Schachzeitschriften, sowie eine Komplettübersicht über alle Kalenderseiten, geordnet in Themenblöcke, sollen den Schachfreund bei der Orientierung im ungeheuer vielfältigen Reich dieses Geistessports unterstützen. Die enorme Vielfalt des Materials war trotz jahrzehntelanger Beschäftigung mit diesem Spiel nur durch die Hilfe meines Vereins, des Schachclubs Donaustadt, möglich. Ich möchte an dieser Stelle allen meinen Freunden und Bekannten, die mir ihre Zeit für dieses Projekt geschenkt haben und die mir in den langen Jahren davor Wegbegleiter waren, ein herzliches Dankeschön sagen, namentlich IM Alfred Beni (†), Georg Brüll, Gerhard Brüll, Martin Exler, Veronika Exler, Gernot Felkel, Günter Göttlicher, Kay Hansen, Heinz Hochholdinger, Martin Hofbauer, Bernhard Hoffmann, Gerhard Holzer, Helmut Kadlec (†), Gerald Kador Folkvord, Ludwig Komarek, Helmut Kummer, Ferdinand Peitl, Harald Pingitzer, Hermann Robitsch, Mario Sandhu, Harald Schneider-Zinner, Roland Schönauer, Franz Schuh, Walter Schultes, Hans Schwab (†), Lukas Schwab, Karl Schwarz, Michael Sekyra, Hansjörg Senft, Anton Stummer, Leopold Smounig und Franz Zehentner. Einführung Mein ganz besonderer Dank gebührt folgenden Personen: ▪▪ Großmeister Niki Stanec, zehnmaliger österreichischer Staatsmeister, für die Erstellung des Vorworts zu diesem Buch. ▪▪ Michael Ehn, Geschäftsführer des Wiener Schachverlags, Schachjournalist und Autor historischer Schachbücher, für seine Hilfe bei der Auswahl der Literatur, der Zusammenstellung der Chronologie, seinen Gastbeiträgen zu österreichischen Spielerbiografien und zur Schachgeschichte, der Bereitstellung des umfangreichen Materials sowie den inhaltlichen Korrekturanmerkungen für die aktualisierte zweite Auflage. Sein unschätzbares Wissen – besonders spürbar beim Verfassen des Buches „Alles über Schach“ – hat meinen Schachhorizont wesentlich erweitert. ▪▪ Roland Schönauer, langjähriger Freund und Schachpartner, für die detaillierte Durchsicht des gesamten Manuskripts der Erstauflage und die wertvollen Anregungen und Korrekturen, die in die zweite, aktualisierte Auflage hineinfließen konnten. ▪▪ René Schwab, Obmann meines Vereins Schachclub Donaustadt, für das Ausdem-Weg-Räumen aller schachtechnischen Probleme, den Fundus an Gestaltungsideen, die Herstellung der notwendigen Kontakte, sowie die Korrekturlesung der Erstauflage. ▪▪ Franz Schuh, Mitglied des Schachclubs Donaustadt, für seine Errata-Liste zur Erstauflage. ▪▪ Gerhard Radosztics (†), Internationaler Schiedsrichter, Turnierorganisator und Sammler, für seine Unterstützung bei den Bildseiten dieses Schachbuches. Er wird der österreichischen Schachszene sehr fehlen. ▪▪ Reinhard Seidl, Archivar des Wiener Schachverbandes, für die Benützung seines Archivs und die wertvollen Tipps zur Schachgeschichte. ▪▪ Manfred Olms, Herausgeber der Edition Olms, für die Bereitstellung der Porträtbilder der großen Schachmeister. ▪▪ Peter Köhler, Autor des bei Humboldt erschienenen Werks „Legendäre Schachpartien“, für seine Errata-Liste zur Erstauflage des „Sammelsuriums“. ▪▪ Ronald Kastner, meinem Bruder, für die heutzutage unumgängliche, schon von meinen anderen Spielbüchern gewohnte, Computerbetreuung. ▪▪ Dagmar und Ferdinand de Cassan und dem Österreichischen Spielemuseum, für die Benützung des gesamten Archivs sowie die Beratung in allen allgemeinen Fragen zum Thema „Spiel“. ▪▪ Tim Krabbé, für den Einblick in seine ungemein spannende Internetsite der „Chess curiosities“. ▪▪ Jeff Sonas, für die Erlaubnis, Berechnungen seiner historischen Elo-Zahlen in dieses Buch aufzunehmen. ▪▪ Sandro Del-Prete, für die Abdruckerlaubnis zum Thema „Schach und Kunst“. ▪▪ Ugo Dossi, für die Abdruckerlaubnis zum Thema „Schach/Kunst“. 11 12 Einführung ▪▪ Alex Crisovan, Ehrenmitglied des Schweizerischen Schachverbandes, für seine Unterstützung bei der Zusammenstellung der Chronologie. ▪▪ Harald Schneider-Zinner, für die Bereitstellung seines Aufsatzes über das „Polgár-Experiment“. ▪▪ Jacques Foissotte und Colin Rose, Schachmotivsammler, für die Bereitstellung des Bildmaterials zu den Motivmarken. ▪▪ Allen Mitgliedern meines Schachclubs Donaustadt (www.s-c-d.at), die mir bei der Sichtung, Auswahl und Einschätzung des riesigen Materialfundus geholfen haben. ▪▪ Eckhard Schwettmann, Programmbereichsleiter des Humboldt Verlags, und seinem Team, für das wiederholte Vertrauen, die erfreuliche Zusammenarbeit und die Aufnahme des Schachsammelsuriums ins Verlagsprogramm. Wien, Januar 2011 Hugo Kastner 13 Abkürzungen K König D Dame T Turm L Läufer S Springer B Bauer + Schach ++ Doppelschach # Matt x Schlagzeichen 0–0 kurze Rochade 0–0–0 lange Rochade e.p. en passant !! sehr starker Zug ! starker Zug !? interessanter Zug ?! zweifelhafter Zug ? schwacher Zug, Fehler ??sehr schwacher Zug, grober Fehler 1-0 Weiß gewinnt 0-1 Schwarz gewinnt ½ Remis Weiß am Zug □ Schwarz am Zug ■ unklar, wer zieht □■ +– Weiß hat entscheidenden Vorteil –+Schwarz hat entscheidenden Vorteil = ausgeglichene Stellung Kalenderbezug D Achtung: Lösung ▼ ~ beliebiger Zug † Wie zieht ein GM? siehe O Serienartikel Q * geboren † gestorben F Farbtafel FS Fernschach FS-GM Fernschach-Großmeister N.N. unbekannter Spieler FM FIDE-Meister IM Internationaler Meister GM Großmeister WGM Frauen-Großmeister WM Weltmeister 14 Länderabkürzungen EGY ALB AND ARG ARM AZE AUS BEL BIH BRA IVB BUL CHI CHN GER DEN DOM ECU ENG EST FIN FRA GEO GRE GBR IND IRQ IRE ISL ISR ITA JAM YUG CAN KAZ QAT COL CRO CUB LAT Ägypten Albanien Andorra Argentinien Armenien Aserbaidschan Australien Belgien Bosnien u. Herzegowina Brasilien Britische Jungferninseln Bulgarien Chile China Deutschland Dänemark Dominikanische Republik Ecuador England Estland Finnland Frankreich Georgien Griechenland Großbritannien Indien Irak Irland Island Israel Italien Jamaika Jugoslawien Kanada Kasachstan Katar Kolumbien Kroatien Kuba Lettland LTU LUX MKD MEX MDA MNC MNE NZE NED NOR AUT PAR PER PHI POL POR ROU RUS SCO SWE SUI SRB SIN SLK SLO SOV ESP TAD CZE CSR TUN TUR UKR HUN URU USB USA VIE WAL BLR Litauen Luxemburg Mazedonien Mexiko Moldawien Monaco Montenegro Neuseeland Niederlande Norwegen Österreich Paraguay Peru Philippinen Polen Portugal Rumänien Russland Schottland Schweden Schweiz Serbien Singapur Slowakei Slowenien Sowjetunion Spanien Tadschikistan Tschechien Tschechoslowakei Tunesien Türkei Ukraine Ungarn Uruguay Usbekistan Vereinigte Staaten Vietnam Wales Weißrussland 15 Abbildungsnachweis Manfred Olms /Edition Olms: Porträtbilder der Schachweltmeister Gerhard Radosztics: zahlreiche Farbtafeln Yolanda und Sandro del Prete: Farbtafel Schachkunst Ugo Dossi: Farbtafel Schach /Kunst Alex Crisovan: Karikaturen und Autogramme der Schachweltmeister René Schwab: sw-Bild von Stanec, Logo vom Schachclub Donaustadt Jacques Foissotte und Colin Rose: Bildmaterial zu Motivmarken (Farbtafeln) Tony Reisner: Abbildung eines Schachbretts (Farbtafel) Michael Ehn /Wiener Schachverlag: Porträtbilder von Morphy, Kramnik und Anand; nahezu alle Schwarzweißbilder der Kalenderseiten; Bildmaterial zu zahlreichen Farbtafeln 16 Januar Schönheit Ist eigentlich alles, was man mit Liebe betrachtet. Christian Morgenstern 1. Chaturanga – Geschichte 2. Arabische & Persische Legenden – Legenden 3. Materielle Werte – Thema 4. Möglich – unmöglich! – Studien (Kubbel/Lasker) 5. Prinzessin Dilaram – Probleme (As-Suli/Hoffmann) 6. Mission Impossible – Studien (Kubbel/Popov) 7. Paul Keres – Biografie 8. Titelträume – Rekorde 9. Abtausch bis Diagonale – Schachsprache 1 10. Von Feld zu Feld – Rätsel 11. Von der Eröffnung zum Endspiel – Thema 12. 2001: Odyssee im Weltraum – Partie (Dr. Frank Poole – HAL 9000) 13. Unwiderstehlich! – Problem (Loyd) 14. As Time Goes By – Kuriosa 15. Alte Meister – Info (Charousek, Paulsen, Zukertort) 16. Rösselsprung – Regeln 17. Schach in der Literatur – Liste 18. FIDE-K.o.-Champions – Info (Chalifman, Kasimdschanow, Ponomariow) 19. Sprung ins Verderben? – Probleme (Mosely/Mansfield) 20. Langlebigkeit – Rekorde 21. Kandidaten- und Interzonenturniere – Ehrentafel 22. 5 Kronen-Banknote – Insider-Wissen I 23. Citius, altius, fortius! – Rekorde 24. Das Goldene Feld – Studie (Tschechower) 25. Zauberhafte Symmetrien – Studien (Bianchetti/Lehrstudie) 26. Vom Abstrakten zum Konkreten – Geschichte 27. Alice hinter den Spiegeln – Thema/Variante 28. Harun al-Raschid – Chronologie 1 (ca. 580 – 1000) 29. Boris Spassky – Porträt 30. Boris Spassky – Biografie 31. Platz im Louvre – Partie (Kasparow – Topalov) 1. Januar: Chaturanga Kalender: Lionel Kieseritzky *1806 FRA/EST • Klaus Junge *1924 GER • Alexej Wyschmanawin *1960 RUS/SOV • Roman Slobodjan *1975 GER Die Geburt des Schachs ist rätselhaft und wunderbar wie das Spiel selbst. Joachim Petzold Seit Jahrhunderten wird über die Entstehung des königlichen Spiels gerätselt. Und ganz konnten selbst auf Schach spezialisierte Historiker nicht in die Tiefen der Zeit eindringen. Aber eines scheint festzustehen: Indien war das Geburtsland des Schachs, und irgendwann in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts muss die erste Figurenbewegung stattgefunden haben. Ob diese Zeitangabe nur für das Zweischach gilt oder auch für die im Diagramm gezeigte VierschachWürfelform, ist bei den spärlichen Quellen nicht sicher zu belegen. Der indische Würfel barg jedoch auch ein Element der Geschicklichkeit, ist also keinesfalls als reiner Glücksfaktor zu verstehen. Jedenfalls standen früher Elefanten neben den Königen, die entsprechend ihrer Schwerfälligkeit nur diagonal eine Figur überspringen konnten. Warum nun sieht man Indien als Ursprungsland und nicht etwa China mit der dort üblichen Schachform Xiangqi? Nun, allein der Name Chaturanga (altind. chatur „vier“, anga „Glied“) bietet einen interessanten Hinweis. Einerseits bedeutet dieses Wort im Sanskrit sowohl „Heer“ als auch „Schach“, andererseits bestand das indische Heer der damaligen Zeit – wie wir aus den Eroberungszügen Alexander des Großen wissen – aus exakt vier Waffengattungen, die vollständig und in ihrer natürlichen Bewegung durch das Spiel symbolisiert werden: Fußtruppen (padati), Kampfwagen (rath), Reiterei (ashwa) und Kriegselefanten (haahti). Zumindest Letztere gab es im Reich der Mitte nicht – und „Lehnfiguren“ aus Indien scheinen aus politischer Räson unwahrscheinlich. Zur Datierung des Spiels: Da später in Indien zwei weitere Heeresteile dazukamen, passt auch die Entstehungszeit vollkommen ins geschichtliche Puzzle. Als historisch nicht haltbar gilt dagegen heute der Bezug des Begriffs „viergliedrig“ auf die Vierschach-Grundstellung (siehe Abbildung), aus der sich dann das Shatrang (Zweischach) entwickelt haben soll. Dem König (raja) wurde demnach ein Wesir (mantri) als Unterstützung beigestellt. Hundertprozentige Sicherheit zur Entstehung des königlichen Spiels kann es jedoch nicht geben, wie Joachim Petzold in seinem schönen Eingangszitat betont. 17 18 2. Januar: Arabische & Persische Legenden Kalender: Vasile Sanduleac *1971 MDA • Vladimir Makogonow † 1993 AZE/SOV • Arnold Sheldon Denker † 2005 USA Weizenkornlegende Diese Legende stammt aus dem Buch Die goldenen Wiesen und Edelsteingruben des in Bagdad geborenen Historikers, Philosophen und Geografen Abu al-Hasan Ali ibn al-Husayn al-Mas’ūdi († 956 Fustat, Ägypten). Ein indischer König brachte durch Hochmut und Tyrannei das Volk gegen sich auf. Da erschien der Brahmane Sissa, der das Schachspiel erfand, um dem König vor Augen zu führen, dass nur das Gemeinsame dem Wohl des Landes dient und der Herrscher ohne den Beistand der Untertanen schutzlos dem Feind ausgeliefert ist. Der König stellte dem Brahmanen einen Wunsch frei und war fast erzürnt, als sich der heilige Mann ein Weizenkorn auf dem ersten Feld des Brettes, zwei auf dem zweiten, vier auf dem dritten, und so fort wünschte. Er wollte nur die Gesamtzahl der Körner als Lohn bekommen. Nun, der König durfte den Wunsch nicht abschlagen und wies seinen Verwalter an, sofort den nötigen Weizen aus der Kornkammer holen zu lassen. Seine Erzürnung über die große Bescheidenheit des Brahmanen wich Erstaunen und dann Entsetzen, da der König bald einsah, dass alles Korn aller Ernten seines Lebens nicht ausreichen würde, um den Wunsch des weisen Mannes zu erfüllen. Verlangt war die astronomische Zahl von 18 446 744 073 709 551 615 Körnern Weizen, das sind 18,5 Trillionen, eine Zahl, die unsere Vorstellungskraft sprengt. Die Weisheit des Perserkönigs Abū l-Qāsim-e Ferdausī (*940 oder 941 in Bāž, Iran (heute Maschhad); † 1020 in Tūs) war der Hauptautor des monumentalen iranischen Nationalepos Schāhnāme, das in mehr als 50 000 Versen den Glanz des Sassanidenreiches schildert. Der Perserkönig Khosrau I. (er regierte 533–579) wird von einer indischen Gesandtschaft mit einem wunderbaren Schachbrett sowie einem Figurenset beschenkt, allerdings mit einer ungewöhnlichen Aufforderung. Gelänge es innerhalb acht Tagen die Regeln dieses Kriegsspiels zu ergründen, wäre die vollkommene Weisheit des persischen Hofs bewiesen. Der indische König wäre in diesem Fall bereit, jeden Tribut zu zahlen. Im umgekehrten Fall müsste sich Persien dem indischen Herrscher unterwerfen. In der Tat gelingt es dem Wesir, zunächst die Figurenaufstellung zu finden, dann auch die Gangart der Truppen, und zuletzt das exakte Abbild des Schlachtfeldes. Der Šhā h (König) steht im Zentrum, der Ratgeber daneben, dann folgen die Elefanten, die Reiter und schließlich ganz außen die Kampfwagen. Geschützt werden diese hohen Truppen durch eine Phalanx von Fußsoldaten. Entsetzt müssen die indischen Gesandten die unendliche Weisheit der persischen Magier anerkennen und sich König Khosrau unterwerfen. 3. Januar: Materielle Werte Kalender: Johann Baptist Allgaier † 1823 • Alfred Brinckmann *1891 GER Bauerneinheiten Seitdem Schach gespielt wird, vergleicht man die relative Wertigkeit der Figuren: Bereits im 9. Jahrhundert hat der damalige Meister as-Suli eine erste Skala entworfen. Staunton, von Bilguer, Steinitz, Bronstein und auf wissenschaftlicher Basis Kaufmann bieten leicht modifizierte Einschätzungen – alle basierend auf Bauerneinheiten. Dabei wurden vom IM Larry Kaufmann computerunterstützte Studien auf Grundlage von mehr als 300 000 Partien durchgeführt, wobei Meisterniveau (über 2300 Elopunkte) Voraussetzung war. Staunton von Bilguer Steinitz Bronstein Kaufmann Springer 2,75 3,25 3,05 3,00 3,25 Läufer 3,25 3,50 3,50 4,00 3,50 Turm 5,00 5,00 5,48 5,00 5,00 Dame 9,00 9,25 9,94 9,00 9,75 Zusätzliche Erkenntnisse der Kaufmann-Studie: ▪▪ Der Turmbauer ist um 15 % weniger wert als die übrigen Bauern. ▪▪ Doppelbauern vermindern ihren Wert um ¹∕8. Allerdings wird dies durch Vorhandensein aller Türme relativiert. In diesem Fall ist der Wertverfall nur ¹∕16. ▪▪ Isolierte Doppelbauern sind kaum mehr wert als einzelne. In geschlossenen Stellungen, mit mehr Bauern auf dem Brett, wird der Schaden halbiert. ▪▪ Ein Läufer und ein Springer sind annähernd gleichwertig. Der Bonus für das Läuferpaar dagegen beträgt ½ Bauerneinheit, wenn weniger als die Hälfte der Bauern auf dem Brett sind. ▪▪ Im Endspiel gegen Türme und Bauern sind Läufer im Vergleich zu Springern leicht im Vorteil. Bei weiteren Figuren auf dem Brett ist der Springer dann zu bevorzugen, wenn sechs oder mehr Bauern vorhanden sind. ▪▪ Die Qualität (Turm gegen Läufer oder Springer) hat einen mittleren Wert von 1 3 ∕8 Bauerneinheiten. Hat der Gegner noch das Läuferpaar, wird dieser Wert auf 1 3 ∕20 reduziert. ▪▪ Der Turm ist gegen Springer und zwei Bauern materiell ca. ¼ Bauerneinheit im Nachteil. Für jeden Bauern über fünf nimmt der Wert des Springers um ¹∕16 zu, der des Turms um ¹∕8 ab. ▪▪ Bei Turm gegen zwei Leichtfiguren muss die Turmseite ½ Bauerneinheiten mehr haben, um im Gleichgewicht zu sein. ▪▪ Die Dame entspricht Turm, Leichtfigur und 1 ½ Bauerneinheiten. Die Dame zusammen mit einem Bauern ist ungefähr gleich stark wie zwei Türme, wenn die Leichtfiguren bereits vom Brett sind. Andernfalls benötigt die Dame keinen Bauern, um die Balance herzustellen. ▪▪ Die Dame und ½ Bauerneinheit entspricht ca. drei Leichtfiguren. Der Anzugsvorteil in Meisterklassen beträgt ca. 40 Elo-Punkte. Der Wert eines Mehrbauern ohne irgendwelche Kompensation macht ungefähr 200 Elo-Punkte aus. Kommentar: All dies sind selbstverständlich nur Richtwerte. 19 4. Januar: Möglich – unmöglich! 20 Kalender: Josef Krejcik † 1957 AUT • Ioannis Nikolaidis *1971 GRE Leonid Kubbel kann mit seinen Studien fesseln wie kaum ein anderer Komponist. Wahnwitz, was er hier auf das Brett zaubert. Darunter das berühmte Lasker-Manöver, das als Endspielstudie des Weltmeisters Eingang ins praktische Schach gefunden hat. Leonid Kubbel O 6. Jan. D 1921 □ Weiß hält remis Weiß scheint verloren, ohne ausreichendes Material zur Verteidigung. Aber bekanntlich gibt es auch versteckte Opfer, die nicht so ohne weiteres ausgeschlagen werden können. ▼ Ein unglaublicher, ja paradoxer Zug eröffnet den Kampf um das Remis: 1.Sd4!! Noch eine Figur wird dem Gegner zum Fraß vorgeworfen. 1…Dxd4. Auf 1…Dd8 folgt 2.Ta3+ Kb7 3.Tb3+ Kc8 4.Tb8+! Kxb8 5.Sc6+ und Remis. Geht der schwarze König bei seinem Fluchtversuch auf c5 oder c7, kann Weiß mit Se6+ sogar noch gewinnen. 1…Lxd4 wird ebenfalls mit 2.Ta3+ Kb7 und Tb3 und Remis beantwortet. 2.Ta3+ Kb5 3.Tb3+ Kc4 4.Tc3+ Kd5 5.Td3!! Schwarz muss wie paralysiert zusehen, wie nach 5…Dxd3 der weiße Monarch gelassen im Pattloch verharrt. Kunstvoll! Emanuel Lasker Deutsches Wochenschach 1890 □ Weiß zieht und gewinnt Wie so oft, schafft der Superspieler eine sehr partienahe Studie. ▼ 1.Kb7 Tb2+ 2.Ka7 Tc2 3.Th5+ Ka4 4.Kb6 Tb2+ 5.Ka6 Tc2 6.Th4+ Ka3 7.Kb6 Tb2+ 8.Ka5 Tc2 9.Th3+ Ka2(b2) 10.Txh2 Fesselung und Opfer zugleich. 10…Txh2 11.c8D mit elementarer Gewinnführung. Praktisch veranlagt! 5. Januar: Prinzessin Dilaram Kalender: Hermann Helms *1870 USA • Lutz Espig *1949 GER • Siegfried Reginald Wolf *1951 AUT • Oldřích Důras † 1957 CSR Märchenhaft anmutende Schachkombinationen gehören zum wertvollen Kulturerbe arabischer Völker. Das Kronjuwel der Problemkunst ist zweifellos das hier präsentierte Matt der Dilaram. Der Legende nach stand der leidenschaftlich dem Schach verfallene Großwesir Murwardi vor dem finanziellen Ruin. Als letzten Einsatz bot er seine Lieblingsfrau Prinzessin Dilaram, die ihm in höchster Not den rettenden Einfall einflüsterte: „Opfere die Türme und rette dein Weib.“ Offensichtlich pflegten damals Frauen, selbst Sklavinnen, die Schachspielkunst, was ihren gesellschaftlichen Wert ungemein steigerte. Darunter eine Hoffmann-Kombination mit dem Lucena-Matt. Abu-Bakr Muhammad ben Yahya as-Suli Manuskript Abd ’al Hamid Nr. 96, 10. Jahrhundert (vor 946) □ Matt in 5 D Eine kleine Regelfeinheit vorweg: Im arabischen Schach ist der Läufer (Alfil) ein Elefant, der diagonal auf das übernächste Feld ziehen kann, selbst über eine Figur hinweg. Hier kontrolliert er also f1 und f5. Sehen Sie schon die Lösung? ▼ 1.Th8+ Kxh8 2.Lf5+ Kg8 3.Th8+ Kxh8 4.g7+ Kg8 5.Sh6#. Matt der Dilaram! Fritz Hoffmann 1977 □■ Matt in 5 Wer ist am Zug? Das ist die große Frage. Schwarz setzt durch die berühmte LucenaKombination aus dem Jahre 1497 (O 3. Feb.) in 5 Zügen matt, Weiß braucht ebenso viele Züge für die brillante Imitation der mittelalterlichen Dilaram-Mattführung. ▼ Schwarz: 1.Dd3+ Ka1 (falls 1…Kc1 folgt matt unmittelbar), 2.Sc2+ Kb1 3.Sca3++ Ka1 4.Db1+ Txb1 5.Sc2#. Dieser Erstickungstod läutete die Neuzeit ein! Weiß: 1.Th8+! Kxh8 2.Sg5+ Kg8 3.Th8+ Kh8 4.Dh1+ Kg8 5.Dh7#. Prinzessin Dilarams DoppelTurmopfer! Vom Mittelalter in die Neuzeit! 21 6. Januar: Mission Impossible 22 Kalender: D Leonid Iwanowitsch Kubbel *1892 RUS • Hermann Helms † 1963 USA • Alexej Wyschmanawin † 2000 RUS/SOV Leonid Kubbel (eigentlich Karl Arthur Leonid, er hatte deutsche Vorfahren) war einer der großen Meister der Komposition (O 13. Feb.). Im bürgerlichen Beruf war er Chemie-Ingenieur. Leider starb dieser kreative Denker viel zu früh während der Blockade Leningrads. Kubbel erwarb mehr als 120 Auszeichnungen für seine Studien und Probleme. Erfreuen Sie sich an diesem exquisiten Kunstwerk! Sie dürfen sich diese Studie wahrlich auf der Zunge zergehen lassen. Auch die beiden Brüder Arwid und Evgeni waren hervorragende Studienkomponisten und machen das Œvre dieser Familie zu einem gigantischen Fundus von über 1 000 Kompositionen. Elegant auch Grigorij Popovs Mischung (2. Diagramm) aus dem berühmten „Indischen Problem“ und dem Excelsiormarsch des Bauern. Leonid Kubbel Schachmatny Listok 1922 □ Weiß gewinnt Von den Toten auferstanden, könnte man meinen, wenn man diese unerwartete Zugfolge vor dem geistigen Auge abrollen lässt. Die Bezeichnung „mission impossible“ für diese Kubbel-Kreation ist mehr als verdient. ▼ Es beginnt mit einem dramatischen Opfer: 1.Sc6!! Zieht Schwarz mit seinem Bauer auf der a-Linie, folgt die Gabel durch den kecken Springer. Also 1…Kxc6 2.Lf6! mit Blick auf das Umwandlungsfeld in der Ecke. 2…Kd5 schützt den d-Bauern. Aber nun folgt ein wahrlich sensationeller Zug: 3.d3!! Der eigene Bauer versperrt die Angriffslinie. 3…a2 scheint locker zu gewinnen. Doch es geht weiter: 4.c4+ 4…dxc3e.p. 5.Lxc3 4…Kc5 5.Kb7!! Schwarz darf sich eine Dame holen: 5…a1D. Tatenlos muss die Lady das überraschende Matt durch 6.Le7# mit ansehen! Grandissimo! Grigorij Popov Turnier für Problemkomponisten, Wien 2007 □ Matt in 9 Schwarz ist nahezu unbeweglich. Und so gibt es eine forcierte Folge. ▼ 1.Le4! Lf6 2.Lh7+ Ld4 3.Te4 Kd3 4.Th4+ Kc4 5.g4 Lf6 6.g5+ Ld4 7.g6 Kd3 8.g7+ Kc4 9.g8D/L#. Studienartiger Durchmarsch! 7. Januar: Biografie: Paul Keres Kalender: Hans Johner *1889 SUI • D Paul Keres *1916 EST/SOV • Krishnan Sasikiran *1981 IND • Luke McShane *1985 ENG • Harry Golombek † 1995 ENG Geschätzt, verehrt, geliebt – der ewige Zweite Hunderttausende Trauernde säumten die Straßen Tallinns, als Paul Keres im Juni 1975 zu Grabe getragen wurde. Sein Bild ziert die estnische Fünf-Kronen Banknote. Und hören Sie die Stimme eines unbekannten, alten Mannes zur Gefühlslage der Esten: „Ich weinte beim Tod von Keres so, wie ich nie zuvor geweint hatte.“ Wohl kein Schachspieler hat je derartige Verehrung genossen wie dieser Gentleman par excellence, der zeitlebens die Freundlichkeit des Aristokraten ausstrahlte. Keres wurde am 7. Januar 1916 in eine Schneiderfamilie hineingeboren. Wenn auch nicht als Wunderkind gefeiert, so fiel Paul bereits früh durch hervorragendes Spiel auf, wie auch durch tiefe Problementwürfe. Keres hatte aber viele Talente. Er studierte nebenbei Mathematik und brachte es als Tennisspieler zum Vizemeister seines Heimatlandes. 1937 war das erste große Schachjahr des Esten. Fünfmal konnte er in internationalen Turnieren zumindest den geteilten ersten Platz erreichen, und man begann bereits über einen Weltmeisterschaftskampf gegen Aljechin zu munkeln. Im Sommer 1940 marschierten jedoch sowjetische Truppen in Estland ein, der Zweite Weltkrieg hatte begonnen – und Keres musste vorerst warten. Schach stand, wie jede geistige Aktivität, für Jahre im Abseits. 1948 startete Keres erneut seinen entschlossenen, wenn auch letztlich vergeblichen Anlauf auf die Krone im königlichen Spiel. Viermal wurde der sentimentale Favorit der Schachfans in Kandidatenturnieren Zweiter, jedes Mal vom Glück verlassen beim Versuch, die letzte Sprosse auf der Leiter des Triumphes zu meistern. Die Schachwelt wusste um seine Stärken und 1960 machte Südafrika einen in der Geschichte der WM-Qualifikationen einmaligen Vorschlag: Keres ob seiner Verdienste außerhalb des WM-Zyklus einen Titelkampf austragen zu lassen. Nun, wie nicht anders zu erwarten, folgte der geharnischte Protest der sowjetischen Delegation; Keres, der mit seinem Auftreten seit der Einverleibung seiner Heimat stillen Protest signalisierte, schien ihr nicht linientreu genug. Dem großen Esten sollte das Schicksal des ewigen Zweiten nicht erspart bleiben. Auf der Rückreise von einem Turnier in Vancouver hörte sein Herz endgültig auf zu schlagen. Doch bleibt uns Boris Spasskys würdiger Nachruf: „Es war unmöglich, ihn, einen Menschen mit einmaligen Charaktereigenschaften, nicht zu mögen.“ 23 24 8. Januar: Titelträume Kalender: D Boris Werlinsky *1888 RUS • Herman(n) Pilnik *1914 ARG/GER • Igor Wassiljewitsch Iwanow *1947 CAN/SOV • Alexander Kotow † 1981 RUS • Elisabeth Pähtz *1985 GER Großmeister ▪▪ 1838 erwähnte die Londoner Zeitung Bell’s Life erstmals den Titel Großmeister. ▪▪ 1914 verlieh Zar Nikolaus II. den GM-Titel an die fünf Finalisten des St. Petersburger Turniers: Lasker, Capablanca, Aljechin, Tarrasch, Marshall. ▪▪ 1927 wurde in der Sowjetunion ein nationaler GM-Titel geschaffen, und dieser 1929 auch erstmals an den Landeschampion Boris Werlinsky verliehen. Weiterer „Rekord“ der Sowjetunion: Der GM-Titel wurde 1931 wieder ersatzlos gestrichen. ▪▪ 1935 erhielt der linientreue Michail Botwinnik den zum zweiten Mal geschaffenen nationalen GM-Titel der Sowjetunion. ▪▪ 1950 zeichnete die FIDE 27 Spieler mit dem Großmeister-Titel aus: B ernstein, Boleslawsky, Bondarewski, Botwinnik, Bronstein, Duras, Euwe, Fine, Flohr, Grünfeld, Keres, Kostić, Kotow, Löwenfisch, Lilienthal, Maróczy, Mieses, Najdorf, Ragosin, Reshevsky, Rubinstein, Sämisch, Smyslow, Ståhlberg, Szabó, Tartakower und Vidmar. ▪▪ Jacques Mieses war zum Zeitpunkt der Erlangung des GM-Titels bereits 85 (!) Jahre alt. Auch George Koltanowski bekam 1988 als 85-Jähriger diesen Titel honoris causa. Géza Maróczy stand immerhin im 81. Lebensjahr. Elf der ersten 27 Großmeister wurden im 19. Jahrhundert geboren. Kontrapunkt: David Bronstein war mit 26 der Jüngste im Bunde. ▪▪ Robert Fischer wurde mit 15 Jahren, 4 Monaten und 28 Tagen GM. Heute hält Sergei Karjakin den Rekord (siehe Wunderkinder O 26. Nov.) Das jüngste Mädchen mit dem „männlichen“ GM-Titel war die Inderin Humpy Koneru (15 Jahre, 1 Monat, 27 Tage), bis im September 2008 die Chinesin Hou Yifan mit 14 Jahren, 6 Monaten und 2 Tagen neue Maßstäbe setzte. Jung und Alt ▪▪ Wassily Smyslow spielte als 63-Jähriger gegen Garri Kasparow (damals 21 Jahre alt) ein Kandidatenmatch. Er war genau dreimal so alt wie sein Gegner. 1996 spielte Smyslow als 75-Jähriger gegen Etienne Bacrot (damals 13!). ▪▪ Zwischen Samuel Reshevskys erstem und letztem Gewinn der US-Meisterschaft (1933 und 1969) liegt eine Zeitspanne von 33 Jahren. ▪▪ Joseph Blackburne spielte sowohl im zweiten Turnier der Geschichte 1862 in London als auch 1914 im St. Petersburger Großmeisterturnier. ▪▪ Erik Lundin aus Schweden wurde knapp vor seinem 80. Geburtstag GM. ▪▪ Milan Vidmar gewann das Turnier von Basel 1952 im Alter von 67 Jahren. ▪▪ Viktor Kortschnoi brach altersmäßig alle Rekorde: Er siegte einen Monat vor seinem 70. Geburtstag 2001 in Biel. Außerdem besiegte er 2001 den um 52 Jahre jüngeren FIDE-Weltmeister Ruslan Ponomariow. 9. Januar: Abtausch bis Diagonale Kalender: Henry Augustus Loveday † 1848 ENG • Daniel Harrwitz † 1884 GER Die Sprache der Schachspieler I O 16. März ▪▪ Abtausch: Gleicher Materialwert beider Spieler nach direktem Schlagen von Figuren. ▪▪ Ablenkung: Eine gegnerische Figur wird genötigt, ihren Platz zu verlassen. ▪▪ Abzug(sschach): Durch Wegziehen einer Figur wird die Wirkungslinie einer dahinter platzierten Figur frei, eventuell mit Schachgebot. ▪▪ Anzug(svorteil): Der erste Zug von Weiß in einer Partie. ▪▪ Aufgabe: Beendigung einer Partie, wenn ein Spieler sich geschlagen gibt. ▪▪ Bauerndurchbruch: Der Weg eines Bauern wird durch Opfer eines oder mehrerer anderer Bauern frei geräumt. ▪▪ Bauernendspiel: Außer den Königen sind nur noch Bauern auf dem Brett. ▪▪ Bauernkette: Bauern einer Farbe auf einer Diagonale; ohne Leerfelder dazwischen. ▪▪ Bauernmajorität: Zahlenmäßige Bauernüberlegenheit eines Spielers im Zentrum oder auf einem Flügel. ▪▪ Bauernschwäche: Nachteilige Position eines oder mehrerer Bauern (z. B. rückständige Bauern, Doppelbauern) ▪▪ Bauernstruktur: Generelle Anordnung der Bauern auf dem Spielbrett. ▪▪ Bedenkzeit: Vor der Partie festgelegte Zeit für alle Züge. ▪▪ Bergersches Quadrat: Regel, die besagt, ob ein König einen gegnerischen Bauern noch rechtzeitig vor dem Umwandlungsfeld erreichen kann: Befindet sich der König im Quadrat des Bauern (Seitenlänge: Felderanzahl bis zum Umwandlungsfeld) oder kann er es (am Zug befindlich) betreten, holt er den Bauern noch ein. ▪▪ Berührt-geführt: Regel, die verlangt, dass ein berührter Stein, wenn möglich, gezogen wird. Ausnahme: Vorher wurde eine „j’adoube-Ansage“ (frei übersetzt: „ich rücke zurecht“) gemacht. ▪▪ Bewegungsregel/Gangart: Vorschrift der Zugmöglichkeiten der Figuren. ▪▪ Blitzschach: Partien mit kurzer Bedenkzeit, üblicherweise 5 Minuten pro Spieler. ▪▪ Blockade: Stoppen eines gegnerischen Bauern durch eine Figur. ▪▪ Damenendspiele: Außer Königen und Bauern befinden sich nur Damen auf dem Schachbrett. ▪▪ Damenflügel: Schachbrettseite der Dame (a- bis d-Linie). ▪▪ Damenopfer: Opfer der stärksten Figur. ▪▪ Dauerschach: Unentschieden, da ein Spieler ewiges Schach bieten kann. ▪▪ Deckung: Eine Figur gleicher Farbe kann auf ein bedrohtes Feld ziehen. Mehrfachdeckungen sind häufig. ▪▪ Diagonale: Eine Linie von Feldern gleicher Farbe, die sich an den Ecken berühren. 25 10. Januar: Von Feld zu Feld 26 Kalender: Henri Rinck *1870 FRA • Walter Browne *1949 USA • Oleg Romanischin *1952 UKR/SOV • Alisa Maric *1970 SRB • Mirjana Maric *1970 SRB Aufgaben anderer Art Dieses Blatt bietet einige ungewöhnlichen Spielereien auf dem Schachbrett. A. Springerreise: Vier schwarze Bauern werden auf die Felder c3, f3, c6 und f6 platziert, ein weißer Springer kommt auf a1 zu stehen. Dieser Springer soll nun in Schlingbewegung alle nicht besetzten oder gedeckten Felder des Schachbretts besuchen, und zwar in der Reihenfolge b1, c1 über h1, dann h2, g2 zurück auf a2 usw. Bitte zu Testzwecken eine Stoppuhr verwenden. Weniger als 10 Minuten sind beachtlich, unter 7 Minuten gilt als ausgezeichnet und wer gar innerhalb von 2 Minuten das komplette Feld bespringt, darf Großmeisterstärke reklamieren. B. Bauernsturm: Auf einem leeren Schachbrett werden abwechselnd weiße und schwarze Bauern platziert, irgendwohin, ohne die Feldergrenzen zu beachten. Sobald ein Spieler keinen Bauern mehr setzen kann, hat er verloren. Wer muss dieses Spiel gewinnen, Weiß oder Schwarz? C. Narrenmatt: Wie sieht das schnellstmögliche Matt aus? D. Schäfermatt: Das schnellste Matt durch Weiß. Im 17. Jahrhundert entstand in Frankreich dieser Name, da sich ein Schachspieler, der darauf hereinfiel, getrost zu den Schafen zählen konnte. Eine andere Erklärung sieht im amourösen Schäferstündchen den Grund für mangelnde Konzentration. E. Zugkopien: In wie vielen Zügen setzt Weiß matt, wenn Schwarz jeden Zug spiegelbildlich kopiert? Lösungen A: Einfach mit der Stoppuhr kontrollieren. B: Der erste Bauer kommt ins exakt geometrische Zentrum des Bretts, danach werden alle schwarzen Züge kopiert. Weiß wird immer als Sieger vom Brett gehen. C (Diagramm): 1.f3 e5 2.g4 Dh4#. D: 1.e4 e5 2.Lc4 Sc6 3.Dh5 Sf6 4.Dxf7#. E: In vier Zügen. 1.d4 d5 2.Dd3 Dd6 3.Dh3 Dh6 4.Dxc8# oder 1.c4 c5 2.Da4 Da5 3.Dc6 Dc3 4.Dxc8#. 11. Januar: Von der Eröffnung zum Endspiel Kalender: Daniel Noteboom † 1932 NED • D Emanuel Lasker † 1941 GER Gesunder Menschenverstand im Schach (Emanuel Lasker) Der Titel dieses Lasker-Klassikers passt so treffend auf die Anforderungen, die neben allem Berechnen von Varianten und allem Memorieren von Stellungsmustern für das wahre Spiel notwendig ist. Hiermit sind alle Spielphasen gemeint, von der Eröffnung über das Mittelspiel bis zum Endspiel. Grundelemente: Garri Kasparow sieht, wie viele andere Spieler und Autoren, drei Grundelemente im Schach, die jeder Spieler gemäß seinem Können zu nutzen versucht: Material, Zeit und Qualität. Das eine wird im praktischen Spiel oft gegen das andere getauscht. Hier zeigen sich Erfahrung, Intuition und Begabung. Was ist mit diesen Elementen gemeint? Material: Dabei haben wir eine messbare Größe vor uns, die als Basis jeder wissenschaftlichen Betrachtung des Schachs stehen muss: Im Wesentlichen sind es Bauern und Figuren, deren Stärken abzuwägen sind. Auf dieser Basis der Bewertung arbeitet auch der Computer (O 3. Jan.). Zeit: Dieser Faktor ist vielschichtiger als das Grundelement Material, dennoch aber auch für den Amateur deutlich erkennbar: Tempogewinn, Zugzahl für die Umwandlung eines Bauern oder die Berechnung von Opferkombinationen sind Ausdruck des Zeitfaktors. Qualität: Beim Unterscheiden von guten und schlechten Bauernstrukturen, von starken und schwachen Feldern, von günstigen Vorpostenpunkten, vom Vorteil des Läuferpaars usw. wird die Spreu vom Weizen getrennt, wenn wir über Spielstärke sprechen. Wenn auch die Grundprinzipien für alle gleich bleiben, kann nur ein Meister die Vor- und Nachteile gut und schlecht platzierter Figuren zu jedem Zeitpunkt optimal einschätzen. Endspielprinzipien: „… Dies sind die drei Momente, die dem Endspiel seinen Charakter geben: die Offensivkraft des Königs, der Freibauer und der Zugzwang.“ (Lasker in Gesunder Menschenverstand im Schach) Offensivkraft des Königs: Je weniger Figuren das Brett bevölkern, desto stärker spielt der König mit. Er rückt ganz buchstäblich ins Zentrum des Geschehens. Nimzowitsch hat dies deutlich ausgedrückt: „Im Mittelspiel ist der König nur Statist, doch im Endspiel ist er einer der Hauptdarsteller.“ Freibauer: Egal wie die sonstige Lage am Brett ist, ein Freibauer, vor allem ein entfernter, bindet gegnerische Figuren und lenkt sie so weit ab, dass andere Stellungsvorteile genutzt werden können. Oft ist sogar das Bilden eines Freibauern durch einen Opfer-Durchbruch zu empfehlen. Zugzwang: Dieses Wort von Max Lange ist in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen. Wir verstehen darunter eine Brettsituation, in der jeder Zug die eigene Stellung nur verschlechtert. Der Zugzwang ist sowohl in elementaren wie auch in komplexen, Berechnung verlangenden Stellungen zu finden. 27 12. Januar: 2001: Odyssee im Weltraum 28 Kalender: Szymon Winawer † 1920 POL • Vlastimil Hort *1944 GER/CSR • Sergej Karjakin *1990 UKR • Dronavalli Harika *1991 IND Dr. Frank Poole – HAL 9000 „2001: Odyssee im Weltraum“ Die vielleicht berühmteste künstliche Partie der Schachgeschichte wird in wenigen Sekunden des legendären ScienceFiction Epos 2001: A Space Odyssee gezeigt. Dr. Frank Poole als Vertreter der Menschheit muss sich gegen den Supercomputer HAL 9000, dessen Inbetriebnahme im Film auf den 12. Januar 1991 D fällt (in Arthur Clarkes Buch dagegen auf den 12. Januar 1997), in der Diagrammstellung hoffnungslos geschlagen geben. Stanley Kubrick Die rekonstruierte Partie: 1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6 4.La4 Sf6 5.0–0 Le7 6.De2 b5 7.Lb3 0–0 8.c3 d5 9.exd5 Sxd5 10.Sxe5 Sf4! 11.De4 Sxe5. Obwohl drei schwarze Figuren hängen, hat Schwarz Vorteil. 12.Dxa8 Dd3 13.Ld1 Lh3 – hier setzt der Film ein – 14.Dxa6 Lxg2 15.Te1 (Diagramm). In dieser Stellung kündigt HAL inkorrekt ein Matt in zwei an: 1…Df3! Lxf3 2.Sxf3#. Doch Weiß könnte, statt die Dame zu schlagen, die eigene Königin nach h6 führen oder den h-Bauern aufziehen und damit das Ende um einige Züge hinauszögern. Wie ist HALs Prognose also zu bewerten? Kubrick-Fans sehen darin einen bewussten Hinweis des Regisseurs auf den langsam einsetzenden Zusammenbruch des Computers. Viel Spekulation gab es auch zur Entstehung des Namens HAL. In Filmkreisen wird gern eine Buchstabentransposition ins Treffen geführt, die sich von der damals führenden Computerfirma IBM (I-1 = H, B-1 = A, M-1 = L; alle Buchstaben rücken im Alphabet um eine Stelle nach vorn) ableitet. Arthur Clarke dagegen behauptet, HAL sei eine Abkürzung für Heuristic Algorithmic. 13. Januar: Unwiderstehlich! Kalender: Enrico Paoli *1908 ITA • József Szén † 1857 HUN • Wassili Nikolajewitsch Panow † 1973 SOV/RUS • Radoslaw Wojtaszek *1987 POL Ein paar Worte zu Sam Loyd (30.1.1841–10.4.1911): Trotz beachtlicher Stärke als Schachspieler war Loyd schon in jungen Jahren vor allem den mathematischen Rätseln zugetan. Dennoch haben viele seiner Problemkunstwerke Eingang in die Literatur gefunden, oftmals unter Pseudonymen wie King, Knight oder Bishop. Das hier präsentierte Problem leiht sich übrigens einen Gedichttitel von Henry Wadsworth Longfellow aus. Sam Loyd Excelsior 1858 D London Era – 13. Januar 1861 □ Matt in 5 Zügen Keine Angst, Sie müssen sich auf keine unmögliche Denkakrobatik einlassen. Beim berühmten Excelsior-Problem darf das „höher hinauf steigen“ (das ist die frei übertragene Bedeutung des lateinischen Namens) quasi im Lehnstuhl genossen werden. Samuel Loyd, der Puzzlekönig, hat 1858 einem seiner Problemkollegen, Denis Julien, eine kleine Wette angeboten, da dieser großspurig behauptete, immer sofort die Figur zu sehen, die keinesfalls matt setzen könne. Nun, wie steht es bei Ihnen? Schenken Sie dieser Stellung ein paar Sekunden Aufmerksamkeit. ▼ Jetzt zur Auflösung: Es ist der Bauer auf b2, der den Exekutor macht! 1.b4!. Warum nicht gleich Tf5 und matt im nächsten Zug auf f1? Klar, der schwarze Turm schaltet sich mit einer Fesselung ein (1…Tc5) und damit wird Matt in 5, wie oben gefordert, unmöglich. Trotzdem kommt zunächst 1…Tc5+. Ein Schlagen 1. …Txc2 wird mit 2.Sxc2 beantwortet – und anschließend exekutiert der Winkelzug Tf5-f1 ganz ungestört. Der freche b-Bauer beseitigt das erste Hindernis: 2.bxc5 und stellt gleich eine direkte Mattdrohung auf, nämlich 3.Tb1#. Nur 2…a2 kann hier Schutz bieten. Doch das weiße Bäuerlein marschiert weiter: 3.c6. Ein Schlagen auf 3.cxb6 gibt dem schwarzen Läufer Zeit, sich mit 3…Lc7 und in der Folge Lf4 oder Lxg3 und Le1 lange genug dazwischenzustellen, um obige Mattforderung in 5 zu unterbinden. Sehen Sie selbst. Dennoch: 3…Lc7. Wieder geht der Bauer unbeirrt seinen Weg: 4.cxb7. Das Tragikomische an der schwarzen Lage: Jeder beliebige Zug wird mit der krönenden Umwandlung des Bäuerleins auf 5.bxa8D# (was für eine Notation!) beantwortet. Eine alte Zen-Weisheit besagt: Das Hindernis ist der Weg. 29 30 14. Januar: As Time Goes By Kalender: 1894 wird Lasker gegen Steinitz Weltmeister • D Humphrey Bogart † 1957 USA • Nadeschdja Kosinzewa *1985 RUS Showbiz & Schach ▪▪ Allen, Woody (USA): In seiner typisch ironischen Art meinte Woody Allen einmal: „I was too small for my school chess team.“ Später schrieb er sogar eine Kurzgeschichte, die er dem Schachthema widmete. ▪▪ Bogart, Humphrey (USA): Im unvergesslichen Meisterwerk Casablanca begegnen wir Bogart in der Rolle des Barbesitzers Rick beim Durchspielen einer Schachpartie. Der vom königlichen Spiel besessene Filmstar (er wurde zum besten männlichen Schauspieler aller Zeiten gewählt) und Kettenraucher (Bogart starb an Lungenkrebs) bestand auf diesen zu seiner Biografie passenden Einstieg. Als aufstrebender Künstler hatte er schließlich sein Geld beim Zocken in New Yorker Chess Cafés verdient. Bogart teilte seine Freunde nach deren Schach- wie Trinkfähigkeiten ein. Welch bizarre Mischung! Einer seiner großen Triumphe war sein Sieg in einer Simultanpartie gegen Sammy Reshevsky. ▪▪ Chaplin, Charlie (England): Das schachbegeisterte Filmgenie nahm bei keinem Geringeren als Sammy Reshevsky Schachstunden. ▪▪ Gabor, Zsa Zsa (Ungarn, USA): Die Grande Dame des Films spielte, so besagen ihre Memoiren, mit ihrem Gatten während der Flitterwochen jeden Tag Schach. Was für eine Partnerin! ▪▪ Jolson, Al (USA): Der Mann, der 1927 in The Jazz Singer die ersten – improvisierten – Worte der Filmgeschichte sprach („Wait a minute, wait a minute! You ain’t heard nothin’ yet! Do you wanna hear ‚Toot-toot-tootsie‘?“) gründete auch einen Schachclub für Radiostars, mit dem doppeldeutigen Titel: Knight Riders of the Air (night = Nacht, knight = Ritter, Springer; beides gleich ausgesprochen). ▪▪ Lennon, John (Großbritannien): In einer seiner Filmkampagnen für den Frieden spielte John Lennon mit Yoko Ono begleitend zum Song Imagine eine Partie Schach: Beide verwendeten ausschließlich weiße Steine und ein weißes Brett, um die Idee von „Peace and Love“ in die Welt zu tragen. ▪▪ Wayne, John (USA): Der Duke war beim Schach durchaus reizbar. Nach einer vernichtenden Niederlage gegen den wenig bekannten Schauspieler William Windom soll er in Rage Brett und Figuren vom Tisch gefegt haben – stilecht passend zum Westernheldenimage. Nun, Windom klaubte das Set auf und behielt es als Souvenir. Weitere Schachfreunde im Showbusiness (alphabetisch): Ingmar Bergman, Sarah Bernhardt, Sergei Bondartschuk, Alistair Cooke, Henry Darrow. Marlene Dietrich, Sergei Eisenstein, Douglas Fairbanks, Errol Flynn, Henry Fonda, Milos Forman, Harry Houdini, John Huston, Stanley Kubrick, Belinda Lee, Peter Lorre, Walter Matthau, Yves Montand, Maureen O’Sullivan, Anthony Quinn, Tim Rice, Roberto Rossellini, George C. Scott, Shirley Temple, Roger Vadim, Conrad Veidt, Mae West, Billy Wilder 15. Januar: Alte Meister Kalender: D Louis Paulsen *1833 GER • Serafino Dubois † 1899 ITA • James Mason † 1905 IRE • Dawid Markelowitsch Janowski † 1927 FRA/POL Rudolf Charousek – Verzehrt von der Schwindsucht Als einer der ganz wenigen Spieler mit einer positiven Bilanz gegen Emanuel Lasker, wurde Charousek von vielen als potenzieller Weltmeister gehandelt. Und das nach sage und schreibe vier (!) Turnieren, die dem ungarisch-jüdischen Meister Zeit blieben, seine Kunst und Ideenwelt zu zeigen. Dann holte ihn die Geißel der Zeit, die Tuberkulose, ein, und nach drei Jahren des Leidens starb das Genie im Jahr 1900 im 28. Lebensjahr. Louis Paulsen – Deutscher Altmeister Superb im Blindspiel, doch eher trocken und langatmig im Spiel über dem Brett, war der zeitweilig in den USA beheimatete Louis Paulsen seinen Zeitgenossen auch in eröffnungstheoretischer Hinsicht deutlich überlegen. Bis heute trägt ein beliebtes System der Sizilianischen Verteidigung seinen Namen. Paulsen wurde am 15. Januar 1833 in eine schachbegeisterte Gutsbesitzerfamilie hineingeboren. Kein Geringerer als der Weltmeister Wilhelm Steinitz zollte Paulsen 1890 gebührenden Respekt: „Anderssen und Paulsen waren meine eigent lichen Lehrer für eine beträchtliche Zeit.“ Paulsens späte Jahre bis zu seinem Tod 1891 waren von Diabetes gezeichnet. Johannes Hermann Zukertort – Beinahe-Champion Der am 7. September 1842 in Lublin geborene Zukertort war jüdischer Abstammung. Dies bedeutete im zaristisch dominierten Teil Polens Repressalien, die schließlich 1955 zur Ausweisung der ganzen Familie führten. Zukertort begann in Breslau ein Medizinstudium, das er jedoch entgegen mancher Quellen nie beendete. Später zog es ihn nach London, wo er bald zum führenden englischen Berufsschachspieler aufstieg. Nach seinem großen Turniererfolg in London 1883 wurde mit dem stärksten Spieler dieser Epoche, Wilhelm Steinitz, ein Weltmeisterschaftskampf vereinbart. Vom 11. Januar bis zum 29. März 1886 ging es in New York, St. Louis und New Orleans erstmals um die offizielle Schachkrone. Zukertort zog sofort 4 : 1 davon, brach danach jedoch physisch und psychisch völlig ein. Von dieser Enttäuschung konnte sich der ehrgeizige Spieler niemals mehr erholen. „Ein Schatten seiner selbst“, waren Tarrasch’ Worte. 1888 erlitt Zukertort während eines Handicap-Turniers in London einen Schlaganfall. 31 32 16. Januar: Rösselsprung Kalender: Frederick Dewhurst Yates *1884 ENG • Victor Ciocâltea *1931 ROU • Carsten Hoi *1957 DEN • Eva Repkova *1975 SLK Worte über den Rösselsprung Die unorthodoxe Bewegung des Springers wurde in der alten Literatur oft in umständlichster Weise beschrieben. Delektieren Sie sich an ein paar Auszügen aus der deutschbzw. englischsprachigen Literatur (in deutscher Übersetzung). ▪▪ „Die Springer bewegen sich diagonal, vorwärts und rückwärts, auf jedem dritten Feld, einschließlich des Ausgangsfeldes, von Schwarz nach Weiß und von Weiß nach Schwarz.“ (Stratagems of Chess, 1817) ▪▪ „Die Bewegungs- und Angriffslinie des Springers ist entlang der Diagonalen eines 3x2-Parallelogramms, und zwar in jede Richtung auf Felder der anderen Farbe.“ (The Chess Player’s Chronicle, 1842) ▪▪ „Der Springerzug besteht aus dem kürzesten Turmzug und dem kürzesten Läuferzug, beide auf einmal ausgeführt.“ (Amusements in Chess, 1845, C. Tomlinson) ▪▪ „Der Springer geht etwa 2¼ Felder weit auf die entgegengesetzte Felderfarbe, z. B. von dem weißen Felde b1 nach dem schwarzen Felde c3 und von diesem auf das weiße Feld e4. … Man erhält den Gang des Springers auch, wenn man zuerst 1 Feld wie der Thurm, dann weiter abwärts 1 Feld wie der Läufer geht.“ (Encyclopädie der Spiele 1879, Friedrich Anton) ▪▪ „Er [der Springer] bewegt sich zick-zack, zwei Felder in einer Richtung und dann ein Feld auf eine beliebige Seite.“ (Chess: An Easy Game, 1914, A. Foster/ R. E. Kemp) ▪▪ „Der Springerzug wird vielleicht am besten als Sprung auf das übernächste Feld unterschiedlicher Farbe beschrieben. … Fußnote: Es könnte hilfreich sein, sich den vollen Rösselsprung als Buchstabe „L“ vorzustellen, der aus vier Quadraten besteht, zwei in eine Richtung und einen im rechten Winkel dazu.“ (Chess and Checkers – The Way to Mastership, 1918, Edward Lasker) ▪▪ „Der Springer zieht in seiner Linie oder Reihe zwei Felder weit und ein Feld senkrecht dazu. … Es wäre angebracht, den Springerzug zu üben.“ (Brettspiele der Völker, 1931, Emanuel Lasker) ▪▪ „Springer: Wir können sie als Symbol der Fliegerwaffe in unserem Spiel ansetzen, denn ihr Angriff ist ebenso unvorhergesehen, überraschend und aus der Luft heraus wie bei einem Kampfflugzeug. … Der Springer zieht und schlägt im sogenannten „Rösselsprung“. Dieser führt ihn zuerst zwei Felder in irgendeiner geraden Felderreihe von seinem Standfeld aus vor und dann ein Feld nach seitwärts rechts oder seitwärts links. Er kann also in vier Richtungen – mit je zwei Möglichkeiten – ziehen.“ (Das große Spielmagazin, 1942, Walther Blachetta) 17. Januar: Schach in der Literatur Kalender: D Benjamin Franklin *1705 USA • William Ewart Napier *1881 USA/ENG • Lew Loschinski *1913 RUS • Lothar Vogt *1952 GER • Maja Tschiburdanidse *1961 GEO • Sebastian Bogner *1991 GER • Robert Fischer † 2008 USA Gargantua und Pantagruel ▪▪ Jacobus de Cessolis: Liber de moribus hominum et officiis nobilum ac popularium super ludo scacchorum (Von den Sitten der Menschen und den Pflichten der Vornehmen und Niederen, um 1275) – Mittelalterliche Moral predigt mit dem Schachspiel als Allegorie der Gesellschaft. ▪▪ François Rabelais: Gargantua und Pantagruel (1532–1564) – Schachspiel mit lebenden Figuren … ▪▪ Miguel de Cervantes: Don Quijote (1605/1615) – Streitgespräch zwischen Don Quijote und Sancho Pansa über den Wert der Figuren; am Schluss werden diese wie im Leben zusammengemischt und achtlos weggeworfen. ▪▪ Jean-Jacques Rousseau: Er beschrieb in seinen Lebenserinnerungen seine Leidenschaft für das Schach. ▪▪ Johann Wolfgang Goethe: Götz von Berlichingen (1773) – Schachszene im 2. Akt. ▪▪ Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise (1779/1783 uraufgeführt) – Große Schachszene zwischen Sultan Saladin und seiner Schwester Sittah, die auf Toleranz abzielt. ▪▪ Friedrich Schiller: Das Schachspiel in seiner eigentümlichen und höheren Bedeutung (Fragment, um 1785), Kabale und Liebe (1784) – Zitate: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“; „Tiefer Sinn liegt oft in manchem Spiel“. ▪▪ Benjamin Franklin: The Morals of Chess (1779) – Moralschrift, die den sittlichen Wert des Schachs betont. ▪▪ Wilhelm Heinse: Anastasia und das Schachspiel (1803) – Briefroman, in dem auch Fernpartien vorkommen (mit Analyse). ▪▪ Alexander Puschkin: Eugen Onegin (1823–1830 geschrieben; 1833 veröffentlicht) – Lenski und Olga beim Schachspiel; in seinem Nachlass fand man Philidors Schachwerk. ▪▪ Iwan Turgenjew: Zweifellos der stärkste Schachspieler unter allen Literaten, der auch in seinen persönlichen Briefen dem Schach einigen Raum gab. ▪▪ Wladimir Nabokov: Lushins Verteidigung (1930) – Tristes Ende eines Schachmeisters. O 23. Apr. ▪▪ Stefan Zweig: Die Schachnovelle (1942) – Das berühmteste literarische Werk über Schach. O 28. Nov. 33 34 18. Januar: FIDE- K.o.-Champions Kalender: John Wisker † 1884 ENG • Hans-Hilmar Staudte *1911 GER • Chalifman *1966 RUS • Alisa Galliamova *1972 RUS D Alexander Alexander Chalifman – Überraschungschampion Der 1966 im damaligen Leningrad geborene FIDE-Weltmeister von 1999 bis 2000 leitet heute in St. Petersburg eine Schachakademie. Trotz seiner unbestreitbaren Erfolge als zweifacher sowjetischer Juniorenmeister wie als Landesmeister von Russland 1996 kam sein Sieg bei der Knock-out-Weltmeisterschaft mehr als überraschend. Die Turnierbilanz Chalifmans, der fast ein Jahrzehnt in der deutschen Bundesliga tätig war, sprach eher gegen diesen großen Erfolg. Rustam Kasimdschanov – Usbekistans Champion Der Usbeke Kasimdschanov wurde am 5. Dezember 1979 in Taschkent geboren. Heute lebt der kurzzeitige FIDE-K-o.-Weltmeister in Deutschland. Als 54. der Weltrangliste war Kasimdschanovs Sieg bei der WM gegen den Briten Michael Adams zweifellos die größte Überraschung dieser Parallelweltmeisterschaftszeit zwischen 1993 und 2005. Stabilisieren konnte der ehemalige Asienmeister seine Leistungen bis heute nicht wirklich. Vielleicht jedoch war gerade dieser Überraschungscoup ein Mitgrund, dass ernsthaft an einer Wiedervereinigung der beiden Weltmeistertitel gearbeitet wurde. 2006 war es dann mit dem Match Kramnik gegen Topalov endlich so weit. Ruslan Ponomariow – Jüngster Schachweltmeister Der am 11. Oktober 1983 in der Ukraine geborene Ruslan Ponomariow war ein wahrer Senkrechtstarter. Schon mit 12 Jahren gewann er die U18-Junioren-EM, mit 13 war er Jugendweltmeister. Im Jahr darauf verlieh ihm die FIDE als damals jüngstem Spieler der Geschichte den Großmeistertitel. Und um dies noch zu krönen, schlug Ponomariow im Finale der FIDE-K.o.-Weltmeisterschaft 2002 den favorisierten, sentimentalen Favoriten Wassily Iwantschuk mit 4,5 zu 2,5. Mit kaum 19 Jahren war Ruslan Ponomariow der jüngste Weltmeister der Schachgeschichte. Seither jedoch ist dieser Erfolgslauf etwas abgerissen. Wir dürfen dennoch gespannt auf die Zukunft dieses ukrainischen Meisters blicken. 19. Januar: Sprung ins Verderben? Kalender: Julius Perlis *1880 AUT • Gennadi Kusmin *1946 UKR • Michael Prusikin *1978 GER Schlüsselfelder zu finden ist nie eine Kleinigkeit – doch in unten stehenden Problemen wirkt der erste Zug wie ein wahrer „Sprung ins Verderben“. Die Altmeister Arthur Mosely und Comins Mansfield haben jedoch richtig kalkuliert und den weißen Figuren genug Leben gelassen um die „Mattbilder in 2“ zu finden. Alain White hat Mansfields Aufgabe überschwänglich als „das Standard-Kreuzschachproblem des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet. Arthur Mosely 1912 □ Matt in 2 Ohne Computerhilfe werden Sie die nächste halbe Stunde in tiefes Sinnieren verfallen. Die Stellung ist ungemein diffus, selbst nach Auffinden des Schlüsselzugs. ▼ 1.Se4!! Gewaltig, wie sich das Ross in die Schlacht wirft um das Fluchtfeld d6 zu kontrollieren; jetzt droht Te8 und matt. Schwarz hat eine Unzahl von Verteidigungszügen, die diesen Störspringer beseitigen, alle jedoch mit einem weißen Dacapo: 1…dxe4 2.Ld4#; 1…fxe4 2.De6#; 1…Lxe4 2.d4#; 1…Sfxe4 2.Sxd3#; 1…Scxe4 2.Txd5#; 1…Txe4 2.Dxf5#; 1…Dxe4 2.Dh8#; 1…Kxe4 2.Te8#. Alle weiteren schwarzen Pläne werden einfach durch 2.Te8# durchkreuzt. Tückisch! Comins Mansfield Good Companion C.C. 1917, 1. Preis □ Matt in 2 Wenn auch fast schon schutzlos im Raum taumelnd, muss der schwarze Monarch doch erst kurzfristig zur Strecke gebracht werden. Mit Brachialgewalt lässt sich dieses preisgekrönte Problem jedoch auf Anhieb lösen. ▼ 1.Le4 mit der Drohung 2.Sxc4#. 1…Se5 2.Td3#; 1…Sxd6+ 2.Ld3#; 1…Sxe3+ 2.Sb5#; 1…Sd2+ 2.Sc4#. Gewaltiger Schlüsselzug! 35 36 20. Januar: Langlebigkeit Kalender: Mladen Muse *1963 CRO • Paul Tröger † 1992 GER • Hermann Heemsoth † 2006 GER Schach forever! Manch ein Schachmeister konnte seine Schaffenszeit über enorm lange Zeiträume ausdehnen, was selbst für diesen Denksport ungewöhnlich ist. Hier sind einige dieser Leckerbissen der Langlebigkeit: ▪▪ John Watkinson übernahm an seinem 20. Geburtstag 1853 den Schachclub Huddersfield und blieb 70 Jahre lang bis zu seinem Tod am 19. Dezember 1923 Präsident. ▪▪ 1923 wurde Lew Ossipowitsch Mogilyover zum Präsidenten des neu gegründeten Rubinstein-Schachclubs gewählt. Nach 70 Jahren – mit der Schacholympiade in Tel Aviv als Höhepunkt – endete seine Amtszeit. ▪▪ Alexander Kasantsew veröffentlichte seine erste Studie 1926, seine letzte 1996! ▪▪ Ladi Karev, ein früher Schachmeister, lebte in drei Jahrhunderten: Geboren 1797, starb er erst 1901! ▪▪ Michail Michailowitsch Segel spielte noch mit 100 Jahren starke Blitzpartien. ▪▪ Der 1. Präsident der FIDE, Alexander Rueb (Niederlande) war 25 Jahre lang im Amt, danach 10 Jahre Ehrenpräsident. ▪▪ Hermann Helms, einer der Gründer der US-Federation, wurde mit 84 Jahren zum Internationalen Schiedsrichter ernannt. Er beendete wegen Arbeitsüberlastung gleichzeitig die Schachsektion im Brooklyn Daily Eagle, die er 61 Jahre geführt hatte, sowie die Funktion als Herausgeber des American Chess Bulletin (von Helms gegründet und 59 Jahre betreut). Noch ein Rekord: Beim Turnier von Cambridge Springs 1904 gab Helms erstmals ein tägliches Bulletin heraus. ▪▪ Svetozar Gligorić gewann 11-mal die jugoslawische Meisterschaft und bekam als Anerkennung ein Freiticket für den Rest seines Lebens. Bis zum Alter von 75 nutzte er diese einmalige Gelegenheit. ▪▪ Den Rekord bei nationalen Meisterschaften hält mit 17 Titeln die Dänin Ingrid Larsen. Bei den Männern gewann der Neuseeländer Ortvin Sarapu 16‑mal. ▪▪ Die Johner-Brüder Paul und Hans teilten in einem Zeitraum von 24 Jahren dreimal den Gewinn der Schweizer Meisterschaft (1908, 1928 und 1932). Hans gewann insgesamt 9-mal, zuletzt 1950 – 42 Jahre nach seinem ersten Sieg. ▪▪ Robert Hübners ersten und letzten nationalen Titelgewinn trennen 32 Jahre. ▪▪ Ein besonderer Rekord gelang Efim Geller im stärksten Schachland aller Zeiten, der Sowjetunion. Er wiederholte seinen Titelgewinn nach 24-jähriger Pause im Alter von 55 Jahren. ▪▪ Viktor Kortschnoi konnte als fast 70-Jähriger ein GM-Turnier gewinnen. ▪▪ 1985 spielt George Koltanowski im Alter von 82 Jahren 5 Blindsimultan partien. 21. Januar: Kandidaten- u. Interzonenturniere Kalender: Michail Umansky *1952 GER/RUS • Artashes Minasjan *1957 ARM/SOV • Ilja Smirin *1968 ISR • Hans-Hilmar Staudte † 1979 GER Offizielle Turniere ab 1946 Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gingen die Uhren im Spitzenschach anders. Die Sowjetische Schachschule brachte eine Armada von Wunderspielern hervor, die fast alle „Superturniere“ der Nachkriegszeit nach Belieben beherrschten. Darunter bis zum Auftauchen von Bobby Fischer auch die entscheidenden Interzonen- (IZT) und Kandidatenturniere (KT). Nach Protest Fischers wurden ab 1965 Kandidatenwettkämpfe im K.o.-System ausgetragen, 1985 nochmals mit einem Kandidatenturnier. 1993 gab es parallel dazu ein PCA-WM-Qualifikationsturnier, das nicht im Rahmen der FIDE ausgetragen wurde. Nach mehreren K.o.-Weltmeisterschaften veranstaltete die FIDE 2005 neuerlich ein gemeinsames WM-Turnier. 1. 1946 Groningen 1948 Den Haag/Moskau WM 1950 Budapest KT O F9 1952 Saltsjöbaden IZT 1953 Zürich KT 1955 Göteborg IZT 1956 Amsterdam KT 1958 Portorož IZT 1959 Bled/Zagreb/Belgrad KT 1962 Stockholm IZT 1962 Curaçao KT 1964 Amsterdam IZT 1967 Sousse IZT 1973 Leningrad IZT 1973 Petropolis IZT 1976 Manila IZT 1976 Biel IZT 1979 Riga IZT 1979 Rio de Janeiro IZT 1982 Las Palmas IZT 1982 Toluca IT 1982 Moskau IZT 1985 Tunis IZT 1985 Taxco IZT 1985 Biel IZT 1985 Montpellier KT 1987 Subotica IZT 1987 Szirák IZT 1987 Zagreb IZT 1990 Manila IZT 1993 Biel IZT 1993 Groningen PCA 2005 San Luis WM 2. 3. Botwinnik Euwe Smyslow Botwinnik Smyslow Keres/Reshevsky Bronstein/Boleslawsky Smyslow Kotow Petrosjan Taimanow Smyslow Bronstein/Keres/Reshevsky Bronstein Keres Panno Smyslow Keres 5 Spieler Tal Gligorić Petrosjan/Benkö Tal Keres Petrosjan Fischer Geller/Petrosjan Petrosjan Keres Geller Smyslow/Larsen/Tal/Spassky Larsen Geller/Gligorić/Kortschnoi Kortschnoi/Karpow Byrne Mecking Geller/Polugajewski/Portisch Mecking Hort/Polugajewski Larsen Petrosjan/Portisch/Tal Tal/Polugajewski Ribli/Adorján Portisch/Petrosjan/Hübner Ribli Smyslow Suba Portisch/Torre Spassky Kasparow Beljawski Tal/Andersson Jussupow Beljawski Portisch Timman Nogueiras Tal Waganjan Seirawan Sokolow Jussupow/Waganjan/Sokolow Sax/Short/Speelman Salow/Hjartarson Portisch/Nunn Kortschnoi Ehlvest Seirawan Gelfand/Iwantschuk Anand/Short Gelfand 7 Spieler Adams/Anand 5 Spieler Topalov Anand/Swidler 37 38 22. Januar: 5-Kronen-Banknote Kalender: D Steinitz verteidigt 1891 den WM-Titel gegen Gunsberg • Josef Emil Krejcik *1885 AUT • Ortvin Sarapu *1924 NZE • Etienne Bacrot *1983 FRA Schachfragen für Insider I O 29. Mai Schachfragen, die nur selten gestellt werden – und doch eine Antwort verdienen. F: Gibt es Banknoten, auf denen Schachspieler abgebildet sind? A: Ja, Paul Keres auf der 5-Kronen Banknote Estlands (seit 1991). Während der Hyperinflation Anfang der Zwanzigerjahre gab die Gemeindeverwaltung Ströbeck Notgeld heraus, das 18 verschiedene Schachmotive zeigte, darunter ein Porträt von Adolf Anderssen. Damals durfte jede Stadt und jedes Dorf eigene Banknoten anfertigen. F: Wann wurde zum ersten Mal auf einem Schiff eine Simultanvorstellung gegeben? A: Mehrere Beispiele sind belegt. 1931 spielte Savielly Tartakower auf der Massilia im Mittelmeer (Chess, 14. April 1936). Dieses Magazin berichtet allerdings im November 1944 von einer Blindsimultanveranstaltung Harry Nelson Pillsburys 1899 auf einer Atlantiküberquerung. Ein Buch über Wilhelm Steinitz (von K. Landsberger) erwähnt kurze Schachdemonstrationen während der Überfahrt nach Amerika 1897/98. F: Schrieb David Bronstein sein berühmtes Turnierbuch Zürich 1953 wirklich selbst? A: Wie er in einem Interview für Revista Internacional de Ajedrez 1993 einräumte, war es sein Koautor Wainstein, der Bronsteins Analysen und Kommentare zu den Spielern in Worte kleidete. Bronstein selbst lag nicht viel an diesem Werk. F: Welches ist das meistverkaufte Schachbuch aller Zeiten? A: Nicht zuverlässig zu beantworten. Doch nach Aussage des Koautors Stuart Margulies über die Tantiemen hat sich Fischers Buch Bobby Fischer Teaches Chess (1966 herausgegeben) mehr als eine Million Mal verkauft. F: Wer waren die ersten Großmeister? A: Inoffiziell die fünf Teilnehmer der Endrunde beim Großmeisterturnier St. Petersburg 1914 (nach Berichten der Wiener Schachzeitung und der Deutschen Schachzeitung): Lasker, Capablanca, Aljechin, Marshall und Tarrasch. Zar Nikolaus II. persönlich, ein Liebhaber des Schachs, zeichnete die besten Spieler der Welt mit diesem Titel aus. Offiziell verlieh die FIDE im Jahr 1950 an 27 Spieler den Großmeister-Titel. F: Wie wird die Güte eines Turniers festgestellt? A: Durch Kategorien, die einen 25-Elopunkte-Abstand haben. Kategorie 1: 2251–2275, Kategorie 2: 2276–2300, … Kategorie 20: 2726–2750, Kategorie 21: 2751–2775. Die Normvergabe hängt direkt von der Qualität eines Turniers ab. Beispiel: In einem Kategorie-7-Turnier müssen für eine GM-Norm 76 Prozent der Punkte erreicht werden, für eine IM-Norm 57 Prozent und für eine FM- bzw. WGM-Norm 43 Prozent. 23. Januar: Citius, altius, fortius! Kalender: Johann Wolfgang von Kempelen *1734 AUT • *1952 BRA D Henrique da Costa Mecking Rising stars ▪▪ Paul Morphy kam nach Europa, besiegte sämtliche Gegner mit vernichtenden Ergebnissen – und zog sich daraufhin völlig vom Schach zurück. ▪▪ Michail Tschigorin war ein Phänomen, erreichte er doch erst als fast Dreißigjähriger innerhalb weniger Jahre Meisterstärke. ▪▪ Harry Nelson Pillsbury gewann Hastings 1895 – sein erstes (!) internationales Turnier. Er sollte diesen Erfolg niemals mehr wiederholen. ▪▪ Ossip Bernstein, russischer Staatsbürger, stieg im Berliner Schachklub innerhalb eines Jahres zur Weltelite auf. ▪▪ José Raúl Capablanca war im Alter von knapp über zwanzig in Europa so gut wie unbekannt. 1911 erfolgte eine Einladung nach San Sebastián, nicht ohne Protest einiger Spieler, da Capablanca noch keine Turniersiege aufwies. Es kam wie es kommen musste: Capablanca triumphierte über die Weltelite. ▪▪ Mario Monticelli ist zweifellos der unscheinbarste Name in dieser Auflistung. 1926 hatte dieser reine Amateur in Budapest mit einem einsamen Triumph seine Sternstunde. 1985 wurde ihm als altem Mann der Großmeistertitel verliehen. ▪▪ Bobby Fischer gewann 1957 mit 14 Jahren gleich drei amerikanische Meisterschaften: Junior Championship, US-Championship und US Open. ▪▪ Michail Tal war 1957 ein aufsteigender Stern, drei Jahre später saß er auf dem Weltmeisterthron. Schachabstinenz ▪▪ Wilhelm Steinitz spielte zwischen 1873 und 1894 in nur zwei (!) Turnieren. ▪▪ Amos Burn spielte vor seinem großen Comeback 1886 (drei erste Plätze) mehr als fünfzehn Jahre lang nicht einmal eine Kaffeehauspartie. ▪▪ Emanuel Lasker hatte kaum den WM-Retourkampf gegen Steinitz gewonnen, als er sich für drei Jahre in Heidelberg fast ausschließlich seiner Dissertation in Mathematik und dem Studium der Philosophie hingab. 1899 beim Wiedereinstieg in London siegte er dennoch komfortabel mit 23½ von 28 Punkten. Später nahm er weitere lange Auszeiten, zuletzt (1925 bis 1934) volle neun Jahre. ▪▪ Michail Botwinnik nahm vor dem WM-Kampf 1951 gegen David Bronstein drei Jahre Auszeit um seinen Doktortitel zu erwerben. ▪▪ Henrique da Costa Mecking, Wunderkind und später Geistlicher, musste sich Ende der Siebzigerjahre wegen einer Muskelerkrankung vom Schach zurückziehen. 1991 tauchte er geheilt wieder mit großer Ambition in die Szene ein, mit einem schachlichen Höhepunkt 2002 bei der Olympiade in Bled. 39 24. Januar: Das Goldene Feld 40 Kalender: Henk Mostert *1925 NED Schach kann bisweilen eine endlose Reise durch den Raum bedeuten. In dieser weltberühmten Studie von Witali Tschechower ist diese notwendig, um zunächst das Goldene Feld a8 zu erreichen und von dort aus unbeirrt den Weg in die andere, vom Springer geschützte, Ecke anzutreten. Witali Tschechower Das Goldene Feld 1937 □ Weiß gewinnt Solotoje Polje, Goldenes Feld, ist der sprechende Name dieser berühmten russischen Studie. Schwarz kann, ohne unmittelbar zu verlieren, allein den Springer auf h8 ziehen, Weiß darf seinen König keinesfalls auf ein weißes Feld bewegen, da ein Läuferschach mit Einzug des f-Bauern droht. ▼ Daher zunächst 1.Kb2! Sf7 2.Kc3 Sh8 3.Kd4 Sg6; was aber nun? 4.Ke3 Sh8 5.Kf4 (5.Dh4 Ld3 6.Txh1 gxh1S! – und das Mattfeld f2 ist überdeckt) 5…Sf7! (5…Sg6? 6.Kg5 mit besserer Stellung) und eine weitere Annäherung ist schwierig, da e5 und g5 vom Springer kontrolliert werden. Auch der Weg über 6.Ke3 Sh8 7.Kd4 Sf7 8.Kc5 Sh8 9.Kd6 Sg6 führt zur Abriegelung der schwarzen Felder. Es gibt nur einen Weg, über das sogenannte „Goldene Feld“: 4.Kc5 Sh8 5.Kb6 Sf7 6.Ka7 Sh8 … und nun (Diagramm 2) 7.Ka8!! – hier gibt es kein lästiges Läuferschach. 7…Sf7 8.Kb8 Sh8 9.Kc7 Sf7 10.Kb6 Sh8 11.Kc5 Sf7 12.Kd4 Sh8 13.Ke5 Sg6+ 14.Kf6 Sh8 15.Kg7 Sf7 16.h8D Sxh8 17.Kxh8 Sg3. Nun muss das andere Ross aus der Ecknische. 18.Dxg3 L~ 19.Dxg2#. Der lange Marsch! 25. Januar: Zauberhafte Symmetrien Kalender: Michail Iwanowitsch Tschigorin † 1908 RUS • Matthias Wahls *1968 GER In der hier präsentierten Studie von Rinaldo Bianchetti muss jeder Zug wie aus der Zauberkiste kommen – sonst ist remis unvermeidlich. Selbst beim bloßen Nachspielen ist der Genuss dieser symmetrischen Komposition enorm. Auch die Lehrstudie zum Endspiel verlangt das Meistern einiger Stellungsfallen. Rinaldo Bianchetti 1925 □ Weiß gewinnt Endspielstudie Elegant und zeitlos wirkt die Symmetrie dieser Stellung. ▼ Nach 1.Lb2! wird das Kunstwerk noch großartiger. 1…Tf8 1…Tf7 2.Th3+ Kg8 3.Th8# 2.Tc7+! Kg8 3.Tg7+! Kh8 4.Ka2! Nicht aber 4.Kb1? wegen 4…Tf1+ 5.Ka2 Ta1+ 6.Kb3 (Kxa1 patt) Ta3+ 7.Kc2 Tc3+ 8.Lxc3 patt oder permanente Verfolgung des Königs. Weiß ist nun nicht mehr zu stoppen und auch der Turmzug auf a8 ist wegen des Abzugschachs nicht mehr als ein Racheschach. Ästhetisch! □ Weiß am Zug, Schwarz gewinnt Achtung: Alles sieht einfach aus, doch die Züge müssen exakt gespielt werden. ▼ 1.c5 f4! 2.b5 Kb8! Damit haben wir eine Zugzwangstellung. 3.a6 Ka7! 4.c6 Kb6! Blockade der Bauern. 5.Kh2 f3! 6.Kg1 h3! 7.Kf2 h2! Weiß hat nichts mehr, um gegenzuhalten. Elegantes Ausnützen des Zugzwangs! 41 42 26. Januar: Vom Abstrakten zum Konkreten Kalender: Gideon Ståhlberg *1908 SWE • Fridrik Olafsson *1935 ISL Spiegelbilder der Gesellschaft Unsere vertrauten Schachfiguren haben über eineinhalb Jahrtausende einen ungeheuer langen Weg zurückgelegt. Dabei mussten sie sich (wie Kunstwerke ganz allgemein) den gesellschaftlichen und religiösen Vorstellungen der Menschen anpassen. Einige Blitzlichter sollen diese Entwicklung aufzeigen. Aus der Zeit der Eroberung Persiens durch die Araber (642 n. Chr.) sind be dauerlicherweise keine Schachfiguren erhalten. Wir können nur durch Quellenangaben schließen, dass sowohl indische wie auch persische Figurensätze eine gegenständliche Abbildung zeitgenössischer Armeen darstellten. Ganz verändert war die Situation im arabischen Raum. Wenn auch der Koran gegenständliche Kunst nicht prinzipiell verbot, so gab es doch deutliche religiöse Vorbehalte. Daher wurden nun ausschließlich abstrakte Spielfiguren hergestellt, die zudem den Vorteil der einfachen Handhabung hatten. Keinesfalls bedeutete dies jedoch einen Mangel an Ästhetik und Eleganz. Spanien, Süditalien und Sizilien kamen unter arabischer Herrschaft früh mit dem Schach in Verbindung. Ob Russland über byzantinische Kaufleute, die die Flusssysteme von Wolga und Dnjepr entlang reisten, das Schach kennen lernte, oder vielleicht doch schon frühere direkte arabische Einflüsse stattfanden, ist bis heute nicht sicher zu beurteilen. Jedenfalls wurden die arabischen Figurensätze spätestens zu Beginn des 11. Jahrhunderts durch gegenständlichere Formen ersetzt, die der Bildersprache des Christentums und der klassischen Antike entsprachen. Für König und Springer gab es direkte europäische Vorbilder, die übrigen Figuren wurden frei den herrschenden Gesellschaftssystemen angepasst. Zwei Beispiele sollen den Wandel vom Abstrakten zum Gegenständlichen verdeutlichen. Figurenset Kaiser Karls des Großen (16 Stück erhalten), Süditalien, Elfenbein, 11./12. Jh.: Thematisch noch mit dem arabischen Raum verbunden (Streit wagen, Elefant), sind diese Figuren plastisch wunderbar ausgestaltet. (D O F4) Lewis Schachfiguren (78 Figuren aus mehreren Sätzen), Hebriden, Schottland, Walross-Elfenbein, spätes 12. Jh.: Vermutlich wurden sie durch skandinavische Seeleute auf die Britischen Inseln gebracht. Sie stellen die berühmtesten mittelalterlichen Spielfiguren dar, die vollständig ein europäisches Gesellschaftssystem widerspiegeln: König, Königin, Bischof, Ritter (Springer) und Türme. Alle haben menschliche Züge, wenn auch einen überaus grimmigen Blick. Nur die Bauern sehen eher wie Grabsteine aus. Die Bischöfe, mit 10,2 cm die größten Spielsteine, tragen Bischofsstab und Bibel mit sich. Die Türme vermitteln den Eindruck von Berserkern. Alle Figuren sind detailliert mit Kleidung und Waffen dargestellt. Der Übergang von der abstrakten zur konkreten Spielfigurendarstellung war damit vollendet. O F4 27. Januar: Alice hinter den Spiegeln Kalender: William Davies Evans *1790 WAL • D Lewis Carroll *1838 ENG • Erich Zepler *1898 GER • Alexander Nikitin *1935 RUS • Jeroen Piket *1990 NED Through the Looking-Glass and What Alice Found There 1871 wurde von Lewis Carroll (Charles Lutwidge Dodgson) der Nachfolgeband von Alice in Wonderland herausgegeben. Anders als im ersten Band, wo Spielkarten das durchgängige Thema darstellen, spielt die Handlung bei Alice hinter den Spiegeln rund um eine Schachpartie. Der Schluss einer regulären Partie bietet den Rahmen für eine bizarre und gleichzeitig liebevolle Reise in eine andere Welt. Alice, die in die Rolle des weißen Damenbauern schlüpft, muss ihren König nicht aus dem Schach bewegen; sie macht alle Züge beider Farben, allerdings nicht unbedingt in der gewohnten abwechselnden Folge; die Rochade der Damen ist eine weitere Spezialität dieser Anderswelt. Bekannt wurden das Nonsensgedicht Jabberwocky, das Ei Humpty Dumpty, die Zwillinge Tweedledee und Tweedledum und die Rote Königin. Empfehlenswert ist die wunderbar kommentierte Ausgabe von Martin Gardner mit Originalillustrationen von John Tenniel. Alice könnte ganz traditionell spielen (Matt in 3): 1.Sg3+ Ke5 2.Dc5+ Ke6 3.Dd6#. Auf 1…Kd4/Kd3 folgt 2.Dc3#. Doch Hinter den Spiegeln verläuft alles ganz anders: 1. Alice (Bd2) begegnet der Roten Königin /Rote Königin auf h5; 2. Alice trifft auf d4 (die Reise geht per Bahn über d3) Tweedeldee und Tweedledum /Weiße Dame auf c4; 3. Alice begegnet der Weißen Dame /Weiße Dame verwandelt sich auf c5 in ein Schaf; 4. Alice auf d5 /Weiße Dame lässt auf dem Weg nach f8 ein Ei zurück; 5. Alice trifft das Ei Humpty Dumpty auf d6 /Weiße Dame auf c8; 6. Alice durchquert einen Wald nach d7 /Roter Springer auf e7; 7. Weißer Springer nimmt Roten Springer /Weißer Springer hüpft auf f5 zurück; 8. Alice krönt sich auf d8 /die Rote Dame eilt auf das schwarze Königsstartfeld e8; 9. Alice wird Königin /Die Königinnen rochieren; 10. Alice rochiert bei einem Fest /Weiße Dame geht auf a6; 11. Alice nimmt die Rote Königin und setzt damit den statisch bleibenden König matt. Alice in Wonderland (V. R. Parton 1953) Grundidee: Zwei Bretter (A mit Grundstellung, B leer), eine Figur muss nach ihrem Zug auf das entsprechende Feld ins andere Brett gesetzt werden. (1) Ein Spieler darf wählen, auf welchem Brett er seinen Zug machen möchte. (2) Ein Zug muss auf dem Brett, auf dem er ausgeführt wird, zulässig sein. (3) Eine Figur darf nur auf ein Feld bewegt werden oder schlagen, wenn das entsprechende Feld am anderen Brett leer ist. Direkte Schachs sind daher nur auf dem Brett möglich, wo sich die ziehende Figur hinbewegt, d. h., wo der nun bedrohte König steht, Abzugschachs dagegen auf dem Brett, auf dem gezogen wird. 43 44 28. Januar: Harun al-Raschid Kalender: D Karl der Große (*748)–814† • Valentina Borissenko (geb. Belova) *1920 RU Chronologie 1 – von 580 bis 1000 Q 10. Februar D – Deutschland, CH – Schweiz, Ö – Österreich, alle anderen Eintragungen (Steinitz, Lasker etc.) sind auch internationale Meilensteine um 580 – Die moderne Form des Schachspiels (Chaturanga, Shatrang) dürfte im heutigen Indien, in der Gegend des Punjabs, entstanden sein. Dafür finden sich deutliche Hinweise im persischen Nationalepos Schāhn āme (verfasst von Ferdaus ī). Auch China wird als mögliche Quelle dieses Brettspiels gesehen. O 1. Jan. um 600 – In Indien ist Schach mit vier Spielern und einem Einsatz von Würfeln verbreitet. um 680 – Das königliche Spiel wird unter dem Namen Shatranj [sprich: Schatrandsch] in Persien bekannt. um 690 – Die ersten eindeutig als Schachfiguren zu identifizierenden Funde, die sogenannten Afrasiab-Figuren, werden in Samarkand gemacht. um 800 – Maurische Eroberer bringen das Schach nach Spanien und fast zeitgleich nach Sizilien. [Gibraltar wurde bereits 711 erobert] um 800 – Kalif Harun al-Raschid schickt – so die Legende – eine Gesandtschaft ins Frankenreich Karls des Großen, die unter anderem ein Schachspiel überreicht. um 820 – Das arabische Schach wird mit festen Figurenaufstellungen, sogenannten Tabijas, begonnen. Zudem finden sich in den frühen islamischen Handschriften berühmte Mansuben (Schlusskombinationen). um 940 – Der arabische Historiker al-Mas’ūdi erzählt in seinem Werk Die goldenen Wiesen und Edelsteingruben die Legende von den Weizenkörnern. O 2. Jan. um 946 – Die von as-Suli komponierte Mansube „Matt der Dilaram“ findet sich in der Stambuler Handschrift. O 5. Jan. um 980 (begonnen 976) – Abū l-Qāsem-e Ferdausī erwähnt im monumentalen persischen Nationalepos Schāhn āme (Buch der Könige) an zwei Stellen das Schachspiel. O 2. Jan. um 990 – Vermutlich erreicht das Schachspiel um die Jahrtausendwende deutschen Boden. Ein vom Tegernseer Mönch Froumund ca. 1030 verfasster Roman erwähnt jedenfalls dieses Spiel. um 990 – Das Gedicht von Einsiedeln (auch Versus de scachis) beschreibt das Schachspiel, die Regeln und einige grundlegende Strategien. 996 – Der erste bekannte Meister der Schachgeschichte, as-Suli, stirbt, hinterlässt jedoch in seinem Buch über das Kalifat al-Mutawakkils den ältesten Bericht über eine Schachpartie: al-Adli gegen ar-Razi. um 1000 – Das Schachspiel erreicht über Byzanz im Süden und die Wikinger im Norden Russland. 29. Januar: Porträt: Boris Spassky Kalender: Irving Chernev *1900 USA • Hans-Joachim Hecht *1939 GER • Raymond Keene *1948 ENG Boris Wassiljewitsch Spassky *30. Januar 1937 in Leningrad (Sankt Petersburg) Russland/Sowjetunion D 10. Schachweltmeister von 1969 bis 1972 45 46 30. Januar: Biografie: Boris Spassky Kalender: Sam Loyd *1841 USA • D Boris Wassiljewitsch Spassky *1937 FRA/RUS • Alexej Drejew *1969 RUS • Marta Michna *1921 GER/POL Der Bär mit der russischen Seele Der am 30. Januar 1937 in Leningrad geborene Boris Wassiljewitsch Spassky sollte erst nach seiner Niederlage 1972 gegen den Amerikaner Bobby Fischer weltweite Popularität erlangen. Nicht auf Grund seines exzellenten Schachs, wohlgemerkt, sondern vielmehr wegen der höflichen, umgänglichen, kultivierten und weltgewandten Art und Weise, wie er mit den Launen und exzentrischen Eskapaden des Amerikaners umging. In der Niederlage bewies Spassky Größe, und er blieb auch nach Fischers selbst gewählter Entsagung vom Schach eine der wenigen Kontaktpersonen zum Amerikaner. Früh besuchte Spassky den Schachzirkel im dortigen Pionierpalast, früh jedoch war auch Spasskys Achillesferse spürbar, seine geringe Zielstrebigkeit, sein Minimum an Arbeitseinsatz, seine psychologischen Probleme. 1958 nach einer Niederlage bei einer Entscheidungspartie gegen Tal „lief ich auf die Straße und schluchzte wie ein Kind. … Tief innerlich fehlt mir der Glaube an mich selbst“, so Spassky. Die Scheidung der Eltern, die jüdische Abstammung mütterlicherseits, das Wunderkind-Phänomen, überall gab es Parallelen zu seinem letzten großen Gegner Bobby Fischer. Spassky war stets unstet. Er führte mehrere Ehen, er trennte sich von seinen Trainern, und wurde nie Mitglied der kommunistischen Partei. Politisch wurde er seit 1972 als unzuverlässig eingestuft und bekam wegen Trainingsmangels sogar ein mehrjähriges Auslandsspielverbot. Und dennoch ging es seit 1961 steil aufwärts. Sieg bei der UdSSR-Meisterschaft 1961, Sieg beim Zonenturnier 1964, geteilter Sieg beim Interzonenturnier 1964, glorreiche Siege bei den Kandidatenwettkämpfen. Der Weg zum Kampf um die Schachkrone war frei. Doch hier stand der ungemein zähe, ausdauernde, jede Gefahr witternde Tigran Petrosjan. Drei weitere Jahre des Wartens folgten. Erst 1969 war Spassky am Ziel … und doch war es nur ein Anfang. Das „Match des Jahrhunderts“ sollte 1972 in Reykjavik folgen. Wir alle wissen, wie dieses Psychodrama ausging. Im „Kampf der Systeme“, zu dem die Begegnung Spassky gegen Fischer hochstilisiert wurde, musste der sensiblere Spieler unterliegen. Und der hieß eindeutig Boris Spassky. Dennoch gewann der Leningrader gerade in diesem Match die Herzen der Schachwelt. Abschließend die Stimme von Svetozar Gligorić: „Spassky hat die kolossale Fähigkeit, sich auf die unterschiedliche Spielweise jedes Gegners einzustellen.“ 31. Januar: Platz im Louvre Kalender: Curt von Bardeleben † 1924 GER • Ju Wenjun *1991 CHN Kasparow – Topalov Wijk aan Zee, 31. Januar 1999 D Garri Kasparow beurteilte diese Partie ähnlich wie die Fachwelt: Wunderbar! (Larry Christiansen: „Sie verdient einen Platz im Louvre“; Lubomir Kavalek: „… die faszinierendste Partie, die je gespielt wurde“; Kasparow: „… die beste Partie meines Lebens“). Mit sehenswerten Turmopfern und einer gnadenlosen Verfolgungsjagd auf seinen König wird Topalov schließlich in die Knie gezwungen. Empfehlenswert! 1.e4 d6 2.d4 Sf6 3.Sc3 g6 4.Le3 Lg7 5.Dd2 c6 6.f3 b5 7.Sge2 Sbd7 8.Lh6 Lxh6 9.Dxh6 Lb7 10.a3 e5 11.0–0–0 De7 12.Kb1 a6 13.Sc1 0–0–0 14.Sb3 exd4 15.Txd4 c5 16.Td1 Sb6 17.g3 Kb8 18.Sa5 La8 19.Lh3 d5 20.Df4+ Ka7 21.The1 d4 22.Sd5 Sbxd5 23.exd5 Dd6 (Diagramm 1) 24.Txd4!! Nach eigenen Aussagen hoffte Kasparow inständigst auf ein Rückschlagen des Gegners. 24…cxd4? Ausgleich brächte laut Kasparow 24…Kb6!, worauf 25.Sb3! Lxd5! 26.Dxd6+ Txd6 27.Td2 Td8 28.Ted1 folgt. 25.Te7+! Kb6 25…Dxe7 26.Dxd4+ Kb8 27.Db6+ Lb7 28.Sc6+ Ka8 29.Da7#. 26.Dxd4+ Kxa5 27.b4+ Ka4 28.Dc3 28.Ta7!! ist nach Lubomir Kavalek der schnellere Weg zum Sieg. 28…Dxd5 29.Ta7! Lb7 30.Txb7 Dc4 Zäheren Widerstand bot 30…The8! Kasparow: 31.Tb6 Ta8 32.Lf1!! Te1+! 33.Dxe1 Sd7 34.Tb7!! Dxb7 35.Dd1! Kxa3 36.c3+– /ebenfalls besser: 30…Se4! 31.fxe4 Dc4 32.Ta7!! Td1+ (32…Ta8 33.De3+–) 33.Kb2 Dxc3+ 34.Kxc3 Td6 35.e5 Tb6 36.Kb2 Te8 37.Lg2! Td8 – um das Feld d5 zu überdecken (37…Txe5 38.Lb7+–) – 38.Lb7 Td7 39.Lc6!! Td8 (39…Td2 40.Le8+–; 39.Txa7 40.Ld5 und matt im nächsten Zug) 40.Ld7+–. 31.Dxf6 Kxa3 32.Dxa6+ Kxb4 33.c3+! Kxc3 34.Da1+ Kd2 35.Db2+ Kd1 (Diagramm 2) 36.Lf1!! Kasparow: „Weiß greift die schwarze Dame an, die nicht ziehen darf. Lässt sie das Feld e2 unbewacht, so setzt Weiß mit De2 im nächsten Zug matt, geht sie nach e6, so setzt Dc1 matt.“ Auf 36…Dxf1 folgt 37.Dc2+ Ke1 38.Te7+ und Matt im nächsten Zug. 36…Td2 37.Td7! Txd7 38.Lxc4 bxc4 39.Dxh8 Td3 40.Da8 c3 41.Da4+ Ke1 42.f4 f5 43.Kc1 Td2 44.Da7. Hier entschied sich Topalov, aufzugeben. Die Pressemeldungen liefen nun um die Welt … 47