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gcu_titel_2008 18.08.2008 16:32 Uhr Seite 1 C Probedruck M Y CM MY CY CMY K Impressum Herausgeber Henning Brau Sarah Diefenbach Marc Hassenzahl Franz Koller Matthias Peissner Kerstin Röse Vertrieb German Chapter der Usability Professionals Association e.V. Postfach 80 06 46 70506 Stuttgart Bestellungen an: [email protected] Copyright German Chapter der Usability Professionals Association e.V. ISBN 978-3-8167-7769-4 Erscheinungsdatum September 2008 Cover Design Ständige Vertretung www.staendige-vertretung.com Druck Fraunhofer Informationszentrum Raum und Bau IRB © German Chapter der Usability Professionals Association e.V. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist einschließlich seiner Teile urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die über die engen Grenzen des Urheberrechts hinausgeht, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen sowie Speicherung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen und Handelsnamen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass solche Bezeichnungen im Sinne der Warenzeichen-und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und deshalb von jedermann benutzt werden dürften. Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 2 Usability Professionals 08: Wissen. Können. Tun. Henning Brau Daimler AG Data & Process Management P.O. Box 2360 89013 Ulm [email protected] Sarah Diefenbach Wirtschaftspsychologie und Mensch-Technik-Interaktion Universität Koblenz-Landau Fortstraße 7 76829 Landau [email protected] Marc Hassenzahl Wirtschaftspsychologie und Mensch-Technik-Interaktion Universität Koblenz-Landau Fortstraße 7 76829 Landau [email protected] Franz Koller User Interface Design GmbH Martin-Luther Str. 57 - 59 71636 Ludwigsburg [email protected] Matthias Peissner Fraunhofer IAO Nobelstraße 12 70569 Stuttgart [email protected] Kerstin Röse Nutzererechte Produktentwicklung TU Kaiserslautern Gottlieb-Daimler-Str. 42 67663 Kaiserslautern [email protected] Usability ist in aller Munde. Technik soll gebrauchstauglich, benutzungsfreundlich, "usable" sein und sogar Freude bereiten – Forderungen, von deren Wichtigkeit man Hersteller heute nicht mehr lange überzeugen muss. Usability ist ein akzeptierter Erfolgsfaktor. Mittlerweile beschäftigt jedes größere Unternehmen Menschen, die Technik so gestalten, dass sie möglichst perfekt zu den Fähigkeiten, Fertigkeiten und Aufgaben ihrer Benutzer passt. Usability Professionals sind gefragter denn je. Die gestiegene Nachfrage nach Usability Professionals und die unbefriedigende und uneinheitliche Ausbildungssituation machen die Aus- und Weiterbildung zu einem zentralen Thema. Allerdings gibt es vielfältige Meinungen darüber, was Usability Professionals wissen und können sollten und welche Tätigkeiten zu ihrem Aufgabengebiet zählen. Ist ein Interaktionsdesigner auch ein Usability Professional? Ist die ergonomische Verbesserung einer Maschinensteuerung die Arbeit eines Usability Professionals? Sind Website-Konzepter Usability Professionals? Wir, der Berufsverband der Usability Professionals in Deutschland (German Usability Professionals' Association, www.gc-upa.de) würden alle drei Fragen mit einem beherzten Ja beantworten. Alle drei, Interaktionsdesigner, Ergonomen und Konzepter, berücksichtigen bei ihrer Arbeit die Bedürfnisse der Benutzer und messen das Ergebnis am Erfolg bei den Anwendern. Sicher, nicht alle teilen diese Sichtweise, und natürlich werden je nach Bereich unterschiedliche Methoden, Kriterien und Vorgehensweisen bevorzugt. Aber die Entwicklung einer bestimmten, von allen geteilten Sicht steht für uns auch gar nicht an erster Stelle. Es geht vielmehr um Erfahrungsaustausch, nicht um Gleichmacherei. Eine aus unserer Sicht erfolgreiche Aus- und Weiterbildung verlangt den Dialog der Perspektiven. So wird sie zu einer gemeinsamen Suche nach Geteiltem und Strittigem. Ein wichtiges Forum für den intensiven Austausch – und auch die eine oder andere Debatte – ist die Usability Professionals, das jährliche Treffen aller Menschen, die es sich zur Aufgabe machen, Technik menschlicher werden zu lassen. Die Usability Professionals 08 findet vom 7. bis 10. September 2008 in Lübeck im Rahmen der Mensch und Computer Konferenz zusammen mit der DeLFI und der Cognitive Design statt (www.vielmehr.org). Das übergreifende Motto "Viel Mehr" macht deutlich, wie wir die Pluralität der Sichten auf Technikgestaltung erleben: nämlich als eine Bereicherung. An vier Tagen, in 18 eineinhalbstündigen Workshops, Tutorials, Praxis- oder Vortragssessions und natürlich auch während der Pausen und an den Abenden tauschen über 300 Aktive und Interessierte Erfahrungen aus, diskutieren Themen rund um Usability, geben Methoden weiter, knüpfen und pflegen Beziehungen. Als prominentes Highlight der Veranstaltung präsentiert Gastredner Gilbert Cockton von der Sunderland Universität in Großbritannien seine Sicht auf User Experience. In "Load while Aiming; Hit?" plädiert Gilbert für ein breites Verständnis von Qualität: Weg von der verengten Sicht auf die Benutzbarkeit eines Produkts, hin zu der Frage, was eigentlich den Wert eines interaktiven Produktes ausmacht. Neben den regulären Beiträgen gibt es drei Sessions zu Themen, die uns aus Sicht der eigenen Professionalisierung wichtig erscheinen: Der "Arbeitsmarkt Usability" (Henning Brau, Sarah Diefenbach) behält die Usability Branche im Auge und hat zum Ziel, Unternehmen und Professionals zusammenzubringen. "Young Professionals" (Jana Löffler) richtet sich direkt an die Usability Professionals von morgen, den für uns so wichtigen Nachwuchs. Und "Berufsbild Usability" (Clemens Lutsch, Kerstin Röse) beschäftigt sich mit der Frage, was Usability Professionals eigentlich tun, und wie man es werden kann. All diese Aktivitäten stehen unter dem diesjährigen Motto "Wissen. Können. Tun." - unsere Art zu sagen, was es alles braucht um ein erfolgreicher Usability Professional zu sein. Das Organisationsteam, dessen Hauptaufgabe es ist, ein interessantes Programm und einen guten Tagungsband zusammenzustellen, bestand dieses Jahr aus Henning Brau, Sarah Diefenbach, Marc Hassenzahl, Franz Koller, Matthias Peissner und Kerstin Röse. 6 Ein herzliches Dankeschön an unsere Sponsoren (siehe rechts), ohne die die Usability Professionals 08 nicht möglich gewesen wäre. Am wichtigsten sind aber die Beitragenden selbst. Denn nur ihre Bereitschaft, Wissen und Können mit anderen zu teilen, macht die Usability Professionals möglich. Diese Bereitschaft macht deutlich, wie sehr wir uns trotz aller Unterschiedlichkeit bereits als eine "Community" verstehen. Vielen Dank für Ihr Engagement! Und bis zur "Usability Professionals 09" in Berlin! Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Inhalt Keynote 17 Gilbert Cockton Tutorials 25 Q uantitative Methoden zur prozessbe- gleitenden Evaluation von Designvorschlägen 30 Kognitive Modellierung in der Konzeption von Softwareprodukten l oad while aiming; Hit? P. Fischer, M. Schrepp, T. Held & B. Laugwitz T. Held, M. Schrepp, D. Mayer-Ullmann & D. Holt ein System benutz´ ich nicht: Ein praxisorientierter Ansatz, Nutzerakzeptanz zu messen und zu verbessern H. Brau 40 User Interface Prototypen in Usability Engineering und Software Entwicklung: Probleme und Synergien 45 Methoden, Notationen und Werkzeuge zur Übersetzung von Anforderungen in User Interface Spezifikationen 49 Formulargestaltung für Dummies: die häufigsten Fehler erkennen, beheben und zukünftig vermeiden M. Weber & T. Immich T. Memmel, T. Geis & H. Reiterer I. Niedermann & M. Hatscher 8 Inhalt Eyetracking 55 Visuelle Orientierung auf einer Website: Vergleich von Sehbehinderten und Normalsichtigen mittels Eyetracking 60 Software-ergonomische Evaluation eines Buchungsportals für Flugtickets mittels Blickbewegungsanalyse 65 GoodGaze: Eine Technologie aus der Hirnforschung analysiert Webseiten auf ihre Aufmerksamkeitswirkung 73 Jenseits von Usability: Website-Ästhetik 78 Der User Experience (UX) auf der Spur: Zum Einsatz von www.attrakdiff.de 83 Softwareentwickler als Interaktionsgestalter: Erfahrungen zu Einsatz und Verwendung von Interaktionspattern 88 Exploration - ein Pattern zur Steigerung des Engagements 95 Season of Usability Usability-Studenten sammeln Praxis-Erfahrung in Open Source Projekten Jenseits von Usability Young Professionals S. Duda & M. Saur L. Schmidt & E. Smieonova N. Höning, F. Stelzer, J. Steger, N. Wilming & P. König M. Thielsch M. Hassenzahl, Michael Burmester & Franz Koller K. Klöckner & K. Kohler C. Nass & K. Kohler E. Reitmayr Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Inhalt Usability Praxis I 101 Usability und/oder Security 106 Dann macht es doch selbst! - Entwickler als Usability-Experten 111 User Interface Konstrukte und Key Innovations in SAP Business by Design 117 Designing for People: Integration des User Centered Design(UCD) in den globalen Entwicklungsprozess in SAP BusinessByDesign 123 Rolle und Einfluss von Prototyping Tools in einem industrialisierten, pattern-basierten UI Entwicklungsprozess 131 Arbeitskreis: Berufsbild und Broschüre Ein Statusbericht 133 Arbeitskreis: Ausbildung und Curriculum - StatusberichtCurriculum Usability 135 Usability Professionals - ein Rollenspiel Usability für SAP Business ByDesign Berufsbild Usability Professional M. Dahm & C. Thiel R. Hartwig, M. Mäuselein, S. Özalp & B. Kieseler U. Arend & J. C. Peters D. Markwig, S. Finke & I. Weissbrodt T. Uhl & A. Hauser C. Lutsch, C. Bogner, H. Brau, T. Geis, M. Harbusch, P. Huber, K. Petrovic & K. Polkehn K. Röse & J. Löffler M. Hatscher & I. Niedermann 10 Inhalt Standards im Usability Engineering 141 Standards im Usability Engineering umsetzen - was funktioniert, was nicht ? Usability Tools 149 Auswertung mit Card-sorting-Experimenten mit Casolysis 153 W-U-T: Ein interaktives Web-Usability-Tool 157 Web-based Paper Prototyping mit RapidRabb.it - Ein Ansatz zum kollaborativen Prototyping 160 Swordfish: Eine Software zur asyncronen Remote-Evaluation der Usability von Webseiten 164 Ein Tool zur Klassifikation und Auswahl von Evaluationsmethoden im User-centered Design Prozess B. Rummel & T. Geis, M. Schrepp, T. Held, M. Offergeld, H. M. Scheurer & D. Willuhn G. Szwillus & S. Emmrich G. Szwillus, E. Demenev, J. Hillebrand & H. Schröder-Mänz T. Truppel, S. T. Golega & V. Gersabeck F. Pilottek, N. Gerth & T. Krach M. Freymann Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Inhalt Arbeitsmarkt Usability 169 Branchenreport Usability 08 Usability Praxis II 177 Erste methodische Erkenntnisse zur Usability-Analyse von Video-Inhalten auf Websites mittels Eyetracking 182 User Experience und Social Shopping 187 Praxistauglicher Usability-Engineering- Prozess für Corporate-Websites 195 Innovative Maschinen brauchen innovative Entwicklungsprozesse – Usability, Design und Software optimal verzahnen. 199 Web Globalization balanced by User Experience 204 NEW HMI Möglichkeiten und Grenzen abstrakt-geographischer Visualisierung in Bereich der Anlagensteuerung Fallstudien S. Diefenbach & M. Hassenzahl S. Pagel, S. Goldstein & A. Jürgens T. Bartel, G. Quint, S. Nicolai & S. Weichert T. Beschnitt F. Koller A. Kittler & R. Gibbert T. Hofmann & P. Holzkämper 12 Inhalt Unternehmensstrategie User-Centered-Design 211 Interdisziplinär: User Centered Design im Großunternehmen 215 Human Centred Design als Unternehmensstrategie 223 Agile nutzerzentrierte Softwareentwicklung mit leichtgewichtigen Usability Methoden Mythos oder strategischer Erfolgsfaktor? 228 Integration von User Centered Design in agilen Entwicklungsprozessen 233 Extreme Gebrauchstauglichkeit: Agile Prozess- und Softwareentwicklung mit den Mitteln des Usability Engineering 241 Wie sag ich’s meinem Anwender? Vorgehen und Styleguide für die Gestaltung von Anwendungsmeldungen. 246 Eloquent Design of Human-Computer Interaction 252 Sprachapplikationen: Qualität durch Standardisierung Agiles User-Centered-Design Eloquenz in der Interaktion K. Petrovic, M. Harbusch & C. Fellenz-Thompson C. Lutsch & K. Petrovic T. Memmel, H. Brau & D. Zimmermann M. Düchting, P. Kowallik & K. Nebe H. Obendorf & R. Naumann R. Oed & H. Ziegler M. Marek C. Hipp & M. Peissner Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Inhalt Interaktion von Morgen 259 Umsetzung von neuen Interaktionskonzepten mit Hilfe der Wii-Remote – Wii interagiere ich? 264 Gestaltung einer haptischen Navigationshilfe für den mobilen Bereich 270 „Luftmäuse“ – berührungslose „Multipointing-Interaktion“ User-Centered-Design und Software Entwicklung M. von Wilamowitz-Moellendorff, M.Schreiber & R. Bruder R. Kniewel & C. Hipp P. Chojecki & U. Leiner 277 rfahrungen zur praktischen Anwendung eines ganzheitlichen Usability Engineering im Kontext der klassischen ITSystementwicklung und Prozessreifung M. Offergeld 282 Q ualitätsaspekte bei der Integration von User Centred Design Aktivitäten in Softwareentwicklungsprozesse 287 Faktoren zur erfolgreichen Umsetzung von User-Centered-Design Aktivitäten – Beispiele aus der Praxis K. Nebe, M. Düchting, D. Zimmermann & V. Paelke D. Zimmermann, M. van Ballegooy, K. Jepsen & D. Wehr 14 Inhalt Methoden und Prozesse 295 Evaluation eines Human-Machine-Interface für Tower-Fluglotsen unter Einsatz eines Simulators C. König, T. Hofmann, J. Bergner & R. Bruder sability Tests bei Immobilienscout24 Aktuelle Herausforderungen im User Experience Design Monika Denk, A. Kimm & S. Klein 301 Strategisches User Experience Design Anforderungen und Methoden der wertorientierten Entwicklung von Webinterfaces 304 Webdesign und Usability-Evaluierung: Ein Methodenmix für die Neugestaltung des Webautritts der Auto 5000 GmbH (Volkswagen AG) 308 Business Centered Design: Erfolgsfaktoren im E-Business D. Gilbert T. Mandl, I. Rill & F. Caroli C. Becker & C. Fernandez Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Inhalt Designaspekte 313 Virtual Reality für Jedermann – Vereinfachter Zugang zu komplexen Daten der 3D-Produktvisualisierung 316 Usability von VR-Anwendungen Was tun wenn das Problem in der menschlichen Wahrnehmung liegt? 319 Multimodales Interface Design: Wie wirkt sich redundantes Informations- Design auf die Gebrauchstauglichkeit aus? 323 Standards für benutzerfreundliche Medienwiedergabe on- und offline 328 Skinning vs. Usability vs. Branding 335 Referenten A - Z Referenten K. Wack & H. Brau A. Köhler & H. Brau T. Sackmann J. Jacobsen & M. Gidda C. S. Friedrich 16 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 K eynote 15 16 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Load while Aiming; Hit? Gilbert Cockton Department of Computing, Engineering and Technology, St. Peter’s Way, University of Sunderland, Sunderland SR6 0DD, UK [email protected] Abstract Usability and now UX specialists aren’t in charge and shouldn’t be. Design strategists should lead project teams to focus on a common purpose rather than squabble over competing value systems. Evaluating too should have only one purpose: to evaluate design purpose. In this keynote address, I will introduce worth-centred approaches to digital products and services. These focus on worth as a balance of benefits over 1.0 Who Would Aim First An artillery battery commander’s cries of “Load“, “Aim” and “Fire!” sequence a shot at a known enemy. An artillery piece must be ready to fire, so there is no point of “aiming” before “loading”. Yet, from the dawn of HCI, usability specialists have wanted to get in ‘early’, before anyone has made any commitments to artillery or munitions. “Aim”, “Load”, “Fire!” was HCI battery commanders’ sequence. Initially, even “load enough to fire at something” will do. We had to get in first, take charge, and stay in charge (Cockton 2008b). Who would go into battle with battery commanders who must see where to aim before knowing what sort of artillery exists and what it can do? Designing is not warfare, however much it feels like this in the trenches of software development. We are not firing at enemies, but aiming for allies. We need to know them well to know if our aim is true. We must gather human intelligence needed to assess success. Nevertheless, such human intelligence has to be co-ordinated alongside gathering techni- costs for all included stakeholders. Worth-Centred Development (WCD) takes designing to a point where a focus on intended worth can progress to achievable and on to achieved worth. The evolving WCD framework combines approaches in support of six meta-principles that are necessary and sufficient to enact designing as it ought to be. Example approaches such as worth maps, cal intelligence to support delivery of designs. Technology can’t and won’t wait. UX planning needs to proceed alongside exploration of technical and creative opportunities 2.0 Load and Aim UX specialists can never get in ‘first’. Technology creatives will have always invented, tinkered and bootstrapped long before any UX involvement. We must shadow technology development, looking for good places to aim at while engineers and creatives make things to load and things to load them in. Designing must thus support parallel activities. Some will focus on technical and creative means. Others will focus on human ends and experiences. Means and ends must be explored, compared, selected and refined in parallel. The required coordination can be achieved through an integrating focus of worth that aligns user research, design and evaluation. element measurement strategies and user experience frames are briefly illustrated to show how we must and can move beyond user experience to focus on achieving outcomes in the world as the primary purpose of all designing. Keywords Value, Worth-Centred Development, Designing, Worth Maps, User Experience, 3.0 Hit? Back at battalion HQ, officers direct batteries, updating their plans in response to (un)successful hits and moving targets. Their remote view yields very different perspectives from those formed in during batteries’ moment by moment activities. With little sense of any overall battle plan, a battery UX evaluator could do little more than focus on how guns are fired. How fast can they load, aim and fire? What sorts of errors get made? Who gets injured and how? How does the battery feel about their performance? What’s it like to fire guns? What improvements are sought? A battery evaluator returns to battalion HQ with their UX report. No-one at HQ cares. None of it matters. They win battles and are winning the war. They’d like to win it quicker, with less damage, making the inevitability of defeat clear. Their aim is less vanquishing the enemy than receiving their surrender. Measuring artillery UX has limited connections with effecting surrender. Every 17 shot is a cost. Peace on our terms is the benefit. Battery evaluators see mostly costs and few benefits. 4.0 Miss! Measuring the wrong things in the wrong place at the wrong time is hard to value. There is no point in measuring efficiency or effectiveness (as task completion) if they don’t matter. UX work can be equally pointless by measuring emotions without regard for how they contribute to worthwhile outcomes within or after interactive experiences. comprehensive, lets us load, aim, fire and check the result. Designing as a human activity will always be subjective. Its norms and ethos arise from the nature of design outcomes, which “result from … decisions … Choice implies alternatives, in how ends can be achieved, and for whose advantage. … design is not only about initial decision or concepts by designers, but also about how these are implemented and by what means we can evaluate their effect or benefit” (Heskett 2002, pp. 5-6). There is limited, if any, summative value in, measures of what are means to ends. Such measures capture little of the complete means-end chains that shape how, when and why means enable ends. There are thus key design choices of: Designers are often no better, also focused exclusively on means and never firming up on ends. If designing has no clear purpose, then so too will evaluation focus on means, not ends. A development process must explicitly support and co-ordinate all four types of design choice. If not, it does not support designing, and at best is a process of creative making. Support for norms of designing can be expressed as expectations for development processes. Such expectations can be expressed in specific contexts as principles, which instantiate more general meta-principles. Six such meta-principles are necessary and sufficient to support designing’s four key choices: 5.0 Better by Designing? The lessons from the artillery example are that we must not aim before loading, and that we must be able to see our targets and know whether we have hit them. However, we cannot rely on a remote battalion HQ to tell us where to aim and whether we are hitting the target. We need to combine the battery and the battalion HQ in an integrated approach to design management. UX must be an integral part of development, but when integrated into the wrong process, poor UX downstream utility gets blamed for upstream futility (Cockton 2007). UX can’t be expected to fit into any development process and deliver regardless. Development has to be open to designing to let UX effectively support development of worthwhile digital products. Designing, if and when 18 1. 2. 3. 4. 1. 2. 3. 4. 5. 6. Means from alternatives Ends (design purpose) Beneficiaries (stakeholders) Means of evaluation Commitment Receptiveness Expressiveness Inclusiveness Credibility Improvability These meta-principles are holistic. Commitment requires project teams to overtly select means, ends, beneficiaries and evaluations. Receptiveness requires being creatively open to alternative means, ends, beneficiaries or evaluation methods. Expressiveness requires effective representation of chosen means, ends, beneficiaries and evaluations, associations between intermediate means, and between terminal means and ends. Credibility needs feasible means, genuine ends for beneficiaries, relevant evaluations, and plausible linking associations within means-end chains. Improvability needs measurable means and ends, evaluation instruments to measure them, targets to hit, and chances for more inclusiveness and (recursively) more improvability. Inclusiveness requires moral or ethical justification of inclusion and exclusion of stakeholders; for included stakeholders, costs arising from chosen means must be justified, as must benefits associated with chosen ends, and also the ability of chosen evaluations to properly assess the balance of worth resulting from achievable benefits given likely costs. Project teams can partially instantiate these six demanding meta-principles via an appropriate framework. It is only within specific development contexts that principles can be fully instantiated. A Worth-Centred Development (WCD) framework is evolving to support partial instantiation of the six meta-principles. It is worth-centred, because it constructs designing as the creation of worth, and not just of value or of artefacts. Many credible value propositions fail because they do not offer sufficient value to offset a wide range of costs. Price is one cost, but others may be more important, such as the cost of usage, ownership, integration of substitution. The latter two costs are particularly important for digital products and services, which must have good synergies within existing productservice ecosystems. Also, switching costs must be acceptable. Together, these costs can make even the most apparently valuable design not worth it. Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Pleasant Sequel Worthwhile Economic Transaction Successful gift, transfer or disposal Nicer home In Control Good Value Clear, informative Price information and cost summary Good Plan Concerned, caring, valuing Email/fax confirmation of booking What to bring and when information Web pages with dowloadable documents (e.g., pdfs) Not in control of costs, more than planned Complete, checkable, thorough Helpful, considerate Van load information Depot maps and directions information Email and fax capabilities Hirers can’t collect hired van Load won’t fit into van/ more trips needed Image capabilities of html, java etc. Hirers arrive late at depot Unable to find van hire depot Figure 1. Worth Map for Hypothetical Van Hire Site. 6.1 Worth is thus the arbitrator of product or service success. Value is a motivator, but costs can de-motivate. We need to focus on the balance of costs and benefits to promote design success. 6.0 The WCD Framework The WCD framework has been populated by adapting existing HCI approaches and borrowing from consumer psychology and ethnography to fill gaps. They are called approaches rather than methods, since they are tactical resources, often supported by diagrams or tables. However, no fixed procedures are associated with these tactics or representations. Due to space limitations, three approaches are briefly illustrated, and several further ones are noted. Worth Maps Worth Maps adapt hierarchical value models (HVMs) from consumer psychology. Cockton (2008a) covers their predecessor, worth/aversion maps (W/AMs), which were closer to HVMs. Worth maps combine envisaged means-end chains (MECs) into a network diagram. They support instantiation of commitment by presenting chosen means and ends in MECs that end at worthwhile outcomes. Means, ends and associations between them are shown in worth maps. Figure 1 shows a worth map for a van hire web site, mostly from a customer perspective. The map is populated by design elements (materials, features, qualities) and value elements (user experiences, outcomes). Element colours are: yellow for worthwhile out- comes, pink for user experiences, light blue for qualities, grey for features, white for materials, and red edged for adverse outcomes. Other negative elements (defects, adverse experiences) are omitted for simplicity. Closely adjacent unassociated elements (no arrow links) are (non-exclusive) alternatives (horizontally adjacent) or sequenced (vertically adjacent). Outcomes are ends. All other elements are means. An example MEC is highlighted in red. Worth maps express intended worth for chosen beneficiaries and the means that are expected to deliver it (see further details in Cockton 2008c). Worth maps express a project team’s commitment to specific ends and the means that can achieve them, and to associations between these map elements. Commitment to beneficiaries can be indicated by associating included stakeholders 19 with specific experiences and outcomes. Commitment to evaluations is expressed through element measurements strategies, which plan for testing oft whether loading and aiming resulted in any hits. 6.2 Beliefs Looking forward to getting van Have all necessary details UX evaluation has focused on usage, yet many worthwhile outcomes that represent the true ends of design purpose cannot be measured during use of digital components of a wider product or service system. Most outcomes in Figure 1 need instrumentation at van hire depots, where data would be provided directly by customers/and or depot staff. Other outcomes, and user experiences, require instrumentation of customers soon after a hire, again either with data provided directly at the depot by customers and/or staff, or via customer feedback web pages, phone or email surveys. The ‘moments of truth’ of all outcome measures are such that none can be measured through web-site user testing, and most cannot be fully measured until a customer has completed removal of goods, or abandoned delivery for some reason. System Usage System Response Acts in the World Staple and pin up Print pdf EMSs and DWI An Element Measurement Strategy (EMS) associates measures, instruments and thresholds with each element of a worth map. The main requirements for summative evaluation are to measure achievement of worthwhile outcomes. In Figure 1, these are: a worthwhile economic transaction, a pleasant sequel, successful gift/transfer/disposal and/or nicer home). Adverse outcomes should also be measured. In Figure 1, these are: costs out of control, arrive late, load won’t fit, can’t collect van/ find depot). The diamond ended arcs in Figure 1 are aversion blocks, which express claims that associated design elements will prevent adverse outcomes. Measures can test such claims establishing the achieved worth of the current design. 20 Feelings Read email, follow link to pdf Feels great, all well planned now Booked right van for right time period Display pdf Save and print confirmation page Display and email confirmation Book and pay for van Can find right van Select appropriate van Sally checks details Display book this van page Harry sees ok van That’s cool Better to start with depot Select depot Update depot info Enter Post Code Show depots map Nearest depot is on ring road Sally sees nearest depot Can find info on depots Sally persuades Harry Not a good place to start Can find prices and availability Display home page Open lovelyvan.com Figure 2. Good Plan Customer UEF for a Van Hire Web Site Direct Worth Instrumentation (DWI) is an evaluation approach that embeds instruments in technical or wider sociodigital systems. This may require extensions to initial design elements, e.g., email based feedback requests linked to survey webpages. Systems at a van hire depot could also be extended to track frequency and causes of late pick ups and drop offs (e.g., getting lost on the way to the depot), or inappropriately sized hired vans (both too small and too large). The motivation is always to measure what matters, and not what is easy to measure. 6.3 User Experience Frames User Experience Frames (UEFs, Cockton 2008d) expose the internal detail of UX worth map elements. UEFs adapt multi column transcripts from ethnographic research (Jordan and Henderson 1995) to express design commitments and expectations before there Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 is an implementation that can let representations be based on actual usage. In contrast, both HVMs and ethnographic transcripts are based on data from users/consumers with actual product experience, and must thus be created after implementation and/or deployment. Figure 2 shows an illustrative UEF for the Good Plan UX in Figure 1. It has five columns for the feelings, beliefs, user actions, responses and human actions within a specific abstract scenario for two customers interacting with the van hire site. The narrative structure is indicated by a thick double line snaking from the bottom to the top, running underneath and around table cells (the narrative could run from top to bottom over a few pages, or curved arrows could replace table cell border coding ― UEFs use whatever is to hand and suits the documentation context). Figure 2 shows how the internal dynamics of a UX element can be expressed as a narrative thread of beliefs, feelings, actions and reactions. In the example, positive emotional responses and a growing confidence result in a UX that ends with feeling well prepared to pick up a van and use it to collect a purchase. The closing feeling and belief cover most of a value proposition that the site helps you book the right van for the right time from the best depot at a good price. UEFs thus express project teams’ understanding of how human motivations and abilities combine with design elements to produce a meaningful experience that brings benefits and costs as worthwhile or adverse outcomes. UEFs thus express achievable worth for specific stakeholders. Headers and footers can be used to highlight resulting outcomes, as well as the relevant features and qualities that support the UX. Any worthwhile outcome so indicated must also be linked from the UX in associated worth maps. Alternative multi-column formats are also possible for UEFs. There can be several UEFs for each UX element in a worth map, each representing one or more abstract scenarios for one or more stakeholders. 6.4 Some Other WCD Approaches UEFs are sufficiently expressive to support scenario and stakeholder based analyses in further WCD approaches. For example, credibility analysis can be supported by Worth Delivery Scenarios (WoDSs). These can start with the narrative paths through UEFs, expand them into textual scenarios and assess the credibility of each link in the narrative. WODSs must have happy endings corresponding to worthwhile outcomes. Credibility of outcomes depends on credibility of means-end chains. There are no grounds in Figure 2 for the belief that a van had been booked for the right time period. This is because some rows have been deliberately deleted! Inspection can expose the resulting insufficient grounds for forming the belief ’Booked right van for right time period’. Missing rows must be reinserted to improve credibility. Once a UEF is complete enough to make abstract scenarios credible, they can be further challenged through authoring more detailed textual envisionment scenarios. UEFs can be also assessed for stakeholder specific balances of worth. UEF headers or footers can indicate worthwhile or adverse outcomes. Hedonic qualities in feelings columns can also be considered as part of a balance of worth. Since even abstract scenarios must be stakeholder specific, it follows that the overall balance of worthwhile and adverse outcomes and feelings can be regarded as a detailed instan- tiation for the inclusiveness metaprinciple. Headers or footers can indicate the stakeholder(s) to whom a UEF applies, and can be further marked with a graphical indication (e.g., a green to red scale from positive to negative worth balance). These indicators can be copied to the UX elements in worth maps, allowing overall inclusiveness to be assessed relative to a range of likely stakeholder outcomes. Unacceptable likely outcomes can be addressed in iterative activities of worth balancing. Other WCD approaches include Worth Webs, a Venn diagramming approach that places stakeholders in overlapping contexts of individual and collective worth. They address individual worth through Alderfer’s (1972) motivational categories of Existence, Relatedness and Growth (ERG). Collective worth is addressed through worth spheres for social categories of institutions, kin, and kind (IKK). Relatedness links individual and collective worth, as do Locales, which are spatial processes that create social places. Worth webs are thus use this L-ERG-IKK framework that interrelates place, social structure and individual needs and wants. This simplifies an earlier approach to individual and collective worth (MILKK, Cockton 2006). Worth webs support worth mapping by identifying the considerations (or sensitivities, Cockton 2008c) that provide creative bases for sketching worth map elements prior to adding associations and refining worth maps. In terms of the artillery metaphor, considerations or sensitivities support both loading (of design elements) and aiming (at human elements). Hence we can load while aiming, although the WCD framework lets us load first. However, unlike UCD it does not insist on aiming first. We can load first as with technology probes (Hutchinson et al. 2003). We can never aim first. Even the most human-centred destinies worth maps (Cockton 2008a) 21 still have some technologies in mind when mapping out key worthwhile and adverse outcomes. 6.5 HCI Approaches and WCD Many existing HCI approaches can be used in WCD, perhaps with some modification. Scenarios have already been mentioned in their modified WoDS form, as have interaction analysis transcripts in their envisionment form of UEFs. Similarly, a wide range of HCI specification and sketching approaches can be used without modification to express design elements. We can also use existing field research approaches (Randall et al. 2007), including indirect methods such as cultural probes (Boehner et al, 2007), be used to maximise receptiveness to potential design and human elements. Considerations and sensitivities cannot be wholly derived from worth webs. Thus although sets of personas (Pruitt and Adlin 2007) can readily be derived from worth webs, these too are best grounded in appropriate field research. 6.6 Other Approaches and WCD Human Science approaches such as motivational and social theory underpin the L-ERG-IKK framework. Receptiveness can further benefit from choice theory, affective psychology and theories of experience, amongst others. Similarly, business approaches such as value propositions and HVMs have been adapted for WCD. Receptiveness can benefit from use of trends data and approaches from consumer psychology. WCD requires a wide range of approaches. While usability largely relied on cognitive psychology, and much UX relies on affective psychology, WCD cannot be restricted to one disciplinary subfield. To understand worth, and to be receptive to its implications for stakeholder research, interaction design and 22 holistic evaluation, HCI must become much more eclectic. 7.0 Conclusions HCI must move beyond a UX focus on emotion and activity to a focus on worthwhile outcomes. UX and usability remain important, but they have a place and can be kept in it, much to their benefit! This place is provided by the common purpose begins with a focus on intended worth and then progresses onto achievable and lastly achieved worth. This strategic approach puts UX and usability where they can be more effective. Within WCD, UX and usability reduce costs and increase some benefits, but what matters is how they contribute to, or obstruct, achievement of the intended worth that provides purpose for design projects. UX and usability are not absolutes. They can only be means to ends, and not ends in themselves, Acknowledgements The development of the WCD metaprinciples and framework was supported by a NESTA fellowship (www.nesta.org.uk). Worth maps and UEFs were developed during a visiting researcher position at Microsoft Research in Cambridge. Alan Woolrych of the University of Sunderland managed the commercial user testing work on van hire web sites on which the examples in Figures 1 and 2 are based. Thanks to all for support, help and encouragement. References Alderfer, C. (1972) Existence, Relatedness, and Growth. Free Press Cockton, G. (2007) Upstream Futility Blocks Downstream Utility. In: Law E. Lárusdóttir M. and Nørgaard M. (Eds): Downstream Utility: The Good, the Bad, and the Utterly Useless Usability Evaluation Feedback (cost294.org/upload/495.pdf), 100-105. Cockton, G. (2008a) Putting Value into E-valuation: In Law, E. Hvannberg, E. and Cockton, G. 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Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Tu torials 23 24 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Quantitative Methoden zur prozessbegleitenden Evaluation von Designvorschlägen Patrick Fischer SAP AG Dietmar-Hopp-Allee 16 69190 Walldorf [email protected] Martin Schrepp SAP AG Dietmar-Hopp-Allee 16 69190 Walldorf [email protected] Theo Held SAP AG Dietmar-Hopp-Allee 16 69190 Walldorf [email protected] Bettina Laugwitz SAP AG Dietmar-Hopp-Allee 16 69190 Walldorf [email protected] Abstract Im Designprozess stehen oft viele Entscheidungen an, die nur schwer aufgrund von vorhandenem Wissen getroffen werden können. Aufwändige Userbefragungen sind in diesen Fällen meist nicht angebracht. Was hier benötigt wird, ist eine kostengünstige und schnelle Methode, 1.0 Einleitung Während der Gestaltungsphase von Benutzungsoberflächen treten verschiedene Probleme auf, wie z.B. Entscheidung für ein konkretes visuelles Design oder die Art der Verteilung von Informationen. In vielen Fällen sind es Usability Experten, die durch ihr Wissen und ihre Erfahrung ad hoc solche Probleme lösen können. Ist die Lösung eines Problems nicht offensichtlich, werden Endbenutzer in den Entwicklungsprozess einbezogen. Hierfür gibt es altbewährte Methoden, wie z.B. Usability Tests oder Usability Reviews. Bei diesen Methoden wird der direkte persönliche Kontakt bevorzugt. Endbenutzer bearbeiten im Labor Aufgaben, werden dabei beobachtet oder gefilmt und bekommen anschließend evtl. noch einen Fragebogen. Mitunter werden durch unstrukturierte Interviews zusätzliche Informationen gewonnen. Experten werten die Daten aus, beurteilen anschließend die Datenlage und kommen zu entsprechenden Vorschlägen, die in den Designprozess einfließen. Ein Nachteil der Labor Tests bzw. anderer Methoden mit direktem Nutzerkon- zur Entscheidung zu kommen. In diesem Tutorial werden einige Methoden vorgestellt, die es ermöglichen schnell und mit wenig Aufwand an das nötige Feedback zu gelangen. Die vorgestellten Verfahren sind insbesondere auch zum Einsatz in Online-Studien geeignet. takt ist der Aufwand (finanziell und zeitlich). Für die im Designprozess auftretenden Probleme wird eine kostengünstige und schnelle Methode benötigt, um auf empirischer Basis Entscheidungen zu treffen. Nun sind aus den Bereichen der empirischen Marktforschung und der experimentellen Psychologie Methoden bekannt, die prinzipiell in Frage kommen, Entscheidungshilfe zu leisten, z.B.: Magnitude Estimation, conjoint Measurement, vollständiger Paarvergleich sowie Fragebögen. Insbesondere in Kombination mit der Nutzung des Inter-/Intranets, bieten sich solche quantitativen Methoden an, um zügig an Feedback zu gelangen. Nach unserer Erfahrung wird dies aber selten praktiziert. Gerade die Methoden, die helfen unter Zeitdruck Entscheidungen zu treffen, sind eine sinnvolle Ergänzung im Methodenrepertoire. 2.0 Skalierungsverfahren Skalierungsverfahren sind etablierte Methoden der empirischen Wissenschaften. Sie ermöglichen es, die Qualität von Objekten in Bezug auf Keywords Quantitative Methoden, BTLSkalierung, Magnitude Estimation, Conjoint Measurement vorgegebene Kriterien zu messen. Die Messwerte werden dabei aus den Daten von Personen ermittelt, die die Alternativen in Bezug auf das Kriterium beurteilen. Für die Datenerhebung reichen in der Regel kleine Stichproben (10 – 20 Personen) aus. Beim Einsatz im Bereich des User Interface Designs sind die Objekte in der Regel Designalternativen, z.B. Screens, einzelne Controls, oder Entwürfe für das visuelle Design. Als Kriterien für die Bewertung kommen z.B. die wahrgenommene Usability oder die Ästhetik des Designs in Frage. Die meisten Skalierungsmethoden sind in Bezug auf die Datenerhebung recht einfach. Sie eignen sich damit sehr gut dafür, während des Designprozesses schnell zu Entscheidungen zwischen alternativen Entwürfen zu kommen. Wegen ihrer einfachen Struktur sind Skalierungsverfahren auch sehr gut für OnlineStudien geeignet. Wir beschreiben drei Skalierungsverfahren, die wir teilweise schon in einigen Projekten erfolgreich eingesetzt haben. 25 2.1 BTL Skalierung (Vollständiger Paarvergleich) Die Daten für eine BTL Skalierung (Bradley & Terry 1952; Luce 1959) werden über einen vollständigen Paarvergleich ermittelt. Dabei werden n Personen jeweils alle Paare von Alternativen (in zufälliger Reihenfolge) vorgelegt. Die Person entscheidet dann für jedes Paar, welche Alternative sie bevorzugt. Die Alternativen sollten gleich häufig an den beiden Positionen auftauchen, um Reihenfolgeeffekte auszuschließen. Dies wird oft dadurch erreicht, dass jedes Paar zweimal mit vertauschten Positionen dargeboten wird. Aus den Daten der n Beurteiler kann dann die sogenannte Dominanzmatrix berechnet werden. Diese listet für jedes Paar (a, b) von Alternativen auf, wie häufig Alternative a gegenüber Alternative b bevorzugt wurde. Aus der Dominanzmatrix werden dann die Skalenwerte S(a) der Alternativen ermittelt. Hier liegt die Annahme zugrunde, dass die Häufigkeit, mit der eine Alternative einer anderen vorgezogen wird, nur von den Skalenwerten der Alternativen abhängt. Konkret geht man von folgendem Zusammenhang1 aus: P ( a , b) S (a ) S (a ) S (b) Die BTL Skalierung liefert eine Verhältnisskala. Angenommen wir skalieren mehrere visuelle Designs bzgl. ihrer Ästhetik und für zwei dieser Designs a, b gilt S(a) = 2 S(b). Dann kann man schlußfolgern, daß Design a als doppelt so ästhetisch wahrgenommen wird wie Design b. 1 Dabei ist P(a, b) die Wahrscheinlichkeit, dass a gegenüber b bevorzugt wird und S(a) bzw. S(b) sind die Skalenwerte der Alternativen a und b. 26 BTL Skalierung bietet sich insbesondere an, wenn man wenige2 Designalternativen in Bezug auf eine interessante Ausprägung (Ästhetik, wahrgenommene Usability, etc.) vergleichen will. Besonders geeignet ist das Verfahren bei einfachen Reizen, z.B. visuellen Designs, bei denen man im Paarvergleich jeweils zwei Alternativen parallel darbieten kann. Eine ausführliche Darstellung der BTL Skalierung findet man z.B. in Gediga (1998). Anwendungen auf das Formulardesign sind z.B. in Schrepp et al. (2007) beschrieben. 2.2 Conjoint Measurement Die Conjoint Analyse oder verbundene Messung wurde zur Messung multidimensionaler Objekteigenschaften entwickelt. Das heutige Hauptanwendungsgebiet der Methode ist die empirische Marktforschung. Im Bereich des User Interface Designs eignet sich die Conjoint Analyse immer dann, wenn die alternativen Designentwürfe durch eine Anzahl von unabhängig voneinander variierbaren Attributen charakterisiert sind. In einer Anwendung auf das Formulardesign (Schrepp et al. 2007) wurde z.B. untersucht, wie sich die Anordnung der Feldbezeichner, die Balance des Layouts und die Visualisierung der Feldgruppierung auf die Ästhetik des Formulardesigns auswirken. Bei der Conjoint Analyse ist jede Alternative durch die Ausprägung der Attribute beschreiben. Das Verfahren liefert nun pro Attribut Skalenwerte, die beschreiben, welchen Einfluss das jeweilige Attribut auf das vorgegebene Beurteilungskriterium hat. In der oben beschriebenen Untersuchung zum 2 Der zeitliche Aufwand für einen vollständigen Paarvergleich steigt mit der Zahl der Alternativen stark an. Formularlayout lieferte das Verfahren z.B. Skalenwerte für die drei Attribute Anordnung der Feldbezeichner, Balance des Layouts und Visualisierung der Gruppen. Die Skalenwerte beschreiben den Einfluss des jeweiligen Faktors auf die Ästhetik des Layouts. Die Daten für eine Conjoint Analyse werden in der Regel über ein RankingVerfahren ermittelt. Bei einem RankingVerfahren ordnet ein Beurteiler alle Alternativen entsprechend seiner Präferenz direkt an. D.h. jeder Beurteiler produziert hierbei eine Rangreihe der Alternativen. Dieses Verfahren hat den Vorteil, dass es bei einer überschaubaren Anzahl von zu beurteilenden Objekten sehr schnell durchzuführen ist. Die Skalenwerte der Attribute werden aus den beobachteten Rangreihen über eine Regressionsanalyse bestimmt. Die Conjoint Analyse eignet sich immer dann, wenn man den Einfluß bestimmter Faktoren auf den Eindruck untersuchen will, den ein Design beim Benutzer hervorruft. Eine übersichtliche Darstellung über die wesentlichen Aspekte der Conjoint Analyse gibt Klein (2002). 2.3 Magnitude Estimation Anders als bei den beiden oben vorgestellten indirekten Skalierungsverfahren handelt es sich bei der Magnitude Estimation um einen Ansatz zur Direktskalierung. Das Verfahren wurde von Stevens (1946) vorgeschlagen. In einem typischen Magnitude Estimation Experiment ist es die Aufgabe der Versuchsperson, Reizen numerische Werte in der Weise zuzuordnen, dass die zugeordneten Werte proportional zur Empfindungsgröße des wahrgenommenen Reizes sind. Im Allgemeinen wird zunächst einem Referenz-Reiz ein gegebener Wert zugeordnet (z.B. 100) und die Versuchsperson ist angehalten alle folgen- Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 den Wertezuordnungen auf diesen Referenzwert zu beziehen. Wenn die Versuchsperson also einen Reiz als dreimal so intensiv (z.B. „laut“, „hell“, „angenehm“) wie den Referenzreiz empfindet, sollte sie diesem Reiz eine dreimal so hohe Zahl zuordnen (z.B. 300 bei einer Referenz von 100). Ohne auf die formalen Details dieses Skalierungsverfahrens einzugehen, sei hier nur erwähnt, dass nach Stevens auf Basis der Daten eines Magnitude Estimation Experiments eine Verhältnisskala konstruiert werden kann. Magnitude Estimation ist eine weitverbreitete Methode in der empirischen Marktforschung und nach wie vor auch in der experimentellen Psychologie. Interessant für Usability Professionals ist, dass eine Anwendung des Verfahrens für die Skalierung von Interaktionssequenzen bezüglich ihrer wahrgenommenen Usability vorgeschlagen wurde. McGee (2003) und Rich & McGee (2004) präsentieren mit der „Usability Magnitude Estimation“ einen Ansatz, der für sich beansprucht, effizient und verlässlich Verhältnisskalen zur wahrgenommenen Usability von Softwareprodukten zu generieren. Die Rolle der Reize spielen bei diesem Verfahren einzelne Interaktionssequenzen, die die Versuchsperson bei der Bedienung eines Softwareprodukts zu durchlaufen hat. Wie bei traditionellen Magnitude Estimation-Experimenten wird der Versuchsperson mit Hilfe neutraler Interaktionen eine Bewertungsreferenz vorgegeben. Die Interaktionssequenzen des zu beurteilenden Softwareprodukts werden dann in Bezug auf die Referenz mit Zahlenwerten beurteilt. Da die Versuchsperson bei allen Zuordnungen numerischer Werte auch die vorher erfolgten Zuordnungen berücksichtigen muss, ist die Durchführung eines solchen Verfahrens potentiell mit einer hohen kognitiven Belastung verbunden. Befunde der modernen psychologischen Messtheorie zeigen zudem, dass Magnitude Estimation nicht notwendigerweise zu einer Verhältnisskalierung führt. Eine Theorie von Narens (1996) bietet eine Axiomatisierung der zugrunde liegende Messstruktur und zeigt die notwendigen Bedingungen für die Identifikation des realen Skalentyps auf. Zimmer et al. (2004) stellen einen Vergleich von BTL-Skalierung und Magnitude Estimation an und betonen ebenso das Problem des undeterminierten Skalentyps bei der Magnitude Estimation. 3.0 Fragebogen Eine schnelle und einfache Möglichkeit, subjektive Einschätzungen von Endbenutzern zu erheben, sind Fragebögen. Zur Evaluation von Software stehen verschiedene solcher Verfahren zur Verfügung. Diese können sich unterscheiden hinsichtlich ihrer Zielsetzung, der Art der erzeugten Daten (quantitativ, ggf. zusätzlich qualitativ) oder auch des Erhebungsaufwands. Manche Fragebögen sind in erster Linie darauf ausgelegt, eine grobe Einschätzung von Produktmerkmalen zu liefern. Ein Beispiel hierzu ist die System Usability Scale SUS (Brooke 1996), der es erlaubt, aufgrund von 10 Items einen Gesamt-Usability-Wert zu ermitteln, der zwischen 0 und 100 rangiert. Ein differenzierteres Bild hinsichtlich der Produkteigenschaften kann beispielsweise der IsoMetricsS (Gediga & Hamborg 1999) liefern, der sich an den Kriterien für Gebrauchstauglichkeit gemäß ISO 9241 Teil 10 orientiert. Der Benutzer beurteilt die Ausprägung der entsprechenden Eigenschaften, wie etwa der Aufgabenangemessenheit oder der Fehlerrobustheit. Der UEQ (Laugwitz et al. 2006) wurde hingegen mit dem Ziel konstruiert, eine schnelle, möglichst unmittelbare Einschätzung des Produkts bzw. der Zufriedenstellung des Benutzers gemäß ISO 9241 Teil 11 zu unterstützen. Die Auswertung liefert dann intervallskalierte Werte auf fünf Skalen, darunter „Originalität“ oder „Vorhersagbarkeit“. Die genannten Fragebögen liefern quantitative Daten und sind dadurch in der Auswertung sehr effizient und besonders für eine computergestützte Erhebung geeignet. Andere Verfahren erlauben ein teil-standardisiertes Vorgehen, in dem nicht nur ein Wert auf einer Ratingskala ausgewählt werden kann, sondern zusätzlich Raum für freitextliche Äußerungen gegeben ist (z. B. IsoMetricsL, Gediga & Hamborg 1999; ErgoNorm-Benutzerfragebogen, Dzida et al. 2000). Die Ergebnisse der qualitativen Anteile können Erkenntnisse über Stärken und Schwächen des Produkts mit einem Detaillierungsgrad liefern, wie es den rein quantitativen Verfahren nicht möglich ist. Preis hierfür sind ein erhöhter Erhebungs- und Auswertungsaufwand. Auch wenn es dem Interaktionsdesigner jederzeit freisteht, eigene Fragen zu formulieren oder Fragensätze zu erstellen, sollte nach Möglichkeit den veröffentlichten Verfahren den Vorzug geben, da hier relevante Gütekriterien wie die Objektivität, Reliabilität und Validität dokumentiert und nachvollziehbar sind. Von der Abänderung vorhandener Fragebögen ist grundsätzlich abzuraten. Für die Einschätzung oder den Vergleich von Produkten hinsichtlich einzelner Dimensionen wie Ästhetik oder wahrgenommene Usability durch Endnutzer sind außerdem die oben beschriebenen Skalierungsverfahren eher geeignet. Einen Überblick über den Einsatz von Fragebögen im Bereich Softwareergo- 27 nomie bieten z. B. Dzida et al. (2000) oder auch Hamborg (2004). 4.0 Anwendungsbeispiel Aus dem Tagesgeschäft der Autoren soll im Folgenden die Vorgehensweise für eine BTL-Skalierung kurz umrissen werden. Es standen sechs Designvorschläge von Widgets für eine Web-Applikation zur Verfügung. Ziel war es, so zügig wie möglich, eine Entscheidung für eine der sechs Designalternativen zu treffen. Die Widgets wurden in eine vorhandene Screenstruktur integriert und davon Screenshots angefertigt. Mithilfe eines Softwaretools auf Basis von PXLab (Irtel 2007) wurde ein Online-Paarvergleich generiert und im Intranet von SAP zugänglich gemacht. Alle Produktmanager und User Interface Designer aus dem CRM Bereich wurden per E-Mail aufgefordert den Paarvergleich durchzuführen. Insgesamt wurden aus den sechs Designalternativen 15 Paare generiert. Die Versuchspersonen mussten mithilfe der Pfeiltasten ihre Entscheidung bezüglich der Ästhetik für jedes Paar treffen (siehe Abbildung 1). Für alle Entscheidungen benötigten die Versuchspersonen im Durchschnitt 5 Minuten. Abb. 1: Screenshot zu einer Entscheidung für einen der beiden Designvorschläge. Das Softwaretool übernahm automatisch die Datenauswertung und lieferte die 28 Skalenwerte für jede Designalternative in numerischer und grafischer Form. Die Daten wurden nach der BTLProzedur (Bradley & Terry 1952; Luce 1959) ausgewertet. Zu diesem Zweck wurde auf das „eba“-Modul (Wickelmaier 2008) für die Statistiksoftware R zurückgegriffen. Der zeitliche Aufwand zur Abwicklung der gesamten Studie, belief sich lediglich auf wenige Stunden. An einem Tag konnte der Paarvergleich erstellt, die Aufforderung zur Teilnahme per Email versandt und die Ergebnisse schon einige Stunden später gesichtet werden. Dies ermöglichte eine zügige Entscheidung für einen der Designvorschläge auf Basis von empirischen Daten. 5.0 Fazit Skalierungsverfahren erlauben es den Einfluss bestimmter Designeigenschaften auf den durch das Design hervorgerufenen Eindruck sehr genau zu bestimmen. Dies kann insbesondere bei Fragen relevant sein, bei denen eine Abwägung zwischen verschiedenen Faktoren bedeutsam ist. Zum Beispiel stellt sich bei der Gestaltung von Web-Anwendungen oft die Frage, ob der durch die Verwendung eines komplexeren Style-Sheets verbesserte visuelle Eindruck die dadurch evtl. hervorgerufene Verschlechterung bei der zum Seitenaufbau notwendigen Zeit aufwiegt. Solche Fragen können mit den beschriebenen Skalierungsverfahren gut untersucht werden. Der Einsatz von Fragebögen ist dann besonders sinnvoll, wenn ein Maß für bestimmte komplexe Produkteigenschaften (eingeschätzte Usability, Benutzerzufriedenheit) benötigt wird. Fragebogendaten können zu verschiedenen Zeitpunkten mit unterschiedlichen Befragten zu verschiedenen Produkten erhoben werden und erlauben es dennoch bis zu einem gewissen Grad, Vergleiche zwischen verschiedenen Produkten oder Produktversionen anzustellen. Im Designalltag können quantitative Methoden, wie die oben dar gestellten, bei Designentscheidungen effiziente Unterstützung bieten. Dies gilt insbesondere, wenn die Datenerhebung und die Auswertung web- bzw. computergestützt erfolgt. Die im Tutorial vorgestellte Software ermöglicht das Durchführen von Online-Studien mit BTL-Skalierung, Magnitude Estimation sowie Fragebogen. 6.0 Literatur Bradley, R. A.; Terry, M. E. (1952): Rank Analysis of Incomplete Block Designs: I. The method of Paired Comparisons. Biometrika, Vol. 39, S. 324-345. Brooke, J. (1996): SUS: a "quick and dirty" usability scale. In: Jordan, P. W.; Thomas, B.; Weerdmeester, B. A.; McClelland, A. L. (Hrsg.): Usability Evaluation in Industry. London: Taylor and Francis. DIN EN ISO 9241-10 (1996): Ergonomische Anforderungen für Bürotätigkeiten mit Bildschirmgeräten. Teil 10: Grundsätze der Dialoggestaltung. Berlin: Beuth Verlag. DIN EN ISO 9241-11 (1999): Ergonomische Anforderungen für Bürotätigkeiten mit Bildschirmgeräten. Teil 11: Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit - Leitsätze. Berlin: Beuth Verlag. 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MMIInteraktiv, Nr. 13, S. 72- 82. 29 Kognitive Modellierung in der Konzeption und Evaluation von Softwareprodukten Dr. Theo Held SAP User Experience Applications, CRM SAP AG Dietmar-Hopp-Allee 16 69190 Walldorf [email protected] Dr. Martin Schrepp SAP User Experience Applications, CRM SAP AG Dietmar-Hopp-Allee 16 69190 Walldorf [email protected] Dietrich Mayer-Ullmann SAP User Experience Applications, CRM SAP AG Dietmar-Hopp-Allee 16 69190 Walldorf [email protected] Daniel Holt Psychologisches Institut Universität Heidelberg Hauptstraße 47-51 69117 Heidelberg [email protected] Abstract Kognitive Modellierung ist eine sehr hilfreiche Verfahrensweise im Prozess des Produktdesigns. Grundsätzlich geht es darum, möglichst fundierte und präzise Vorhersagen über den zu erwartenden zeitlichen (und auch kognitiven) Aufwand eines geübten Nutzers beim Durchlaufen spezifischer Interaktionsaufgaben zu machen. Derartige Vorhersagen können die Arbeit von Interaktionsdesignern erheblich erleichtern, 1.0 Einführung Interaktionen mit Softwareprodukten setzen sich üblicherweise aus immer wiederkehrenden elementaren Operationen zusammen. Beispiele dafür sind mehr oder weniger unmittelbar beobachtbare Handlungen, wie z.B. Mausbewegungen, Tastaturanschläge oder auch Änderungen der visuellen Fokussierung. Dazu kommen vielfältige kognitive Operationen wie Verlagerungen der Aufmerksamkeit, Nachdenken oder visuelle Suchen. Ausgehend von „Low Level“ Modellen der kognitiven Architektur, z.B. ACT-R (Anderson & Lebiere, 1998), entstand eine Reihe vereinfachter und in der Praxis gut verwendbarer Ansätze zur kognitiven Modellierung, die Aussagen über die Zusammenhänge zwischen den elementaren Operationen machen. Prinzipiell geht es bei allen bekanten Modellierungsansätzen darum, elementare Operationen, die zur Erledigung einer Aufgabe erforderlich sind, zu iden- 30 wenn es darum geht, Designvarianten miteinander zu vergleichen. Zur Anwendung steht eine Reihe prominenter Modellierungsansätze zur Verfügung. Wir werden hier die Familie der GOMS-Modelle und das ACT-R basierte CogTool vorstellen. Als wichtige Ergänzung stellen wir auch eine Möglichkeit vor, wie die zeitliche Dauer elementarer Operationen effizient und präzise bestimmt werden kann. Keywords tifizieren. Diesen Operationen werden Zeiten zugeordnet und daraus wird die Gesamtzeit für eine Aktion, die sich aus den elementaren Operationen zusammensetzt, ermittelt. Solche Analysen sind im Rahmen der Softwareproduktion sehr hilfreich, wenn es gilt, unterschiedliche konzeptionelle Ansätze zu vergleichen, bevor eine Designentscheidung getroffen wird, bzw. wenn bereits existierende Produkte mit anderen Produktvarianten oder auch Konkurrenzprodukten verglichen werden sollen. Die vergleichenden Analysen vermitteln Klarheit darüber, welche und wie viele elementare Operationen für das Erledigen typischer Aufgaben erforderlich sind und mit welchen geschätzten zeitlichen Aufwänden (eines geübten Nutzers) insgesamt gerechnet werden muss. Es sind üblicherweise Alternativen zu bevorzugen, die einen geringeren kognitiven Aufwand erfordern und gleichzeitig weniger Zeit benötigen. lierung vorgestellt, die im Rahmen der Produktion von Business-Software eingesetzt werden. Wir diskutieren, wie sich die Ergebnisse einer Modellierung gewinnbringend in den Design- und Entwicklungsprozess integrieren lassen und welcher Beitrag zur Verbesserung der Software-Qualität damit geleistet wird. In unserem Beitrag werden zwei „High Level“ Ansätze der kognitiven Model- Kognitive Modellierung, GOMS, KLM, User Performance Als zwei prominente Vertreter der High Level Ansätze habe wir GOMS (Card, Moran & Newel, 1983) und das ACT-R basierte CogTool (John & Salvucci, 2005) gewählt. Anhand dieser Vertreter werden auch die Limitationen der Anwendbarkeit und generelle Nachteile der Modellierungsansätze diskutiert. Als Ergänzung der Modellansätze stellen wir zudem ein Software-Tool vor, das die für die Modellierung erforderlichen Zeiten ermittelt. Das „User Performance Measurement Tool“ zeichnet sich aus durch eine umfangreiche Konfigurierbarkeit und eine gute Anpassbarkeit an sehr unterschiedliche Stufen der Granularität der zu untersuchenden Operationen. Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 2.0 GOMS Modelle GOMS ist eine quantitative Methode zur Bewertung der Effizienz von Benutzerschnittstellen. Eine GOMS Analyse erlaubt vorherzusagen, wie lange ein erfahrener Benutzer für die Bearbeitung einer vorgegebenen Aufgabe in einer vorgegebenen Benutzerschnittstelle benötigt. GOMS ist daher geeignet verschiedene alternative Designvarianten bzgl. ihrer Effizienz zu vergleichen. Die Abkürzung GOMS steht für „Goals“, „Operators“, „Methods“ und „Selection Rules“. Dies sind die wesentlichen Komponenten eines GOMS Modells: x x x x Ein Ziel (Goal) beschreibt, was der Benutzer erreichen möchte. Operatoren sind grundlegende physische oder kognitive Prozesse, die der Benutzer zur Erreichung des Ziels ausführen muss. Methoden repräsentieren erlernte Operator-Sequenzen, die ein Benutzer automatisch ausführt, um ein Ziel oder Teilziel zu erreichen. Stehen mehrere Methoden zur Verfügung, so entscheiden Selektionsregeln, welche Methode ausgeführt wird. Beispiele für typische physische Operatoren in GOMS Modellen sind das Drücken einer Taste, die Bewegung der Hand von der Maus zur Tastatur oder das Positionieren des Mauszeigers. Beispiele kognitiver Operatoren sind der Abruf einer Information aus dem Langzeitgedächtnis, die Entscheidung zwischen zwei Alternativen oder die mentale Vorbereitung für den nächsten Schritt in einer Sequenz. Verschiedene Personen benötigen natürlich unterschiedliche Zeiten für diese Operationen. Für einen Vergleich zwischen mehreren alternativen Entwürfen ist es aber ausreichend von der konkreten Person zu abstrahieren und auf typische Durchschnittswerte zurückzugreifen. Solche Durchschnittswerte werden in experimentellen Studien ermittelt (z.B. John & Kieras, 1996; Olson & Olson, 1990; Schrepp & Fischer, 2007). Auch das unten vorgestellte UPM-Tool kann dazu eingesetzt werden. Beispiele verwendeter Durchschnittszeiten sind: x x x Tastendruck beim Tippen einer Zeichenkette (0,2 Sekunden) Positionieren des Mauszeigers (1,1 Sekunden) Mentale Vorbereitung für den nächsten Schritt einer Sequenz (1,35 Sekunden) Es sind mehrere Varianten von GOMS vorhanden. Zum Beispiel das „Critical Path Method GOMS“ (CPM-GOMS), die „Natural GOMS Language“ (NGOMSL) oder das „Keystroke Level Model“ (KLM-GOMS). Diese Varianten unterscheiden sich in der Komplexität der Modellierung und damit bzgl. der Genauigkeit der geschätzten Zeiten. Das Keystroke Level Modell ist die einfachste Form der GOMS Analyse. Diese Variante beschränkt sich bei der Vorhersage der Bearbeitungszeit einer Aufgabe allein auf die dafür notwendigen Operatoren. Alternative Bearbeitungssequenzen, die über Selektionsregeln gesteuert werden, werden bei dieser Variante nicht verwendet. Das führt zu einer erheblichen Vereinfachung des Aufwands für die Modellierung. Deshalb ist diese Variante für die praktische Anwendung in konkreten Designprojekten besonders geeignet. Bei der Analyse einer Aufgabenstellung mit KLM-GOMS ist es in der Regel sehr einfach, die Sequenz aller notwendigen physischen Operatoren zu bestimmen. Wesentlich schwieriger ist die korrekte Platzierung kognitiver Operatoren. Typischerweise wird dies gelöst, in dem man die Aufgabenstellung in mehrere Teilaufgaben zerlegt. Vor jeder Teilaufgabe wird dann ein kognitiver Operator (z.B. für mentale Vorbereitung) platziert. Dies erfordert ein gewisses Verständnis menschlicher Problemlöseprozesse im analysierten Aufgabengebiet und ist daher der schwierigste Teil einer Analyse mit KLMGOMS. Eine wesentliche Einschränkung des KLM-GOMS ist, dass es dieser Ansatz leider nicht erlaubt, parallele Prozesse menschlicher Informationsverarbeitung abzubilden. Bei Aufgaben, in denen solche parallelen Denkprozesse eine zentrale Rolle spielen, werden die aus der KLM-GOMS Analyse resultierenden Zeiten daher die realen Zeiten zur Aufgabenbearbeitung überschätzen. Aufgrund der relativ einfachen Anwendbarkeit von KLM-GOMS eignet sich diese Methode in folgenden Bereichen: x x x 3.0 Vergleich alternativer Designs bezüglich ihrer Effizienz für erfahrene Benutzer. Abschätzung, ob Aufgaben in einer Benutzeroberfläche in der vorgegebenen Zeit erledigt werden können. Evaluierung von Fragen im Bereich der Barrierefreiheit von Entwürfen. So kann schon mit Entwürfen geprüft werden, ob die spezifizierte Tastaturbedienung im Vergleich zur Mausbedienung ausreichend effizient ist (Schrepp & Hardt, 2007). CogTool CogTool wurde an der CarnegieMellon-University entwickelt (John et al., 2004; John & Salvucci, 2005). Im Vergleich mit den Varianten von GOMS basiert CogTool auf der „kognitiven Engine“ ACT-R, die von Anderson und Lebiere (1998) vorgestellt wurde. Das bedeutet, dass in die Zeiten, die CogTool liefert, wesentlich mehr Annahmen und Erkenntnisse bezüglich erforderlicher kognitiver Operationen einfließen, als es bei den klassischen GOMS Modellen der Fall ist. Beispiele sind die Operationen „Nachdenken“, „Betrachten“, „bereite nächste Aktion vor“ etc. 31 Im Rahmen unserer Design-Arbeit wurde und wird CogTool z.B. in den folgenden Kontexten verwendet: Man kann also annehmen, dass das CogTool akkuratere und realitätsnähere zeitliche Schätzungen liefert als GOMS. Nähere Informationen zu CogTool und die Software zum kostenlosen Download finden sich unter www.cs.cmu.edu /~bej/cogtool/. Wir werden hier nur auf die wesentlichen Schritte zur Anwendung von CogTool eingehen. Die Arbeit mit CogTool beinhaltet folgende wesentliche Aufgaben: x x x x Erzeugen eines Design-Storyboards mit dessen Hilfe Aufgaben ausgeführt werden können. Definition einer Menge von Aufgaben. Erzeugen eines Skripts. Modifikation des Designs und Wiederholung der weiteren Schritte. Ein Design-Storyboard besteht aus einer Menge unterschiedlicher Screens oder Screenzustände des zu untersuchenden Systems (z.B. Eingabeformulare, Dashboards, Ergebnistabellen etc.). Für jeden Screen (oder „Frame“ in der CogTool Terminologie) werden dann „Interaktions-Widgets“ erzeugt. Diese Widgets sind mit den Screen-Elementen assoziiert, die ein Nutzer beim Durchlaufen einer bestimmten Interaktionssequenz (d.h. einer Aufgabe) „anfassen“ würde (z.B. Eingabefelder, Menüs, Check-Boxes etc.). Einzelne Frames werden dann mit Hilfe von „Übergängen“ (Transitions) miteinander verbunden. Ein Übergang führt von einem Widget eines Frames zu einem anderen Frame. Abbildung 1 zeigt ein Beispiel für ein Design-Storyboard in dem bereits Widgets definiert sind. Die Pfeile stellen die Übergänge dar. 32 x x Abb 1: Beispiel für ein CogTool DesignStoryboard mit Widgets und Übergängen. Nun kommen die Aufgaben ins Spiel. Designs werden natürlich bereits auf der Basis möglicher typischer Interaktionssequenzen zusammengestellt. Häufig lassen sich auf der Grundlage eines gegebenen Designs unterschiedliche Aufgaben durchlaufen. Aus den einzelnen Schritten einer Aufgabe (z.B. „Öffne ein Menü“, „Speichere ein Objekt“, „Navigiere zur Suche“ etc.) kann nun ein Skript aufgezeichnet werden. Im Vergleich zu einer Aufgabe enthält ein Skript auch Schritte, die automatisch von CogTool hinzugefügt werden. (z.B. „Nachdenken“, „visuelle Orientierung“ etc.). In dieser Eigenschaft liegt die besondere Stärke der Funktionsweise von CogTool. De facto wird das Storyboard von CogTool in ein kognitives Modell basierend auf ACT-R übersetzt. Der Nutzer des Tools muss die impliziten, nicht unmittelbar beobachtbaren kognitiven, motorischen oder wahrnehmungsbezogenen Operatoren weder kennen, noch explizit eingeben – sie werden vom Tool geliefert. Unsere Anwendung von CogTool als Hilfsmittel zum Design von BusinessApplikationen hat gezeigt, dass die vorhergesagten Zeiten durchgehend sehr nahe an den Zeiten liegen, die geübte Nutzer benötigen. x Vergleich unterschiedlicher Releases eines Softwareproduktes: Wird das Anlegen eines Objekts in Release n+1 wirklich schneller gehen als in Release n? Vergleich unterschiedlicher Versionen eines Softwareprodukts: Wird das Anlegen einer Order in der CallCenter Variante des Produkts schneller gehen als in der (funktionsreicheren) Back-Office Version Klärung grundsätzlicher Designfragen vor der Implementierung: Wird Designvariante A zu einer höheren Nutzer-Performance führen als Variante B? Ein sehr wichtiges Feature von CogTool ist das „ACT-R Visualisierungsfenster“. Hier können die gemäß ACT-R angenommenen elementaren Operationen inspiziert werden. Dadurch bekommt der Anwender einen guten Überblick darüber, welcher Art diese Operationen primär sind (z.B. motorische Aktion, visuelle Orientierung, Nachdenken etc.). Abbildung 2 zeigt beispielhaft den Inhalt des Visualisierungsfensters. Einzelne horizontale Balken stehen für die zeitliche Ausdehnung einzelner Arten von Operationen. Zu beachten ist, dass CogTool auch den parallelen Ablauf von Operationen berücksichtigt. Abb 2: ACT-R Visualisierungsfenster Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Ein weiterer interessanter Aspekt ist die Kombination von CogTool Nutzermodellen mit dem reinen Keystroke Level Model-Ansatz, der die Stärken der jeweiligen Systeme nutzt. Dazu werden Interaktionen auf dem Keystroke-Level detailliert mit CogTool modelliert und die so gewonnenen Benutzungszeiten als Makrooperatoren in ein höherstufiges System übertragen, mit dem längere Interaktionssequenzen im Baukastensystem zusammengestellt werden können. Dies verbindet den hohen Auflösungsgrad und einfache Umsetzung der CogTool-Modellierung mit einem pragmatischen Vorgehen zur Modellierung komplexer Interaktionsszenarien. 4.0 Messung elementarer Operationszeiten mit dem User Performance Measurement Tool Je nach gewähltem Modellierungsansatz und der Auflösung des Modells können die betrachteten Interaktionen aus einem oder mehreren elementaren Operatoren bestehen, denen anschließend jeweils eine geschätzte Dauer zugeordnet wird. Zu diesem Zweck wurde das SoftwareTool UPM (User Performance Measurement) entwickelt, um das Erfassen der Modellparameter zu erleichtern und zu beschleunigen. Hauptfunktion des Tools ist die möglichst exakte, informationshaltige und vollständige Aufzeichnung aller Systemereignisse während der Interaktion eines Nutzers mit einem Softwareprodukt. angepasst werden. Zudem kann mit der Kalibrierung der „Auflösungsgrad“ für bestimmte Operator-Sequenzen erhöht werden, indem variiert wird, welche Elemente einer Sequenz als eigenständige Ereignisse erfasst werden und welche Elemente mit anderen kombiniert werden. schiedliche Versionen des Tools. Neben einer „Labor-Version“ mit umfangreichen Funktionen (siehe Abbildung 3) existiert eine kompakte „Online-Version“, die für den Einsatz auf den Rechnern von Endnutzern und das Sammeln von Massendaten konzipiert wurde. Durch die Vergabe sogenannter „Klassenattribute“ im Programmcode der zu untersuchenden Bedienoberfläche kann die Bedienung sehr spezifischer oder sogar nur einmalig eingesetzter Bedienelemente ermittelt und so die Interaktion sehr detailliert nachvollzogen werden (z.B. Tabellenzeilen 2,5,10 einer Tabelle wurden mit gedrückter „Strg“-Taste und linker MausTaste selektiert). 5.0 Andererseits liefert das Tool auch Daten zu kombinierten Interaktionsschritten, wie z.B. Eingabe-Medienwechsel zwischen Tastatur und Maus. Neben der Ermittlung von Modellparametern ist das Tool natürlich auch dazu geeignet, modellierte Interaktionsverhalten direkt an Prototypen oder laufenden Systemen nachzutesten, um Modell mit Realität vergleichen zu können. Implementierungs- oder auch Modellierungsfehler (z.B. falsche zugrunde gelegte Annahmen) sind dann schnell auffindbar. Zudem kann das Tool aus aufgezeichneten Kombinationen von Ereignissen bzw. Interaktionspfaden bereits die gesuchten Zeiten für (in Bezug auf einen bestimmten Modellierungsansatz) relevante Operationen bereitstellen. Das UPM Tool wurde zur Untersuchung von Web-Anwendungen entwickelt und kann durch eine Kalibrierungsfunktion an Änderungen des Programmcodes Abb 3: User Performance Measurement Tool (Labor-Version) Für unterschiedliche Einsatzzwecke und -bedingungen existieren unter- Diskussion Kognitive Modellierung wurde von uns im Zusammenspiel mit dem UPM Tool erfolgreich innerhalb des Designprozesses für Business-Anwendungen eingesetzt. Es ist wichtig zu erwähnen, dass kognitive Modellierung wesentliche Beiträge zur Identifikation von Designproblemen leisten und die Entscheidung für das „optimale“ Design maßgeblich unterstützen kann; jedoch sollte es möglichst in Verbindung mit anderen methodischen Ansätzen verwendet werden. Unserer Ansicht nach kann kognitive Modellierung formative Usability Tests nicht ersetzen. Die oft ungeahnten Probleme, die von Endbenutzern „aufgedeckt“ werden, können üblicherweise nicht per Modellierung identifiziert werden. Wenn es um Designentscheidungen geht, ist der benötigte zeitliche Aufwand für das Bearbeiten von Aufgaben ein wesentlicher Faktor. Andererseits ist bekannt, dass neben der Zeit auch andere Einflüsse auf die „User-Experience“ berücksichtigt werden müssen. Einer dieser Faktoren sind subjektive Präferenzen, die eher mit der Attraktivität einer Nutzungsschnittstelle als mit der zeitlichen Effizienz zu tun haben. Für die Identifikation solcher Präferenzen sind z.B. psychometrische Skalierungsverfahren (siehe Held et al., 2007) oder Fragebögen geeignet (siehe z.B. Laugwitz et al., 2006). Auch wenn CogTool (und auch GOMS Editoren) den Nutzer beim Aufbau des Modells weitgehend unterstützt, sind für die Anwendung kognitiver Modellie- 33 rungsverfahren gewisse Grundkenntnisse aus den Bereichen der Modellierung und der kognitiven Psychologie von Vorteil. Wir empfehlen deshalb, zumindest bei den ersten Modellierungsprojekten Experten zu Rate zu ziehen. 6.0 Literaturverzeichnis Anderson, J.R.; Lebiere, C. (1998): The Atomic Components of Thought. Mahwah: Lawrence Erlbaum Associates. Card S.; Moran T.P.; Newel A. (1983): The Psychology of Human Computer Interaction. Mahwah: Lawrence Erlbaum Associates. Held, T.; Schrepp, M.; Fischer, P. (2007): Skalierung von Designalternativen. In: T. Gross (Hrsg.): Mensch & Computer 2007, 9– 18. München: Oldenbourg Verlag. 34 John, B.E.; Kieras, D.E. (1996): The GOMS family of user interface analysis techniques: Comparison and Contrast. ACM Transactions on Computer-Human Interaction, 3, 4, S. 320-351. John, B.; Prevas, K.; Salvucci, D.; Koedinger, K. (2004): Predictive Human Performance Modeling Made Easy. Proceedings of CHI, 2004 (Vienna, Austria, April 2429, 2004) ACM, New York. John, B. E.; Salvucci, D. D. (2005): MultiPurpose Prototypes for Assessing User Interfaces in Pervasive Computing Systems. IEEE Pervasive Computing 4 (4), 2734. Olson, J.R.; Olson, G.M. (1990): The growth of cognitive modelling in human-computer interactions since GOMS. Human-Computer Interaction, 5, S. 221-265. Schrepp, M.; Fischer, P. (2007): GOMS models to evaluate the efficiency of keyboard navigation in web units. Eminds – International Journal of Human Computer Interaction Vol. I, No. 2, S. 33-46. Schrepp, M.; Hardt, A. (2007): GOMS models to evaluate the quality of an user interface for disabled users. In: Eizmendi, G., Azkoita, J.M. & Craddock, G.M. (Eds.), Challenges for Assistive Technology, S. 646-651. Laugwitz, B.; Schrepp, M.; Held, T.(2006): Konstruktion eines Fragebogens zur Messung der User Experience von Softwareprodukten. In: A.M. Heinecke & H. Paul (Hrsg.): Mensch & Computer 2006, 125– 134. München: Oldenbourg Verlag. Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Mein System benutz‘ ich nicht: Ein praxisorientierter Ansatz, Nutzerakzeptanz zu messen und zu verbessern Henning Brau Daimler AG Data- & Processmanagement Postfach 2360 89013 Ulm [email protected] Abstract Der Beitrag stellt die Relevanz von Akzeptanzuntersuchungen für Technologieeinführungen heraus. Dabei werden verschiedene Ansätze der Akzeptanzanalyse dargestellt und auf ihre Praxistauglichkeit für konkrete Gestaltungsund Einführungsprojekte hin bewertet. Es wird aufgezeigt, wie die Ergebnisse 1.0 Einleitung Während Technologieakzeptanz in der Konsumgüterwelt auch weiterhin ein wenig beachtetes Konstrukt ist, hat sich bei der Gestaltung von Technologiegetriebenen Veränderungsprozessen in Organisationen in den letzten drei Jahrzehnten mit der verstärkten Durchdringung der Arbeitswelt durch Informationstechnologien (IT)1 ein wissenschaftlich intensiv untersuchtes Feld ergeben. Nicht zuletzt motiviert durch die Bedenken auf Arbeitgeberseite, dass Arbeitnehmer nicht in der Lage oder nicht Willens sein könnten, IT-Systeme als Arbeitsmittel zu akzeptieren, hat eine vertiefte Auseinandersetzung auf psychologischer wie arbeitswissenschaftlicher Seite mit der Technologieakzeptanz stattgefunden. Insbesondere älteren Mitarbeitern, Frauen und Arbeitnehmern niederer bis mittlerer Qualifikation wurde und wird nachgesagt, dass sie weniger bereit 1 Auch wenn Technologie-Akzeptanz nicht auf Software-Anwendungen beschränkt ist, werden sich die weiteren Ausführungen hauptsächlich auf solche Systeme beziehen. von Praxisprojekten eine Abwendung von rein theoriebasierten Ansätzen bewirkt haben und in die Definition eines pragmatischen und projektbezogenen Ansatzes der systematischen Messung von Nutzerakzeptanz mündeten. Der Ansatz und seine praktischen Anwendung werden diskutiert. Keywords oder fähig seien, sich auf neue Technologien einzustellen. Frühe Befunde untermauern tatsächlich diesen Eindruck und so ist es kein Wunder, dass auch heute noch Alter, Geschlecht und Qualifikation als maßgebliche Einflussfaktoren in fast jedem Akzeptanzmodell wieder zu finden sind. Sogar die sogenannte „Computerangst“, von den 70er bis frühen 90er Jahren der Schrecken jeder IT-Einführung, findet sich noch immer als zentraler Faktor in vielen aktuellen Modellen wieder. Die Technologieakzeptanz in heutigen Einführungsprojekten bezieht sich tatsächlich weniger auf das „Ausrollen“ einer Technologie in einen technologiefreien Raum, sondern auf die Ablösung eines Systems durch das nächste. Als Veränderung nimmt der Mitarbeiter oft nur noch die veränderte Benutzungsschnittstelle (grafische sowie konzeptuelle Oberfläche, Funktionsumfang und direkte Interaktion) sowie einhergehende Prozessänderungen innerhalb der einführenden Organisation wahr. Letztere sind dabei oftmals relevanter für die Akzeptanz als die „inneren“ Komponenten (HW/SW). Diese Punkte aber widersprechen der Demographie: 75% der deutschen Haushalte haben heute einen PC mit Internetzugang (Statista.org, 2008). Es verbietet sich hier die Annahme, dass nur hochqualifizierte junge Männer diese auch nutzen. Man darf wohl eher annehmen, dass der Haufen aus Silizium-Halbleitern (PC) mittlerweile seine Bedrohlichkeit für breite Schichten der Bevölkerung weitgehend verloren hat und etwas Alltägliches geworden ist. Auch die heute älteren Arbeitnehmer blicken nicht selten bereits auf mehr als 15 Jahre Computererfahrung zurück – weitgehend unabhängig von Geschlecht und zunehmend auch von der Schulbildung. Akzeptanz, Reaktanz, TechnologieEinführung, Veränderung, Organisation Schon sind wir bei der Problemstellung, der sich dieser Artikel widmen will: Auch aktuelle Akzeptanzmodelle und -theorien haben entscheidende Nachteile, wenn man sie in der Praxis anwenden möchte: x Sie gehen häufig von einer freiwilligen Nutzung aus, von der im Arbeitsleben kaum die Rede sein kann. x Sie berücksichtigen zum größten Teil die Sicht des Individuums (Demographie, Einstellungen), nicht die der Organisation (Gruppendynamik, Kooperation, Kommunikation etc.). 35 x Sie messen meistens eine Akzeptanz, die sich rein auf die technologischen Aspekte, nicht aber auf die mit ihnen einhergehenden Veränderungen in Organisation wie Prozessen vor, während und nach der Einführung bezieht; Technologie ohne Kontext also. x Sie geben nebenbei bemerkt im Allgemeinen so gut wie keine Hinweise zur Intervention bei ungünstiger Akzeptanzprognose. Kurz: Für Praxisprojekte der Gestaltung und Einführung sind diese Ansätze nur eingeschränkt hilfreich. In diesem Artikel wird nun ein pragmatisches Konzept der Akzeptanzmodellierung vorgestellt und seine Einbettung in das übergeordnete Systems-Engineering besprochen. 2.0 Relevanz von Akzeptanzanalysen In den frühen Tagen der Technologie-Einführungen in Unternehmen führten IT-Systeme ein Inseldasein. Sie hatten zumeist einen Werkzeug-Charakter und waren auf nur wenige Funktionen beschränkt. Diese Zeiten sind jedoch vorbei. Moderne Engineering-Systeme beispielsweise umfassen inzwischen große Teile eines gesamten Produktlebenslaufes: von der Dokumentation des frühen Designs, über die Archivierung von Konstruktionsdaten bis hin zur Rückdokumentation von Garantiefällen an die Produktentwicklung. Stehen momentan noch einzelne Clients im Vordergrund, die auf einen gemeinsamen Daten-“Backbone“ zugreifen, geht der Trend hin zu Vereinheitlichung und Integration. Serviceorientierte Architektur und Organisation (SOA / SOO) ermöglichen es zunehmend, alle Funktionen in einem Client anzubieten, wobei der Mitarbeiter nur jeweils die Funktionen zu Gesicht bekommt, die er aktuell für bestimmte Aufgaben benötigt. 36 Die immer komplexer werdenden ITSysteme formen aber längst nicht nur mehr die Prozesse von Großunternehmen. Auch mittelständische bis hinunter zu Kleinunternehmen werden in immer stärkerem Maße abhängig von einer effizienten Systemlandschaft und deren adäquate Nutzung durch die Arbeitnehmer. Längst wurde dabei erkannt, dass Akzeptanz grade in frühen Phasen der Systemgestaltung ein guter Indikator für den späteren Erfolg in der Wertschöpfungskette sein kann. Anders formuliert: Die Begründung für die Ablehnung (Reaktanz) von Systemen als Arbeitsmittel hat viel mit der Eignung des Systems für bestehende Prozesse, mit der Bewertung dieser Prozesse durch Nutzer sowie mit der Kultur der Organisation zu tun. Ist diese Begründung bekannt, kann entsprechend interveniert werden. Somit können nachfolgend System, Prozesse und Organisation optimiert werden. 3.0 Die Definition von Akzeptanz Vor allem auf Basis der Theory of Reasoned Action (TRA; Fishbein & Aijzen, 1975) ist eine Vielzahl von elaborierten Modellen und Theorien der Technologieakzeptanz entstanden. Wichtige Meilensteine der Forschung umfassen das Technology Acceptance Model (TAM; Davis, 1986) und die Unified Theory of Acceptance & Use of Technology (UTAUT; Venkatesh, Morris, Davis & Davis, 2003). Diese Ansätze haben alle den Anspruch, eine Vorhersage der Technologieakzeptanz als tatsächliche Systemnutzung (actual system use) anhand standardisierter Fragen (Items) zu ermöglichen. Wenn Verhalten vorhergesagt werden soll, müssen entsprechend die Prädiktoren bekannt sein, die eine Verhaltensintention (intention to use) erzeugen. Diese Prädiktoren sind im Wesentlichen Nutzungseinstellungen (attitude towards use) sowie Einflüsse aus dem sozialen und organisatorischen Kontext der Nutzung, welche dann die Nutzungsintention direkt bzw. indirekt über die Einstellungen beeinflussen. Einstellungen selbst sind psychische Tendenzen, ein bestimmtes Objekt mit einem Grad von Zu- oder Abneigung zu bewerten (Eagly & Chaiken, 1998). Zentral dabei ist der Vorgang der Bewertung, der auf Erfahrungen der bewertenden Person beruht. Die Prozesse, die zu einer Einstellung führen sind dabei unterteilt in drei Komponenten (Rosenberg & Hovland, 1960): Kognition (Meinungen, Gedanken und Informationen), Affekt (Gefühle, Emotionen) sowie Verhalten (Handlungsabsicht und tatsächliche Handlungen). Akzeptanz ist also eine mehrdimensionale positive Einstellung gegenüber einen bestimmten Einstellungsgegenstand und bzw. oder einem spezifischen Verhalten, welche sich in kognitiven, affektiven und verhaltensbezogenen Reaktionen äußern kann. 4.0 perceived usefulness external variables attitude towards use intention to use perceived ease-of-use Abb. 1: TAM-Modell (Davis, 1986) actual system use Prädiktoren der Akzeptanz So weit so theoretisch. Lebendiger wird es, wenn wir uns Beispiele für solche Einstellungen ansehen. Wir werden an dieser Stelle den Terminus „Einstellung“ zugunsten von „Prädiktoren“ aufgeben. Diese sind Themen im Umfeld der eigentlichen Technologie und der Organisation, auf die sich die Einstellungen der Nutzer beziehen. Es gibt Prädik- Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 toren auf verschiedenen Ebenen, die jeweils auf die nächsthöhere wirken. Tabelle 1: Ebenen der Prädiktoren Ebene: Prädiktor: I. subjektiver Nutzen Æ I.1. I.1.1 Zeit nötige Eingaben Wahrnehmung: vorhanden Æ Æ Ersparnis weniger Im Beispiel in Tabelle 1 ist die Anzahl nötiger Eingaben durch das Neusystem gesunken (I.1.1). Dies ggf. zusammen mit anderen Sub-Prädiktoren der Ebene I.1.x (z.B. schnellere Verarbeitung, mehr Automatisierung) führt auf einer höheren Ebene (I.1) zur Wahrnehmung einer Zeitersparnis. Diese wiederum führt mit anderen Prädiktoren auf der Ebene I.x (z.B. bessere Datensicherheit, geringere Kosten) zu einer allgemein guten subjektiven Nutzenwahrnehmung (I.). Hier finden wir etwas Entscheidendes, das man kaum häufig genug wiederholen kann, auch wenn dies für Systementwickler mitunter frustrierend erscheinen mag: Akzeptanz hängt nicht von den objektiven Eigenschaften eines Systems ab, sondern von der subjektiven Wahrnehmungen des Nutzers bezüglich dieser Eigenschaften. Beispielsweise kann das neue System für eine bestimmte Berechnung nur noch Sekunden brauchen, wo früher Minuten nötig waren. Je nach Kontext mag der Nutzer dies dennoch als „lahm“ wahrnehmen; vielleicht weil er das notwendige Wissen nicht hat, die eigentliche Rechenleistung zu bewerteten oder ihm die technischen Parameter schlichtweg egal sind und er die reine Wartezeit als unzumutbar erachtet. Im TAM sind die beiden maßgeblichen Prädiktoren denn auch „perceived usefulness“ (wahrgenommener Nutzen) und „perceived ease-of-use“ (wahrgenommene Einfachheit der Benutzung). Das UTAUT geht mutig sogar noch einen Schritt weiter ins subjektiv Ungewisse und spricht von „expectancy“ also Erwartungen, die Nutzer bezüglich „performance“ (Leistungsfähigkeit) und „effort“ (Aufwand) an das System haben. Hier haben wir also einen prospektiven Charakter; eine subjektive Wertelatte, die das System per se erst einmal überspringen muss, um akzeptabel zu sein. Dies unabhängig davon, ob die Nutzer das System überhaupt schon kennen gelernt haben. Beide Ansätze sehen noch weitere Prädiktoren vor. Beim TAM werden diese als „externe Variablen“ zusammengefasst, womit wirklich beinahe alles gemeint sein kann: Demografische Daten, Einflüsse von Kollegen und Vorgesetzten, Umgebungsfaktoren, individuelle Eigenschaften wie Technologieangst etc. Das UTAUT unterscheidet hier immerhin schon zwischen „sozialen Einflüssen“ (Meinungen aus direktem wie indirektem Umfeld der Nutzung), „unterstützende Bedingungen“ (Training, Hilfesysteme, technischer Support) sowie einer Reihe von demografischen Einflussgrößen (Geschlecht, Alter, Erfahrung, Freiwilligkeit der Nutzung). In verschiedenen Studien habe ich zusammen mit verschiedenen Kollegen anfänglich versucht, anhand des TAMs Vorhersagen der Akzeptanz zu treffen. Dabei stellte sich die scheinbar störende Offenheit des Modells bezüglich der externen Variablen im Nachhinein als Glückfall heraus. Je Studie mussten zusätzlich zu den StandardItems immer auch zunächst noch die maßgeblichen externen Variablen bestimmt und operationalisiert werden (z.B. Brau & Schulze, 2004; 2005). Dennoch waren diese angeblich nur moderierenden Einflüsse zum Teil deutlich aufschlussreicher für die Nutzerakzeptanz, als die Hauptprädiktoren des Modells selber. Insbesondere Partizipation und Kommunikation entschieden in starkem Maße zwischen Wohl und Wehe eines Einführungsprojektes (Brau & Schulze, 2005). Dass Partizipation bedeutsam ist, steht in guter Übereinstimmung mit den Erkenntnissen der Reaktanztheorie (Brehm, 1972). Reaktanz entsteht als negative Nutzungseinstellung nach einer wahrgenommenen Einschränkung von Handlungsspielräumen durch eine Veränderung, die von außen an eine Person herangetragen wird. Gestaltet ein Nutzer die Veränderung mit, ist seine Neigung zur Reaktanz geringer. Die Relevanz der Kommunikation für die Akzeptanz von Änderungsvorhaben wurde bereits von Doppler und Lauterburg (1994) herausgestellt. Nur wenn Informationen über eine Veränderung verstanden werden, der eigene Nutzen aus der Kommunikation heraus erkennbar ist und die Quelle der Information für glaubwürdig gehalten wird, kann die Bereitschaft entstehen, den Veränderungsprozess als solchen zu akzeptieren. Geeignete Partizipation und Kommunikation sind folglich bedeutsame begünstigende Moderatoren der Technologieakzeptanz. Doch zurück zu den „inneren“ Prädiktoren der Technologieakzeptanz. In unseren ersten Studien war bereits spürbar, dass Veränderungsprozesse immer auch durch Abwägung zwischen möglichen Chancen und Risiken bewertet wurden. Dies steht in Übereinstimmung zu den Aussagen Rayners (1993), der explizit auf den Einfluss von Risikowahrnehmung auf die Akzeptanz von Technologien hinweist. Getrieben von dieser Thematik wurde eine groß angelegte Einführungsstudie von Augmented Reality Systemen in die LKW-Montage eines Mercedes-Benz Werkes zum Anlass genommen, eine tiefere Auseinandersetzung mit Ergebnissen der Risikoforschung als mögli- 37 chem zentralen Prädiktor für Technologieakzeptanz vorzunehmen (Ullmann, 2006). Die Studie wurde auf Basis des UTAUT qualitativ (Prä-/Post-Interviewserie, Feldbeobachtungen, Teilnehmertagebuch) unter Feldbedingungen durchgeführt. Als Ergebnis konnten folgende zentralen Akzeptanz-Prädiktoren für dieses konkrete Projekt identifiziert werden: x x x x x x 5.0 wahrgenommene Nützlichkeit wahrgenommene Beanspruchung wahrgenommene Risiken Aufwandserwartung unterstützende Bedingungen soziale Einflüsse Ableitung eines projektrelevanten Akzeptanzmodells Die Ergebnisse waren Auslöser dafür, die qualitativen Daten aller vorherigen Studien einer Meta-Analyse auf Basis der Grounded Theory (Glaser & Strauss, 1967) zu unterziehen. Hierbei stellte sich heraus, dass sich einige wenige nicht mehr zu verdichtende Hauptprädiktoren ableiten lassen. Sie bilden die Basis des projektrelevanten Akzeptanzmodells, das nachfolgend in Abbildung 2 wiedergegeben ist: TA = pU pS + pR × BT 2 Abb. 2: Projektrelevantes Akzeptanzmodell Technologieakzeptanz (TA) ist im Inneren abhängig von drei Prädiktoren und deren Verhältnis zueinander. Der wahrgenommene Nutzen (perceived usefulness; pU) als Akzeptanz erzeugendes Moment wird verringert durch ein sum2 38 Auch wenn hier die Metapher einer Gleichung verwendet wird: Das Modell spiegelt keine mathematischen Abhängigkeiten wieder! Die Darstellung dient der Veranschaulichung der Verhältnisse der Prädiktoren zueinander. mativ negatives Moment aus wahrgenommener Beanspruchung (perceived strain; pS) und wahrgenommenem Risiko (perceived risk; pR). Ein „externer“ Prädiktor wirkt weiterhin auf diese „innere“ Technologieakzeptanz während des Veränderungsprozesses: Vertrauensbilanz (bilance of trust; BT). Hiermit ist die angesprochene Wirkung adäquater Kommunikation und Partizipation auf das Veränderungsvorhaben als solches gemeint. 1.) Perceived Usefulness: Wahrgenommene Nützlichkeit kann primärer (z.B. Arbeitserleichterung, Zeitersparnis) oder sekundärer (z.B. beruflicher Aufstieg, Anerkennung) Natur sein. In Organisationskontexten sind primäre Nutzen maßgeblich. 2.) Perceived Strain: Beanspruchung bezeichnet alle Aspekte, durch die ein subjektives Erleben von Erschwernis durch die neue Technologie entsteht. Dies umfasst physische wie psychische Anstrengungen, aber auch Aufwendungen aus dem Arbeitsumfeld wie Zeit und Training. 3.) Perceived Risk: Risiken können sozialer, ökonomischer, gesundheitlicher oder pragmatischer (z.B. Datenverlust durch Systemabsturz) Natur sein. Die Folgen eines Risiko-Ereignisses werden hinsichtlich des Schädigungspotenzials und der persönlichen Betroffenheit bewertet. 4.) Bilance of Trust: Die Vertrauensbilanz entwickelt sich über die Zeit in Abhängigkeit zur Bewertung der Botschaften, ihrer Quelle sowie dem Grad der Partizipation. Vertrauen kann unabhängig vom inneren Verhältnis der Technologiewahrnehmung - die Akzeptanz des Veränderungsprozesses verstärken oder verringern. Dieser Effekt verliert sich allerdings nach erfolgtem Roll-Out. 6.0 Anwendung und Vorgehen Eine Tücke der Prädiktoren in diesem Modell ist, dass sie - ungleich zum Anspruch der theoriebasierten Akzeptanzmodelle - nicht mit standardisierten Items gefüllt werden können. Im Gegenteil stellt sich für jedes Projekt die Frage, welche Sub-Prädiktoren auf die Hauptprädiktoren laden. Konkret bedeutet dies also einen Abschied von der Annahme eines Allheilmittels – jeder Patient benötigt eine individuelle Therapie. Für konkrete Projekte sind somit zunächst die Sub-Prädiktoren zu ermitteln, die für die Nutzergruppe relevant sind. Hierbei sollte man sich nicht davon leiten lassen, welche Sub-Prädiktoren in vorangegangenen Projekten maßgeblich waren. Wird z.B. ein Wissensmanagementsystem eingeführt, sind die Risiken eher unkritisch (z.B. Verlust von Alleinstellungsmerkmalen, wenn andere Nutzer auf „mein“ Expertenwissen zurückgreifen können). Bei der Einführung von Systemen, die Rationalisierungszwecken dienen können, sieht dies anders aus (z.B. Angst vor Arbeitsplatzverlust). Ähnliches gilt für Systeme mit potenzieller gesundheitlicher Gefährdung. Es sind unter Rückgriff auf alle sinnvoll erscheinenden Informationsquellen (Mitarbeiter, Vorgesetzte, Feldbeobachtungen, Dokumente der Anforderungsanalyse) zunächst umfassend potenzielle Sub-Prädiktoren zu erfassen. Diese lassen sich durch Nutzerbefragungen (Interviews und Fragebögen) im nachfolgenden Prozess priorisieren. Grobes Ziel ist, die relevanten Top 5 der SubPrädiktoren je Hauptprädiktor benennen zu können. Diese Sub-Prädiktoren können - wie unter Punkt 3.0 beschrieben ihrerseits wieder untergeordnete SubPrädiktoren haben. Die Gesamtheit der identifizierten und priorisierten Prädiktoren ist im Projektverlauf kontinuierlich mittels weiterer strukturierter Nutzerbefragungen (oder hemdsärmelig in Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 „Stammtischgesprächen“) zu evaluieren und zu dokumentieren (Akzeptanzmanagement). Ähnlich wie bei einem Anforderungsmanagement ist eine Unterscheidung in funktionale bzw. nicht-funktionale Prädiktoren notwendig. Funktionale Prädiktoren beziehen sich auf Eigenschaften der Technologie selber. Ihre Erhebung dient zugleich als Input global für das Anforderungsmanagement sowie spezifisch im Bereich User Interface/Usability. Nicht-funktionale Prädiktoren beziehen sich hingegen auf organisatorische bzw. subjektive Aspekte. Sie dienen maßgeblich als Input für die strategische Projektkommunikation. Interventionsbedarfe ergeben sich aus Evaluationen. Funktionale Bedarfe werden über das Anforderungsmanagement vertreten, nichtfunktionale Bedarfe sind vielschichtig und langwierig zu beantworten. Dies würde diesen Beitrag sprengen. 6.1 Integration des Akzeptanzmanagements in das Projekt Die Aktivitäten, die im Rahmen des Akzeptanzmanagements notwendig sind, sollten Bestandteil des SystemsEngineerings sein und schon früh im Projekt beginnen, beispielsweise während der Anforderungsanalyse. So kann das Projekt frühzeitig akzeptanzrelevante Anforderungen identifizieren und diese umsetzen bzw. kommunizieren. Die Systemqualität steigt damit sowohl objektiv als auch in der subjektiven Wahrnehmung. Nutzerzentrierte Gestaltungsprozesse nach DIN EN ISO 13407 sehen Nutzerpartizipation zwingend vor. Damit ist deren Implementierung in das SystemsEngineering gut zu argumentieren. Die partizipierenden Mitarbeiter wirken so gleichzeitig als Multiplikator gegenüber ihren Kollegen – und sollten ihrer Doppelfunktion bewusst gemacht werden. Für die strategische Kommunikationsplanung hingegen ist eine Aufmerksamkeit im Projektteam nicht unbedingt vorauszusetzen. Hier empfiehlt es sich, früh in Überzeugungsarbeit zu investieren. Grade die Erstkommunikation der Inhalte und Ziele des Projekts ist kritisch und bestimmend für die gesamte Projektlaufzeit. 7.0 Brehm, J. W. (1972): Responses to Loss of Freedom. A Theory of Psychological Reactance. Morristwon: General Learning Press. Davis, F. D. (1986): A Technoogy Acceptance model for Empirical Testing New End-User Information Systems: Theory and Results. Doctoral Dissertation, Sloan School of Management, Massachusetts Institute of technology. Zusammenfassung Theoriebasierte Akzeptanzmodelle eignen sich nur eingeschränkt zum Einsatz in Praxisprojekten zur Technologiegestaltung und -einführung. Es wurde ein praxisrelevantes Akzeptanzmodell ausgehend von Theorien aber auf Basis empirischer Studien erarbeitet und vorgestellt. Bei diesem Ansatz ist es von zentraler Wichtigkeit, jedes Projekt als neue Herausforderung auch hinsichtlich der Nutzerakzeptanz sowie die Akzeptanzmodellierung als integrativen Bestandteil des Gesamtprojektes zu verstehen. Die Unterscheidung in funktionalen und nicht-funktionalen Prädiktoren analog des Anforderungsmanagement erleichtert die Einordnung der Prädiktoren in das Veränderungsprojekt. Wird das Akzeptanzmanagement kontinuierlich umgesetzt, profitieren das Anforderungsmanagement, das Usability Engineering sowie die Projektkommunikation von diesen Aktivitäten. 8.0 schung und Praxis, S. 351 – 366. Symposion: Düsseldorf. Literaturverzeichnis Brau, H.; Schulze, H. (2004): Minimierung von Reaktanz gegen IT-Einführungsprojekte an industriellen Arbeitsplätzen durch Nutzerpartizipation. In: VDIWissenforum (Hrsg.). Useware 2004 – Nutzergerechte Gestaltung Technischer Systeme. VDI-Verlag GmbH: Düsseldorf. Brau, H.; Schulze, H. (2005): Der Einfluss von Partizipation auf die Akzeptanz handgeführter Industrieroboter. In: Karrer, K.; Gauss, B.; Steffens, C. (Hrsg.). Beiträge zur Mensch-Maschine-Systemtechnik aus For- Doppler, K.; Lauterburg, C. (1996): Change Management: Den Unternehmenswandel gestalten. Frankfurt/Main; New York: Campus Verlag. Eagly, A. H.; Chaiken, S. (1993): The Psychology of Attitudes. San Diego, CA and Fort Worth, TX: Harcourt Brace Jovanovich. Fishbein, M.; Aijzen, I. (1975): Belief, Attitude, Intention and Behavior. Reading, MA: Addison-Wesley. Glaser, B. G.; Strauss, A. L. (1967): The Discovery of Grounded Theory. Strategies for Qualitative Research. New York: Aldine. Rayner, S. (1993): Risikowahrnehmung, Technologieakzeptanz und institutionelle Kultur: Fallstudien für einige neue Definitionen. In: Bayrische Rück (Hrsg.) Risiko ist ein Konstrukt. Berlin: Knesebeck-Verlag. Rosenberg, M. J.; Hovland, C. I. (1960): Cognitive, Afective and Behavioral Components of Attitudes. In: Rosenberg, M.J.; Hovland, C.I.; McGuire, W.J.; Abelson, R.P.; Brehm, J.W. (Eds.): Attitude Organization and Change, pp. 1-14. New Haven, CT: Yale University Press.Statista.org. Statista.org (2008). http://de.statista.org/statistik/ diagramm/studie/22496/umfrage/ haushalt-mit-internetzugang/ [16.07.08] Ullmann, C. (2006): Nutzerakzeptanz von Augmented Reality - Eine Fallstudie zum Vollschichteinsatz in der Automobilproduktion. Unveröffentlichte Diplomarbeit. Universität Hamburg. Venkatesh, V.; Morris, M.G.; Davis, G.B.; Davis, F.D (2003): User Acceptance of Information Technology: Toward a Unified View, MIS Quarterly, Vol. 27, No.3, pp. 425-478. 39 User Interface Prototypen in Usability Engineering und Software Entwicklung: Probleme und Synergien Markus Weber Centigrade GmbH Science Park 2 66123 Saarbrücken [email protected] Thomas Immich Centigrade GmbH Science Park 2 66123 Saarbrücken [email protected] Abstract Probleme beim praktischen Einsatz von User Interface Prototypen in den Bereichen Usability Engineering und Software Entwicklung können sich unter anderem in folgenden Feldern manifestieren: Detaillierungsgrad des Prototyps, Erwartungshaltung der Rezipienten von Prototypen, Wiederverwendung prototypischer Entwicklungen sowie Abbildung von Interaktionen und Workflows. Zur Eliminierung dieser Probleme bieten sich verschiedene Ansätze an. 1.0 Einleitung Prototypen werden bei der Entwicklung von interaktiven Systemen auf vielfältige Weise eingesetzt. So können sie beispielweise dazu dienen, technische Machbarkeiten zu prüfen oder im Rahmen eines Usability Tests Erkenntnisse zur Optimierung eines Systems zu gewinnen. Häufig werden im Entwicklungsprozess Prototypen von verschiedenen Beteiligten eingesetzt, die wiederum jeweils spezifische Ziele und Anforderungen bezüglich des Prototyps haben. Der vorliegende Beitrag befasst sich mit User Interface Prototypen, also mit solchen Prototypen, deren Zielsetzung darin besteht, zu einer Beurteilung bestimmter Aspekte des User Interface eines Systems zu gelangen und auf dieser Grundlage Entscheidungen zu treffen. Hierbei wird der praktische Einsatz aus den zwei exemplarischen Perspektiven Usability Engineering und Software Entwicklung betrachtet, um 40 Neben Maßnahmen in den beiden Einzelbereichen sollte im Rahmen der expliziten Kommunikation zwischen Usability Engineer und Entwickler zur Identifizierung von Synergien die Möglichkeit der gemeinsamen Verwendung von Prototypen ebenso geprüft werden wie ein koordiniertes Erwartungsmanagement nach außen. Durch die Abkopplung der User Interface Entwicklung von anderen BackendEntwicklungsarbeiten kann die Effizienz eines Projektes erhöht werden. Keywords Problemfelder aufzuzeigen und der Frage nach Berührungspunkten bei der Verwendung von Prototypen in den beiden Bereichen nachzugehen. ve Anwender mit dem Prototyp typische Arbeitsaufgaben durchführen, damit auf der Grundlage der hierdurch gewonnenen Daten Wissen zur Optimierung des Systems gewonnen werden kann. 2.0 Prototyping, Erwartungsmanagement, kooperative GUI Entwicklung, agile Entwicklung Anwendungskontexte 2.2 Exemplarisch können bezüglich des Einsatzes von Prototypen zwei Anwendungskontexte und Stakeholdergruppen unterschieden werden, die sich in ihren Zielsetzungen und Anforderungen hinsichtlich des Einsatzes von Prototypen unterscheiden. 2.1 Usability Engineering Zielsetzung des Usability Engineering Prozesses ist es, Erkenntnisse zu gewinnen, die zur Verbesserung der Anwenderfreundlichkeit des interaktiven Systems beitragen und diese Erkenntnisse in entsprechende Maßnahmen und Handlungsempfehlungen umzusetzen. Prototypen kommen hier zum Beispiel dann zum Einsatz, wenn repräsentati- Software Entwicklung In der Software Entwicklung geht es darum, ein funktionsfähiges System zu erstellen, das den technischen Anforderungen genügt. Prototypen kommen hier beispielsweise zum Einsatz, wenn die Tauglichkeit von Implementierungen, zum Beispiel spezieller Widgets, geprüft wird oder die grundsätzliche Machbarkeit von Ansätzen evaluiert werden soll. 3.0 Problemfelder in der Praxis Im Folgenden wird auf typische Problemfelder beim praktischen Einsatz von Prototypen eingegangen. Es wird erläutert, wie sich Probleme in den beiden Bereichen Usability Engineering und Software Entwicklung manifestieren Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 können und welche Ansatzpunkte zur Beseitigung es gibt. 3.1 Detaillierungsgrad von Prototypen Das Konzept „Detaillierungsgrad“ eines Prototyps bezieht sich darauf, wie sehr visuelle oder funktionale Aspekte in der prototypischen Umsetzung ausdifferenziert werden (low fidelity vs. high fidelity). Im Usability Engineering besteht die Gefahr, dass der Fokus eines Teilnehmers in einem Usability Test durch einen ungeeigneten Detaillierungsgrad von der eigentlichen Fragestellung abgelenkt wird. Dies kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn ein prototypisches User Interface visuell sehr differenziert gehalten ist und hierdurch sehr viele Kommentare zur visuellen Gestaltung provoziert werden, obwohl die Fragestellung des Tests dem Interaktionsdesign galt. Aber auch ein zu gering aufgelöster Prototyp kann problematisch sein, wenn er für die Anwender zu abstrakt bleibt und das entsprechende Feedback sich in der Folge auf einem vergleichbar abstrakten Niveau bewegt. In der Software Entwicklung kann das Risiko von zu detaillierten Prototypen darin bestehen, dass sie einen hohen Implementierungsaufwand mit sich bringen, der dem eigentlichen Einsatzzweck nicht angemessen ist. Dies ist etwa dann der Fall, wenn sich Entwickler dazu animiert sehen, einen (funktionstechnisch) detaillierten Prototypen weiterzuentwickeln, „um keine Arbeit zu vergeuden“, obwohl die Ausdetaillierung des Prototyps ausschließlich deshalb erforderlich war, um fundiert zu dem Schluss zu kommen, dass ein bestimmter Implementierungsansatz nicht trägt. Durch die hohe Detaillierung des Prototyps und eine eventuell unzureichende Kommunikation im Projektteam kann sich daher die Wahrscheinlichkeit des berechtigten Verwerfens eines Prototyps verringern. Letztendlich werden jedoch Ressourcen vergeudet, da die Arbeiten, die aufbauend auf dem detaillierten Prototyp durchgeführt wurden, nicht zielführend waren. In der Praxis sollte der Detaillierungsgrad eines Prototyps der jeweiligen Fragestellung angemessen sein. Dies setzt voraus, dass diese vor der Erstellung des Prototyps definiert und den relevanten Personen mitgeteilt wird, was im praktischen Projektalltag durchaus nicht immer gegeben ist. Ist dies nicht der Fall, so besteht die Gefahr, dass ein Prototyp entsteht, dessen Ausgestaltung sich vor allem an umsetzungstechnischen Aspekten orientiert, nach dem Motto: „Je einfacher etwas prototypisch umgesetzt werden kann, desto eher wird es im Prototyp realisiert“. Für den Usability Engineer ist es wichtig, ein Gespür dafür zu entwickeln, dass Teilnehmer in einem Usability Test unterschiedlich mit dem Detaillierungsgrad eines Prototyps umgehen. So findet man in der Praxis Teilnehmer, die sich in Feedback zu Details verlieren und denen es von sich aus unmöglich ist, davon zu abstrahieren, während andere Teilnehmer damit kein Problem haben. Neben der möglichst optimalen Ausrichtung des Detaillierungsgrads auf die Fragestellung ist es damit für den Usability Engineer also auch wichtig, in der konkreten Situation mögliche negative Tendenzen bei den Teilnehmern zu beobachten und angemessen darauf zu reagieren. Dies kann er zum Beispiel tun, indem er den Fokus der Teilnehmer durch Hinweise und Erläuterungen wieder auf die eigentliche Fragestellung richtet. Im Vorfeld des Tests kann auch die Erfahrung des Usability Engineers mit vergleichbaren Tests und Teilnehmergruppen zu einem Urteil über den geeigneten Detaillierungsgrad des Prototyps beitragen. Für Entwickler ist es wichtig, den Stellenwert eines Prototyps zu kennen. Mit diesem Wissen können sie ein fundiertes Urteil darüber fällen, ob eine relativ hohe Detaillierung daher rührt, dass der Prototyp als Grundlage weiterer Implementierungsarbeiten genutzt werden soll oder daher, dass sie erforderlich war, um eine implementierungstechnische Frage umfassend bewerten zu können. Insbesondere in größeren Entwicklerteams sollten daher die entsprechenden Informationen klar kommuniziert werden. 3.2 Erwartungsmanagement Häufig wird der Prototyp einer nicht unmittelbar am Projekt beteiligten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Dies geschieht beispielsweise im Rahmen von Vorstandsmeetings oder auch bei Tests mit repräsentativen Anwendern im Kontext eines Usability Tests. Immer werden durch die Konfrontation mit einem Prototyp auch die Erwartungen des Publikums an das System beziehungsweise an das Entwicklungsprojekt beeinflusst. Für Teilnehmer an einem Usability Test kann es schwierig sein, den Stellenwert eines Prototyps richtig einzuschätzen. Beispielsweise wird unter Umständen durch visuelle Gestaltung und scheinbare Funktionalität des Prototyps der Eindruck erweckt, dass die Entwicklung schon sehr weit fortgeschritten ist und das Release kurz vor der Fertigstellung steht. Dies kann insbesondere bei inhouse Entwicklungen den Druck auf die Projektverantwortlichen erhöhen, da unter Umständen die Akzeptanz für Revisionen und „Verzögerungen“ der Entwicklung eines „weit gediehenen“ Systems reduziert wird. Eine andere Seite der selben Problematik zeigt sich, wenn es den Rezipienten nicht möglich ist, von auftretenden Bugs zu abstrahieren 41 und sie diese als schwerwiegende Mängel des Endsystems ansehen, obwohl es sich lediglich um die zu erwartenden Fehler einer frühen Implementierung handelt. Aus der Entwicklerperspektive ist Erwartungsmanagement speziell dann bedeutsam, wenn ein hauptsächlich vom Usability Engineer verantworteter Prototyp interaktive Elemente oder Paradigmen vorstellt, deren technische Machbarkeit bislang noch nicht geprüft wurde, diese aber durch ihre Verwendung in Tests und Präsentationen implizit Teil des Anforderungskatalogs werden. Dies kann unter Umständen dazu führen, dass eine vom Publikum erwartete Programmeigenschaft nicht nur spät, sondern im schlimmsten Fall überhaupt nicht realisierbar ist, was sich negativ in der abschließenden Bewertung des Systems niederschlägt. Der Usability Engineer sollte aktives Erwartungsmanagement betreiben, um sicherzustellen, dass der Stellenwert des Prototyps von jeweiligen Publikum richtig erkannt und der Prototyp richtig eingeordnet wird. Dies kann beispielsweise durch eine Erläuterung dahingehend geschehen, dass tiefgreifende Veränderungen des Prototyps durchaus möglich sind und er lediglich ein Artefakt für einen bestimmten, umschriebenen Projektzweck darstellt, wie zum Beispiel Kommunikation und Sammlung von Feedback im Rahmen eines Usability Tests. Der häufig im Rahmen von Usability Tests gegebene Hinweis, dass während der Interaktion Fehler auftreten können, die auf noch existierende Schwachstellen der Technik hinweisen, dient ebenfalls dem Erwartungsmanagement. Um das Risiko zu minimieren, dass in einem Prototyp vorgestellte Konzepte nicht umsetzbar sind, empfiehlt es sich, dass Usability Engineer und Entwickler frühzeitig miteinander in Kontakt treten, 42 so dass potenzielle Probleme erörtert werden können oder die Umsetzbarkeit gegebenenfalls in Form von technischen „Spikes“1 geprüft werden kann. Der Entwickler (beziehungsweise der Projektmanager) sollte die Implementierung eines Spikes im Voraus zeitlich begrenzen, damit die Studie ausschließlich auf die wesentlichen Risikoquellen fokussiert wird. 3.3 Wiederverwendung von Prototypen Zuweilen wird die Wiederverwendung von Prototypen als Ideal gesehen, das im Softwareentwicklungsprozess verfolgt werden sollte. So werden dann beispielsweise bei der Erstellung eines Systems Prototypen von Usability Test zu Usability Test sukzessive erweitert oder evolutionäre technische Prototypen in der Entwicklung eingesetzt. Im Rahmen des Usability Engineering Prozesses kann die Gefahr bestehen, die jeweils in Usability Tests behandelten Fragestellungen dem Primat der Wiederverwendung von Prototypen unterzuordnen und damit den Erkenntnishorizont von vornherein zu beschränken. Dies ist etwa dann der Fall, wenn nur wenig Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, um Umstrukturierungen eines Prototyps vorzunehmen, die eine revidierte Informationsarchitektur reflektieren. Dies kann so weit gehen, dass zur Untersuchung einer Fragestellung auch kein Papierprototyp eingesetzt wird, da dies scheinbar einen „Rückschritt“ im Vergleich zu einem bereits vorhandenen interaktiven HTML-Prototyp darstellt. 1 Der Begriff „Spike“ wird oft in agilen Entwicklungskontexten verwendet und beschreibt eine fokussierte Studie, in der Entwickler technisch relevante Aspekte und Designideen in Form von kleinen abgeschlossenen Programmteilen umzusetzen versuchen (Proof of Concept). Bei der Software Entwicklung besteht das Risiko darin, dass durch das Ideal der Wiederverwendung von Prototypen und aufgrund enger Projektzeitpläne Implementierungen „mitgeschleppt“ werden, die von ihrer Qualität her unzureichend sind oder die auf ein bestimmtes, zum Entwicklungszeitpunkt aktuelles, Framework abgestimmt waren, welches sich über die Projektdauer jedoch verändert hat oder durch ein anderes abgelöst wurde. Der Usability Engineer sollte vor dem Einsatz von Prototypen prüfen, ob der zu erwartende Erkenntnisgewinn den Aufwand für eine Überarbeitung oder Ergänzung eines Prototyps rechtfertigt. Je günstiger das Kosten-Nutzen Verhältnis ist, desto eher sollten die erforderlichen Ressourcen dafür zur Verfügung gestellt werden. Insbesondere wenn Papierprototypen eingesetzt werden, können Änderungen oder „Neuentwicklungen“ leicht umgesetzt werden. Allerdings kann diese Art von Prototyp nicht für alle Fragestellungen Verwendung finden. Beispielsweise sind sie ungeeignet zur Evaluation von Detailinteraktionen mit bestimmten Controls. Im Rahmen der Software Entwicklung muss für ein Projekt festgelegt werden, ob die Wiederverwendung von Prototypen ein explizites Ziel darstellt. Ist dies der Fall, so sollte die Codequalität durch automatisierte Tests (zum Beispiel „Unit Tests“2) und explizite „Refactoring“3 2 3 Unit Tests (auch „Modultests“ genannt) dienen zur automatisierten Überprüfung der Korrektheit von Modulen in einer Software. Nach jeder Codeänderung werden alle Unit Tests automatisch durchlaufen und geben so Aufschluss darüber, ob die Software immer noch in einem stabilen Zustand ist. Mit „Refactoring“ bezeichnet man Änderungen am Quellcode einer Software, die nur dessen Lesbarkeit und Struktur verbessern, ohne jedoch sein Verhalten zu ändern. Fest eingeplantes und durch Tests gesichertes Refactoring, senkt die „Hemmschwelle“ bei Entwicklern, Imple- Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Phasen gesichert werden. Zumindest auf der User Interface Schicht sollte hierbei nicht der klassische „Test First“4 Ansatz verfolgt werden – das Erstellen von Tests kurz vor dem Refactoring bietet eine hinreichende Absicherung und erlaubt ein viel agileres Reagieren auf veränderte Anforderungen an den Prototyp. Ist die Wiederverwendung von Prototypen ein Ziel, so sollte zunächst festgelegt werden, ob Wiederverwendung über verschiedene Einsatzphasen von Prototypen im Entwicklungszyklus hinweg oder Wiederverwendung des Prototyps hinsichtlich des letztendlich implementierten Systems oder beides gemeint ist. Bezüglich des ersten Aspekts sollte der Einflussfaktor der Kopplung des User Interface Prototyps mit konkreten Daten des Backend betrachtet werden. Durch eine feste „Verdrahtung“ kann die Ursache für bestimmte Effekte im User Interface unter Umständen nur unzureichend isoliert werden, oder aber bestimmte Effekte treten aufgrund einer konkreten Daten-Konstellation gar nicht erst auf, wodurch Probleme des User Interface lange unentdeckt bleiben. Wenn möglich, so empfiehlt es sich, die Entwicklung des User Interface möglichst abgekoppelt von der Backend Entwicklung zu betreiben, um die genannten Effekte zu verhindern. Für den zweiten Aspekt der Wiederverwertbarkeit ist es bedeutsam, dass die technische Plattform für den Prototyp weitestgehend mit derjenigen des Endproduktes identisch ist, da ansonsten ein 4 mentierungen in mehr oder weniger großen Teilen zu verwerfen und verhindert somit idealerweise das „Mitschleppen“ von minderwertigen oder nicht nachhaltig getesteten Entwicklungsarbeiten. „Test First“ bezeichnet einen Ansatz, bei dem zunächst Unit Tests geschrieben werden und dann erst mit der Entwicklung des eigentlichen Systems begonnen wird. Transfer der prototypischen Entwicklungen für das Endprodukt nicht nahtlos durchgeführt werden kann. Ein derartiger Ansatz, bei dem das Produkt quasi nahtlos aus Prototypen entsteht, beziehungsweise bei dem der Prototyp zu jeder Phase des Prozesses das Produkt ist, wird im Allgemeinen in agilen Ansätzen verfolgt. 3.4 Abbildung von Interaktionen und Workflows Das User Interface eines Systems dient in der Regel dazu, dem Anwender die Erledigung von Arbeitsaufgaben im Rahmen von Interaktionen und Workflows zu ermöglichen. Workflows stellen dabei umfassendere Sammlungen von Arbeitsschritten im Dienste einer bestimmten Zielsetzung dar. Interaktionen sind kleinere Arbeitseinheiten, bei denen der Anwender mit dem System interagiert und die wiederum Bestandteil mehrerer unterschiedlicher Workflows sein können. So kann etwa die Interaktion „Eingabe einer Adresse in ein Formular“ in einem System Teil der Workflows „Anlegen eines neuen Kunden“ sowie „Ergänzen eines Kundendatensatzes“ sein. In Prototypen sind die möglichen Interaktionen und Workflows mehr oder weniger umfänglich abgebildet. Im Usability Engineering muss vorab geklärt werden, inwieweit Interaktionen und Workflows im Prototyp fokussiert werden sollen, da dies unmittelbar Technik und Gestaltung des Prototyps beeinflusst. Steht beispielsweise die Evaluation von Workflows im Vordergrund, so können hierfür Papierprototypen in Frage kommen, mit denen dem Anwender bestimmte Screensequenzen präsentiert werden können. Für die Evaluation von Detailinteraktionen sind Papierprototypen dagegen nicht geeignet, da sie keine ausreichend hohe Interaktivität zur Verfügung stellen können. Werden Papier- prototypen unreflektiert eingesetzt, so kann die Betrachtungsebene der Detailinteraktionen zu kurz kommen, da diese für Testteilnehmer nur unzureichend greifbar wird. Für derartige Evaluationen können beispielsweise HTML- oder technisch noch aufwändigere Prototypen zum Einsatz kommen. Für die Software Entwicklung kann die Unterscheidung zwischen Workflows und Interaktionen beispielsweise deshalb bedeutsam sein, weil für die Evaluation von Workflows reale Datenumgebungen zu simulieren sind und diese erst nach Bereitstellung entsprechender Informationen (realistische Daten) durch Domänenexperten umgesetzt werden können. Für Interaktionen anhand bestimmter Controls müssen realistische Datenstrukturen dagegen nicht unbedingt eine Rolle spielen. Je nach Fokus der Evaluation muss eventuell also berücksichtigt werden, dass den Entwicklern tiefergehende Information zur Verfügung gestellt werden muss und entsprechende Ressourcen dafür eingeplant werden sollten. 4.0 Zusammenspiel von Usability Engineering und Software Entwicklung Die vorangegangenen Erläuterungen zeigen, dass sich die Probleme, die beim praktischen Einsatz von Prototypen in Usability Engineering und Software Entwicklung auftreten, in vergleichbaren Problembereichen abspielen, wobei die konkrete Erscheinungsform eines Problems abhängig ist davon, ob das Ziel des Prototyps eher in einer Usability Evaluation oder einer technischen Evaluation besteht. Es stellt sich die Frage, wie Synergien von Usability Engineering und Software Entwicklung geschaffen werden können, so dass der Einsatz von Prototypen in beiden Bereichen effizienter erfolgt. 43 Die Grundlage für derartige Synergieeffekte ist die Kommunikation zwischen Usability Engineer und Software Entwickler. Diese ist in der Praxis durchaus nicht selbstverständlich, da aufgrund von Projektstrukturen nicht immer ein direkter Austausch gegeben ist und die Kommunikation daher oft indirekt und/oder implizit erfolgt, beispielsweise durch die Begutachtung von Prototypen des jeweils anderen Teams. In diesem Kontext sollte auf eine direkte und explizite Kommunikation hingearbeitet werden, beispielsweise im Rahmen regelmäßiger Teammeetings, bei denen relevante Themen besprochen und Entscheidungen getroffen werden. Auf diese Weise können negative Effekte impliziter Kommunikation vermieden werden, die zum Beispiel auftreten können, wenn der Software Entwickler „seinen“ Prototyp erheblich ausdifferenziert, um „vorzuarbeiten“, weil er einen visuell sehr detaillierten Prototyp fälschlicherweise als User Interface Spezifikation erachtet. Umgekehrt kann auch der Einblick des Usability Engineers in die Arbeit des Software Entwicklers nützlich sein, etwa wenn der Usability Engineer hierdurch erkennt, dass er einen Prototyp des Software Entwicklers ganz oder in Teilen für seine Zwecke einsetzen kann. Unter Umständen kann sogar ein Prototyp, der vom Software Entwickler bereits verworfen wurde (da dieser beispielsweise überholte Architekturen nutzt) für den Usability Engineer hilfreich sein, da er Funktionalitäten enthält, die im Fokus eines Usability Tests stehen – unabhängig davon, wie diese Funktionalitäten technologisch umgesetzt sind. Im Rahmen der Kommunikation kann auch geklärt werden, inwieweit gemeinsame Prototypen für beide Bereiche sinnvoll sind. In agilen Umfeldern wird 44 oft eine durch Tests (siehe oben) abgesicherte Entwicklung praktiziert, so dass durch Refactoring Maßnahmen aus dem Prototyp ohne Weiteres das eigentliche Produkt entstehen kann. Hier muss daher keine zusätzliche Zeit für die Erstellung von „Wegwerf“Prototypen eingeplant werden. Dies kann aber auch bedeuten, dass der Usability Engineer aufgrund der Zeitpläne keine Ressourcen hat, dedizierte Prototypen für Usability Testing zu erstellen. Hier muss er jeweils im Einzelfall prüfen, ob die akuten Fragestellungen mit den verfügbaren Prototypen verfolgt werden können, oder ob zumindest ein basales Prototyping von seiner Seite (beispielsweise in Form von Papierprototypen) angebracht und möglich ist. Außerdem sollte er im Rahmen der oben erwähnten Teammeetings ein Bewusstsein für Usability Engineering im Gesamtteam schaffen, um auf diese Weise indirekt Einfluss auf die Erstellung von Prototypen zu nehmen und so darauf hinzuarbeiten, dass Prototypen erstellt werden, die auch zur Bewertung von Usability Fragestellungen dienen können. Werden unterschiedliche Prototypen von Usability Engineer und Software Entwickler eingesetzt und gibt es Überschneidungen in den Rezipientengruppen (zum Beispiel bei Vorstandspräsentationen) kann ein gemeinsames Erwartungsmanagement der beiden Teams nach außen sinnvoll sein. Auf diese Weise können die Rezipienten über den Stellenwert von Divergenzen zwischen den Prototypen informiert werden, damit beispielsweise der Software Entwickler nicht unter Druck gerät, wenn der Prototyp des Usability Engineers aufgrund der visuellen Ausgestaltung den Eindruck eines fast fertigen Systems erweckt, obwohl die technische Umsetzung bei weitem noch nicht abgeschlossen ist. Auch bei separaten Prototypen kann der Informationsaustausch zwischen Usability Engineer und Software Entwickler die Effizienz des Gesamtprojekts verbessern. Dies ist beispielweise dann der Fall, wenn vom Usability Engineer Informationen zu Workflows und Datenstrukturen aus User Task Analysen oder Interviews mit Domänenexperten geliefert werden können, die der Software Entwickler für die Simulationen realer Daten-Umgebungen und DatenManipulationen benötigt. In einem solchen Fall liegt die Information bereits „im Team“ vor und der Entwickler muss sie nicht extra von „außerhalb“ anfordern. Schließlich können Synergien auch dadurch gefördert werden, dass die Entwicklung des User Interface explizit von anderen Entwicklungsarbeiten abgekoppelt wird und spezialisierte User Interface Entwickler zum Einsatz kommen. Auf diese Weise rückt die Tätigkeit dieser Entwickler näher an diejenige des Usability Engineers und der Entwickler ist weniger durch Programmierarbeiten belastet, die nicht unmittelbar mit dem User Interface in Verbindung stehen. Durch die hierdurch entstehende größere inhaltliche Schnittmenge zwischen Usability Engineer und Software Entwickler sowie durch die Expertise und die Werkzeuge (beziehungsweise Technologien) des spezialisierten User Interface Entwicklers kann die Erstellung von Prototypen gefördert werden, die für beide Parteien sinnvoll einsetzbar sind. Zumindest jedoch wird der Aufwand für Prototyping Aktivitäten, die nur für einen der beiden Bereiche nützlich sind, im Vergleich zur „herkömmlichen“ Zusammenarbeit von Usability Engineer und Software Entwickler reduziert. Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Methoden, Notationen und Werkzeuge zur Übersetzung von Anforderungen in User Interface Spezifikationen Thomas Memmel Mensch-Computer Interaktion Universität Konstanz Universitätsstrasse 10, Box 73 78457 Konstanz [email protected] http://hci.uni-konstanz.de Thomas Geis ProContext GmbH Deutzer Freiheit 77-79 50679 Köln [email protected] www.procontext.com Prof. Dr. Harald Reiterer Mensch-Computer Interaktion Universität Konstanz Universitätsstrasse 10, Box 73 78457 Konstanz [email protected] http://hci.uni-konstanz.de Abstract In diesem Workshop wollen wir unterschiedliche Methoden und Werkzeuge vorstellen und diskutieren, mit denen kreative Prozesse bei der Übersetzung von Anforderungen in benutzerfreundliche und innovative Benutzungsschnittstellen angetrieben und unterstützt werden. Dabei betrachten wir auf Text ba- 1.0 Einleitung Der aktuelle „Chaos Report“ der Standish Group aus dem Jahr 2007 zeigt auf, dass die Softwareentwicklung auch weiterhin vor großen Herausforderungen steht. Nur 35% der IT Projekte werden erfolgreich abgeschlossen in Hinblick auf Projektlaufzeit, Budget und Umsetzung definierter Anforderungen. 46% der Projekte haben dagegen die Zeit- und Budgetvorgaben signifikant überschritten und 19% der Projekte scheitern im Durchschnitt gänzlich ohne Projektergebnis. Als primäre Ursache sind dabei besonders die frühen Phasen des Entwicklungsprozesses zu sehen, in denen die „Richtung“ für das zu entwickelnde Produkt festgelegt wird. Wer zu spät testet, muss mit in späteren Projektphasen mit teuren Problemen und Rückschlägen rechnen. Das US-amerikanische National Institute of Standards and Technology hat in einer 20021 veröffentlichten Studie erhoben, dass etwa 70% der Mängel im Entwicklungsprozess in der Phase der Anforderungserhebung entstehen. Entdeckt werden 1 http://www.nist.gov/public_affairs/ releases/n2-10.htm sierende Notationsformen und Werkzeugketten ebenso wie spezielle Werkzeuge für Interaktionsdesigner. Als neue und zukunftsweisende Unterstützung von User Interface Entwicklungsprozessen stellen wir unsere Idee von interaktiven Spezifikationen vor. Keywords Anforderungsanalyse, Spezifikation, Usability Engineering, User Interface Design diese meist erst während der Abnahmetests. Um einen Mangel während einer späteren Projektphase noch zu beheben muss das 50- bis 100-fache der ursprünglichen Kosten kalkuliert werden. derungskonform umsetzen, wird von den meisten bekannten Usability Engineering (UE) Vorgehensmodellen offen gelassen. Doch gerade wenn der Auftraggeber eine hohe UI Qualität sicherstellen will, muss der Entwicklungsprozess eine explizite Art der UI Spezifikation vorsehen (Memmel et al., 2007a). In diesem Workshop beleuchten wir diese Problematik in Hinblick auf die Entwicklung der Benutzungsschnittstelle (im Folgenden als User Interface, kurz „UI“ bezeichnet). Die UI Entwicklung nimmt in den meisten IT Organisationen inzwischen einen hohen Stellenwert ein und ist faktisch Teil des gesamten Entwicklungsprozesses. Spätestens bei der UI Spezifikation und UI Visualisierung können noch übersehene oder missverstandene Anforderungen systematisch erkannt werden, wenn für die UI Spezifikation eine entsprechende Systematik zugrunde gelegt wird. Die Spezifikation des UI kann sowohl als Teil der Anforderungsspezifikation als auch als Teil der Softwarespezifikation verstanden werden. Wie jedoch gerade dieser sensible Teil einer Softwareanwendung spezifiziert werden muss, damit Entwickler das UI anfor- Wir wollen daher Methoden, Notationen und Werkzeuge diskutieren, mit deren Hilfe kreative Prozesse entlang des UI Entwicklungsprozesses bis hin zur UI Spezifikation unterstützt werden können. 2.0 Struktur von UI Spezifikationsprozessen Industrielle UI Entwicklungsprojekte starten in der Regel mit einer Anforderungsspezifikation. Vor und nach der Übersetzung in ein Fachkonzept werden die Anforderungen geprüft und gegebenenfalls modifiziert. Erst nach einer Abnahme der Anforderungen und des Konzepts wird eine Systemspezifikation erzeugt. Diese ist meist die Grundlage für die Implementierung erster UI Prototypen und des finalen UI. Anforderungen und Anforderungen sind jedoch bereits „zwei paar Schuhe“. So 45 gibt es immer die Anforderungen aus Sicht des Kunden („Stakeholder requirements“) und Anforderungen an das System zur Umsetzung der Anforderungen des Kunden („System requirements“)2. Eine intensive Anforderungsphase wird dann problematisch, wenn sie nicht ausreichend Spielraum für Prototyping und Evaluierung vorsieht, um so natürliche Unsicherheiten bei den Anforderungen durch das Ausprobieren passender Lösungen ausräumen zu können. Grade in Entwicklungsprojekten, bei denen ein IT Dienstleister ab der Anforderungsspezifikation das Zepter übernimmt, sind interaktive Prototypen in der Regel vorher nicht verfügbar. In einer rein durch Spezifikation getriebenen Entwicklungskultur kann viel Zeit vergehen, bis Fachexperten und Endbenutzer zum ersten Mal das Ergebnis ihrer textuell formulierten Anforderungen ausprobieren und beurteilen können. Je größer dann die Diskrepanz zwischen Qualität und Funktionalität von Entwürfen einerseits und den Erwartungen der „Stakeholder“ andererseits ist, umso wahrscheinlicher ist es, dass die Nutzung für alle Stakeholder unbefriedigend wird. Probleme treten bereits dann auf, wenn beteiligte Personen ihre Anforderungen nicht ausreichend gut zum Ausdruck bringen können. Viele Arbeitsprozesse laufen unbewusst ab und deren Dokumentation selbst fehlt häufig in der Anforderungserfassung. Später versuchen Experten, die lückenhaften und beliebig sortierten Anforderungen mit einem Management-Werkzeug in eine Struktur zu bringen. Das Kommunikations- und Verständnisproblem zwischen IT und Fachabteilung verstärkt sich, wenn die Projektbeteiligten sich in unterschiedlichen Sprachstilen und Abstraktionsniveaus 2 ISO IEC 15288 „Systems and software engineering - System life cycle processes“ 46 ausdrücken. Anforderungsspezifikationen werden dann nicht mehr verstanden und Konflikte nicht transparent. Damit dies gelingt und letztlich auch eine vertragsbindende Anforderungsspezifikation entsteht, sind mehrere Schritte notwendig. In Abschnitt 3 betrachten wir dazu zunächst Notationen zur Erfassung und Dokumentation von Erfordernissen von Benutzern und deren Übertragung in Nutzungsanforderungen. Da es für die erfolgreiche UI Entwicklung entscheidend ist, dass Umsetzungsmöglichkeiten für erhobene Anforderungen möglichst schnell visualisiert und getestet werden können, stellen wir in Abschnitt 4 spezielle und einfach zu nutzende Werkzeuge zum UI Prototyping vor. Mit deren Hilfe soll der IT Entwicklungsorganisation der Wandel vom rein Spezifikationsgetriebenen Prototyping zur Prototyping-getriebenen Spezifikation gelingen. Dazu diskutieren wir die Möglichkeiten zu einer Verschmelzung von Anforderungsmodellen und UI Prototypen zu sogenannten interaktiven UI Spezifikationen. In diesen sehen wir die Möglichkeit, textbasierte Spezifikationsdokumente durch erlebbare Artefakte zu ersetzen. Dazu stellen wir schließlich kurz ein experimentell entwickeltes Werkzeug vor. 3.0 Anforderungsgetriebenes Spezifizieren von UIs Um Anforderungen an ein UI festlegen zu können, müssen diese in Form von Nutzungsanforderungen expliziert werden. Nutzungsanforderungen sind nicht gleichzusetzen mit fachlichen Anforderungen, die primär Regeln darstellen, die ein fachlich korrekt erzieltes Arbeitsergebnis mit Hilfe des Software-Erzeugnisses / interaktiven Systems vorsehen. Nutzungsanforderungen sind auch keine „Nutzeranforderungen“. Nutzungsanforderun- gen sind Anforderungen an die effiziente Nutzung eines Systems, die primär aus dem Nutzungskontext in dem das interaktive System eingesetzt wird hergeleitet werden müssen. Der Leitfaden Usability3 der Deutschen Akkreditierungsstelle Technik (DATech) liefert hierzu ein Schema zur Darlegung der Kontextdaten selbst („Kontextszenario“), das auf der Basis von Kontextinterviews mit echten Repräsentanten der Ziel-Nutzergruppe entsteht. Die Auswertung solcher Kontextszenarien in Hinblick auf implizite Erfordernisse und hieraus ableitbare Nutzungsanforderungen geschieht mit dem Schema des „ausgewerteten Kontextszenarios“). Das Schema wurde zunächst für die Herleitung von Prüfkriterien auf der Basis von DIN EN ISO 9241-11 und DIN EN ISO 9241-110 im Rahmen von Gebrauchstauglichkeitsprüfungen entwickelt, ist jedoch gleichermaßen für die Herleitung von Nutzungsanforderungen in frühen Projektphasen geeignet. Für die Nutzung des Schemas ist ein normales Textverarbeitungssystem völlig ausreichend. Die eigentliche Herausforderung liegt im methodischen Erkennen und Darlegen von impliziten Erfordernissen im Nutzungskontext. Dies erfordert einen geschulten Anforderungsanalytiker, der die Syntaxregeln für Erfordernisse und für Nutzungsanforderungen beherrscht, und die Empfehlungen der DIN EN ISO 9241-110 „Grundsätze der Dialoggestaltung“ anwenden kann. Auf der Basis einer ausreichenden Anzahl ausgewerteter Kontextszenarien wird im Anschluss mit Hilfe eines zweiten Schemas, des „Nutzungsszenarios“ die Ausführung der zu unterstützenden Aufgaben im Nutzungskontext aus Sicht des Nutzers spezifiziert. Diese Form der Spezifikation kann man durchaus als „Interaktionsdesign“ auf 3 http://www.datech.de/share/files/ Leitfaden-Usability.pdf Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 der Basis von Nutzungsanforderungen verstehen, die die Brücke zwischen Anforderungsspezifikation und Prototyping darstellt. Auch hierfür reicht ein Textverarbeitungssystem. Wesentlich für den erfolgreichen Einsatz des Schemas für das Nutzungsszenario ist wiederum die Professionalität des menschlichen „Editors“, um die Interaktion zwischen Nutzer und System in Hinblick auf zu erfüllende Nutzungsanforderungen zu spezifizieren. Nutzungsanforderungen und Nutzungsszenarien, die methodisch sauber hergeleitet und dokumentiert sind, bieten eine ideale Grundlage für das Prototyping, da wichtige Fragen bereits vor dem Prototyping adressiert wurden und so „vorhersehbare Überraschungen“ beim Prototyping und Entwicklungsbegleitenden Usability Testing bereits im Vorfeld ausgeräumt werden können. 4.0 Protoyping-getriebenes Spezifizieren von UI’s Nachdem Nutzungsszenarien und Nutzungsanforderungen erzeugt worden sind, können erste Prototypen erzeugt werden. Prototyping ist eine essentielle Methode im UE Prozess, um Anforderungen zu simulieren und ein UI Design bereits sehr früh im Entwicklungsprozess mit Nutzern evaluieren zu können. In Projektsituationen mit einer hohen Beteiligung von Stakeholdern, die keine IT Experten sind, muss das Erzeugen von Prototypen einfach möglich sein. Dies ist eine Voraussetzung für einen kollaborativen Prozess. Umgekehrt erzeugen innovative Prototypen, die eine magnetisierende Wirkung haben und Enthusiasmus verbreiten können, auch innovative Teams (Schrage, 1999). Paper Prototyping reicht jedoch in vielen Situationen dazu nicht aus, da Stakeholder sehr häufig alle Ergebnisse (auch in frühen Phasen) bereits in einem „erlebbaren“ Format kennen lernen möch- ten. Es besteht daher eine enorme Nachfrage nach Prototyping-Werkzeugen, die detaillierte Simulationen erzeugen können, aber dennoch für alle Stakeholder zu benutzen sind (Memmel et al., 2007a/b). Wir stellen das sehr neue und im europäischen Raum noch weniger bekannte Werkzeug iRise vor. iRise Studio knüpft an die Erfahrungen der meisten Stakeholder mit Office-Anwendungen wie PowerPoint an. Dem Nutzer stehen alle gängigen UI Elemente zur Verfügung. Diese können leicht auf der „UI Zeichenfläche“ zusammengestellt werden. Auch ActiveX Komponenten wie z.B. Flash Filme, können zum Bau visuell ansprechender Prototypen integriert werden. Mit Hilfe von Templates und MasterKomponenten sind generische Änderungen leicht möglich. Durch die Verbindung mehrerer kreierter UIs entsteht ein Storyboard. Per Knopfdruck wird hieraus eine UI Simulation erzeugt, die in einem Feedback-Verfahren mit Annotationen versehen werden kann. Das iRise Datenformat erlaubt das gepackte Weiterleiten der erzeugten Prototypen an Dritte und bietet sich damit auch als nützliche Beigabe zu jeder textuell ausgearbeiteten Spezifikation an. Zusätzlich integriert iRise auch selbst die Möglichkeit, Texte zu hinterlegen. Dadurch können einzelne UI Elemente mit den ihnen zugrunde liegenden Use Case Narrationen oder auch Anforderungen für Designentscheidungen verbunden werden. Im Unterschied zu Styleguides stellen iRise Simulationen daher eine erlebbare Dokumentation der UI Design Rationale dar. UIStandards sowie der Look einer Anwendung werden nicht nur textuell beschrieben, sondern auch als erlebbares Artefakt bereitgestellt. Damit kann auch das Feel einer Anwendung besser weitervermittelt werden. Die mit Prototypen erzielten Ergebnisse werden oft in Styleguides dokumentiert und treiben den weiteren UI Entwicklungsprozess an (Mayhew 1999). Styleguides stellen keine UI Spezifikationen dar, da sie in der Regel keine Kontextspezifischen Abbildungen oder Interaktionsbeschreibungen enthalten. Vor allem wenn die Implementierung eines UI durch eine dritte Partei vorgenommen wird, muss zusätzlich zum Styleguide eine Spezifikation angefertigt werden. Mayhew (1999) erläutert, dass eine solche UI Spezifikation in erster Linie aus Abbildungen besteht und nur an solchen Stellen Text enthält, an denen eine Abbildung alleine nicht ausreicht. Aus unserer Erfahrung heraus trifft dies vor allem dann zu, wenn das interaktive Verhalten eines UI im Detail beschreiben werden soll. Wir stellen im Workshop daher unsere Idee interaktiver UI Spezifikationen vor. 5.0 Interaktive UI Spezifikationen Eine interaktive UI Spezifikation verbindet die Grundidee von Styleguides mit dem Zweck einer Spezifikation. Sie speichert wichtige Designvisionen sowie -entscheidungen und dokumentiert Standards und Testergebnisse. Die textuelle Information wird durch UI Prototypen unterschiedlichen Detailgrads (low-, medium-, high-fidelity) angereichert. Zusätzlich enthält diese interaktive UI Spezifikation auch die am Beginn des Prozesses hergeleiteten Nutzungsanforderungen und -szenarien. Darauf aufbauend werden unterschiedliche (agile) Anforderungsmodelle als visuelle Notationen integriert, darunter z.B. Use Cases oder Aktivitätsdiagramme (Memmel et al., 2007c). Die interaktive UI Spezifikation, die in einem XML-basierten Format gespeichert und mit Dritten ausgetauscht werden kann, erlaubt somit den einfachen Wechsel von abstrakten Beschreibungen (Text), graphischen Nota- 47 tionen (Modelle) und UI Prototypen (Design). Mit einem experimentellen Werkzeug namens INSPECTOR (Memmel et al., 2008a/b/c/d) bauen wir auf vielversprechenden Werkzeugen wie iRise auf und ergänzen diese um eine Unterstützung von Anforderungsermittlung und UI Modellierung. Durch die Integration von Text, Modellen und Design können alle für eine UI Spezifikation notwendigen Informationen mit einem innovativen Zoom-Konzept zusammengeführt werden. Dies sorgt für eine leichte Nachvollziehbarkeit und starke Transparenz sowohl hinsichtlich der Topologie des Spezifikationsraums, als auch hinsichtlich der Entwicklungsaufgabe selbst. 6.0 Zusammenfassung In unserem Workshop zeigen und diskutieren wir ausgewählte Papierbasierte und interaktive UI Spezifikationstechniken. Diese unterstützen den Usability Professional bei der Identifikation von Erfordernissen und Anforderungen. Darüber hinaus helfen sie bei der Übersetzung von Anforderungen in graphische Notationen und UI Prototypen. Mit interaktiven UI Spezifikationen stellen wir eine Herangehensweise vor, die in Verbindung mit textuell ausgearbeiteten Anforderungs- und Interaktionsspezifikationen eine frühzeitige Veranschaulichung und Validierung von Lösungskonzepten fördern und so das Risiko minimieren, das wichtige textuell dargelegte Sachverhalte mangels Veranschaulichung schlichtweg übersehen werden. 7.0 Literaturverzeichnis DIN EN ISO 9241-11: Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit; Leitsätze, Beuth Verlag, Berlin 1998. DIN EN ISO 9241-110: Grundsätze der Dialoggestaltung, Beuth Verlag, Berlin 2006. 48 ISO IEC 15288: Systems and software engineering - System life cycle processes, Beuth Verlag, Berlin 2008. Workshop on the Design, Verification and Specification of Interactive Systems (DSV-IS 2008), S. 43-57. Springer: Kingston, Canada. Deutsche Akkreditierungsstelle Technik in der TGA GmbH (2007): Leitfaden Usability. http://www.datech.de/share/files/LeitfadenUsability.pdf [01.08.2008]. Memmel, T.; Geyer, F.; Rinn, J.; Reiterer, H. (2008b): Tool-Support for Interdisciplinary and Collaborative User Interface Specification. In Proc. of the IADIS International Conference on Interfaces and Human Computer Interaction (IHCI 2008), Amsterdam, Niederlande, S. 51-60 Deutsche Informatik-Akademie 2003 2008, Seminar „Nutzungsanforderungen an Anwendungssoftware identifizieren und spezifizieren”, http://www.diabonn.de/seminare/nutzungsanforderungen. html [01.08.2008]. Deutsche Informatik-Akademie 2003 2008, Seminar „User Interfaces für Anwendungssoftware - Entwurf und Prototyping”, http://www.diabonn.de/seminare/user_interf ace.html [01.08.2008].. Dzida, W.; Freitag, R. 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The Standish Group International Inc, Boston. Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Formulargestaltung für Dummies: Die häufigsten Fehler erkennen, beheben und zukünftig vermeiden Iris Niedermann soultank AG Alpenstrasse 11 CH-6304 Zug [email protected] www.soultank.ch Michael Hatscher Google Switzerland GmbH Brandschenkestr. 110 CH-8002 Zürich [email protected] www.google.ch Abstract Formulare sind im Web das Bindeglied zwischen Nutzer und Anbieter, sei es im E-Commerce-Bereich, bei Social Software oder anderen Webapplikationen. Wenn der Nutzer die Formulare unvollständig ausfüllt oder frustriert abbricht, weil nicht klar wurde, welche Informationen erwartet werden, so bleiben die 1.0 Einleitung Nicht realisierter Umsatz aufgrund hoher Abbruchquoten und erhöhte Kosten durch unvollständige oder fehlerhafte Datensätze, die durch notwendige Nachkontrollen personelle Ressourcen binden, sind Gründe dafür, sich mit der Gestaltung von internetbasierten Formularen auseinander zu setzen. Wenn ein Nutzer eine Testversion einer Software herunterladen möchte, muss er sich oft zuerst durch ein langes Formular quälen. Obwohl dies für den Nutzer eine Hürde darstellt, ist das Einloggen für die Unternehmung attraktiv: Man kennt den Nutzer, man kann zählen, wie oft er die Seite besucht und was genau er auf der Seite tut. So können auch Informationen wie Billing-Daten und vorher bestellte Artikel des Nutzers eingesehen werden. Zudem ermöglicht es dem Unternehmen, die eingeloggten Nutzer mit passenden Informationen zu versorgen. Obwohl die oben genannten Gründe wichtig für den Anbieter sind, scheint die Bedeutung der Formulargestaltung im B2C-Umfeld oft unterschätzt zu werden. Gerade im E-Commerce-Bereich geschieht die Kontaktaufnahme des Kunden mit dem Anbieter oft über ein Formular. Dies unterstreicht die Bedeutung Interessenten beider Seiten auf der Strecke: die der Nutzer und die der Anbieter. Deswegen ist es wichtig, sich mit den Grundregeln der Formulargestaltung auseinander zu setzen und sie anzuwenden. Bereits kleine Änderungen erzielen die gewünschte Wirkung – den zufriedenen und treuen Nutzer. Keywords der ansprechenden und benutzertauglichen Gestaltung eines Formulars: Der Kunde soll Vertrauen behalten oder gewinnen, der „Gast zum Stammbesucher mutieren“. empfohlen, ungleich lange Labels linksbündig anzuordnen, während gleich lange Labels rechtsbündig darzustellen sind. Die Empfehlungen dieser Norm sind aber nicht unumstritten. So weist Luke Wroblewski (2007a) darauf hin, dass es die Lesbarkeit erhöhe, gerade ungleich lange Labels linksbündig auszurichten, erklärt aber gleichzeitig, dass so die Zusammengehörigkeit von Label und Eingabefeld reduziert werde. Die Usability der verwendeten Formulare stellt eine wichtige Einflussgröße auf den Geschäftsprozess dar. Dennoch vernachlässigen viele Websites (Anbieter von Produkten und Dienstleistungen) ihre Formulare, d.h. ihre eigentlichen Kernapplikationen. Schlechte Usability lässt die Nutzer das Vertrauen in den Prozess und das Produkt verlieren und führt aufgrund von Nutzerfehlern zu Frustrationen und unter Umständen zum Abbruch des Prozesses und zum Wechsel zum nächsten Anbieter. 2.0 2.1 Formular Usability, ISO-Norm, ECommerce, RIA Ungleich lange Labels rechtsbündig auszurichten, führt zu hoher wahrgenommener Zusammengehörigkeit von Label und Feld, aber auch zu schlechter Lesbarkeit. Ein guter visueller Hintergrund, der die Zugehörigkeit unterstützt, kann dem Problem des weit entfernten Labelings entgegenwirken (Abb. 2.1.1 und Abb. 2.1.2) Der Weg zum guten Formular Norm vs. Realität Für die Gestaltung von Formularen wurde eigens die EN ISO 9241-17 „Dialogführung mittels Bildschirmformularen“ entwickelt, in der die Grundregeln der Formulargestaltung dargestellt werden. Das Grundproblem der Norm zeigt sich in ihrer allgemeinen Umschreibung der Gestaltung von Formularen. So wird beispielsweise Abb. 2.1.1: Vorher – keine Zusammengehörigkeit 49 3.1 Abb. 2.1.2: Nachher – Zusammengehörigkeit durch Farbhinterlegung erreicht. Grundsätzlich erscheint fraglich, inwieweit es sinnvoll ist, die Länge der Labels zur Grundlage einer Empfehlung zu machen. Unter Umständen führt dies dazu, dass beim Einblenden von zusätzlichen Feldern in dynamischen Formularen, bei Revisionen bestehender Formulare oder bei der Internationalisierung von Formularen das gesamte Formularlayout geändert werden muß – oder auch Formulare innerhalb einer Site unterschiedlich gestaltet werden. Hier scheinen grundsätzliche, für eine Site dann verbindliche Empfehlungen sinnvoll, wie sie z.B. die Apple Human Interface Guidelines (1993) ausspricht. Dass die Norm relativ „weich“ formuliert ist und wenig klare Anweisungen zur Gestaltung von Formularen beinhaltet, so dass man sie nicht bei technischen Neuerungen anpassen muss, kann – aus der Sicht der Normenautoren – als Vorteil gesehen werden. Der große Nachteil ihrer geringen normativen Kraft liegt jedoch darin, dass sie dem Benutzer der Norm sehr wenig klare Handlungsanweisungen an die Hand geben – sei es, wie man optimal Pflichtfelder hervorhebt oder wie man Fehler anzeigen sollte. 3.0 Hauptprobleme bei der Gestaltung von Formularen Die folgenden Hauptprobleme, geordnet nach Design, Navigation und Content, sind bei Online-Formularen häufig zu beobachten: 50 Design Im Kapitel „Design“ wird die grafische Gestaltung der Formulare aufgezeigt. Das Aussehen der Interaktionselemente und Dialoge, die Anordnung der Elemente und die verwendete Typografie stehen dabei im Zentrum des Interesses. Die beiden häufigsten Fehler sind einerseits, dass Formulare visuell mangelhaft gestaltet, d.h. überladen, sind und andererseits, dass Fehlermeldungen mangelhaft dargestellt werden. 3.1.1 Grafische Aspekte Wroblewski (2007b) schlägt vor, dass für den Nutzer ein „vertical alignment“ als besonders günstig angesehen wird, d.h. die Feldbeschriftung soll oberhalb des Eingabefelds stehen (Abb. 3.1.1). Bei längeren Formularen ist dies nicht günstig, da der Nutzer auf den ersten Blick überfordert und das Formular künstlich in die Länge gezogen wird. Außerdem rutscht es oft unter die Scrollgrenze (Fold), was die Orientierung erschwert. Dies geschieht besonders oft bei OnlineEinkaufsprozessen, die über mehrere Schritte gehen (Anmelden, Eingabe von Zahlungsmodalitäten wie Kreditkarte oder Paypal, Abschluss). Möglichkeiten, Pflichtfelder darzustellen: Sternchen (*), farbliche Abgrenzung etc. Gelegentlich kommt es leider auch vor, dass freiwillig auszufüllende Felder die Sternchenmarkierung aufweisen. Die Unternehmung sollte sich auch genau überlegen, welche Daten sie wirklich braucht: Es ärgert den Nutzer alle Eingabefelder eines langen Formulars ausfüllen zu müssen. 3.1.3 Fehlermeldung Fehlermeldungen sollten verständlich und auf einen Blick erkennbar und eindeutig zuordenbar sein – oder wie Wroblewski (2007b) schreibt: „visually distinguish errors from the rest of a form“. Dem Nutzer sollte die Möglichkeit gegeben sein, schnell und gezielt Fehler zu korrigieren. Bei einigen Formularen (Abb. 3.1.2) wird die Fehlermeldung oberhalb des gesamten Formulars eingeblendet, was zu einem „verblödenden“ Hin- und Herspringen zwischen der Fehlermeldung und dem zu korrigierenden Feld führt (das manchmal sogar unterhalb der Scrollgrenze liegt!). Abb. 3.1.1: Feldbeschriftung oberhalb des Eingabefeldes. 3.1.2 Pflichtfeldermarkierung Für den Nutzer soll gleich ersichtlich sein, welche Felder ausgefüllt werden müssen. Es gibt verschiedene Abb. 3.1.2: Umständliches Fehlersuchen ist vorprogrammiert. Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Effektiver ist es, den Nutzer in der unmittelbaren Nähe des Eingabefeldes mit grafischen Mitteln auf den Fehler hinzuweisen, z.B. mittels Farbe und Beschreibung: „Bitte geben Sie Ihren Nachnamen ein“. So ist auf den ersten Blick ersichtlich, wo eine fehlerhafte Eingabe gemacht wurde und wie diese korrigiert werden kann (Abb. 3.1.3). Nutzer sollten bei fehlerhafter Eingabe nur die Quelle des Fehlers bearbeiten müssen. Statusleiste ist dafür unerlässlich (Abb. 3.2.1). Dabei sollte die Möglichkeit bestehen, über die Statusleiste zurückzunavigieren und allfällige Änderungen anzubringen, ohne dass die vorher mühsam eingegebenen Angaben zurückgesetzt werden. Im Mindesten soll es möglich sein, über den Browser zurückzunavigieren. Denn gerade der Abschluss eines Zahlungsprozesses ist für Unternehmen, die ihre Produkte vorwiegend über das Internet vertreiben, essenziell. Abb. 3.2.1: Statusleiste. Abb. 3.1.3: Nutzer sieht auf den ersten Blick, wo Korrekturen anzubringen sind. Ein glücklicherweise immer seltener zu sehendes Phänomen ist, dass bei einer Fehlermeldung der bisher eingegebene Inhalt verschwindet. 3.2 Eingabeformat Der Nutzer sollte wissen, was und vor allem wie er die Eingabe machen soll. So hilft die Angabe des Eingabeformats eines Geburtsdatums mittels TT.MM.JJJJ oder DD/MM/YYYY etc. (Abb. 3.2.2). Abb. 3.2.3: Der Nutzer wird erst nach Eingabe seines Anliegens mit einer „Eingabebegrenzung“ überrascht. Hier können RIAs (Rich Internet Applications), die auf Technologien wie Ajax oder Adobe Flex beruhen, helfen, da der Client laufend Daten mit dem Server austauschen und zwischenspeichern kann. Die Eingabevalidierung zeigt dem Nutzer während der Eingabe an, ob er bspw. die Eingabegrenze in einem Textfeld überschritten hat (Abb. 3.2.4). Navigation Der folgende Abschnitt beschäftigt sich mit der Navigation. Der Fokus liegt dabei auf den Interaktionsprozessen, der Benutzerführung und der Bedienphilosophie von Formularen. Es soll auf die Orientierung während eines Anmeldeprozesses mittels Formularen eingegangen werden sowie auf die adäquate Rückmeldung während einer Angabe. 3.2.1 3.2.2 die entsprechenden Informationen entweder innerhalb des Formulars oder durch die Benutzer extern abrufbar zur Verfügung gestellt werden. Statusleiste Nutzer ärgern sich, wenn sie nicht wissen, aus wie vielen Schritten sich der Online-Zahlungsprozess zusammensetzt und wenn sie bei jedem „Weiter“Button mit jeweils einem neuen Formular überrascht werden, ohne eine Idee zu haben, wann sie endlich den Einkaufprozess für das gewünschte Produkt zum Abschluss bringen können. Eine Abb. 3.2.4: Zeigt an, wie viele Zeichen noch eingegeben werden können. Abb. 3.2.2: Eingabeformat ist vorgegeben. 3.2.3 Eingabegrenzen Es ist sicher schon vielen Nutzern passiert, dass ihre Eingaben aus nicht ersichtlichen Gründen verworfen wurden (Abb. 3.2.3). Wroblewski (2007a) sieht die Lösung folgendermaßen: „When input fields have a high potential for errors, consider providing inline validation”. Dies impliziert die Rückmeldung via Rich Internet Applications (RIA). Wenn für die Verarbeitung von Informationen nur bestimmte Eingabewerte zulässig sind, sollten den Benutzern Dieses direkte Feedback hilft dem Nutzer die Eingabe zu kürzen, sobald er zu viele Zeichen verwendet: „Provide adequate feedback to people filling in your forms” (Spool 2008). 3.3 Content In diesem Abschnitt geht es um die Inhalte von Formularen. Nützlichkeit und Menge der Information, Sprachstil sowie die Gestaltung von Hilfe- und HinweisTexten stehen im Zentrum des Interesses. Oft steht die Menge der erfragten Angaben in keinem Verhältnis zum Nutzen für den User: Es werden zu viele Informationen erfragt. 51 Dem Nutzer muss klar sein, wofür die Formulareingaben nützlich sind – oder wie es Wroblewski (2007a) ausdrückt: „your customer’s interests are clearly aligned, explain why you are asking for data that may not seem relevant“ (Wroblewski 2007). Spool (2008) betont auch, dass der häufigste Fehler darin liege, dass der Nutzer nicht wisse, wofür er seine Adresse eingeben soll, wenn er nur eine Freeware downloaden möchte: „Remove unnecessary inputs“, macht Wroblewski die klare Ansage. 4.0 Fazit Es gibt eine Vielzahl weiterer Verbesserungspotenziale, die jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht berücksichtigt werden können. Es wurde aus der Erfahrung auf einige wichtige und oft gesehene, zum Teil auch einfach lösbare Probleme in der Formulargestaltung hingewiesen. Der Erfolg von OnlineGeschäftsprozessen wird durch die Reduktion der Formulare auf das Wesentliche nach dem KISS-Prinzip gesteigert („Keep it simple stupid“). Dies kann durch die frühzeitige Einbindung des Nutzers in den iterativen Entwicklungsprozess gewährleistet werden. So werden einerseits mehr Interessenten zu Kunden konvertiert, und bestehende Kunden werden zu loyalen Stammkunden. Obwohl Formulare eine alt bekannte Form der Kommunikation zwischen Nutzern im Web sind und eine ISONorm zu dem Thema existiert, sind heute noch fehlerhafte Darstellungen und schwierig verständliche Beschriftung vorhanden. Um zu gewährleisten, dass ein geschäftsrelevantes Formular (-workflow) funktioniert, sollte jede Formularapplikation aus der Sicht des Nutzers gestaltet werden, d.h. bei der Gestaltung des Workflows sollte man sich immer Gedanken machen, was der Nutzer bei diesem und beim nächsten Schritt erwartet. Dieser Ansatz verhilft zu einer besseren Usability und erhöht wiederum 52 das Vertrauen in das Unternehmen und das Produkt. 4.1 Quellenverweise Apple Computer, Inc. (1993). Macintosh Human Interface Guidelines. Readin, MA: Addison-Wesley Publishing Co. Spool, J. (2008). Account Sign-in: 8 Design Mistakes to Avoid. http://www.uie.com/articles/account_design _mistakes/ (Letzter Zugriff: 05.06.2008) Wroblewski, L. (2007a). 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Trust: Design Guidelines for E-Commerce User Experience. http://www.nngroup.com/reports/ecommerc e/trust.html (Letzter Zugriff: 25.09.2007). Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 E yetracking 53 54 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Visuelle Orientierung auf einer Website – Vergleich von Sehbehinderten und Normalsichtigen mittels Eye Tracking Sabrina Duda eye square GmbH Schlesische Str. 29-30 10997 Berlin [email protected] www.eye-square.de Matthias Saur Friedenstr. 61 10249 Berlin [email protected] Abstract In einer immer älter werdenden Gesellschaft nimmt auch die Zahl der Menschen zu, die altersbedingt an Sehstörungen leiden. Umso wichtiger ist es zu untersuchen, ob es Unterschiede in der 1.0 Einleitung Das Internet ist für Menschen in jedem Alter zu einer wichtigen Quelle von Information und Unterhaltung geworden. Das vielleicht spannendste Ergebnis im (N)ONLINER Atlas 2007 war, dass gerade in den höheren Altersgruppen ein großer Zuwachs an neuen Internetnutzern zu verzeichnen ist. Demnach sind 58,3 Prozent der Deutschen zwischen 50 und 59 „online“. Bei den über 60jährigen sind immerhin 35,5 Prozent im Internet aktiv. Keine andere Generation hat in den letzten Jahren eine vergleichbare Wandlung vollzogen – und der Trend scheint anzuhalten. Altersbedingt leiden einige dieser Nutzer an Sehbehinderungen, die über eine einfache Sehstörung hinausgehen. Um ihnen das Lesen von Webhinhalten zu vereinfachen, gibt es spezielle Vergrößerungssoftware, die wie eine Lupe für Websites funktioniert. Der Bildschirm kann bis zu dreißigfach vergrößert werden. Die Nutzer scrollen dabei in Ausschnitten über die Seite oder benutzen Shortcuts auf der Tastatur, um auf der Seite zu navigieren. In der vorliegenden Studie nutzten alle Testpersonen ausschließlich eine Vergrößerungssoftware. Somit sind die Ergebnisse auf diese spezielle Art der Orientierung auf Websites zwischen Sehbehinderten und Nichtsehbehinderten gibt. eye square hat mittels Eye Tracking grundlegende Unterschiede untersucht und analysiert. Keywords Webnutzung bezogen, Screen Reader Nutzung wurde nicht untersucht. nik bereits seit dem Jahr 2001 bei Studien zur Web-Usability ein. Speziell von eye square entwickelte Software unterstützt die Datenauswertung und Visualisierung. Nur wenige Websites sind auf die Nutzung mit Vergrößerungssoftware ausgerichtet. Aus diesem Grund gilt es, eine wichtige Frage zu klären: Orientieren sich sehbehinderte Menschen auf Websites anders als Nichtsehbehinderte? Und wenn ja – welche Unterschiede sind feststellbar? Bisher gab es kaum Forschung auf diesem Gebiet, so dass es noch ein weites Feld zu explorieren gilt. Abb. 1: Usability Lab mit Eye Tracking Monitor und Einwegscheibe Die Analyse der visuellen Orientierung geschah im Rahmen einer Usability Studie mit Eye Tracking. In dieser Untersuchung unter Laborbedingungen wurde die Technik des Eye Tracking dazu genutzt, um mögliche Unterschiede im Blickverhalten von Sehbehinderten und Nichtsehbehinderten zu messen. eye square setzt diese Tech- Eye Tracking, Blickbewegung, Visuelle Orientierung, Bildschirmvergrößerung, Sehbehinderung. 1.1 Untersuchte Aspekte und Hypothesen Drei Hauptaspekte der visuellen Orientierung sollen im Rahmen der Studie erforscht werden: Die allgemeine visuelle Orientierung – man kann hierbei auch von einer Blickstrategie sprechen. Beim Betrachten einer Website haben Nutzer eine bestimmte Strategie, um die für sie relevanten Informationen zu finden. Die Website wird sozusagen „gescannt“. Dadurch ergibt sich ein Blickpfad. Es wird angenommen, dass Sehbehinderte und Nichtsehbehinderte hierbei verschiedene Strategien und somit verschiedene Blickpfade nutzen. Die visuelle Orientierung an Bildern und Text. Durch die Vergrößerung durch die Software werden auf der Website eingebundene Bilder weniger scharf dargestellt. Das heißt, dass Sehbehinderte deutlich unschärfere Bilder erhalten. Bei starker Vergrößerung wird das Bild zudem nur in Ausschnitten sichtbar. Daher wird erwartet, dass Sehbehinderte sich weniger stark an Bildern orientieren und 55 dafür mehr am Text. Entscheidend ist hierbei das Verhältnis, in dem Text und Bild von jeder Gruppe betrachtet werden. Die allgemeine strategische Orientierung auf der Website. Dies wird an der Anzahl der Seitenaufrufe festgemacht, die eine Testperson benötigt, um eine gewünschte Information zu finden. In einer früheren Studie von Coyne & Nielsen wurde festgestellt, dass sehbehinderte Menschen eine höhere Anzahl von Seitenaufrufen benötigen, um an ihr Ziel zu kommen (Coyne & Nielsen 2001). Daher wird auch in dieser Studie bei den Sehbehinderten eine höhere Anzahl von Seitenbesuchen erwartet als in der Kontrollgruppe. 2.0 Testdurchführung 2.1 Stimulus und Testmaterial Die Website, mit der die Studie durchgeführt wurde, sollte möglichst lebensnah sein und für die Teilnehmer eine gewisse persönliche Relevanz haben. Um dies zu gewährleisten, wurde die Website eines lokalen Radiosenders ausgewählt (Radio Eins). Damit der persönliche Bezug gesichert werden konnte, wurden ausschließlich Testpersonen ausgewählt, die Radionutzer sind. Der Großteil der Testteilnehmer zählte sich laut Vorbefragung sogar zur Stammhörerschaft des Senders. Die Untersuchung wurde mit der live Website des Radiosenders durchgeführt. Abb. 2: Radio Eins Website Die Testpersonen lösten acht Aufgaben, die ebenfalls einen starken Alltagsbezug 56 aufwiesen. So suchten sie zum Beispiel nach der Radiofrequenz für eine bestimmte Region oder nach dem Interpreten eines gerade gespielten Musiktitels. In einer Vorbefragung wurden demografische Daten sowie Radionutzung und Computer- und Interneterfahrung der Teilnehmer erhoben. 2.2 Untersuchungsgruppen N=12 Personen nahmen an der Studie teil. Davon hatten sechs eine Sehbehinderung, sechs Teilnehmer waren normalsichtig. Um Aussagen über die kognitive Aufnahme einer Information treffen zu können, werden weitere Daten benötigt. Von einer kognitiven Aufnahme geht man nur während einer Fixierung der Pupille aus. Es muss also festgestellt werden, wann die Pupille einen Punkt fixiert hat und wann sie die Blickrichtung wechselte. Dazu wird die Geschwindigkeit der Pupille zwischen zwei gemessenen Blickpunkten aufgenommen. Bewegt sich diese unterhalb eines spezifisch festgelegten Grenzwertes, kann in dem betreffenden Blickabschnitt von einer Fixierung ausgegangen werden. In der Vorbefragung bewerteten die Teilnehmer ihre Computer- und Interneterfahrung auf einer Skala von 1 bis 5 (1 = „sehr gering“ und 5 = „sehr hoch“). Im Durchschnitt bewerteten die Tester sich selbst mit 3,9 – also als routinierte Nutzer. Das Durchschnittsalter der Sehbehinderten lag bei 48 Jahren. Die Gruppe der Nichtsehbehinderten war mit einem Schnitt von 45,3 Jahren nur unwesentlich jünger. 2.3 Die Eye Tracking Technik Hauptbestandteil der Untersuchung war die Registrierung der Blickbewegung mit der Eye Tracking Technik. Eine Grundannahme dieser Technik ist, dass die kognitive Aufnahme und Verarbeitung einer Information im ersten Schritt durch das scharfe Sehen eines Objektes möglich wird. Es gibt nur einen kleinen Bereich auf der Netzhaut im menschlichen Auge, in dem scharfes Sehen möglich ist. Mit der Technik des Eye Tracking kann der Winkel gemessen werden, in dem die Pupille auf ein bestimmtes Objekt gerichtet ist. Dadurch ist es möglich auszurechnen, welcher Punkt vom Auge scharf wahrgenommen werden konnte. Abb. 3: Testsituation im Usability Lab mit Eye Tracking Monitor Der Eye Tracker wird auf jeden Probanden individuell eingestellt (Kalibrierung). Dabei wird das Gesichtsfeld der Testperson ausgemessen. Die Blickbewegung kann nicht zwingend Aussagen darüber treffen, welche Reizinformationen vom Gehirn tatsächlich verarbeitet werden. Die Betrachtung von Objekten ist keine hinreichende, allerdings eine notwendige Bedingung dafür, dass Reize verarbeitet werden. Das Eye Tracking liefert verlässliche Informationen über nicht beachtete Bereiche und Objekte, sowie über Blickhäufigkeiten und Blickreihenfolgen. Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 3.0 Ergebnisse 3.1 Daten Die gemessenen Daten aus der Gruppe der Nichtsehbehinderten wurden mit der von eye square entwickelten Software „Visualizer“ ausgewertet. Aufgrund des veränderten Bildschirmausschnitts durch die Vergrößerungssoftware war eine automatisierte Datenverarbeitung bei der Gruppe der sehbehinderten Personen nicht möglich. Die aufgenommenen Blickbewegungen wurden daher im ersten Schritt manuell kodiert. Danach konnte eine Weiterverarbeitung durch den „Visualizer“ erfolgen. Für den Vergleich der Orientierung an Bild oder Text wurde für beide Bereiche je eine kumulierte Fixationsdauer berechnet. Der eye square „Visualizer“ gibt hierzu die Verweildauer in Millisekunden aus. Auf der jeweiligen Webseite werden mit Hilfe des „Visualizers“ so genannte „Areas of Interest“ definiert. In diesem Fall wurden die Seiten in Bild- und Textbereiche eingeteilt. Die Hypothese, ob Sehbehinderte insgesamt mehr Seiten aufrufen müssen, um ans Ziel zu gelangen, wurde durch einen Vergleich der Gesamtanzahl von Seitenaufrufen pro Gruppe geprüft. länge Blickpfadfläche Übergangsdichte Text-Bild-Verhältnis Abb. 4: Darstellung der Blickdichteverteilung mit dem eye square „Visualizer“ 3.2 Auswertung Für jede der drei Hypothesen wurden spezifische Parameter festgelegt, an denen die Bestätigung der Hypothesen oder deren Ablehnung abzulesen sind: Die visuelle Orientierung, beziehungsweise die Blickstrategien der Gruppen, wurden anhand der gemessenen Blickpfadlänge, Blickpfadfläche und der Übergangsdichte verglichen. 20000 15000 15739 10000 6602 5000 0 Normalsichtige Sehbehinderte Abb. 6.: Blickpfadlänge (Mittelwerte in Pixel) Blickpfadfläche in Pixel 200000 180000 160000 158666 147330 140000 120000 Blickpfad- Da die getestete Website während der Durchführung redaktionell verändert wurde und die Tester teilweise verschiedene Seiten aufgerufen haben, wurden für jeden Parameter bestimmte Webseiten ausgewählt, die von allen Testern besucht worden waren und deren Inhalt konstant geblieben war. Blickpfadlänge in Pixel Seitenbesuche pro Aufgabe Kumulierte Distanz zwischen den Fixationen eines Blickpfads Fläche, die gebildet werden kann, wenn die äußersten Fixationen eines Blickpfads miteinander verbunden werden Normalsichtige Übergangsdichte in Prozent 50 40 Kumulierte Fixationsdauer in den Bildbereichen in Prozent zum gesamten Inhaltsbereich (Bildbereiche und Textbereiche) 10 Anzahl der Seiten, die bis zur Lösung einer Aufgabe besucht wurden Ergebnisse zu den Hypothesen Die erste Hypothese konnte nicht bestätigt werden. Bezüglich der Blickpfadlänge, Blickpfadfläche und Übergangsdichte auf den Webseiten gab es keine signifikanten Unterschiede zwischen Sehbehinderten und Nichtsehbehinderten. Die Werte fallen bei der Gruppe der Sehbehinderten jedoch tendenziell etwas niedriger aus. Sehbehinderte Abb. 7: Blickpfadfläche (Mittelwerte in Pixel) Anzahl der Übergänge zwischen Bereichen in Prozent zu den möglichen Übergängen Abb. 5: Parameter Definitionen 3.3 100000 30 20 16 10 0 Normalsichtige Sehbehinderte Abb. 8: Übergangsdichte (Mittelwerte in Prozent) Die zweite Hypothese, dass Sehbehinderte sich weniger an der Bebilderung einer Website orientieren, konnte bestätigt werden. Die kumulierte Fixationsdauer auf den Bildern ist bei dieser Gruppe signifikant geringer als bei der Gruppe der Nichtsehbehinderten. 57 Verhältnis Bild-Gesamtinhalt in Prozent 50 40 30 23 20 18 10 0 Normalsichtige Sehbehinderte Abb. 9: Verhältnis Bild-Gesamtinhalt (Mittelwerte in Prozent) Abb.10: Darstellung der Wahrnehmungsdauer auf den verschiedenen Areas Die Datenlage zur dritten Hypothese überraschte: Entgegen der Annahme benötigten die sehbehinderten Testpersonen signifikant weniger Seitenaufrufe, um die Aufgaben zu lösen. Die Hypothese, dass sich Sehbehinderte schlechter auf einer Website orientieren können, muss somit verworfen werden. Dieses Ergebnis ist umso erstaunlicher, da es der Studie von Coyne & Nielsen von 2001 widerspricht. In deren Studie war die Anzahl von aufgerufenen Seiten bis zur Lösung bei Sehbehinderten deutlich höher als bei der Kontrollgruppe. Anzahl Seitenbesuche pro Aufgabe 10 8 6 4,5 4 3,9 2 0 Normalsichtige Sehbehinderte Abb.11: Seitenbesuche (durchschnittliche Anzahl pro Aufgabe) 58 4.0 Diskussion Das visuelle Verhalten von Sehbehinderten und Nichtsehbehinderten scheint hinsichtlich der untersuchten Aspekte sehr ähnlich zu sein. Jedoch ist damit nicht gesagt, dass es generell keine Unterschiede gibt. Es traten vereinzelt Signifikanzen bezüglich der Blickpfadparameter auf. Diese könnten in weiteren Studien zum Aufbau der getesteten Website ins Verhältnis gesetzt werden. In dieser Studie war es nicht das Ziel, konkrete Bezüge zur Gestaltung der Website herzustellen. Dieser Forschungsfrage könnte in weiteren Studien nachgegangen werden. Die Frage nach dem Bezug zum Aufbau einer Website stellt sich auch in Hinsicht auf die Bildorientierung von Sehbehinderten. Da Sehbehinderte Bilder auf Websites weniger stark betrachten, könnte bei der Entwicklung von zielgruppenspezifischen Websites auf eine starke Bebilderung verzichtet werden. länger als die Teilnehmer der Kontrollgruppe. Dies könnte durch den engen inhaltlichen Zusammenhang vom Text mit der Vorstellung des Mitarbeiters und dessen Bild begründet sein: Das Bild trägt hier Informationen, die nicht im Text dargestellt werden können. Ist das Bild nur visuelle Unterstützung, wie auf den anderen untersuchten Seiten, enthält das Bild keinen Mehrwert. Die geringere Anzahl von Seitenbesuchen bei Sehbehinderten lässt vermuten, dass sie mit dem Aufbau der Website, beziehungsweise mit der Aufgabelösung, besser zu Recht kamen. Zu bedenken ist hierbei, dass die Sehbehinderten mehr Zeit zum Lösen der Aufgabe benötigen. Möglicherweise sahen sich die Testpersonen die Webseite länger und somit gründlicher an, bevor sie die nächste Seite wählten. Nichtsehbehinderte könnten eine Tendenz dazu haben, die Seiten eher zu überfliegen und rasch den ersten möglichen Link auszuwählen, der zum gewünschten Ziel führen könnte. 4.1 Fazit Es lässt sich zusammenfassen, dass die Untersuchung des Orientierungsverhaltens von Sehbehinderten einen ersten Schritt auf dem Weg der weiteren Forschung darstellt. Auf den Ergebnissen dieser Studie können weitere Untersuchungen aufbauen, die auf die einzelnen Punkte noch gezielter eingehen. Abb. 12: Verweildauer auf einzelnen Areas Bei der Auswertung der Daten zu dieser Hypothese deutete sich ein weiterer interessanter Zusammenhang an: Während Sehbehinderte auf den meisten Unterseiten der Radio Eins Website die Bebilderung, die nur Zusatzinformationen zum Text lieferte, weniger beachteten als Nichtsehbehinderte, trat auf der Website „Mitarbeiter“ eine Abweichung auf. Sehbehinderte betrachteten die Bilder der Mitarbeiter Am spannendsten und aussichtsreichsten scheint die Frage nach den Zusammenhängen von Bild und Text und deren Auswirkungen auf die Beachtung durch Sehbehinderte zu sein. Ziel der Forschung sollte sein, Internetseiten besser auf die Bedürfnisse von Sehbehinderten zuzuschneiden; denn in Zukunft werden noch mehr Menschen das Internet nutzen, die selbst mit Sehhilfen nicht mehr 100% Sehschärfe erreichen. Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 5.0 Literaturverzeichnis Coyne, K. P.; Nielsen, J. (2001): Beyond alt text: Making the web easy to use for users with disabilities. Fremont: Nielsen Norman Group. Saur, M. (2007): Analyse der visuellen Orientierung auf einer Website mittels Eye Tracking. Diplomarbeit im Studiengang Kommunikationspsychologie, Hochschule Zittau (Görlitz). TNS Infratest: (N)ONLINER Atlas 2007. 59 Software-ergonomische Evaluation eines Buchungsportals für Flugtickets mittels Blickbewegungsanalyse Ludger Schmidt Mensch-Maschine-Systemtechnik Universität Kassel Mönchebergstraße 7 34125 Kassel [email protected] www.mensch-maschinesystemtechnik.de Elena Simeonova Manager Online Sales, Development and Operation FRA XD/E Deutsche Lufthansa AG Lufthansa Aviation Center 60546 Frankfurt/Main [email protected] Abstract Gegenstand dieses Beitrags ist die empirische Untersuchung eines webbasierten Buchungsportals für Flugtickets. Zunächst wird die Methodik der Blickbewegungsanalyse kurz vorgestellt, die als Evaluationsverfahren eingesetzt wurde. Damit stehen zusätzlich zu Leistungsdaten (wie Ausführungszeiten und Fehler) weitere verhaltensbeschreibende objektive Daten zur Verfügung, die durch in Benutzerbefragungen erhobene, subjektive software-ergonomische Bewertungen ergänzt werden. Ziel der Untersuchung war es, durch diese Methodenkombination Gebrauchstauglich- 1.0 Einleitung In diesem Beitrag wird die softwareergonomische Evaluation eines webbasierten Buchungsportals für Flugtickets vorgestellt, bei der über eine Blickbewegungsmessung der Versuchspersonen objektive Verhaltensdaten erhoben wurden. Die Blickbewegungsanalyse erfolgte in Kombination mit einem Fragebogen und bei der Aufgabenbearbeitung erhobenen Leistungsdaten. Anhand von konkreten Ticket-Buchungsaufgaben sollte so auch der Frage nachgegangen werden, ob sich subjektive und objektive Daten sinnvoll gegenseitig ergänzen, so dass im Ergebnis besser auf Benutzbarkeitsdefizite geschlossen werden kann. 2.0 Methodik Als Blickbewegungsmessung wird eine indirekte Beobachtungsmethode 60 keitsdefizite der Buchungsoberfläche aufzudecken und daraus Gestaltungshinweise zur software-ergonomischen Verbesserung abzuleiten. Am Experiment nahmen 20 Probanden teil, die jeweils drei repräsentative Buchungsaufgaben lösen mussten. Die Analyse der Blickbewegungs- und Leistungsdaten sowie die Fragebogenauswertung identifizierten teilweise übereinstimmende Problembereiche, ein Teil der Defizite konnte jedoch nur anhand der Blickbewegungsdaten aufgedeckt werden. Keywords bezeichnet, mit der sowohl Bewegungen als auch das Verharren der Blicke des Benutzers in einer offenen oder verdeckten Weise erfasst und lokalisiert werden. Dadurch wird versucht, Rückschlüsse auf die Prozesse der Aufnahme, Verarbeitung und Speicherung von Informationen auf kognitiver Ebene zu ziehen (Leven 1991). Bei dem im Rahmen dieser Untersuchung eingesetzten Gerät wird Infrarotlicht auf das Auge der Versuchsperson gestrahlt und die resultierenden Cornea-Reflexe erfasst und ausgewertet. Auf diese Weise werden dynamische Informationen über Blickbewegungen gewonnen und mit Bildern von einer Szenenkamera, die das jeweilige Bild vor den Augen der Person aufnimmt, überlagert. Das Ergebnis ist ein Szenenbild mit einer Markierung der momentanen Blickposition. Die Messung liefert damit eine objektive Protokollie- rung des Benutzerverhaltens hinsichtlich der visuellen Wahrnehmung einer Benutzungsschnittstelle und Daten über den örtlichen und zeitlichen Verlauf der menschlichen Aufmerksamkeit. Head Mounted Eye Tracking, SoftwareErgonomie, Webseitenuntersuchung, Evaluationsmethodenmix Die Blickregistrierungsparameter geben Hinweise zur kognitiven Beanspruchung der Anwender bei der Interaktion mit einem System, so dass die Erkenntnisse auch zur software-ergonomischen Bewertung benutzt werden können. So ist es z. B. möglich, Aussagen über die Sichtbarkeit und Verständlichkeit einzelner Bereiche der Benutzungsschnittstelle abzuleiten und damit die Effektivität eines Layouts zu evaluieren. Allerdings ist der technische, methodische und auswertungsbezogene Aufwand insbesondere bei dynamischen Webseiten und/oder Bildschirm-Scrollbedarf relativ hoch. Die Methode eignet sich dafür, in Kombination mit anderen Datenerhebungsverfahren (z. B. Interviews, Frage- Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 bögen und Leistungsmessungen) verwendet zu werden (Karn et al. 2000), wie es auch in dem hier vorgestellten Evaluationsansatz erfolgen soll. Zur Erfassung und Analyse von Blickbewegungen haben sich verschiedene Kennzahlen etabliert. Die Anwendung bestimmter Größen für die Untersuchung einer grafischen Benutzungsschnittstelle hängt jedoch stark vom jeweiligen Untersuchungsziel und -gegenstand sowie von den technischen Gegebenheiten des verwendeten Blickregistrierungssystems ab. In einem literaturanalytischen Vorgehen wurden mögliche Blickbewegungsparameter, typische Wertebereiche und deren Eignung für die Aufdeckung softwareergonomischer Probleme identifiziert. Zentrale Parameter lassen sich aus Fixationen und Sakkaden der Blicke ableiten: x x x x x Durchschnittliche Fixationsdauer als Maß für die visuelle Aufmerksamkeit bezogen auf das fixierte Objekt, Anzahl Fixationen als Maß für die Beanspruchung durch Informationssuche und -aufnahme, Verweildauer innerhalb einer Area of Interest (AoI) als Maß für die kognitive Beanspruchung bei der Informationsaufnahme, durchschnittliche Anzahl Sakkaden pro Zeiteinheit als Maß für die Anforderungen einer visuellen Aufgabe mit stark eingeschränkter Informationsaufnahme und Anzahl Sakkaden als Maß für die Effektivität der Oberflächengestaltung, insbesondere der räumlichen Anordnung. Für einen detaillierten Überblick weiterer Kenngrößen und ihrer software-ergonomischen Interpretation sei auf Goldberg & Kotval (1998), Rötting (2001), Jacob & Karn (2003), Poole & Ball (2004) sowie Link et al. (2008) verwiesen. 3.0 Versuchsdurchführung An der Untersuchung nahmen insgesamt 20 Probanden im Alter von 25 bis 56 Jahren teil (Durchschnittsalter 35 Jahre, 14 männlich, 6 weiblich, alle mit Deutsch als Muttersprache). Sie nutzten regelmäßig das Internet und hatten teilweise erste Erfahrungen mit Online-Flugbuchungen (max. 5 Buchungen). Die Untersuchung fand unter Laborbedingungen statt, um gleich bleibende Umgebungsbedingungen zu gewährleisten. Die Versuchsperson saß mit dem am Kopf befestigten Blickbewegungsmessgerät (Fa. SensoMotoric Instruments; mit Infrarotdiode, halbdurchlässigem Spiegel, Augenkamera und Szenenkamera) vor einem PC mit Internetzugang zum Buchungsportal. Auf einem zweiten PC, der von der Versuchsleitung genutzt wurde, war die Software zur Kalibrierung und Auswertung der Blickbewegungsmessung installiert. An diesem war neben dem Blickbewegungsmessgerät auch eine zusätzliche Videokamera angeschlossen, die die mit einem Fadenkreuz überlagerten Szenenbilder aufnahm. Diese Videoaufzeichnungen dienten später der Blickbewegungsanalyse und der Auswertung der Leistungsdaten (Zeiten, Fehler). Vor Versuchsbeginn wurden den Probanden der Versuchsablauf und die Funktionsweise der Blickbewegungsmessung erläutert. Nach selbstständigem Ausfüllen des Fragebogens zu den demographischen Angaben wurde das Blickbewegungsmessgerät kalibriert. Dieser Prozess nahm zwischen 5 und 45 Minuten in Anspruch. Anschließend wurde den Versuchspersonen eine Buchungsaufgabe vorgelesen und ein Hilfsblatt mit den wichtigsten Buchungsdaten ausgehändigt. Die Person bearbeitete dann die Aufgabe mit der zu untersuchenden Buchungs- oberfläche mittels eines Web-Browsers. Dann wurden in gleicher Art und Weise zwei weitere Aufgaben gestellt und bearbeitet, deren Reihenfolge insgesamt randomisiert war, um Reihenfolgeeffekte zu vermeiden. Die Aufgaben (Buchung einer Hin- und Rückreise, einer einfachen Reise und eines Sonderangebotes) sind repräsentativ für bestimmte Kundengruppen und wurden auf Basis einer vorherigen Nutzungsanalyse ausgewählt und gestaltet. Sie umfassen jeweils sieben Buchungsschritte (Strecke, Datum, Flugmöglichkeiten, Preis, Passagierangaben, Bezahlung und Buchungsbestätigung). Nach Abschluss der letzten Aufgabe wurden die Versuchsteilnehmer gebeten, einen Ergebnis- und Bewertungsfragebogen auszufüllen. Die Beurteilung verschiedener software-ergonomischer Kriterien erfolgte im Bewertungsteil dabei anhand einer fünfstufigen Likertskala (1 = sehr gut, 2 = gut, 3 = befriedigend, 4 = ausreichend, 5 = mangelhaft). Der Versuch dauerte je Person zwischen 50 und 90 Minuten; die Zeit war im Wesentlichen von der Kalibrierungsdauer abhängig. Aufgrund eines technischen Defekts der Blickregistrierung standen diesbezüglich für die Auswertung nur die Daten von 16 der 20 Probanden zur Verfügung; bei den Fragebögen und Leistungsmaßen wurden alle 20 Teilnehmer berücksichtigt. 4.0 Ergebnisse und Gestaltungsvorschläge Die Auswertung der Blickbewegungs- und Leistungsdaten sowie der Fragebögen lieferte trotz des hohen Erprobungsgrades der Buchungsschnittstelle und ihrer Vorgängerversionen insgesamt zahlreiche Hinweise, die im Sinne einer formativen Evaluation für die Überarbeitung der Buchungsoberfläche genutzt werden konnten. Im Folgenden 61 könnte Abhilfe schaffen (Abb. 1 rechts). Abb. 1: Untersuchte Eingabemaske für den ersten Buchungsschritt (links) und umgestaltete Variante (rechts) werden einige exemplarische Resultate aufgeführt. bar über Destination und Reisedatum positioniert worden (Abb. 1 rechts). In Abb. 1 ist links die generelle Eingabemaske gezeigt, die als Einstieg in die Buchungsaufgaben „Hin- und Rückreise“ sowie „Einfache Reise“ genutzt wurde. Im Fragebogen wurde zwar von über 70 % der Teilnehmer eine alternative Beschriftung mit „Hin- und Rückflug“ (AoI 1a) bzw. „Nur Hinflug“ (AoI 1b) bevorzugt, insgesamt wurde die Maske aber bei beiden Buchungsarten als hilfreich empfunden (Median der Bewertung: 2). Die objektiven Beobachtungsdaten zeigten jedoch, dass im Falle einer Einfachreise 20 % der Versuchspersonen die entsprechende (nicht vorselektierte) Option in der AoI 1b nicht ausgewählt haben. Obwohl bei der Einfachreise gegenüber der Hin-/Rückreise zwei Felder weniger ausgefüllt werden mussten, was sich auch in der 3 % kürzeren mittleren Bearbeitungszeit niederschlug, war die durchschnittliche Anzahl der Sakkaden mit 43,2 um 6 % höher als bei der Hin- und Rückreise. Dies kann mit erhöhtem visuellem Suchaufwand bei der Einfachreise durch die ungünstige Anordnung des Auswahlfeldes erklärt werden. Dieses Defizit aufgreifend ist in der überarbeiteten Version der Eingabemaske neben der Beschriftungsänderung die Auswahl der Reiseart unmittel- Die Ergebnisse aus der Befragung deckten auf, dass nur die Hälfte der Versuchsteilnehmer die Funktion des Feldes „Ihre Buchungsklasse“ (AoI 2 in Abbildung 1 links) richtig erkannt hat. Die Blickbewegungsdaten belegten, dass 30 % der Falschbeantworter dieses Feld gar nicht betrachtet haben. Insgesamt lag die durchschnittliche Fixationsdauer bei den Falschbeantwortern knapp 25 % niedriger als bei den Richtigbeantwortern. Dies spricht gegen Interpretationsprobleme und für ein niedriges Niveau der zugeteilten visuellen und kognitiven Aufmerksamkeit; eine auffälligere Gestaltung des Buchungsklassenfeldes bzw. eine übersichtlichere Strukturierung im Bearbeitungsverlauf von oben nach unten 62 Im zweiten Schritt sollte bei einer Buchungsaufgabe das Hin- und Rückreisedatum ausgewählt werden (Abb. 2 links). Die Darstellung mit dem gelben Rahmen konnte den Teilnehmern laut Fragebogen gut beim schnellen Auffinden ihrer ursprünglich gewünschten Flugtage helfen (Median: 2). Die Analyse der durchschnittlichen Anzahl Sakkaden pro Zeiteinheit für „Hinflug“ (AoI 2) und „Rückflug“ (AoI 1) ergab aber überraschenderweise einen um 26 % höheren Wert innerhalb der AoI 1, so dass zumindest teilweise erhöhte visuelle Anforderungen bei der Suche nach den ursprünglich eingegebenen Tagen vermutet werden müssen. Die subjektive Beurteilung der zweidimensionalen Darstellung in der Tabelle lag an der Schwelle zwischen „gut“ und „befriedigend“ (Median: 2,5). Die Auswertung der freitextlichen Kommentare ergab, dass rund 35 % der Versuchspersonen ein Problem mit der Darstellung der Flüge in dieser Tabelle hatten: Unübersichtlichkeit und Schwierigkeiten mit der Darstellung von Flugund Preisdaten waren oft erwähnte Stichpunkte. Der Verbesserungsvorschlag (Abb. 2 rechts) bestand darin, die ursprünglichen Flugtage in Spalte, Zeile und Schnittpunkt dezent farbig zu hinterlegen und diese Farbe in einer Legende zu erläutern. Um nicht von den ebenfalls farbig gelb-orange markierten günstigs- Abb. 2: Datumsauswahl und Anzeige der günstigsten Preise im zweiten Buchungsschritt (untersuchte Version links, Verbesserungsvorschlag rechts) Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Abb. 3: Neugestaltete Variante zur Datumsauswahl und Anzeige der günstigsten Preise ten Tarifen (AoI 3) abzulenken, wurde die Hervorhebung in der Umsetzung jedoch dann nur bei den Flugtagen und in weiß mit einem Pfeil vorgenommen (Abb. 3). Eine mögliche Lösung zum Problem der Unübersichtlichkeit und der Preistransparenz könnte das Anbringen einer zusätzlichen Reihe bzw. Spalte mit der Aufschrift „Rückflug“ und „Hinflug“ sein, die die jeweiligen Flugtage übergreifend zusammenfasst (Abb. 2 rechts). Zusätzlich kann diese Aufteilung farblich oder mit einem größeren Schriftgrad unterstrichen werden. Ferner werden die Zellen mit den Datumsangaben um einen Inhalt reduziert, was die restliche Information visuell und kognitiv zugänglicher macht. Ein Großteil der Befragten (75 %) hat die Funktion der gelb-orangen Markierung (AoI 3) richtig erkannt, obwohl nur 10 % der Teilnehmer auf die erklärenden Zeilen am Anfang der Seite (AoI 4) gesehen haben. Die Verweildauer innerhalb der AoI (Maß für die kognitive Beanspruchung) liegt mit 500 ms eher im unteren Bereich, so dass für die Benutzer offenbar keine Interpretationsschwierigkeiten bestanden. Dieses Gestaltungsmerkmal wurde daher im Verbesserungsvorschlag (Abb. 2 rechts) und der nachfolgenden Umsetzung (Abb. 3) mit einer verkürzten Farberläuterung als Legende ansonsten ohne weitere Änderung beibehalten. Im nächsten Buchungsschritt werden die Flugmöglichkeiten und Preise für die ausgewählte Hin- und Rückflugkombination angezeigt. Rund 45 % der Versuchsteilnehmer wussten hier nicht, dass der nach der Flugselektion angezeigte Preis nicht der Gesamtpreis ist und dass noch zusätzliche Gebühren anfallen würden. Die Analy- se der Blickbewegungen zeigte, dass die Hälfte der Teilnehmer die erklärende Fußnote nicht gelesen hat. Ein ähnlicher Effekt konnte für eine „Datum ändern“Funktion festgestellt werden, die von mehr als der Hälfte der Versuchspersonen nicht gefunden wurde. Die Blickbewegungsdaten belegten, dass lediglich 19 % der Teilnehmer dieses Seitenelement überhaupt anvisiert hatten, was ebenfalls auf eine schlechte Sichtbarkeit des „Datum ändern“-Links hindeutet. Die Probanden, die mit der Funktion gearbeitet haben, empfanden die Selektion eines anderen Datums so als bequem (Median: 2,0). Als Verbesserungsvorschläge wurden eine auffälligere, aufgrund der Fluglistenlänge sogar doppelte Angabe des Preises für Hin- und Rückflug sowie eine bessere Sichtbarkeit der „Datum ändern“-Funktion durch eine Veränderung der Schriftart und eine klarere Zuordnung zu den Flugzeiten aufgegriffen. Nach zusammenfassender Anzeige der Details zur ausgewählten Flugkombination und der Darstellung des Gesamtpreises und seiner Bestandteile im nächsten Schritt sollten die Benutzer zwischen „Login“ für bereits registrierte Abb. 4: Auswahl zwischen Login und Buchung ohne Registrierung (untersuchte Version oben, neugestaltete Variante unten) 63 Personen und „Buchung ohne Registrierung“ auswählen (Abb. 4 oben). 85 % der Versuchsteilnehmer wussten zwar, dass diese beiden Optionen komplementär zueinander sind, die Blickbewegungsanalyse lieferte jedoch Daten, die für eine große visuelle Belastung in diesem Bereich sprechen. Die durchschnittliche Anzahl der Sakkaden war nahezu doppelt so groß wie in anderen Bereichen, woraus auf Schwierigkeiten bei der visuellen Suche durch eine suboptimale Gestaltung dieser Elemente (unbewusste Trennung durch zwei dunkler grau unterlegte Überschriften mit Aufzählungspunkt) geschlossen wurde. In der verbesserten Version (Abb. 4 unten) wurde durch das geänderte Layout mit einer gemeinsamen dunkel unterlegten Überschrift und der Darstellung der beiden alternativen Optionen als nebeneinander stehende Spalten versucht, diesem Problem zu begegnen. In den nächsten beiden Buchungsschritten sollten die erforderlichen persönlichen Daten als Passagierangaben und die Zahlungsinformationen eingegeben werden. In diesen Bereichen konnten keine Schwierigkeiten identifiziert werden. Obwohl es nach den Eintragungen zur Zahlungsweise angezeigt wurde, war es einem Großteil der Versuchsteilnehmer (60 %) nicht bewusst, welche Ausstellungsform das Ticket hat. Die Auswertung der Blickregistrierungsdaten zeigte, dass rund 31 % von ihnen den Hinweis nicht gelesen hatten. Bei den restlichen Personen, die keine richtige Antwort gegeben hatten, deutete eine normale durchschnittliche Fixationsdauer von 780 ms auf keine Besonderheiten hin. Das könnte ein Hinweis darauf sein, 64 dass diese Probanden die Information zwar gelesen haben, mit dem Begriff „etix®-Ticket“ jedoch wenig verbinden konnten. Als Gestaltungsvorschlag zur besseren Wahrnehmbarkeit der TicketForm könnte hier mittels Schriftgröße und -schnitt eine stärkere Hervorhebung erfolgen. Die Umwandlung des Begriffs in einen anklickbaren Link zur näheren Erläuterung könnte bei Unklarheiten zusätzliche Informationen bereitstellen. Im Fall der Buchungsaufgaben „einfache Reise“ und „Sonderangebot“ wurden vergleichbare Schritte durchlaufen, wobei die Darstellung teilweise abweichend war, z. B. erfolgt die Flugauswahl bei der einfachen Reise über eine Liste mit Karteikartenreitern für unterschiedliche Flugtage statt mit der Tabelle aus Abb. 2 bzw. 3. Auch bei dieser Darstellungsart traten jedoch in ähnlichem Umfang Benutzungsschwierigkeiten auf. 5.0 Fazit Insgesamt konnten als Ergebnis der software-ergonomischen Evaluation Probleme bei der Benutzbarkeit in mehreren Buchungsschritten sowie Schwierigkeiten durch eine ungünstige Anordnung bestimmter Eingabefelder aufgedeckt werden. Durch die detaillierten Ergebnisse der Blickbewegungsanalyse konnten daraus unmittelbar Verbesserungsvorschläge bezüglich der graphischen Gestaltung abgeleitet werden. Methodisch konnte gezeigt werden, dass sich die eingesetzten Methoden in ihren Vor- und Nachteilen sehr gut ergänzen und eine solide und konstruktive Basis für die Evaluierung der Benutzbarkeit von Mensch-Maschine-Schnittstellen aus subjektiver und objektiver Sicht bilden. 6.0 Literaturverzeichnis Goldberg, J. H.; Kotval, X. P. (1998): Eye Movement-Based Evaluation of the Computer Interface. In: Kumar, S. K. (Hrsg.): Advances in Occupational Ergonomics and Safety, Amsterdam: IOS, S. 529-532. Jacob, R.; Karn, K. (2003): Eye Tracking in Human-Computer Interaction and Usability Research: Ready to Deliver the Promisses (Sectionary Comment). In: Hyona, J.; Radach, R.; Deubel, H. (Hrsg.): The Mind's Eyes: Cognitive and Applied Aspects of Eye Movements. Oxford: Elsevier Science. Karn, K.; Ellis, S.; Juliano, C. (2000): The Hunt for Usability: Tracking Eye Movements. SIGCHI Bulletin. Association for Computing Machinery, Nov./Dec., S. 11. Leven, W. (1991): Blickverhalten von Konsumenten, Grundlagen, Messung und Anwendung in der Werbeforschung. Heidelberg: Physica. Link, D.; Tietze, H.; Schmidt, L.; Sievert, A.; Gorges, W.; Leyk, D.: Berührungslose Augenund Blickbewegungsmessung. In: Schmidt, L.; Schlick, C. M.; Grosche, J. (Hrsg.): Ergonomie und Mensch-Maschine-Systeme. Berlin: Springer, 2008, S. 371-391. Poole, A.; Ball, L. J. (2004): Eye Tracking in Human-Computer Interaction and Usability Research: Current Status and Future Prospects. In: Ghaoui, C. (Hrsg.). Encyclopedia of Human Computer Interaction. Pennsylvania: Idea. Rötting, M. (2001): Parametersystematik der Augen- und Blickbewegungen für arbeitswissenschaftliche Untersuchungen. Schriftenreihe Rationalisierung und Humanisierung, Aachen: Shaker. Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 GoodGaze: Eine Technologie aus der Hirnforschung analysiert Webseiten auf ihre Aufmerksamkeitswirkung Nicolas Höning Peter König Fabian Stelzer Johannes Steger Niklas Wilming Torsten Betz Cornell Schreiber Marion Schmitz Universität Osnabrück Albrechtstr. 28 49069 Osnabrück http://www.goodgaze.de Abstract GoodGaze ist eine neurowissenschaftliche Software, welche die Aufmerksamkeitswirkung von Webseiten analysiert. Über eine Computermodellierung menschlicher Aufmerksamkeitsprozesse berechnet GoodGaze innerhalb von ca. 20 Sekunden die aufmerksamkeitsstärksten und -schwächsten Bereiche einer eingespeisten Webseite und visua- 1.0 Einleitung Die Modellierung neuronaler Prozesse hat in der Hirnforschung der letzten Jahre zunehmend an Bedeutung gewonnen. Ihre wissenschaftliche Relevanz schöpfen die mathematischen Modelle hierbei primär aus ihrer Vorhersagekraft: Je besser ein Modell Verhalten vorhersagen kann, desto wahrscheinlicher ist es, über das Modell einen tatsächlichen Einblick in die Funktionsweisen des Gehirns zu erlangen. Das Labor für Neurobiopsychologie des Instituts für Kognitionswissenschaft an der Universität Osnabrück1 hat sich in diesem Bereich auf die Modellierung menschlicher Aufmerksamkeitsprozesse spezialisiert. Im Kern handelt es sich bei 1 Die Arbeitsgruppe Neurobiopsychologie um Prof. Dr. König hat insgesamt etwa einhundert Artikel zu den relevanten Themen in international angesehenen und peer-reviewed Journalen veröffentlicht. Die Arbeitsgruppe ist kürzlich bei der Evaluation der wissenschaftlichen Kommission Niedersachsens hervorragend beurteilt worden und ist eines der weltweit führenden Labore im Bereich der Aufmerksamkeitsforschung. lisiert die Ergebnisse in Form verschiedener Heatmaps. GoodGaze wird von der Universität Osnabrück als Webservice angeboten. Nutzer laden ihre zu analysierenden Entwürfe einfach hoch oder geben die URL einer bestehenden Webseite an. Im Usability-Bereich bietet GoodGaze Agenturen und Beratern die Möglichkeit, bereits frühe Entwürfe innerhalb weniger Sekunden auf deren Aufmerksamkeitswirkung zu testen. GoodGaze um ein ebensolches Modell menschlicher Aufmerksamkeit, welches aber der spezifischen Vorhersage von Blickbewegungen über Webseiten dient. Der Vorteil gegenüber klassischen Methoden wie dem Eye-Tracking oder dem Attention-Tracking liegt auf der Hand: Statt bis zu mehreren Wochen auf die Ergebnisse einer Studie zu warten, für die nicht nur das entsprechende Personal und Equipment, sondern vor allem genügend Probanden benötigt werden, liefert GoodGaze vergleichbare Ergebnisse innerhalb weniger Sekunden. Ausgehend von der Frage, welche Eigenschaften einer Webseite Blickbewegungen am stärksten anziehen, werden im GoodGaze-Projekt statistischen Analysen dieser Eigenschaften mit empirischen Daten aus EyeTracking Studien kombiniert. Die hierbei gewonnen Ergebnisse werden in einem Aufmerksamkeitsmodell implementiert, welches für neu eingespeiste Stimuli nun innerhalb von Sekunden Voraussagen über deren Aufmerksamkeitswirkung treffen kann. Diese Voraussagen lassen sich wiederum durch vom Modell unabhängige EyeTracking Daten evaluieren. Neben der Anwendung in der Wissenschaft, in welcher das Modell wertvolle Einblicke in die Funktionsweisen menschlicher Aufmerksamkeitsprozesse liefert, eröffnet GoodGaze' Spezialisierung auf Webseiten auch Anwendungsfelder im Usability-Bereich. Keywords Aufmerksamkeit, Web-Design, DatenAnalyse Neben einer ergänzenden oder gar teilweise ersetzenden Funktion zu gängigen Eye-Tracking Methoden kommt GoodGaze zudem auch für Anwendungsbereiche in Frage, für welche genannte klassische Methoden bislang einfach zu teuer und zeitaufwendig waren. Interessant ist dies z. B. dann, wenn sich das Design einer Webseite noch im Entwicklungsstadium befindet. So können mit GoodGaze erstmalig bereits frühe Design-Prototypen, für welche eine Eye-Tracking Studie zu zeit- und kostenaufwendig wäre, auf ihre Aufmerksamkeitswirkung untersucht werden. Es lassen sich somit umgehend und in allen Entwurfphasen Schwachstellen aufdecken und entsprechende Optimierungen implementieren. 65 Dieses Paper erläutert in Kapitel 2, welche Analysen GoodGaze anbietet. Kapitel 3 beschäftigt sich mit den möglichen Einsatzbereichen der Software. Kapitel 4 liefert eine Einführung in den wissenschaftlichen Hintergrund, welcher in Kapitel 5 im Kontext erster Evaluationsergebnisse vertieft wird. Eine Zusammenfassung folgt in Kapitel 6. 2.0 Quantitative und qualitative Datenanalyse Bei der Erhebung und Interpretation empirischer Daten im Bereich der Webseiten-Usability lässt sich grob zwischen zwei Arten von Daten und entsprechenden Interpretationsmodi unterscheiden: Eine qualitative Studie setzt den Fokus auf das individuelle Nutzerverhalten, aus welchem in direkter Weise Optimierungsempfehlungen abgeleitet werden können. Qualitative Usability-Studien kommen dabei in der Regel mit einer relativ geringen Anzahl an Probanden aus. Um die Usability eines Designs jedoch auf möglichst repräsentative Art und Weise zu evaluieren, benötigt es quantitative Erhebungen, die das Verhalten größerer Nutzergruppen in systematischer und statistisch abbildbarer Weise analysieren. Jacob Nielsen empfiehlt für quantitative Studien eine Mindestanzahl von 20 aus der jeweiligen Zielgruppe rekrutierten Probanden, problematisiert jedoch den hiermit verbundenen dramatischen Kosten- und Ressourcenaufwand (Nielsen 2006). GoodGaze bietet hierbei zumindest im Bereich der Aufmerksamkeitsanalyse Abhilfe. Der Service ermöglicht, quantitative Untersuchungen innerhalb von Sekunden und ohne Probanden durchzuführen. Durch den Einsatz neurowissenschaftlicher, rechnergestützter Methoden extrapoliert GoodGaze vom Aufmerksamkeitsverhalten demographisch trennbarer Versuchspersonengruppen auf das wahrscheinlichste Blickverhalten anderer Menschen mit demselben demographischen Hintergrund. Für Usability-Berater und Agenturen entfällt somit ein beträchtlicher Teil des Aufwands, den quantitative Erhebungen (im EyeTracking Bereich) mit sich bringen. Gleichzeitig ermöglicht GoodGaze auch dort die Verwendung quantitativer Methoden, wo diese bisher aus genannten Gründen eher gescheut werden. 2.1 Die gesamte GoodGazeFunktionalität ist über einen Webservice erreichbar. Auf der GoodGazeWebseite2 laden Nutzer Entwürfe, die analysiert werden sollen, einfach hoch. Alternativ kann auch die Adresse einer bestehenden Webseite angegeben werden. Im nächsten Schritt können Nutzer das Aufmerksamkeitsmodell, welches für die Analysen verwendet werden soll, spezifizieren. Jedes Aufmerksamkeitsmodell entspricht hierbei einer bestimmten demographischen Gruppe, deren Aufmerksamkeitssignatur im Modell implementiert ist. Aktuell stehen zwei Modelle zur Verfügung: Das Standardmodell basiert auf Erhebungen mit Studenten, das Modell für Rot/Grün-Schwäche simuliert das Blickverhalten von Studenten mit selbiger Einschränkung. Eine Erweiterung der Modellpalette um andere demographische Gruppen (z. B. Schüler und Senioren) ist in den kommenden Monaten geplant. Nutzer können ihre Analysen bequem in einer Ordnerstruktur selbst verwalten. Daneben ist es möglich, Analysen für andere Nutzer zugänglich zu machen und zu kommentieren, um so Erfahrungen und Tipps auszutau- 2 66 Nutzung der Website schen. Die GoodGaze Webseite ist in Deutsch und Englisch lokalisiert. 2.2 Analysen Aktuell stellt GoodGaze Nutzern folgende Analyse- und Visualisierungsmodi zur Verfügung. 2.2.1 Aufmerksamkeitskarte Die Aufmerksamkeitskarte (oft als „Heatmap“ bekannt) zeigt die aufmerksamkeitsstärksten und -schwächsten Bereiche der Webseite. Dies ist die direkteste Darstellung einer GoodGazeAnalyse. Rote Bereiche haben eine hohe Wahrscheinlichkeit, von einem Nutzer betrachtet zu werden, blaue Bereiche werden von der Mehrheit der Nutzer ignoriert. Abb. 1: Die Aufmerksamkeitskarte: Aufmerksamkeitsrelevante Bereiche werden rot eingefärbt, weniger relevante Bereiche blau. Ein Blick auf die Aufmerksamkeitskarte kann auch hilfreich sein, um die Ergebnisse, die den anderen Auswertungstools entnommen werden können, besser zu verstehen. Wenn z.B. aus der Wahrnehmungskarte hervorgeht, dass ein bestimmter Bereich nicht fixiert wird, kann man auf der Aufmerksamkeitskarte sofort erkennen, mit welchen anderen Bereichen er konkurriert und wo evtl. Änderungen am Design vorgenommen werden sollten. http://www.goodgaze.de Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 2.2.2 Wahrnehmungskarte Die Wahrnehmungskarte zeigt, welche Bereiche einer Webseite vom Benutzer in den ersten Sekunden wahrgenommen werden. Anhand der Fixationskarte kann beurteilt werden, ob der Aufbau der Seite für Nutzer intuitiv ersichtlich ist und ihr Blick entsprechend gelenkt wird, oder ob sie zwischen inhaltlich nicht zusammenhängenden Bereichen hinund herspringen. wird. Ein hoher Wert bedeutet, dass ein großer Teil der Seite irgendwann in den ersten Sekunden fixiert wird, während niedrige Werte darauf schließen lassen, dass sich die Aufmerksamkeit eines Besuchers auf einige wenige Bereiche beschränkt. Alle Karten können über einen Regler über das Originalbild eingeblendet werden. Die Anzeige der Fixationsvorhersage kann mit der Aufmerksamkeitskarte oder der Wahrnehmungskarte kombiniert werden. Intro 2.2.4 Abb. 2: Die Wahrnehmungskarte: Bereiche, die in den ersten Sekunden nicht wahrgenommen werden, sind verdunkelt dargestellt. Die Interpretation der Wahrnehmungskarte ist sehr einfach. Transparente Bereiche werden betrachtet; alles, was im schwarzen Bereich liegt, wird von den meisten Nutzern übersehen. Sollten sich wichtige Informationen außerhalb des wahrgenommenen Teils Ihrer Webseite befinden, sollte das Design überdacht werden. Statistische Maße Zusätzlich zu grafischen Auswertungen bietet GoodGaze verschiedene Statistiken an, die unsere Ergebnisse in verschiedenen Werten zusammenfassen. Zurzeit bietet der Service drei Maße an, aber diese Liste wird sich im Lauf der Zeit vergrößern. Im sprichwörtlichen Sinne ‚maßgeblich’ sind hierbei auch die Ansprüche der Nutzer an den Service. Performance 2.2.3 Fixationsreihenfolge Die Fixationsvorhersage zeigt die zehn aufmerksamkeitsrelevantesten Punkte in abfallender Reihenfolge. Der Einstiegspunkt ist hierbei durch einen Kreis markiert, spätere Fixationen erhalten ein Kreuz. Performance ist insbesondere für Seiten mit einer klaren und einfachen Botschaft, die schnell übermittelt werden soll, von Bedeutung. Der Wert gibt Auskunft darüber, wie konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf Ihrer Seite verteilt. Ein hoher Performance-Wert bedeutet, dass es einige wenige Bereiche gibt, welche die gesamte Aufmerksamkeit innerhalb der ersten Sekunden auf sich ziehen. Niedrigere Werte bedeuten, dass sich die Aufmerksamkeit gleichmäßiger über die Seite verteilt. Absolute Coverage Abb. 3: Die Fixationsreihenfolge Absolute Coverage ermöglicht, auf einen Blick zu sehen, wie viel der gesamten Seitenfläche innerhalb der ersten Sekunden wahrgenommen Intro gibt Aufschluss darüber, ob die Seite einen klaren Einstiegspunkt hat, der mit hoher Wahrscheinlichkeit zuerst fixiert werden wird. Ein hoher Wert bedeutet, dass die meisten Nutzer denselben Bereich zuerst fixieren werden. In der Fixationsvorhersage ist ersichtlich, welcher Bereich dies ist. Ein niedriger Intro-Wert deutet darauf hin, dass es unsicher ist, welche der vorausgesagten Fixationen tatsächlich die erste sein wird. 3.0 Einsatzbereich Quantitative Nutzeranalysen im Eye-Tracking Bereich nehmen wochenlange Arbeit in Anspruch. Sie sind dadurch sehr kostspielig und deshalb bisher auch nur einer kleinen Klientel zugänglich. GoodGaze Analysen sind innerhalb von Sekunden verfügbar und deutlich günstiger (und somit zugänglich und erschwinglich für einen wesentlich größeren Nutzerkreis). Zudem sind GoodGaze Analysen reproduzierbar und damit erstmalig auch objektiv vergleichbar. Weiterhin sind sie gegenüber der manuellen Datenanalyse weniger fehleranfällig. Diese Eigenschaften vergrößern auch den Einsatzbereich der Technologie gegenüber klassischen Methoden: Es eröffnet sich sowohl die Nutzung bereits in frühen Prototyping-Phasen als auch die Integration in ein iteratives Entwicklungsmodell mit extrem kurzen Evaluationszyklen. Durch den Wegfall der Rohdatenanalyse ist die Technologie auch einem drastisch erweiterten Nutzerkreis 67 zugänglich und transferiert so das Wissen um Aufmerksamkeitsphänomene in wesentlich breitere Zielgruppen. Weiterhin ermöglicht die Auswahl verschiedener Aufmerksamkeitsmodelle zielgruppenrelevante Analysen. In größeren Firmen wie Werbeagenturen (vor allem mit Schwerpunkten im OnlineMarketing), Usability-Firmen und Unternehmensberatungen ist GoodGaze für alle am Prozess beteiligten Personen von Vorteil: Es können sowohl Gestalter von Webseiten als auch Entscheider von Projektetats von GoodGaze profitieren. Gestalter können das Tool in ihren Arbeitsprozess einbinden, Entscheider machen ihre Projekte besser planbar. Beide gewinnen ein objektives Tool, um ihre Kommunikation mit Kunden und untereinander zu verbessern. Weiterhin beschäftigt sich eine Vielzahl von semi-professionellen Foren und Blogs mit der Frage, wie die Effektivität der eigenen Bannerwerbung weiter verbessert werden kann. Diskutiert werden hierbei insbesondere Fragen in Bezug auf die günstigste Platzierung und Farbgebung und Form einer Werbeanzeige – statt sich hierbei nun aber lediglich auf subjektive Einschätzungen zu verlassen, bietet GoodGaze nun die Möglichkeit, basierend auf neurowissenschaftlich fundierten Aufmerksamkeitsvorhersagen Verbesserungen zu implementieren. 4.0 Wissenschaftlicher Hintergrund Der GoodGaze-Service wurde im Labor für Neurobiopsychologie des Instituts für Kognitionswissenschaften der Universität Osnabrück entwickelt. Dort wird seit 2003 an menschlicher visueller Aufmerksamkeit geforscht, indem EyeTracking Studien mit Computersimulationen des menschlichen Gehirns kombiniert werden. Das GoodGaze-Projekt umfasst das Design und die Durchführung von Eye- 68 Tracking Experimenten und Hintergrundbefragungen der Versuchspersonen, die kombinierte Auswertung dieser Daten, sowie die Nutzung der gewonnenen Ergebnisse in Form von Aufmerksamkeitssignaturen in parametrisierbaren Simulationen zur Vorhersage von Aufmerksamkeitsprozessen. Die Implementierung der Simulation erfolgt im Labor-eigenen Softwareframework für Aufmerksamkeitsmodelle. 4.1 Aufmerksamkeitssignatur In Eyetrackingexperimenten wurden Augenbewegungen von Versuchspersonen über visuellen Stimuli aus verschiedenen Kategorien gemessen. In diesen generellen Experimenten, an denen in den letzten Jahren einige Hundert Versuchspersonen teilgenommen haben, wurden systematisch bestimmte Eigenschaften der gezeigten Stimuli variiert, um festzustellen, welche Eigenschaften die Aufmerksamkeit von Versuchpersonen in welchem Ausmaß anziehen. Zusammen mit separat erhobenen Blickbewegungsdaten auf Webseiten (96 studentische Versuchspersonen) lässt sich dadurch eine für die untersuchte Gruppe charakteristische Aufmerksamkeitssignatur errechnen, die als Basis für die Aufmerksamkeitsvorhersagen dient. 4.2 Aufgabenabhängigkeit/Demografie Neben den rein stimulusabhängigen Einflussfaktoren werden Aufmerksamkeitssignaturen wesentlich von der aktuellen Aufgabe oder Zielsetzung der Versuchsperson bestimmt. Zudem spielen neben dem Alter der Probanden möglicherweise auch noch einige weitere demographische Aspekte eine große Rolle. Aus diesem Grund wurden eigene EyeTracking Studien entworfen und neue experimentelle Paradigmen für unterschiedliche Aufgabenstellungen entwickelt. Ziel ist hier eine massive Verbreiterung der Datenbasis um relevante demographische Gruppen. Es wurden Fragebögen entwickelt und eingesetzt, die Aufschlüsse über die sozialen Hintergründe und Internetgewohnheiten der Versuchspersonen geben. Die anonymisierten Antworten werden strukturiert abgelegt und wiederum durch statistische Verfahren mit den Aufmerksamkeitssignaturen verknüpft. Anhand dieser Verknüpfungen können dann später in der Simulation online virtuelle Versuchspersonengruppen zusammengestellt werden. 5.0 Empirische Vorhersagekraft Um die Qualität der Modelle zu evaluieren, wurden in einem weiteren Experiment GoodGaze-Vorhersagen mit empirisch gewonnenen Eye-Tracking Daten verglichen. In Labor-internen Studien wurden dafür 21 Versuchspersonen 90 Webseiten aus den Kategorien Nachrichtenseiten, Unternehmensseiten, Landing Pages, Informationsseiten, Blogs und Online-Shops gezeigt. Insgesamt wurden dabei über 61.000 Blickpunkte (Fixationen) gesammelt um ein belastbares Verhältnis zwischen Aufmerksamkeitsverläufen und Stimuli zu erreichen. Es folgen einige Ergebnisse aus diesem Experiment vom Frühjahr 2008. 5.1 Salienz fixierter Punkte Ein Punkt auf einer Webseite wird als salient bezeichnet, wenn er viele Fixationen auf sich zieht. Die Verteilung der tatsächlichen Fixationen wird mit den durch das GoodGaze-Modell berechneten Salienzwerten verglichen. Als Kennzahl gilt hierbei die Fähigkeit, wie Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 zuverlässig die vorausgesagten Salienzwerte die 10% der am meisten fixierten Punkte von alle anderen fixierten Punkten trennen3. Um der Realität zu entsprechen, sollte das GoodGaze Modell oft fixierten Punkte einen hohen Salienzwert und selten fixierten Punkte einen niedrigen Salienzwert zuweisen. Abbildung 4 verdeutlicht, dass die von GoodGaze berechneten Salienzwerte stark mit den tatsächlich fixierten Punkten korrelieren. Die Skala ist so normiert, dass 1 eine perfekte Trennung darstellt (nur oft fixierte Punkte bekommen einen hohen Salienzwert). Ein Wert von 0,5 bedeutet hierbei, dass sich oft fixierte Punkte nicht von selten fixierten Punkten trennen lassen (dies entspricht zufälliger Zuweisung von Salienzwerten), während ein Wert von 0 anzeigt, dass selten fixierte Punkte fälschlicherweise einen hohen, oft fixierte Punkte einen niedrigen Salienzwert erhalten. Abb. 4: Voraussagefähigkeit des GoodGaze Modells in der Free-Viewing Task Im Mittel liegt die Voraussagekraft bei einem Wert von 0,8 – d. h. dass GoodGaze mit 80% Wahrscheinlichkeit einen zufällig ausgewählten fixierten Punkt von einem zufällig ausgewählten nicht fixier- 3 Es wurde hier die Fläche berechnet, unter der die Receiver-Operator-Characteristics (ROC) - Kurve die Salienzwerte im obersten 10er-Perzentil der empirischen Fixationsdichtekarte von allen anderen Salienzwerten trennt. ten Punkt unterscheiden kann. Zwar reichen die Whisker4 im Plot teilweise unter die 60% Schwelle, doch zeigen die Whisker nur milde Ausreißer an. Das Gros der vorhergesagten Werte (75%, blaues Rechteck + oberer Teil der Whisker) liegt konstant über der 70% - Marke. In den Kategorien Landing Pages und Unternehmensseiten überschreitet GoodGaze die 80% Marke sogar deutlich. 5.2 Fixationsflächen Eine Fixation hat zwar im Prinzip eine genaue X/Y Koordinate - aber der Anspruch, diese ganz genau vorherzusagen, wäre fehlgeleitet. Ein Objekt wird vom menschlichen Auge immer so fixiert, dass sein Abbild genau in der Fovea Centralis liegt, um die höchste Auflösung zu erreichen. In diesem Bereich der Netzhaut befinden sich die meisten Zapfen. Doch auch in der Peripherie der Fovea, dem gelben Fleck, ist die Zapfendichte noch sehr hoch. Ein Betrachter nimmt also eine bestimmte Fläche um eine Fixation herum aktiv wahr. In der Wahrnehmungskarte markiert GoodGaze Flächen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die ersten Fixationen abgedeckt werden. Dementsprechend sollten in diesem Evaluationsexperiment möglichst viele Probanden die von GoodGaze markierten Flächen auch tatsächlich fixiert haben. Ausgehend davon wurde untersucht, welches Verhältnis zwischen von GoodGaze markierten Bereichen und tatsächlichen Fixationen besteht. Hierbei ist es wünschenswert, mit möglichst wenig markierter Fläche möglichst viele tatsächliche Fixationen 4 vorauszusagen. Die Ergebnisse verdeutlicht Abbildung 5. Auf der X-Achse ist die markierte Fläche notiert, während die YAchse den Anteil an vorausgesagten Fixationen zeigt. Rein zufällige Voraussagen würden sich entlang der blauen Linie befinden. Die gefetteten Kreuze zeigen die Mediane einer Kategorie an. Abb. 5: Verhältnis von markierter Fläche zu gemessenen Fixationen aufgrund der GoodGaze Vorhersage. Daraus folgt, dass GoodGaze derzeit im Mittel mit 50-60% markierter Fläche ~7580% der Fixationen abdecken kann. Dies allein ist ein wenig sinnvolles Maß, ohne zu kontrollieren, wie gut diese Vorhersage denn überhaupt werden könnte. Schließlich kann die Varianz angeschauter Punkte zwischen Probanden relativ hoch sein. Deshalb ist sogar für jemanden, der alle Fixationen kennt, eine gewisse Fläche unbedingt nötig, um x Prozent aller Fixationen abzudecken. Daraus ergibt sich eine obere Machbarkeitsgrenze für eine solche Vorhersage. Abbildung 6 zeigt dasselbe Verhältnis, wenn man tatsächliche Aufmerksamkeitskarten zugrunde legt. In Boxplots werden die vertikalen Linien als „Whisker“ bezeichnet. Die Länge der Whisker beträgt maximal das 1,5fache des Interquartilsabstands (1,5×IQR). 69 durch Eye-Tracking Daten gewonnene Heatmap. 6.0 Abb. 6: Verhältnis von markierter Fläche zu tatsächlichen Fixationen aufgrund empirischer Aufmerksamkeitskarten. Hierbei zeigt sich, dass GoodGaze im Mittel in den Kategorien Landing Pages, Unternehmensseiten und Onlineshops genauso gut abschneidet wie eine direkt 70 Zusammenfassung In diesem Paper wurde der vom Labor für Neurobiopsychologie der Universität Osnabrück entwickelte Webservice GoodGaze vorgestellt. GoodGaze analysiert Webseiten innerhalb von Sekunden auf deren Aufmerksamkeitswirkung und erzielt damit für bestimmte Seitentypen (Landing Pages, Firmenseiten und OnlineShops) Ergebnisse, die mit denen klassischer apparativer Methoden wie dem Eye-Tracking vergleichbar sind. Als Prozessinnovation könnte sich GoodGaze damit insbesondere im Bereich quantitativer Usability-Studien etablieren, indem Daten zur Aufmerksamkeitswirkung einer Webseite schnell und vor allem bereits in frühestens Entwurfsphasen nahezu aufwandslos erhoben werden können. Vorliegendes Paper beinhaltet neben einer Einführung zu den wichtigsten Funktionen der GoodGaze-Webseite weiterhin einige Erläuterungen zum wissenschaftlichen Hintergrund, den Evaluationsergebnissen und der diesen zugrundeliegenden Methodik. 7.0 Literaturverzeichnis Nielsen, J. (2006): Quantitative Studies: How Many Users to Test? In: Alertbox 26. Juni, 2006: www.useit.com/alertbox/quantitative_testing.h tm Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Jen seits von Us a b i l i t y 71 72 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Jenseits von Usability: Website-Ästhetik Meinald T. Thielsch Universität Münster Psychologisches Institut 1 Fliednerstr. 21 48149 Münster [email protected] http://www.meinald.de Abstract Lange Zeit stand Usability im Fokus der Forschung zur Wahrnehmung und Nutzung von Websites. Heutzutage werden neben Usability zunehmend emotionale Konstrukte diskutiert (Hassenzahl, 2008). Das gerade Ästhetik eine besondere Bedeutung haben könnte, zeigen verschiedene Autoren (z. B. Tarasewich, 2001; Thielsch, in Druck; Tractinsky & Hassenzahl, 2005). Dieser Beitrag gibt einen Überblick zum aktuellen Forschungsstand der Website-Ästhetik. 1.0 Einleitung Beim Surfen durch das World Wide Web besuchen Webnutzer viele verschiedene Websites. Die Wahrnehmung dieser Seiten ist dabei zum einen durch den Inhalt bestimmt, der sicherlich die zentrale Rolle einnimmt (siehe Thielsch, in Druck). Auch die Usability der besuchten Websites ist wichtig, um ein entspanntes und möglichst störungsfreies Handeln im Web zu ermöglichen. Diese beiden Aspekte alleine reichen aber nicht aus, um das Surfverhalten und -erleben eines Webnutzers zu erklären. In den letzten Jahren werden daher zunehmend Neben Definition, Nutzen und Erfassung von Ästhetik werden hier die verschiedenen Ansätze (mathematische, deskriptive und experimentelle) dargestellt. Ebenso wird der Zusammenhang zwischen Ästhetik und anderen Konstrukten wie Usability und Inhalt, sowie die Beziehung zu Persönlichkeitsmerkmalen thematisiert. Abschließend erfolgt eine thesenartige Zusammenfassung des vorhandenen Wissenstands. Keywords Konstrukte jenseits der Usability erforscht. Hinzu kommen somit weitere Aspekte, die vor allem durch die designerische Gestaltung einer Website bestimmt sind. Diese eher emotionalen Anteile des Weberlebens werden oft unter dem Begriff der „Ästhetik“ gefasst. 2.0 Die Wahrnehmung von Inhalt, Usability und Ästhetik kann von weiteren Faktoren beeinflusst sein, wie z. B. Persönlichkeitseigenschaften des Betrachters oder Kontextvariablen wie z. B. die genutzte Hard- oder Software (siehe Abbildung 1). Abb 1: Zentrale Variablen der Website-Wahrnehmung (aus Thielsch, 2008) Ästhetik, Webästhetik, Website-Ästhetik, Usability, Website Was ist Website-Ästhetik? Die Frage nach der inhaltlichen Definition von Ästhetik ist nicht so leicht zu beantworten. Zwar findet sich eine Fülle von Arbeiten zur Ästhetik in den verschiedensten Wissenschaften und entsprechend vielfältig erscheinen die Zugänge zu einer Website-Ästhetik, nur wenige Forscher definieren aber klar das von Ihnen beforschte Konstrukt. Konsens scheint lediglich dahingehend zu bestehen, Ästhetik über subjektive Wahrnehmungen und Einschätzungen der Nutzer zu definieren, oftmals im Sinne visueller Schönheit. Zwar beschränkt sich die Ästhetik von Websites nicht unbedingt auf eine Sinnesmodalität, theoretisch bezieht sich diese auf alle Sinne. Im Moment ist aber vor allem die visuelle Wahrnehmung von Websites bedeutsam, da die anderen Sinneskanäle zumeist (noch) nicht intensiv angesprochen werden. Einen guten Überblick über diese Annahmen liefern Tractinsky und Lowengart (2007), ihre Übersicht zur 73 chend werden bei der Bewertung von Ästhetik zumeist die subjektiven Wahrnehmungen und Urteile der Nutzer erfasst. Hierbei ergeben sich drei Vorgehensweisen (für eine detaillierte Übersicht siehe Thielsch, 2008, S. 53 ff.): 1. 2. 3. Abb. 2: Die inhaltliche Bedeutung von „Ästhetik“ nach Tractinsky und Lowengart (2007). Die in der HCI behandelte Form der Ästhetik folgt dabei dem rechten Pfad. inhaltlichen Bedeutung von Ästhetik ist in Abbildung 2 dargestellt. Definitionen von Ästhetik im HCI-Bereich (siehe Hassenzahl, 2008; Thielsch, 2008) umfassen die Annahme, dass subjektiv empfundenes Wohlgefallen durch affektive und kognitive Prozesse bestimmt wird, die von Gestaltungseigenschaften eines Objektes ausgelöst werden. Was jedoch genau die ÄsthetikWahrnehmungen, in welcher Form beeinflusst, ist weitgehend unklar. Zwar können hierzu kognitive Modelle aus der experimentellen Ästhetik entlehnt werden (z. B. das Modell von Leder et al., 2004), die determinierenden Variablen einer Website-Ästhetik sind aber wenig untersucht (siehe auch nachfolgender Punkt 5.). Dies bedarf dringend weiterer Diskussion und Forschung. 3.0 Warum überhaupt Ästhetik? Antworten auf die Frage warum Ästhetik für die Gestaltung von Produkten oder GUI’s wichtig sein sollte, werden meist theoretisch abgeleitet (siehe z. B. Tractinsky & Hassenzahl, 2005). Es finden sich eine Reihe überzeugender Argumente in denen beispielsweise dargestellt wird, inwieweit Ästhetik als menschliches Grundbedürfnis anzusehen ist und ästhetische Objekte zur 74 Selbstdefinition dienen. Überzeugend auch die Argumentation von Bloch et al. (2003), dass in vollen Märkten mit ähnlich funktionalen Produkten Ästhetik zum entscheidenden Merkmal werden kann. Norman (2004) geht sogar soweit und sagt „Attractive things work better“. Es finden sich zudem empirische Arbeiten zur Bedeutung der Ästhetik (z. B. Tarasewich et al., 2001, zur Übersicht Hassenzahl, 2008). Thielsch (in Druck) zeigt, dass Ästhetik eine gewisse Relevanz für Webuser hat und sich sehr hohe Korrelationen zwischen Ästhetik-Einschätzung und der Gesamtbewertung einer Website finden. Bei der ersten Variante ergeben sich offensichtlich Probleme der Messgenauigkeit (Reliabilität); diese verbessert sich deutlich beim Einsatz von Skalen oder standardisierten Fragebogeninstrumenten (siehe Schmidt & Hunter, 1996, insbesondere S. 202f.). Besonderes Augenmerk muss jedoch bei der metrischen Erfassung von Website-Ästhetik in Zukunft auf die Bestimmung der Validität gelegt werden, hier finden sich bisher nur wenige Ansätze. Weitere Verfahren und klassische Methoden wie z. B. Paarvergleich, Cognitive Walkthrough oder ChecklistenEvaluationen sind bisher nur an wenigen Stellen in der Forschung dokumentiert und wahrscheinlich seltener im Einsatz. 5.0 4.0 Wie kann man Webästhetik erfassen? Zur Erfassung von UsabilityBewertungen finden sich eine Reihe von etablierten Methoden (zur Übersicht siehe Gediga & Hamborg, 2002), hierbei ist eine Trennung zwischen objektiven Merkmalen eines Interfaces und subjektiven Eindrücken gut umsetzbar. Letzteres fällt in der Forschung zur Webästhetik schwer: Die Erkenntnisse zu determinierenden Variablen sind bisher nicht ausreichend um objektive Messmethoden aus diesen abzuleiten. Dementspre- Einschätzung der Ästhetik über einzelne Fragen, Einschätzung der Ästhetik über Fragebogenskalen, Einschätzung der Ästhetik über standardisierte Fragebogeninstrumente. Aktuelle Forschung zur Ästhetik von Websites Lässt man die Vielzahl der Arbeiten zum Verhältnis von Website-Ästhetik und anderen Konstrukten (insbesondere Usability) zunächst außen vor, so können die verbliebenen Forschungen grob in drei Richtungen eingeteilt werden: Mathematische, deskriptive und experimentelle Ansätze. 5.1 Mathematische Ansätze In Informatik und Mathematik findet sich seit langem ein Forschungsinteresse bezüglich der Ästhetik (siehe z. B. Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Fishwick, 2006, Kap. 12-17). Mehrere Forscher versuchen die Ästhetik eines GUI’s in mathematischen Formeln auszudrücken, erstmalig findet sich diese Idee bezüglich Websites bei Ngo et al. (2000). Diese leiten Formeln auf Basis von Regeln aus der Gestaltpsychologie ab. Die empirische Prüfung fällt jedoch eher knapp aus, vor allem experimentelle Belege zur Korrektheit der postulierten Formeln fehlen. Die mathematischen Ansätze sind zwar grundsätzlich interessant, scheinen aber noch weit von ihrem letztendlichen Ziel, einer Formel für ein automatisch erstellte ästhetische Website, entfernt. 5.2 Deskriptive Ansätze Eine Reihe von Autoren versucht über deskriptive Zugänge die Ästhetik von Websites zu beschreiben. Es finden sich erfahrungsbasierte Ansätze, in denen Wissen über gute Gestaltung in Checklisten überführt wird (z. B. Sutcliffe, 2001). Seltener werden DesignExperten direkt zu einer Beschreibung von Webästhetik herangezogen (siehe z. B. Kim et al., 2003). Auch empirischqualitative Arbeiten sind rar, bisher liegen nur zwei derartige Studien vor (Lindgaard & Dudek, 2003; Thielsch, 2008). In beiden Arbeiten ist Ästhetik ein substanzieller Teil der Wahrnehmung der Nutzer. Thielsch (2008, S. 165 ff.) betont die große Diversität und Differenziertheit der qualitativen Äußerungen der in seiner Arbeit befragten Webnutzer. Zentrale Ästhetik-Aspekte sind hier Farb-, Bild- und Schriftgestaltung. Zu teilweise ähnlichen Dimensionen wie die qualitativen Arbeiten kommen auch empirisch-deskriptive Studien (z. B. Schenkman & Jönsson, 2000; Moshagen & Thielsch, 2005) bei denen Befragungsdaten von Webnutzern ausgewertet werden. Insgesamt ist jedoch Webästhetik über einen rein deskriptiven Zugang schwer fassbar, zur näheren Eingrenzung des Konstrukts sind experi- mentelle Untersuchungen besser geeignet. 5.3 Experimentelle Ansätze Die bisherigen experimentellen Untersuchungen zur Website-Ästhetik lassen sich in zwei Gruppen teilen. Auf der einen Seite finden sich Experimente zum Einfluss der Betrachtungsdauer auf die wahrgenommene Ästhetik (z. B. Lindgaard et al., 2006; Tractinsky et al., 2006). In diesen Arbeiten werden Screenshots von Websites sehr kurz dargeboten (50 ms), es finden sich hohe Korrelationen zu Versuchsbedingungen mit längerer Darbietungszeit (500 ms oder 10 s). Die Autoren schließen hieraus auf eine schnelle Bildung und hohe Stabilität des ästhetischen Urteils. Eine zweite Gruppe von Experimenten befasst sich mit der konkreten Gestaltung einer Website (z. B. Haig, 2002; Thielsch, 2008). Hierbei zeigt sich zum einen die Bevorzugung von Websites mit umfangreichen Designelementen wie Animation, Bilder und Sound (Haig, 2002), zum anderen können signifikante Effekte der Farbgestaltung auf ästhetische Urteile in einem mittleren Effektgrößenbereich gezeigt werden (Thielsch, 2008). In letzterer Arbeit finden sich auch empirische Hinweise zur Wirkung von Bild- und (in geringerer Intensität) Schriftgestaltung auf die ästhetische Bewertung einer Website. 6.0 Website-Ästhetik und andere Konstrukte 6.1 Ästhetik und Inhalt Insgesamt existieren nur wenige Arbeiten zum Zusammenhang von Ästhetik und Inhalt. Einige Autoren berichten schwach negative Korrelationen (z. B. De Angeli et al., 2006; Tractinsky et al., 2000), an anderer Stelle finden sich positive Korrelatio- nen (Aladwani & Palvia, 2002; Thielsch, 2008). In einem Experiment mit N = 364 Befragten findet Thielsch (2008) keinen Einfluss von ästhetischen Manipulationen einer Website auf die Inhaltsbewertung. Interessant und wert weiterzuverfolgen sind die Ergebnisse von Sutcliffe und De Angeli (2005), die eine schlechtere Erinnerungsleistung bezüglich inhaltlicher Aspekte bei der Nutzung einer ästhetischen im Vergleich zu einer wenig ästhetischen Website finden. Leider wurde dieses Experiment mit nur N = 25 Probanden durchgeführt, eine Replikation ist dringend wünschenswert. 6.2 Ästhetik und Usability Die Frage nach dem Verhältnis von Gestaltung und Funktionalität ist so alt wie die experimentelle Ästhetik selbst; bereits ihr Begründer Gustav Theodor Fechner diskutiert dieses ausgiebig (Fechner, 1876). Ausgehend von den ersten Arbeiten von Kurosu und Kashimura (1995) und Tractinsky (1997) findet sich auch im HCI-Bereich eine Vielzahl von Studien, in denen fast ausschließlich positive Korrelationen zwischen beiden Konstrukten berichtet werden (für eine Übersicht siehe Thielsch, 2008, S. 60 ff.). Es gibt bisher jedoch nur zwei Experimente die explizit das Verhältnis von Website-Ästhetik und Usability behandeln (Moshagen et al., in preparation; Thielsch, 2008). In beiden zeigt sich keine Beeinflussung der wahrgenommenen Usability durch ÄsthetikVariationen. Dies spricht eher gegen den oft vermuteten Halo-Effekts des einen Konstrukts auf das andere oder der Wirkung eines Attraktivitätsstereotyps bei der Website-Wahrnehmung. Für die gefundenen hohen Zusammenhänge zwischen Ästhetik und Usability müssen neben einem möglichen Common-Method-Bias (Podsakoff et al., 75 2003) weitere Erklärungen gefunden werden. Anzunehmen sind beispielsweise bisher nicht untersuchte Gestaltungsvariablen, die auf beide Konstrukte einen Einfluss haben. Vielversprechend wären hier Forschungsmethoden die sich am Multitrait-Multimethod-Ansatz (Cambell & Fiske, 1959) orientieren, um mögliche Wirkungen eines CommonMethod-Bias zu eliminieren. 6.3 Ästhetik und Persönlichkeit Oftmals wird gesagt Schönheit läge im Auge des Betrachters – dementsprechend starke Zusammenhänge zwischen ästhetischen Urteilen und Persönlichkeitsmerkmalen werden erwartet. Empirisch beinhalten neuere Arbeiten hierzu kaum Hinweise. In einzelnen Studien findet sich ein Effekt der Expertise bezüglich Webdesign (Haig, 2002; Hartmann et al., 2007), in anderen Untersuchungen tritt dieser Effekt nicht auf (Moshagen et al., in preparation; Thielsch, 2008). Thielsch (2008) betrachtet eine ganze Reihe von Persönlichkeitsmerkmalen, neben demographischen Eigenschaften beispielsweise auch die Big Five. Er findet signifikante Zusammenhänge in einer relevanten Effektgröße nur bei einer Variable: Die Probanden in dieser Untersuchung beurteilen die Ästhetik einer Website mit zunehmendem Alter etwas positiver. Hier zeigt sich eine Mildetendenz in mittlerer Effektgröße, die Stichprobe (N = 362) war bezüglich des Alters repräsentativ geschichtet und reichte von 14 bis 81 Jahren. 7.0 Zusammenfassender Überblick Was kann im Moment zur WebsiteÄsthetik gesagt werden? Abschließend soll ein zusammenfassender Überblick gegeben werden, wobei einige der nachfolgenden Punkte in der Forschung eher postuliert als empirisch belegt werden: 76 1. Der wichtigste Aspekt für den Nutzer stellt der Inhalt einer Website dar, Ästhetik ist aber dennoch bedeutsam (Tarasewich et al., 2001; Thielsch, in Druck). 2. Abgesehen vom Inhalt ergibt sich die visuelle Attraktivität einer Website aus der Nutzer-Wahrnehmung von Ästhetik und Usability (van der Heijden, 2003). Beide Konstrukte stehen in einer Beziehung zueinander; der genaue Zusammenhang ist empirisch noch nicht geklärt. 3. Ästhetik kann empirisch erfasst werden. 4. Webnutzer nehmen Ästhetik differenziert wahr, die Nutzer besitzen die Fähigkeit, ihre WebsiteWahrnehmung adäquat einzuschätzen und zu verbalisieren (Lindgaard & Dudek, 2003; Thielsch, 2008). Die ästhetische Wahrnehmung ist subjektiv, aber statistisch über verschiedene Nutzer hinweg vergleichbar. 5. Um wahrgenommen zu werden, müssen ästhetische Reize in ihrer Intensität eine gewisse Schwelle überschreiten. Die Wahrnehmung dieser Reize kann sowohl bewusst als auch vorbewusst oder unbewusst erfolgen (Leder et al., 2004). 6. Entsprechend dem Assoziationsprinzip können Erinnerungen in Form von Top-down-Prozessen zu ästhetischen Wahrnehmungen beitragen (Fechner, 1876; Leder et al., 2004; Norman, 2004). 7. Das ästhetische Urteil erfolgt unmittelbar (Leder et al., 2004). Diese sehr schnell getroffenen ÄsthetikEinschätzungen sind möglicherweise stabil (siehe Punkt 5.3). Ästhetik hat folglich besondere Bedeutung für den Ersteindruck und kann womöglich als Alleinstellungsmerkmal dienen, letztere Annahme muss allerdings noch empirisch überprüft werden. 8. Die Ästhetik beeinflusst die Präferenz der Nutzer für eine Website (Schenkman & Jönsson, 2000; van der Heijden, 2003); auch zu dieser Annahme gibt es bisher keinen experimentellen Nachweis. 9. Die ästhetische Wirkung einer Website setzt sich aus mehreren Variablen zusammen; das Konstrukt ist wahrscheinlich als mehrdimensional zu betrachten (Lavie & Tractinsky, 2004; Moshagen, 2005). Bei Websites von Unternehmen und Institutionen hat die Farbgestaltung eine besondere Bedeutung. 10. Die Wahrnehmung von WebsiteÄsthetik scheint durch Personenvariablen eher unbeeinflusst, das Alter spielt aber eine Rolle im Sinne einer Mildetendenz mit steigendem Alter (Thielsch, 2008). Mit dieser Zusammenfassung des Forschungsstands zur Website-Ästhetik wird klar: Es gibt viel zu tun! Wenig ist bisher bekannt zu den determinierenden Variablen und dem Zusammenhang zwischen den verschiedenen Konstrukten. Auf der anderen Seite zeigt sich Webästhetik als ein lebhaftes und vielversprechendes Forschungsfeld, in dem bereits gute Grundlagen gelegt sind. 8.0 Literaturverzeichnis Aladwani, A. M., & Palvia, P. C. (2002): Developing and validating an instrument for measuring user-perceived web quality. Information & Management, 39(6), 467-476. Bloch, P. H., Brunel, F. F., & Arnold, T. J. (2003): Individual differences in the centrality of visual product aesthetics: Concept and measurement. Journal of Consumer Research, 29, 551 - 565. Campbell, D. T., & Fiske, D. W. (1959): Convergent and discriminant validation by the multitrait-multimethod matrix. Psychological Bulletin, 56(2), 81-105. De Angeli, A., Sutcliffe, A., & Hartmann, J. 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Paternò (Eds.), Proceedings of human computer 77 Der User Experience (UX) auf der Spur: Zum Einsatz von www.attrakdiff.de Marc Hassenzahl Universität Koblenz-Landau Wirtschaftspsychologie und Mensch-Technik-Interaktion Fortstraße 7 76829 Landau www.marc-hassenzahl.de Michael Burmester Hochschule der Medien Informationsdesign Wolframstraße 32 70191 Stuttgart [email protected] Franz Koller User Interface Design GmbH Martin-Luther-Straße 57-59 71636 Ludwigsburg, [email protected] Abstract User Experience (UX), das positive Nutzer- oder besser Nutzungserleben, stellt eine deutliche Erweiterung und Veränderung des klassischen usability-Begriffs dar. UX betont ganz besonders die ganzheitliche Sicht auf subjektiv erlebte Produktqualität. Das semantische Differenzial AttrakDiff2 bietet die Möglichkeit, 1.0 Einleitung Langsam aber sicher wird der Begriff usability durch User Experience (UX, Nutzererleben oder besser Nutzungserleben) ersetzt. Eingeführt von Don Norman und Kollegen (1995) um die Arbeit der Human Interface-Gruppe bei Apple zu beschreiben, findet sich 2008 kaum ein größeres Unternehmen mehr ohne UX-Spezialisten – von Microsoft, über SAP bis Sun und Siemens. Selbst die Standardisierung im Bereich usability hat sich diesem Thema angenommen – einem Thema, dass noch vor einiger Zeit wie eine Provokation wirkte und dem eigentlichen Ansatz unter Umständen sogar zuwider läuft (Meyer, 2007). Der aktuelle Entwurf der ISO CD 9241-210 (die Nachfolgenorm der ISO 13407 zur benutzerzentrierten Gestaltung) definiert UX als "all aspects of the user’s experience when interacting with the product, service, environment or facility. […] It includes all aspects of usability and desirability of a product, system or service from the user’s perspective" (Stewart, 2008). 78 UX-relevante Produktwahrnehmungen und Bewertungen zu erfassen. Es ist als Forschungs- und Evaluationsinstrument über www.attrakdiff.de frei nutzbar. Dort können Beurteilungsprojekte geplant, durchgeführt und automatisch ausgewertet werden. Der vorliegende Beitrag führt kurz in das Themenfeld UX ein, präsentiert das AttrakDiff2, die Möglichkeiten von www.attrakdiff.de und zukünftige Entwicklungen. In dieser etwas hilflos wirkenden Definition werden usability und ein neues Konzept, die desirability getrennt aufgeführt. Dies impliziert, dass usability allein ein Produkt nicht begehrenswert macht. Eine ähnliche Annahme zeigt sich auch in der Erklärung von Nokia (2005): "[mobility] is about the delivery of personalized experiences, which add value and pleasure to daily lives". Das UX-Team von OpenOffice.org nennt als ihre Gestaltungsziele "usability, productivity and enjoyment" (http://ux.openoffice.org/). Auch hier ist usability nur ein Ziel unter dreien. in der Industrie und unter Praktikern meinen lässt. Zwar gibt es ein Reihe unterschiedlicher Ansätze (siehe Hassenzahl & Tractinsky, 2006; Schifferstein & Hekkert, 2008), aber alle betonen mindesten eine der folgenden drei Charakteristiken von UX. Bislang sind es aber nur wenige Unternehmen und Personen, die UX als eine Art usability plus verstehen. In vielen Fällen, wie z.B. bei SAP, aber auch in vielen industriellen Forschungsarbeiten, wird UX immer noch gleichbedeutend mit usability bzw. user-centred design verstanden. x 2.0 Das UX-Programm Interessanterweise ist die akademische Diskussion zu UX deutlich weiter fortgeschritten, als die Unsicherheit Keywords User Experience, Hedonische Qualität, Attraktivität, Evaluation, Fragebogen x Ganzheitlich: Usability konzentriert sich auf die Aufgaben der Benutzer. UX nimmt eine breitere Sicht ein. UX sucht nach der Balance zwischen instrumentellen und nichtinstrumentellen Qualitäten, wie Schönheit, Neuartigkeit, Herausforderung oder Selbstausdruck. Subjektiv: Mit seinen Ursprüngen in der Arbeitswissenschaft und psychologie legt usability Wert auf Objektivität. Das Betonen der Beobachtung beim Testen von usability oder der Einsatz von eye tracking zeigt den Wunsch, von den "Meinungen" der Benutzer unabhängig zu sein. UX hingegen betont gerade die Subjektivität, das heißt die wahrgenommene Qualität eines Produktes. Ein Grund dafür ist, dass die Qualitätswahrnehmung – egal Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 x ob "richtig" oder "falsch" – sowohl die zukünftige Nutzung als auch die Kommunikation über das Produkt bestimmt. Positiv: Usability fokussiert auf das Reduzieren von Stress und dem Beseitigen von Barrieren. Im "Leitfaden Usability" (DATech, 2008) beispielsweise findet sich 83 Mal das Wort "Mängel" und 205 Mal das Wort "Problem" (auf wohlgemerkt insgesamt 239 Seiten). Begriffe wie Freude, Spaß, Attraktivität, Herausforderung oder Schönheit erwähnt der Leitfaden nicht. Natürlich ist und bleibt das Vermeiden und Beheben von Nutzungsproblemen eine wichtige Aufgabe der Technikgestaltung. Den Fokus aber ausschließlich auf das Beseitigen des Negativen zu legen, greift aus UX-Perspektive zu kurz. Vielmehr kann man in Anlehnung an Herzberg und Kollegen (1959) von einer Zwei-Faktoren-Theorie der Zufriedenheit ausgehen: Das Fehlen von usability führt zwar zur Unzufriedenheit, aber ihre Anwesenheit nicht zur Zufriedenheit, sondern nur zu einem neutralen Zustand. Der Übergang zur Zufriedenheit wird durch andere Aspekte hervorgerufen. Diese "Motivatoren" explizit zu benennen und ihr Zusammenspiel mit usability zu erforschen, ist ein wichtiges Anliegen von UX. 3.0 Das Modell hedonischer und pragmatischer Qualitäten Es wurden bislang eine ganze Reihen unterschiedlicher UX-Modelle vorgeschlagen (z.B. Forlizzi & Battarbee, 2004; McCarthy & Wright, 2004). Spezifische Workshops diskutieren diese Ansätze auf der Suche nach einer akzeptablen Definition (Law et al., 2008). Einer der vorgeschlagenen Ansätze ist das Modell der hedonischen und pragmatischen Qualitätswahrnehmungen (z.B. Hassenzahl, 2003; Hassenzahl, 2007). Zunächst einmal betont dieses Modell die Subjektivität, indem es durchgängig von Qualitätswahrnehmungen und nicht von objektiven Qualitäten spricht. Bevan (2008) ordnet dieses Modell im ISO-Kontext dementsprechend auch ganz richtig der Zufriedenstellung (satisfaction) zu. Das Modell unterscheidet zwei Arten von Qualitätswahrnehmungen: pragmatische und hedonische. Diese kann man sich als zwei unterschiedliche Brillen vorstellen, durch die der Nutzer ein interaktives Produkt betrachtet. Die pragmatische Brille betont, was man mit einem Produkt tut, beispielsweise zu telefonieren. Das ist ein sehr konkreter und greifbarer Nutzen. Die hedonische Brille betont das, was das Produkt symbolisiert oder an neuen Möglichkeiten bereithält. Wird man als Benutzer von Anderen bewundert? Wird mich das Produkt erstaunen und überraschen? Wird es mein Leben durch seine Funktionen verändern? Dies ist zunächst ein eher abstrakter, wenig greifbarer Nutzen. Allerdings adressiert Hedonisches unsere Bedürfnisse viel direkter: Wir lieben schöne Dinge; wir wollen Neues kennen lernen; es ist uns wichtig, was andere über uns denken. Im Vergleich zur pragmatischen Funktion eines Produkts berührt uns die hedonische Funktion viel direkter. Das pragmatische Produkt bleibt blass, das hedonische erzeugt Bindung und Emotion. Studien (z.B. Hassenzahl, 2001) zeigen, dass hedonische und pragmatische Qualitätswahrnehmungen unabhängig voneinander sind. Benutzer sind fähig, beide Dimensionen getrennt voneinander einzuschätzen. Es finden sich sowohl Produkte, die beide der Qualitäten in ähnlichem Ausmaß besitzen als auch Produkte die überwiegend pragmatisch oder hedonisch sind. Beide Dimensionen haben einen Einfluss auf die Produktbewertung. Sie sind im Schnitt gleichermaßen wichtig. Die jeweilige Wichtigkeit der Dimensionen wird allerdings durch die Nutzungssituation moderiert. Das Modell macht eine ganze Reihe überprüfbarer Vorhersagen. Beispielsweise sollten hedonische Qualitätswahrnehmungen stabiler sein als pragmatische, da erstere direkt mit universellen psychologischen Bedürfnissen des Benutzers zusammen hängen, während letztere stark von den jeweiligen Aufgaben und der Nutzungssituation abhängen. Diese Annahme wurde bereits empirisch bestätigt (z.B. van Schaik & Ling, 2008). Alles in allem ist das vorgestellte Modell zumindest aus Forschungssicht ein anregendes. Hedonische Qualitäten sind abgrenzbar und messbar. Sie adressieren psychologische Bedürfnisse, die über die eigentliche Aufgabebearbeitung hinausgehen. Das macht sie zu Quellen positiver Produktbewertungen. 4.0 AttrakDiff2 Ein Modell ist zwar eine notwendige Grundlage für systematisches Arbeiten, die Praxis der benutzerzentrierten Produktentwicklung fordert aber auch handhabbare Werkzeuge, mit denen sich Qualitäten gestalten oder eben bewerten lassen. Ein solches Bewertungswerkzeug ist der AttrakDiff2-Fragebogen (Hassenzahl et al., 2003). Das Attrakdiff2 gehört zur Klasse der semantischen Differenziale. Es besteht aus 28 bipolaren, siebenstufigen Items. Diese 28 einzelnen Items werden zu vier Skalen mit jeweils sieben Items zusammengefasst. Sie operationalisieren die folgenden Konstrukte: x Pragmatische Qualität (PQ): Die wahrgenommene Fähigkeit eines Produkts, Handlungsziele zu erreichen, indem es nützliche und benutzbare Funktionen bereitstellt. Ty- 79 x x x pische Produktattribute sind: praktisch, voraussagbar, übersichtlich. Hedonische Qualität – Stimulation (HQS): Die Fähigkeit eines Produkts, das Bedürfnis nach Verbesserung der eigenen Kenntnisse und Fertigkeiten zu befriedigen. Produktattribute: kreativ, originell, herausfordernd. Hedonische Qualität – Identität (HQI): Die Fähigkeit eines Produkts, relevanten Anderen selbstwertdienliche Botschaften zu kommunizieren. Produktattribute: bringt mich den Leuten näher, fachmännisch, verbindend. Attraktivität (ATT): Globale positivnegativ Bewertung des Produkts: gut, attraktiv, angenehm. Bei einem Fragebogen spielen natürlich Zuverlässigkeit und Gültigkeit eine entscheidende Rolle. Für das AttrakDiff2 zeigten sich in einer Reihe von Studien angemessene interne Konsistenzen der einzelnen Konstrukte und niedrige bis mittlere Korrelationen zwischen den Konstrukten, wobei die Überlappung von HQI und HQS noch ungeklärt ist. (Für weitere Information siehe www.attrakdiff.de, Hassenzahl, 2001, Hassenzahl et al., 2003). Bis zur Verfügbarkeit besserer Fragebögen zur Operationalisierung UX-relevanter Konstrukte stellt AttrakDiff2 einen handhabaren und theoretisch verankerten Ansatz zur Berücksichtigung von UX in der benutzerzentrierter Produktentwicklung dar. 5.0 5.1 beurteilt und können dann verglichen werden. In den meisten, über www.attrakdiff.de abgewickelten Projekten (80%) wird das Produkt nur einmal beurteilt. Bei weiteren 15% werden zwei verschiedenen Produkte (oder Varianten) miteinander verglichen und nur in den restlichen 5% wird ein Produkt zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten beurteilt (z.B. vor und nach der eigentlichen Nutzung). Es gibt nehmen dem Projekttyp noch vier zentrale Entscheidungen beim Anlegen eines Projektes: 1. AttrakDiff2 nutzen Die Nutzung des AttrakDiff2 erfordert eine Projektanmeldung. Zunächst kann dabei zwischen drei verschiedenen Projekttypen gewählt werden: 1. 2. www.attrakdiff.de Über www.attrakdiff.de kann das AttrakDiff2 bereits seit fünf Jahren kostenfrei online genutzt werden. Allein diese Möglichkeit wurde bereits von mehr als 2300 Beurteilern im Rahmen von 302 Forschungs- und Praxisprojekten in Anspruch genommen (Stand Ende 2007). 80 Ein Großteil der AttrakDiff2-Projekte sind praxisorientierte Evaluationen interaktiver Produkte. Ein großer Vorteil des AttrakDiff2 ist dabei, dass es sich auch als standardisierter Nachbefragungsbogen zum Abschluss von usability tests eignet. Dies ist möglich, da der AttrakDiff2 abstraktere, erlebensorientierte Attribute (z.B., Neuartigkeit) und keine konkreten Merkmale ("Haben Sie die Fehlermeldungen verstanden?") zur Qualitätsmessung verwendet. So können Teilnehmer bereits nach kurzer Erfahrung mit einem Produkt dessen Eigenschaften beurteilen (z.B. als einen "ersten Eindruck"). Eine weitere Anwendungsmöglichkeit des AttrakDiff2 ist der Vergleich von interaktiven Produkten, im Sinne eines benchmarkings. Beispielsweise lässt sich die Website einer Firma mit der eines Mitbewerbers vergleichen. 3. Projekttyp „Einzelauswertung“: Das Produkt wird durch die Untersuchungsteilnehmer einmal beurteilt. Projekttyp „Vergleich vorher – nachher“: Ein Produkt wird zu unterschiedlichen Zeitpunkten wahlweise von den gleichen oder unterschiedlichen Teilnehmern beurteilt, z.B. zur Prüfung, ob Gestaltungsmaßnahmen die gewünschten Effekte hatten. Aber auch der Vergleich eines "ersten Eindrucks" mit der Beurteilung nach einer bestimmten Nutzungsdauer kann aufschlussreich sein. Projekttyp „Vergleich Produkt A - Produkt B“: Zwei Produkte (Gestaltungsvarianten) werden wahlweise von unterschiedlichen oder den gleichen Teilnehmern 2. 3. 4. 5.2 Wer? Untersuchungsteilnehmer können unspezifisch eingeladen werden (z.B. durch einen Link auf der Homepage) und ihre Beurteilung anonym abgeben. Teilnehmer können aber auch gezielt eingeladen werden (z.B. im Rahmen eines "friendly user trials"). Dabei bekommt jeder Teilnehmer ein persönliches Kennwort, mit dem sie oder er sich identifiziert. Das persönliche Kennwort und der Link zur Untersuchung kann per E-Mail direkt über die Website zugestellt werden. Wieviele? Es können zunächst bis zu 20 Personen befragt werden. Wird bei Vergleichsuntersuchungen entschieden, dass unterschiedliche Teilnehmer befragt werden, so sind pro Abfrage 20 Teilnehmer möglich. Wann? Mit dem Startdatum der Untersuchung wird festgelegt ab welchem Zeitpunkt Teilnehmer ihre Beurteilungen abgeben können. Die maximale Laufzeit ab Startdatum beträgt 3 Monate. Was? Produktname und Branche können für das bzw. die zu beurteilenden Produkte angegeben werden. Anpassungen und Flexibilität Die Abwicklung von AttrakDiff2Untersuchungen ist relativ flexibel. Teil- Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 nehmer können auch während der laufenden Umfrage hinzugefügt und benannt werden. Außerdem kann der eigentliche Fragebogen angepasst werden, indem ein individueller Studientitel vergeben werden kann, sowie eine Begrüßungsformel und/oder Angaben zum Projektverantwortlichen eingefügt werden können. Sollen mehr als 20 Untersuchungsteilnehmer befragt werden, die Studie länger als 3 Monate laufen oder spezifischere Anpassungen vorgenommen werden, dann ist dies im Rahmen der "Premium Services" möglich. Die speziellen Wünsche müssen in diesem Fall mit den Betreibern von www.attrakdiff.de abgestimmt werden. Eine kurze Anfrage per E-Mail genügt. 5.3 Bereich des Rechtecks fallen würde. Je größer ein Konfidenzrechteck desto heterogener sind die Beurteilungen der Teilnehmer. Große Konfidenzrechtecke sind bei kleinen oder heterogen zusammengesetzten Stichproben wahrscheinlich. Der Mittelwert als solcher sollte immer unter Bezugnahme auf die Grenzen des Konfidenzrechtecks interpretiert werden. Ergebnisdarstellung Die Beurteilung durch die Teilnehmer erfolgt online und wird automatisch ausgewertet. Die Ergebnisse können auch bei laufender Untersuchung abgerufen werden. Sie werden in einem Bericht präsentiert. Den Kern bilden dabei drei grafische Darstellungen: Portfolio, Diagramm der Skalenmittelwerte und Attributprofil. Im Folgenden soll die Portfoliodarstellung etwas ausführlicher beschrieben werden. Die übrigen Formen lassen sich in einem Beispielbericht auf www.attrakdiff.de nachlesen. Die Portfoliodarstellung (siehe Abbildung 1) fasst die Ergebnisse für die pragmatischen Qualität (PQ) und die hedonischen Qualität (HQ, gemittelte Werte für Identität [HQI] und Stimulation [HQS]) zusammen. Für PQ und HQ werden Konfidenzintervalle berechnet, die in der Portfoliodarstellung zusammen ein Konfidenzrechteck ergeben. Das Konfidenzrechteck gibt an, dass der Mittelwert von PQ und HQ bei einer weiteren Studie unter gleichen Bedingungen mit einer Wahrscheinlichkeit von 95% wieder in den fidenzrechteck komplett in einem Portfoliofeld liegen. Bei A ist das der Fall. Es kann dem neutralen Produktcharakter zugeordnet werden, d.h. es wird als durchschnittlich wahrgenommen. B kann nicht eindeutig zugeordnet werden. Das AttrakDiff2 erfasst die individuelle Wahrnehmung und Bewertung eines Produkts. Somit können beispielsweise auch durch unterschiedliche Vorerfahrung bedingte Beurteilungsunterschiede zwischen Personen abgebildet werden. Auch können sich Beurteilungen über die Zeit verändern. Beurteilungen, die Vergleichsstandards explizit machen, wie "Vorher - nachher" oder "Produkt A Produkt B" sind der Einzelbewertung also vorzuziehen (werden aber leider noch zu selten durchgeführt). 6.0 Abb. 1: Portfoliodarstellung des Projekttyps „Vergleich Produkt A - Produkt B“ Abbildung 1 zeigt eine Portfoliodarstellung mit einem Produkt A und einem Produkt B. Beide unterscheiden sich signifikant in Bezug auf PQ. Das erkennt man daran, dass sich die Konfidenzrechtecke in der Horizontalen nicht überlappen. In Bezug auf HQ ist der Unterschied nicht signifikant. In der Vertikalen kommt es zu einer Überlappung (wenn man die beiden Rechtecke in der Horizontalen auf dieselbe Position bringt wird es deutlich). Auch sind sich die Teilnehmer bei der Beurteilung von A etwas weniger einig als bei B, und zwar hauptsächlich in Bezug auf PQ. Das Rechteck von A ist breiter, aber fast genauso hoch wie das von B. Weiterhin kann man einem Produkt einen Produktcharakter zuweisen (z.B. „begehrt“ oder „selbstorientiert“, mehr dazu bei Burmester et al., 2007, S. 137f.). Dazu muss es mit seinem Kon- Ausblick Das AttrakDiff2 und das zugrunde liegende Modell verstehen sich als eine erste und grobe Konzeptionalisierung von UX. Die Auseinandersetzung mit alternativen Ansätzen, wie beispielsweise das wieder stärker auf Aufgaben bezogene e4-Modell (Harbich et al., 2007), wird dabei helfen, die Bedeutung von UX für die benutzerzentrierte Produktgestaltung besser zu definieren. Aber auch die Arbeit am AttrakDiff ist bei weitem nicht abgeschlossen. Momentan arbeiten wir an einer verkürzten Version des Differentials, dem AttrakDiff mini mit nur noch 10 Items (vier pragmatischen, vier hedonischen und zwei Attraktivitätsitems). Diese verkürzte Version soll das wiederholte Messen von Wahrnehmungen und Bewertungen beispielsweise während eines usability tests ermöglichen. So kann zum einen zuverlässiger gemessen werden als mit der üblichen Einzelmessung zum Abschluss eines Tests, zum anderen ermöglicht das wiederholte Messen das Aufzeigen von Veränderungen in Wahrnehmung und Bewertung über die Zeit. Unter Umstän- 81 den sind es gerade die Veränderungen, die die Einstellung zum Produkt prägen. Das AttrakDiff mini und die Möglichkeit zum wiederholten Messen werden als kostenfreie Erweiterung von www.attrakdiff.de allen Interessierten zugänglich gemacht. Wir sind der Überzeugung, dass komplexe technische Produkte systematisch und methodisch entwickelt werden müssen. Dazu gehört auch die Evaluation, das "Messen" oder "Beurteilen" von Qualität. Eine vorherrschende Meinung war, dass solche Dinge wie "Freude", "Emotionen", oder "Hedonisches" zu wenig greifbar sind, um sie systematisch zu berücksichtigen – oder dass man es nicht tun sollte, um dem "Anliegen" nicht zu schaden. Ahmet Cakir formuliert in einer schon etwas älteren, aber interessanten Debatte seine diesbezügliche Sorge: "Manches regelt sich besser, wenn es nicht geregelt wird." (http://www.ekphorie.de/engramm/swerg o_fun.html). Das mag sein. Aber manches wird auch ignoriert und vergessen, wenn es nicht geregelt wird. Und das möchten wir vermeiden. 7.0 Literatur Bevan, N. (2008). UX, usability and ISO standards. Now let's do it in practice: User experience evaluation methods in product development.Proceedings of the workshop on CHI 2008 [Online]. Available: www.cs.tut.fi/ihte/CHI08_workshop/papers/Be van_UXEM_CHI08_06April08.pdf Burmester, M., Hassenzahl, M., Koller, F. (2007). Engineering attraktiver Produkte AttrakDiff. In: J. Ziegler & W. Beinhauer (Hrsg.), Interaktion mit komplexen Informationsräumen (S. 127 – 141). München: Oldenburg. DATech (2008). Leitfaden Usability. www.datech.de [Online]. Forlizzi, J. & Battarbee, K. (2004). Understanding experience in interactive systems. 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The Motivation to Work. New York: Wiley. Law, E., Roto, V., Vermeeren, A., Korte, J., & Hassenzahl, M. (2008). Towards a sha- 82 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Softwareentwickler als Interaktionsgestalter: Erfahrungen zu Einsatz und Verwendung von Interaktionspattern Kerstin Klöckner Fraunhofer Institut für Experimentelles Software Engineering (IESE) Fraunhofer-Platz 1 67663 Kaiserslautern [email protected] Kirstin Kohler Fraunhofer Institut für Experimentelles Software Engineering (IESE) Fraunhofer-Platz 1 67663 Kaiserslautern [email protected] Abstract In den letzten Jahren hat die Verwendung von Interaktionspattern im Umfeld der User-Interface-Gestaltung zunehmend an Bedeutung gewonnnen. Interaktionspattern dokumentieren bewährte Lösungen zu definierten Problemen der Interaktionsgestaltung. Damit dienen sie insbesondere für unerfahrene Gestalter als ideales Werkzeug zur Unterstützung bei der Entwicklung von Benutzungsschnittstellen. In wie weit es gelingt, die Entwicklung von Benutzungsschnittstellen durch Pattern zu unterstützen, 1.0 Einleitung Seit Mitte der 90er Jahre finden Pattern zunehmend bei der Entwicklung von Software-Systemen Verwendung. Während Pattern anfänglich primär zur Gestaltung der Software-Architektur herangezogen wurden, gewinnen sie in den letzten Jahren mehr und mehr auch im Bereich der Interaktionsgestaltung an Bedeutung (Dearden & Finlay 2006). Dieser Trend zeigt sich sowohl im wissenschaftlichen Umfeld als auch im industriellen Kontext. Interaktionspattern dienen als vielversprechendes Medium, um die Lücke zwischen SoftwareEngineering und Usability-Engineering zu überwinden, da sie es ermöglichen, Wissen über interaktive Gestaltung zu dokumentieren und damit auch Software-Entwicklern näher zu bringen. Eine Gegebenheit, unter der heute viele Projekte leiden: Die Interaktionsgestaltung wird von Software-Ingenieuren durchgeführt, die durch ihre Ausbildung nur allzu hängt zu einem erheblichen Teil von der Qualität der Patternbeschreibungen ab. Wichtige Qualitätsaspekte sind beispielsweise die für die Zielgruppe verständliche Beschreibung sowie die Vollständigkeit der für die Ausgestaltung notwendigen Information. Dieser Beitrag zeigt, welche Faktoren zu einer Erhöhung der Verständlichkeit einer Patternbeschreibung führen und wie die Vollständigkeit der notwendigen Information gewährleistet werden kann. Weiterhin werden die Ergebnisse einer empirischen Untersuchung aus dem industriellen Kontext vorgestellt. Im Rahmen dieser Untersuchung wurde eine Patternbeschreibung von verschiedenen Software-Entwicklern in ein konkretes Interaktionskonzept in Form eines Papierprototyps umgesetzt. häufig keine Kenntnisse in der Interaktiongestaltung mitbringen. onsgestaltung tatsächlich unterstützten. Das FUN-Projekt (Fun-of-Use für Geschäftsanwendungen, http//www.funof-use,de) beschäftigt sich mit einer speziellen Sorte von Interaktionspattern: Das wissenschaftliche Ziel dieses Projekts ist es, Pattern zu beschreiben, die es ermöglichen, Geschäftsanwendungen motivierender und attraktiver zu gestalten, also sogenannte hedonische Aspekte adressiert. Beispiele für bisher beschriebene Pattern können den folgenden Beiträgen entnommen werden: Niebuhr et at. 2007; Nass & Kohler 2008. Obwohl Interaktionspattern vielfach auch im industriellen Kontext Verwendung finden – beispielsweise bei SAP (Wozorek & Eberleh 2008) oder Yahoo (Yahoo 2008) –, gibt es weder Empfehlungen oder Standards zur Beschreibung guter Pattern (Seffah et al. 2005), noch aussagekräftige Studien darüber, wie gut Pattern die Interakti- Keywords Pattern, Interaktionspattern, Verständlichkeit, Evaluation, fun-of-use Im folgenden Beitrag werden wir von einer Fallstudie berichten, die wir mit Software-Entwicklern durchgeführt haben, um die Qualität unserer FUNPatternbeschreibungen (im Folgenden auch Pattern oder Patternbeschreibung genannt) zu bewerten und zu verbessern. In Abschnitt 2 wird erläutert, welche Anforderungen wir im FUN-Projekt an die Qualität der Patternbeschreibungen aufgestellt haben und wie wir sie adressiert haben. Anschließend wird in Abschnitt 3 von den empirischen Untersuchungen berichtet, in deren Rahmen eine Patternbeschreibung bewertet wurde. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse ist in Abschnitt 4 dargestellt. Abschnitt 5 schließt mit einer Zusammenfassung und einem Ausblick. 2.0 Unser Qualitätsverständnis von Pattern Als Pattern bezeichnet man einen bewährten Lösungsansatz für wieder- 83 kehrende Probleme mit konkreten Umsetzungsbeispielen. Vereinfacht betrachtet beschreibt ein Pattern also ein Tupel bestehend aus Problem und Lösung, das in einem bestimmten Kontext angewendet werden kann. Prominentes Beispiel ist das Pattern der „abwechselnden Zeilenfarben“ (engl. Alternating Row Colors). Das Problem, das durch dieses Pattern adressiert wird, ist die Lesbarkeit von langen Listen. Die Lösung, die das Pattern vorgibt, ist die abwechselnde Hinterlegung der verschiedenen Zeilen mit kontrastierenden Farben. Die Anforderungen an die Qualität einer Patternbeschreibung ergeben sich aus deren Nutzungsszenario. Abbildung 1 verdeutlich dieses schematisch. Wir gehen davon aus, dass ein Interaktionsgestalter (darunter wollen wir im Folgenden die Rolle in einem Softwareentwicklungsprojekt subsumieren, welche die Interaktion des Endanwenders mit dem System gestaltet) ein Pattern aus einer Sammlung von Pattern entnimmt, um ein bekanntes Interaktionsproblem der Software zu beheben. Das zu lösende Problem wird durch den dunklen runden Kreis symbolisiert. Um das Problem mit Hilfe eines Patterns erfolgreich zu beheben, muss der Interaktionsgestalter die folgenden, in Abbildung 1 gezeigten Schritte durchführen. Er/sie muss das geeignete Pattern aus der Sammlung von Pattern ausfindig machen (Schritt 1: Finden). Bei diesem Schritt ist es besonders wichtig, dass das Problem, das durch das Pattern adressiert wird, zu dem Problem in der Software passt. Da Pattern allgemeingültige Lösungen beschreiben, kann man davon ausgehen, dass das Pattern abstrakter beschrieben ist als das zu behebende Problem in der Software. Er/sie muss die Patternbeschreibung verstehen (Schritt 2: Verstehen), um anschließend die im Pattern aufgeführte Lösung auf den Kontext der Software zu 84 übertragen und damit eine konkrete Lösung zu erarbeiten. Um bei dem Pattern der „abwechselnden Zeilenfarben“ zu bleiben: Es sollten für die konkrete Software Farben gewählt werden, die zum Look and Feel der Software passen. Da in diesem Schritt etwas Abstraktes (nämlich die Lösung der Patternbeschreibung) auf etwas Konkretes übertragen wird (auf die Lösung des Problems in der Software), bezeichnen wir diesen Schritt als Konkretisieren (Schritt 3: Konkretisieren). Interaktionsgestalter 2. Verstehen Software mit Problem Patternbeschreibung Software ohne Problem Problem 1. Finden Lösung sollen. Die Fallstudie dient dazu, die Güte dieser Richtlinien zu bewerten. In den nächsten beiden Abschnitten werden wir näher auf diese beiden Qualitätseigenschaften eingehen. 2.1 Verständlichkeit von Pattern In Anlehnung an das Hamburger Verständlichkeitskonzept (Wikipedia_1 2008) ist Verständlichkeit die Eigenschaft von Texten, Veröffentlichungen oder sonstigen Botschaften, vom Empfänger richtig und schnell verstanden zu werden. Übertragen auf Pattern bedeutet das, dass der Inhalt und die Struktur der Patternbeschreibung so gestaltet sein muss, dass der Interaktionsgestalter den beschriebenen Sachverhalt nicht nur zur Kenntnis nimmt, sondern auch die intellektuelle Erfassung des Zusammenhangs unterstützt wird (siehe auch Wikipedia_2 2008). 3. Konkretisieren Abb 1: Die verschiedenen Schritte bei der Verwendung eines Patterns zur Unterstützung der Interaktionsgestaltung Geht man davon aus, dass ein Pattern korrekt ist, also die dort beschriebene Lösung auch wirklich das beschriebenen Problem adressiert, hängt es allein von der Güte der oben beschriebenen drei Schritte ab, ob eine Patternbeschreibung überhaupt zur Unterstützung der Interaktionsgestaltung hilfreich ist. Wir gehen davon aus, dass das Finden durch eine intelligente Suchmaschine unterstützt werden kann und haben uns im Folgenden insbesondere auf die Punkte des Verstehens und Konkretisierens fokussiert. Die Qualität der Patternbeschreibung definiert, wie gut diese Schritte unterstützt werden. Wir haben im Verlaufe des Projekts Richtlinien für „Patternschreiber“ erstellt, die das Verstehen und Konkretisieren unterstützen Wir haben versucht, die Verständlichkeit der Patternbeschreibung unter anderem in Anlehnung an das Hamburger Verständlichkeitsmodell (Langer et al. 2006) zu optimieren, indem wir beispielsweise darauf geachtet haben, einfache, der Zielgruppe geläufige Wörter zu verwenden, die Sätze einfach aufzubauen und auf Schachtelsätze zu verzichten. Weiterhin haben wir die Informationen in der Patternbeschreibung auch innerhalb der gängigen Kategorien (siehe z.B. Tidwell 2005; Borchers 2001) gegliedert, übersichtlich angeordnet und Wichtiges hervorgehoben. Zudem wurde der Inhalt durch Beispiele und Abbildungen lebendig gestaltet und der Leser persönlich angesprochen (z.B. „Welche Informationen werden dargestellt?“). Abbildung 2 zeigt einen Auszug aus dem Lösungsteil der in der Fallstudie benutzten Patternbeschreibung. Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Welche Informationen werden dargestellt? Die Darstellung besteht aus x x x x Qualitätskriterien Ist-Feedback Soll-Feedback Tipp Wie finde ich diese Informationen? Qualitätskriterium Qualitätskriterien stellen alle wichtigen Aspekte der Aufgabenbearbeitung dar, die die Güte der Aufgabenbearbeitung definieren. Jedes Qualitätskriterium wird durch ein Ist- und ein SollFeedback dargestellt. Ist- und Soll-Feedback Feedback über die Arbeitsleistung erhält man, indem man die Qualität der Aufgabenabarbeitung bezüglich eines Qualitätskriteriums untersucht. Dies sollte mit Hilfe der Software berechnet/bewerten werden können. x Das Ist-Feedback repräsentiert die Qualität, die der Benutzer bezüglich eines Qualitätskriteriums aktuell erbringt, um die Aufgabe zu bearbeiten. Beispiel: Beim Autofahren bestimmen Geschwindigkeit und Einfahrtswinkel in die Kurve, wie gut ein Rennfahrer in die Kurve fährt. x Das Soll-Feedback repräsentiert die Qualität der Aufgabenbearbeitung eines Anderen bezüglich desselben Qualitätskriteriums. Die andere Leistung kann sein: o die ideale Aufgabenbearbeitung o die Leistung des Besten o die Bestleistung des Benutzers Beispiel: Ein „Geisterfahrer“ gibt die Ideallinie bezüglich Geschwindigkeit und Einfahrtswinkel vor. Tipp dem Kontext belegt werden sollen. Um auch hier wieder das Beispiel mit den „abwechselnden Zeilenfarben“ aufzugreifen, wären die beiden Hintergrundfarben solche Variablen. erläuterten Richtlinien beschrieben wurde, im industriellen Kontext validiert haben. Eine weitere Richtlinie zur Erstellung der Patternbeschreibung betrifft die Gliederung der Patternlösung in drei Abschnitte: Ziel der Fallstudie ist es herauszufinden, ob Interaktionsgestalter in der Lage sind, ein bestehendes Problem einer Software mit Hilfe einer Patternbeschreibung zu lösen. x x Für jedes Qualitätskriterium der Aufgabenbearbeitung beschreibt der Tipp Hinweise, wie die Aufgabenbearbeitung hinsichtlich des Qualitätskriteriums optimiert werden kann. Abb. 2: Auszug aus dem Lösungsteil einer FUN-Patternbeschreibung 2.2 Konkretisierung von Pattern Ein Pattern muss so gestaltet sein, dass die abstrakte Beschreibung der Lösung auf eine konkrete Lösung übertragen werden kann. Die Herausforderung dabei besteht darin, den Lösungsraum nicht zu stark und nicht zu wenig einzuschränken (siehe Abbildung 3): Wird der Lösungsraum zu stark einschränkt, wird es genau eine Lösung geben (1), was der Idee eines Patterns widerspricht. Wird der Lösungsraum zu wenig einschränkt, ist es wahrscheinlich, dass eine schlechte Lösung erarbeitet wird (2). Erwünscht ist, dass sich die Lösung auf viele verschiedene Situationen übertragen lässt und die Lösung Platz für Kreativität lässt (3). Wir begegnen dieser Herausforderung damit, dass wir die Pattern in semiformaler, natürlicher Sprache beschreiben. Semiformal insofern, dass alle Informationen, die im Pattern dargestellt werden, ähnlich wie Variablen zu verstehen sind. Durch die Patternbeschreibung wird dem Interaktionsgestalter vermittelt, wie diese Variablen durch Werte aus x Welche Information muss ich darstellen? In diesem Abschnitt werden alle Variablen beschrieben, die für die konkrete Interaktion mit Werten belegt werden müssen Wie finde ich diese Information? In diesem Abschnitt wird erläutert, wie der Interaktionsgestalter die Information aus seinem Kontext ermitteln kann. Was muss ich bei der Darstellung der Information beachten? Dieser Abschnitt gibt Richtlinien zur visuellen Ausgestaltung, die den Interaktionsgestalter dabei unterstützen sollen, eine Lösung mit guter Usability zu erarbeiten. 3 1 2 Abb. 3: Die Art der Lösung hängt davon ab, wie stark der Lösungsraum durch die Beschreibung eingeengt wird. Im folgenden Abschnitt wird die Fallstudie beschrieben, in deren Rahmen wir ein Pattern, das nach den oben 3.0 3.1 Fallstudie Messziel Im Folgenden wird das Messziel formuliert, das sich auf die Qualitätseigenschaften Verständlichkeit und Konkretisierung eines Patterns bezieht. Da diese beiden Qualitätseigenschaften in der Fallstudie nur schwer von einander getrennt werden können, umfasst das Messziel beide Eigenschaften. Messziel: Das Pattern ist für Interaktionsgestalter in einer Art und Weise beschrieben, dass diese eine Interaktionsgestaltung zu einem gegebenen, zum Pattern passenden Kontext erarbeiten können, so dass diese Lösung die im Problem-Teil der Patternbeschreibung spezifizierten Qualitätsaspekte korrekt adressiert. Wir glauben, dass FUN-Pattern die Zielgruppe der Interaktionsgestalter adressiert, die das Konzept von Pattern kennen und Erfahrung im Einsatz von Pattern haben. 3.2 Ablauf der Fallstudie Nach einer allgemeinen Einführung in Pattern und der Erklärung des groben Ablaufs der Fallstudie wurde der Proband in eine „Entwurfssituation“ versetzt, in der ihm der Kontext einer Software erklärt wurde, die eine Schwachstelle aufweist. Seine Aufgabe war es, mithilfe eines Patterns ein Interaktionskonzept in Form eines Papierprototyps zu erstellen, das die Schwachstelle behebt. Das Pattern wurde im Vorfeld von Experten so 85 ausgewählt, dass es das Problem auch tatsächlich löst. Nachdem der Proband mit dem Kontext und der Aufgabe vertraut war, wurde ihm die Patternbeschreibung ausgehändigt, die er so lange lesen durfte, bis er sie verstanden hatte. Danach hatte er die Möglichkeit, Unklarheiten bezüglich der Patternbeschreibung durch Rückfragen an den Versuchleiter zu klären. Generell hatte der Proband immer die Möglichkeit, den Versuchleiter bei Unklarheiten zu befragen. Im Anschluss daran erstellte der Proband ohne Zeitdruck ein Interaktionskonzept, das er danach dem Versuchsleiter erklärte. Zuletzt fand ein Abschlussinterview statt, in dem der Proband unter anderem gebeten wurde, den Problem- und den Lösungsteil der Patternbeschreibung mit seinen eigenen Worten wiederzugeben. Danach wurde das vom Proband erstellte Interaktionskonzept von zwei Experten bewertet. 3.2.1 Messinstrumente Zur Überprüfung der Messziele diente vor allem die Bewertung des Interaktionskonzepts durch Experten. Weiterhin wurden die Rückfragen zur Verständlichkeit der Patternbeschreibung oder sonstiger Zwischenfragen ausgewertet, ebenso die Ergebnisse des Abschlussinterviews, das neben der Bitte um Wiedergabe der Patternbeschreibung mit eigenen Worten auch einen Fragebogen zur Bewertung der Verständlichkeit (Langer et al. 2006) der Patternbeschreibung beinhaltete. Des Weiteren wurde gemessen wie viel Zeit jeder Proband braucht, um das Pattern zu lesen. 3.2.2 Probanden Die bisherigen Probanden bestanden einerseits aus Mitarbeitern einer der 86 Firmen des FUN-Projektkonsortiums und andererseits aus Mitarbeitern des Fraunhofer IESE. Bis auf einen Probanden hatten die Probanden keine größeren Kenntnisse über das FUNProjekt bzw. über FUN-Pattern. 4.0 Erste Ergebnisse Bisher wurde die Studie mit fünf Probanden durchgeführt. Von den fünf erstellten Interaktionskonzepten wurden zwei Lösungen schlecht und drei Lösungen gut bewertet. Was genau unterscheidet eine gute von einer schlechten Lösung? Gute Lösungen adressieren die in der Patternbeschreibung spezifizierten Qualitätsaspekte korrekt: Alle Elemente, die laut Patternbeschreibung vorkommen müssen, sind auch in der Lösung zu finden. Beispielsweise gibt es in dem in der Fallstudie verwendeten Kontext der Software verschiedene Qualitätskriterien, anhand derer die Arbeitsweise eines Mitarbeiters bewertet werden kann. Laut Patternbeschreibung muss zu jedem Qualitätskriterium ein Istund ein Soll-Feedback gegeben werden. Eine Lösung wird unter anderem dann als gut bewertet, wenn sie zu jedem Qualitätskriterium sowohl ein Ist- als auch ein Soll-Feedback enthält. Gute Lösungen beachten weiterhin alle Hinweise zur Darstellung der Information, zum Beispiel, dass das Feedback in Echtzeit gegeben werden muss. der Patternbeschreibung oder sonstige Fragen. Die Ergebnisse des Verständlichkeitsfragebogens waren wenig auffällig. Von den fünf Probanden gaben vier Probanden den Inhalt der Patternbeschreibung korrekt wieder, ein Proband nur unvollständig. Die für das Lesen des Patterns benötigten Zeiten variierten zwischen fünf und 15 Minuten und korrelieren nicht zur Qualität der Lösung. 4.1.1 Erklärung der Ergebnisse Wie lassen sich die beiden schlechten Lösungen erklären, obwohl alle Probanden die Patternbeschreibung verstanden haben? Das heißt es gab keine Verständlichkeitsfragen, die Ergebnisse des Verständlichkeitsfragebogens waren wenig auffällig und die Probanden waren größtenteils in der Lage, den Inhalt der Patternbeschreibung korrekt wiederzugeben. Zur Klärung der Frage wurden die Profile der Probanden betrachtet, die mit Hilfe eines Fragebogens erhoben wurden und unter anderem Angaben zu ihren beruflichen Aufgaben und ihrem Kenntnisstand bezüglich Pattern beinhaltet. Die beiden Probanden, welche schlechte Lösungen erarbeitet haben, gaben an zu wissen, was Pattern sind, hatten aber keine bis genau eine Erfahrung mit der Verwendung von Pattern zur Interaktionsgestaltung bzw. in der Architekturentwicklung. Im Gegensatz dazu gab es bei den schlechten Lösungen gravierende Mängel, die vor allem die korrekte und vollständige Umsetzung der notwenigen Elementen betreffen, so z.B., wenn es nicht zu jedem Qualitätskriterium ein Ist- und ein Soll-Feedback gab. Die drei Probanden, welche gute Lösungen erarbeitet haben, gaben ebenfalls an zu wissen, was Pattern sind, hatten aber im Gegensatz zu den beiden anderen Probanden bereits eine gewisse Erfahrung mit der Verwendung von Pattern in der Architekturentwicklung. Grundsätzlich hatten die Probanden keine Rückfragen zur Verständlichkeit Dies lässt vermuten, dass der Einfluss der Erfahrung mit der Verwendung von Pattern tatsächlich eine große Rolle Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 spielt, sei es bei der Interaktionsgestaltung oder in der Architekturentwicklung. Weniger wichtig scheint zu sein, ob Gestaltung oder Entwicklung von Benutzeroberflächen zu den Aufgaben des Probanden gehören, da es diesbezüglich keine Korrelation zu der Qualität der erarbeiteten Lösung gab. 5.0 Zusammenfassung und Ausblick Die Fallstudie hat gezeigt, dass alle Probanden die FUN-Patternbeschreibung verstanden haben. Drei der fünf Probanden waren darüber hinaus in der Lage, eine Interaktionsgestaltung zum gegebenen, zum Pattern passenden Kontext zu erarbeiten, so dass die Lösung die in der Patternbeschreibung spezifizierten Qualitätsaspekte korrekt adressiert – allerdings nur, wenn die Probanden mit der Verwendung von Pattern erfahren sind. Es ist geplant, die Fallstudie mit zusätzlichen Probanden durchzuführen. Weiterhin ist angedacht, die Fallstudie mit einem anderen FUN-Pattern zu wiederholen. Darüber hinaus wird über einen alternativen Versuchsaufbau nachgedacht, der dem bisherigen entspricht, außer dass der Proband zuerst das Problem ohne Pattern lösen muss. Nachdem er diese Lösung präsentiert hat, bekommt er die Patternbeschreibung ausgehändigt und muss darauf basierend eine neue Lösung erarbeiten. Mit diesem Versuchsaufbau ist es möglich festzustel- len, ob es einen (qualitativen) Unterschied gibt zwischen der der Lösung, die ohne Pattern erarbeitet wurde, und der Lösung, die unter Zuhilfenahme eines Pattern erarbeitet wurde. Danksagung Wir danken der Firma a3 systems GmbH, deren Mitarbeiter sich für diese Fallstudie zur Verfügung gestellt haben. Die Arbeiten werden durch das vom BMBF geförderte Projekt FUN finanziert (Förderkennzeichen: 01 IS E06 A) 6.0 Literaturverzeichnis Alexander, C. (1979): A Timeless Way of Building. Oxford University Press. Borchers, J. (2001): A Pattern Approach to Interaction Design. Wiley. Dearden, A.; Finlay, J. (2006): Pattern Languages in HCI: A Critical Review. In: Human Computer Interaction. Vol. 21, S. 49102. Gamma, E.; Helm, R.; Johnson, R.; Vlissides, J. (1995): Design Patterns: Elements of Reusable Object Oriented Software. Addison-Wesley. Langer, I.; Schulz von Thun, F.; Tausch, R. (2006): Sich verständlich ausdrücken. München: Ernst Reinhardt Verlag. ves Nutzererleben mit ernsthafter Software! In: Rötting, M.; Wozny, G.; Klostermann, A.; Huss, J. (Hrsg.): Prospektive Gestaltung von Mensch-Technik-Interaktion. Reihe 22, Nr. 25. Düsseldorf: VDI Verlag GmbH. S. 233238. Seffah, A.; Desmarais, M. C.; Metzker, E. (2005): HCI, Usability and Software Engineering Integration: Present and Future. In: Seffah, A.; Gulliksen, J.; Desmarais, M. C. (Hrsg.): Human-Centered Software Engineering - Integrating Usability in the Software Development Lifecycle. Vol. 8. Niederlande: Springer. S. 37-57. Tidwell, J (2005): Designing Interfaces: Patterns for Effective Interaction Design. O'Reilly Media, Inc. http://designinginterfaces.com/ Waloszek, G.; Eberleh, E. 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(2007): Gewusst wie: Positi- 87 Exploration – ein Pattern zur Steigerung des Engagements Claudia Nass Fraunhofer Institut für Experimentelles Software Engineering (IESE) Fraunhofer Platz 1 67663 Kaiserslautern [email protected] Kirstin Kohler Fraunhofer Institut für Experimentelles Software Engineering (IESE) Fraunhofer Platz 1 67663 Kaiserslautern [email protected] Abstract Dieser Artikel präsentiert die Ergebnisse einer Untersuchung aus dem Forschungsprojekt FUN, das sich mit der Verbesserung der User Experience von Geschäftsanwendungen beschäftigt. Eines der Resultate von FUN sind die so genannten 1.0 Einleitung Die Forschung der letzten Jahre hat gezeigt, dass positives Nutzererleben (engl. User Experience) sowohl auf pragmatischen als auch auf hedonischen Eigenschaften beruht (Hassenzahl et al. 2003). Speziell im Hinblick auf die hedonischen Eigenschaften von Software im Umfeld von professionellen Software-Anwendungen eröffnet sich damit ein bisher wenig genutztes Optimierungspotenzial. Doch noch ist weder viel darüber bekannt, welche Bedeutung die verschiedenen Eigenschaften für unterschiedliche Typen von Systemen haben, noch wie sie gezielt in Systeme „hinein entwickelt“ werden können. Das vom Bundesministeriums für Bildung und Forschung BMBF geförderte Projekt FUN (www.fun-of.use.org) versucht, Antworten auf diese Fragenstellung zu erarbeiten. Es verfolgt das Ziel, Interaktionspattern für Geschäftanwendungen zu beschreiben, die zu positivem Nutzererleben führen. Dabei werden Pattern unterschieden, die motivierend wirken, zu Verhaltensänderung führen oder zum Explorieren anregen sollen (vgl. das von Harbich et al 2007 vorgeschlagene Qualitätsmodell). Mit der vorliegenden Arbeit wollen wir ein Pattern vorstellen, dass den Anwen- 88 FUN Interaktions-Pattern. "Exploration" ist ein solche Pattern. Es fasst Interaktionskonzepte zusammen, die das Interesse und Engagement des Anwenders für eine Web-Seite stärken soll. Der Beitrag stellt das Exploration-Pattern vor und be- der dazu anregen soll, sich stärker mit einer Web-Seite auseinander zu setzten und sie zu erkunden. Das Pattern ist in die Projektseite des Projektes FUN integriert. In Abschnitt 2 werden die wissenschaftlichen Hintergrundtheorien vorgestellt, die dem Pattern zu Grunde liegen. Abschnitt 3 stellt das Pattern und seine Ausgestaltung in Form der Projekt-Webseite vor. Anschließend werden in Abschnitt 4 die Ergebnisse einer Pilotstudie erläutern, die zur empirischen Validierung des Patterns beiträgt. 2.0 Wissenschaftliche Hintergrundtheorien Zurzeit wird das Thema "Exploration" im Kontext des interaktiven Lernens diskutiert, speziell im Zusammenhang mit dem Konstruktivismus im Rahmen der Lernpsychologie (Ackerman 2007; Rosatelli 2000). Nach der Theorie des Konstruktivismus geben wir der Welt erst ihre Bedeutung. Bedeutung existiert nicht unabhängig von uns. Piaget, einer der Vorläufer des Konstruktivismus, sagt, dass Wissen nicht etwas ist, das eingepackt, adressiert und verschickt werden kann. Wissen ist Erfahrung, die aktiv durch die direk- schreibt Ergebnisse einer Pilotstudie. Keywords User Experience, FUN, Exploration, Engagement, AttrakDiff, Hedonische Qualität. te Interaktion mit der Welt aufgebaut wird (Piaget 1967). Nach Piagets funktionaler Theorie über die Intelligenz haben Individuen die Fähigkeit, die Balance zwischen Stabilität und Änderung, Passivität und Aktivität in seinen Worten Akkommodation und Assimilation zu bewahren (Piaget 1967). Das bedeutet, dass eine Person sich manchmal aktiv auf die Suche nach Information begibt, während sie im nächsten Moment nur passiv Information aufnimmt. Kegan (1992) postuliert etwas Analoges. Er sagt, Wissen ist Beziehung. Beziehung heißt, den Austausch und die Balance zwischen Außen- und Innenwelt herzustellen. Ebenso werden in einer Beziehung Dinge erfragt, aufgenommen oder erzählt. Es ist auch bekannt, dass die Zuhörer das Interesse verlieren, wenn man viel über sich selbst erzählt. Dann gibt es keinen Raum mehr für Interpretationen. Ebenso wird Desinteresse erzeugt, wenn man nicht genug erzählt oder das Erzählte Widersprüchliche ergibt. In beiden Fälle findet die Exploration nicht statt. Nur zwischen dem Spannungsbogen von Akkommodation und Assimilation gibt es eine „ideale Anpassungszone“ in der die Aufnahme und Verknüpfung Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 von Informationen unterstützt wird (Ackerman 2007). So kann man sagen, dass die Exploration es dem Individuum erlaubt, seine eigenen Wege zu gestalten, neue Grenzen zu erreichen, Informationen zu interpretieren, neue Verbindungen zu verknüpfen und seine eigenen Erfahrungen zu machen. Diese Aktionen sind möglich, wenn die Umgebung das Individuum dazu ermutigt. Für Winnicott (1989) ist die ideale Umgebung für das Sammeln dieser Erfahrung eine Übergangszone zwischen dem Ich und der Welt, wo die Leute proaktiv und sicher explorieren können. In dieser Umgebung kann man Ideen verwirklichen und Risiken eingehen ohne negative Nebenwirkung hervorzurufen. 3.0 Exploration-Pattern Basierend auf den Erkenntnissen dieser Theorien wurde eine Liste von Eigenschaften abgeleitet, die in einem Software-System dazu beitragen könnten, Engagement bei dem Benutzer zu fördern. Diese Eigenschaften wurden in Interaktionskonzepte umgesetzt und im Konzept des FUN-Patterns "Exploration" zusammengefasst. 3.1 Konzepte des ExplorationPatterns Das Exploration-Pattern ist ein Navigationsmodus. Vier wesentliche Eigenschaften bestimmen die Darstellung einer Grafischen Benutzungsoberfläche (GUI) mit diesem Pattern: 1. 2. Die Präsentation des Inhaltes soll eine Spannung bezüglich der Interpretation des Wahrgenommen erzeugen. Diese interpretative Spannung bildet der Anreiz etwas zu entdecken. Die dynamische Gestaltung der GUI-Elemente soll den Benutzer 3. 4. dazu anregen, den Raum spielerisch zu entdecken. Indem der Anwender die Spuren seiner Interaktionen hinterlässt, wird die Schnittstelle ad hoc personalisiert. Dies soll beim Anwender die Identifikation mit der Software unterstützen. Der Benutzer kann den Interaktionsprozess, so oft er will, erneut beginnen, was zum spielerischen Umgang mit der Software ermutigen soll. Jede dieser Eigenschaften besteht aus einem oder mehreren Interaktionskonzepten, die in die graphische Oberfläche integriert werden können (Tab. 1). Die interpretative Spannung wird durch das Konzept der Erkennungszeichen (1) umgesetzt. Mit Erkennungszeichen sind Grafikelemente gemeint, die den Aufbau und den Inhalt der Anwendung darstellen. Die Nutzung von Farben, Symbole und die Gruppierung von Informationen können als Erkennungszeichen interpretiert werden. Die interpretative Spannung wird in Kombination mit einer anderen Eigenschaft des Patterns verursacht, dem spielerischen Entdecken. Spieleri- sches Entdecken wird durch zwei Interaktionskonzepte umgesetzt: die Beweglichkeit (3) des Interfaces und die Wegewahl (4). Unter der Beweglichkeit des Interfaces wird es verstanden, dass sich das Interface bei den Benutzungen in alle vier Himmelrichtungen (horizontal und vertikal) bewegen lässt und dass Annährung und Entfernung dargstellt werden können (Zoom). Dadurch wird dem Benutzer ermöglicht, vom Ganzen ins Detail oder in die Übersicht zu navigieren. Das Fenster der Anwendung ist nicht mehr eine Grenze für die Navigation, sondern es funktioniert als ein Ausschnitt, der den Benutzer beim Navigieren unterstützt. Die Wegewahl unterstützt die interpretative Spannung und das spielerische Entdecken in dem Maße, dass sie dem Benutzer erlauben, seine eigenen Wege zur Information oder Aktion zu finden, sein eigenes Wissen aufzubauen und sich dadurch besser die Information merken oder die Aktion zu durchführen zu können. Die Identifikation wird dadurch gefördert, dass jede Aktion des Benutzers auf der Schnittstelle aufgezeichnet wird, so dass er den Pfad seiner bisherigen Interaktion beobachten kann (5). Eine grafische Eigenschaften Interaktionskonzepte Interpretative Spannung Erkennungszeichen (1) (2) Beweglichkeit (3) Spielerisches Entdecken Wegewahl (4) Identifikation Verfolgbarkeit > Personalisierung (5) Ermutigung Zurücksetzen (6) Bedeutung Der Inhalt ist präsentiert als konsistente Erkennungszeichen. Der Bildschirm funktioniert als Ausschnitt für die Navigation. Man hat verschiedene Möglichkeiten, ein Ziel zu erreichen. Indem der Anwender die Spuren seiner Interaktionen hinterlässt, wird die Schnittstelle personalisiert. Der Benutzer kann den Interaktionsprozess so oft er will, erneut beginnen. Tab. 1: Beziehung zwischen Eigenschaften und Interaktionskonzepte des Patterns 89 Darstellung des bereits zurückgelegten Wegs personalisiert die Benutzungsoberfläche und verstärkt die Beziehung des Benutzers zu der Anwendung. Für eine erfolgreiche Exploration ist es wichtig, dass der Benutzer sich sicher fühlt. Die Möglichkeit des Zurücksetzens (6) erlaubt dem Benutzern das Löschen des personalisierten Pfades und damit das Beginnen einer neue Exploration. 3.2 Eine beispielhafte Umsetzung des Exploration-Patterns Das Exploration-Pattern wurde in der Web-Seite des Forschungsprojektes FUN (Abb. 1) exemplarisch realisiert (www.fun-of-use.org). Die erläuterten sechs Interaktionskonzepte wurden dabei in der Seite umgesetzt. Das Erkennungszeichen wurde durch zwei Elemente realisiert: (1) Symbole repräsentieren die Links der Hauptnavigation. Sie werden auf der ersten Seite im Hauptmenü gezeigt. Der Wechsel zwischen den verschiedenen Unterlinks deutet dem Benutzer an, dass es mehr zu sehen gibt. Dies soll ihn dazu motivieren, weiter zu schauen (2). Der Wechsel zwischen zwei Seiten erzeugt ein Rutschen in der Horizontalen. In diesem kurzen Augenblick des Übergangs kann der Benutzer andere Teile der Fun Seite erkennen. Auf der Startseite im Zentrum des Interfaces wird das Hauptmenu gezeigt. Durch die Bewegung der Maus auf diesen Bereich erzeugt man eine Beweglichkeit von links nach rechts und von rechts nach links. Durch die Dynamik bekommt der Anwender Zugriff auf alle Menüpunkte. Auch auf die, die sich vorher außerhalb des sichtbaren Bereichs befunden haben. Durch diese Lösung wird das Interaktionskonzept der Beweglichkeit aufgegriffen. Jedes Mal, wenn einer dieser Links gewählt wurde, erscheint eine Miniatur des 90 Abb 1: Fun Seite mit Exploration-Pattern. Die Zahlen (1) bis (6) entsprechen den Interaktionskonzepten von Tab 1. entsprechenden Symbols im Oberen Teil der GUI. In dem der Anwender mehr und mehr Unterpunkte besucht, baut er sein eigenes Menü auf. Dieses Menü (wir bezeichnen es als Nebenmenü) erlaubt ebenfalls die Navigation über alle existierenden Seiten (4). Es setzt das Prinzip der Wegewahl um. Der Aufbau des eigenen Menüs repräsentiert gleichzeitig ein weiteres Interaktionskonzept, das der Personalisierung (5). Da der Aufbau für jeden Benutzer gesondert erfolgt und von dessen Interaktion abhängt, wird die WebSeite personalisiert. Das Interaktionskonzept des Zurücksetzens (6) wird durch einen Button angeboten, der es dem Benutzer erlaubt das Nebenmenü zu löschen und wieder mit dem originalen Interface zu beginnen. 4.0 Pilotstudie des ExplorationPatterns Im Rahmen einer Pilotstudie wurde die Wirkung des Patterns auf Benutzer beobachtet. Die Wirkung des Patterns wurde bezüglich dreier Aspekte betrachtet: 1. 2. 3. Engagement: Dies bezieht sich auf die Beteiligung einer Person oder deren Interesse an einem Inhalt oder Ablauf des Erlebens, unabhängig vom Medium (Dow et al. 2007). Hedonische Qualität: Der Benutzer wird durch visuelle Gestaltung und neuartige Interaktionsformen stimuliert, besitzt die Anwendung hedonische Qualität (Hassenzahl 2003). Pragmatische Qualität: Die Anwendung erlaubt es dem Benutzer, seine Aufgabe zu erledigen. Die Software besitzt pragmatische Qualität, wenn der Benutzer das wahrnimmt (Hassenzahl 2003). Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Von den 15 Teilnehmern wurden die Ergebnisse von 14 Versuchungen ausgewertet, da sich das Verhaltensmuster einer der Teilnehmer von dem gesamt Gruppe (mit und ohne Pattern) sehr unterschieden hat. Die Verhaltensindikatoren und subjektiven Maße über die Wirkung des Patterns werden in den folgenden Abschnitten erläutert. 4.1 Verhaltensindikatoren Der Zwischengruppen-Vergleich zeigt interessante Verhaltensunterschiede, sowohl im Bezug auf die Dauer, die sich Anwender mit der Seite beschäftigen, als auch im Bezug auf die Anzahl der betrachteten Inhaltsseiten. Für die Untersuchung wurden zwei verschiedene Versionen der Web-Seite des Projekts FUN (www.fun-of-use.org) entwickelt. Beide Web-Seiten haben den gleichen Inhalt, die gleichen Farben und eine ähnliche Informationsarchitektur. In einer der Seiten ist das ExplorationPattern implementiert und stellt damit ein unkonventionelles und dynamisches Interface mit Animationen und Multimediaelementen dar (Abb. 1). Der Zugang zu dieser Seite erfolgt über eine animierter Einleitung gefolgt von einer Seite (Hauptmenü), die die Verknüpfungen für die anderen acht Seiten zugänglich macht. Details zu dieser Web-Seite wurden in Abschnitt 3.2 erläutern. Die andere Web-Seite ist im traditionellen textbasierten Stil (Abb 2). Die Startseite beinhaltet die Beschreibung des Projektes. Die anderen acht Seiten sind durch das Menü auf der linken Seite mit jeweils einem Klick erreichbar. Im Rahmen der Pilotstudie wurden Teilnehmer zufällig der Web-Seite mit Pattern und ohne Pattern zugeordnet. Die Tests wurden in einer kontrollierten Laborumgebung durchgeführt. Es wurden verschiedene Testmethoden und Instruktionen ausprobiert, bis schließlich für jeweils sieben Teilnehmer mit Pattern (Gruppe 1) und acht Teilnehmer ohne Pattern (Gruppe 2) Daten erhoben wurden. Zu Beginn wurden die Teilnehmer kurz über eingeführt. Gleich danach wurde dem Teilnehmer die FUN-Seite gezeigt und er/sie wurde in den Aktionsmodus (Hassenzahl et al. 2002) versetzt. Das bedeutet, dass ihm/ihr kein Instrumentalziel gegeben wurde, sondern die Instruktion "Schauen Sie sich auf der FUN-Seite an, wozu Sie Lust haben. Nehmen Sie sich so viel Zeit, wie Sie mögen...“ , so dass die Teilnehmer ihre eigene Ziele setzen konnten. Der Aktionsmodus wurde deshalb gewählt, weil das Pattern genau die Anwender in den Bann der Web-Seite ziehen soll, die etwas unspezifisch im Internet umhersuchen, also gerade kein festes Ziel im Auge haben. Anzahl der besuchten Seite Abb. 2: Fun Seite ohne Pattern Wie in Abbildung 3 dargestellt, besuchten die Teilnehmer mit Pattern (Gruppe 1) mehr Inhaltsseiten als die Teilnehmer ohne Pattern (Gruppe 2). In Gruppe 1 wurden im Mittel 24 Seiten besucht, während sich die Teilnehmer der Gruppe 2 im Mittel 14 Seiten ansahen, MannWhitney-U-Test, U = 6.5, p = 0.02 40 35 30 25 20 15 10 5 mit Pattern ohne Pattern Bedingung Abb. 1: Anzahl der besuchten Seiten Außerdem fällt auf, dass die Varianz der Seitenbenutzung für die Gruppe mit Pattern deutlich höher ist. Die Benutzer navigieren also im Schnitt mehr in der Seite zu, allerdings sind die Reaktion der Benutzer auf das Pattern recht unterschiedlich. 91 7=hoch), Mann-Whitney-U-Test, U = 3.0, p = 0.004. Nutzungszeit - Minuten 32:00 28:00 Dagegen sind keine Unterschiede zwischen den Gruppen in der Beurteilung der pragmatischen Qualität zu beobachten. Die mittleren Skalenwerte des PQ liegen bei 5,28 für die Seite mit Pattern und 5,86 für die Seite ohne Pattern. 24:00 20:00 16:00 12:00 08:00 04:00 mit Pattern ohne Pattern Bedingung Abb. 2: Nutzungszeit Des Weiteren ist ein Effekt des Patterns auf die Nutzungszeit der Seite erkennbar. Teilnehmer der Gruppe 1 haben im Mittel 20,13 Minuten auf der Seite mit Pattern verbracht, stattdessen haben Teilnehmer der Gruppe 2 nur 8,5 Minuten auf der Seite ohne Pattern verbracht, Mann-Whitney-U-Test, U = 9.0, p = 0.05. 4.2 Subjektive Bewertung Neben den Verhaltensindikatoren zeigt auch die subjektive Bewertung der Web-Seite durch die Benutzer interessante Unterschiede. Die Daten zeigen, dass das Exploration-Pattern von den Anwendern als deutlich stimulierender, neuartiger und motivierender empfunden wird, als die Web-Seite ohne Pattern. Mit Hilfe des AttrakDiff (Hassenzahl 2003), wurde die wahrgenommene hedonische und pragmatische Qualität der Software ermittelt. Der mittlere Skalenwerte des HQS (Hedonische Qualität Stimulation) liegt bei 5,29 für die Fun Seite mit Pattern und 3,43 für die Fun Seite ohne Pattern (Skala 1=niedrig bis 92 5.0 Zusammenfassung Eine längere und intensivere Auseinandersetzung der Anwender mit der Web-Seite mit Pattern könnte als Indiz dafür gedeutet werden, dass das Pattern wirklich das Interesse der Anwender erhöhen kann, im Vergleich zu einem traditionellen Web-Layout. Weitere Experimente sollen diesen Zusammenhang tiefer beleuchten. Wir wollen untersuchen, in wiefern auf diese Weise auch mehr Inhalte übermittelt werden können, oder in welchen Situationen das Interaktionskonzept des Patterns sinnvoll eingesetzt werden kann. Danksagung Wir danken Felice Baldi, Steffen Hess und Felix Kiefer, die die Durchführung des Experiments unterstützt haben. Die Arbeiten werden durch das vom BMBF geförderte Projekt FUN finanziert (Förderkennzeichen: 01 IS E06 A) 6.0 Literaturverzeichnis Ackermann, E. (1996): Perspective Taking and Object Construction. In: Kafai, Y.; Resnick, M. (Hrsg.) Constructionism in Practice: Designing, Thinking and Learning in a Digital Word. Mahwah, New Jersey: Lawrence Erlbaum Associates. Teil 1, Kap. 2 S. 25-37. Ackermann, E. (2007): Experiences of artifacts: People’s appropriation, objects’ affordances. In: Larochelle, M. (Hrsg.): Key works on radical constructivism. Ernst von Glasersfeld. Rotterdam. NL. Sense Publishers, S. 149-159. Dow, S.; Mehta, M.; Harmon, E.; MacIntyre, B.; & Mateas, M. (2007): Presence and Engagement in an Interactive Drama. In Proc. CHI 2007, ACM Press, S. 1475 - 1484. Harbich, S.; Hassenzahl, M.; Kinzel, K. (2007): e4 – Ein neuer Ansatz zur Messung der Qualität interaktiver Produkte für den Arbeitskontext T.Gross (Hrsg.). Mensch & Computer 2007: Konferenz für interaktive und kooperative Medien: Oldenbourg Verlag, S. 39-48. Hassenzahl, M.; Kekez, R.; Burmester, M. 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Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Yo u ng Profe s s i o n a l s 93 94 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Season of Usability – Studenten sammeln Erfahrungen in Open Source Projekten Ellen Reitmayr Freiberufliche Usability Beraterin Schlesische Str. 29-30 Aufgang M 10997 Berlin [email protected] Abstract Die Season of Usability ist ein Weiterbildungs-Programm, bei dem Studenten mit dem Berufsziel Usability unter Anleitung eines erfahrenen Mentors die Usability von Open Source Software (OSS) Projekten verbessern. Diese bieten ideale Voraussetzungen, um die im Studium erworbenen Fähigkeiten in einem interdisziplinären und internationalen Software-Team auszuweiten und praktisch anzuwenden. Für die Dauer von drei Monaten werden die Studenten durch einen UsabilityMentor und einen leitenden Entwickler des OSS Projektes dabei unterstützt, eine eng umrissene Usability-Aufgabe durchzuführen. Sie lernen, wie Design-Lösungen in Abstimmung mit dem gesamten Entwicklungsteam entstehen. Das Ziel ist es, möglichst anwendungsorientierte Lösungen zu entwickeln. Auch Diplomoder Studienarbeiten wurden in diesem Rahmen erfolgreich vermittelt. Einleitung Season of Usability ist ein Mentoring-Programm für Studenten mit dem Berufsziel Usability oder User-Interface Design. In enger Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Usability Professional verbessern sie die Nutzungsfreundlichkeit einer Open Source Software (OSS), während sie tiefe Einblicke in die Arbeitsweise ihres Mentors erhalten. Die Season of Usability wird von dem Verein Open Usability e.V. organisiert, einer Initiative die hauptsächlich zwei Ziele verfolgt: • Die Förderung der Benutzungsfreundlichkeit von Open Source Software. Young Professionals, Ausbildung, Open Source, Open Usability Die Season of Usability wird von dem Verein Open Usability e.V. organisiert, dessen Ziele die Förderung der Benutzungsfreundlichkeit von Open Source Software und der Zugänglichkeit von Usability-Wissen sind. • 1.0 Keywords Die Förderung der allgemeinen Zugänglichkeit von UsabilityWissen, -Verfahren, -Methoden und -Instrumenten. Die Season of Usability ist ein Instrumt, diese Ziele zu verwirklichen. 2.0 Ausbildung zum Usability Professional Die Usability Professionals’ Association (UPA) definiert einen Usability Professional als “anyone who works on, or advocates for the usability of their products” (UPA, 2008a) – also frei übersetzt jeden, der an der Benutzungsfreundlichkeit eines Produktes direkt oder als Vermittler beteiligt ist. Entsprechend dieser Definition ist das Arbeitsfeld der Usability Professionals sehr breit. Grob unterscheidet man die Bereiche User Research, Evaluation und Design (UPA, 2008a). In Deutschland erhalten nur wenige ihre Qualifikation aus der akademischen Ausbildung. Obwohl eine Umfrage unter Usability Professionals im Jahre 2007 ergab, dass 84% ein abgeschlossenes Studium vorzuweisen haben, gaben nur etwa 50% an, sich bereits dort für Usabiity qualifiziert zu haben (Diefenbach & Hassenzahl, 2007). Umso höher ist der Stellenwert „informeller“ Trainings – Literaturrecherche, Lernen „on the Job“ oder durch Kollegen wurde von fast allen Teilnehmern genannt (Diefenbach & Hassenzahl, 2007). Die Anwendbarkeit ist je- 95 doch eingeschränkt: Literaturrecherche fördert zwar das theoretische Wissen, eine praktische Vorbereitung auf den Berufseinstieg kann hierdurch jedoch nur bedingt vermittelt werden. Lernen „on the job“ oder die Weiterbildung durch Kollegen haben zwar einen höheren praktischen Nutzen, doch setzen beide voraus, dass ein Arbeitsverhältnis bereits besteht – zumindest im Rahmen eines Praktikums oder eines Werkstudentenvertrags. Die Verfügbarkeit eines solchen Verhältnisses ist oft an den Standort eines Studenten gebunden. 3.0 Das Mentoring-Programm der UPA Um die Möglichkeiten der Weiterbildung für Studenten auszubauen, und um den Berufseinstieg zu erleichtern, bildete die UPA den Interessensbereich “Young Professionals“. Teil dessen ist ein Mentoring-Programm, bei dem Berufseinsteiger auf eigene Initiative hin von einem erfahrenen Professional gecoacht werden. Neben dem Erfahrungsaustausch werden Networking und die Vertiefung von Führungsqualitäten – sowohl für den Mentor als auch den Mentee – bezweckt (UPA, 2008b). Außerdem bietet Mentoring gegenüber eines herkömmlichen Praktikums den Vorteil des informellen Verhältnisses: Ein berufstätiger Usability Professional kann sozusagen „nebenbei“ einen Studenten betreuen. Auf Antragstellung oder Verwaltungsgänge, die bei der Einstellung von Praktikanten oft notwendig sind, kann verzichtet werden. Auch für den Studenten bietet das Mentoring Vorteile, da ein StandortWechsel in der Regel nicht notwendig ist. Mentoring kann „virtuell“, also über Email, Telefon oder Chat stattfinden, während ein Betriebspraktikum in der Regel die Anwesenheit bei dem Arbeitgeber vor Ort vorsieht. 96 4.0 Mentoring-Prozesse in OSS Projekten In erster Linie bezeichnet „Open Source“ eine Philosophie der Lizenzgestaltung für Software, die die Offenheit des Quellcodes zum freien Kopieren, Verbreiten, Nutzen und Modifizieren fordert. „Open Source „ kann sich jedoch auch auf Entwicklungsmethoden beziehen, bei denen die Transparenz der Entwicklung und CommunityProzesse im Vordergrund stehen (Open Source Initiative, 2007). „Peer Review“, also eine Art der Software Review, bei der ein Stück Quellcode, Spezifikation oder Dokumentation durch Kollegen inspiziert und evaluiert wird, wird als einer der größten Vorteile der Open Source Entwicklung gewertet. Die bekannte Aussage „ Given enough eyeballs, all bugs are shallow “ des Open Source Evangelisten Eric S. Raymond (1999) bringt die Motivation auf den Punkt – nämlich die Qualität des Codes zu verbessern. Für junge Entwickler hat die Peer Review jedoch vornehmlich einen anderen Vorteil: Von erfahrenen Entwicklern konstruktive Kritik bezüglich der eigenen Programmierfähigkeiten zu erhalten. Auch im Bericht der Europäischen Kommission zum Einfluss von OSS auf Innovation und Wettbewerbsfähikgeit in Europa wird dieser Aspekt besonders hervorgehoben. OSS Communities seien wie „informelle Ausbildungen – aber die Auszubildenden/Studenten und ihre Ausbilder/Lehrer liefern ihren Beitrag umsonst, ohne für die Ausbildung eine monetäre Vergütung zu erhalten.“ (frei übersetzt aus MERIT, 2006, Seite 63) Das Mentoring und die konstruktive Kritik sind möglicherweise das, was Open Source unter jungen Entwicklern so beliebt macht – im Jahre 2002 waren 41% der aktiven Mitglieder in der OSS Community zwischen 14 und 23 Jahren. (MERIT, 2006, p64) 5.0 Junge Usability Professionals in OSS Projekten Programmieren ist nur ein Aspekt dessen, was junge Entwickler in Open Source Projekten lernen. In einer Umfrage im Rahmen des oben genannten Berichts wurden OSS Entwickler mit universitärer Ausbildung gefragt, welche Fähigkeiten sie in OSS Projekten besser gelernt hätten als in formellen Kursen. Unter den fünf meistgenannten Antworten betrafen drei soziale Fertigkeiten und Projekt-Management: • Kritik von anderen akzeptieren und entsprechend reagieren zu können, • die eigene Arbeit mit der der anderen koordinieren zu können, • die Arbeit anderer bewerten zu können. (MERIT, 2006, Seite 64) Auch junge Usability Professionals können von diesen „soft skills“ profitieren. Bezüglich der Weiterbildung der professionellen Fertigkeiten haben junge Usability Professionals in OSS Projekten jedoch einen eindeutigen Nachteil gegenüber jungen Entwicklern. Der generelle Mangel an Usability Professionals in OSS erschwert die Möglichkeiten zum Erfahrungsaustausch und Wissenstransfer. Auch werden Feedback und Kritik meist von Entwicklern statt qualifizierten Usability Professionals geäußert. Während junge Usability Professionals also ihre sozialen Fertigkeiten in OSS Projekten ausbauen können, fehlt häufig die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch und Wissenstransfer, was Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 den Ausbau der professionellen Fertigkeiten im Vergleich zu jungen Entwicklern bremst. Dies ist umso bedauerlicher, da OSS Projekte das Potenzial haben, ganz spezifische Usability-Fähigkeiten zu fördern. Wie durch die berühmte Aussage “release early, release often'' des Open Source Evangelisten Eric S. Raymond (1999) verdeutlicht, verfolgen viele OSS Projekte ein Entwicklungsmodell mit sehr kurzen Release-Zyklen. Die Usability-Techniken, die hierbei eingesetzt werden, ähneln denen, die in der agilen Software-Entwicklung eingesetzt werden. Auch fördern die flachen Hierarchien, die in vielen OSS Projekte vorgefunden werden, die Umsetzung innovativer Lösungen. OSS Projekte bieten hier also eine Spielwiese, um die eigenen Fähigkeiten weiter auszubauen. 6.0 Die Season of Usability Um jungen Usability Professionals eine effektive Weiterbildung in OSS Projekten zu ermöglichen, bietet Open Usability e.V. seit 2006 ein MentoringProgramm an, die Season of Usability. Studenten mit dem Berufsziel Usability oder User-Interface Design wirken für drei Monate an einem Open Source Projekt mit, und werden dabei durch einen erfahrenen Mentor betreut. Nach einem Pilotprojekt findet die Season of Usability seit 2007 jährlich zwischen April und August statt. Im ersten Jahr konnten sechs Projekte erfolgreich abgeschlossen werden. In diesem Jahr wurde die Zahl der Projekte auf 10 ausgebaut. Die Themen der Studentenprojekte sind so vielseitig wie das Berufsbild selbst und umschließen User Research, Evaluation, Design, Prototyping oder die Gestaltung von Human Interface Guidelines. Auch die angebotenen OSS Projekte sind breit gefächert: WebAnwendungen sind genauso vertreten wie Java-Applikationen oder komplette Desktop Environments. Die Anwendungsfelder umspannen ein ProjektManagement-Tool, Bild-Management und -Bearbeitungs-Software, ein Office Suite, ein 3D-Editing-Tool und einen Instant Messenger. Das wohl bekannteste Projekt der Season of Usability 2008 ist der One Laptop per Child Desktop, ehemals bekannt als das 100 Dollar Laptop. Rolle als die überzeugende Darstellung des Berufsziels. Dies steht im Einklang mit den Zielen der Season of Usability, nämlich Studenten, die kurz vor dem Berufseinstieg stehen, beim Sammeln praktischer Erfahrungen zu unterstützen. Von den Studenten wird ein wöchentliches Engagement von mindestens einem Arbeitstag pro Woche verlangt. Sie arbeiten selbständig, die Mentoren stehen ihnen jedoch jederzeit beratend zur Seite. Einmal pro Woche wird eine Besprechung zur Durchsicht der erzielten Ergebnisse und zur Festlegung der nächsten Schritte durchgeführt. Nach erfolgreichem Abschluss des Projektes erhalten die Studenten ein Stipendium von $1000 USD. 8.0 7.0 Mentoring-Philosophie Während bei dem MentoringProgramm der UPA die Initiative auf Seiten des Mentees liegt (UPA, 2008b) – hier arbeitet er selbst das Ziel und die Meilensteine des Mentorings aus – gibt die Season of Usability die Richtung des Studentenprojektes vor. Die zu bearbeitende Aufgabe wird im Rahmen einer Ausschreibung grob definiert, so dass Studenten sich gezielt auf die Projekte bewerben können, die ihrem Berufsziel am ehesten entsprechen. Während die Season of Usability 2007 beispielsweise eine starke Ausrichtung auf User Research und Evalution hatte, wurden 2008 einige Design-Projekte hinzugefügt. Auch bei der Auswahl der Bewerber spielt deren Ausrichtung eine Rolle: Sie müssen nicht nur überzeugend kommunizieren, dass „Usability Professional“ ihr wahres Berufsziel ist, sondern auch erläutern, warum sie sich für ein bestimmtes Projekt entschieden haben. Vorkenntnisse spielen bei der Auswahl eine geringere Kommunikation zwischen den Projekt-Mitgliedern Die Kollaboration und Kommunikaton zwischen Usability Professional und Entwicklern wird in OSS Projekten als eine der größten Herausforderungen empfunden (Reitmayr et al., 2006). Da persönliche Treffen in der Regel nicht vorgesehen sind, erfolgt die Kommunikation über die etablierten Medien der OSS Entwicklung wie Internet Relay Chat (IRC), Voice over IP (VoIP), Mailinglisten und Wikis. In Mailinglisten, die häufig von mehr als 20 Personen abonniert werden, wird die Diskussion von Usability-Tätigkeiten oft als schwierig eingestuft, da leicht ein Überlauf an E-Mail-Verkehr entsteht, der nicht nur beobachtet sondern auch beantwortet werden möchte. Die Season of Usability sucht deshalb auf Projektseite nach einem Ansprechpartner, der eine führende Rolle im Projekt einnimmt. Statt Entscheidungen mit allen Mitgliedern der Mailingliste zu treffen, wird ein Vertreter gewählt, der sowohl die technischen Anforderungen kennt, als auch die grundlegenden Ziele des Projektes vertritt. Dieser „technische 97 Mentor“ wird in die wöchentlichen Besprechungen mit einbezogen. Um dennoch der Anforderung einer „offenen“ Usability nachzukommen, deren Prozesse und Ergebnisse für die Allgemeinheit zugänglich sind, werden die Arbeitsergebnisse in einem öffentlichen zugänglichen Raum dokumentiert. Hierzu bieten sich Wikis an, die zur Vorbereitung und Auswertung von User Surveys, zur Skizzierung von Use Cases, zum Ablegen von Mockups und ähnlichem genutzt werden. Sobald ein Meilenstein abgeschlossen ist, werden die Ergebnisse auf der Mailingliste veröffentlicht und zur Diskussion gestellt. Bei Design-Projekten kann der Vorteil der direkten Interaktion mit den Entwicklern ausgenutzt werden, indem das neue Design noch im Zeitrahmen des Studentenprojektes implementiert wird, während dieser sich einer neuen Unteraufgabe zuwendet. Neben der Möglichkeit zur iterativen Weiterverbesserung des Designs wird so die Verständlichkeit der Spezifikation des Studenten geprüft. 9.0 Bisher befasste sich dieses Paper vornehmlich mit den Vorteilen des Mentorings für Studenten. Aber auch Senior Usability Professionals profitieren von einer Mentorstelle, indem sie ihre Führungsqualitäten ausbauen. Außerdem bieten die im Rahmen der Season of Usability angebotenen OSS Projekte eine Spielwiese für innovative Entwicklungen, die in kommerziellen Projekten oft nicht in dieser Art durchgesetzt werden können. Usability Professionals, die Interesse an einer Mentorstelle haben, können sich auf der Webseite der Season of Usability unverbindlich registrieren. 10.0 Project Information Season of Usability Website: http://season.openusability.org OpenUsability: www.openusability.org Ausblick Die Season of Usability ist momentan in ihrem zweiten Jahr und erfährt einen starken Zulauf an Studenten. Im Jahr 2008 bewarben sich um die 150 hoch qualifizierten Studenten auf nur 10 offene Projekte. Um dieser wachsenden 98 Popularität besser gerecht zu werden, ist es das Ziel, die Season of Usability 2009 weiter auszubauen. Danksagung Wir danken unseren Platin Sponsoren Google, Open Society Institute und Trolltech. 11.0 Literaturverzeichnis Diefenbach, S.; Hassenzahl, M. (2007). Usability als Beruf. Ergebnisse einer Umfrage unter Usability Professionals. http://www.gc-upa.de/images/ pdfs/branchenreport%20usability%2007.pdf (Mai 2008) MERIT (2006). Study on the: Economic impact of open source software on innovation and the competitiveness of the Information and Communication Technologies (ICT) sector in the EU. http://ec.europa.eu/enterprise/ict/policy/doc/2 006-11-20-flossimpact.pdf (Mai 2008) Open Source Initiative (2007). About Open Source. Open Source Initiative Homepage. http://www.opensource.org/ (Mai 2008). UPA (2008a). About Usability. UPA Homepage. http://www.upassoc.org/usability_resources/a bout_usability/about_usability_professionals.h tml (Mai 2008) UPA (2008b). Mentoring Basics. UPA Homepage. http://www.upassoc.org/usability_resources/p d/mentor.html (Mai 2008) Raymond, E.S. (1999). The Cathedral & the Bazaar. O'Reilly. Reitmayr, E., Balazs, B., und Mühlig, J. (2006). Integrating Usability with Open Source Software Development: Case Studies from the Initiative OpenUsability. In the proceedings of tOSSad 2006:Workshop on Governmental, Educational, Public, Legal and Usability Practices. Pp 65-72. Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 U sability Pra x i s I 99 100 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Usability und/oder Security? Markus Dahm Software-Ergonomie Fachbereich Medien FH Düsseldorf 40474 Düsseldorf [email protected] www.medien.fh-duesseldorf.de/dahm Christoph Thiel IT-Sicherheit Fachbereich Medien FH Düsseldorf 40474 Düsseldorf [email protected] www.medien.fh-duesseldorf.de/thiel Abstract In der Usability-Community liegt der Focus (natürlich) vor allem darauf, dem Benutzer die Arbeit mit der Software oder dem elektronischen Gerät so einfach wie möglich zu machen. Eine Randbedingung, die dabei nicht sehr häufig behandelt wird, ist die Sicherheit der Anwendung. Mit „Sicherheit“ ist hier im Wesentlichen der Schutz vor Missbrauch bzw. Manipulation von Daten oder Ressourcen gemeint. 1.0 Überblick 1.1 Usability und Security Die Informatik-Disziplinen „Security“ und „Usability“ haben beide das gleiche Ziel: Das Beste für den Benutzer. Security schützt den Benutzer vor Nachteilen bei der Verwendung von Software, Usability möchte die Verwendung so einfach wie möglich machen. Leider stehen beide Zielrichtungen häufig im Widerspruch zueinander: x x x Alleine das Einrichten einer möglichst sicheren Infrastruktur stellt bereits ein Hindernis für das einfache Benutzen von Software dar, wie die meisten bestätigen können, die selbst ein WLAN-Netzwerk in einer homogenen Umgebung eingerichtet haben. Aber auch Techniken wie die Sicherung von E-Mails durch Zertifikate sind sowohl in der Einrichtung als auch der Verwendung meistens sehr aufwändig und damit nicht aufgabenangemessen. Beim online-Banking ist der Widerspruch ebenfalls eklatant: Jeder möchte natürlich maximale Sicher- Es scheint so zu sein, dass sich die beiden Ziele Gebrauchstauglichkeit und Sicherheit sehr häufig in der Umsetzung gegenseitig ausschließen: Eine sehr sichere Anwendung ist meistens eher aufwändiger zu benutzen und zu warten, eine einfach zu benutzende Anwendung vernachlässigt häufig die Sicherheit. Können diese Ziele miteinander in Einklang gebracht werden? x 1.2 heit seiner Kontodaten, die wenigsten Kunden gönnen sich aber die Sicherheit des HBCIVerfahrens durch Anschaffung, Einrichtung und Benutzung eines zusätzlichen Kartenlesers. Die ständigen Nachfragen der User Account Control (UAC) von Windows Vista bei der Installation oder Modifikation von Software erhöhen zweifelsfrei die Sicherheit, gehen dem Benutzer aber sehr schnell auf die Nerven. Sicheres oder Benutzbares Internet ? Aufgrund der weiten Verbreitung und Wichtigkeit auch im beruflichen Einsatz sind sowohl Sicherheit als auch Usability ein wesentlicher Bestandteil der Anforderungen und natürlich auch jeder ernsthaft eingesetzten Software. Die werbewirksam eingesetzten Techniken von „Web 2.0“ stellen durch ihre direkten Interaktionsmöglichkeiten des Benutzers erhöhte Anforderungen an die Gestalter der Software, wiederum Keywords Usability, Security, Widersprüchliche Anforderungen, Gesundheitskarte, HBCI, RFID, Software-Engineering sowohl in Hinsicht auf ihre Usability als auch ihre Security. 1.3 Wie beide Aspekte verbinden? Mit diesem Beitrag soll vor allem darauf aufmerksam gemacht werden, dass sich Anforderungen bezüglich der Sicherheit und der Usability häufig zunächst wiedersprechen. Lösungen können daher prinzipiell nicht in einer bloßen Kosmetik der Oberfläche oder in nachträglich eingefügten Prozessen bestehen. Vielmehr muss nicht nur das Interaktionskonzept explizit beide Ziele (Sicherheit und Ergonomie) ansprechen –beide Anforderungsbereiche müssen fast immer auch im Design und der Architektur der Software berücksichtigt werden. 1.4 Beispiele In den folgenden Kapiteln werden wir die Probleme der Widersprüchlichkeit der Anforderungen im Detail einiger Beispiele erörtern. 101 2.0 Vertraulichkeit Ein wichtiger Grundwert der ITSicherheit ist die Vertraulichkeit der ausgetauschten Informationen: Niemand außer Sender und Empfänger sollte die Informationen entziffern können. Ein Lauscher mag die Sendung vielleicht lesen, soll sie aber nicht verwenden können. 2.1 WLAN Wer heute einen DSL-Anschluss bestellt, bekommt meistens einen WLAN-Router für kleines Geld oder gar gratis dazu. WLAN ist ja auch sehr bequem: das lästige Verkabeln entfällt, trotzdem ist in der ganzen Wohnung der Internetzugang verfügbar. solchen Zwecken löse Prüf- und Handlungspflichten aus. Zumutbar sei es auch, fachliche Hilfe in Anspruch zu nehmen“ (heise.de WLAN). Das bedeutet, dass der typische HeimAnwender sich einige bis viele Stunden mit der sicherheitstechnisch korrekten Einrichtung seines HeimWLANs befassen muss. Dabei sind häufig sowohl die Anleitung als auch die sind Durchführung kompliziert, um sowohl den Router als auch jedes Gerät im Netzwerk korrekt zu konfigurieren. Einige Hersteller bieten zwar technische Unterstützung mittels USBSticks, aber auch dafür wird einiges an Erfahrung benötigt. Î Mit den entsprechenden Konfigurationen können WLAN-Netze ausreichend sicher betrieben werden. Leider ist die Konfiguration sehr häufig aufwändig. 2.2 Abb 1: WLAN-Router (Bild: AVM) Wer allerdings sein WLAN offen und ungeschützt betreibt, muss mit verheerenden Folgen rechnen: Wenn sich z.B. Unbekannte über dieses WLAN an einer illegalen Tauschbörse beteiligen, haftet der WLAN-Betreiber, bis zu einigen Tausend Euro. Aus einer Urteilsbegründung des LG Hamburg1: „Gemäß § 1004 BGB habe die Anschlussinhaberin als Störer für Schutzrechtsverletzungen zu haften“. „Weiter ist allgemein bekannt, dass ungeschützte WLAN-Verbindungen von Dritten missbraucht werden können, um über einen fremden Internetanschluss ins Internet zu gelangen". „Die Verwendung der WLAN-Verbindung zu 1 LG HH, Aktenzeichen 308 O 407 / 06 102 Verschlüsselung Nur mit Hilfe von Verschlüsselungslösungen kann die Vertraulichkeit von Informationen allgemein sichergestellt werden. Für die Sicherung interner Datenbestände eines Unternehmens können dazu File/ Folder-Encryption (FFE), Festplattenverschlüsselung oder Containerverschlüsselung eingesetzt werden. Grundsätzlich muss man zwischen rein clientbasierten Lösungen und Client-Server-Anwendungen unterscheiden. Erstere benötigen für die Verwaltung der kryptografischen Schlüssel meist zusätzliche Datenbanken, welche hohe Zusatzanforderungen an Installation und Betrieb stellen. Zudem sind rein clientbasierte Systeme in der Regel nicht in der Lage, zeitnah auf Änderungen der Verschlüsselungspolicy, z. B. den Entzug von Entschlüsselungsrechten für Be- nutzer, zu reagieren. Hingegen haben Client-Server-Systeme den Vorteil, dass Konfigurations- und Schlüsselmanagement durch eine Serverkomponente automatisch erledigt werden und keine zusätzlichen Datenbanken benötigen. Schlüsselverwaltung und Authentifizierung basieren überwiegend auf Public Key Mechanismen und benötigen für den sicheren Betrieb eine Public-Key Infrastruktur (PKI). Eine gebrauchstaugliche Verschlüsselungslösung sollte sowohl benötigte PKI-Komponenten selbst beinhalten, als auch mit bereits bestehenden PKIs zusammenarbeiten können. Hierbei ist auch darauf zu achten, dass eine Standardschnittstelle für Sicherheitstoken unterstützt wird, damit man nicht eine unangenehme und teure Überraschung erlebt, wenn die Verschlüsselungssoftware nicht mit der verwendeten Chipkarte zusammenarbeitet. Zur Reduktion des Aufwandes bei der Benutzerverwaltung ist es ein Muss, dass die Lösung sich an externe Verzeichnisdienste wie z. B. Microsoft Active Directory oder Novell eDirectory andocken kann. Sehr nützlich ist es, wenn aus verschlüsselten Dateien automatisch verschlüsselte E-Mail-Anhänge erzeugt werden können, welche beim E-MailEmpfänger über ein mitgeteiltes Passwort und evtl. mithilfe einer kostenlos zur Verfügung gestellten Software entschlüsselt werden können. Der GAU der Verschlüsselung sind verschlüsselte Daten, an die auch der rechtmäßige Besitzer nicht mehr herankommt, z. B. aufgrund von Schlüsselverlust o.ä. Selbst im Fall eines Totalausfalls des Security-Servers oder einer anderen schlüsselverwaltenden Instanz, z. B. nach einem Brandschaden, müssen verschlüsselte Dateien noch entschlüsselt werden können. Eine im größeren Stil einsatzfähige Lösung muss hier eine schnelle und un- Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 komplizierte Lösung bieten. Im Sinne der schnellen Datenverfügbarkeit und der Business Continuity ist eine solche Option unverzichtbar. Neben der in der Natur der Sache liegenden Forderung nach Sicherheit, muss eine solche Verschlüsselungslösung weitere Anforderungen erfüllen, um praxistauglich zu sein: Es sollte eine transparente Verschlüsselung eingesetzt werden, so dass der Benutzer keinerlei Auswirkungen spürt, die Verschlüsselung weder manuell anstoßen, noch sich darüber Gedanken machen muss, ob überhaupt verschlüsselt werden soll. Schließlich sollte eine Rollentrennung zwischen IT und Sicherheitsverwaltung möglich sein. Î Dazu muss eine Lösung über eine zentrale „einfache“ Administration und über sinnvolle Identifizierungsund Authentisierungsmechanismen verfügen. Auch Nicht-Techniker ohne Experten-Know-how über Kryptografie sollten die Rolle des Sicherheitsadministrators übernehmen können. Sie sollen jederzeit in der Lage sein, die Verschlüsselungsregeln festzulegen und der „Policy“ (den Richtlinien) gemäß anzupassen. 3.0 3.1 Identifikation und Authentifizierung RFID-Tags auf einzelnen Artikeln Um die Verkaufskette (supply chain) möglichst durchgängig zu automatisieren, gehen Bestrebungen dahin, die Barcodes auf allen Produkten durch RFID-Tags zu ergänzen oder zu ersetzen. Das ermöglicht sowohl zeitnahes Materialmanagement als auch ein berührungsfreies Kassieren (Metro). Für den Verbraucher bedeutet das einerseits Vorteile, da Schlangen an der Kasse so vermieden werden könnten. Für die Filial-Mitarbeiter bedeutet das sind andererseits mit erheblichen Sicherheitsbedenken verbunden. eine Entlastung, sowohl an der Kasse als auch bei der Warendisposition. 3.2 Biometrie Wäre es nicht sehr einfach, wenn man sich nicht beliebig viele Benutzernamen und nicht zu erratende Passworte merken müsste? Wenn statt dessen „man selbst“ immer alle Daten zur Authentifizierung bei sich, sogar in sich tragen würde? Genau das ist die Idee bei der Identifizierung und gleichzeitiger Authentifizierung durch körperliche Eigenschaften. Abb 2: RFID-Tag an der Ware (Bild: Metro) Nachteile bezüglich der Sicherheit ergeben sich für den Verbraucher durch die Möglichkeit, die RFID-Tags nicht nur an der Kasse sondern auch durch beliebige andere RFID-Leser auszulesen. Dadurch lassen sich Käufer fast beliebig nach ihren Gewohnheiten ausspähen. Als fast unwirkliche Kulmination erscheint in diesem Zusammenhang das Tagging von Menschen. Ende 2005 hat die Food and Drug Administration (FDA) der USA grünes Licht für implantierbare Tags gegeben: "Die FDA hat den Weg für den so genannten "VeriChip" der US-Firma Applied Digital Solutions [ADS] frei gegeben. Dieser etwa reiskorngroße Chip wird unter der Haut eingepflanzt und kann diverse Informationen speichern, die über einen speziellen Scanner ausgelesen werden können. (hae) Als Anwendung wird dabei die schnelle Identifikation von Kindern und Häftlingen aber auch von Patienten in großen Krankenhäusern genannt. Î RFID-Tags sind eine hervorragende technische Unterstützung für berührungslose Informationsübermittlung auch sehr vieler kleiner Objekte (Waren). Die damit verbundenen Annehmlichkeiten und Vorteile für viele Beteiligte Die Gebrauchstauglichkeit ist dadurch sehr hoch, da der Prozess der Erkennung, je nach Verfahren und Merkmal, sehr einfach und schnell gemacht werden kann. Verfahren wie Iris-Erkennung sind mit erhöhtem technischem Aufwand verbunden und haben auch eine hohe Akzeptanzhürde. Nicht selten sind dagegen Scanner für Fingerabdrücke in Laptops oder auch auf USB-Speichersticks. Abb 3: Fingersensoren (Bild: Visortech, Acer) Damit kann im Prinzip sehr einfach und ohne mentale Belastung des Benutzers eine Zugriffskontrolle und Authentifizierung durchgeführt werden. Allerdings sind die einfachen Ausführungen, wie sie in Consumer-Geräten eingesetzt werden, auch relativ einfach zu überlisten - teilweise durch Anhauchen oder mit Tesafilm oder Gummibärchen übertragene Fingerabdrücke (Uni B) oder, etwas aufwändiger: „Um einen Fingerabdruck nachzumachen braucht man nur einen Deckel einer Plastikflasche, etwas Sekundenkleber, eine Digitalka- 103 mera, sowie Holzleim und einen speziellen, hautfreundlichen Kleber.“ (CCC). Î Biometrische Sensoren könnten Authentifizierungen sehr einfach in der Benutzung machen. Sie sind aber auch eher einfach bei einem ernsthaften Angriff zu überlisten. 4.0 Kombination von Geheimhaltung, Identifikation und Authentifizierung 4.1 HBCI-Kartenleser Sehr viele Bankkunden verwalten Ihre Konten online: Überweisungen, Kontostand oder Daueraufträge sind schnell und bequem von zu Hause zu bearbeiten. Dass dabei privateste Daten wie Kontonummern und Geheimzahlen über öffentliche Netze, oder gar über ein ungeschütztes WLAN, gesendet werden, ist den meisten nicht mehr täglich bewusst. Bei der Sicherheit verlässt man sich dabei gerne auf die Verschlüsselung der Daten. Dabei ist auch die für Angriffe anfällig, da die gleiche Hardware sowohl die Banking-Applikation als auch ggf. die Schadsoftware betreibt. „70% der Kunden sind stark an Sicherheitsmaßnahmen interessiert, die hinter den Kulissen angewendet werden (z.B. risikobasierte Authentifizierung); 81% der Kunden würden sich wohler fühlen, wenn ihre Bank eine derartige Technologie implementiert hätte 87% sind an Site-to-UserAuthentifizierung interessiert; mehr als 50% wünschen dies sogar zusätzlich zu oben genannter Technologie“ (hbi.de 2006). Immerhin hat auch der Urheber der Studie, RSA.com, bereits erkannt, dass Sicherheit nicht nur mit technisch orientierten Mitteln, wie Verschlüsselung, erreicht wird; zusätzlich muss der Benutzer als ein Glied in der Sicherheitskette mit einbezogen werden: „Consumers value better security, but financial institutions need to provide it with a minimum level of perceived distraction. Consistency of process increases the perception of ease-of-use and reduces the perceived distraction in performing security measures online. It is important to consistently reassure users as to the security of their online information without needlessly alarming them“2 Î Der Sicherheitsgewinn gegenüber Attacken wäre beträchtlich, die Anschaffung, Installation und Integration von HBCI-Kartenlesern scheint jedoch zu aufwändig zu sein. 4.2 Abb 4: Kartenleser der Klasse 3 (Bild: SCM) Dabei würden sich viele mehr Sicherheit wünschen, wenn sie nicht selber damit befasst wären, wie eine Studie der ITSicherheits-Firma RSA.com in 2006 ergeben hat: 104 und müssen Ärzte und Zahnärzte in Zukunft die von ihnen in Form „elektronischer Rezepte“ ausgestellter Verordnungen mit qualifizierten elektronischen Signaturen versehen. Apotheker müssen dann als Gegenstelle die dispensierten Verordnungen mit ihrem HBA ebenfalls elektronisch signieren. Die Gesundheitskarte Die elektronische Gesundheitskarte kommt - und mit ihr der Heilberufsausweis (HBA). Mit diesem können 2 Interessant ist hier auch die Unterscheidung zwischen „echter Ablenkung“ und „wahrgenommener Einfachheit“. Abb 5: Die Gesundheitskarte (Bild: BMG) Der HBA dient also insbesondere als Signaturkarte für die Erstellung qualifizierter elektronischer Signaturen. Dabei werden dem Benutzer (Arzt, Zahnarzt, Apotheker) gemäß Signaturgesetzgebung zunächst die zu signierenden Daten angezeigt, bevor er nach erfolgreicher Eingabe einer PIN (Signatur-PIN) die Erzeugung genau einer Signatur auslösen kann. Die PIN-Eingabe muss dabei lokal erfolgen, d.h. direkt an einem HBA-Kartenterminal. So sinnvoll dieses Vorgehen aus Sicherheitssicht für qualifizierte elektronische Signaturen sein mag, so stellt die Vorstellung, dass Ärzte und Apotheker gezwungen sein könnten, täglich unzählige Male ihre PIN an einem festen Kartenterminal einzugeben, um pro PINEingabe jeweils ein einziges elektronisches Rezept gegenzuzeichnen, die Gebrauchstauglichkeit des HBA und damit der elektronischen Gesundheitskarte akut in Frage. Um den täglichen Umgang mit der elektronischen Signatur in Praxen, Kliniken und Apotheken zu erleichtern, hat das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) technische Richtlinien Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 für Stapel- und Komfortsignaturen herausgegeben. Diese sollen „Vielsignierern“ nach Eingabe der Signatur-PIN mehrere Signaturen ermöglichen, ohne dass dadurch die Sicherheit und rechtliche Bedeutung der Signatur gefährdet wird. Die Stapelsignatur erlaubt die Erzeugung mehrerer Signaturen unmittelbar hintereinander - nach dem Anzeigen der zu signierenden Dokumente (Stapel) und der daran anschließenden einmaligen Eingabe der PIN. Die Komfortsignatur erfordert noch weniger Aufwand des Benutzers als die Stapelsignatur: Zunächst erfolgt die PINEingabe, anschließend kann über einen längeren Zeitraum (z. B. Öffnungsdauer der Praxis) signiert werden. Dabei muss sich der Benutzer jedoch vor Signieren eines Dokuments oder Dokumentenstapels mittels eines RFID-Tokens oder eines Biometriemoduls authentisieren. Um sicherzustellen, dass der Token nur vom rechtmäßigen Besitzer verwendet werden kann, sind folgende Möglichkeiten vorgesehen: x x x Die Aktivierung des Tokens durch eine 4stellige PIN Die Aktivierung des Tokens durch ein biometrisches Merkmal des Besitzers Andere geeignete Sicherheitsmaßnahmen, die einen Verlust oder die unkontrollierte Nutzung verhindern. Die Verwendung einer Token-PIN wäre aus Sicherheitssicht wünschenswert, widerspricht aber wiederum dem Komfortgedanken. Es wird daher dem Benutzer auch erlaubt, seine Token-PIN zu deaktivieren, d.h. den RFID-Token ohne Authentisierung zu nutzen. Dabei bleibt aus Usability-Sicht offen, ob und ggf. wie der Nutzer in die Lage versetzt werden kann, die Tragweite dieser Entscheidung zu verstehen und die entsprechende Verantwortung zu übernehmen. Die Nutzung eines Biometriemoduls stößt auf rechtliche und sicherheitstechnische Probleme. Biometrische Verfahren, die zusätzlich zur wissensbasierten Benutzerauthentisierung angewendet werden, müssen gemäß Signaturgesetzgebung einer Bewertung gemäß Sicherheitsmechanismenstärke "mittel" genügen. Bisher sind Biometriekomponenten nicht entsprechend zertifizierbar. Dazu müsste zunächst eine Methodik zur Bewertung des Angriffspotentials biometrischer Verfahren entwickelt werden. Î Auch bei der Anwendung der Gesundheitskarte ist es nicht einfach, einen Kompromiss zwischen Usability und Sicherheit zu finden. Beide Anforderungen sind jedoch entscheidend für den Erfolg dieses Konzepts in der Praxis. 5.0 Fazit Als Fazit kann (wieder einmal) darauf hingewiesen werden, dass „gute“ Software mehr ist als lediglich funktionierende Software. Im gesamten Entwicklungsprozess müssen vielfältige funktionale und nicht-funktionale Anforderungen, wie die der Sicherheit und Gebrauchstauglichkeit, berücksichtigt werden, um allen, auch sich zunächst widersprechenden, Anforderungen gerecht zu werden. Wird aber eine Anwendung primär als möglichst einfach zu benutzen gestaltet, werden dabei gegebenenfalls Sicherheitsaspekte übersehen. Im Nachhinein eingebrachte Sicherheitsanforderungen führen wiederum typischerweise zu zusätzlichen Prozessschritten, die die normale Abfolge unterbrechen. Beispiele dafür sind Programme zur Ver- und Entschlüsselung, die nachträglich auf Dateien angewandt werden oder mehrfache Ein- gaben von verschiedenen Passworten. Dieses führt mit Sicherheit zu einer schlechteren Usability der Anwendungen. Für beide Anforderungsgebiete, Usability und Security gilt sicher, dass die jeweiligen Anforderungen so früh wie möglich im Software-Entwicklungsprozess ermittelt werden sollten, um in der Umsetzung angemessen berücksichtigt zu werden. 6.0 Literaturverzeichnis 6.1 Bücher Cranor, F.; Garfinkel, S. (2005): Security and Usability, Sebastopol: O‘ Reilly 6.2 Weblinks – Stand 26.5.2008 BSI: http://www.bsi.bund.de/literat/studien/BioFinger/BioFinger_I_I.pdf - BSI-Studie zur Fingerabdrucksensoren CCC: http://chaosradio.ccc.de/ctv001.html Anleitung zum Nachmachen von Fingerabdrücken DGK: http://www.die-gesundheitskarte.de hae: http://www.haefely.info – Implantierbarer RFID-Chip hbi.de: http://www.hbi.de/clients/ RSA/info/0717-06_Usability_Concept_Testing_Release.doc (Bereich Infomaterial: „RSA SecurityStudie über Sicherheit von online-Banking“) Metro: http://www.metrogroup.de/servlet/PB/menu/1155070_l1/index.html RFID-Tags RFID: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/18/18845/1.html Gefahren von RFID Uni B: http://www.informatik.uni-bremen.de/ ~lechner/SoftwareTrends-Web/index.htm Fingerabdrucksensoren WLAN: http://www.heise.de/newsticker/meldung/77921 - Urteil gegen Betreiber von ungesichertem WLAN 105 Dann macht es doch selbst! – Entwickler als Usability-Experten Ronald Hartwig, Maren Mäuselein User Interface Design GmbH Hansastraße 7-11 44137 Dortmund [email protected]; [email protected] www.uid.com Sabine Özalp, Bernd Kieseler Verwaltungs-Berufsgenossenschaft DV/I Deelbögenkamp 4 22287 Hamburg [email protected]; [email protected] Abstract Der Beitrag schildert einen Praxisfall, in dem Entwickler im Laufe eines Projektes von Skeptikern zu echten UsabilityStakeholdern wurden. Der Weg von „Wir machen das doch schon 10 Jahre“ bis zum „Wir werden einen Vortrag über 1.0 Motivation Usability hat in den letzten Jahren in der Entwicklung interaktiver Systeme (erfreulicherweise) einen immer größeren Stellenwert eingenommen. Software-Entwicklungs-Unternehmen haben dabei in der Regel die Wahl zwischen zwei Alternativen: 1. 2. 1.1 Eine eigenen Usability-Abteilung aufbauen Einen externen Dienstleister beauftragen Eine eigene Usability-Abteilung aufbauen Diese Variante ist bei einigen wenigen sehr großen Konzernen anzutreffen. Um eine solche Abteilung zu rechtfertigen, muss ein hoher Durchsatz an Projekten vorhanden sein, um diese Gruppe dann auszulasten. Die Herausforderung bei dieser Konstruktion besteht zum einen darin, dass die „Propheten im eigenen Land“ grundsätzlich auch den Kosten- und Zeitdruck des Mutterunternehmens mitverantworten müssen und so aufwandsbehaftete Entscheidungen schwierig zu begründen sein können. 106 Usability auf dem WUD 2008 halten“ soll zeigen, wie man Usability Engineering nachhaltig verankert, auch und gerade in der Zeit, in der die externen Dienstleister längst zur nächsten Aufgabe weitergezogen sind Keywords Ein weiteres potenzielles Problem ist oft die einseitige Ausrichtung des Unternehmens, die dann über kurz oder lang auch bei den eigenen Usability-Kräften eine gewisse Betriebsblindheit mit sich bringen kann. projektbegleitende Expertise für einen definierten Zeitraum hinzugeholt. Für sehr viele mittelständische und kleinere Software-Unternehmen kommt eine solche Konstruktion schon aus Kostengründen nicht in Frage – etwa weil Entwicklungen am User Interface nur gelegentlich und zeitweise im Vordergrund stehen. 1.2 Einen externer Dienstleister beauftragen Um die beschriebene Lücke zu füllen, hat sich eine ganze Reihe von Dienstleistern etabliert, die Unternehmen in den Bereichen Design, Usability Engineering, User Experience und Software-Entwicklung unterstützen. Der UPA-Branchenreport zeigt, wie vielfältig der Markt in diesem Bereich geworden ist. User Experience, UPA, Coaching, Training, User Centered Design, Consulting Die Herausforderungen bei diesem Vorgehen liegen in zwei Faktoren: Zeit und Geld. Da externe Dienstleister preislich auf dem Niveau von Unternehmensberatungen agieren (müssen), stehen diese Preise schnell in Diskussion – auch und gerade im Vergleich zu internen Ressourcen. Insbesondere die Dauer der Unterstützung wird aus diesem Grunde so minimal wie möglich gehalten. Daraus kann ein Problem bei der Nachhaltigkeit der Verbesserung entstehen: Ein begrenztes Vorgehen steht im Widerspruch zu den Ideen eines Lifecycle-orientierten, ganzheitlichen Vorgehens, bei dem Nutzerfeedback und Weiterentwicklungen genauso nutzerzentriert vorgenommen werden sollen, wie die bereits erfolgten Arbeitspakete. 2.0 Externe Unterstützung wird dabei entweder in Form konkreter Untersuchungs- und Gestaltungsaufträge oder als Lösungsansatz „Consulting & Training“ Ein möglicher Weg zwischen diesen beiden Alternativen mit ihren jeweiligen Nachteilen ist die Vermittlung von Usability-Wissen parallel zur Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Projektarbeit, also Consulting (konkrete Beratung) und Training (Know-howTransfer an die Beteiligten des Kunden). bestehenden System auch ein nachhaltiger Know-How-Transfer zum Auftraggeber vereinbart. Ein erfolgreiches Beispiel für ein solches Projekt findet aktuell im Bereich Versicherungen statt. Als Vermittlungsmethode bot sich das didaktische Konzept des Cognitive Apprenticeship an. Dieses Modell ist vergleichbar mit der praktischen Ausbildung in Handwerksberufen und bestand in diesem Fall aus vier Stufen: 2.1 Ausgangslage Die größte deutsche gesetzliche Krankenversicherung, die Verwaltungsberufsgenossenschaft (VBG), mit 2.000 Mitarbeitern und rund 6,5 Mio Versicherten betreibt und pflegt ein eigenes ERP-System. Die Umsetzung wird dabei in gemeinsamen Projektteams aus Auftraggeber (Versicherung) und Auftragnehmer (Software-Dienstleister) koordiniert, geplant und umgesetzt. Die User Interface Design Gmbh (UID) wurde beauftragt, bei der Weiterentwicklung projektbegleitend zu unterstützen. 2.2 Kein klassisches „Hit & Run“ Schnell zeigte sich, dass in einem System mit einer Komplexität, die an Branchenriesen wie SAP heranreicht, mit einem einmaligen Einsatz nur mit sehr hohem Aufwand mehrerer Personenjahre Usability Engineering konventionell extern durchgeführt werden könnte. Allein 5.000 verschiedene Vorgänge und Masken und mehrere hundert Aufgabenszenarien, die über einen Zeitraum von über 15 Jahren entstanden waren, konnten nicht in der bereitstehenden Zeit und mit vertretbarem Personaleinsatz extern bewältigt werden. Der Engpass liegt in diesem Fall dann insbesondere in der monetären Ausstattung des Gesamtprojektes und des für Usability generell bereitgestellten Anteils. 2.3 Cognitive Apprenticeship als Lehrmodell Die Lösung ist ein Team aus Mitarbeitern des Auftraggebers (Versicherung), seines Auftragnehmers (Software-Dienstleister) und des Usability-Unternehmens. Als Ziel des Projektes wurde neben konkreten Verbesserungen am x x x x Der Dienstleister schafft gemeinsam mit dem Kunden eine Grundlage. Der Dienstleister legt vor, der Kunde sieht zu. Der Kunde arbeitet unter Begleitung des Dienstleisters. Der Kunde arbeitet weitgehend eigenständig, der Dienstleister steht für Fragen und zur Qualitätssicherung der Ergebnisse zur Verfügung. Konkret bedeutete dies, dass UID das Team zunächst in kurzen intensiven Schulungen mit den Grundlagen des Themas Usability vertraut gemacht hat. So entstand eine gemeinsame Sprache für den weiteren Verlauf des Projekts. Dabei wurden zentrale Tätigkeiten wie die Nutzungskontextanalyse, teilnehmende Beobachtungen, Usability Testing und Requirementsengineering zunächst besprochen und geschult. Im weiteren Projektverlauf wurden diese Tätigkeiten dann zunächst vom Kunden begleitet und intensiv besprochen. Dies stellte schnell den Bezug zu seinem konkreten Anwendungsfall her. So entstand eine Motivation für die Wissensaufnahme. Schließlich gibt es im Bereich der Software-Entwicklung bis heute Vorbehalte und eine unterschwellige Trennung zwischen Software Engineering und Usability. Um diese zu überwinden ist es essentiell, schnell und glaubwürdig die Relevanz des Themas am konkreten Fall zu demonstrieren. 2.4 Do-it-yourself Im nächsten Schritt führten die Entwickler und Projektmanager selbst die Erhebungen und Tests vor Ort bei ihren Nutzern durch. Waren die Schulungen und auch das ausführliche Erläutern des Usability Engineering noch selbstverständliche Bestandteile des „normalen“ Vorgehens, so war diese Phase neu für die Beteiligten. So erprobte und hinterfragte der Kunde die bisherigen Lehr- bzw. Lernerfolge in der realen Arbeitswelt. Vieles, was in Übungen oder beim Zusehen noch trivial aussah („Wie frage ich einen Nutzer?“), wurden zu echten Herausforderungen für die angehenden Inhouse-UsabilityEngineers. Anders als bei einer einmaligen Schulung war der UsabilityDienstleister im gesamten Verlauf verfügbar. Er konnte helfend und korrigierend eingreifen, wenn Entwickler begannen, mit dem Nutzer zu debattieren, dass er sich an dieser Stelle doch anders verhalten solle. Es blieb an dieser Stelle nicht aus, dass nicht alle Untersuchungsergebnisse am Ende gleichermaßen belastbar waren. Um diesem (erwarteten) Fakt Rechnung zu tragen, waren die untersuchten Stichproben bewusst großzügig gewählt. So konnten eventuelle Datenlücken im Nutzungskontext leicht gefüllt werden. 2.5 Seeing is believing Zu diesem Zeitpunkt ein besonders wirksamer Effekt: Die Entwickler waren selbst gezwungen, die Mängel des Systems aus der Sicht des Nutzers zu dokumentieren. Statt einer punktuellen oder unpopulären externen Stelle, deren Glaubwürdigkeit zum Selbstschutz angezweifelt werden konnte, haben die Betroffenen selbst nun direkt mit den Beteiligten gesprochen. An diesem Punkt kippte die bis dahin eher abwartend, skeptische Stimmung bei den Entwicklern zugunsten eines ehrlichen Engagements. Im Sinne der Nachhaltigkeit des Projektes war dies die entscheidende Wendung. Seit dieser Phase wurde aus einem eher durch Führungsebenen verordneten Prozess ein als sinnvoll empfundenes nützliches Vorgehen, das auch freiwillig gelebt wird. Die Begeisterung geht inzwischen so weit, dass Mitglieder des Projektteams sich nun selbst als Usability-Experten auf dem nächsten World-Usability-Day präsentieren wollen. 107 Aus Sicht UID besteht die Dienstleistung im Bereich Usability nun in der personellen Unterstützung und Qualitätssicherung. Schließlich ist die Erfahrung des externen Dienstleisters auch weiterhin eine wertvolle Ergänzung. 3.0 Vergleich und Fazit Im Vergleich zu den Alternativen einer punktuellen Unterstützung oder aber einer eigenen Usability-Abteilung hat dieser Mittelweg für den Kunden einige Vorteile gebracht: x x Kosten: Statt einer dezidierten und schwer auszulastenden UsabilityGruppe im Unternehmen, gibt es jetzt eine ausreichende Zahl von Know-How-Trägern, die das Wissen in verschiedenen Projekten parallel zu ihrer Hauptaufgabe (Projektleitung, Implementierung) anwenden können. Dies spart insbesondere im Bereich der Projektkommunikation wertvolle Zeit. Nachhaltigkeit: Die positiven Auswirkungen des Projektes überdauern den eigentlichen Projektzeitraum. Die jetzt im Bereich Usability motivierten und sensibilisierten Mitarbeiter wenden das Wissen nun selbstständig weiter an, selbst wenn es in den Projektplänen nicht explizit vorgesehen ist. Dzida,W.; Hofmann,B.; Freitag, R.; Redtenbacher, W.; Baggen,R.; Geis,T.; Beimel, J.; Zurheiden, C.; HampeNeteler,W.; Hartwig, R.; Peters, H.: Gebrauchstauglichkeit von Software Ergo Norm: Ein Verfahren zur Konformitätsprüfung von Software auf der Grundlage von DIN EN ISO 9241 Teile 10 und 11. Bremerhaven: Verlag für neue Wissenschaft. Hartwig, R. (2005): Usability Standards, Gesetze und Entwicklungsprozesse. Information Management & Consulting 20(3), 2005, S. 64-67. http://www.imc.de/im/pages/abstracts32005.htm Hartwig, R.; Darolti, C; Herczeg, M. (2003): Lightweight Usability Engineering Scaling Usability-Evaluation to a Minimum? In Jacko, J., Stephanidis, C. (Hrsg.): Human Computer Interaction - Theory and Practice (Part I). London: Lawrence Erlbaum Associates Publishers. S. 474-478. ISO (Hrsg.) (1996): ISO 9241 - Ergonomic requirements for office work with visual display terminals. Internationaler Standard. Berlin: Beuth Verlag. ISO (Hrsg.) (1999): ISO 13407 - Benutzerund aufgabenorientierte Herstellungsprozesse – 1999E. Internationaler Standard. Berlin: Beuth Verlag. Kowallik, P. ; Müller-Prove, M., Strauß, F. (2005): Requirements-Engineering im Spannungsfeld von Individual- und Produktsoftware. i-com (3)2005. http://www.mprove.de/script/05/icom/ Natürlich besteht auch in einem solchen Projekt weiterhin Potenzial zur Verbesserung. So positiv die Motivation der Einzelnen zu sehen ist, so viel Weg liegt bei der Umsetzung eines echten nutzer- und aufgabenzentrierten Entwicklungsprozesses noch vor allen Beteiligten. Hier ist ein Umdenken bei Auftraggeber und Auftragnehmer notwendig, dass in der Praxis dann gelegentlich wieder engen Zeitplänen und hohem Kostendruck nachgeben muss. 4.0 Weiterführende Literatur Boehm, B.; Egyed, A.; Kwan, J.; Port, D.; Shah, A.; Madachy, R. (1998): Using the WinWin Spiral Model: A Case Study. IEEE Computer 31(7), 1998, S. 33-44. 108 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 U sability für SA P B u siness By De s i gn SAP Busi ness ByDesi gn i st ei n e v o lls t ä n d ige on-demand Geschäftsl ösung f ü r mi ttel ständi sche Unter nehmen. Pr o d u k t iv ität der Benutzer i st ei n wi chti ge s Z ie l b e i der Pr oduktentwi ckl ung. Um die An f o r d e r ungen von Benutzer n sehr fr üh im En t wi ckl ungspr ozess zu ber ücksi c h t ig e n u n d i ter ati ve Ver besser ungen der L ö s u n g zu er mögl i chen wur de ei n benutze r - ze n t r ie r t e r Entwi ckl ungspr ozess etabl i er t. Un t e r s t ü t zend wur de ei n patter n-basi er t e s UI- Ko n zept entwi ckel t und di e UI Gui d e lin e s in d ie Desi gn- und Entwi ckl ungswer k ze u g e imp le menti er t. Di e Aufgaben des User Exper i e n c e Te a ms i n SAP Busi ness ByDesi gn umf a s s e n d ie Entwi ckl ung der UI Gui -del i nes , d a s De s ig n al l er Benutzer ober fl ächen und d ie Be r e it stel l ung ei ner gl obal en I nfr astru k t u r zu r Dur chführ ung von Akti vi täten mit Be n u t zer n. Di e fol genden dr ei Bei tr ä g e v e r t ie f e n di e Aspekte UI Patter ns, i nter k u lt u r e lle Zusammenar bei t und Pr ototypi n g im Kontext von SAP Busi ness ByD e s ig n . Andreas Hauser Vi c e P r e s i d e n t U s e r E x p e r i e n c e SAP Business ByDesign SAP AG Dietmar-Hopp-Allee 16 6 9 1 9 0 Wa l l d o r f [email protected] w w w. s a p . c o m 109 110 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 User Interface Konstrukte und Key Innovations in SAP Business ByDesign Udo Arend ByD Solution Management SAP AG Dietmar-Hopp-Allee 16 69190 Walldorf [email protected] www.sap.com Johan Christiaan Peters ByD Solution Management SAP AG Dietmar-Hopp-Allee 16 69190 Walldorf [email protected] Abstract Das komplette User Interface von SAP Business by Design basiert auf Konstrukten, sogenannten generischen UI Pattern und UI Floorplans, die aufgrund von grundlegenden Usability Überlegungen entwickelt wurden. User Interface Entwickler konfigurieren das User Interface von ByDesign mit speziellen Entwicklungswerkzeugen. 1.0 Der Beitrag beschreibt neben dem für ERP-Anwendungen neuartigen Interaktionsparadigma die zugrundeliegenden Designprinzipien und die Bausteine, aus denen sich das User Interface zusammensetzt. Dabei werden auch einige der Schlüsselinnovationen von ByDesign dargestellt. Keywords User Experience, UPA, UI Patterns, Floorplans, SAP Business ByDesign Einleitung – User Interface Patterns Die Verwendung von sogenannten „User Interface Design Pattern“ zur Konstruktion von Benutzungsoberflächen sind keine neue Idee mehr. Seitdem Christopher Alexander (1977) wiederkehrende Patterns im Architekturbereich beschrieb, wurde dieser Typ von Patterns auch in die Welt der Informatik übertragen. Borchers (2001) hat den PatternGedanken vom Bereich der Softwareentwicklung in den Bereich des User Interface Designs übertragen und die Möglichkeiten an Beispielen demonstriert („Music Exhibits“). Eine Reihe von sogenannten Pattern Bibliotheken wurden in den letzten Jahren erstellt wie diejenigen von van Welie (2003) (http://www.welie.com/) oder Jenifer Tidwell (1999) (http://designinginterfaces.com/). Nachteil dieser Bibliotheken sind, dass sie ein Sammelsurium von unterschiedlichen Konzepten und Ideen auf unterschiedlichem Abstraktionsniveau beschreiben. Außerdem ist oft das da- Abb. 1: Ein allgemeines Dekompositionskonzept für UI Design Patterns (Arend, 2004) hinterliegende theoretische Konzept unklar. Bei SAP starteten wir bereits in 2001 mit der Herleitung eines allgemeinen Konzeptes für User Interface Patterns. Die Ergebnisse wurden von Arend (2004) berichtet. Wesentlich für den gewählten Ansatz war die Unterscheidung der Aufgabenhierarchie von der User Interface Hierarchie. Als wesentliche Bausteine wurden dabei die sogenannten „Floorplans“ und die „generischen UI Pattern“ identifiziert. 111 Basierend auf dem damaligen Ansatz wurde 2003 ein erstes Produkt bei SAP entwickelt, ein CRM System. Allerdings beschränkte sich damals die Zahl der Grundrisse auf zwei ApplikationsFloorplans. Im Jahre 2002 bekamen wir dann die Möglichkeit, das Gesamtkonzept eines User Interfaces für ein komplett neu zu entwickelndes ERP-System zu erstellen. Im Rahmen eines zweiwöchigen geschlossenen Workshops wurde die wesentliche Vision erstellt. Die Vision ging weit über die Verwendung von Design Patterns für Applikationsgrundrisse hinaus und entwickelte ein komplett neues Anwendungsparadigma. Die generellen Anforderungen an ein neuartiges ERP-Sytem wurden damals zusammen mit der globalen Marketingabteilung formuliert. Daraus wurde eine Vision erarbeitet, die den Benutzer als „Information Worker“ in den Vordergrund stellt, und davon ausgeht, dass der Benutzer von Dateneingabetätigkeiten weitgehend befreit ist und nur mehr kontrollierend in den Ablauf von Prozessen eingreift. Die Vision entstand also bevor auch nur eine Anwendung programmiert war. In den folgenden zwei Jahren wurde die Vision schrittweise verfeinert und ergänzt. Die Implementierung des Produktes „SAP ByDesign“ dauerte dann noch bis 2007. In diesem Beitrag werden die Grundideen dieses neuartigen Paradigmas erörtert und einige der Schlüsselinnovationen vorgestellt. 2.0 Wie sind Grundrisse (Floor Plans) aufgebaut? Ein Grundriss ist ein abtraktes Layout bestehend aus UI Pattern, die in einer räumlichen Beziehung auf dem User Interface stehen. Dabei gibt es UI Pattern, die einen bestimmten Grundriss konstituieren und UI Pattern, die entsprechend der Aktivität des Benutzers 112 an dafür vorgesehenen Bereiche eingefügt werden (Content Pattern). Abb. 2 zeigt wie der Grundriss eines Workcenters aus den konstituierenden Pattern „Portal Header“ und „Contextual Navigation“ und dem Content Pattern „Object Worklist (OWL)“ aufgebaut ist. Die Bedürfnisse des Benutzers, seine Aufgaben effektiv und effizient durchführen zu können, leiteten die Entwicklung der Bausteine für das User Interface. Abb. 2: Pattern konstituieren einen Workcenter Grundriss 3.0 Grundannahmen für den Entwurf der Benutzungsoberfläche von ByDesign Die Enterprise Service Architecture von SAP Business byDesign trennt das User Interface von der Applikationslogik. Dabei verhalten sich die Business Objekte aufgrund von standardisierten Interfaces konsistent zum Frontend. Diese Backend Services können in vielen Business Szenarien wiederverwendet werden. Das eigentliche User Interface wird für einen bestimmten Business Process nur noch aus den Services einerseits und den Grundrissen und UI Pattern andererseits konfiguriert. Die Vorteile der Verwendung von standardisierten Konstrukten liegen darin, dass für vergleichbare Situationen auch gleiche Grundrisse und UI Pattern verwendet werden. Damit läßt sich ein hohes Maß an Konsistenz innerhalb eines komplexen Produktes erzielen. Darüberhinaus läßt sich das Navigationsmodell innerhalb des Systems vereinheitlichen. Wenn die „richtigen“ Grundrisse definiert wurden und in einen sinnvollen Ablauf gestellt werden (Navigation), lassen sich die einzelnen Bestandteile vereinfachen und dem jeweiligen Benutzungskontext anpassen. Damit läßt sich eine Flexibilisierung und Individualisierung der Abläufe erreichen, Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 da Folgeschritte sich durch die jeweilige Aktivität des Benutzers bestimmen. 4.0 Die wesentlichen Konstrukte von ByDesign Die folgende Abb. zeigt die wesentlichen Grundrisse von ByD. Konzeptuell sind Grundrisse auf der Portalebene von denen auf der Anwendungsebene zu unterscheiden. Grundrisse auf der Portalebene, das sind „MyHome“ (Control Center) und eine rollenspezifische Anzahl von Workcentern dienen dazu, dass der Benutzer seine ihm zugewiesene Aufgabe oder sein Arbeitsobjekt auswählt. Darüberhinaus werden dem Benutzer weitere Informationen zur Verfügung gestellt, die er braucht, um sich für eine Folgeaktivität entscheiden zu können (z.B. Reporting Snippets). Grundrisse auf der Anwendungsebene (unten im Bild) erlauben dem Benutzer bestimmte wohldefinierte Aktivitäten auszuführen. Entsprechend eines Aktivitätstyps werden dem Benutzer bestimmte Grundrisse angeboten. 4.1 Factsheets Factsheets stellen eine Art 360° Sicht auf oder von einem Business Objekt dar. Wesentliche Informationen werden dem Benutzer auf einem Blatt (read-only) zur Verfügung gestellt. Entweder kann der Benutzer mit dieser Information seine Aufgabe bereits abschließen („Information Worker“) oder er kann gezielt zu einer Bearbeitung verzweigen. 4.2 renter gemacht werden, wenn sie in einen sequentiellen Ablauf abgebildet werden. So besteht der Prozess aus Aufgabenschritten, durch die das System den Benutzer führen kann (vgl. Wizards). Werden noch Möglichkeiten geboten, Aufgabenschritte zu überspringen bzw. dynamisch zur Laufzeit neue Schritte einzublenden, vereinfacht sich der Ablauf für den Benutzer dramatisch. Quick Activity Traditionell riefen Benutzer aus einem Anwendungsbaum eine komplexe “Allzweck”-Applikation auf um sich dann zu überlegen, wo und wie dort Daten einzugeben oder zu verarbeiten seien. Die Quick Activity stellt dagegen einen stark vereinfachten Grundriss dar, der einem Benutzer im Kontext einer Aufgabe genau die Informationen oder Daten liefert, die er verarbeiten bzw. eingeben muß. Sie ist damit Teil eines Business Processes. Idealerweise können 80% der Aufgaben bereits hier erledigt werden. 4.3 Guided Activity Komplexere Business Prozesse können dem Benutzer dadurch transpa- Abb. 1: Generische und spezifische Task Pattern 4.4 Object Instance Manchmal müssen alle Aspekte eines Business Objektes auch zusammenhängend dargestellt werden. Der Object Instance Floorplan stellt also gewissermaßen eine traditionelle Applikation dar. Die Unterteilung in sinnvolle Sichten kann dabei die Übersichtlichkeit drastich verbessern. In diesen Grundrisstyp sollten die Benutzer aber nur noch in Ausnahmefällen gelangen. 4.5 Anzahl benötigter UI Pattern Die Zahl der Floorplans ist wie man gesehen hat deutlich kleiner als zehn. Wieviele Patterns sind dabei notwendig? Neben den generischen UI Pattern unterschieden wir auch spezifische Pattern, wie z.B. ein Addresspattern. Man sieht, dass sich die Zahl der generischen Pattern zwanzig nähert, die Zahl der spezifischen Pattern liegt zur Zeit bei zehn. Die Liste ist nach oben offen und weitere Pattern sind bereits in Planung. Neben Pattern, die unterschiedliche Dateneingabeformate unterstützen, fin- Abb. 3: Wesentliche Grundrisse von SAP ByDesign 113 Business Task Management (BTM) ermöglicht es, Benutzern auf eine einfache und effiziente Weise Aufgaben zu erzeugen, zu bearbeiten und zu verwalten. Es ist damit die Basis für eine flexible Arbeitsteilung zwischen verschiedenen Personen oder sogar Unternehmen, in dem das System Aufgaben einzelnen Benutzern zuordnet oder automatisch in bestimmten Workcentern anzeigt, wo die Aufgaben dann vom Benutzer erledigt werden det man auch Pattern zur Navigation, zur Darstellung von Arbeitsobjekten bzw. –aufgaben. Dazu gesellen sich Reporting-Pattern (ICP) oder auch Wertehilfepattern (OVS, EVS). 4.6 Progressive Disclosure und flexible Navigation Wesentlich für das Gesamtkonzept ist das Prinzip des „Progressive Disclosure“. Darunter versteht man, dass ein Benutzer bereits in einer Startsicht einfache Aktionen ausführen kann und von dort zu immer detaillierteren Aktionen fortschreiten kann. Unterstützt wird das Konzept in der Möglichkeit flexibel zu folgenden Floor Plans navigieren zu können. Dazu stehen unterschiedliche Konstrukte (Function Buttons, Hyperlinks, Common Task Menu, You Can Also Menu) zur Verfügung. Durch diese Konzepte kann sich der Benutzer sehr flexibel durch das System bewegen und immer einen sinnvollen Folgeschritt finden. 5.0 Die Schlüsselinnovationen im User Interface von ByDesign SAP Business ByDesign beinhaltet viele neue Konzepte, die zusammengenommen ein neues UI Paradigma für ERP Applikationen bedingen. Einige der Innovationen sollen hier kurz dargestellt werden: • Business Task Management • Embedded Analytics • Collaboration Window 5.1 Business Task Management Da Benutzer in mittelstandischen Unternehmen haufig einen sehr breiten Aufgabenbereich haben, brauchen sie Unterstützung bei der Organisation ihrer Aufgaben. Diese Unterstützung wird von ByDesign mittels Business Task Management angeboten. 114 Incoming Payment Trytomap Payment toDueItems AutomaticClearing(95%) Excepti on Done AutomaticClearingnotsuccessfulManual Clearing(5%) Accountant können. Abb. 2: Beispiel Clearing Ablauf Ein gutes Beispiel ist „Clearing“ in Financials. Hier werden Zahlungseingänge mit noch offen Posten verbunden. In 95% der Fälle geschieht das automatisch, in den verbleibenden Fällen muß ein Buchhalter die Zuordung machen. Der zuständige Benutzer wird automatisch vom System ermittelt und bekommt die Aufgaben in seiner Workinbox des Due Management Workcenters angezeigt. Der Benutzer kann direkt aus dem Workcenter heraus den zugehörigen Floorplan öffnen und die Zuordnungen durchführen. Business Task Management unterstützt unterschiedliche Aufgabentypen: Fertigstellung, Ausnahmeverwaltung, Alarm und Eskalation, Genehmigung, Mitteilung / Information, oder benutzerinitierte Aufgaben. Jeder Aufgabentyp ist ein eigenes Pattern, das vom System zu Verfügung gestellt wird und mittels welchem auf konsistente Weise und mit geringem Entwicklungsaufwand ein entsprechendes User Interface angeboten wird. 5.2 Embedded Analytics SAP Business ByDesign bietet den Benutzern unterschiedliche Analysewerkzeuge an. Sehr innovativ ist dabei vor allem das Konzept der „Embedded Analytics“, das es ermöglicht, in den Applikations Workcentern Datenanalysen basierend auf (fast) Real Time Daten auszuführen. Damit können Benutzer alle für sie relevanten Daten aus dem ganzen Unternehmen direkt einsehen. Üblicherweise ist das sonst nur mit separaten Analysetools möglich, die aber keine Real Time Daten anzeigen können. Bei dem Design der Embeded Analytics hat Markforschung und User Research ergeben, dass mittelständische Unternehmen wenig Geld und Zeit haben, sich Analysetools selbst zu konfigurieren. Sie brauchen deswegen eine schnelle und intuitive Implementierung ohne weiteren Wartungsaufwand. Abb. 3: Die Auswahl einer vordefinierten Analyse Funktionalität Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Das Collaboration Window wird unter anderem als Call Center Ersatz benutzt und bietet dann mittels automatischer Anrufererkennung direkten Zugriff zu den wichtigsten Daten der anrufenden Partei und zu relevanten Funktionen. Diese sind im Business Context gesammelt und werden je nach Benutzungskontext geändert. Abb. 5: Collaboration Window Contacts 5.3 Vorteile des gewählten Ansatzes In idealer Weise verbinden sich durch dieses integrierte UI Konzept die Vorteile für den Benutzer (hohe Konsistenz, einfache Bedienung, transparenter Benutzungskontext) mit den Vorteilen für ein Unternehmen. Die folgende Abb. zeigt, wie sich einzelne Vorteile für den Benutzer auch positiv auf Geschäftsabläufe auswirken. Abb. 4: Embedded Analytics in Form eines eingebetteten Berichtes (rechts oben) und eine Reportliste (links unten) Das wird durch das sogennante „Scoping UI“ ermöglicht, in dem der Benutzer sich Analysepakete auswählen kann. Damit wird automatisch die benötigte Funktionalität für die Benutzung von Embedded Analytics aktiviert und vordefinierte Reports und kleine eingebettete Reports werden zur Verfügung gestellt. Durch Benutzeranalysen hat sich ergeben, dass Mitarbeiter meistens einen sehr breiten Aufgabenbereich abdecken müssen und dazu integrierte Daten brauchen, die Informationen aus dem ganzen Unternehmen direkt im Applikations User Interface anbieten. 6.0 Abb. 6: Collaboration Window Tasks Toastertypealerts Automaticanmanual BusinessPartnerlookUp Collaboration Window Sehr wichtig in SAP Business ByDesign ist die Unterstützung von kooperativen Szenarien, in denen mehrere Personen interagieren. Das Collaboration Window spielt dabei eine zentrale Rolle und integriert den Zugriff auf Geschäftspartner und ihre Kontaktdaten (s. Abb. en 8 und 9). Abb. 10 zeigt eine Liste von offenen Business Task Management Meldungen und den möglichen Folgeaktivitäten. Contextawareaccessto businessfunctions PhoneFunctions DirectAccesstotheBusinessByDesign system Abb. 7: BTM Meldung mit Collaboration Window und Applikationsscreen 115 Eine Grundeigenschaft des gewählten Ansatzes ist natürlich die Erweiterbarkeit um neue Floorplans und neue UI Pattern. Außerdem lassen sich vorhandene Konstrukte leicht ändern.Wir sind überzeugt, mit dem gewählten Ansatz eine völlig neue Generation von ERPSystemen ermöglicht zu haben, die wirklich den Benutzer und seine Aufgaben in den Mittelpunkt stellt. 7.0 Literaturverzeichnis Alexander C. (1977). A Pattern Language: Towns, Buildings, Construction. Oxford University Press, New York. Arend U. (2004). Effiziente Konstruktion von Benutzungsoberflächen aus konfigurierbaren Bausteinen. In Hassenzahl, M.,Peissner, M. Eds, Usability Professionals 2004. Borchers J. (2001). A Pattern Approach to Interaction Design, Willey Series in Software Design Patterns, Wiley. Tidwell J. (1999) Common Ground: A Pattern Language for Human-Computer Interface Design. http://www.mit.edu/~jtidwell/ui_patterns_essa y.html Tidwell J. (2005). Designing Interfaces: Patterns for Effective Interaction Design. O'Reilly Media, Inc. (November 21, 2005). Van Welie M. (2003). Web Design Patterns. http://www.welie.com/patterns/index.htm Abb. 11: Vorteile sowohl für den Benutzer als auch für die Abläufe 116 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Designing for People: Integration des User Centered Design (UCD) in den globalen Entwicklungsprozess in SAP BusinessByDesign Daniel Markwig ByD Solution Management SAP AG Dietmar-Hopp-Allee 16 69190 Walldorf [email protected] Sabine Finke ByD Solution Management SAP AG Dietmar-Hopp-Allee 16 69190 Walldorf [email protected] Isabel Weissbrodt ByD Solution Management SAP AG Dietmar-Hopp-Allee 16 69190 Walldorf [email protected] Abstract Die über mehrere Länder und verschiedene Teams verteilte Projektstruktur der neuen Produktentwicklung SAP Business ByDesign stellt Anforderungen sowohl an die Definition des Entwicklungsprozesses als auch an die Arbeitsweise in den Teams. 1.0 Einleitung Im Umfeld der Entwicklung der neuen integrierten Software zur Planung und Steuerung von Unternehmensfunktionen SAP Business ByDesign ergaben sich für SAP vielfältige Herausforderungen, die es nötig machten, den Gestaltungsprozess für Software an die Gegebenheiten anzupassen: x x x x SAP Business ByDesign soll den Markt für mittelständische Unternehmen ansprechen, in dem SAP bisher wenig Erfahrung hat. SAP Business ByDesign verfolgt ein für SAP neues Businesskonzept (“Software as a Service”). An der Entwicklung der Software sind drei voneinander unabhängige Entwicklungsorganisationen innerhalb SAP beteiligt. Die an der Entwicklung der Software beteiligten Organisationen sind über sechs Länder mit unterschiedlichen Zeitzonen verteilt (USA, Irland, Deutschland, Israel, Indien, China). Der Beitrag beschreibt den speziellen SAP Business ByDesign Entwicklungsprozess, der sowohl die Integration des User Centred Design Prozesses gewährleistet als auch die Belange von Entwicklung, Produktdefinition und Knowledge Management berücksichtigt. Ebenso werden die Aspekte eines interkulturell aufgestellten UI Design Teams beleuchtet. Keywords x beit von Mitarbeitern aus vielen verschiedenen Ländern und Kulturen beruht. Dies gilt auch für UI Design Teams. Das neue Produkt soll gleichzeitig in mehreren Zielmärkten (u.a. Deutschland, USA und China) mit unterschiedlichen (Geschäfts-) Kulturen und Gesetzgebungen eingeführt werden. All diese Voraussetzungen machen deutlich, dass bei der Entwicklung eines benutzerorientierten Gestaltungsprozesses drei zentrale Ziele erreicht werden müssen: Die Kunden und die Benutzer der neuen Software müssen genau erforscht und ihr Kontext verstanden werden. Der dabei angewendete Prozess muss skalierbar und dokumentierbar sein, um in einem derart komplexen Entwicklungsumfeld funktionieren zu können. Und schließlich muss der Prozess von allen beteiligten Parteien verstanden und akzeptiert werden, um effektiv wirken zu können. User Centered Design, UPA, Interkulturelles Team, SAP Business ByDesign Die tägliche Arbeit eines UI Designers im globalen Umfeld spielt sich im Kommunikationskreuz von Produktdefinition, User Interface Entwicklern und User Interface Designern ab. Ein globales UI Design-Team kann verschiede kulturelle Aspekte eines UI Designs abdecken und den direkten Kontakt mit Anwendern vor Ort nutzen. Erfahrungsberichte aus der Praxis zeigen, wie Kommunikation optimiert und gepflegt werden kann, wie mit kulturellen Differenzen umgangen werden soll, und wie Team Building ein global verstreutes Team zusammenschweißt. Hinzu kommt, dass die Arbeit in einem Unternehmen wie SAP sehr stark auf einer erfolgreichen Zusammenar- 117 2.0 User Centered Design Dazu wurden zunächst einige Pilotprojekte durchgeführt, mithilfe deren Erfahrungen die Prozessdefinition iterativ erarbeitet wurde. Hierbei standen zwei Kernelemente im Fokus: User Centered Design (abgekürzt „UCD“, zu Deutsch etwa „Benutzerorientierte Gestaltung“) ist zunächst eine Philosophie, die den Benutzer ins Zentrum des Gestaltungsprozesses für ein Produkt stellt. User Centered Design versucht den „Schöpfern“ eines Produktes wie Produktdefinition, Designern, Ingenieuren, Programmierern oder anderen Beteiligten zu erklären, wer der Benutzer ihres Produktes ist, was dessen Anforderungen sind und für welche Zwecke er es einsetzen wird. Desweiteren will UCD erreichen, dass diese Erkenntnisse über den Benutzer und seine Anforderungen in der weiteren Entwicklung des Produkts berücksichtigt werden. Am Ende soll UCD zu einer verbesserten Brauchbarkeit („Usefullness“) und Benutzbarkeit („Usability“) des Produktes führen [Nielsen]. Dazu werden verschiedene Phasen im Entwicklungsprozess durchlaufen, die zunächst zu einem besseren Verständnis des Benutzers, seines Umfeldes und seiner Tätigkeit durch (möglichst) alle an der Produktentwicklung beteiligten Personen führen sollen. Dieses Verständnis wird nun im Gestaltungsprozess angewendet und das Produkt im Laufe seiner Entwicklung immer wieder mit den festgestellten Anforderungen des Benutzers abgeglichen. Dieser Entwicklungsprozess soll iterativ durchlaufen werden. 1. 2. Abb. 1: Der UCD Process 1. 2. 3. 4. 5. Plan: Projektkonzept festlegen Research: Nutzungskontext verstehen Design: Anforderungen spezifizieren Adapt: Lösungen produzieren Measure: Lösungen bewerten Im Idealfall werden die Schritte 2 bis 5 dieses Prozesses iterativ durchgeführt, d.h. mehrfach auf das Produkt angewendet, um eine iterationsweise Steigerung der Produktqualität zu erreichen. 3.0 UCD im Prozess Um User Centered Design im Entwicklungsumfeld von SAP Business ByDesign zu verwurzeln, musste der in der ISO 13407 vorgeschlagene Prozess an die produktspezifischen Gegebenheiten angepasst werden. Die Erarbeitung eines praktikablen Prozesses unter Berücksichtigung der organisatorischen Begebenheiten. Definition von verpflichtenden Ergebnisdokumenten („deliverables“) und deren Revisionsprozessen („reviews“). Das Ergebnis der ersten Pilotprojekte war, dass die Teamstruktur für eine erfolgreiche Anwendung von User Centered Design verändert werden musste. Anstatt wie bisher mehrere Entwicklungsorganisationen, Produktdefinition, Interface Design und Knowledge Management parallel nebeneinander her arbeiten zu lassen und nur gelegentliche Abgleiche der Projektstatus durchzuführen, wurde ein Ein-Team-Ansatz („Joint Team Approach“) als äußerst wichtig für die Effizienz und Effektivität des Prozesses erkannt. Einzelne Entwicklungsprojekte in SAP Business byDesign werden also von einem Projektteam bearbeitet, das zumindest Vertreter von Projektmanagment („Solution Management“), UI Entwicklung, Plattformentwicklung und User Eine genormte Variante des User Centered Designs ist in der DIN EN ISO 13407 Benutzer-orientierte Gestaltung interaktiver Systeme festgehalten. Dort werden folgende Phasen für einen Benutzerorientierten Entwicklungsprozess vorgeschlagen: Abb. 2: Der SAP Business ByDesign Entwicklungsprozess 118 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Interface Design, sowie Knowledge Management umfassen soll. Diese Teammitglieder begleiten das Projekt über die gesamte Projektlaufzeit und sind für die Ergebnisse verantwortlich. Zwar werden viele Arbeiten während des Prozesses weiterhin parallel in den einzelnen Abteilungen durchgeführt, aber auf umfassende Abstimmung der Teammitglieder wird Wert gelegt. Der Prozess als solcher läuft grob entlang der Phasen der DIN/ISO 13407 vorgeschlagenen Linien, allerdings mit Veränderungen, die den Anforderungen eines komplexen Projektteams entsprechen. Am Ende jeder Phase des Prozesses findet ein Review der Ergebnisdokumente statt, die dann gleichzeitig die Voraussetzung für die nächste Entwicklungsphase darstellen. In jeder einzelnen Phase finden (mindestens wöchentlich) Teamsitzungen statt, die für ein iteratives Erarbeiten der Ergebnisse benötigt werden. Wichtig ist hierbei anzumerken, dass die Phase der Produktdefinition (inklusive User Research, Site Visits, Use Case Verification) vom Team gemeinsam durchgeführt und idealerweise in Form eines mehrtägigen Workshops ausgewertet wird. 3.1 Ergebnisdokumente Um eine gleichbleibende Qualität und Dokumentierbarkeit des Prozesses zu erreichen, wurden für die einzelnen Phasen im Entwicklungsprozess standardisierte Ergebnisdokumente erarbeitet: 1. 2. Bucket Approval: Abgestimmter und bestätigter Projektauftrag Product Definition: Solution Blueprint (beinhaltet User Roles, Prozessfluss-Diagram, Use Case Portfolio, high-level Use Cases, Interaction Model, evtl. technische Zusatzinformationen) 3. 4. 5. 6. 3.2 Specification Phase: Software Requirements Specification (detaillierte Use Cases, Software Requirements, Interaction Model, UI Specifications, Wireframes) Software Design: Implementierbare Mockups und DesignDokumente (inkl. Detaildesigns, Implementierungshinweise und Testanleitungen) Implementation: Implementierte Screens Solution Test: TestergebnisDokument Solution Blueprint User Roles: Textuelle Kurzbeschreibung der wichtigsten Benutzerrolle(n). Benutzer möglichst optimale Lösung darstellt. Technische Restriktionen werden bis hierher nur insoweit betrachtet, als es absehbar ist, dass dieses oder jenes Konzept auch langfristig nicht umsetzbar sein wird. Use Case Portfolio: Qualitative Bewertung der Bedeutung der Use Cases in graphischer Form (Bedeutung für den Prozess gegen Häufigkeit des Auftretens). Interaction Model: erste graphische Darstellung der Interaktionen des Benutzers mit dem System. 3.4 Prozessfluss-Diagramm: Grafische Darstellung des im Projekt bearbeiteten Geschäftsprozesses. High Level Use Case: Grobe Beschreibung der einzelnen Use Cases im Prozess des Projektes. 3.3 Software Requirement Specification Detaillierte Use Cases: weitere Ausgestaltung der oben definierten Use Cases. Interaction Model: weitere Ausarbeitung des oben eingeführten Models. Wireframes: grobe Darstellung des User Interfaces der zu entwickelnden Software. UI Specification: textuelle Beschreibung der User Interface-Funktionen und Interaktionen. Software Requirements: Anforderungsliste an die Programmierung Wichtig ist anzumerken, dass die bis hier beschriebenen Lösungen noch ein so genanntes Zieldesign darstellen. Das bedeutet, dass bis hierher keine kurzfristigen technischen Probleme berücksichtigt werden, sondern ein Design erstellt wird, dass eine für den Software Design Implementierbare Mockups: interaktive Mockups, die technische Restriktionen berücksichtigen. Detaildesigns: detaillierte Ausarbeitung der Designs. Testcases: Testfälle, die aus den SRS generiert werden. Am Ende jeder Designphase findet ein Review der erstellten Dokumente durch alle Teammitglieder und benannte Stakeholders statt. Die genannten Ergebnisdokumente wurden nicht nur im Hinblick auf eine bessere Dokumentierbarkeit des Entwicklungsprozesses erarbeitet, sondern sollen vor allem auch einem besseren Verständnis der einzelnen Teammitglieder und ihrer Arbeit untereinander dienen. 3.5 Benutzerfeedback Um die entwickelten Lösungen immer wieder mit den Anforderungen der Benutzer abzugleichen werden im Laufe des gesamten Prozesses Feedbackmöglichkeiten gegeben. 119 1. 2. 3. 4. 5. User Research, Site Visits Use Case Validierungen UI Validierungen Systemtests Kundenbefragungen und –besuche Einführung des Prozesses 4.0 Die Einführung eines neuen Prozesses verlangt erheblichen Aufwand und oftmals auch eine Umstellung in den Methoden und Gewohnheiten der Mitarbeiter. Deshalb war und ist es für uns v.a. wichtig, den Mitarbeitern zu vermitteln, warum dieser Prozess mit all seinen Dokumenten notwendig ist und wie dadurch ihre Arbeit erleichtert und die Ergebnisse verbessert werden können. Zur Prozesseinführung werden wir weitere Pilotprojekte durchführen, um möglichst vielen Mitarbeitern im Rahmen ihrer normalen Tätigkeit aufzuzeigen, wie der Prozess angewendet wird und was seine Ergebnisse sind. Daneben wird es Workshops mit exemplarischen Übungen zum Prozess geben, Vorträge und Vorstellungen in den wichtigsten Team- und Projektmeetings und eine zentrale Prozess-Seite im SAP-Intranet, wo Vorlagen für Dokumente, Prozessbeschreibungen, Tipps zur Durchführung Best Practices und Real Life Reports gesammelt zur Verfügung gestellt werden. in voller Ausprägung nur für die wichtigsten Projekte durchgeführt werden. Als unwichtiger eingestufte Projekte müssen sich bemühen, die zur Verfügung stehenden Ressourcen auf eine Art und Weise anzuwenden, die es ihnen ermöglicht, zumindest die Grundaspekte des UCD zu verwirkliche. Der wichtigste Faktor ist hierbei das „Buy-In“ aller beteiligten Projektmitglieder. Wenn den einzelnen Teilnehmern an der Projektarbeit klar vermittelt werden kann, welche Vorzüge diese Art der Softwareentwicklung auch für sie hat, ist es meist ein Leichtes, User Centered Design umzusetzen. 5.0 Globales Teamsetting Bei SAP als einem global agierenden Unternehmen gehören verteilte Teams zum Alltag. Davon ist auch die Arbeit der UI Designer nicht ausgenommen. Die SAP Business ByDesign User Experience Gruppe ist über drei Standorte verteilt und arbeitet dabei eng mit Produktdefinition und Entwicklung zusammen, die wiederum auf vier Standorten verteilt arbeitet. Beispiele von SAP Business ByDesign Teams: UI Designer in Deutschland, China und Indien Produktdefinition in Deutschland, China Entwicklung in Deutschland, China und Israel. 6.0 Vorteile und Herausforderungen Ein global agierendes Team von UI Designern bringt einige Vorteile mit sich. Menschen aus verschiedenen Kulturen gehen unterschiedlich an Problemstellungen heran und bringen frische, innovative Ideen in ein Design-Projekt ein. Ein internationales Team bietet die Gelegenheit, „über den Tellerrand“ zu schauen und offener über Dinge nachzudenken. Ebenso erhöht die Zusammenarbeit mit Kollegen aus Ländern wie z. B. China, Indien, USA und Israel die Sensibilität für kulturelle Unterschiede, die sich u.a. auch in der Gestaltung von Softwareoberflächen und Interaktionsmustern niederschlagen. Der bei SAP Business byDesign entwickelte Prozess beinhaltet alle wesentlichen Prinzipien der User Centered Design Philosophie: x x x Frühes Fokussieren auf den Endbenutzer, seine Aufgaben und Anforderungen Iterative Entwicklung Ständige Evaluierung der Zwischenergebnisse im Entwicklungsprozess unter Beteiligung von Endnutzern Natürlich unterliegt er, wie fast alle Entwicklungsprozesse ständigem Zeit- und Kostendruck. Deshalb kann der Prozess 120 Abb. 3: Das globale SAP Business ByDesign UI Designer Team Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Der benutzerzentrierte Designprozess wird optimal durch die Durchführung von Site Visits und UI Valididerungen in verschiedenen Ländern unterstützt. Kundenbesuche in China, Usability Tests in den USA oder Benchmark Tests in Indien: UI Designer vor Ort erstellen entsprechende Prototypen und kümmern sich um Planung, Durchführung und Nachbereitung. Da bei SAP auch die Entwicklungteams auf verschiedene Standorte verteilt sind, ist es besonders wichtig, UI Designer direkt vor Ort zu haben. Diese können UI Entwürfe, UI Guidelines und Ergebnisse von Usability Tests direkt an die Entwickler herantragen, wodurch die Akzeptanz stark erhöht wird. Ebenso können auftauchende Implementierungsprobleme direkt mit den betroffenen Entwicklern gelöst werden. Neben den genannten Vorteilen gibt es natürlich auch einige Herausforderungen, die in einem internationalen Designerteam bewältigt werden müssen. Da es sich faktisch um virtuelle Teams handelt, muss die Kommunikation größtenteils über E-Mail abgewickelt werden. Diese asynchrone Art der Kommunikation führt leicht zu Verzögerungen und Missverständnissen. Die unterschiedlichen Zeitzonen ermöglichen teilweise nur eine auf ein bis zwei Stunden begrenzte gemeinsame Arbeitszeit. Aufkommende Designfragen können so nicht zeitnah gelöst werden oder müssen von den Designern vor Ort abgefangen werden. Gerade die Anfangsphase eines UI Design Projektes, in der es noch sehr kreativ und ungeordnet zugeht, ist in einem virtuellen Team kaum machbar. Lebhafte Diskussionen und das Arbeiten am Whiteboard während der Durchführung von Designsessions vertragen sich nicht mit Telefonkonferenz und Netmeeting. Neben der eigentlichen Projektarbeit ist die Sicherstellung einer reibungslosen Kommunikation und die Herstellung eines gemeinsamen Teamgeistes ein schwieriges Unterfangen. Die Koordination der Teammitglieder muss ohne persönlichen Kontakt, nur über Telefon und E-Mail erfolgen. Die Geschäftssprache ist Englisch, aber trotzdem ist die Kommunikation oft mühsam und es entstehen Missverständnisse, da kaum jemand ein englischer Muttersprachler ist. Wenn es unumgänglich ist, ein Projekt über verschiedene Lokationen zu verteilen, dann sollte diese Verteilung nach Möglichkeit nur über zwei Länder erfolgen. Die Zusammenarbeit zwischen zwei Zeitzonen ist machbar, sobald jedoch eine dritte oder gar vierte hinzukommt, kann dies im schlimmsten Fall zu einer Lähmung des gesamten Teams führen. 7.0 Teamwork Ein Team beschreibt eine Gruppe von Personen, die sich gemeinsam für eine Aufgabe einsetzen. Teamwork beschreibt die Zusammenarbeit von mehreren Personen an einer gemeinsamen Aufgabe [vgl. Der Duden; Bd. 10; 1985 ]. Wie kann mit global verteilten UI Designern ein Team aufgebaut und erhalten werden? Wie kann ein Teamgeist entfacht werden, welcher die räumliche Distanz vergessen lässt? Kommunikation und Transparenz sind hier die Schlüsselworte. 7.1 Interkulturelle Kommunikation Interkultureller Kommunikation beschreibt das Aufeinandertreffen von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen. Hierbei können Probleme und Missverständnisse auftreten, da die Kommunikationsgewohnheiten des jeweiligen Gegenübers oft nicht voll- ständig bekannt sind. Diese Missverständnisse kommen sowohl in der verbalen als auch umso häufiger in der nonverbalen Kommunikation zum Tragen. Im heimischen Büro kommunizieren Mitarbeiter direkt miteinander, Themen können auf Zuruf diskutiert werden, Rückfragen können unmittelbar beantwortet werden. Auch ein gemeinsames Mittagessen oder ein Kaffee am Mittag ist üblich. Gerade diese Möglichkeiten der direkten Kommunikation sind im global verteilten Team sehr selten und kostbar. Die Erfahrung zeigt, dass aufgrund der räumlichen Distanz die Kommunikation in der Hauptsache über online Werkzeuge wie E-Mail und Remote DesktopSharing wie Netmeeting, Interwise, sowie Videokonferenzen und Telefon reduziert ist. Um den Kommunikationsfluss unter diesen erschwerten Rahmenbedingungen, wie räumliche Distanz und Zeitzonen erfolgreich aufzubauen, ist besonders das Verstehen der anderen Kultur der erste Schritt zur guten Kommunikation. Ein Interkulturelles Training ist für alle Teammitglieder empfehlenswert. Verhaltensmuster und Kommunikationsgewohnheiten sind in jeder Kultur unterschiedlich, auch im Businesskontext. Ein interkulturelles Training hilft, diese Unterschiede frühzeitig zu erkennen und offen mit ihnen umzugehen. E-Mails könnten beispielsweise anders formuliert werden, um beim Kollegen die gewünschte Information oder Reaktion zu erhalten. Arbeitsanweisungen, Projektmeilensteine, müssen möglicherweise auf eine andere Art und Weise kommuniziert werden. Das persönliche Kennenlernen ist besonders zu Beginn eines Projekts sehr wichtig. Zumindest der Teamleiter sollte alle Teammitglieder persönlich kennen lernen. Hier können soziale Kontakte 121 geknüpft werden, die Nähe schaffen und nachhaltig das Zusammenarbeiten erleichtern. Der Zusammenhalt des Teams wird durch regelmäßige Ereignisse gestärkt. Folgend werden einige Maßnahmen beschrieben die im SCM UI Designer Team (SAP BusinessBy Design) erfolgreich durchgeführt werden. Regelmäßige wöchentliche Teammeetings (1,5 Stunden) fördert den Austausch zwischen den Teammitgliedern. Die Inhalte können von allen Teammitgliedern gleichberechtigt beigesteuert werden. Beispielsweise könnte in einen globalen UI Designer Team, Designfragen im Team diskutiert werden, oder auch besondere Projekte des Standortes vorgestellt werden. Nach Möglichkeit sollten der Tag und die Zeit für dieses Meeting stabil bleiben. Als besonders verbindend haben sich Videokonferenzen in Verbindung mit Remote DesktopSharing wie Netmeeting oder Interwise, erwiesen. Regelmäßige wöchentliche Status Meetings (30 Minuten-1 Stunde) fokussiert auf den Projektstatus, hier kann von jedem Teammitglied der aktuelle Stand zum Projekt erfahren werden, mögliche 122 Stillstände analysiert werden, Andere Teammitglieder können Lösungsvorschläge oder Erfahrungen einbringen. Regelmäßige halbjährliche Team Lesson-Learned Workshops(1-2 Tage) fördern die Transparenz, Stimmungen und Wünsche der Teammitglieder können im Team diskutiert werden. Daraus folgende Teamziele oder nötige Änderungen in der Teamstruktur können thematisiert und adressiert werden. 7.2 Transparenz unter den Teammitgliedern zeichnet sich durch offene Kommunikation und Teilen der Erfahrungen oder Problemen aus. Wie vorher beschrieben, können regelmäßige Status Meetings und Team Lessons Learned die Transparenz im Team steigen. Wie sich in den vergangen Jahren herauskristallisiert hat, ist mangelnde oder gar fehlende Transparenz einer der Schlüsselfaktoren für Unzufriedenheit in einem globalen Team. Transparenz im Team Transparenz definieren wir in unserem UI Designer Team zum einen vom Teamleiter zum Team und zum anderen zwischen den Teammitgliedern untereinander. Transparenz vom Teamleiter zum Team zeichnet sich durch klare Kommunikation aus. Klarheit in Bezug auf Erwartungen, die an Kollegen gestellt werden, sowie Klarheit in Bezug auf die zu erreichenden Ziele. Ebenso muss der Teamleiter jederzeit Klarheit über den aktuellen Stand des Projekts haben, ob es unerwartete Probleme oder andere Faktoren gibt die das Projekt beeinflussen können. Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Rolle und Einfluss von Prototyping Tools in einem industrialisierten, pattern-basierten UI-Enwicklungsprozess Thomas Uhl ByD Solution Management SAP AG Dietmar-Hopp-Allee 16 69190 Walldorf [email protected] www.sap.com Abstract Der Beitrag will Erfahrungen aus der Tool-gestützen Mockup-Entwicklung bei SAP Business ByDesign beleuchten. Rolle und Einfluss der genutzten Tools in verschiedenen Projektphasen sollen aufgezeigt werden. 2005 entstand auf Basis der Erfahrung 1.0 Einleitung mit diversen extern verfügbaren Tools sowie ersten SAP-eigenen MockupTools der Ansatz für ein Patternbasiertes UI Design-Tool. Stärken und Schwächen dieses Ansatzes werden kritisch beleuchtet. Zudem wird ein Ausblick in aktuelle Weiterentwick- lungsansätze gegeben. Abgerundet wird der Beitrag mit einer Demonstration des aktuell im Einsatz befindlichen Tools. len Stellen der Applikation anwenden zu können (Preece 2002). zur kritischen Diskussion dieses Ansatzes beitragen. Abschließend werden die momentan bei SAP diskutierten und teilweise bereits in Entwicklung befindlichen Erweiterungen und Neuausrichtungen des Tools aufgezeigt. Ein industrialiserter User Interface Entstehungsprozess agiert im Spannungsbogen zwischen der gewollten Freitheit des Designs sowie den ebenso notwendigen wie gewollten Einschränkungen aufgrund architektonischtechnischer Randbedingungen und kostenorientierter Prozessabläufe. Die Nutzung von Pattern soll einen effektiven, industrialisierten UI Entwicklungsprozess unterstützen. Zudem wird das Erreichen eines gerade für anspruchvolle und umfassende Applikationen erforderlichen Konsistenzgrades der Benutzeroberflächen wesentlich unterstützt. Für die Erstellung des neuen SoftwareProdukts SAP Business ByDesign hat man sich für einen Pattern-basierten UI Grundentwurf entschieden. Dieser Pattern-basierte Ansatz (Arend 2004) verfolgt das Ziel, unterschiedliche Interaktions-Paradigmen über spezifische konfigurierbare User Interface Bausteine (Pattern) abzubilden. Dabei wird zwischen Grundriss-Pattern und ContentPattern unterschieden. GrundrissPattern legen das grundsätzliche Layout (Framework) für eine spezifische NutzerInteraktion fest, wohingegen ContentPattern den zentralen Inhaltsbereich der Benutzeroberfläche spezifizieren. Das im Folgenden näher beleuchtete SAP-eigene Tool „UI Wizard“ verfolgt das Ziel, den Pattern-basierten UI Grundentwurf auf ein Pattern-basiertes Prototyping-Tool umzusetzen. Pattern sollen dazu beitragen, die gewonnenen Erfahrungen bezüglich benutzerfreundlicher Problemlösungen zu persistieren und „out of the box“ an vie- Die sich hieraus ergebende Frage ist, wie sich die bei SAP definierten User Centered Design-Prozessschritte und Methoden mit einem solchen Tool vereinbaren lassen und wie dadurch die Erwartungen insbesondere in Bezug auf industrialiserte Spezifikationsprozesse vernünftig in Einklang gebracht werden können. Im Folgenden werden kurz die wesentlichen Funktionalitäten des bei SAP Business ByDesign genutzen Prototyping-Tools „UI Wizard“ dargestellt. Danach sollen einige Fragestellungen Keywords User Experience, Prototyping Tools, SAP, Pattern-based UI 2.0 Kernmerkmale des Prototyping Tools „UI Wizard“ Folgende Merkmale beschreiben die Grundfunktionalitäten des „UI Wizard“ 2.1 Hauseigene Entwicklung Das Prototyping-Tool „UI Wizard“ ist eine hauseigene Entwicklung der SAP AG. 2.2 Online-Anwendung „UI Wizard“ steht als OnlineApplikation im Intranet der SAP zur Erstellung von SAP Business ByDesign Prototypes und Mockups zu Verfügung. Alle erstellten Mockups stehen zentral zur Verfügung. Eine lokal lauffähige Variante des Tools zur Erstellung von Mockups existiert nicht. 123 2.3 Assistenten-Ansatz Im „UI Wizard“ können mit Hilfe vielzähliger Assistenten Pattern-basierte UIs konfiguriert werden. Die Konfigurationen werden in einer zentralen WebDatenbank erfasst. Diese Konfigurationen werden genutzt, um über eine Render-Engine HTML-Seiten zu generieren. Diese Render-Engine nutzt dieselbe UI Control-Bibliothek, die auch für die Erstellung der „Echtanwendung“ herangezogen wird. 2.4 High-Fidelity Mockups Die erstellten Mockups zeichnen sich durch eine hohe Realitätsnähe zur Echtanwendung aus. Auf Grund der Nutzung derselben UI Elemente und und der Tatsache, dass auch Business byDesign als SAP Portal Lösung eine Web-Anwendung darstellt, kann man bei den im UI Wizard erstellten Mockups in jedem Fall von High-Fidelity-Mockups sprechen. 2.5 Tool-gesteuerte Konsistenz („consistency out-of-the-box“) Die Pattern-basiserte UI Mockup Erstellung im „UI Wizard“ steuert die konsequente Einhaltung vieler Festlegungen aus den Business ByDesign UI Richtlinien. Nach der Auswahl aus den vorhandenen Framework-Pattern (Floorplans) erfolgt auch auf den einzelnen Screenbereichen (Identification Area, Contextual Navigation Panel, Content Area) eine klare Benutzerführung zu den wesentlichen Bestandteilen in den einzelnen Bereichen. Als Beispiel sei die Button Area angeführt. Hier folgt die Reihenfolge und Gruppierung einzelner Action Buttons klaren Richtlinien aus den UI Guidelines. Kein Grund also, im Tool mehr Freiheitsgrade als nötig zu gewähren – im Gegenteil: Die Konsistenz dieses Bereiches wird durch die automatische Gene- 124 rierung im UI Wizard wesentlich positiv beeinflusst. 2.6 Zentraler Zugriff Die auf Basis der Konfigurationen durch Rendering erstellten HTMLSeiten liegen auf einem zentralen Server zur Verfügung. 2.7 Erstellung und gemeinsame Nutzung von Feldlisten Im Tool können neben den Screenkonfigurationen auch Feldlisten (Screen Objects) hinterlegt werden, die bei systematischer Nutzung anwendungsweit konsistente Feldbezeichungen unterstützen. Feldlisten können auch Referenzen zu anderen Feldlisten enthalten. Dadurch kann ein relationales Datenbankmodel mit (1:1) und (1:N) Beziehungen nachgebildet werden. 2.8 Demodaten Zusätzlich können auch DemoDaten für hinterlegte Feldlisten gespeichert werden, die vor allem bei größeren abzubildenden Szenarien zu durchgängiger Demodaten-Anzeige führt. Solche realistische und durchgängig genutze Demodaten fördern merklich das Verständis der SystemFunktionalitäten sowie die Abbildung konkreter Use Cases auf den Prototypen. 2.9 Keine Laufzeit-Datenerzeugung Im Tool können Daten erfasst und als Demodaten für alle erstellten Mockups genutzt werden. Zur Laufzeit können jedoch keine Daten generiert und weitergenutzt werden (z.B. während einer Validierung). 2.10 Navigationsmöglichkeiten Die ausgerenderten HTMLPrototypes können mittels Navigationselementen miteinander verbunden werden. Buttons, Links oder andere Absprung-Komponenten können mit Zielen versehen werden, die auf weitere im Tool erstellte Screens verweisen. 2.11 Mockup-Repository Durch die zahlreich vorhandenen Navigationselemente zwischen einzelnen Screens entsteht ein MockupRepository, das die Gesamtanwendung bereits vor Beginn der ersten realen Entwicklung in erstaunlich realitätsnaher Art und Weise zeigt. 2.12 Versionierung Durch eine Versionenverwaltung der Konfigurationen werden Übergabeprozesse an Entwicklungsabteilungen unterstützt. Dies spielt insbesondere aufgrund des globalen Projektansatzes bei Business ByDesign eine entscheidende Rolle. Mockups entstehen im Solution Management von Business ByDesign, das sich mehrheitlich in Deutschland (St. Leon-Rot) befindet, wogegen die Entwicklung der Produkt-UIs in Indien (Bangalore) stattfindet. 2.13 Verbindung zu Business ByDesign Entwicklungssystemen Momentan bestehen nur wenig direkte Verbindungen zu den Entwicklungssystemen. Die im UI Wizard erstellten Feldlisten können jedoch über eine „Mapping-Funktion“ mit dem Enterprise Service Repository, in dem sich die Business Objekte der Echtanwendung befinden, abgeglichen werden. Export/ Import-Funktionen zum „Visual Composer“, dem UI Entwicklungstool für die Erstellung der realen Business ByDesign Anwendung, existieren momentan nicht. 3.0 Drei Fragestellungen Im Folgenden werden drei Fragestellungen in Zusammenhang mit der Nutzung des „UI Wizard“ im UI Design Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Prozess bei Business ByDesign aufgezeigt und zur Diskussion gestellt. 3.1 Ab welchem Zeitpunkt im Gesamtprozess macht die Nutzung eines Pattern-basierten Prototyping-Tools Sinn? Die Wahl des entsprechenden Prototyping-Tools für entsprechende Phasen folgt dem Wunsch, möglichst schnell und einfach das erforderliche Ziel zu erreichen (Arnowitz 2007). Für sehr frühe hoch-iterative Konzeptphasen macht die Nutzung des UI Wizard trotz der zur Verfügung Stellung der gewünschten Pattern wenig Sinn. Hier sind Papier-Prototyping, Powerpoint-Skizzen oder Excel-Tabellen nach wie vor häufig genutzte Hilfsmittel. Beim Einholen von EndbenutzerFeedback in diesen frühen Phasen kommt zudem der Aspekt hinzu, dass die zu hohe Detailgenauigkeit der UI Wizard Mockups (High-Fidelity) Probanden in ihrer Kritikfähigkeit hemmen kann. Das endproduktnahe Erscheinungsbild der Screens kann dazu führen, dass die vom Probanden erhaltenen Aussagen nur noch oberflächliche, kleinere Änderungen betreffen. Umfassendere, grundsätzliche Schwierigkeiten, die der Proband eventuell mit der konzeptuellen Lösungsidee hat, erscheinen ihm auf Grund der bereits detailgenau ausgeprägten Screens möglicherweise nicht mehr diskussionswürdig. Für die späteren Phasen des UI Design Prozesses sowie der Spezifikationsphase und Übergabe an die Entwicklung hat sich der Ansatz hingegen bewährt. Gerade die einfache Erzeugung und Integration von Demodaten stellt ein wichtiges Hilfsmittel dar. Die Diskussion der zu erwartenden Funktionalitäten der UIs lässt sich mit konsequent durchgängigen Demodaten sehr effektiv untermauern. Auch spät im Prozess angesiedelte UI Validierungen lassen sich mit den im UI Wizard erstellten „clickable“ Prototypes sehr gut durchführen. Hier ist die endproduktnahe Ausprägung im Gegensatz zu den Konzeptvalidierungen ja gerade erwünscht. 3.2 Wie können unterschiedliche Rollen in der Organisation durch entsprechende Toolunterstützung an Usability-Methoden herangeführt werden? SAP ordnet bei der Entwicklung von Business ByDesign die Gruppe der Usability Experten und User Interface Designer organisatorisch dem Bereich Solution Management zu. Die Usability Professionals arbeiten mit Solution Managern an der Erstellung aller Business ByDesign Mockups sowie den UI Spezifikation. Die Solution Manager bringen die notwendigen Business Skills einzelner Anwendungsbereiche wie Customer Relationship Management (CRM), Supply Chain Management (SCM), Human Capital Management (HCM) oder Financials mit. Die Usability Professionals sind für die Einhaltung und Durchführung von Usability Methoden verantwortlich, die durch den SAP User Centered Design-Prozess festgelegt sind. Das komplette Solution Management wiederum steht im regen Austausch mit den Produktentwicklern. Die Entwicklergruppe ist aufgeteilt in einen Gruppe der „Application Plattform“ Entwickler (AP), die für die Generierung des Enterprise Service Repositories mit allen Business Objekt Daten sowie allen Backend-Funktionalitäten wie Berechnungen, DatenbankQueries usw. verantwortlich sind sowie einer Gruppe von UI Entwicklern in Indien. Aus dieser Rollenverteilung läßt sich unschwer erkennen, dass eine der großen Herausforderungen in diesem Projekt die konsequente Nutzung und Durchführung methodischer UCD Prozesse ist. Es gilt, allen Nicht-UsabilityProfessionals die Notwendigkeit und Nützlichkeit der UCD Aktivitäten ständig auf’s Neue aufzuzeigen und dadurch mehr und mehr zu institutionaliseren. Genau hier können durch konsequenten Nutzung eines Mockup-Tools entscheidende Fortschritte gemacht werden. So kann es gelingen, Usability Methoden durch die Tool-Nutung nicht zwanghaft zu indoktrinieren, sondern vielmehr mittels der Tool-gestützten Prozesssteuerung deren Nutzung positiv zu motivieren. Dies ist eine Entwicklung der kleinen Schritte, während derer der Usability Professional oftmals von seiner „optimalen“ Methodensicht Abstriche macht und sich mit Kompromissen zufrieden geben muss. Nichtsdestotrotz führen auch solche bewusst in Kauf genommene Kompromisse zu einer zwar langsamen, aber steten und positiv motivierten Durchsetzung von Usability-Methoden in der Gesamtorganisation. Das genutzte Tool kann versuchen, wie ein roter Faden durch den UCD Prozess zu leiten. Dies geht dann über den originären Ansatz eines Prototyping Tools weit hinaus. 3.3 Industrialisierter UI Entwicklungsprozess versus klassische User Interface Designer Rolle Eine häufig in der Gruppe der Usability Professionals diskutierte Thematik ist der Wegfall von Freiheitsgraden bei der Entwicklung von Prototypes durch die Nutzung des konkret Patternbasiserten UI Wizard. Dieser Wegfall von Freiheitsgraden (im Vergleich zur Nutzung offener Tools wie Photoshop, Visio oder Excel) wird direkt in Verbindung gebracht mit dem Risiko, durch die zu schnelle Konzentration auf Pattern-basierte UI Entwicklung gerade die Weiterentwicklung der Pattern oder 125 auch die notwendige ständige kritische Hinterfragung der Pattern zu unterbinden. Eine konsequente Nutzung der Tool-gestützen Pattern-basiserten UI Entwicklung sei also am Ende innovationshemmend. Für die weitere Entwicklung des Tools werden folgende Zielsetzungen anvisiert: Dem Gegenüber steht die Position, dass gerade die Nutzung des Tools zur Erstellung Pattern-basierter Mockups mit allen damit verbundenen prozessunterstützenden Elementen zu mehr Freiheitsgraden für die Verfolgung neuer Pattern-Ideen sowie für bewusste, kontrollierte Ausbrüche aus der Pattern-Welt (Freestyle) führen. Viele SAP-interne Nutzerbefragungen sowie Workshops haben gezeigt, dass die Usability des Tools durch Verfolgung neuer InteraktionsParadigmen nachhaltig verbessert werden kann. Der zunächst gewählte Assistenten-Ansatz (Wizard) wird zugunsten einer WYSIWYG-Oberfläche und umfassender Nutzung von Drag&Drop sowie Direkt-EditierMöglichkeiten aufgegeben. Um dies zu erreichen, muss in den frühen UI Design Phasen eine aktive Entscheidung herbeigeführt werden. Es wird entschieden, ob die gewünschten Funktionalitäten nach momentaner Sachlage problemlos mit den vorhandenen Floorplans und Pattern umgesetzt werden können (Pattern-Check), oder ob bereits von Beginn an Alternativen zur strikten Pattern-Nutzung gesucht und verfolgt werden müssen, um Benutzeranforderungen vernünftig befriedigen zu können. In diesem Falle kann gerade das bewusste Verlassen der MainstreamProzesse und eine bezüglich des personellen Setups und der zu erwartenden Mehraufwände angepasste Prozessvariante zu einer qualitativ hochwertigen und zu einer äußerst innovationsfördernden Umgebung führen. 4.0 Weiterentwicklung des „UI Wizard“ Die im Zuge der SAP Business ByDesign Entwicklung bisher gesammelten Erfahrungen zeigen bereits deutlich die Vorteile der konsequenten, überlegten Nutzung eines Pattern-basierten UI Mockup Tools. 126 4.1 4.2 Usability-Verbesserungen für die Tool-Nutzung Bessere Unterstützung früher UCD Phasen Es ist eine klare Zielsetzung, durch die Ausweitung des Tools die frühen UCD Phasen besser zu unterstützen. Es soll erreicht werden, möglichst früh Tool-unterstütze Prozesse zu nutzen, ohne die notwendigen Freiheitsgrade der frühen Phasen zu eliminieren (s.o.). U.a. sind folgende Maßnahmen geplant bzw. bereits in Entwicklung: Es soll die Möglichkeit bestehen, Screen-Konfigurationen auch ohne vorherige Erstellung von Screen Objekten (Feldlisten) zu erstellen. Später im Prozess kann dann selbstverständlich eine Verknüpfung der erstellten UI Felder zu vorhandenen Feldlisten hergestellt werden, um die für die Übergabe an die Entwicklung wichtigen Informationen weiterhin generieren zu können. Use Cases, Use Case Portfolios sowie Interaktions-Diagramme sollen Toolgestützt erfasst werden können. Ziel ist hierbei die konsequente Durchgängigkeit all dieser Informationen durch den kompletten UI Design Prozess. Von einem fertigen Screen aus sollen beispielsweise immer im direkten Zugriff Informationen zu den mit diesem Screen unterstützten Use Cases sowie deren spezifische Priorität erkennbar sein. Auch die Erfassung und das zur Verfügung stellen von Validierungsergebnissen ist hierbei eine wichtige Komponente. Eine erweiterte CollaborationsUnterstützung soll helfen, die im interdisziplinären Team entstehenden UI Mockups einer ständigen Diskussion zu unterwerfen und diese Diskussion über das zentrale Tool allen Beteiligten zur Verfügung zu stellen. Insbesondere aufgrund der globalen Aufstellung bei SAP wird diesem Punkt hohe Bedeutung beigefügt. Die Unterstützung von „low-fidelity“ Prototypes soll dazu beitragen, dass auch die früh im Prozess angesiedelten Konzeptvalidierungen oder Focus-Groups erste im Tool erstellte Mockups, Skizzen oder Interaktionsdiagramme nutzen können. 4.3 Prozess-Unterstützung Die konsequente Anlehnung an definierte Produkt-Definitionsprozesse soll die tägliche, selbstverständliche Nutzung des Tool durch die unterschiedlichen involvierten Rollen unterstützen. Hierzu gehören u.a. Versionierungsanforderungen sowie die Reflektion des „One-Team“-Ansatzes. 5.0 Ausblick Die Weiterentwicklung des Tools sowie die zu erwartenden vielfältigen neuen Erfahrungen stellen eine sehr interessante Herausforderung für die Umsetzung von Usability-Methoden in großen Organisationen dar und können sicherlich eine organisationsweite Verbreitung von Usability-Methoden und deren konsequente Nutzung positiv beeinflussen. Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Schon deshalb werden wir diese begonnene Entwicklung auch für die Zukunft mit großem Interesse weiterverfolgen und aktiv unterstützen. 6.0 Literatur Arend, U. (2004): Effiziente Konstruktion von Benutzungsoberflächen aus konfigurierbaren Bausteinen. In Hassenzahl, M.,Peissner, M. Eds, Usability Professionals 2004. Buxton, B. (2008): Sketching User Experiences – Getting the Design Right and the Right Design. Morgan Kaufmann. Beyer, H.; Holtzblatt, K. (1997): Contextual Design: A Customer-Centered Approach to Systems Designs. Academic Press. Preece, J.; Sharp, H.; Rogers, Y. (2002): Interaction Design: Beyond Human-Computer Interaction. John Wiley & Sons Arnowitz,J.; Arent,M.; Berger,N. (2007): Effective Prototyping for Software Makers. Morgan Kaufmann. User Centered Design Process at SAP: http://www. sapdesignguild.org. 127 128 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 B erufsbild U sability Pro f e s s i o n a l 129 130 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Arbeitskreis: Berufsbild und Broschüre Ein Statusbericht Christian Bogner TU Kaiserslautern FB Sozialwissenschaften Gottlieb-Daimler-Straße 67663 Kaiserslautern [email protected] www.sowi.uni-kl.de/wcms Thomas Geis ProContext GmbH Deutzer Freiheit 77-79 50679 Köln [email protected] www.procontext.com Patrick Huber Premiere GmbH & Co. KG Platform Strategy & Innovations Betastr. 5 85774 Unterföhring [email protected] www.premiere.de Kostanija Petrovic User Experience SAP AG Dietmar-Hopp-Alee 16 69190 Walldorf [email protected] www.sap.com Henning Brau Daimler Chrysler AG GR/EPD, PsyE Postfach 2360 89013 Ulm [email protected] www.daimler.com Matthias Harbusch SAP AG SAP User Experience – Applications Dietmar-Hopp-Allee 16 69190 Walldorf Germany [email protected] www.sap.com Clemens Lutsch Microsoft Deutschland GmbH DPE Konrad-Zuse Str. 1 85716 Unterschleißheim [email protected] www.microsoft.com Knut Polkehn Humbold Universität zu Berlin Institut für Psychologie Rudower Chaussee 18 12489 Berlin [email protected] www.psychologie.huberlin.de/prof/ingpsy Abstract Der AK Berufsbild & Broschüre orientiert sich bei der Beschreibung der Tätigkeiten eines Usability Professionals an der ISO 13407 und erarbeitet anhand von Prozessrollen, Aktivitäten und Artefakten eine Veröffentlichung. Zur Zeit ausgeklammert hat der Arbeitskreis die Implikationen auf Aus- und Fortbildung. 1.0 Einleitung Ausgehend von dem Bedarf, eine neue und überarbeitete Broschüre zum Berufsbild „Usability Professional“ zu erstellen, hat sich der Arbeitskreis darauf konzentriert ein kohärentes Bild der Tätigkeiten und Prozesse in diesem Berufsfeld zu beschreiben. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, wurde zunächst entschieden, die Implikationen auf Aus- und Weiterbildung nicht explizit zu beleuchten. Um der Diskussion zu den Tätigkeiten und Ergebnissen eine Basis zu geben, orientiert sich der Arbeitskreis an der ISO 13407: Human-centred design processes for interactive systems (nach erfolgter Überarbeitung soll diese Norm die Nummer 9241-210 erhalten). Ausgehend von dieser Grundlage soll am Ende der Arbeit des Gremiums eine Veröffentlichung stehen, die die folgenden Themen adressiert. Keywords HCD, ISO 13407, Berufsbild, Prozessrollen 2.0 Definition „Usability Professional“ Was macht den Usability Professional aus, welche Ziele verfolgt dieser Berufsstand? Hier wird eine griffige und belastbare Definition erarbeitet, die wiederum in das Selbstbild des German Chapters der UPA ausstrahlen soll. 3.0 Kompetenzen Neben den fachlichen Kompetenzen eines Usability Professionals werden hier auch die erforderlichen sozialen Kompetenzen („soft skills“) erläutert. 4.0 ISO 13407 niedergelegt ist. Anhand der Prozessschritte werden die einzelnen Prozessrollen beschrieben, die der Usability Professional entsprechend seinen Tätigkeitsschwerpunkten einnehmen kann. Auch die Arbeitsergebnisse (Artefakte) und deren Einbindung in die Entwicklungsprozesse werden thematisiert. 5.0 Usability Professionals in der Praxis Anhand von Referenzberichten aus der Wirtschaft soll die Arbeitswelt der Usability Professionals beschrieben werden. Neben der Zusammenarbeit im Entwicklungsprozess werden auch die Herausforderungen der Usability-Praxis thematisiert. Erforderlicher Prozess Grundlage der professionellen Arbeit im Bereich Human centred design ist der gleichnamige Prozess der in der 6.0 Glossar Um das umfangreichen Vokabular des Berufsbildes „Usability Professional“ zu 131 erfassen und im Zuge einer Professionalisierung der Tätigkeit, wird ein umfassendes Glossar erarbeitet. Hierbei wird, so weit wie möglich, auf Definitionen aus den relevanten Normenreihen Bezug genommen, die den aktuellen internationalen Konsens der Begriffsdefinition dokumentieren. 132 7.0 Quellen erläutert und mit Teilnehmern diskutiert. Die Veröffentlichung wird abgerundet durch die Nennung aller relevanter Quellen und Referenzen. 8.0 Diskussion Während des Workshops zum Thema „Berufsbild & Broschüre“ im Rahmen der UP2008 wird der Stand der Arbeit 9.0 Referenzen German Chapter der Usability Professionals Association e.V. (o.J.): Was Sie schon immer über Usability erfahren wollten. Stuttgart: Eigenverlag DIN EN ISO 13407: Benutzerorientierte Gestaltung interaktiver Systeme, Berlin: Beuth Verlag, 1999. Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Arbeitskreis: Ausbildung und Curriculum - Statusbericht Kerstin Röse AG use TU Kaiserslautern FB Maschinenbau und Verfahrenstechnik Gottlieb-Daimler-Str. 42 67663 Kaiserslautern [email protected] www.uni-kl.de/use Jana Löffler artop - Institut an der Humboldt Universität zu Berlin Christburger Str. 4 10405 Berlin [email protected] www.artop.de Abstract Der AK Ausbildung und Curriculum hat die Aufgaben, Qualitätsrichtlinien für die Usability-Ausbildung zu erstellen sowie ein Usability-Curriculum zu erarbeiten, welches den breiten Anwendungskontext von Usability berücksichtigt. 1.0 Einleitung Der AK Ausbildung und Curriculum hat die Aufgaben, Qualitätsrichtlinien für die Usability-Ausbildung zu erstellen sowie ein Usability-Curriculum zu erarbeiten, welches den breiten Anwendungskontext von Usability berücksichtigt. Um systematisch an die Aufgaben zu gehen, wurde entschieden, sich zuerst vorrangig dem Curriculum zu widmen. D.h. in einem ersten Schritt sollen die inhaltlichen Aspekte einer UsabilityAusbildung geklärt werden. 2.0 Vorgehensweise 2.1 Ausbildungsaspekte sammeln Grundsätzlich gibt es die Diskussion, warum ein Curriculum für Usability, wenn es eine Curriculum für HCI von der Gesellschaft für Informatik e.V. (GI)gibt. Um das vorhandene Curriculum der GI zu berücksichtigen, aber gleichzeitig die Breite der Usability-Ausbildung aufzuzeigen, wurde folgende Vorgehensweise gewählt. Es wurde das Curriculum der GI genutzt, um darauf aufbauend folgende Ergänzungen vornehmen zu können. Aktuell arbeitet der Arbeitskreis am Curriculum der Usability-Ausbildung. Keywords Die Ergänzungen beziehen sich dabei auf folgende Schwerpunkte: Aufgaben der Experten bzw. Usability-Professionals ist die Ergänzung und Bewertung (Ranking) der Ausbildungsinhalte und –schwerpunkte. x x x x x Einbindung verschiedener Anwendungsbereiche Ergänzung um Softskills Ergänzung von Methoden Ergänzung von Ausbildungsschwerpunkten Ergänzung von Ausbildungsrichtungen/-berufen Die Inhalte wurden in Form eines Fragebogens zusammen gestellt und als digitale Version und als Papierversion zur Verfügung gestellt. 2.2 Expertenbefragung Die Verteilung der Fragebögen und somit die Befragung per se, erfolgt in zwei Stufen. In einer ersten Phase werden Ausbilder an deutschen Hochschulen (Universitäten, Fachhochschulen, private Hochschulen) befragt. Somit soll die Sicht der Ausbilder erfasst werden, welche eher eine konzeptionell-inhaltliche Sichtweise vertreten. In einem zweiten Schritt werden Usability Professionals befragt, d.h. ehemalige Auszubildende. Von Ihnen wird eine praxisorientierte Sichtweise auf die Ausbildungsinhalte erwartet Usability, Ausbildung, Arbeitskreis, Usability-Engineering, UsabilityMethoden Die Umfrage wird außerdem genutzt, um erste Hinweise auf qualitative Aspekte der Usability-Ausbildung zu sammeln. Der Aufruf zum Ausfüllen des Fragebogens an die Ausbilder wurde über direktes Email-Anschreiben versand. Eine erste Auswertung der Ergebnisse soll zur Usability Professionals vorgestellt werden und zur Diskussion gestellt werden. Außerdem wird die UP 2008 genutzt, um weitere Fragebögen in Papierform an die Usability Professionals zu verteilen. D.h. die zweite Phase der Befragung findet zur UP 2008 in Lübeck statt. 3.0 Weitere Planungen Die gesammelten Ergebnisse aus den beiden Befragungsphasen werden dann zusammen getragen und in einer ersten Version, einer Alpha-Version eines Usability-Curriculums zusammen gestellt. Die partizipatorisch gewonnene erste Version des Curriculum wird dann 133 einem erweiterten Kreis aus UsabilityAusbildern und Usability-Praktikern zur Bewertung vorgesellt. Die dabei gesammelten Kommentare und Ergänzungen werden in eine weitere Version eingearbeitet. 134 Dann wird es eine Beta-Version geben, die 2009 auf dem GC-upaServer online gestellt wird, damit jedes Mitglied seine Kommentare und Ergänzungen einbringen kann. Zur UP 2009 wird es dann ein UsabilityCurriculum geben. Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Usability Professionals – ein Rollenspiel Michael Hatscher Google Switzerland GmbH Brandschenkestr. 110 8032 Zürich Schweiz [email protected] Iris Niedermann soultank AG Alpenstrasse 11 6304 Zug Schweiz [email protected] Abstract Bei der beruflichen Um- oder Erstorientierung wird häufig lediglich auf die Unternehmensgröße als Entscheidungskriterium fokussiert. Andere Kriterien spielen jedoch eine ebenso große Rolle, wenn es um langfristige Zufriedenheit in der neuen Position geht, beispielsweise Interaction Design vs. Usability Engineering oder Beratung vs. In-HouseUsability. 1.0 Einleitung Wenn eine berufliche (Um-) Orientierung ansteht, stellt man sich oft zunächst die Frage: Will ich in einem großen oder eher in einem kleinen Unternehmen arbeiten? Große Unternehmen locken mit Stabilität und (relativer) Arbeitsplatzsicherheit, internen Fortbildungsangeboten und der Möglichkeit, sich ins Ausland versetzen lassen zu können; gleichzeitig klingen aber auch Bürokratie, langsame Prozesse, lange Release-Zyklen und Eintönigkeit an. Kleinere Unternehmen verheißen mehr Verantwortung in kürzerer Zeit, mehr Abwechslung und Selbstverwirklichung, scheinen aber oft weniger Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten und verfügen häufig nicht über eine interne professionelle Community, in der fachlicher Austausch gewährleistet ist. Vergleicht man jedoch die Tätigkeitscharakteristika und die Anforderungsprofile der verschiedenen Rollen miteinander, so stellt man fest, dass die Frage „großes vs. kleines Unternehmen“ in den Hintergrund tritt zugunsten anderer Fragen: Dieses Papier stellt die Rollen und Charakteristika der möglichen Positionen einander gegenüber und gibt Hinweise darauf, wie man bereits im Bewerbungsgespräch wichtige Informationen einholt. Keywords x nen durchschnittlich €57.298, Frauen €42.528; parallelisiert über Berufsjahre Männer €70.439, Frauen €51.000). x x Usability Engineering vs. Interaction Design Usability in der Beratung vs. InHouse-Usability Wie ist die Position von Usability im Unternehmen? Wie wir dem Branchenreport Usability 2007 entnehmen können (Diefenbach & Hassenzahl 2007), haben 84% der Usability Professionals in Deutschland einen akademischen Abschluss (24% Psychologen, 14% Informatiker). Psychologinnen und Psychologen empfinden ihre Ausbildung als gute Vorbereitung für die Arbeit im Usability-Umfeld; viele andere Berufsgruppen kommen eher als Quereinsteiger zur Usability. Der weitaus größte Teil der Teilnehmer an der Befragung arbeitet in einem Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten (56%), während nur 9% in einem Unternehmen mit weniger als 10 Mitarbeitern arbeiten. Für die Mehrheit der Befragten nehmen Diefenbach und Hassenzahl an, dass es sich bei der aktuell ausgeübten Tätigkeit „um den ersten Arbeitgeber im Bereich Usabilty“ handle. Große geschlechtsspezifische Unterschiede gibt es bei den Gehältern (Männer verdie- Rollen, Usability, Berufswahl Die Erfahrung zeigt, dass sich deutliche Gehaltssprünge am ehesten über einen Wechsel des Arbeitgebers erzielen lassen. Die Zeichen dafür stehen denkbar gut: Anekdotische Evidenz lässt darauf schließen, dass der Arbeitsmarkt für Usability Professionals momentan so gut aussieht wie seit Jahren nicht mehr. Doch das Feld lässt sich schwer übersehen, was nicht nur an einer Vielzahl von Berufsbezeichnungen liegt. Diefenbach und Hassenzahl zählen auf: „Usability Consultant“, „User Interface Designer“, „User Interface Design Spezialist“, „User Experience Consultant“, „Usability Engineer“, „User Experience Architect“; „Human Factors Spezialist“, „Web Engineer“. Darüber hinaus gibt es weitere übliche Berufsbezeichnungen, wie „User Experience Designer“, „Interaction Designer“, „User Researcher“: x Sehr verschiedene Tätigkeitsfelder verbergen sich hinter gleich oder ähnlich klingenden Bezeichnungen: Usability-Evaluation (formativ und summativ), Interaction Design, Requirements Engineering, Usability Engineering. 135 x x Man kann eine der Rollen in unterschiedlichen Kontexten ausüben: Beispielsweise ist man als interner Usability Engineer eingebunden in die (Software-)Entwicklung, oder man ist als externer Berater mit der Sicherung des Aspekts „Usability“ der Produktqualität betraut. Charakteristika des Unternehmens bzw. der Geschäftsform unterscheiden sich stark: Als Freiberufler oder Selbstständiger hat man ein anderes Arbeitsumfeld als als Angestellter in einem kleinen Beratungshaus oder als Mitarbeiter in einem großen Unternehmen. Das vorliegende Papier zielt darauf ab, Neueinsteigern und Kollegen in der Umorientierung eine Entscheidungshilfe an die Hand zu geben, um eine informierte Entscheidung bei der Wahl des ersten oder des nächsten Arbeitgebers treffen zu können. Es werden die eingangs genannten Fragestellungen diskutiert und Charakteristika und Profile dargestellt sowie mögliche Fragen für Bewerbungsgespräche formuliert, um weitergehende Informationen zu gewinnen. 2.0 Job-Anforderungen und JobCharakteristika Für die oben genannten Fragestellungen werden verschiedene Optionen diskutiert mit dem Ziel, mehr Klarheit für eine berufliche Entscheidung zu schaffen. 2.1 Usability Engineering vs. Interaction Design Grob lassen sich zwei Rollen im UXUmfeld unterscheiden, die unter unterschiedlichen Titeln ausgeführt werden: x 136 „Interaction Designer“ (Synonyme: „User Experience Designer“, „User Interface Designer“): Interaction Design ist „the discipline of defining the behavior of products and systems that a user can interact with. The practice typically centers around complex technology systems such x as software, mobile devices, and other electronic devices. However, it can also apply to other types of products and services, and even organizations themselves. Interaction design defines the behavior (the „interaction“) of an artifact or system in response to its users.“ (Wikipedia 2008a). Interaction Designer kommen häufig aus dem Design, der Informatik, den Kognitionswissenschaften oder (in den USA) speziellen HCIProgrammen, wie dem Programm von Carnegie Mellon (http://www.hcii.cmu.edu) oder Stanford (http://hci.stanford.edu). Interaction Designer arbeiten i.d.R. als Teil eines Entwicklungsteams in der Produktentwicklung und vermitteln zwischen Produkmanagement und Engineering. In der Produktkonzeption bekommen sie viel Input von Usability Engineers oder User Researchers, die auch für die Evaluation der erstellten Designs zuständig sind. „Usability Engineering“ entspricht mehr dem, was im deutschsprachigen Raum als „SoftwareErgonomie“ bekannt ist und gelehrt wird: „The term usability engineering (in contrast to interaction design and user experience design) implies more of a focus on usability than it does on design, though Usability Engineers may still engage in design to some extent, particularly design of wireframes or other prototypes. Usability Engineers conduct usability evaluations of existing or proposed interfaces and their findings are fed back to the Designer for use in design or redesign. Common usability evaluation methods include interviews, focus groups, questionnaires, usability testing, cognitive walkthroughs, heuristic evaluations, cognitive task analysis and contextual inquiry“ (Wikipedia 2008b). Usability Engineers haben häufig einen Hintergrund in der Psychologie, aber auch in der Informatik oder den Informationswissenschaften (auch hier spielen wieder die HCI-Programme von Carnegie Mellon oder Stanford eine Rolle). Mit einem stärker sozialwissenschaftlichen Hintergrund (Ethnografie oder Anthropologie) werden sie auch oft als User Researcher bezeichnet. Usability Engineers arbeiten in der Anforderungsanalyse, der Produktdefinition und im Usability Testing. Sie arbeiten mit Interaction Designern zusammen, wenn Produktkonzepte erstellt und Verbesserungen für konkrete Designs erarbeitet werden sollen. und evaluieren Designs. Im Folgenden wird in einem semantischen Differenzial grob dargestellt, welche Anforderungsprofile die Rollen Interaction Designer (I) und Usability Engineer (E) aufweisen. eher kreativ I E eher analytisch geschickt im Aushandeln von Ergebnissen I E geschickt im Auf-denPunktBringen sicher in Methoden / Statistik E I sicher in Designtechniken visuelles Denken I E Denken in Zusammenhängen Umgang mit Kunden E I Umgang mit Entwicklern Anforderungsprofil Interaction Designer (I) / Usability Engineer (E) 2.2 Usability in der Beratung vs. InHouse Usability Engineers und Interaction Designer arbeiten sowohl in Beratungshäusern (bzw. als Freiberufler) als auch eingebettet in interne Entwicklungsteams. Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 x Wie wird Usability bzw. der Erfolg von Usability-Maßnahmen gemessen? Jobcharakteristika für die Beratung (B) vs. In-House (I) 2.4 Marketing- vs. Engineeringgetrieben? Weitere Überlegungen beschäftigen sich mit dem Usability-Reifegrad des Unternehmens, der Frage, welche Disziplin das Unternehmen treibt, und Gedanken zur Arbeitsteiligkeit der Tätigkeit. Ob ein Unternehmen eher Marketingoder eher Engineering-getrieben ist, stellt einen weiteren Faktor dar. Je nachdem, ob man als Usability Professional eher im Marketing oder im Engineering angesiedelt ist, hat man größere oder eingeschränktere Einflussmöglichkeiten auf die Gestaltung der Produkte. x In der Beratung unterstützt man als Usability Professional Kundenunternehmen dabei, gebrauchstaugliche Systeme zu konzipieren bzw. deren Qualität zu evaluieren und sicherzustellen. Dies findet in der Regel zumindest teilweise beim Kunden vor Ort statt (in Workshops mit Kunden oder eingebettet in Teams beim Kunden). Oft übernimmt man neben den rein fachlichen Tätigkeiten auch Budget- und / oder Projektverantwortung. x Als In-House Usability Professional bietet man den Kollegen im eigenen Unternehmen Dienstleistungen aus dem Usability-Umfeld an oder ist integraler Bestandteil eines Produktentwicklungsteams. Der Fokus liegt hier eher auf der fachlichen Verantwortung, da Projektführungsaufgaben meist über die Organisationsstruktur (Matrix oder Linie) des eigenen Unternehmens zugewiesen werden. Die folgende Grafik zeigt ein grobes semantisches Differenzial der Jobcharakteristika für die Tätigkeit als UsabilityProfessional in der Beratung (B) und in der In-House-Rolle (I). Kundenkontakt B I stilles Kämmerlein viel Reisen B I im eigenen Büro Nähe zum Produkt I B nur mittelbar am Produkt viele verschiedene Tätigkeiten B I konzentriert auf eine Tätigkeit auch Projekt-, Budgetverantwortung B I eher nur fachliche Verantwortung etablierte Prozese interne Community 2.3 B ad-hocProzesse, je nach Projekt B externe Community Usability-Reifegrad Inzwischen haben viele Unternehmen die Bedeutung der Gebrauchstauglichkeit für den Erfolg ihrer Produkte verstanden und nutzen „Ease of use“ oder „easy to use“ auch als Marketingbotschaft. Nicht immer stehen dieser nach außen gerichteten Botschaft auch entsprechende Prozesse und Denkweisen im Innern gegenüber. In der Literatur unterscheidet man verschiedene Reifegrade eines Unternehmens in Bezug auf den Umgang mit Usability. Nielsen (2006a, b) verweist auf ein achtstufiges Modell, wobei Unternehmen 20 Jahre und länger benötigen, um von Stufe 1 („Hostility Toward Usability“) zu Stufe 7 („Integrated User-Centered Design“) zu kommen und wahrscheinlich weitere 20, um den letzten Schritt von Stufe 7 zu Stufe 8 („User-Driven Corporation“) zu schaffen. Der UsabilityReifegrad des Unternehmens, der für Usability Professionals in der Beratung für das Kundenunternehmen gilt, wirkt sich stark auf die Inhalte und die Möglichkeiten der Tätigkeit aus. Fragen, die man im Bewerbungsgespräch stellen könnte: x I I x Gibt es ein dediziertes Budget für Usabilty? Wem „gehört“ der Bereich Usability? x x In Marketing-getriebenen Unternehmen liegen häufig eher topdown-Prozesse vor; das Marketing definiert Ziele, die mit den Mitteln des Engineerings zu erreichen sind. Ist man als Usability Professional im Marketing (oder Produktmanagement) angesiedelt, kann man hier teilweise sehr strategisch arbeiten, ist aber häufig weit von der Technologie und der Entwicklung entfernt. Ist man im Engineering angesiedelt, beschränkt sich die Tätigkeit oft auf die reine Umsetzung. Engineering-getriebene Unternehmen gehen meist eher bottom-up vor. Produkte werden von Ingenieuren konzipiert, und das Marketing kümmert sich anschließend um die Vermarktung. Hat man hier eine Tätigkeit im Engineering inne, kann man weit reichende Produktentscheidungen mitgestalten; ist man in einem Engineering-getriebenen Unternehmen im Marketing, besteht die Gefahr, dass man lediglich fertige Produkte mit einem hübschen Interface versieht, ohne wirklich tiefgreifende Veränderungen vornehmen zu können. Fragen, die man im Bewerbungsgespräch stellen könnte: x x Wem gehört das Produkt im Unternehmen? Mit wem arbeitet man als Usability Professional zusammen? 137 x Welche Rolle hat das Marketing? 2.5 Wie arbeitsteilig wird gearbeitet? Unternehmen unterscheiden sich ebenfalls im Ausmaß der Arbeitsteiligkeit der Tätigkeit: x x In manchen großen Unternehmen mit Usability-Teams von 120 Leuten arbeiten dennoch fast alle als Generalisten, d.h. sie üben sowohl User Research als auch Usability Engineering und Interaction Design aus. Andere Unternehmen mit ähnlich großen Teams haben dedizierte User Research- und Interaction Design-Teams mit klar definierten Rollen und Schnittstellen. Je nach eigener Vorliebe und angestrebtem Karrierepfad kann es vorteilhaft sein, eine eher generalistische Position anzustreben, um Wissen in allen Bereichen aufzubauen, oder sich eher auf einer spezialisierten Rolle zu versuchen, um bestehendes Wissen möglichst gewinnbringend anzubringen. eher kreativ geschickt im Aushandeln von Ergebnissen sicher in Methoden / Statistik visuelles Denken Umgang mit Kunden Kundenkontakt viel Reisen Nähe zum Produkt verschiedene Tätigkeiten auch Projekt-, Budgetverantwortung etablierte Prozesse interne Community 138 B B I B B I I Fragen, die man im Bewerbungsgespräch stellen könnte: x x 3.0 Mit welchem Tätigkeitenbündel beschäftigen sich die Usability Professionals im Unternehmen? Welche Rollen gibt es im UsabilityUmfeld im Unternehmen für Usabilty Professionals? 4.0 Literaturverzeichnis Diefenbach, S.; Hassenzahl, M. (2007): Usability als Beruf – Ergebnisse einer Umfrage unter Usability Professionals. In: Röse, K., Brau, H. (Hrsg.): Usability Professionals 2007. Nielsen, J. (2006a): Corporate Usabilty Matury: Stage 1–4. http://www.useit.com/alertbox/maturity.html. Letzter Zugriff: 2.6.2008. Fazit Sich nur auf die Unternehmensgröße als Entscheidungskriterium für die Wahl der nächsten Tätigkeit zu konzentrieren, greift zu kurz. Andere Aspekte müssen ebenfalls berücksichtigt werden: die Charakteristika der potenziellen Stelle, eigene Fertigkeiten im Verhältnis zum Anforderungsprofil und der Usability-Reifegrad des Unternehmens. Eine Wahl kann sich nur dann mittel- und langfristig als zufriedenstellend erweisen, wenn diese Umstände ebenfalls bei der Entscheidung berücksichtigt werden. Nielsen, J. (2006b): Corporate Usabilty Matury: Stage 5–8. http://www.useit.com/alertbox/process_maturi ty.html. Letzter Zugriff: 2.6.2008. Wikipedia (2008a): Interaction Designer. http://en.wikipedia.org/wiki/Interaction_Design er. Letzter Zugriff: 2.6.2008. Wikipedia (2008b): Usability Engineering. http://en.wikipedia.org/wiki/Usability_engineer ing. Letzter Zugriff: 2.6.2008. E eher analytisch E geschickt im Auf-den-PunktBringen I sicher in Designtechniken E Denken in Zusammenhängen I Umgang mit Entwicklern I I E I E I I B I I stilles Kämmerlein im eigenen Büro nur mittelbar am Produkt konzentriert auf eine Tätigkeit eher nur fachliche Verantwortung B ad-hoc-Prozesse, je nach Projekt B externe Community Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 S tandards im U sability En g i ne e ri ng 139 140 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Standards im Usability Engineering umsetzen – was funktioniert, was nicht? Bernard Rummel Martin Schrepp Theo Held SAP AG User Experience Application Design Dietmar-Hopp-Allee 16 69190 Walldorf [email protected] [email protected] [email protected] Thomas Geis ProContext GmbH Deutzer Freiheit 77-79 50679 Köln [email protected] Michael Offergeld Daimler AG Research & Development EE Process Deployment Wilhelm-Runge-Strasse 11 89081 Ulm [email protected] Heinz Martin Scheurer Siemens AG Corporate Technology User Interface Design CT IC 7 Otto-Hahn-Ring 6 81739 München [email protected] Dirk Willuhn, IBM Deutschland Research & Development GmbH User-Centered Design Schönaicher Str. 220 71032 Böblingen [email protected] Abstract Neben den bekannten ISO-Normen 9241 und 13407 gibt es in vielen Unternehmen weitere interne Richtlinien. Zur praktischen Erstellung und Umsetzung 1.0 Einführung Standards und Gestaltungsrichtlinien (Guidelines) sind scheinbar selbstverständliche Bestandteile von Usability Engineering (UE). Bei der Umsetzung sind jedoch in jeder Organisation Fragen zu beantworten, und zwar hinsichtlich ihres Geltungsbereichs, ihrer Zielsetzung, erforderlichen Prozessen der Konsens- und Kompromissfindung, Zielgruppen, Kommunikation, Verifikation, etc. Die Antworten können sich je nach Organisationskontext erheblich unterscheiden. Grundsätzlich können sich Standards auf Produkte, Prozesse oder auch Personen/Qualifikationen beziehen. So objektiv Standards und Guidelines sein wollen/sollen, so unübersehbar „menschelt“ es bei deren Anwendung: Interessenskonflikte, individuelle Vorlieben, Kosten- und Zeitdruck beeinflussen die erfolgreiche Umsetzung von Standards. Ziel des Workshops ist es, Erfahrungsberichte aus verschiedenen Organisationen zusammenzutragen, um Erfolgs- solcher Richtlinien wurden in einem Workshop Erfahrungsberichte aus verschiedenen Großorganisationen zusammengetragen. Keywords faktoren und Strategien im erfolgreichen Umgang mit Standards zu identifizieren. Die Beiträge der Referenten sind im Folgenden zusammengefasst. Produktbezogene ISO-Normen (z.B. die Reihe ISO 9241) legen keineswegs „genormte User Interfaces“ fest. Vielmehr geben sie Empfehlungen, die bei Analyse, Design und Prüfung interaktiver Systeme im jeweiligen Nutzungskontext in konkrete Nutzungsanforderungen übersetzt werden müssen. 2.0 Genormte Usability? ISO-Normen zur Usability (Geis) In Bezug auf Usability Engineering gibt es bereits sowohl produkt- als auch prozessbezogene ISO-Normen. Alle ISO-Normen zur Usability findet man unter www.iso.org > Products > ISO Standards > By TC > TC 159 Ergonomics > SC 4. ISO-Normen entstehen in formellen Verfahren. Sie helfen dem Usability Professional sowohl bei der Erarbeitung als auch bei der Durchsetzung unternehmensinterner Standards, da ihnen ein internationaler Konsens zugrunde liegt über das, was aus Nutzersicht bei der Produktgestaltung mindestens erreicht werden muss. Konsens im Unternehmen lässt sich so auf der Basis allgemein akzeptierter Empfehlungen finden. Standards, Styleguide, Usability Engineering etablieren Die aktuell publizierten Usability-Normen umfassen Empfehlungen zu Dialoggestaltung, Informationsdarstellung, Benutzerführung, Menügestaltung, Eingabeformulargestaltung, Kommandogestaltung, direkter Manipulation, Accessibility und browserbasierten Anwendungen. Produktstandards lassen sich nur praktisch umsetzen, wenn es einen Prozess gibt, der dies einfordert. Die Erreichung angemessener Nutzungsqualität ist in Entwicklungsprojekten nach wie vor ein Risikofaktor. Die Norm ISO 13407, die im nächsten Jahr überarbeitet als ISO 9241-210 neu erscheinen wird, gibt daher Empfehlungen für die elementaren Prozesse: x x Nutzungskontext analysieren Nutzungsanforderungen herleiten 141 x x Geeignete Lösungen finden Lösungen gegen Nutzungsanforderungen testen Die zurzeit entstehende Norm ISO/IEC 25060 „Common industry format for usability-related information“ wird Artefakte festlegen, welche in jeder Phase entstehen müssen, und welche Mindestinhalte diese enthalten müssen. Zur Qualifikation von Personen, die Aufgaben im Usability-Engineering-Prozess wahrnehmen, gibt es zurzeit keine ISONormen. Der „Leitfaden Usability“ der Deutschen Akkreditierungsstelle Technik (DATech) enthält jedoch ein Rollenmodell, das die Basis für einen pragmatischen Minimalkonsens liefern kann 3.0 Kommunikation entscheidet: SAP Business Suite (Rummel) Durch die rapide Entwicklung von Web-Technologien ist bei SAP inzwischen eine Vielzahl von UI-Paradigmen entstanden. Da zunächst die technische Innovation im Vordergrund stand, wurde wenig Aufwand zur unternehmensweiten Standardisierung getrieben. Da einzelne Benutzer mutmaßlich ohnehin nicht mit der gesamten Produktpalette arbeiteten, wurde mehr Wert auf lokale Gebrauchstauglichkeit gelegt. Um die resultierenden Inkonsistenzen wieder „einzufangen“, wurde 2005 in den USA ein UI Standards-Team gegründet, mit der Aufgabe, technologieunabhängig ein kohärentes Oberflächenkonzept zu entwickeln. Die Idee war, die verschiedenen UI-Paradigmen und –Technologien auf diesen „GoldStandard“ hin konvergieren zu lassen. Die unvermeidlichen technischen und konzeptionellen Kompromisse bei der Realisierung sollten in produkt- und technologiespezifischen Guidelines definiert werden, um insgesamt eine möglichst hohe Qualität und Konsistenz der verschiedenen Produkte zu erzielen, die 142 heute in der SAP Business Suite gebündelt vertrieben werden. Ein technologieunabhängiges UIDesignkonzept hat naturgemäß eine Glaubwürdigkeitslücke, die durch die Lokation diesseits/jenseits des Atlantiks noch verstärkt wurde. Die Legitimation des Konzepts sowie Teams wird permanent herausgefordert. Aufgrund dieser Erfahrung wurden die lokalen Guidelines-Teams wesentlich verstärkt, um mit hoher Verfügbarkeit technische und konzeptionelle Fragen schnell und kompetent beantworten zu können. Diese Teams agieren dabei nicht nur als Richtlinien-Editoren, sondern auch als Mittler zwischen Framework-Entwicklung und Anwendungsdesign. Die Guidelines werden zunehmend in Wikis veröffentlicht, mit Tagging und Suchunterstützung. Das Wiki ist i.d.R. nicht editierbar, aber jede Seite ist kommentierbar. Die Funktion wird nicht übermäßig genutzt; die Bereitschaft zur offenen Diskussion hat aber entscheidend zum Erfolg der Guidelines beigetragen. Schon die erste 1:1Übertragung der Guidelines ins Wiki wurde deutlich besser bewertet als die ursprüngliche Intranet-Publikation. Anfragen zu komplexeren Designfragen per Mail werden von den Guidelines-Teams typischerweise innerhalb eines halben Tages beantwortet. Durch diese extensive Kommunikation entsteht eine vitale DesignCommunity, die die Guideline-Qualität und -Weiterentwicklung vorantreibt. Das Angebot editierbarer WikiGuidelines wird kaum genutzt. Den Benutzern reicht offenbar die Kommentierbarkeit aus. Auch in den Guidelines-Teams erregte die Idee benutzergenerierter, „öffentlich reifender“ Wiki-Guidelines wenig Begeisterung. 4.0 Systematische Entwicklung und Verifikation: SAP CRM (Schrepp, Held) Das SAP Customer Relationship Management (CRM) fördert kundenorientierte Geschäftsprozesse in Verkauf, Service und Marketing. Die Lösung unterstützt dabei alle Kontaktkanäle zum Kunden über Außendienst, Internet, Call Center und Vertriebspartner. Das SAP CRM ist ein Standardpaket, das Kunden noch auf ihre Bedürfnisse einstellen können. Aufgrund des großen Funktionsumfangs enthält dieses Paket hunderte unterschiedlicher Screens, von denen in einer Kundeninstallation allerdings nur die für die jeweiligen Geschäftsprozesse relevanten sichtbar sind. Die hohe Konfigurierbarkeit erfordert eine Konsistenz von Bildschirmaufbau und Interaktion aller Screens. Im ersten Schritt wurde anhand einer Vielzahl unterschiedlicher dokumentierter Nutzungsabläufe – z.B. Erfassen neuer Kundendaten, Anlegen eines Verkaufsauftrags, Erfassen und Abwickeln von Serviceanfragen etc. - ein einheitliches UI Konzept erarbeitet. Das Konzept definiert eine kleine Zahl von Screen-Typen (z.B. Einstiegsseite, Suche, etc.). Für jeden Screen-Typ sind dabei Layout und grundlegende Interaktionen über Regeln festgelegt. Im zweiten Schritt wurde das Konzept in einer UI Guideline festgehalten. Dabei wurde darauf geachtet, die folgenden Zielgruppen zu adressieren: x x x x User Interface Designer und Produkt Manager (erstellen das Design) Software-Entwickler (setzen das Design um) Tester (prüfen Funktionalität und Einhalten der UI Guideline) Kunden und Berater (nehmen Änderungen und Erweiterungen vor) Die UI Guideline ist im SAP Portal als PDF für alle Mitarbeiter verfügbar. Kun- Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 den und Beratern kann die Guideline zur Verfügung gestellt werden. Für einige Elemente des UI Konzepts stehen auch Tutorien zur Verfügung. Im dritten Schritt wurden aus der UI Guideline alle testbaren Regeln extrahiert. Diese wurden in Checklisten überführt. Diese werden für jeden Screen im System als Teil des Standardtests abgearbeitet. Dadurch werden Abweichungen von der Guideline vor der Auslieferung erkannt und behoben. Das Einhalten der UI Guideline ist für alle Screens im System verbindlich. Für Sonderfälle, deren spezifische Anforderungen sich nicht innerhalb der UI Guideline abbilden lassen, muss eine Ausnahmegenehmigung beantragt werden. Da die Guideline verbindlich ist, sind Änderungen an bestehenden Regeln aufwändig. Deshalb wurde ein Change Management Prozess etabliert. Konzept-Erweiterungen, die keine Änderung bestehender Screens erfordern, können direkt vom Usability Team beschlossen und in die Guideline aufgenommen werden. Alle anderen Änderungen erfordern die Zustimmung von Solution Management und Entwicklung. Solche Änderungen können erst Teil der Guideline werden, wenn der entsprechende Aufwand im Entwicklungsprozess eingeplant wurde. Durch den oben beschriebenen Prozess konnte eine hohe Konsistenz über alle Screens des SAP CRM Systems hinweg sichergestellt werden. Erfolgsfaktoren waren dabei: x x x ein einheitliches UI Konzept, das Screens und Interaktionen festlegt Adressieren der Anforderungen aller Zielgruppen in der UI Guideline Verankern der UI Guideline im Entwicklungsprozess über Test und Change Management Prozess 5.0 Standardisierung der User Interface Entwicklung: Daimler AG (Offergeld) Die Daimler AG hat zur Unterstützung zentraler Geschäfts- und Entwicklungsprozesse (z.B. Controlling, Marketing, Vertrieb, Entwicklung) eine Vielzahl von IT Systemen im Einsatz. Die Nutzer sind zumeist interne Mitarbeiter. Daimler tritt bei der Entwicklung der IT Systeme in der Rolle eines Auftraggebers auf: die Funktionalität der Systeme wird intern spezifiziert und als Lastenheft an externe Dienstleister weitergegeben. Diese implementieren die Systeme für einen Fachbereich, der es nach Fertigstellung in den operativen Betrieb überführt. Die Systeme werden in der Regel in verschiedenen Versionen weiterentwickelt und an neue Anforderungen angepasst. Ein Schwerpunkt bei Entwicklung, Einführung und Betrieb zentraler IT Systeme liegt in der Definition und Etablierung von Prozessstandards für durchgängige Usability Engineering Aktivitäten unter Einbindung der Forschung und Vorentwicklung. Damit soll sichergestellt werden, dass x x x x Entwicklungsprojekte effizient ablaufen (Optimierung Entwicklungskosten), Systeme die Kerngeschäftsprozesse effektiv und effizient unterstützen (Optimierung der Prozessqualität), Nutzer bei der Bewältigung ihrer Aufgaben möglichst gut unterstützt werden (Optimierung der Nutzerund Nutzungsakzeptanz) sowie die Kernkompetenz des Usability Engineering in die Kernprozesse der Fachbereiche eingebracht wird (systematische Verbesserung der IT Entwicklungs- und Vergabeprozesse). Bei der Umsetzung wird zwischen bereits laufenden Entwicklungsprojekten und neu anlaufenden Projekten unterschieden. Verankerung von Usability Engineering als Kernkompetenz der unternehmensinternen IT Entwicklungsprozesse ist ein weiterer Schwerpunkt. Der Einstieg bei bereits laufenden ITEntwicklungsprojekten ist eine heuristische Expertenevaluation auf der Basis von ISO 9241-10 (110) auf Oberflächen(teile) mit bereits absehbaren Usability-Problemen. Die Evaluationsergebnisse und Maßnahmen („Oberflächenkosmetik“) werden verwendet, um Projektmanagement und Fachbereich für Usability zu sensibilisieren. Für die Zeit nach Einführung des Systems sowie den nächsten Systementwicklungszyklus wird UE-Unterstützung angeboten. Bei neu anlaufenden Projekten muss UE bereits in der Definitionsphase als Teilprozess eingeplant werden, beginnend mit der Ausschreibung der Systementwicklung. Nutzerrepräsentanten werden während der Projektlaufzeit eingebunden. Externe Dienstleister werden u.a. nach UE Know-How ausgewählt und über Usability-Ziele und die Beschreibung von umzusetzenden Aufgaben gesteuert. Die Ausarbeitung von Usability-Konzepten ist Teil des DaimlerLastenhefts. Nach Einführung des Systems werden Akzeptanzanalyseergebnisse im nächsten Zyklus genutzt. Zur Verankerung von UE als Kernkompetenz der unternehmensinternen IT Entwicklungsprozesse wird UE als Auftraggeberkompetenz in den Fachbereichen etabliert. Dazu gehört das Sicherstellen angemessener UE Aktivitäten über die gesamte Projektlaufzeit in jedem neu anlaufenden IT Entwicklungsprojekt, die Integration ausgewählter UE Aktivitäten in Entwicklungsprozesse der Fachbereiche, und der Aufbau von UE Kompetenz z.B. durch Etablierung eines Usability-Experten. 143 Die Durchführung von heuristischen Expertenevaluationen hat sich bewährt, da man so in nahezu jede Entwicklungsprojektphase einsteigen und einen schnellen Nutzen anbieten kann. Auch in sehr späten Projektphasen konnten stets Mängel in den Benutzungsoberflächen mit relativ wenig Aufwand schnell und für alle spürbar behoben werden. Die Ergebnisdarstellung hat immer stark zur Sensibilisierung des Durchführenden beigetragen, so dass im nächsten Projekt die UE-Expertise von Anfang an mit eingeplant wurde. Als entscheidend erwies sich die Definition einer Projektrolle „Usability-Experte“ auf Seiten Daimlers. Die Tatsache, dass sich wenigstens eine Person im Projekt verantwortlich um Ergonomiebelange kümmert, hat in allen so praktizierten Projekten bewirkt, dass das Thema UE im gesamten Projektverlauf bis zur Systemeinführung ausreichend berücksichtigt wurde. Entscheidend ist dabei, dass es einen Verantwortlichen für dieses Thema gibt, auch wenn er nur wenig Kapazität im Projekt dafür zur Verfügung hat. Unsere Erfahrungen haben gezeigt, dass in großen Entwicklungsprojekten pro Jahr 0,5 bis 1 Personenjahr UE Expertise ausgereicht haben. Die Forderung von Auftraggeberseite, dass für das zu entwickelnde System die Usability ein zentrales Qualitätskriterium ist, war ein ganz entscheidender Garant dafür, dass das Thema von externen Dienstleistern und vom Projektmanagement ernst genommen und ausreichend Ressourcen dafür bereitgestellt wurden. UE als Auftraggeberkompetenz (und nicht nur als Entwicklungskompetenz) hat sich hier vielfach bewährt. Trotz dieser Erfolge ist UE als eigene Disziplin noch nicht so anerkannt und als notwendig erachtet wie etwa Projektmanagement, Risikomanagement, etc. Der Beitrag eines konsequenten UE zu nahezu allen „klassischen“ Software 144 Engineering Disziplinen wird unterschätzt. Eine Erfolgsstrategie kann sein, diesen Beitrag konsequenter herauszustellen oder relevante Aktivitäten des UE in diese EngineeringDisziplinen zu integrieren. 6.0 Unternehmensweites Best Practise Sharing: Siemens AG (Scheurer) Die Siemens AG (Berlin und München) unterstützt Kunden in rund 190 Ländern auf den Gebieten Industrie, Energie und Gesundheitswesen. Die Produktdiversität ist groß – von der Glühbirne über bildgebende Verfahren bis hin zum Kraftwerk. Die zentrale Abteilung Corporate Technology (CT) ist Dienstleister für technologische Innovationen. Das User Interface Design Center der CT (CT IC 7) hat die Aufgabe, Usability Engineering auf der Basis von ISO 9241 und 13407 zu etablieren. Sie ist ein von der Datech akkreditiertes Prüflabor für beide Normen. An den drei Standorten (München, Princeton und Beijing) arbeiten über 50 Ingenieure, Designer und Psychologen. Diese unterstützen die Entwicklungsabteilungen in den operativen Bereichen. Insgesamt arbeiten weit mehr als 100 Experten an dem Thema. Innerhalb des Siemens-Konzerns werden "Standards" nicht als verbindliche Vorgaben gesehen, sondern als Gestaltungsempfehlungen im Sinne von „Best Practices“. Einen einheitlichen formalen Standard für alle Produkte aus dem Hause Siemens einzufordern ist aufgrund der heterogenen Anwendungsgebiete sehr aufwändig und vermutlich auch nicht nutzerfreundlich. Styleguides werden für Produktfamilien erstellt, um Homogenität des Look & Feels und hohe Entwicklungseffizienz zu erzielen. Im Fokus unserer internen Standards steht aber die Benutzerfreundlichkeit des Produktes. Dies gelingt umso besser, je mehr die systematischen Vorgehensweisen des UE als integraler Bestandteil des "Produkt Lebenszyklus Management" (PLM) verstanden werden. Daher ist es wichtig, das UE in die unternehmensweit vorgeschriebenen Prozesse aufzunehmen. Prozesse müssen von Menschen gelebt werden. Daher sind Maßnahmen etabliert worden, mit denen Usability in den Köpfe und Herzen der Mitarbeiter verankert werden soll. Als ein wichtiges Instrument hierfür hat sich die vor drei Jahren etablierte, unternehmensweite Best Practise Sharing Community „Usability @ Siemens“ herausgestellt. Einmal jährlich treffen sich Produktmanager, Verantwortliche für die Vorfeldentwicklung, Projektleiter und UsabilityExperten, um sich einen Tag lang zu den neusten Trends im User Interface Design und über ihre Erfahrungen zum Thema Usability auszutauschen. Ziel ist der Erfahrungsaustausch, das Networking und die Identifikation von Themen gleichen Interesses. Die CT IC 7 übernimmt hier die Rolle des Organisators und bindet neben den Fachexperten auch das Top-Management in die Veranstaltung ein. Bedürfnisse und Wünsche der Community werden identifiziert und umgesetzt. Beispiele hierfür sind: x x x Interne UE-Schulung für Entwickler und Entscheider UE-Prozessberatung durch CT IC 7, um UE in bereichsspezifische Produktentwicklungsprozesse zu integrieren kleinere unternehmensweite Fachkreise zu Themen wie neue Interaktionstechnologien, UI-Prototyping Zusätzlich erfolgt ein Wissensaustausch innerhalb Siemens durch gezielte Personalrotation in Projekten und Organisationen. Aufgrund der großen Produktdi- Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 versität sind die Einsatzfelder der CT IC 7 entsprechend vielfältig. Für Anforderungsanalysen fahren Experten in Zügen mit, stehen in Operationssälen oder untersuchen die Bedienung von Leitwarten in Kraftwerken. In der Regel wechseln die Mitarbeiter nach einigen Jahren in die operativen Geschäftsbereiche. Im Gegenzug werden freie Positionen im User Interface Design Center mit Fachexperten aus den Bereichen besetzt, die mit ihren Erfahrungen dafür sorgen, dass das Domänen Know-how auch in der Zentrale auf hohem Niveau bleibt. Dieser Austausch von Wissen und Personen lässt sich durch das unternehmensweite Best Practise Sharing und dem daraus entstehenden UsabilityNetzwerk deutlich leichter realisieren als zuvor. Usability Engineering kann immer dort erfolgreich eingeführt werden, wo die beteiligten Menschen die Voraussetzungen dafür haben. Projekte sind erfolgreich, wenn x x x das Top-Management seine Unterstützung zeigt. in den Projektteams gegenseitige Akzeptanz da ist: Gegenüber der Ausbildungs-Disziplin (Techniker – Nicht-Techniker) und der Rolle im Projekt (Usability-Experte – Produktmanager – Entwickler). profundes Wissen über den Nutzungskontext in der Triade Europa, USA, Asien vorhanden ist oder erhoben wird. Was nicht funktioniert, sind starre Anweisungen und Muss-Standards, die nicht auf den spezifischen Nutzungskontext passen. Solche Top Down Vorgaben werden nie zu gelebten Prozessen oder hoher Produktqualität führen. 7.0 Über Richtlinien zur Schlüsselrolle: IBM Deutschland Research & Development GmbH (Willuhn) Das erste Richtlinienwerk für Produktgestaltung wurde vor fast genau 20 Jahren IBM-weit eingeführt: mit dem „Common User Access Basic Interface Design Guide“ wurden verbindliche Regeln und Empfehlungen für die konsistente Gestaltung von textbasierten Nutzungsschnittstellen definiert. Bald darauf folgten mit „Object-Oriented Interface Design“ produkt- und prozessbezogene Richtlinien für die Gestaltung grafischer Nutzungsschnittstellen. Heute kommt eine Vielzahl von Gestaltungsrichtlinien zum Einsatz, die für die IBM Software Brands und Produktfamilien spezifisch sind (z.B. Tivoli, WebSphere, Lotus), ergänzt durch Richtlinien für webbasierte Anwendungen und barrierefreies Design. Darauf aufbauend sind auch User Interface Design Patterns verfügbar, die für eine weitere Vereinheitlichung der Gestaltung sorgen. Für die Usability Praktiker erwiesen sich diese Regelwerke anfangs als Türöffner: als „Hüter“ dieser Regeln konnten sie mehr Einfluss auf die Produktgestaltung nehmen als ihnen vorher zugestanden wurde. Ab Mitte der 90iger Jahre wurde diese Phase durch die Einführung prozessbezogener Richtlinien abgelöst: mit „UserCentered Design“ wurden Rollen, Verantwortlichkeiten und Aktivitäten für Usability Engineering im gesamten Entwicklungsprozess festgelegt. Seitdem wurden die Kompetenzen und Einflussmöglichkeiten zunehmend erweitert – resultierend aus der Erkenntnis, wie wichtig das Merkmal Usability für den Erfolg eines Produktes ist. Die Aktivitäten fokussierten sich zunehmend auf die Erhebung des Nutzungskontextes und der Umsetzung dieser Erfordernisse in Gestaltung der Nutzungsschnittstelle. Gestaltungsrichtlinien werden dabei zwar als wichtiges Arbeitsmittel angewendet, bleiben aber weitgehend im Hintergrund. Wesentlich wichtiger und effektiver ist die frühzeitige, enge Einbindung der Usability Experten in das Entwicklungsteam. Schon in der Konzeptphase arbeiten Usability Experten mit Kunden im Rahmen von Customer Advisory Councils oder Design Partnership Programs zusammen, um Anforderungen zu erheben. In der Folge sind sie mitverantwortlich für die Definition des Use Case Modells und meist alleinverantwortlich für die Spezifikation des User Interfaces. Dies geschieht in Form von Storyboards oder interaktiven Prototypen. Im Idealfall liegt damit eine validierte Spezifikation vor, bevor die erste Zeile Code geschrieben wird. Sie spielt eine wichtige Rolle für die Planung und Kommunikation im gesamten Projektteam: Aufwände können exakter geplant werden, Abhängigkeiten und Schnittstellen werden früher und genauer erkannt – ein Nebeneffekt, der für die Akzeptanz und den Stellenwert des Usability Engineering sehr hilfreich ist. Erfolgsfaktoren für Usability Engineering: zunächst ist der Stellenwert zu nennen, den das Top Management dem Thema Usability beimisst, und die Häufigkeit, mit der Status abgefragt und berücksichtigt wird. Die Basis bilden die in den Prozessbeschreibungen definierten Verantwortlichkeiten und Kompetenzen der Usability Experten. Frühes und detailliertes Prototyping hat sich dabei als sehr effektive und werterbringende Methode bewährt. Essenziell sind auch die produktübergreifende Zusammenarbeit und der Austausch in der weltweiten Usability Community. Standards für Produktgestaltung sind zwar ein wichtiges Arbeitsmittel für Usability Experten, spielen heute aber nur eine vergleichsweise untergeordnete Rolle. 145 146 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 U sability Tool s 147 148 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Auswertung von Card-Sorting-Experimenten mit C ASOLYSIS Sebastian Emmrich Institut für Informatik Universität Paderborn Fürstenallee 11 33102 Paderborn [email protected] Gerd Szwillus Institut für Informatik Universität Paderborn Fürstenallee 11 33102 Paderborn [email protected] www.upb.de/cs/ag-szwillus Abstract CASOLYSIS ist eine Anwendung zur Auswertung von Card SortingExperimenten. Während es mittlerweile gut einsetzbare Softwareunterstützung zur Durchführung solcher Experimente gibt, mangelte es bisher noch an effizienten Tools zur Auswertung. Casolysis stellt verschiedene Algorithmen und interaktive Werkzeuge zur Verfügung, um die entstehenden Datensätze einfach und effizient auswerten zu können. Dabei liegt der Schwerpunkt neben der Unterstützung praktisch aller heute bekannten Zuordnungsalgorithmen (etwa Clusteranalyse) auf hochgradiger Interaktivität: Der Benutzer kann "gefahrlos" mit den Daten experimentieren, Teillösungen fixieren, parallele Lösungsvarianten ausprobieren, diese weiterverfolgen oder auch wieder verwerfen. 1.0 Card Sorting Card Sorting ist eine Methode, um auf empirischem Wege hierarchische Strukturen in vorgegebenen Begriffsmengen zu ermitteln. Konkret können etwa die Linkankertexte von Webauftritten mit diesem Verfahren so bestimmt werden, dass sich die Besucher unter den gewählten Bezeichnungen das Richtige vorstellen können. Ähnliches gilt für die Definition von Menüitems in Desktopanwendungen, die so definiert sein sollten, dass der Benutzer die Befehle, die er sucht, möglichst intuitiv und schnell findet. Ausgangspunkt des Card Sorting Experimentes ist eine überschaubare Menge (bis zu 100) von Begriffen. Beim klassischen Card Sorting wird jeweils einer Alle Verfahren sind zudem mit direkten manuellen Eingriffen für "Problemfälle" kombinierbar. Damit trägt CASOLYSIS der Problematik Rechnung, dass es in den meisten Anwendungsfällen keinen durchgehenden Algorithmus gibt, der alleine das Ableiten einer kompletten Lösung erlaubt. Offene Card Sorting-Experimente werden darüber hinaus durch einen Algorithmus zur Ähnlichkeitssuche von Wörtern sowie einen komfortablen interaktiven Prozess unterstützt, der dem Benutzer hilft, Synonyme bei den von den Testern angegebenen Kategorienamen aufzuspüren und zusammenzuführen. dieser Begriffe auf eine Karteikarte geschrieben. Der Kartenstapel wird dann einer Gruppe von Testpersonen zum Sortieren gegeben, wobei jede Testperson einen kompletten Kartensatz bekommt. Man unterscheidet zwei Varianten dieses Prozesses (Maurer & Warfel, 2004): 1. Offenes Card Sorting: Die Testperson muss alle Karten gruppieren und den entstandenen Gruppen selbst sinnvolle Benennungen geben. Bei dieser Variante entstehen neben der Sortierung auch die Namen der Kategorien; üblicherweise wird diese Methode bei einem ersten Durchlauf angewendet. CASOLYSIS kann beliebige Datensätze in gängigen Formaten importieren, die Analyseergebnisse zur Weiterverarbeitung entsprechend exportieren und kann somit universell eingesetzt werden. Integriert sind zusätzlich Webschnittstellen zum direkten Einlesen von Experimentdaten webbasierter Card-SortingExperiment-Umgebungen, wie etwa WECASO von der Universität Paderborn. Keywords Card Sorting, Experimentauswertung, Heatmap, Clusteranalyse 2. Geschlossenes Card Sorting: Hierbei sind die verschiedenen Kategorien schon vorgegeben, die Testperson muss also die Karten nur noch auf diese Kategorien verteilen. Diese Methode eignet sich besonders dann, wenn bereits ein offenes Card Sorting durchgeführt wurde, und man die Brauchbarkeit der ermittelten Kategorien beurteilen möchte. In beiden Fällen entsteht pro Teilnehmer eine komplette Sortierung aller Karten. Diese müssen anschließend ausgezählt werden in dem Sinne, dass für jedes Kartenpaar erfasst wird, bei wie vielen Teilnehmern dieses Paar im gleichen Stapel eingeordnet worden ist. Das Ergebnis ist eine Matrix mit Zahlenwerten, die die Affinität je zweier Karten 149 repräsentieren. Der Nutzen des Experimentes besteht dann in der Definition von Begriffsgruppen basierend auf den gefundenen Ähnlichkeitsbeziehungen. Existierende Softwareunterstützung 2.0 In der physischen Form mit echten Karteikarten sind die Experimente und auch die Auswertung recht mühsam. Daher sind Softwareanwendungen (etwa Toro 2008, WebCAT 2008) entstanden, mit denen die Experimente am Computer durchgeführt werden können. Auch haben sich Dienste im Internet (wie Optimalsort 2008, Websort 2008) etabliert, welche die Abwicklung von Card Sorting Experimenten anbieten. Diese Systeme umgehen das Handling von physischen Karten und erleichtern die Auswertung beträchtlich. In den OnlineSystemen kann der Teilnehmer zudem das Card Sorting ohne vorherige Programminstallation direkt durchführen und die Ergebnisse sind sofort verfügbar. An der Universität Paderborn entsteht zurzeit ebenfalls ein solcher Dienst (Vdovkin, 2008) unter dem Namen WECASO. Die bislang vorhandenen Softwarelösungen legen den Fokus auf die Durchführung der Experimente. Im Bereich der Auswertung allerdings gibt es erhebliche Defizite. Zwar werden zum Beispiel Clusteralgorithmen und auch diverse Auszählungstechniken angeboten, auch existieren makrobasierte Auswertungen auf EXCEL-Basis, aber all diese Ansätze erfordern doch einen erheblichen manuellen Nachbearbeitungsaufwand. 3.0 Der CASOLYSIS-Ansatz Ziel der Entwicklung von CASOLYSIS war es, den Analysevorgang zu strukturieren, zu beschleunigen und dadurch erheblich zu vereinfachen, bzw. bei größeren, unhandlichen Datenmengen überhaupt erst zu ermöglichen. Alle gängigen Verfahren (Clusteranalyse und 150 verwandte Algorithmen) sollten anwendbar und beliebig untereinander aber auch mit manuellen Eingriffen kombinierbar sein. 3.1 Grundprinzip CASOLYSIS bietet die Möglichkeit, mit den Daten zu experimentieren. Die Ergebnisdaten erlauben in den meisten Fällen nicht den Einsatz eines einzigen Algorithmus, der alle Probleme auf einen Schlag löst. Wichtig ist es daher, dass der Benutzer die Möglichkeit bekommt, verschiedene Algorithmen zu kombinieren oder auch den gleichen Algorithmus mit verschiedenen Parametern zu starten. Die dabei entstehenden Ergebnisse müssen schnell vergleichbar sein, so dass bessere Lösungen weiter bearbeitet werden können und optimale Lösungen sofort erkennbar sind. Der Benutzer hat jederzeit die Möglichkeit, auf einen der bereits durchgeführten Schritte zurückzugreifen und auf „alten“ Zwischenergebnissen aufzusetzen. Es entsteht ein vom System verwalteter Baum mit verschiedenen Versionen von Analyseergebnissen. Um sich einen Überblick über die Daten zu verschaffen, werden die Daten in verschiedenen Formen aufbereitet. Der Benutzer kann detaillierten Einblick in die Daten nehmen oder sich einen generellen Überblick verschaffen. Somit können schon sehr früh potentielle Probleme bei der Analyse erkannt werden. Trotz des Angebots an verschiedenen Algorithmen kann es doch zu Situationen kommen, bei der eine Zuordnung durch Algorithmen nicht möglich ist. Für diese Fällen hat der Benutzer die Möglichkeit, manuell einzugreifen, und Zuordnungen vorzunehmen oder rückgängig zu machen, sowie Karten und Kategorien umzubenennen. CASOLYSIS kann alle CSV-formatierten (mit Komma getrennte Werte) Datensätze einlesen; nach Fertigstellung der Analyse kann der Benutzer die Daten wieder im CSV-Format exportieren, um sie in anderen Applikationen zu nutzen. 3.2 Eingesetzte Techniken 3.2.1 Heatmap Eine Heatmap (Syntagm, 2007) erfüllt zwei Funktionen: Sie zeigt an, wie oft eine Karte einer Kategorie zugeordnet wurde und färbt die Zahl gemäß ihres relativen Anteils aus einem Farbspektrum von blau nach rot. Damit lässt sich auf den ersten Blick erkennen, ob Karten gehäuft bestimmten Kategorien zugeordnet wurden (rote „Spitzen“) oder ob sie sehr breit verteilt wurden (blaue Flächen). Abb.1: Ausschnitt aus einer Heatmap Die Heatmap des Datensatzes wird unmittelbar nach dem Einlesen angezeigt, sodass eine erste Orientierung ermöglicht wird. Im folgenden stellen wir die angebotenen automatischen Verfahren vor, die der Benutzer miteinander kombinieren kann, um schließlich zu einem brauchbaren Ergebnis zu gelangen. Abb. 2: Algorithmenauswahl in CASOLYSIS 3.2.2 Section Label Analysis Dieser einfache Algorithmus (Boulton, 2006) ordnet eine Karte einer Kategorie dann zu, wenn ein vom Benutzer festgelegter Prozentsatz von Experimentteil- Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 nehmern die Karte einer Kategorie zugeordnet hat. 3.2.3 Agglomerative Hierarchical Clustering Dieser klassische ClusteringAlgorithmus (Tan et al 2006) bestimmt in jedem Schritt Zusammengehörigkeiten von Kartengruppen (Cluster) durch eine Bewertungsfunktion. Bei diesem Verfahren lassen sich Rückschlüsse darauf ziehen, welche Karten tatsächlich zusammengehören; allerdings erlaubt es nur bedingt Rückschlüsse darauf, welcher Kategorie sie zugeordnet werden müssen. Im Anschluss an den Algorithmus muss der Benutzer daher die Cluster den Kategorien zuordnen. Er bekommt dabei jeweils eine Empfehlung, zu welcher Kategorie ein Cluster die größte Affinität hat. 3.2.4 CASOLYSIS ist eine frei verfügbare, plattformunabhängige Java-Anwendung, mit Webschnittstellen zur webbasierten Card Sorting Applikation WECASO (Vdovkin 2008) der Universität Paderborn und zu Optimalsort (Optimalsort 2008). Abb. 3: Unschärfefilter für offene Experimente Manuelles Gruppieren Die manuelle Zuordnung, das Umgruppieren oder Umbenennen der Karten ist jederzeit möglich und wird durch einen komfortablen Drag-and-DropDialog unterstützt. 3.3 weg, da teils unsinnige Bezeichnungen verwendet wurden. Die eigentliche Analyse dauerte weitere 15 Minuten. Nach insgesamt 30 Minuten konnten fast alle Karten zuverlässig zugeordnet werden. Des weiteren hatten sich mehrere sinnvolle Kategorienamen herausgebildet, die für spätere Experimente verwendet werden konnten. DBSCAN Das DBSCAN-Verfahren (Tan et al 2006) bestimmt über eine Zugehörigkeitsfunktion die Nähe einer Karte zu jeder anderen. Alle Karten innerhalb eines bestimmten Entfernungsradius werden der Kategorie zugewiesen. Bei diesem Verfahren spielt sowohl die Ähnlichkeit der Karten, als auch die Anzahl der Zuordnungen eine Rolle. Dieses Verfahren eignet sich besonders bei sehr großen Experimenten mit vielen Teilnehmern. Bei kleinen Experimenten unterscheiden sich die Ergebnisse kaum von der Section Label Analysis. 3.2.5 begonnen werden kann. Bedingt durch Schreibfehler oder minimal unterschiedliche Benennungen durch die Testpersonen entstehen oftmals unverhältnismäßig viele Kategorien. In diesem Sinne „gleiche“ Kategorien müssen zunächst zusammengeführt werden. Dies ist nur bedingt automatisiert möglich; so können „sport“, „sports“, „sport-equipment“ und „sprot“ die gleiche Bedeutung haben. Um diese Problematik zu lösen, werden dem Benutzer von CASOLYSIS verschiedene Werkzeuge zur Verfügung gestellt; insbesondere steht ein variabler Unschärfefilter zur Verfügung um Rechtschreibfehler aufzudecken. Offenes Card-Sorting Beim eingangs erwähnten offenen Card Sorting treten zusätzliche Probleme auf, die behandelt werden müssen, bevor die eigentliche Analyse sinnvoll 4.0 Erfahrungen Wir haben u.a. ein Card Sorting Experiment mit 20 Teilnehmer und 57 Karten analysiert. Die Daten enthielten 1.140 Datensätze sowie 400 von Benutzern erstellte Kategorien. „Gleiche“ Kategorien wurden automatisch und über die Volltextsuche innerhalb weniger Minuten auf etwa 80 Kategorien reduziert. Ein Großteil dieser Kategorien fiel bei der Analyse auch noch 151 Literatur Boulton, M. (2006): Card Sorting. Part 3 Analysis and Reporting. http://www.markboulton.co.uk/articles/detail/c ard_sorting_part_3/, letzter Zugriff: 30.05.08 Maurer, D., Warfel, T. (2004): Card Sorting: a Definitive Guide. http://www.boxesandarrows.com/view/ card_sorting_a_definitive_guide, letzter Zugriff: 30. Mai 2008 Optimalsort (2008): Understand a different point of view. http://www.optimalsort.com, letzter Zugriff: 30. Mai 2008 152 Syntagm (2007): Design for Usability - Card Sorting. http://www.syntagm.co.uk/design/ cardsort.shtml, letzter Zugriff: 30. Mai 2008. Tan, P., Steinbach, M., Kumar, V. (2006): Introduction to Data Mining, AddisonWesley. Toro, J (2008): What is CardZort? http://www.cardzort.com, letzter Zugriff: 30. Mai 2008-05-30 WebCat (2008): WebCAT: Category Analysis Tool. http://zing.ncsl.nist.gov/ WebTools/WebCAT/overview.html, letzter Zugriff: 30. Mai 2008 Websort (2008): Card Sorting: Improve the Organization of your Site. http://www.websort.net, letzter Zugriff: 30. Mai 2008 Vdovkin, A. (2008): Entwicklung einer webbasierten Card-Sorting-Applikation. Laufende Studienarbeit, Universität Paderborn, Institut für Informatik, AG Szwillus, geplante Abgabe 01.09.2008 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 W-U-T: Ein interaktives Web-Usability-Tool Eugenie Demenev Universität Paderborn Institut für Informatik Fürstenallee 11 33102 Paderborn [email protected] Johannes Hillebrand Universität Paderborn Institut für Informatik Fürstenallee 11 33102 Paderborn [email protected] Harald Schröder-Mänz Universität Paderborn Institut für Informatik Fürstenallee 11 33102 Paderborn [email protected] Gerd Szwillus Universität Paderborn Institut für Informatik Fürstenallee 11 33102 Paderborn [email protected] www.upb.de/cs/ag-szwillus Abstract Es existieren eine Reihe von Fragebögen und Checklisten zur systematischen Überprüfung der Usability von Webauftritten. Teilweise werden diese in Formularform, teilweise auch als interaktive Werkzeuge mit Auswertungsmechanismen angeboten. Durch Nutzung dieser Technik werden auch unerfahrene Tester systematisch durch alle potentiellen Problembereiche geführt, sodass auch kleinere, weniger bedeutsame Webauftritte in ihrer Usability verbessert werden können. Das W-U-Tool ist ein Werkzeug zur Unterstützung solcher Befragungen. Es ist speziell für die Durchführung von Benutzerevaluationen mit kleineren Testgruppen ausgelegt, deren Ergebnisse qualitativ ausgewertet werden und weniger für die Durchführung umfangreicher Benutzertests. 1.0 Einleitung Das W-U-Tool erlaubt die Untersuchung der Usability von Webseiten auf einfache Weise interaktiv mit Hilfe von vorgegebenen Fragebögen. Neu dabei ist, dass W-U-T die Möglichkeit bietet, Webseiten graphisch durch Skizzen und im Bild platzierten Text zu annotieren. Wir zielen mit diesem Testwerkzeug darauf, auch unerfahrenen Personen die Möglichkeit zu geben, Webauftritte ohne Kosten und trotzdem – durch die Führung entlang des Fragebogens – in fachlich angemessener Weise zu evaluieren. Besonderer Wert wurde daher auf die Einfachheit der Bedienung und auf das Einfangen möglichst differenzierter Antworten der Tester gelegt. Daher bietet W-U-T neben den üblichen Ja/Nein-Fragen die Möglichkeit, Screenshots der untersuchten Webseiten in die Antworten einzubinden und diese grafisch und textuell zu annotieren. Dadurch kann der Tester gezielt auf gefundene Probleme aufmerksam machen und kann somit sehr differenziert auf einzelne Fragen antworten. Die Analyse eines Webauftritts durch mehrere Tester wird durch W-U-T gezielt in einem Projekt zusammengefasst und anschließend zusammenfassend ausgewertet. Das zugehörige Auswertungswerkzeug gibt einen einfachen statistischen Überblick über gefundene Probleme, erlaubt aber die vergleichende Betrachtung der Antworten aller Tester zu jeder einzelnen Frage. 2.0 Webevaluation mit Fragebögen Es existieren diverse Fragebogentechniken, durch die Webseiten und Benutzungsschnittstellen untersucht werden können (Ong et al 2004, Balasz 2003, Dzida et al 2001, Nitzsche 2007, Gediga et al 1999, Harms et al 2002). Ein Vorteil dieser Evaluierungsmethode ist die einfache und aufwandsarme Durchführbarkeit. Als nachteilig erweist sich jedoch oft eine zu schematische Vorgehensweise, da die verwendeten Fragebögen möglichst viele Fälle abdecken sollen und von daher oft zu allgemein formuliert Durch zusätzliche Anmerkungen kann die Fehlerliste wie eine ToDo-Liste des Webdesigners benutzt und abgearbeitet werden. Darüberhinaus bietet die Umgebung einen Editor, mit dem der vorhandene Fragebogen beliebig erweitert, modifiziert oder gekürzt und damit auch an spezielle Bedürfnisse angepasst werden kann. Auch die Entwicklung völlig neuer Fragebögen kann erfolgen, sodass W-U-T in sehr vielfältiger Weise einsetzbar ist. Keywords Web Usability, Fragebogentechniken, Evaluation, Werkzeugunterstützung und in den Antwortmöglichkeiten eingeschränkt sind. So kann der Beantworter in manchen Methoden nur sehr grob antworten (etwa mit „Ja“, „Nein“ oder „Teilweise“) oder gerät in Probleme, wenn Fragen nicht verstanden werden oder nicht zutreffen. Zum anderen sind die vorgeschlagenen Auswertungen oft zu summarisch und damit wenig aussagekräftig, da sie Statistiken und Zahlenwerte widergeben, die dem Auswerter kaum Hinweise auf mögliche Problemfelder aufzeigen. W-U-T versucht durch erheblich differenzierte Antwortmöglichkeiten und eine 153 anschauliche Auswertung vom einzelnen Beantworter möglichst viele Information einzusammeln und diese dem Auswerter als konstruktive Handlungs- Damit kann die Checkliste lokal nachgebessert, weitgehend verändert oder auch völlig neu gestaltet werden. kann er auch angeben, dass er die Frage nicht beantworten kann, weil er sie nicht versteht oder weil der Gegenstand der Frage nicht zutrifft (s. Abb. 1). x Abb. 1: Beispiel für eine Ja/Nein-Antwort anweisungen anzubieten. Die für das W-U-Tool eingesetzte Webauftritt-Checkliste wurde an der Universität Paderborn (Neuhaus 2003) entwickelt. Diese Checkliste basiert auf den bekannten Usability-Normen und Richtlinien, berücksichtigt aber auch ökonomische Interessen und psychologische Grundlagen. Die Fragen dieses Testbogens sind in 7 logisch zusammenhängende Kategorien gruppiert. Das W-U-Tool erlaubt eine flexible Beantwortungsreihenfolge, bietet aber auch eine klare Führung an, um einen guten Überblick zu garantieren. Integriert in die Umgebung ist ein Werkzeug zur Bearbeitung des eingesetzten Fragebogens. 3.0 Das W-U-Tool Das W-U-Tool wird durch die Testperson, welche eine Webseite bewerten möchte, aufgerufen. Dabei wird die Testperson systematisch durch den Fragebogen geführt. Für jede Frage gilt, dass dem Tester eine (positive) Benutzungseigenschaft vorgestellt wird und er sagen muss, ob diese Eigenschaft gegeben ist oder nicht. Das Tool unterscheidet zwei Arten von Antwortmöglichkeiten: x Ja/Nein-Antworten bestehen wirklich nur aus der Entscheidung zwischen Ja oder Nein. Es werden keine weiteren Informationen erfragt – derTester muss sich lediglich auf Zustimmung oder Ablehnung zur geforderten UsabilityEigenschaft festlegen. Allerdings Annotationsantworten sind solche bei denen der Benutzer der Usability-Eigenschaft entweder einfach zustimmen kann, oder sie als nicht erfüllt zurückweisen kann, dies aber anschließend auch begründen kann. Die Begründung kann aus einem Text bestehen oder der Benutzer kann einen (oder mehrere) Screenshots der Website erzeugen (s. Abb. 3) und diese mit zusätzlichen Anmerkungen oder Markierungen versehen (s. Abb. 2). Abb. 2: Beispiel für grafische Annotationen Um die Verständlichkeit von Fragen zu erhöhen, kann der Testleiter die Fragen durch Erläuterungen und Beispiele (etwa auch mit Webadressen guter oder schlechter Beispiele) ergänzen. Das W-U-Tool wurde als DotNetAnwendung realisiert; die Fragebögen und die Antworten werden in XMLDateien gespeichert. Somit kann die Umgebung auf jedem Windows-System eingesetzt werden. Da die Tools frei verfügbar sind, bieten sie somit jedem die Möglichkeit, seine Webseite qualitativ hochwertig und kostengünstig auf gute Usability testen zu lassen. Aufgrund der detailierten Antworten ist es Abb. 3: Eine ausführlich annotierte negative Antwort 154 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 ratsam nicht wesentlich mehr als zehn Testpersonen einzusetzen. 4.0 Auswertung Das Auswertungstool macht dem Evaluator die Antworten der Testpersonen zugänglich. Neben einer einfachen statistischen Auswertung liegt der Schwerpunkt auf der Anzeige der durch die Testpersonen aufgefunden Fehler und der zugehörigen Beschreibungen. Anschließend kann eine detaillierte Liste der Fehler angezeigt werden. Bei Ja/Nein-Fragen wird darin gezeigt, wie viele der Tester einen Fehler fanden. Bei den Annotationsfragen werden die ausführlichen Antworten und die dazugehörigen Screenshots angezeigt. Letztere können durch Anklicken zur besseren Darstellung in einem neuen Fenster größer betrachtet werden. Sowohl die Fragen selbst als auch die einzelnen Testergebnisse werden nur angezeigt, wenn überhaupt ein Problem bezüglich einer Frage gefunden wurde. bestehenden Liste ermöglicht. Alternativ kann jede Frage einzeln mit ihren Antworten angezeigt werden. Somit bekommt der Evaluator mit den beiden Listen zusammen de facto eine ToDo-Liste, die anschließend Punkt für Punkt abgearbeitet werden kann. Nach Korrektur einer problematischen Usability-Eigenschaft kann dies Problem als erledigt markiert werden. Da erledigte Fragen in beiden Bereichen ausgeblendet werden können, wird im Idealfall die ToDo-Liste immer kürzer. Darüber hinaus können den erkannten Fehlern auch Notizen hinzugefügt werden. So können Fragen und komplette Kategorien nach Wunsch bearbeitet, hinzugefügt oder entfernt werden (s. Abb. 4). 5.0 Fragebogeneditor UniTEQ Um auf Probleme mit dem unterliegenden Fragebogen reagieren zu können, wurde der Fragebogeneditor UniTEQ (Universal Tool for Editing Usability Questionnaires) entwickelt, der eine beliebige Anpassung der Existierende Fragebögen können an das Testobjekt angepasst werden oder es können völlig andere aus der Literatur bekannte Fragebögen eingesetzt werden. Damit erschließt sich dem W-UTool ein erheblich erweiterter Einsatzbereich, der über reine Web UsabilityUntersuchungen weit hinausgeht. W-U-T ist mit allen Komponenten (Befragungswerkzeug, Auswertung und Fragebogeneditor) frei verfügbar. Es entstand als Ergebnis von insgesamt drei Studienarbeiten in der AG Szwillus des Instituts für Informatik der Universität Paderborn. Abb. 4: Der Fragebogen-Editor UniTEQ 155 Literatur Balazs, B.: Mehr Umsatz durch Kundenzentrierung. ufos - der Usability Fragebogen für Online-Shops, In: Unternehmen der Zukunft, Aachen, 4 (2003) 3 Gediga, Hamborg, Düntsch (1999). The IsoMetrics Usability Inventory: An operationalisation of ISO 9241-10, Behaviour and Information Technology, 18 Dzida et al. (2001): Gebrauchstauglichkeit von Software - ErgoNorm: Ein Verfahren zur Konformitätsprüfung von Software auf der Grundlage von DIN EN ISO 9241 Teile 10 und 11. http://www.ergonorm.org. Harms, I., Schweibenz, W., Strobel, J. (2002): Usability Evaluation von WebAngeboten mit dem Web Usability Index. Proceedings der 24. DGI-Online-Tagung 2002 - Content in Context. Frankfurt/Main: DGI. Neuhaus, J. (2003): Praxisgerechter Check-up zur Usability-Überprüfung von- 156 Webseiten. Erschienen in: Informatiktage 2003. Fachwissenschaftlicher InformatikKongress; 07. - 08. November 2003 im Neuen Kloster Bad Schussenried Nitzsche, S. (2007): Die ultimative UsabilityCheckliste. http://www.drweb.de/usability/ checkliste-usability.shtml. Ong, C.-S., Lai, J.-Y., Wang, Y.-S. (2004). Factors affecting engineers’ acceptance of asynchronous e-learning systems in high-tech companies. Information & Management, 41, 795-804. Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Web-based Paper Prototyping mit RapidRabb.it Ein Ansatz zum kollaborativen Prototyping Volker Gersabeck RapidRabb.it Kirchhofstr. 43 12055 Berlin [email protected] http://rapidrabb.it Silvan T. Golega RapidRabb.it Kirchhofstr. 43 12055 Berlin [email protected] http://rapidrabb.it Tino Truppel RapidRabb.it Kirchhofstr. 43 12055 Berlin [email protected] http://rapidrabb.it Abstract Die benutzerzentrierte Entwicklung von Software ist ein dynamischer und kreativer Prozess. Dies zeigt sich gerade in den Phasen des Prototypings und der Evaluation. Hier ergeben sich immer wieder neue Herausforderungen an das Design Team: die Vorstellungen des Auftraggebers müssen verstanden werden, Ideen eines heterogenen Design Teams müssen in Prototypen ausgedrückt werden, Feedback aus der verteilten Zielgruppe muss gewonnen werden, das Feedback muss in den statischen Prototyp eingearbeitet werden und schließlich haben auch Entwickler 1.0 Startpunkt Paper Prototyping Eine einfache Methode low-fidelity Prototypen zu erzeugen, ist das Design Team um einen großen Papierbogen oder an einem Whiteboard versammeln zu lassen, so dass jeder seine Ideen direkt aufzeichnen kann. Diese Technik unterstützt wesentliche Punkte des Prototyping: jeder kann den Prototyp jederzeit modifizieren, jeder kann die Änderungen der anderen sofort sehen und vom Prototypen ist nichts verborgen. Meinungen, welche berücksichtigt werden sollten. Um das alles zu schaffen, ist eine Menge Kommunikations-, Logistik- und Koordinierungsaufwand von Nöten. Hier setzt dieser Ansatz an, indem eine Lösung vorgeschlagen wird, welche die Idee des PaperPrototypings in das Internet verlagert. Dadurch werden wesentliche Vorteile erzielt, wie die einfache Verteilbarkeit der Prototypen, gemeinsames Arbeiten an einem Prototypen und die Verlinkung der Prototypen mit anderen Dokumenten. Keywords Teile des Design Teams von verteilten Orten aus arbeiten, kann Papier alleine keine Lösung sein. Es würde zu aufwändig werden, die Ideen im Team zu verteilen. Nur so kann über Bedürfnisse, Anforderungen, Ideen, Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit diskutiert werden. Jedoch ist ein solcher Tisch nur schwer vorstellbar, denn nicht nur Zeitdruck und verschiedene Aufenthaltsorte der Akteure, sondern auch unterschiedliche Anforderungen der Rollen machen eine Realisierung herausfordernd. 2.0 Rollen im Prototyping Wesentliche Rollen während des Prototypings sind die Nutzer, das Design Team, der Auftraggeber und die Entwickler. Um ein erfolgreiches Produkt zu erschaffen, müssen diese Rollen an einen Tisch gebracht werden. Jedoch bringt diese Anordnung einige Nachteile mit sich. So wird es zunehmend schwieriger die Übersicht über einen immer komplexer werdenden Prototyp zu bewahren und alle Teile immer sichtbar zu halten. Auch sind Aktionen nur schwer rückgängig zu machen. Zwar kann leicht etwas gelöscht werden, doch die Löschung wieder rückgängig zu machen, ist aufwändig. Wenn außerdem Web-basiert, Kollaboration, Wireframe, Papier-Prototypen, Evaluation 2.1 Die potenziellen Nutzer Es ist aufwändig die Nutzer aus der Zielgruppe in den Prozess zu integrieren, aber letztendlich können nur die Nutzer eine qualitativ hochwertige „Quelle“ an Anforderungen sein. Während des Prototypings geschieht dies meist durch moderierte Usability-Tests. 2.2 Das Design Team Das Design Team ist ein Zusammenschluss aus Rollen wie Interaction Designer, Visual Designer, Information Abb. 1: Rollen 157 Architect, Human Researcher, UsabilityExperten und Prototype Developer. Es ist für den kreativen Teil der Entwicklung und für die Gebrauchstauglichkeit verantwortlich. Um seine Ideen auszudrücken, erzeugt es kollaborativ Prototypen. Erst hierdurch wird die Diskussion mit anderen Rollen ermöglicht und innerhalb des Design Teams vereinfacht. 2.3 Der Auftraggeber Der Auftraggeber ist der Initiator des Prozesses. Er will das Produkt letztendlich einsetzen oder verkaufen. Aus diesem Grund sind wirtschaftliche Aspekte oft für ihn essentiell. Findet die Entwicklung intern statt, so ist er meist ein Mitglied des Managements. Um sicher zu stellen, dass das Produkt seinen Vorstellungen entspricht, wird er in regelmäßigen Abstand die Prototypen durchsehen oder sich präsentieren lassen. 2.4 Die Entwickler Die Entwickler implementieren das Produkt. Sie sind eine wichtige Instanz, welche entscheidet, ob etwas technisch machbar ist oder nicht. Um dies zu beurteilen, brauchen sie Zugriff auf den Prototypen und eine Möglichkeit an der Diskussion teilzunehmen. 3.0 meint in diesen Kontext zweierlei: (1) verschiedene Entwicklungsstände des Prototypen, auf die später wieder zugegriffen werden können und (2) verschiedene Variationen des gleichen Prototypen. Arbeiten mehrere Personen gleichzeitig an einem Prototyp, so sind Konflikte der Modifikationen nicht zu vermeiden. Wünschenswert wäre, wenn eine Person ein Element des Prototypen ändert und eine andere Person ein weiteres Element bearbeitet, dass beide Modifikationen ohne weiteres Zutun angewandt werden. Wird ein Werkzeug verwendet, welches EchtzeitKollaboration unterstützt, so werden sich Konflikte auf ein Minimum reduzieren, da durch kurze Update-Zyklen Änderungen sofort für andere sichtbar werden. Außerdem wird die Wahrscheinlichkeit reduziert, dass Personen Elemente „gleichzeitig“ bearbeiten. Vor allem ein verteilt arbeitendes Design Team wird auf ein solches Feature angewiesen sein. 3.2 Prototypen im Kontext Ein Prototyp existiert in Abhängigkeit von anderen Dokumenten. So bestehen Anforderungen und Bedin- gungen an das Produkt, welche zu Designentscheidungen führen. Auch sind Referenzen auf Diskussionen, offene Aufgaben oder andere Prototypen hilfreich. Zum Beispiel ist eine Diskussion zwischen Entwickler und Mitgliedern des Design Teams über einzelne Elemente des Prototypen denkbar. Die Designer haben Ideen, welche laut den Entwicklern nur schwer umsetzbar sind. Die Designer liefern weitere Vorschläge, bis ein Kompromiss gefunden wurde. Diese Diskussion ist nicht Teil des Prototypen, aber es wäre im späteren Prozess hilfreich, vom Prototypen auf sie zugreifen zu können. 3.3 Präsentation der Ergebnisse Ist ein Prototyp erzeugt, geht die eigentliche Arbeit mit ihm los. Er muss für Usability-Tests verwendet werden, wird für Präsentationen der Idee vor anderen Akteuren genutzt und ist Teil der Spezifikation für Entwickler. Alle diese Akteure benötigen Zugriff auf unterschiedliche Sichten und Formate des Prototypen und dies am Besten jederzeit und von überall aus. Aus diesem Grund sollte der Prototyp zugriffsbeschränkt im Internet verfügbar sein. Für die Durchführung von Usabillity- Tests muss der klickbare Prototyp sehr einfach für den Testnutzer Anforderungen an ein digitales Prototyping Sinnvoller als der erwähnte Tisch erscheint ein virtueller Ort mit Prototypen, mit Dokumentation zu den Prototypen und mit der Möglichkeit, diese kollaborativ zu bearbeiten und darüber mit anderen Akteuren zu kommunizieren. Ein solcher Ort muss einige Anforderungen erfüllen. Die wichtigsten werden im Folgenden skizziert. 3.1 Herausforderung Teamarbeit Eine wesentliche Anforderung ist die Möglichkeit Versionen vom gleichen Prototyp zu verwalten. Versionierung Abb. 2: Anforderungen 158 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 erreichbar sein. Am besten über einen direkten Link. Außerdem wird für qualitative Tests ein direkter Kommunikationskanal zum Moderator benötigt. Auch die Entwickler wollen auf den klickbaren Prototyp zugreifen können, um ihn „mal durchzuspielen“. Aber Entwickler sind auch auf andere Zugriffsmöglichkeiten angewiesen. So wird die Wiederverwendung des Prototypen vereinfacht, wenn Exporte auf Zieltechnologien möglich werden. Dies würde es Entwicklern erlauben, den Prototypen weiter zu verwenden. Eine andere Notwendigkeit von Exporten geht vom Auftraggeber aus. Oft hat dieser nicht die notwendige Zeit den kompletten Prototypen durchzusehen, hier würde eine Kurzform des Prototypen als Präsentation Zeit sparen. 3.4 4.1 RapidRabb.it Prototype Creator RapidRabb.it ein Werkzeug, wel- 5. Beispielhafte Nutzung von RapidRabb.it Um die Funktionen verständlich zu machen, wird nun im Folgenden ein beispielhafter Prozess für die Nutzung von RapidRabb.it aufgezeigt: 6. 7. 1. Schnellere Iterationen Ein wesentlicher Vorteil der digitalen Lösung ist die Möglichkeit, schneller, günstiger und gewinnbringendere Iterationen durchführen zu können. Jedoch wird das nur passieren, wenn das Anpassen der Prototypen an neue Anforderungen so effizient wie möglich ist. Denn anders als bei echten Papier-Prototypen könnten digitale Papier-Prototypen wiederverwendet werden, so dass nicht der Prototyp pro Iteration neu erstellt wird, sondern nur angepasst werden muss. Und das so, dass Elemente, welche öfter im Prototypen vorkommen und geändert werden sollen, nur einmal geändert werden müssen. 4.0 ches die beschriebenen Anforderungen unterstützt. Da es nicht die benutzerzentrierte Entwicklung gibt, gibt RapidRabb.it keinen festen Prozess vor, sondern unterstützt eine Menge von Methoden und Rollen. Die Reihenfolge der Methoden ist flexibel, auch kann auf Rollen verzichtet werden. 2. 3. 4. Der Auftraggeber und Mitglieder des Design Teams treffen sich virtuell und diskutieren das Produkt. Da RapidRabb.it eine webbasierte Anwendung ist, können erste Ideen bereits skizziert werden. Dies hilft, ein gemeinsames Verständnis aufzubauen. Das Design Team erarbeitet gemeinsam eine erste Version des Prototypen. Hierbei greift jedes Mitglied mit seinem Browser auf den Prototypen zu. Änderungen werden für alle sofort sichtbar. Der Prototyp wird in einer stabilen Version in einigen Usability-Tests potenziellen Nutzern remote präsentiert. Diese können aus ihrer gewohnten Umgebung (von zu Hause oder von der Arbeit aus) auf den Prototypen zugreifen und direkt mit dem Moderator kommunizieren. Dies ermöglicht qualitative Tests. Das Design Team verfeinert denselben Prototyp. Es besteht keine Gefahr, dass Ideen versehentlich 5.0 überschrieben werden, da jederzeit auf die vorhergehende Version zugegriffen werden kann. Anschließend wird dem Entwicklerteam der aktuelle Stand zur Verfügung gestellt. Es greift asynchron auf die Prototypen zu und kann Feedback direkt im Prototypen ablegen. Das Design Team kann parallel am Prototyp weiter arbeiten, da die Entwickler immer auf die jeweils aktuelle Version zugreifen. Das Design Team arbeitet das Feedback der Entwicklung durch und fasst die Lösung in einem Prototyp zusammen. Abschließend wird der Prototyp in eine Präsentation exportiert und dem Auftraggeber vorgestellt. Fazit Durch die Verwendung neuster Technologien und Konzepte fördert RapidRabb.it die Grundideen einer benutzerzentrierten Entwicklung: Kollaboration, Wissensteilung, iteratives und Feedback getriebenes Vorgehen. Der Auftraggeber kann transparent auf den Prozessfortschritt zugreifen und damit diesen steuern; Entwickler werden durch Reviews in die Entwicklung von Anfang an mit eingebunden, was unnötige Iterationen vermeidet; potenzielle Nutzer werden eingeladen, den Prototyp zu testen und Feedback zu geben, ohne dass sie ihre gewohnte Umgebung verlassen müssen; das Design Team sammelt das Feedback und verarbeitet es in gebrauchstauglichere Prototypen. Dies führt zu einen qualitativ hochwertigen Produkt in weniger Iterationen, da alle relevanten Akteure mit ihren Bedürfnissen an einen Tisch gebracht werden. Abb. 3: Nutzung von RapidRabb.it 159 Swordfish: Eine Software zur asynchronen RemoteEvaluation der Usability von Webseiten Prof. Dr. Norbert Gerth Fakultät Informatik Hochschule Augsburg Postfach 11 06 05 86031 Augsburg [email protected] www.hs-augsburg.de Thomas Krach allevia GmbH Rehmstraße 4 86161 Augsburg [email protected] www.allevia.de Florian Pilottek Fakultät Informatik Hochschule Augsburg Postfach 11 06 05 86031 Augsburg [email protected] www.hs-augsburg.de Abstract Anspruch dieses eigenen Ansatzes ist es, das Grundprinzip des klassischen Usability Tests im Labor in eine OnlineAnwendung zu „portieren“. Auf diese Weise soll ein Remote-Testing ermöglicht werden, welches die Charakteristik und die Vorteile des klassischen Labor- 1.0 Einleitung Der Hintergrund des Konzeptes der Software war eine Übertragung des bewährten Usability-Tests im Labor auf das Internet. Der Ablauf sollte dabei automatisiert werden, woraus sich ein asynchroner Remote-Test ergibt. Aus technischer Sicht waren die Voraussetzungen an die Software die einer Webanwendung, also kein Medienbruch zum Testobjekt. Somit mussten einerseits Wege gefunden werden, die Vorteile des Labortests auf das Internet zu übertragen und dabei entstehende Nachteile auszugleichen. Dabei standen geringe Kosten des Tests und eine hohe Effizienz im Vordergrund. Das Einsatzgebiet der Software sind funktionstüchtige Prototypen oder fertige Websites. Diese Software ermöglicht eine permanenten Evaluation der Website und unterstützt ein iteratives Design. Die Software stellt eine Kombination bekannter Internet-Techniken dar, worauf das eigene Konzept beruht. Durch die gezielte Online-Rekrutierung geeigneter Testpersonen direkt von der zu testenden Webseite, lassen sich alle realen Zielgruppen erreichen. Dabei gibt 160 tests weitgehend erhält und die Vorteile aus der unmittelbaren OnlineUmgebung (z.B. geringe Rekrutierungs- und Durchführungskosten, hohe Nutzeranzahl, Nutzer unmittelbar aus der Zielgruppe) nutzt. Keywords es keine Einschränkung bzgl. des Aufenthaltsortes. Der Nutzungskontext entspricht genau dem, in dem die Webseite normalerweise auch verwendet wird. 2. Rekrutierung und Motivation 3. Beobachtung und Feedback 4. Fragebogen (ISO-Norm oder Szenario bezogen) 5. Auswertung und Ergebnisse Da die Software selbst eine Webanwendung ist, werden außer einem Webserver und einer Datenbank keine weiteren Anforderungen gestellt. Somit kann die Software sehr kostengünstig eingesetzt werden und es bedarf keines weiteren technischen Aufwands. Zu Beginn des Tests werden die allgemeinen Rahmenbedingungen wie Einund Ausstiegsseite, Zeitraum und Fallzahl festgelegt. Für die genaue Filterung der gewünschten Testpersonen durch das Online-Panel stehen technische Informationen wie der Referrer, Browser, Sprache, bereits besuchte Seiten der Website oder wiederkehrende Benutzer zur Verfügung. Im Rahmen des PreTest-Fragebogens, der bewusst auf ein Minimum reduziert wurde, findet dann die endgültige Auswahl anhand der Nutzerangaben bzgl. des Geschlechts, Alters, Erfahrungsstandes mit der Website, sowie des eigenen Zieles statt. Durch die sehr gering gehaltene Einstiegshürde wird versucht, auch neue Nutzergruppen zu erreichen die, i.d.R. nicht an Umfragen oder Tests teilnehmen, da ihnen der Aufwand zu groß ist oder die Motivation dazu fehlt. Genau an diesem Punkt setzt der virtuelle Moderator an, der die eigentliche Aufgabe des Testleiters im Labor übernimmt. Er leitet dabei die Testperson durch den kompletten Ziel ist es ein Tool zu erstellen, das, ähnlich wie z.B. Google Analytics, einfach in die Zielseite einzubauen ist und ein Webinterface für die Auswertung bietet. Der komplette Testablauf findet dabei On-Site statt, so dass die Testpersonen die eigentliche Webseite nie verlassen müssen und auch weiterhin die volle Kontrolle über den Browser und den Besuch der Seite haben. 2.0 Testablauf Die fünf Ablaufphasen orientieren sich an denen eines Labortests: 1. Entwicklung Persona und Aufgabenszenario Asynchron, Remote-Evaluation, Usability-Test, Website-Evaluation Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Test, angefangen von der Begrüßung (es wird z.B. eine Belohnung in Form eines 5 oder 10 € Gutscheins für Amazon in Aussicht gestellt) bis hin zum abschließenden Fragebogen. Dieser Moderator ist dabei eine reale Person in Form von Bildern oder einzelnen Videosequenzen, die über Flash abgespielt werden. Abb 3: Feedback x x x Abb 2: Pre-Test Abb 1: Virtueller Moderator Somit ermöglicht die Software eine gezielte Filterung bestehender Nutzer der Website und Rekrutierung von geeigneten Probanden, die auf der Website eine reale Aufgabe erfüllen. Erklärt sich der Nutzer dazu bereit, an dem Test teilzunehmen, und erfüllt die entsprechenden Kriterien der gewünschten Zielgruppe, erfolgt eine kleine Einweisung in den Ablauf des Tests. Während des Tests kann der Proband sich frei auf der Seite bewegen und seiner Aufgabe nachgehen. Der Moderator ist dabei permanent an einer passenden Stelle mit Hilfe eines Layers über der Seite eingeblendet. Möchte der Proband ein Feedback abgeben oder den Test beenden, kann er dieses durch einen Klick erreichen. Das Feedback ist in drei Schritte aufgeteilt. Zuerst ordnet die Testperson das Feedback in negativ oder positiv ein. Die Skalierung ist dabei ohne feste Stufen angelegt, da sich bereits in anderen Studien gezeigt hat, dass die Einordnung der Testpersonen nicht aussagekräftig ist (vgl. auch And reasen et al. 2007) und dient primär der Erfassung der gefühlten Bewertung durch den Probanden. Im zweiten Schritt besteht die Möglichkeit, das Feedback zu kategorisieren. Die verschiedenen Kategorien basieren dabei auf den 10 Heuristiken von Jakob Nielsen und wurden zu sechs Aussagen umformuliert, die sich auf Funktionalität, Text, Sprache und Inhalt beziehen. Eine Mehrfachauswahl ist dabei möglich. Der dritte Schritt ist ein Freitextfeld, in dem der Proband seine Gedanken in schriftlicher Form abgeben kann. Das Feld ist am Anfang drei Zeilen hoch, um einen gewissen Umfang an Text zu fordern, aber auch nicht größer, um den Nutzer nicht abzuschrecken. Das Feld passt die Höhe automatisch während des Schreibens an, falls der Proband mehr eingeben möchte, und verhindert so ein sonst notwendiges Scrollen innerhalb des Textfeldes. Die Kategorien sind je nach dem, ob positives oder negatives Feedback abgeben wird, verschieden. Die negativen Kategorien sind wie folgt: x x x Direkter Link zu Seite ... fehlt Der Inhalt ist unübersichtlich Bedienung ist unverständlich und kompliziert x Sprache unklar und unverständlich Ich komme nicht mehr weiter Konnte meine gewünschte Aufgabe nicht ausführen Sonstiges (freies Textfeld) Jeder Nutzer, der die Website das erste Mal besucht, wird als neuer Nutzer erkannt und mit einer eindeutigen ID versehen. Alle Seitenaufrufe werden dann gespeichert, was einerseits für die Filterung passender Testpersonen zu Beginn des Tests notwendig ist und während des Tests zur Aufzeichnung des Nutzerverhaltens. Bei den Probanden werden zusätzlich der Inhalt der Webseite und alle Interaktionen (Maus und Tastatur) chronologisch gespeichert. Mit Hilfe dieser Daten kann dann später eine Wiedergabe ähnlich einer Videoaufzeichnung rekonstruiert werden. Die Software sieht zusätzlich zu dem freiwilligen Feedback noch die Möglichkeit vor, von dem Nutzer ein Feedback zu fordern, sofern bestimmte Kriterien wie Verweildauer, Maus- und Scrollwege einen definierten Sollwert überschreiten. Damit dies nicht ständig zu einer Beeinträchtigung des Probanden führt, wirken bereits abgegebene Feedbacks oder Formulareingaben diesem Mechanismus entgegen. Hat die Testperson den Ausstiegspunkt des Tests erreicht oder diesen selber beendet, leitet der Moderator den Probanden durch den abschließenden Fragebogen. 161 Die Standardfragen basieren auf dem ISO-Norm Fragebogen (Prümper & Anft 1993), der entsprechend für Websites umformuliert wurde. Die Fragen wurden in drei Blöcke zu je zwei Abschnitten und je drei Fragen aufgeteilt. Ähnlich wie der ISO-Norm Fragebogen werden dabei die jeweiligen Abschnitte immer mit einem erklärenden Satz eingeleitet, um dem Probanden den Hintergrund der Fragen näher zu bringen. Dadurch soll eine Art Dialog zwischen der Testperson und dem Moderator vermittelt werden. Die Beantwortung der Fragen ist in fünf Stufen von absolut „nicht zutreffend“ bis „trifft zu“ aufgeteilt. Beantwortete Fragen werden grau markiert, was der Testperson eine Rückmeldung über den Stand der Beantwortung gibt. Der Proband kann auch nach Belieben zwischen den drei Seiten des Fragebogens vor- und zurückgehen. Die wichtigen Begriffe in den Fragen sind hervorgehoben, was ein schnelleres Erfassen der Aussage unterstützt. vom Probanden abgegebenen Kommentare und Bewertungen angezeigt. Abb 4: Post-Test Fragebogen x x Content-Design Informationsarchitektur Bei der ersten Auswertung handelt sich um die Ergebnisse des Fragebogens, die Rückschlüsse auf die ganze Website zulassen. Dabei werden der Mittelwert, die Standardabweichung, absolute und relative Werte pro Frage ausgegeben. Die Software bietet die Möglichkeit den Fragebogen entsprechend anzupassen, um so bei den einzelnen Tests genauere Ergebnisse bzgl. des Test- Am Ende des Tests bedankt sich der Moderator für die Teilnahme und überreicht den Gutschein. Wenn die Testperson eine Kontaktaufnahme wünscht, kann sie an dieser Stelle auch ihre EMail Adresse hinterlassen. Informationen wie wiederkehrende Besuche und Seitenaufrufe dieser Testperson werden auch weiterhin aufgezeichnet und ermöglichen so eine Beobachtung des konkreten Verhaltens dieses Nutzers über den eigentlichen Test hinaus. 3.0 Auswertung und Ergebnisse Die gesammelten Daten werden in drei verschiedenen Auswertungen auf bereitet, die sich an den drei Dimensionen einer Website orientieren. x Gesamteindruck 162 Die gesammelten Daten bzgl. Navigationswege und Bewertungen werden in einer Baumstruktur grafisch aufbereitet. Dabei ist die Wurzel die erste Seite des Tests (es kann auch jede andere Seite gewählt werden). Alle weiteren Seiten, die von dieser aus besucht wurden, werden je nach Zeitabstand und Häufigkeit weiter entfernt und mit einer dickeren Linie dargestellt. Zur besseren visuellen Erfassung sind die einzelnen Webseiten in Form von Thumbnails dargestellt und überwiegend positiv bewertete Seite mit einem grünen Hacken oder entsprechend negative mit einem roten „X“ versehen. Die Visualisierung findet dabei ebenfalls im Browser mit Hilfe eines Flash-PlugIns statt. Somit sind auch bei der Auswertung keine weiteren technischen Anforderungen notwendig und diese kann von jedem Rechner mit Internetzugang aus erfolgen. Wurde im Rahmen der Entwicklung ein Navigationsmodell erstellt, kann dieses direkt mit dem tatsächlichen verglichen werden. Abb 5: Auswertung Fragebogen ziels zu ermitteln. Die zweite Auswertung ist der Replay-Modus, in dem der Test ähnlich einem Video abgespielt wird. Dabei sind die Mausbewegungen und Tastatureingaben der Testperson zu sehen. Mausklicks werden in Form von immer (chronologisch) größer werdenden Kreisen dargestellt. Zudem können aktivierte Elemente der Webseite farblich markiert werden, um zu erkennen, welche Bereiche genutzt und welche nicht genutzt wurden. Unter dem Wiedergabefenster werden die Abb 6: Auswertung Navigationswege 4.0 Technik Um keine weiteren Anforderungen an den Rechner der Probanden zu stellen wurden als Technik nur JavaScript eingesetzt und aktivierte Cookies bei der Testperson vorausgesetzt. Ein installierter Flash-Player ist optional vorgesehen. Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 5.0 Fazit Die Software hat in ersten Tests gezeigt, dass Sie funktionieren kann. Interessant werden weitere Tests und eine genaue Evaluation der Software, auch im direkten Vergleich mit einem Labortest. Ergonomie-Norm ISO 9241/10. FHTWBerlin, Fachgebiet Wirtschaftspsychologie. Nielsen J. (1994): Ten Usability Heuristics. www.useit.com/papers/heuristic. Die gesammelten Daten können in weiteren Auswertungen noch detaillierter visualisiert werden, um z.B. die Erstellung von Klick-Maps oder ähnliche Auswertungen darzustellen. Der Ablauf des Tests spiegelt die Aspekte Beobachtung, Moderator und Feedback der Testperson wider. Das laute Denken wird durch Kategorien und ein Textfeld ersetzt. Fehlende Kontrolle durch den Testleiter und die Möglichkeit, Probleme in einem anschließenden Interview zu klären, werden durch die gezielte Auswahl an Probanden aus den realen Nutzern und eine höhere Fallzahl ausgeglichen. Abschließend lassen sich die Nachteile dieser Testmethode wie folgt aufführen: x x x Wenig Kontrolle über den Probanden Interpretationsschwierigkeiten Repräsentanzproblem Die Vorteile dagegen sind: x x x x x x x Kosten- und Zeitersparnis Leichte Rekrutierung Natürliches Nutzerverhalten Automatisierung, kein Medienbruch Unabhängigkeit von Ort und Zeit Konstante Testbedingungen Verknüpfung von quantitativen und qualitativen Daten 6.0 Literaturverzeichnis Andreasen, M. S.; Nielsen, H. V.; Schrøder, S. O.; Stage, J. (2007): What Happened to Remote Usability Testing? An Empirical Study of Three Methods. CHI 2007, San Jose, California, USA. Prümper, J.; Anft, M. (1993): Beurteilung von Software auf Grundlage der Internationalen 163 Ein Tool zur Klassifikation und Auswahl von Evaluationsmethoden im User-Centred Design Prozess Maximiliane Freymann SirValUse Consulting GmbH Schlossstrasse 8g 22041 Hamburg [email protected] Abstract Evaluation ist ein wichtiges Prozesselement im Software Engineering sowie im Usability Engineering. Um ein hohes Maß an Usability sicherzustellen, sind Evaluationsaktivitäten während der gesamten Entwicklung vonnöten. Eine Schwierigkeit liegt darin, die jeweils geeignete Evaluationsmethode herauszufinden. 1.0 Einleitung Verschiedene Ansätze beschäftigen sich damit, wie User-Centred Design (UCD) in einen existierenden Softwareentwicklungsprozess integriert werden kann. Ein wichtiger Aspekt dabei sind Evaluationsaktivitäten, die idealerweise spezifisch für verschiedenen Arten von Anforderungen aus Software Engineering (SE) und Usability Engineering (UE) sein sollten. Im SE fokussiert eine Evaluation beispielsweise auf die Überprüfung der Vollständigkeit und Korrektheit der entwickelten Lösung, im UE dient sie hingegen zur Überprüfung der Nutzbarkeit der entwickelten Lösung. Kriterien für gute Nutzbarkeit liefert beispielsweise die DIN EN ISO 9241-11, in der Effektivität, Effizienz und Zufriedenheit als grundlegende Usability-Kriterien genannt werden (DIN EN ISO 9241-11 1999). Um sicherstellen zu können, dass die entwickelte Lösung jedoch vollständig, korrekt und nutzbar ist, müssen beide Perspektiven gleichermaßen berücksichtig werden. In diesem Beitrag wird ein Tool vorgestellt, das die Auswahl von 164 Die Autorin präsentiert einen Ansatz für die Auswahl geeigneter Evaluationsmethoden basierend drei Kriterien – u.a. den Usability-Dimensionen Effektivität, Effizienz und Zufriedenheit und den Ergebnissen eines Entwicklungsprozesses. Keywords Evaluationsmethoden vereinfachen soll, indem diese zum einen basierend auf verschiedenen Kriterien klassifiziert werden und sich zum anderen am DECIDE-Framework (Preece et al. 2002) orientieren, welches eine Anleitung zur Planung und Durchführung von Evaluationen gibt. Das Tool ist ein Ergebnis der Diplomarbeit der Autorin (Freymann 2007). methoden GOMS festgestellt werden. Fragebogen bieten sich zur Messung der Nutzerzufriedenheit an. 2.0 Usability-Kriterien In der DIN EN ISO 9241-11 ist Usability definiert als "Das Ausmaß in dem ein Produkt […] genutzt werden kann, um bestimmte Ziele effektiv, effizient und zufrieden stellend zu erreichen". Es gibt in der heutigen Praxis etliche Evaluationsmethoden, die diese drei Usability-Kriterien adressieren. So kann beispielsweise die Methode des Cognitive Walkthroughs herangezogen werden, um mit Hilfe von Task Scenarios die kognitiven Prozesse beim Nutzer zu ermitteln und anhand von Modellen Experten durch den Evaluationsprozess zu leiten, um so die Effektivität einer Lösung festzustellen. Die Effizienz einer Lösung kann beispielsweise mit Hilfe der Evaluations- User Experience, User-Centred Design, Evaluation, Evaluationsmethoden Um jedoch die Usability einer Lösung sicherstellen zu können, müssen alle drei Kriterien evaluiert werden – beispielsweise durch einen inkrementellen Ansatz, bei dem die Kriterien nacheinander mit den jeweils geeigneten Evaluationsmethoden überprüft werden. 3.0 Zeitpunkt der Evaluation Der Fortschritt eines (Produkt-)Entwicklungsprozesses spiegelt sich sowohl in der jeweiligen Prozessphase als auch den (Zwischen-)Ergebnissen wider. Während jeder Phase eines Produktentwicklungsprozesses werden unterschiedliche Aktivitäten durchgeführt, die zu einer qualitativen Verbesserung oder einem quantitativen Fortschritt führen. Da diese Ergebnisse in einem iterativen Prozess Teil der späteren Entwicklung sind, folgt daraus, dass sie ebenfalls kontinuierlich überprüft werden müssen. Im Sinne einer ganzheitlichen Produktentwicklung, die sowohl SE als auch UE berücksichtigt, müssen die Qualitätsansprüche beider Disziplinen bei einer Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Evaluation gleichermaßen berücksichtigt werden. Dabei bilden Requirements den kleinsten gemeinsamen Nenner für die Entwicklung, da sie testbare Kriterien an das System darstellen. Weiterhin wird in der DIN EN ISO 13407 eine Evaluation gegen Anforderungen gefordert (DIN EN ISO 13407 1997) was bedeutet, dass diese auch für das UE die Basis für Evaluationsaktivitäten darstellen sollten. Jedoch unterscheiden sich im UE die Anforderungen abhängig vom Prozessfortschritt. Zimmermann & Grötzbach (2007) haben dazu ein Framework nutzerzentrierter Requirement-Arten entwickelt, das auf den einzelnen Phasen und Ergebnissen des Prozessmodells der DIN EN ISO 13407 basiert. Innerhalb dieses Frameworks werden drei Arten von Requirements unterschieden: Usability-, Workflow- und User Interface(UI-)Requirements. Diese drei Requirement-Arten beziehen sich auf die Ergebnisse aus den ersten drei Phasen des Prozessmodells: Context of Use, User Requirements und Produce Design Solutions. Durch die Auswahl geeigneter Evaluationsmethoden - abhängig vom Prozessfortschritt - zur Überprüfung der Arbeitsergebnisse, die den Requirement-Arten entsprechen, kann die Usability der Lösung sichergestellt und kontinuierliche Evaluation während des gesamten Produktentwicklungsprozesses vereinfacht werden. 4.0 Untersuchungsgegenstand Zusätzlich zu den Usability Kriterien und den Requirement-Arten bildet auch die Art des Untersuchungsgegenstandes ein wichtiges Kriterium. Bei der Klassifikation der Evaluationsmethoden werden drei verschiedene Kategorien von Untersuchungsgegenständen unterschieden: papierbasierte Untersuchungsgegenstände, Prototypen und Systeme. Papierbasiert meint dabei, dass für die Anwendung einer bestimmten Methode nicht notwendigerweise ein Prototyp oder ein lauffähiges System vorhanden sein müssen, sondern dass beispielsweise auf Papier dargestellte Konzepte ausreichend sind. Evaluationsmethoden auf Papier-Basis haben den Vorteil, dass sie schnell, flexibel und kostengünstig einsetzbar sind. Ein Prototyp erfordert dagegen, dass schon erste UI-Entwürfe umgesetzt sind und die Funktionalität des späteren Systems soweit lauffähig ist, dass erste Workflows durchgespielt werden können. Mit System ist ein lauffähiges System gemeint, bei dem nahezu alle Funktionalitäten umgesetzt sind. 5.0 Nutzerbeteiligung Durch die Integration von Nutzern bei der Entwicklung kann sichergestellt werden, dass ihre Sichtweisen mit berücksichtigt werden und dass somit das spätere System ihren Anforderungen genügt. Grundsätzlich sollte das Ziel sein, Nutzer so früh wie möglich in den Entwicklungsprozess mit einzubeziehen, um Probleme bei der Nutzung früh zu entdecken und somit hohe Kosten für eine spätere Nachbesserung zu vermeiden. Studien haben gezeigt, dass Tests mit Nutzern Probleme aufzeigen können, die sonst nicht entdeckt werden, und dass daher die besten Ergebnisse durch Kombination von empirischen Testmethoden und Inspektionen erreicht werden (Nielsen & Mack, 1994). Es gibt jedoch auch Fälle, in denen expertenbasierte Methoden die bessere Wahl sind. Bei diesen Methoden wenden Usability Experten ihr Wissen über Nutzer an und machen Vorhersagen darüber, wo Probleme auftauchen können. Der Vorteil dieser Art von Evaluationsmethoden liegt darin, dass die Durchführung schnell und günstig ist. Beispiele für expertenbasierte Methoden sind Heuristische Evaluation und Cognitive Walkthrough. 6.0 Aufbau des Entscheidungsbaums Es gibt also vier Dimensionen, die das Grundgerüst für den Entscheidungsbaum bilden: x x x x Usability-Kriterien aus der DIN EN ISO 9241-11 Effektivität, Effizienz und Zufriedenheit Vier nutzerzentrierte RequirementArten als Indikator für den Prozessfortschritt Art des Untersuchungsgegenstands, d. h. ob die Methode papierbasiert eingesetzt werden kann oder ob den Einsatz ein Prototyp oder ein nahezu vollständiges System benötigt wird und Nutzer-, bzw. Expertenbeteiligung Anhand dieser Dimensionen wurde eine Reihe von Evaluationsmethoden in eine Klassifikationstabelle einsortiert. Durch diese Darstellung lassen sich Evaluationsmethoden nach den verschiedenen Dimensionen Usability-Kriterien, Prozessfortschritt, Untersuchungsgegenstand und Beteiligung schrittweise auswählen. Der Anwender kann damit eine weiter verfeinerte Auswahl einer für den jeweiligen Evaluationskontext geeigneten Methode vornehmen. Zusätzlich ist ersichtlich, welche Methoden zur Überprüfung mehrerer Kriterien einsetzbar sind. Zur Vereinfachung der Verwendbarkeit wurde anschließend aus der Klassifikationsmatrix ein Entscheidungsbaum generiert. Dieser erweitert das DECIDEFramework (Preece et al. 2002). Aus dem Framework lässt sich bei der Planung einer Evaluation eine Reihe von Fragen ableiten, nach deren Beantwortung eine geeignete Evaluationsmethode ausgewählt werden kann. Die Fragen, die sich aus dem DECIDEFramework ableiten lassen, sind folgende: 165 1. Was sind die Ziele (Goals) der Evaluation? 2. Mit welchen Fragen (Questions) lassen sich die Ziele operationalisieren? 3. Was sind einzusetzende Techniken (Techniques)? 4. Was sind zu identifizierende Problempunkte (Practical Issues)? Abb. 1: Entscheidungsbaum für den Untersuchungsgegenstand Prototyp Anhand dieser Fragen und der Klassifikationsmatrix wurde der Entscheidungsbaum entwickelt, der nach Beantwortung der Fragen die für den jeweiligen Kontext geeigneten Evaluationsmethoden liefert. Alle weiteren Entscheidungsbäume finden sich online in Freymann (2008). Die Ziele (Goals) leiten die Evaluation und können mit der Frage nach Effektivität, Effizienz und Zufriedenheit als Usability-Kriterien in Beziehung gesetzt werden. Die Fragen (Questions) machen Ziele operational. Sie lassen sich auf die drei nutzerzentrierten RequirementArten Usability Requirements, Workflow Requirements und User Interface Requirements beziehen. Die einzusetzenden Techniken (Techniques) stehen in Ver- 166 bindung mit dem Untersuchungsgegenstand, d. h. Papier, Prototyp und System. Die Problempunkte (Practical Issues) beinhalten Nutzerbeteiligung und Expertise der Evaluatoren (Preece et al. 2002). 7.0 Bewertung des Entscheidungsbaums Die Nutzung des Entscheidungsbaums ist durch den an den Fragen des DECIDE-Frameworks orientierten Aufbau sehr einfach. Bei jedem Knoten im Entscheidungsbaum kann eine Entscheidung in Form von „Trifft zu“ (Ja) oder „Trifft nicht zu“ (Nein) erfolgen und dem entsprechenden Pfad gefolgt werden. Nachdem der Anwender einem Pfad durch den Entscheidungsbaum gefolgt ist, finden sich am Ende eine oder mehrere Methoden, die für eine Evaluation mit den vorgegeben Kriterien geeignet sind. Findet sich am Ende jedoch ein Kästchen mit einem Fragezeichen, gibt es aus der Menge der bisher betrachteten Evaluationsmethoden keine geeignete. In diesem Fall müssen entweder andere Evaluationsmethoden zur Hand genommen werden oder der Fokus der Evaluation soweit angepasst werden, bis eine Evaluationsmethode den Kriterien genügt. Für den Anwender ist somit nach Beantwortung der aus dem Framework abgeleiteten Fragen bereits bei der Planung die Menge der einsetzbaren Evaluationsmethoden zusammengefasst sichtbar. Zusätzlich ist schnell ersichtlich, wohin der Evaluationsfokus verschoben werden könnte, falls es für einen speziellen Kontext keine Evalua- tionsmethode aus der Menge der betrachteten Methoden gibt. Im Rahmen der Diplomarbeit der Autorin und dieses Beitrages wurden nur eine Teilmenge aller verfügbaren Evaluationsmethoden betrachtet, wobei darauf geachtet wurde, sowohl etablierte als auch neu entwickelte Methoden mit einzubeziehen. Der präsentierte Ansatz kann jedoch auch um bisher nicht untersuchte Evaluationsmethoden erweitert werden. Die vorgestellten Dimensionen bieten eine geeignete Grundstruktur, um diese Methoden zu klassifizieren. 8.0 Literaturverzeichnis DIN EN ISO 9241-11 (1999). Ergonomische Anforderungen für Bürotätigkeiten mit Bildschirmgeräten – Teil 11: Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit. Berlin: Beuth. DIN EN ISO 13407 (1999). Human-centered design processes for interactive systems. CEN - European Committee for Standardization, Brussels. Preece, J., Rogers, Y. & Sharp, H. (2002). Interaction Design – Beyond humancomputer interaction. New York, NY: Wiley. Freymann, M (2007). Klassifikation nutzerzentrierter Evaluationsmethoden im User Centered Design Prozess. Diplomarbeit. Universität Paderborn, 2007. Freymann, M (2008). Entscheidungsbäume. http://maxifreymann.de/Usability/Entscheidun gsbaum/ Zimmermann, D., Grötzbach, L. (2007). A Requirement Engineering Approach to UserCentered Design. HCII 2007. Beijing. Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 A r beitsmark t U s a bi l i t y 167 168 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Branchenreport Usability 08 Sarah Diefenbach Wirtschaftspsychologie und Mensch-Technik-Interaktion Universität Koblenz-Landau Fortstraße 7 76829 Landau [email protected] Marc Hassenzahl Wirtschaftspsychologie und Mensch-Technik-Interaktion Universität Koblenz-Landau Fortstraße 7 76829 Landau [email protected] Abstract Das Thema Usability erfährt wachsende Aufmerksamkeit und Anerkennung. Jedes größere Unternehmen beschäftigt mittlerweile Menschen mit der Aufgabe, die Gebrauchstauglichkeit seiner Produkte zu verbessern. Mit steigender Nachfrage nach „Usability Professionals“ auf dem Arbeitsmarkt steigt auch das Interesse an allgemeingültigen Standards in Bezug auf Ausbildungswege, Aufgaben und Qualitätsansprüche im Usability-Bereich. Es zählt zu den Aufgaben eines Berufsverbands an dieser Stelle Orientierung zu bieten. 1.0 Einleitung Die Umfrage zum Branchenreport Usability 08 ist bereits die dritte deutschlandweite Befragung unter Personen, die sich beruflich mit Usability beschäftigen. Gerade bei noch relativ unbekannten Berufsbildern wie dem des „Usability Professionals“ sind empirische Erhebungen dieser Art von großer Bedeutung. Bereits in der Branche Tätige können ihre persönliche Arbeitssituation besser einordnen und Personen, die sich mit dem Gedanken beschäftigen, später im Usability-Bereich arbeiten zu wollen, erlangen eine realistische Einschätzung des Berufsfelds. In erster Linie soll der Branchenreport Usability Einblicke in mögliche berufliche Laufbahnen, die Arbeitssituation und die Verdienstmöglichkeiten in der Usability Branche ermöglichen, was durch Fragen zur Person, zur Aus- und Weiterbildung, sowie zur momentanen Position und Gehalt abgedeckt wurde. Außerdem Einen Beitrag hierzu liefert der Branchenreport Usability: durch die Angaben von rund 200 Usability Professionals zu Person, Ausbildung, Arbeitssituation und Selbstverständnis kann die „typische“ Situation von Usability Professionals in Deutschland abgebildet werden. Dies ermöglicht den kritischen Vergleich der eigenen momentanen Situation mit Durchschnittswerten der Branche. Darüberhinaus können auch bislang nicht in der Branche Tätige einen Überblick über die Themen und Anforderungen der Branche erlangen. Keywords enthielt der Fragebogen dieses Jahr erstmals auch einen subjektiven Teil, in dem die Befragten durch den Grad ihrer Zustimmung zu einzelnen Aussagen ihrer persönlichen Sicht auf die Arbeitsweise von Usability Professionals Ausdruck verleihen konnten. Zum Abschluss wurden die Teilnehmer gebeten, die ihrer Meinung nach bekanntesten Unternehmen der Branche zu nennen. Insgesamt beinhaltete der Fragebogen somit die folgenden Abschnitte: fessionals’ Association, den Newsletter der Usability-Gruppe in XING, weitere Usability-Mailinglisten, sowie durch Anschreiben an Usability-Unternehmen im deutschsprachigen Raum publik gemacht. Außerdem befand sich ein Link auf die Umfrage auf der Website des German Chapters der Usability Professionals’ Association (www.gc-upa.de). x x x x x x Person Ausbildung Weiterbildung Arbeitssituation Selbstverständnis Branche 2.0 Datenerhebung Die Umfrage zum Branchenreport erfolgte mittels Online-Erhebung von Januar bis Mai 2008. Der Link zur Umfrage wurde über den Newsletter des German Chapters der Usability Pro- Usability Professionals, Ausbildung, Arbeitssituation, Einkommen, Selbstverständnis An der Umfrage teilgenommen haben in diesem Jahr 223 Personen, von denen 200 Personen alle Fragen beantwortet haben. Die Beteiligungsrate konnte somit gegenüber dem Vorjahr (185 Personen) noch einmal gesteigert werden. Diese positive Entwicklung spiegelt sicherlich das wachsende Interesse an der Branche und die zunehmende Anerkennung von Usability Professionals als eigenständigen Berufsstand wieder. Nicht zuletzt erleichtern auch die steigenden Mitgliedszahlen im Berufsverband sowie die gute Vernetzung von in der Branche tätigen Personen das Erreichen von potentiellen Umfrageteilnehmern. 169 Ergebnisse 3.0 Nachfolgend werden die Ergebnisse der einzelnen Abschnitte der Befragung beschrieben, und außerdem einige relevante Zusammenhangsanalysen dargestellt. Es wird von signifikanten Unterschieden gesprochen, wenn eine Irrtumswahrscheinlichkeit von weniger als 5% vorliegt (p < .05). Person 3.1 Wie auch im letzten Jahr sind unter den Befragten fast doppelt so viele Männer wie Frauen (62% vs. 38%)1. Das Alter der Umfrageteilnehmer liegt zwischen 23 und 62 Jahren (Durchschnitt bei 35 Jahren; md = 34). Allerdings gibt es signifikante Altersunterschiede zwischen Frauen (m = 33,05) und Männern (m = 35,33), dieselben Unterschiede gibt es dementsprechend auch bei der Berufserfahrung: Frauen sind im Durchschnitt seit 4,27 in der Usability-Branche tätig, bei Männern sind es hingegen bereits 6,89 Jahre. Ausbildung 3.2 Eine wichtige Aufgabe des Branchenreports ist, Informationen über die Ausbildungshintergründe von Usability Professionals zusammen zu tragen. Gerade für junge Menschen, die am Anfang ihrer beruflichen Ausbildung stehen und später im Usability-Bereich arbeiten wollen, ist es natürlich wichtig zu wissen: was muss ich tun, um in der Usability-Branche arbeiten zu können? Welches Studienfach erhöht die Chancen auf eine Anstellung, und welche Rolle spielt meine Ausbildung für mein späteres Gehalt? Es ist schwierig, hier klare Antworten zu finden, da es, wie die Ergebnisse dieser Befragung noch einmal verdeutlichen, (noch) keine einheitli- 1 Da die Mehrheit der Befragten männlich ist, wird im Beitrag für Angaben zu weiblichen und männlichen Usability Professionals die männliche Form verwendet. 170 che Ausbildung für Usability Professionals gibt. Dennoch können die vorliegenden Ergebnisse Entscheidungen vor Ausbildungsbeginn und die Einschätzung der persönlichen Chancen und Möglichkeiten erleichtern. Fast alle Usability Professionals (92%) haben einen akademischen Abschluss. Spitzenreiter unter den Studienfächern ist wie auch im letzten Jahr Psychologie (21%). Außerdem häufig vertreten sind unterschiedliche Design- (17%), Medien- (14%) und Informatik-Studiengänge (11%). 26% der Befragten haben eine Berufsausbildung gemacht, auch hier besteht große Vielfalt: insgesamt wurden 32 verschiedene Ausbildungen genannt, wovon sich bei einigen nur schwer ein Bezug zur Usability-Branche erkennen lässt. Der häufigste Ausbildungsberuf ist mit 6 Nennungen Mediengestalter/in. Sowohl medienwissenschaftliche Studiengänge als auch Psychologie scheinen als gute Vorbereitung auf eine Berufstätigkeit in der UsabilityBranche zu dienen. 88% der Medienwissenschaftler und 77% der Psychologen geben an, Usability-Kenntnisse bereits im Rahmen ihres Studiums erworben zu haben; unter Designern und Informatikern ist dieser Anteil mit 61% bzw. 57% etwas geringer. Neben dem Studium spielen aber auch andere Möglichkeiten zum Wissenserwerb eine wichtige Rolle: beispielsweise „Training on the job“ (92%), die Weiterbildung in Eigenregie durch Zeitschriften und Bücher (88%) oder das Internet (72%). 62% geben an, ihre Usability-Kenntnisse unter anderem durch Konferenzbesuche erworben zu haben, 56% nennen den Austausch mit Kollegen, und 25% nutzen spezifische Weiterbildungsangebote. Was die alltägliche Häufigkeit der Nutzung von Weiterbildungsangeboten angeht (Frage nach der letzten Aktivität zur Weiterbildung) so sind Konferenzbesuche (17%), Weiterbildung durch Fachzeitschriften/Fachbücher (16%) und der Besuch von Schulungen oder Workshops (15%) die häufigsten Nennungen. Abschließend kann festgehalten werden, dass der Großteil der in der UsabilityBranche arbeitenden Personen über einen Studienabschluss verfügt. Die Studienfächer sind sehr vielfältig, was beim Fehlen einer Standardausbildung auch nicht überrascht. Umso wichtiger ist die berufsbegleitende Aus- und Weiterbildung: neben „klassischen“ Aktivitäten wie das Lesen von Fachzeitschriften und Büchern sind besonders Konferenzbesuche und das Internet als Quelle für Informationsaustausch und Weiterbildung beliebt. 3.3 Momentane Position Der Großteil der Befragten (81%) arbeitet in einem Angestelltenverhältnis, etwa ein Fünftel (19%) besitzt ein Unternehmen oder arbeitet freiberuflich. Der Anteil der Arbeitszeit, der für Tätigkeiten im Bereich Usability genutzt wird, ist bei den Selbstständigen mit durchschnittlich 48% signifikant niedriger als bei den Angestellten, hier sind es immerhin 69% der Arbeitszeit. Keine signifikanten Differenzen zwischen den Angestellten und Selbstständigen gibt es hingegen beim Durchschnittsalter oder der Berufserfahrung im Bereich Usability. Im Anschluss an die allgemeinen Fragen zur Position wurden an Angestellter und Selbstständige jeweils spezifische Fragen gerichtet. Die folgenden Ergebnisse beziehen sich daher auf die jeweilige Teilstichprobe. 3.3.1 Situation der Angestellten Was die Größe des Unternehmens angeht so arbeitet der Großteil der Angestellten entweder in einem eher kleinen Unternehmen mit weniger als 50 Angestellten oder in einem sehr großen Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Unternehmen mit über 1000 Angestellten. Vergleichsweise wenige Usability Professionals (15%) sind in Unternehmen mit zwischen 100 und 500 Angestellten tätig (siehe Abbildung 1). Relative Häufigkeit 40% Unternehmensgröße 30% 20% 10% 0% 1-50 51-100 1011000 >1000 Mitarbeiter Abb.1: Unternehmensgröße Die Unternehmenszugehörigkeit beträgt durchschnittlich 4,28 Jahre (min: 0; max: 35; sd = 5,13). Interessant ist auch der Vergleich von Unternehmenszugehörigkeit und Berufserfahrung im Bereich Usability: bei gut der Hälfte (51%) übersteigt die Berufserfahrung die Dauer der Anstellung beim jetzigen Arbeitgeber, d.h. die Mehrheit der Angestellten hatte vorher schon (mindestens) einem anderen Arbeitgeber in der Branche. Für 32% handelt es sich höchstwahrscheinlich um die erste Anstellung im UsabilityBereich (Unternehmenszugehörigkeit und Berufserfahrung stimmen überein), für 17% übersteigt hingegen die Unternehmenszugehörigkeit die Berufserfahrung im Usability-Bereich. In diesem Fall zählten Usability-Tätigkeiten also nicht schon immer zum Tätigkeitsbereich, sondern kamen erst im Laufe der Zeit hinzu, was die erfreulicherweise wachsende Anerkennung und Integration von Usability bei den Unternehmen demonstriert. 31% der Angestellten tragen Personalverantwortung, wobei ein signifikanter Zusammenhang zwischen Personalverantwortung und Geschlecht besteht: männliche Angestellte besetzen eher eine Position mit Personalverantwortung als weibliche Angestellte. Dieser Zusammenhang bleibt auch dann bedeutsam, wenn der Einfluss von anderen für Personalverantwortung relevanten Variablen wie Alter, Berufserfahrung oder Unternehmenszugehörigkeit heraus gerechnet wird (partieller Korrelationskoeffizient r = .22). Wie auch im Branchenreport von 2007 lässt sich keine einheitliche Berufsbezeichnung der Beschäftigten der Usability Branchen erkennen. Zwar gibt es „Klassiker“ wie „Usability Engineer“, „Usability Consultant“ oder „User Interface Designer“, die mit Nennungen von mehr als 10 Personen zu den verbreitetsten Bezeichnungen gehören, insgesamt besteht mit 85 unterschiedlichen Bezeichnungen in diesem Punkt jedoch große Vielfalt. 3.3.2 Situation der Freiberufler und Unternehmensinhaber Die meisten der der selbstständig tätigen Usability Professionals (68%) arbeiten alleine oder mit 1 bis 2 Angestellten. Weitere 26% leiten ein kleines Unternehmen mit 3 bis 15 Angestellten, Inhaber von Unternehmen mit über 50 Angestellten bilden die Ausnahme (6% der Selbstständigen). Die mehrheitlich genannte Unternehmensbezeichnung ist „Beratung“ (55%), 21% bezeichnen ihr Unternehmen als „Agentur“, und 24% nannten andere Bezeichnungen wie zum Beispiel „Softwarehersteller“, „Design-Büro“ oder „Serviceprovider“. Die bisherige Dauer der freiberuflichen Tätigkeit bzw. des Unternehmensbesitzes beträgt zwischen 0 und 10 Jahren, wobei der Durchschnitt bei 4,12 Jahren liegt (sd = 3,01). Wie bei den Angestellten, wurde auch bei den Freiberuflern die Berufserfahrung im Usability-Bereich mit dem Andauern der momentanen Situation verglichen, in diesem Fall also das Andauern des Unternehmensbesitz / der freiberuflichen Tätigkeit bis zum heutigen Zeitpunkt: bei 21% übersteigt letzterer Wert die spezifische Berufserfahrung. Dies spricht dafür, dass der Usability-Bereich erst nach einigen Jahren Selbstständigkeit als neues Tätigkeitsfeld hinzu kam und die Beschäftigung mit Usability auch heute noch nicht unbedingt den Hauptanteil der Arbeit ausmacht. Diese Annahme wird durch die Angaben zur „Usability-Zeit“ gestützt, diese fällt mit 34% bei dieser Subgruppe vergleichsweise gering aus. Bei ebenfalls 21% stimmen die Angaben zu Berufserfahrung und Dauer der Selbstständigkeit überein, und bei 58% übersteigt die Berufserfahrung die Dauer der Selbstständigkeit, die Differenzwerte liegen hier zwischen 1 und 10 Jahren (m= 5,40; sd = 3,28). Um einen Überblick über typische Probleme und Hindernisse in der Usability Branche zu erlangen, wurden die Selbstständigen nach der ihrer Meinung nach größten Herausforderung bei der Entwicklung einer Unternehmung im Usability Bereich gefragt. Unter den vielfältigen Antworten gehen lassen sich drei grobe Kategorien erkennen. „Vermittlung der Relevanz von Usability“ scheint trotz wachsender Bekanntheit des Themas noch immer ein großes Problem zu sein, was sich beispielsweise in Äußerungen wie „zu vermitteln, dass Usability einen geldwerten Nutzen hat“, die Schwierigkeit „Usability in Präsentationen vor dem Kunden erfahrbar zu machen“ oder auch dem Problem des „beratungsresistenten Auftraggeber“ zeigt. Allerdings stellt die Vermittlung der Bedeutung von Usability nur die erste Hürde dar. Selbst wenn Usability in einem Unternehmen als relevantes Thema anerkannt wurde, genießt es häufig nur einen „vergleichsweise geringen Stellenwert“. Für Usability steht oft nur 171 3.4 Gehaltsspiegel Für den Gehaltsspiegel wurden die Angaben von insgesamt 146 der Befragten berücksichtigt. Hiervon gaben 123 Personen (überwiegend Angestellte) ihr Bruttojahresgehalt und 23 Personen (überwiegend Selbstständige) ihren üblichen Stunden- und/oder Tagessatz an. Darüberhinaus wurden einige Gehaltsangaben von der Analyse ausgeschlossen, da es sich um Extremwerte handelte, die zur Verfälschung der Ergebnisse geführt hätten (z.B. Gehaltsangaben zur Tätigkeit von Studenten als wissenschaftliche Hilfskraft). Der durchschnittliche Stundensatz der befragten Usability Professionals liegt bei 65,60 € (n=17; min = 25; max = 120; sd = 24,36), der Tagessatz beträgt durchschnittlich 563,10 € (n=13; min = 200; max = 1200; sd = 307,55), und als ungefähre Auslastung wurden 157 Tage pro Jahr angegeben (n = 14; min = 40; max = 280; sd 172 100.000 75.222 68.782 75.000 52.976 50.000 39.471 25.000 0 0-4 5-8 9-12 13-16 Berufserfahrung [Jahre] Abb.2: Gehaltsspiegel Neben der Berufserfahrung gibt es auch signifikante Zusammenhänge zwischen Einkommen und dem Alter (r = .696) sowie Einkommen und Geschlecht (Durchschnittseinkommen der Frauen: 45.134 €; Durchschnittseinkommen der Männer: 56.536 €). Eine nähere Analyse deckt auf, dass geschlechtsabhängige Gehaltsunterschiede jedoch auf den bereits diskutierten Unterschied in der Berufserfahrung zwischen männlichen und weiblichen Usability Professionals zurückgeführt werden können. Der signifikante Effekt durch Altersunterschiede bleibt hingegen auch bei Kontrolle von Unterschieden in der Berufserfahrung bestehen (partieller Korrelationskoeffizient r = .518). Obwohl Alter und Berufserfahrung ebenfalls positiv korreliert sind (r = .671), leisten beide Variablen einen unabhängigen Beitrag zur Aufklärung von Gehaltsunterschieden. Auch in Abhängigkeit vom Unternehmensstandort lassen sich Gehaltsunterschiede feststellen: wie auch aus anderen Branchen bekannt, liegen die Gehälter in den neuen Bundesländern (43.667 €) durchschnittlich fast 10.000 € niedriger als in den alten Bundesländern (52.237 €). Das durchschnittliche Einstiegsgehalt (Berücksichtigung von Personen mit Berufserfahrung 1 Jahr) liegt bei 38.228 €. Um die Bedeutung der vorherigen Ausbildung für die Verdiensthöhe zu ermitteln, wurde das Einkommen der Berufseinsteiger in Abhängigkeit vom Studienfach analysiert; als Unterscheidungskategorien dienten hier die bereits im Abschnitt „Ausbildung“ beschriebenen Studienfächer. Psychologen und Informatiker steigen mit einem durchschnittlichen Bruttojahresgehalt von rund 45.000 € auf hohem Niveau ein. Die Einstiegsgehälter von Designern und Medienwissenschaftlern liegen mit rund 34.000 € bzw. 33.000 € niedriger (siehe Abbildung 3). 60.000 Bruttojahresgehalt [€] Insgesamt gesehen scheint die Unternehmensgründung in der UsabilityBranche nicht ganz einfach zu sein. Besonders die fehlende Anerkennung der eigenen Dienstleistung seitens potenzieller Kunden stellt ein Problem dar. Auch aus Unternehmerperspektive zeigt sich also die Wichtigkeit der Vermittlung der Relevanz von Usability über die Usability-Branche hinaus“, wie es beispielsweise beim „World Usability Day“ geschieht. = 68,78). Das durchschnittliche Bruttojahresgehalt beträgt 52.179 €, wobei das Gehalt mit zunehmender Berufserfahrung signifikant ansteigt (r = .718; siehe Abbildung 2). Bruttojahresgehalt [€] ein „geringes Budget des Auftraggebers“ zur Verfügung, und „bei Terminproblemen wird Usability als erstes gestrichen“. Nicht zuletzt stellt auch die unter anderem durch das Fehlen einer einheitlichen Ausbildung begründete „Schwierigkeit der Qualitätssicherung“ ein Problem dar; dies verdeutlichen Äußerungen wie „die eigene Professionalität darstellen zu können“, „die Sensibilisierung der Kunden, was gute Usability ausmacht“ oder das „Pseudowissen“ der Konkurrenz. 45.500 44.775 40.000 34.250 32.750 20.000 0 Psy. Inf. Des. Med. Studienfach Abb.3: Einstiegsgehälter Vergleicht man diese Werte mit den für den jeweiligen Abschluss üblichen Einstiegsgehältern, so verdienen Berufsanfänger in der Usability-Branche relativ gut (UniSpiegel 1/2007). 3.5 Selbstverständnis In diesem Abschnitt wurden die Befragten um Angaben zu ihrer persönlichen Sichtweise, was „gute“ Usability Professionals ausmacht sowie um eine Selbstbeurteilung gebeten. Hierzu war zu insgesamt vier Aussagen der Grad Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 an Zustimmung auf einer fünfstufigen Skala anzugeben. Insgesamt fanden die meisten Aussagen eher Zustimmung als Ablehnung: 69% bekräftigten die Aussage „In der Anwendung der von mir eingesetzten Methoden fühle ich mich absolut sicher.“ (Grad der Zustimmung 4 oder 5). Für die Aussage „Es macht einen guten Usability Professional aus, dass er unterscheiden kann, wann es sinnvoll ist den Nutzer einzubeziehen, und wann nicht.“ war dies sogar bei 89% der Fall. Auch die Aussage „Ich weiß immer genau, an welchen Stellen der Nutzer einbezogen werden sollte.“ fand mit 79% breite Zustimmung. In ihren Vorstellungen über Anforderungen an Usability Professionals und ihrer Einschätzung der eigenen Kompetenz unterscheiden sich die Befragten also kaum. Anders sieht es aus, wenn es um das konkrete Vorgehen geht: Beim Item „Es ist wichtig, den Nutzer bei allen Arbeitsschritten einzubeziehen.“ entschieden sich vergleichsweise viele für den Skalenmittelpunkt (28%), und auch der untere Bereich der Skala wurde stärker genutzt als bei den anderen Items (siehe Abbildung 4). schätzung bekanntesten Unternehmen erfragt. Insgesamt wurden 72 unterschiedliche Unternehmen genannt. In Tabelle 1 sind die „Top 10“ der häufigsten Nennungen aufgelistet. Tab. 1: Unternehmen der Usability-Branche Relative Häufigkeit 40% 30% x 10% 0% 1 2 3 4 5 Grad der Zustimmung x Abb.4: unterschiedliche Sichtweisen 3.6 Branche Um einen Überblick über die Unternehmen der Branche in Deutschland zu erlangen, wurden die nach eigener Ein- Unternehmen 1 79 UI Design 2 67 SirValUse 3 34 SAP 4 19 E-Result 5 14 Siemens 6 13 Ergosign 7 11 Microsoft 8 10 Sapient 9 9 Eye Square 10 8 Phaydon Fazit Abschließend lässt sich die Situation von Usability Professionals in Deutschland folgendermaßen zusammenfassen: x 20% Häufigkeit 4.0 x "Es ist wichtig, den Nutzer bei allen Arbeitsschritten einzubeziehen." 50% Rang x In der Usability-Branche arbeiten in etwa doppelt so viele Männer wie Frauen. Das meist studierte Studienfach ist Psychologie, die Bezahlung für Psychologen in der UsabilityBranche ist im Vergleich zu ihren ehemaligen Kommilitonen relativ gut. Die häufigste Arbeitssituation von Usability Professionals in Deutschland ist eine Anstellung in einem großen Unternehmen mit über 100 Angestellten. Freiberufler arbeiten meist alleine oder mit 1-2 Mitarbeitern, ihre Unternehmung bezeichnen sie meistens als „Agentur“. Herausforderungen der Branche sind vor allem die mangelnde Anerkennung und geringe Investitionsbereitschaft seitens der Kunden. x Die in der Branche üblichen Einstiegsgehälter sind mit gut 38.000€ relativ hoch. Diese Auflistung von Merkmalen der „typischen“ Arbeitssituation von Usability Professionals gibt einen Überblick über die häufigsten bzw. durchschnittlichen Angaben der Befragten. Dem ist allerdings hinzuzufügen, dass diese prototypischen Angaben bei Weitem nicht die Realität aller in der Branche Tätigen abbilden können. Sie alle verbindet das gemeinsame Thema Usability, gleichzeitig gibt es aber auch viele Unterschiede, beispielsweise im Hinblick auf Ausbildung, Unternehmensgröße und Stellenwert des Themas innerhalb der beruflichen Tätigkeit. Beim Usability Professional handelt es sich um ein noch relativ junges Berufsbild; dies bringt mitunter schwierige Bedingungen mit sich, wie die Ausführungen zu Herausforderungen der Branche verdeutlichen. Andererseits bietet die sich im Wachstum befindende Branche auch großes Potenzial: Personen mit verschiedenster Ausbildung können ein neues, spannendes Tätigkeitsfeld entdecken und (fast) von Anfang an dabei zu sein. Für junge Menschen in der Ausbildungsphase eröffnen sich neue Perspektiven. Für die Zukunft wäre natürlich eine Erhöhung der Anzahl von Studiengängen und Ausbildungsmöglichkeiten mit spezifischer Ausrichtung wünschenswert. Bei all diesen Aspekten kann der Branchenreport unterstützen, indem die Relevanz des Themas, die Existenz des Berufsfelds und somit auch der Bedarf an Ausbildungsmöglichkeiten deutlich gemacht wird. 5.0 Literaturverzeichnis Uni SPIEGEL 1/07 (2007): http://wissen. spiegel.de/wissen/image/show.html?did=5051240 9&aref=image036/2007/02/12/ROUSP200700 100180020.pdf [01.06.2008]. 173 shot is a cost. Peace on our terms is the benefit. Battery evaluators see mostly costs and few benefits. 4.0 Miss! Measuring the wrong things in the wrong place at the wrong time is hard to value. There is no point in measuring efficiency or effectiveness (as task completion) if they don’t matter. UX work can be equally pointless by measuring emotions without regard for how they contribute to worthwhile outcomes within or after interactive experiences. comprehensive, lets us load, aim, fire and check the result. Designing as a human activity will always be subjective. Its norms and ethos arise from the nature of design outcomes, which “result from … decisions … Choice implies alternatives, in how ends can be achieved, and for whose advantage. … design is not only about initial decision or concepts by designers, but also about how these are implemented and by what means we can evaluate their effect or benefit” (Heskett 2002, pp. 5-6). There is limited, if any, summative value in, measures of what are means to ends. Such measures capture little of the complete means-end chains that shape how, when and why means enable ends. There are thus key design choices of: Designers are often no better, also focused exclusively on means and never firming up on ends. If designing has no clear purpose, then so too will evaluation focus on means, not ends. A development process must explicitly support and co-ordinate all four types of design choice. If not, it does not support designing, and at best is a process of creative making. Support for norms of designing can be expressed as expectations for development processes. Such expectations can be expressed in specific contexts as principles, which instantiate more general meta-principles. Six such meta-principles are necessary and sufficient to support designing’s four key choices: 5.0 Better by Designing? The lessons from the artillery example are that we must not aim before loading, and that we must be able to see our targets and know whether we have hit them. However, we cannot rely on a remote battalion HQ to tell us where to aim and whether we are hitting the target. We need to combine the battery and the battalion HQ in an integrated approach to design management. UX must be an integral part of development, but when integrated into the wrong process, poor UX downstream utility gets blamed for upstream futility (Cockton 2007). UX can’t be expected to fit into any development process and deliver regardless. Development has to be open to designing to let UX effectively support development of worthwhile digital products. Designing, if and when 174 1. 2. 3. 4. 1. 2. 3. 4. 5. 6. Means from alternatives Ends (design purpose) Beneficiaries (stakeholders) Means of evaluation Commitment Receptiveness Expressiveness Inclusiveness Credibility Improvability These meta-principles are holistic. Commitment requires project teams to overtly select means, ends, beneficiaries and evaluations. Receptiveness requires being creatively open to alternative means, ends, beneficiaries or evaluation methods. Expressiveness requires effective representation of chosen means, ends, beneficiaries and evaluations, associations between intermediate means, and between terminal means and ends. Credibility needs feasible means, genuine ends for beneficiaries, relevant evaluations, and plausible linking associations within means-end chains. Improvability needs measurable means and ends, evaluation instruments to measure them, targets to hit, and chances for more inclusiveness and (recursively) more improvability. Inclusiveness requires moral or ethical justification of inclusion and exclusion of stakeholders; for included stakeholders, costs arising from chosen means must be justified, as must benefits associated with chosen ends, and also the ability of chosen evaluations to properly assess the balance of worth resulting from achievable benefits given likely costs. Project teams can partially instantiate these six demanding meta-principles via an appropriate framework. It is only within specific development contexts that principles can be fully instantiated. A Worth-Centred Development (WCD) framework is evolving to support partial instantiation of the six meta-principles. It is worth-centred, because it constructs designing as the creation of worth, and not just of value or of artefacts. Many credible value propositions fail because they do not offer sufficient value to offset a wide range of costs. Price is one cost, but others may be more important, such as the cost of usage, ownership, integration of substitution. The latter two costs are particularly important for digital products and services, which must have good synergies within existing productservice ecosystems. Also, switching costs must be acceptable. Together, these costs can make even the most apparently valuable design not worth it. Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 U sability Pra x i s I I 175 176 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Erste methodische Erkenntnisse zur Usability-Analyse von Video-Inhalten auf Websites mittels Eyetracking Sven Pagel Fachbereich Wirtschaft Fachhochschule Düsseldorf Universitätsstraße 40225 Düsseldorf [email protected] wirtschaft.fh-duesseldorf.de Sebastian Goldstein Fachbereich Wirtschaft Fachhochschule Düsseldorf Universitätsstraße 40225 Düsseldorf [email protected] wirtschaft.fh-duesseldorf.de Alexander Jürgens Fachbereich Wirtschaft Fachhochschule Düsseldorf Universitätsstraße 40225 Düsseldorf [email protected] wirtschaft.fh-duesseldorf.de Abstract Die zunehmende Verbreitung von VideoInhalten auf Websites erfordert spezifische Untersuchungen zur bewegtbildorientierten Web-Usability. Bei derartigen Inhalten ist je nach ihrem Zweck zwischen originären und additiven Videos zu unterscheiden. 1.0 Einleitung Websites sind aus technischer Sicht nicht zuletzt aufgrund wachsender Zahlen von Breitband-Anschlüssen (Van Eimeren & Frees 2007, 365) heute durch den zunehmenden Einsatz von Bewegtbild-Material wie Videos, Flash u.ä. geprägt. Darüber hinaus haben Bewegtbilder aus psychologischer Sicht aufgrund des sog. Orientierungsreflexes einen hohen Aufmerksamkeitswert (Wirth 2004, 129). Dieser Artikel soll einen Beitrag zur wissenschaftlich fundierten und zugleich praxisnahen Diskussion der akuten Anforderungen der Web-Usability bei der Verwendung von Bewegtbild-Inhalten leisten. Der Text basiert auf aktuellen Forschungsergebnissen des Forschungsschwerpunkts Kommunikationsforschung der Fachhochschule Düsseldorf. Hierbei wird auf die Erkenntnisse aus Studien über die Wahrnehmung und Nutzung von Bewegtbild-Stellenanzeigen in Jobbörsen, von Videos in Online-Zeitungen und User-Videos auf TV-Websites zurückgegriffen. Im Fokus stehen somit technische, redaktionelle und wahrnehmungspsychologische Er- Ausgewählte Website-Beispiele mit Videos aus der Medien- und Marketingkommunikation werden deshalb hinsichtlich Angebot und Nutzung untersucht. Hierzu wird ein methodisches Untersuchungsraster der Handlungsprozesse entwickelt. Keywords kenntnisse über Nutzung und Usability von Bewegtbild-Inhalten wie Videos. Teil des Angebots von YouTube und anderen Video-Hostern bzw. VideoCommunities aus und sind teilweise der Medienkommunikation zuzuordnen, da hier Laien parajournalistisch tätig sind (Neuberger 2002, 310). 2.0 Angebot und Nutzung von Bewegtbildern Das Angebot an Bewegtbildern im World Wide Web ist mannigfaltig. Aus technischer Sicht lässt es sich u.a. in Flash-Formate, Video-Formate wie H.264 oder Windows Media Video unterteilen. Videos können per Streaming oder Download abgerufen werden. Im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehen Video-Clips. In Abhängigkeit des jeweiligen Anbieters lassen sich redaktionelle, werbliche und nutzergenerierte Videos differenzieren, die informativen oder unterhaltenden Inhalt haben können. Redaktionelle Video-Clips finden sich beispielsweise auf den Websites von Fernsehsendern oder Onlinezeitungen (Medienkommunikation). Werbliche Clips werden z.B. über Portale wie www.autofernsehen.de zur Verfügung gestellt, als Pre-Roll-Spot in andere Videos auf beliebigen Websites eingebunden oder durch virale Formen verbreitet (Marketingkommunikation). Nutzergenerierte Clips machen einen Eyetracking, Bewegtbild, Video, Medienkommunikation, Marketingkommunikation Hinsichtlich der Einbindung in die Websites lässt sich eine weitere Unterscheidung identifizieren. So sind originäre Bewegtbilder der eigentliche Zweck einer Website wie z.B. bei YouTube oder Online-Mediatheken, während additive Bewegtbilder multimediale Zusatzinformation zu einer Textanzeige beispielsweise in einem Stellenportal darstellen. Gesamt weiblich männlich 14-19 J. 20-29 J. 30-39 J. 40-49 J. 50-59 J. ab 60 J. Audio Video 2006 2007 2006 2007 12 14 7 14 8 10 3 8 15 18 11 19 32 39 22 46 15 28 10 24 12 11 7 9 6 6 3 3 2 3 2 7 2 2 1 2 Basis: Onlinenutzer ab 14 Jahre in Deutschland (2007: n=1.142) mindestens einmal wöchentlich, in % Abb 1: Abruf von Audio-/Videodateien (Van Eimeren & Frees 2007, 370) 177 Die Nutzung von Videodateien im Internet hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Während 2006 erst sieben Prozent der Onliner mindestens einmal wöchentlich Videodateien abgerufen haben, lag dieser Wert ein Jahr später bereits bei 14 Prozent (Van Eimeren & Frees 2007, 370). Der Handlungsprozess beim Videoabruf auf einer Website geschieht in den folgenden drei Schritten. Zunächst muss die reine Existenz des Videos bzw. von dessen Icon (siehe Abbildung 4) oder anderen Interaktionsschnittstellen auf der Website durch den Nutzer bewusst wahrgenommen werden. Vor der Aufmerksamkeit als aktive Zuwendung liegt die Wahrnehmung als Erfassung der Umwelt (Goldstein 2002, 5). Bei additiven Video-Inhalten geschieht dies vermutlich langsamer als bei originären Video-Inhalten (1. Aufmerksamkeit auf Video). Fühlt sich der Nutzer angesprochen, erfolgt im nächsten Schritt die Betrachtung der Videos. Dies kann über die Sinnesmodi Akustik und/ oder Visualisierung erfolgen. So wäre durchaus denkbar, dass Videos nur im Hintergrund abgespielt werden. Relevant ist zudem die Informationsverarbeitung durch den Betrachter (2. Visuellakustische Verarbeitung des Videos). Ergänzend ist die Navigation in den Videos entscheidend, die u.a. von der Player-Funktionalität abhängig ist (3. Interaktion mit Video). Zwischen der Verarbeitung und der Interaktion bestehen reziproke Interdependenzen. Diese Logik lehnt sich am dreistufigen Handlungsprozess in der MenschComputer-Interaktion an, aus erstens der Intention, ein Ziel zu erreichen, zweitens der Durchführung einer Handlung und drittens der Steuerung der Durchführung (Dahm 2006, 88). Aus psychologischer Sicht sind Aufmerksamkeit, Informationsselektion und Informationsverarbeitung relevant (Bente 2004, 302). 178 3.0 Methodik zum Eyetracking von Videos Die Untersuchung von Videos mittels Eyetracking kann an diesem Nutzungsprozess anknüpfen. Zunächst gelten für Eyetracking Untersuchungen von Video-Angeboten dieselben methodischen Anforderungen wie an andere Usability-Tests (Schweibenz & Thissen 2003, 76). Neben der reinen, quantitativen Blickregistrierungsanalyse sollten im Anschluss auch qualitative Daten (mittels Befragungen oder Posttest-Fragebögen) erhoben, um die jeweilige Wirkung gestützt oder ungestützt ermitteln zu können. Von einem Methodenmix (Erhebung qualitativer und quantitativer Daten) während des Eyetrackings sollte möglichst abgesehen werden (Arndt 2006, 257). Qualitative Daten sollten bei Eyetracking-Untersuchungen möglichst ex-post erhoben werden, denn periaktionale Evaluationsverfahren wie die klassische Methode des Lauten Denkens induzieren eine verzerrende Wirkung auf die Blickdaten. Der kognitive Aufwand dieser Methode behindert das natürliche Nutzungsverhalten von Web-Angeboten (Arndt 2006, 257). Alternativ könnte die postaktionale Methode des Lauten Denkens (auch Retrospective Testing genannt) angewendet werden. 3.1 Technische Spezifika des Eyetrackings von Videos 3.1.1 Testvorbereitung Sind bei Eyetracking-Studien additive Bewegtbilder Untersuchungsgegenstand, müssen zunächst ausreichend geeignete zielgruppenbezogene Videos identifiziert werden. Bei einer durch den Forschungsschwerpunkt durchgeführten Untersuchung von Video-Stellenanzeigen war beispielsweise zunächst eine Differenzierung nach Angeboten für Wirtschaftswis- senschaftler, Ingenieure und Sozialwissenschaftler vorgesehen, um unterschiedliche Nutzer-Charakteristika zu erfassen. Die Berücksichtigung von sozialwissenschaftlichen Jobsuchenden war allerdings nicht möglich, weil derartige Stellenanzeigen derzeit in den einschlägigen Job-Portalen gar nicht mit ergänzenden Videos angeboten werden. 3.1.2 Testdurchführung Bei der Testdurchführung ist insbesondere die kombinierte Datenaufzeichnhrunder Videos mit EyetrackingInformationen die zentrale Herausforderung. Videospezifische Probleme hierbei sind u.a. die Größe des BewegtbildContents. Bei relativ kleinen Bewegtbildern z.B. in Thumbnail-Größe (ca. 100x80 Pixel) entspricht die Größe des Bewegtbildes ungefähr dem fovealen Bereich des Auges -1 bis 2 Grad um die Sehachse oder 1 bis 5 Grad des Blickwinkels (Duchowski 2002, 17)-, also dem Bereich auf dem Monitor,nder vom Auge scharf gesehen wird (bei einem normalen Sehabstand von 50 cm zum Bildschirmgerät beträgt dieser Bereich ungefähr 3 cm²). Diese Deckhrunhat zur Folge,ndass für die Informationsaufnahme von Bewegtbildern keine Sakkaden nötig sind. Folglich verlängern sich die Fixationen auf diesen Bereich. Diese längeren Fixationen sind jedoch hinderlich für die Auswertung. Um Fixationen sichtbar zu machen, werden diese als rote Punkte über den Stimuli gelegt. Der Durchmesser der roten Fixationspunkte entspricht dabei der Fixationslänge. Folglich können lange Fixationen auf eine Koordinate den dahinter liegenden, dynamischen Inhalt so verdecken, dass eine Auswertung nicht mehr möglich ist. Diese Problematik ist auch bei Eyetracking-Untersuchungen von Games (insb. Ego-Shootern und Rennspielen) vorhanden, da bei diesen Spielen oftmals ebenfalls eine längere Fixierung Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 auf bestimmte Bildschirmkoordinaten erfolgt. Abb 2: Stellenzeige mit integriertem Video (www.stellenanzeigen.de) (Pagel & Goldstein 2008) Ein weiteres videospezifisches Problem stellen die Video-Player dar. Diese externen oder integrierten Video-Player nutzen für die Steuerung oftmals Tastatureingaben, die bereits von der Aufzeichnungs- und -steuerungssoftware belegt sind. Beispielsweise ist bei Tobii Studio die Esc-Taste für den Testabbruch vorgesehen. Beim Flash-Player wird diese Taste jedoch benötigt, um den Vollbildmodus zu verlassen. Versucht ein Proband während des Tests, den Vollbild-Modus durch Drücken der Esc-Taste zu verlassen, erfolgt unweigerlich der Testabbruch. 3.1.3 Testauswertung Methodische Fragen bei der Testauswertung von Blickregistrierungsstudien von Video-Inhalten sind die folgenden. In Abhängigkeit der Größe des Player-Fensters sind Heatmaps nur bedingt aussagefähig, weil die Fixationen der Probanden im Video-Fenster nur bedingt differenziert werden können. Problematisch gestaltet sich die Auswertung von dynamischen Inhalten, wie diese bei Bewegtbildern immanent sind. Gängige Auswertungstools, z.B. Tobii Studio, sind nur in der Lage, statische Stimuli automatisch zu analysieren. So- mit sind Gaze-Plots und Heatmaps nicht aussagekräftig, da sich diese auf einen statischen Content beziehen. Gelöst werden kann diese Problematik derzeit nur durch eine manuelle Auswertung. So kann mit Hilfe einer Replay-Analyse ermittelt werden, welche Inhalte des Bewegtbildes ein Proband betrachtet hat. Diese Methode gestaltet sich jedoch als überaus aufwändig, da die Probanden die Bewegtbildinhalte in der Regel zu unterschiedlichen Aufzeichnungszeitpunkten gestartet und ihre Aufmerksamkeit mit anderen Informationsquellen geteilt haben. Daraus folgt, dass für jeden Probanden die Blickdaten auf das Bewegtbild Frame-für-Frame ermittelt werden müssen. Sind diese Daten ermittelt, können für jedes Frame die Blickdaten entsprechend der anvisierten Zielgruppen kumuliert werden. 3.2 Redaktionelle Spezifika des Eyetrackings von Videos Anbieter können Videos in unterschiedlichen Formen (Insite, Pop-up oder Microsite), Abspielmechanismen (mit und ohne Autostart), Formaten und Bitraten in ihre Websites einbinden. Diese redaktionelle Entscheidung liegt bei ihnen und wird nur bei der Bereitstellung mehrerer Alternativen teilweise an den Nutzer übertragen. Hieraus ergeben sich Konsequenzen für die Zielsetzung und methodische Durchführung von EyetrackingUntersuchungen von Video-Inhalten. Gemäß des oben dargestellten Nutzungsprozesses muss in UsabilityStudien zunächst zutage gefördert werden, welche der Einbindungsformen von welchen Nutzern präferiert werden. Darüber hinaus ist zu fragen, ob die Inhalte der Videos den Nutzern einen Mehrwert bieten. 3.3 Psychologische Aspekte des Eyetrackings von Videos Das Nutzungsverhalten der Probanden bei Videos in Websites kann anhand des Nutzungsprozesses u.a. mit den folgenden Kriterien untersucht werden (vgl. zu Kriterien des Eyetrackings Bente 2004 und Kempter & Dontschewa 2007). 1. Aufmerksamkeit auf Video x Insbesondere bei additiven Bewegtbildern: erstmalige Wahrnehmung (in Sekunden) als Maß der Auffälligkeit x Alternativ auch erstmalige Wahrnehmung (in Fixationsrang) 2. Visuell-akustische Verarbeitung x Durchschnittliche Betrachtungsdauer als Maß der Komplexität x Ausschließliche versus parallele Nutzung mit anderen Elementen dieser oder anderer Websites 3. Interaktion mit Video x Präferenz der Nutzer für Abspielmechanismen (z.B. mit versus ohne Autostart) x Präferenz der Nutzer für Darstellungsformen x Verständnis der Nutzer für die gewählte Navigationslogik im Video 4.0 Erste Forschungsergebnisse Da Bewegtbilder in zahlreichen thematischen Kontexten auf unterschiedlichsten Websites angeboten werden, wurde durch den Forschungsschwerpunkt Kommunikationsforschung eine bewusste Auswahl getroffen. Bisherige Untersuchungen konzentrieren sich deshalb auf Video-Inhalte in der Medienkommunikation (Online-Zeitungen, TV-Websites, Online-Mediatheken) und in der Marketingkommunikation (Personalmarketing mit Stellenanzeigen). Für 179 die Bewertung der Usability von Bewegtbildern scheint insbesondere von Wichtigkeit, ob es sich um Videos mit einem originären Informationsgehalt für die jeweilige Website oder um additive Bewegtbilder handelt. 4.1 Originäre Bewegtbilder Originäre Video-Inhalte sind seltener zu finden als additive. Natürlicher Anbieter sind die Medienunternehmen. Als beispielhafter Untersuchungsgegenstand sind hier deshalb OnlineMediatheken von Fernsehsendern geeignet. In Vorbereitung von diesbezüglichen Usability-Tests wurde in einem ersten Schritt die Entwicklung der Mediatheken von ARD, ARTE, ProSieben, RTL und ZDF untersucht (Pagel 2008). Dabei stellte sich heraus, dass nutzerspezifische Anforderungen der Usability beim Aufbau von Mediatheken noch keine besondere Berücksichtigung seitens der Medienunternehmen fanden. Nach dieser ersten Analyse der vorhandenen Angebote ist in einem zweiten Schritt die Nutzung zu untersuchen. Die (1) Aufmerksamkeit auf die Videos tritt hier in den Hintergrund, da der Nutzer ohnehin entsprechende BewegtbildAngebote auf diesen Websites erwartet. Denn diese stiften den Kernnutzen der Mediatheken. Dies lässt auch vermuten, dass die (2) Nutzung durch User in fokussierter Betrachtung geschieht. Bei der (3) Interaktion werden Navigationselemente weitgehend dynamisch eingeblendet und traditionelle vom Zuschauer gelernte Fernseh-Gewohnheiten mit den interaktiven Möglichkeiten des Videos kombiniert (Schmidt 2008, 161). 4.2 Additive Bewegtbilder Additive Videos wurden sowohl in der Medien- als auch in der Marketingkommunikation untersucht. Im Feld der Medienkommunikation wurden redaktionelle Inhalte anhand von Videos in Onli- 180 ne-Zeitungen betrachtet sowie nutzergenerierte Inhalte anhand von User Generated Content auf TV-Websites. Im Feld der Marketingkommunikation wurden als beispielhafter Untersuchungsgegenstand VideoStellenanzeigen herangezogen. Auch bezüglich der additiven Bewegtbilder wurde zunächst das bestehende Angebot in den Fokus genommen. So ist der Einsatz von ergänzendem Video-Material bei Online-Zeitungen bereits stark verbreitet. Von 123 in einer Marktanalyse empirisch untersuchten Online-Zeitungen bieten 67 tatsächlich Video-Inhalte an (Gerhards & Pagel 2008a, 169). Eine einheitliche Navigationssystematik hat sich dabei noch nicht durchgesetzt. Stattdessen finden sich Video-Verteilseiten in der ersten und zweiten Navigationsebene, in der Metanavigation, als BannerTeaser, als Content-Link und in diversen Mischformen. Navigation zum Videoangebot 0 = keine Erreichbarkeit über Startseite, nur vereinzelte Videos 1 = Rubrik in erster Navigationsebene 2 = Rubrik in zweiter Navigationsebene 3 = Rubrik in Metanavigation 4 = Bannerteaser 5 = Link im Content-Bereich 6 = Angebot mehrerer Rubriken 7 = Sonstiges Summe (inkl. Doppelnennungen) Regionale Überregionale Anbieter Anbieter (n=67) (n=8) Absolut Relativ Absolut Relativ 0 0,0% 20 29,9% 30 44,8% 8 11,9% 20 29,9% 14 20,9% 5 7,5% 0 0,0% 97 144,8% dung von nutzergenerierten Videos auf TV-Websites allerdings noch zurückhaltend. Nur vier der untersuchten TVUnternehmen bieten auf ihren SenderWebsites nutzergenerierte Video-Inhalte an (Gerhards & Pagel 2008b). Im Feld der Marketingkommunikation wurde beispielhaft das Personalmarketing mittels Video-Stellenanzeigen ausgewählt (Pagel & Goldstein 2008). Das Angebot wurde im Rahmen einer unternehmensbezogenen Projektarbeit identifiziert. Die Nutzung von Videos wurde durch den Forschungsschwerpunkt anschließend in Form einer Blickregistrierungsstudie untersucht. Im Mai und Juni 2008 wurden hierzu knapp 20 studentische Probanden aus den drei Fachbereichen Wirtschaft, Medien und Maschinenbau mit jeweils thematisch passenden Stellenanzeigen konfrontiert. Diese waren in unterschiedlicher Form mit Videos kombiniert. Teilweise waren die Videos in einem Insite-Player eingebunden, teilweise auch nur mit einem Fotooder Grafik-Icon gekennzeichnet. 1 12,5% 2 25,0% 2 25,0% 2 25,0% 1 12,5% 3 37,5% 1 12,5% 0 0,0% 12 150,0% Abb 3: Navigationswege zu Videos bei Online-Zeitungen (Gerhards & Pagel 2008a, 172) Neben redaktionellen und werblichen Video-Clips sollen vor dem Hintergrund des zunehmenden Social Networkings wie oben erwähnt auch nutzergenerierte Video-Clips Berücksichtigung finden. Diese wurden auf 24 TV-Websites untersucht (Gerhards & Pagel 2008b). Es wurde auch bei dieser Form von Video-Inhalten gemäß der obigen Systematik die Analyse von Bewegtbildern mit einer Auswertung des vorhandenen Angebots begonnen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Einbin- Abb 4: Foto-Icon (http://www.jobware.de/ Administration/view/pics/viewer_button_ jobtv.gif) Anhand des dreigliedrigen Schemas des Nutzungsprozesses lassen sich die Erkenntnisse darstellen. Die (1) Aufmerksamkeit auf die zusätzlichen Videos von Text-Stellenanzeigen ist höher, wenn seitenintegrierte Videos eingesetzt werden. Foto-Icons werden von den Probanden kaum wahrgenommen und dementsprechend auch nicht als Symbol für zugehörige Video-Inhalte erkannt. Die (2) Nutzung von Bewegtbildern in Stellenanzeigen ist gemäß dieser ersten Untersuchung durchaus im Interesse der Personal-Verantwortlichen in den Unter- Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 nehmen. Denn Bewegtbilder haben tendenziell eine positive Wirkung auf die Einstellung der Probanden zum Unternehmen. Additive Bewegtbilder werden somit als Informationsquelle angenommen. Zudem wird der Inhalt der Bewegtbilder bei einer Mehrzahl der Probanden auch ungestützt erinnert, sie haben also eine positive Erinnerungswirkung. Auch erste Erkenntnisse zur (3) Navigation in Video-Stellenanzeigen konnten gesammelt werden. Einige der untersuchten Stellenanzeigen wurden mit Autostart offeriert, andere Vergleichsanzeigen ohne. Automatisch startende Bewegtbilder wurden in diesem Test von den Probanden in der anschließenden Befragung mehrheitlich abgelehnt. Vermutlich werden automatisch startende Videos als störend wahrgenommen und behindern die Informationssuche. Viele Probanden haben die Videos sprunghaft genutzt, d.h. sie haben anhand der Timeline navigiert. Das Fehlen dieser Vorspulmöglichkeit in einigen Videos empfanden sie als störend. Somit erwarten die Probanden grundlegende PlayerEigenschaften wie Start, Stop, Timeline, Verbleibende Zeit, Lautstärke, Vollbild. 5.0 nach den drei Schritten Aufmerksamkeit auf, Verarbeitung von und Interaktion mit Videos differenziert. Für die ausgewählten Beispiel-VideoInhalte in den spezifischen Themenfeldern lässt sich damit festhalten: Die (1) Aufmerksamkeit auf additive VideoInhalte wird am ehesten über seitenintegrierte Videos erreicht. In der (2) Verarbeitungsphase werden Videos als Informationsquelle verwendet und deren Inhalte bleiben – in einer Stellenanzeigen-Analyse – auch ungestützt in Erinnerung. Im engen Feld der Marketingkommunikation des Personalmarketings werden hinsichtlich der (3) Interaktion automatisch startende Videos als störend wahrgenommen. Die Untersuchung von Bewegtbildern in Websites stellt ein unüberschaubares Terrain dar. Für zahlreiche thematische Anwendungsfelder und unterschiedliche Arten von Websites sind über die hier untersuchten ausgewählten Beispiele der Medien- und Marketingkommunikation hinausgehend entsprechende Usability-Analysen erforderlich. Das hier vorgeschlagene methodische Untersuchungsraster kann dabei von Nutzwert sein. Fazit und Ausblick Die zunehmende Verbreitung von Bewegtbildern auf Websites macht auch deren intensive Analyse im Rahmen der Web-Usability erforderlich. Nach dem Zweck des Einsatzes von Videos wurde in der vorliegenden Untersuchung in originäre und additive Videos unterschieden. Betrachtet wurden diese in ausgewählten Beispielfeldern der Medien- sowie der Marketingkommunikation. Für alle fokussierten Beispiele wurden zunächst die Angebote von Videos identifiziert und nach Möglichkeit in einem zweiten Schritt die Nutzung näher analysiert. Erste methodische Erkenntnisse bei der Durchführung von VideoEyetracking-Tests wurden systematisch Literaturverzeichnis Arndt, H. (2006): Integrierte Informationsarchitektur. Springer: Berlin. Bente, G. (2004): Erfassung und Analyse des Blickverhaltens. In: Mangold, R.; Vorderer, P.; Bente, G. (Hrsg.): Lehrbuch der Medienpsychologie. Göttingen: Hogrefe, S. 297-324. Dahm, M. (2006): Grundlagen der MenschComputer-Interaktion. München: Pearson. Duchowski, A.T. (2002): Eye Tracking Methodology. Theory and Practice. Springer: London. Fischer, P.; Geisler, J. 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Wirth, Th. (2004): Missing Links, 2., erweiterte Auflage. München: Carl Hanser Verlag. 181 User Experience und Social Shopping Torsten Bartel usability.de Ilse-ter-Meer-Weg 4 30449 Hannover [email protected] www.usability.de Gesine Quint usability.de Ilse-ter-Meer-Weg 4 30449 Hannover [email protected] www.usability.de Sarah Nicolai usability.de Ilse-ter-Meer-Weg 4 30449 Hannover [email protected] www.usability.de Steffen Weichert usability.de Ilse-ter-Meer-Weg 4 30449 Hannover [email protected] www.usability.de Abstract Social Shopping wird im Web als ein wesentlicher Trend im E-Commerce propagiert. Inwieweit Online-Shops, die einen Schwerpunkt auf CommunityFeatures und damit auf den Austausch der Benutzer untereinander legen, eine positive User Experience mit sich bringen, wurde in der aktuellen Studie von usability.de erhoben. 1.0 Einleitung In einer breit angelegten Studie wurde untersucht, wie es um die User Experience von deutschen Social Shopping Sites steht. Bei diesem neuen Trend des Online-Einkaufs steht neben Produkt und Preis vor allem der Community-Gedanke und damit der Austausch der Benutzer untereinander im Vordergrund. Wie beim Einkaufsbummel mit Freunden, wird auch das Einkaufen im Internet zu einem sozialen Erlebnis, bei dem die Benutzer sich gegenseitig austauschen und beraten. Der „Social Shopper” bewertet und kommentiert Artikel, veröffentlicht Listen mit seinen Lieblingsprodukten und lässt sich von anderen Shoppern inspirieren: „Welche Kette soll ich meiner Freundin kaufen?“, „Was halten andere Benutzer von der Qualität dieses Produkts?“, „Welche Marken finden die anderen Benutzer gut?“, „Wer kennt den günstigsten Preis?“ Während beim Einkaufen im Internet zunächst vor allem die gute Produktsuche und mehr Preistransparenz im Vordergrund standen, verändern sich die Ansprüche der Kunden zunehmend. Die User werden zu aktiven Konsumenten, die selber bewerten, testen, emp- 182 Hierzu wurden 1000 Benutzer befragt und 32 User Experience Tests an vier deutschen Social-Shopping-Plattformen durchgeführt. Der vorliegende Beitrag stellt Aufbau und ausgewählte Ergebnisse dieser Untersuchung vor. Keywords fehlen, kommentieren oder eben auch Produkte anbieten. Die Rollen sind nicht mehr klar getrennt, die Kunden von morgen wollen mitgestalten und erwarten mehr und mehr ein individuelles Einkaufserlebnis. Ein Teil der Vorteile, die eher dem stationären Handel zugeschrieben werden, wie gute Beratung, Interaktion und Kommunikation mit Menschen, wird immer stärker in das Medium Internet transportiert. Die Integration von Community Features bietet Online Shops enorme Möglichkeiten. 1000 Online-Shoppern durchgeführt. Zwei übergeordnete Fragestellungen standen dabei im Vordergrund: Neben dem großen Potential bringt der aus den USA kommende Trend des „Einkaufens mit Gemeinschaftsgefühl“ (focus.de, 12.2.2008) auch einige Herausforderungen bei der Einführung neuer Bedienkonzepte und der Integration von Web2.0-Elementen in Online Shops mit sich. Wie sich das auf die User Experience auswirkt, wurde in der Studie „User Experience und Social Shopping“ von usability.de untersucht. 2.0 Studiendesign Im Zeitraum Januar bis März 2008 wurden 32 User-Experience-Tests und eine begleitende Online-Umfrage mit User Experience, Social Shopping, Community, Usability, Web 2.0, Shopping 2.0, E-Commerce, usability.de 1. Wie werden Web-2.0-Elemente wie Tags und Bewertungsfunktionen von deutschen Online-Shoppern bisher wahrgenommen und genutzt? 2. Wie kommen Social Shopping Websites bei den Benutzern an und wie können Web-2.0-Elemente in OnlineShops so umgesetzt werden, dass sie leicht bedienbar sind und den Nutzer optimal beim Online-Einkauf unterstützen? 2.1 Aufbau der Online-Befragung Um die Frage nach dem bisherigen Shopping-Verhalten und dem Nutzen einzelner Shop-Elemente in bestehenden Online-Shops zu klären und die Erwartungen von Benutzern an neue Arten des Online-Shoppings zu erheben, wurde eine ca. 10-minütige OnlineBefragung unter 1.000 deutschen Online-Shoppern durchgeführt. Befragt wurden Personen, die regelmäßig online einkaufen und außerdem Online Communitys nutzen. Die Stichprobe ist damit an die Zielgruppe der Social-Shopping-Plattformen angelehnt, bei denen es, außer auf den Ein- Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 kaufsprozess, vor allem auf die aktive Beteiligung und Vernetzung der Nutzer untereinander ankommt. Folgende Kernfragestellungen geben den Aufbau der Befragung wieder: 1. Online-Verhalten: Wie aktiv sind Nutzer beim Online-Shopping und in Online-Communitys? Welche Websites nutzen sie? 2. Kaufverhalten: Welche Strategien verfolgt der Nutzer beim OnlineKauf? Unter welchen Voraussetzungen werden Produkte eher gezielt gesucht, wann steht das Stöbern im Vordergrund? 3. Wahrnehmung von Social-ShoppingElementen: Wie nimmt der Nutzer generell Elemente wie Bewertungen, Tagging oder Vernetzung mit anderen Shoppern wahr? 4. Für welche Produktkategorien sind Social-Shopping-Elemente wie wichtig? 2.2 Aufbau User-Experience-Tests Um die wirkliche Interaktion der Benutzer mit einer Social-ShoppingPlattform einzufangen, wurden zusätzlich zur Online-Befragung 32 UserExperience-Tests an vier deutschen Social Shopping Sites im Usability Lab von usability.de durchgeführt. Dabei wurden neben Usability Faktoren wie Glaubwürdigkeit, Spaß (Joy of Use) sowie emotionale und ästhetische Faktoren berücksichtigt. Bei der Auswahl der zu testenden Websites stand im Vordergrund, dass alle Websites vergleichbare Web-2.0-Elemente enthalten. Als die wichtigsten oder am häufigsten eingesetzten Elemente wurden nach einer Analyse internationaler Social-ShoppingPlattformen die Folgenden identifiziert: • • • • • Kommentarfunktion Bewertungsfunktion Produktlisten (Merk-/Wunschlisten) Tagging (Schlagwort-Vergabe) Profilinformationen (z.B. Fotos, Hobbys, Interessen) • Freundeslisten Vor diesem Hintergrund wurden vier innovative deutsche Social Shopping Websites als Testobjekte ausgewählt: • www.dawanda.de • www.dealjäger.de • www.edelight.de • www.smatch.com Bei den User-Experience-Tests wurden die Teilnehmer in Einzelsitzungen gebeten, sechs typische Aufgaben auf der jeweiligen Website zu bearbeiten. Der gesamte Test wurde durch kurze Befragungen zu Zufriedenheit, Wünschen, Kritik etc. ergänzt. 3.0 Ergebnisse der OnlineBefragung Die Online-Befragung diente vorrangig dazu, herauszufinden, welche Social-Shopping Sites und welche Web2.0-Elemente bekannt sind. Zentrale Ergebnisse der Online-Befragung: 1. Online-Shopper kennen vor allem die „klassischen“ Websites wie Amazon oder eBay und deren Social-Shopping-Elemente. Bei den auf diesen Seiten verwendeten Funktionen (Kommentar- und Bewertungsfunktion) ist den Shoppern der Nutzen klar und die Bedienkonzepte sind vertraut. Bei der Entwicklung neuer Konzepte sollte man sich daher an den bisherigen Erfahrungen der Nutzer mit bekannten Websites orientieren. 2. Social Shopping ist mehr als kommentieren und bewerten. Jedoch können gerade innovativere Web2.0-Elemente, wie Tags, nicht als bekannt vorausgesetzt werden, sondern müssen entsprechend erklärt werden. Sie werden auch nicht per se als interessant und wichtig wahrgenommen. Um Besucher einer Site zur Mitgestaltung zu bewegen, sollte der Mehrwert innovativer Funktionen erläutert und deren Funktionsweise erklärt werden. 3. Die Mehrheit der Online-Shopper kauft „klassische“ Online-Produkte, wie Bücher, CDs und Elektroartikel. Der Anteil der Umsätze aus anderen Kategorien, wie Mode und Lifestyle, steigt aber stetig. 4. Die Mehrheit der Online-Shopper weiß genau, welches Produkt sie will. Die meisten Käufer suchen im Internet gezielt nach bestimmten Produkten. Auch wenn die neuartigen Social-Shoppig-Konzepte auf den spontanen Kauf beim Einkaufsbummel im Internet setzen, sollten Social-Shopping-Plattformen den Nutzer bei der gezielten Suche nach einem gewünschten Produkt unterstützen. 5. Um einen Online-Shop, bei dem der Nutzer im Mittelpunkt steht, mit Leben zu füllen, ist es wichtig, besonders die Nutzergruppen zu bedienen, die sich aktiv an der Plattform beteiligen. Web 2.0-Konzepte bieten hier besonders einfache Möglichkeiten mit niedriger Hemmschwelle: Ein anonymer Kommentar oder ein Eintrag in eine Shoutbox ist schnell geschrieben. Durch den sinnvollen Einsatz dieser „aktivierenden“ Funktionen können mehr Nutzer aktiv beteiligt werden. Der Anteil der aktiven User, also der Nutzer, die sich mindestens gelegentlich beteiligen, steigt damit und die Grenze zwischen aktiven und passiven Nutzern weicht auf. 4.0 Ausgewählte Ergebnisse der User-Experience-Tests An dieser Stelle werden ausgewählte Erkenntnisse aus den Tests vorgestellt. 4.1 • Produktsuche Die Produktsuche über „herkömmliche“ Wege wie Suchfeld oder Kate- 183 • 4.2 • • 4.3 • • 4.4 • • 184 gorien wird innovativen Suchmöglichkeiten wie z.B. „Suchen nach Materialart“ vorgezogen. Neuartige Filtermöglichkeiten zum Eingrenzen der Ergebnisse sorgten für große Verwirrung. neu geladen, sondern Aktionen passieren unmittelbar, oft auch nur an einer Stelle der Seite. Speicherten die Testteilnehmer ein Produkt über das Produktdetailfenster, so warteten fast alle vergeblich auf eine Reaktion der Website. Fragen wie „Hat er das jetzt gespeichert?“oder „Jetzt ist es irgendwo gespeichert hoffe ich!“ zeugen von der Irritation der Testteilnehmer. Ergebnisdarstellung Die Qualität der Suchergebnisse ist unzureichend. Von vielen Teilnehmern wurden die Suchergebnisse auf drei der vier untersuchten Sites als „wild zusammengewürfelt“ empfunden. Die Darstellung der Trefferanzahl ist schlecht umgesetzt und führt zu Irritationen. Produktdarstellung Es ist nicht offensichtlich, dass es sich bei einigen Websites nicht direkt um Online Shops handelt. „Der erste Eindruck, den ich hatte, war, dass es eine Seite ist, auf der ich direkt kaufen kann, aber scheinbar ist es nur so eine Empfehlungsseite.“ waren typische Kommentare an dieser Stelle. Fenster mit weiteren Produktinformationen, die sich öffnen, wenn mit der Maus über ein Produktbild gefahren wird, sorgten für Irritation. Einigen Testteilnehmern war die Verbindung zwischen eigener Handlung (Mouse-Over über die Produktbilder) und der ausgelösten Aktion (Produktdetailfenster öffnet sich) nicht klar. Aussagen wie „Ja, ist ja gut jetzt.“ oder „Geh mal weg da, blödes Fenster!“ belegen dies anschaulich. 4.5 • • • 4.6 • Produkte merken Bei drei von vier Seiten lag die erste Hürde bei dem Versuch, sich ein Produkt zu merken, schon darin, diese Funktion zu finden. Innovative Möglichkeit, ein Produkt einfach per Drag&Drop auf eine Liste zu ziehen, wurden gar nicht bemerkt. Zu besonderen Problemen führte die Ajax-basierte Umsetzung der Merken-Funktion. Bei dieser Technologie werden Seiten nicht offensichtlich • Merkliste einem Freund zeigen Auf drei der vier untersuchten Websites hatten die Testteilnehmer erhebliche Schwierigkeiten, ihre zuvor angelegte Merkliste wiederzufinden. Da es häufig mehr als eine Liste gab, bereitete es Schwierigkeiten zu entscheiden, auf welcher Liste die zuletzt gespeicherten Produkte gespeichert wurden: „Ist das jetzt unter Merkliste oder unter Wunschzettel? Oder Lieblingsliste? Das ist zu viel. Eins reicht doch!“ Einstellung „öffentlich/privat“ zu versteckt: Für Irritation und Unmut sorgte bei vielen Testteilnehmern, dass die Möglichkeit, Listen auf ‚öffentlich’ oder ‚privat’ zu stellen, nicht ersichtlich war. Waren private Listen gar nicht vorgesehen, wurde dieses oft heftig kritisiert: „Das ist ja auch dreist, dass die Liste standardmäßig öffentlich ist,das fände ich andersrum angebrachter.“ sen, äußerten viele von ihnen trotzdem Bedenken darüber, wie glaubwürdigdiese sind. Einige befürchteten, die Kommentare könnten gefälscht sein: „Wenn da jemand gerne seine Kette verkaufen würde, die er noch 20 Mal auf Lager hat, dann rekrutiert er vielleicht einfach ein paar Freunde von sich, die das als wunderbar bewerten.“ 4.7 • • • • Bewertungs- und Kommentarfunktion Fehlende Rückmeldung: Nach dem Abgeben einer Bewertung beziehungsweise eines Kommentars gab es auf keiner der untersuchten Websites eine Systemrückfrage. Aussagen wie „Hm, Bewertung hab ich wohl abgegeben“ oder „Ist jetzt was passiert?“ zeugen davon. Für zusätzliche Verärgerung sorgte die Tatsache, dass einmal abgegebene Bewertungen nicht rückgängig gemacht oder bearbeitet werden konnten. Glaubwürdigkeit der Bewertungen: Obwohl die meisten Testteilnehmer angaben, dass die Bewertungen und Kommentare anderer Nutzer ihre Kaufentscheidung beeinflus- 4.8 • • Profil eines anderen Nutzers aufrufen Angaben und Kurzschreibweisen im Profil waren teilweise völlig unklar: Angaben wie „‚Karma’ und ‚edelights’ oder Kurzschreibweisen für „abgejagte“ und „verlorene Deals“ wurden schwer verstanden. Zu unpersönliche Profile: Einige Nutzer wünschten sich mehr persönliche Angaben im Profil, wie beispielsweise Angaben zum Alter oder zu Hobbys um mit Hilfe dieser Informationen für sie interessante Personen und deren Listen zu finden. Erstaunlich groß war die Ablehnung der Testteilnehmer gegenüber der Veröffentlichung persönlicher Daten wie Kaufgewohnheiten. Die Glaubwürdigkeit von Nutzerprofilen war ein Balance-Akt: Einerseits sollten die Profile ausgearbeitet sein, um realistisch zu wirken und über den Verdacht eines Fake-Accounts erhaben zu sein. Andererseits kamen Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Empfehlungen auf, wenn ein Nutzer zu viele Produkte auf seiner Empfehlungsliste hatte. Suche nach anderen Shoppern und als Kontakt hinzufügen Das Suchen bestimmter Nutzer nach deren Benutzernamen ist auf zwei von vier untersuchten Websites nicht möglich. Generell waren die Suchmöglichkeiten nicht ausgereift. Bei einer Site konnten zum Beispiel nur die Listen einer Person gesucht werden und das auch nur, wenn die gesuchte Person diese auf ‚öffentlich’ gestellt hat. Shopper mit ähnlichen Einkaufsinteressen finden ist schwierig: Auf allen Websites fehlten Möglichkeiten, an- Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 • 5.0 5.1 dere Nutzer nach bestimmten Kriterien zu suchen. Wording (Freund hinzufügen): Der Begriff ‚Freund’ für einen Kontakt auf einer Social-Shopping-Website wurde von einigen Testteilnehmern als unpassend bewertet. Dies könnte ein spezielles Phänomen der deutschen Sprache bzw. Kultur sein, da es hierzulande einen großen Unterschied zwischen einem Freund und einem Bekannten gibt. User Experience Hürden auf Social Shopping Plattformen Wording Eine zentrale Erkenntnis aus den User-Experience-Tests war die mangelnde Selbstbeschreibungsfähigkeit verschiedener Begriffe und Funktionen auf den Websites. Viele unserer Testteilnehmer konnten nichts mit Bezeichnungen wie ‚Coloranda’, ‚Style Lab’, ‚Dealheim’, ‚Dashboard’, ‚Widget’ oder ‚Shoutbox’ anfangen. Für Irritation sorgte zudem das Ersetzen bereits etablierter Begrifflichkeiten durch neue Bezeichnungen. So stolperten die Testteilnehmer bei DaWanda darüber, dass sie sich einen Freund oder Kontakt ‚merken’ sollten, wenn man doch üblicherweise einen Freund oder Kontakt zu seiner Freundes- oder Kontaktliste hinzufügt oder eine Kontaktanfrage stellt. 5.2 Steuerbarkeit Gute Usability heißt unter anderem, dass nichts über den Kopf des Nutzers hinweg passiert oder entschieden wird, sondern dass der Nutzer zu jeder Zeit die Kontrolle über alle Vorgänge behält. Diese Kontrolle wurde dem Nutzer jedoch auf allen vier untersuchten Websites an mindestens einer Stelle genommen. Beispielsweise kann auf keiner der Sites ein einmal abgegebener Kommentar oder eine Bewertung rückgängig gemacht werden. Auch die Bearbeitung von Tippfehlern ist nicht vorgesehen. 5.3 Erwartungskonformität Mangelnde Erwartungskonformität trat auf allen untersuchten Sites in Form fehlender „Sind Sie sicher?“Abfragen auf. Diese haben sich auch im Web immer dann zum Standard entwickelt, wenn der Nutzer eine Aktion nicht bearbeiten oder rückgängig machen kann. Viele Testteilnehmer klickten deshalb - ausgehend von diesem Standard - auf einen Link, um herauszufinden, was sich dahinter verbirgt. Klickten sie jedoch z.B. auf „ja ich bin begeistert“ hatten sie sich unwiderruflich als „Fan“ des entsprechenden Produkts erklärt. Abgegebene Kommentare konnten weder zurückgenommen noch bearbeitet werden. 5.4 Ajax / Neue Technologien Der besondere Vorteil von Ajax ist, dass weniger Client-ServerKommunikation nötig ist: Wenn der Nutzer eine Einstellung auf der Website gemacht hat, lädt nicht die ganze Seite komplett neu, sondern nur der Teil, bei dem die Einstellung vorgenommen wurde. Dies macht die Kommunikation mit einer Website insgesamt flüssiger. Dennoch traten gerade im Zusammenhang mit dieser Technologie viele Schwierigkeiten auf. Vor allem beim Merken eines Produktes mit Hilfe der AjaxProduktinformationen (so genannte Layer) beziehungsweise auf der Produktdetailseite fehlte jegliches SystemFeedback. Nachdem eine Nutzerin über den Layer ein Produkt auf die Liste geschoben hatte, fragte sie: „Warum ist jetzt nichts passiert?“ Das Produkt war von ihr unbemerkt auf die Liste oben rechts auf der Seite gesetzt worden. Die vergrößerte Darstellung der Produkte mit Ajax wurde sehr positiv wahrgenommen. Allerdings waren die Testteilnehmer im ersten Moment überrascht, als sich der Hintergrund abdunkelte und dann das Produkt vergrößert erschien. Eine Teilnehmerin meinte, dass sie „vielleicht etwas falsch gemacht“ hätte und „etwas kaputt gegangen“ sei. 5.5 Web-2.0-Elemente und neue Konzepte Die größte Unklarheit bestand beim „Tagging“. Kaum einer der Testteilnehmer konnte damit etwas anfangen, obwohl es sich um aktive und Communityerfahrene Nutzer handelte. Hinter den größeren Wörtern innerhalb einer Tagcloud vermuteten die Testteilnehmer, dass dort „die Masse an Produkten größer ist“ beziehungsweise „die Macher der Seite wollen, dass ich da drauf klicke“. In Bezug auf Web-2.0-Elemente bereiteten neben Tagging vor allem Social Bookmarks sowie neue Features wie z.B. ein „Qual der Wahl“-Tool die größten Verständnisprobleme. 5.6 Joy of Use Das Erkunden der einzelnen Social Shopping-Websites bereitete den meisten Testteilnehmern durchaus Spaß. Allerdings war dieser oft getrübt durch eine mangelhafte Usability und eine nicht durchgängig gesicherte Qualität der Inhalte. „Wenn die Produktsuche nicht funktioniert, dann hat es doch keinen Sinn.“ Der meiste Spaß entstünde auf den untersuchten Sites durch die Vernetzung mit anderen Nutzern. Gerade hier fehlt es jedoch an Möglichkeiten. 5.7 Vertrauen und Glaubwürdigkeit Eine große Rolle spielte für unsere Testteilnehmer das Thema Vertrauen. Egal, bei welcher Aufgabe – die Frage 185 nach Vertrauen und Glaubwürdigkeit der Website schwang bei den Testteilnehmern immer unterschwellig mit. Wenig positiv nahmen die Testteilnehmer beispielsweise die finanzielle Beteiligung der Nutzer am Gewinn zweier Websites auf, vor allem, wenn diese Information nicht offen genug kommuniziert wurde. Oft warf die Frage der Gewinnbeteiligung gleichzeitig die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Sites auf. Viele Nutzer fragten sich, wie echt Produktempfehlungen und -bewertungen sein können, an denen die Nutzer verdienen: „Ach deshalb empfehlen die Leute überhaupt. Wenn man das erst so spät merkt, ist das natürlich etwas merkwürdig.“ Der zweitgrößte Einflussfaktor auf Glaubwürdigkeit und Vertrauen bestand in den Preisangaben, die entweder zu undurchsichtig oder gar nicht dargestellt 186 wurden. Testteilnehmer kommentierten dies mit „Man will die Wahrheit nicht häppchenweise. Ich will nicht zwei Preise zusammenaddieren müssen.“ oder „Ja, der Stil ist schon seriös, aber die Dinge, auf die es ankommt, wie Produktbeschreibung, Preis, Lieferzeiten und ähnliches sind total vernachlässigt.“ 6.0 Fazit Aus den Ergebnissen der OnlineBefragung und der User-ExperienceTests ließen sich sieben „Goldene Regeln“ ableiten, die eine gute Grundlage für eine positive User-Experience von E-Commerce Websites darstellen. Verkürzt dargestellt lauten diese: 1. Heben Sie den Nutzen und Mehrwert von Community-Features klar hervor 2. Vermitteln Sie Vertrauen und Glaubwürdigkeit 3. Halten Sie Usability-Standards ein 4. Erklären Sie neue Konzepte und Technologien ausreichend 5. Schaffen Sie ausreichend Vernetzungsmöglichkeiten 6. Nehmen Sie dem Nutzer die Angst vor Veröffentlichung seiner persönlichen Daten 7. Ermöglichen Sie dem Nutzer Spaß bei der Benutzung Die vollständigen Ergebnisse und Empfehlungen, quantitative Daten, sowie konkrete Schritte zu positiver User Experience im Social Shopping sind der Studie „User Experience und Social Shopping“ zu entnehmen. Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Praxistauglicher Usability-Engineering-Prozess für Corporate-Websites Martin Beschnitt Usability Consultant eResult GmbH Planckstraße 23 37073 Göttingen [email protected] Tel.: + 49 (0)551/49569333 www.eresult.de Thorsten Wilhelm Gründer und Geschäftsführer eResult GmbH Planckstraße 23 37073 Göttingen [email protected] Tel.: + 49 (0)551/49569332 www.eresult.de Abstract Durch eine Befragung von Internetexperten und erfahrenen UsabilityProfessionals wurden die Spezifika und Rahmenbedingung von CorporateWebsites identifiziert. Zusätzlich wurde geklärt, in welchen Phasen des Entwicklungsprozesses Usability-Aspekte die höchste Relevanz haben und welche Methoden verstärkt eingesetzt werden. Anschließend wurden generische Usability-EngineeringProzesse und ausgewählte Usability- 1.0 Einleitung Methoden in Bezug auf deren Tauglichkeit für die Entwicklung von Corporate-Websites bewertet. Das Ergebnis bildet ein kosteneffizienter, speziell zugeschnittener Engineering-Prozess, der die einzelnen Prozessschritte und ausgewählten Methoden von Projektanfang bis zum Projektende erläutert und auch die Kosten bzw. erforderlichen Qualifikationen dafür aufzeigt. von E-Commerce-Angeboten (wie z. B. Online-Shops, Reiseportale, etc.). Die persönliche Erfahrung aus Projekten zeigt, dass die meisten Unternehmen die Vorzüge eines systematischen Entwicklungs- und Evaluationsprozesses bei der Erstellung von Corporate-Websites leider noch nicht erkannt haben. Bei Corporate-Websites finden derzeit überwiegend abschließende Usability-Tests statt, die nur als Projektbaustein kurz vor dem Launch der Website angesehen werden. Ziel ist dabei eine finale Qualitätskontrolle und auch eine gewisse Beruhigung für den Projektleiter. Jedoch liegt diese abschließende Maßnahme zeitlich so weit hinten, dass die Empfehlungen häufig erst nach dem Launch umgesetzt werden können. Es besteht folglich auch bei Corporate-Websites der Bedarf an einen systematischen Entwicklungsprozess, der garantiert, dass nicht erst am Ende Usability-Maßnahmen zum Tragen kommen, sondern dass diese den Entwicklungsprozess kontinuierlich begleiten. Hierbei sind kostengünstige Methoden gefragt. Zudem bedarf es des Wissens über die Spezifika dieser Websiteart, um sie erfolgreich entwickeln und den Anforderungen der Nutzer entsprechend umsetzen zu können. Einer der Hauptgründe für diese Vorgehensweise ist sicherlich das begrenzte Budget für die Konzeption von Corporate-Websites im Vergleich zu Entwicklungs- und Evaluationsbudgets Grundsätzlich gelten bei Corporate-Websites die gleichen UsabilityRichtlinien wie bei jeder anderen Websiteart auch. Jedoch stellt sich die Gewichtung in Bezug auf die Gestaltung Keywords Corporate-Websites, Konzeption, Prozessmodell, Usability-Engineering, Usability-Methoden der Inhalte und die organisatorische Voraussetzungen bei der Konzeption einer Corporate-Website völlig anders dar als beispielsweise bei einem OnlineShop. Abb. 1: Studienablauf 2.0 Vorgehensweise 2.1 Expertenbefragung Um diese charakteristischen Merkmale zu identifizieren, wurde eine Online-Befragung von Webdesignern, Projektleitern bzw. Internetverantwortlichen kleiner und großer Unternehmen und erfahrenen Usability-Professionals in Form eines Fragebogens durchgeführt. 187 Die Umfrage umfasste dabei drei zentrale Fragestellungen: x x x Welche Spezifika weisen CorporateWebsites auf? In welchen Phasen des Entwicklungsprozesses sollten UsabilityAspekte die höchste Relevanz besitzen? Wie wichtig sind ausgewählte Methoden der Usability-Forschung bei der der Entwicklung und Optimierung von Corporate-Websites? Der Aufruf zum Ausfüllen des Online-Fragebogens wurde über den ECommerce Newsletter der Industrie- und Handelskammer Hannover und über den eResult Newsletter veröffentlicht. Insgesamt beteiligten sich 117 Personen an der Befragung. Nach einer Qualitätskontrolle (Plausibilität, Bearbeitungsdauer) und einer Selektion nach der Erfahrung der Befragten (im Bereich Entwicklung bzw. Optimierung von Corporate Websites und dem Einsatz von Usability-Maßnahmen) konnten 77 Datensätze in die Auswertung einfließen. 2.2 Beurteilung von UsabilityMethoden Darüber hinaus flossen die im Rahmen der Umfrage identifizierten Spezifika mit in die Bewertung ein. Somit setzen sich die Kriterien für den Vergleich der Usability-Methoden wie folgt zusammen: x x x x x x x x x x x Produktivität bzw. Effektivität Flexibilität Kosten (Material- und Zeitaufwand) Qualifikation der Evaluatoren Detaillierungsgrad der Ergebnisse Einsatzzeitpunkt Datenart (qualitativ/ quantitativ) Evaluationsart (formativ/ summativ) Anzahl der Testpersonen bzw. Evaluatoren Projektdauer Tauglichkeit (für CorporateWebsites) Daneben wurden die Methoden auch nach den Kriterien der empirischen Forschung: Objektivität, Reliabilität und Validität beurteilt. 2.3 Vergleich generischer Prozessmodelle Auf Basis der Ergebnisse aus der Online-Befragung und der Beurteilung der Usability-Methoden wurden zehn generische Usability-EngineeringProzesse in Hinblick auf den Einsatz bei der Entwicklung von Corporate-Websites bewertet. Hierzu wurden die einzelnen Prozessschritte miteinander verglichen, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufzuzeigen. Zudem wurde der Aufwand in Bezug auf Material, Zeit und Qualifikation abgeschätzt. Dabei wurden u.a. folgende Modelle betrachtet: x x x Allgemeiner Usability-EngineeringProzess in deutschen Unternehmen (Braun et. al 2007) Usability Engineering Lifecycle (Mayhew 1999) Usability Engineering Lifecycle (Nielsen 1993) Das Ergebnis dieser Betrachtung stellt eine umfangreiche Methodenmatrix dar, die die genannten Dimensionen berücksichtigt. Neben der Expertenbefragung erfolgte eine Beurteilung bestehender Usability-Methoden in Bezug auf deren Tauglichkeit für Entwicklung von Corporate-Websites. Auf Basis einer umfangreichen Literaturrecherche wurden die grundlegenden Methoden im Bereich Web-Usability identifiziert. Braun und Sarodnick schlagen zusätzlich zu den Kriterien Materialaufwand, Zeitaufwand und Qualifikation Kriterien zur Bewertung von Evaluationsmethoden vor (Brau & Sarodnick 2006). Diese wurden durch weitere Kriterien ergänzt, die bei der Auswahlentscheidung von Usability-Methoden in der Praxis eine wichtige Rolle spielen. Abb. 2: Methodenmatrix (Ausschnitt) 188 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 3.0 Ergebnisse 3.1 Spezifika von Corporate-Websites Anhand der Auswertung der qualitativen Antworten der befragten Experten in Kombination mit einer im Vorfeld durchgeführten Literaturrecherche und einer Inhaltsanalyse von ausgewählten Corporate-Websites lassen sich folgende Aussagen machen und erste Schlussfolgerungen ziehen. Es ist anzumerken, dass es sich hierbei nur um eine Auswahl der identifizierten Spezifika handelt: x „Corporate-Websites haben ein großes Spektrum an Zielgruppen mit unterschiedlichen Arten von Intentionen.“ Die Rekrutierung bzw. die Befragung von Internetnutzern ist aufgrund der Heterogenität der Nutzerschaft nicht einfach. Es gilt, geeignete Methoden und Verfahren einzusetzen, die das Abbilden von schwer erreichbaren Zielgruppen ermöglichen. x „Das zur Verfügung stehende Budget einer Corporate-Website ist deutlich geringer im Vergleich zu einem reinen E-Commerce-Angebot, da sie nur indirekt verkaufsfördernd ist.“ Diese Budgetrestriktion erfordert günstige und effektive Methoden bei der Entwicklung. x „Für die Konzeption werden Menschen aus dem Vertrieb, Marketing, Kundenservice, der EDV / IT und der Führungsebene benötigt.“ Diese multidisziplinären Teams erfordern einen hohen Abstimmungsbedarf und eine allgemein verständliche Dokumentation aller Aktivitäten. x „Corporate-Websites sind informationsorientiert.“ Aufgrund fehlender komplexer Handlungsprozesse bedarf es hier nicht unbedingt einer Evaluation durch Nutzer. Solch einfache Seitenstrukturen lassen sich durch Experten (mit Branchenkenntnissen) begutachten. 3.2 Bedeutung von Usability im Entwicklungsprozess Im Rahmen der Online-Befragung wurden die Internetexperten gebeten, die einzelnen Entwicklungsphasen: Analyse, Konzeption, Umsetzung, Betrieb in eine Rangreihe zu bringen, abhängig von der Bedeutung von Usability-Aspekten innerhalb der jeweiligen Phase. Es zeigt sich, dass nach Meinung der Experten bei der Entwicklung und Optimierung von Corporate-Websites Usability-Maßnahmen vor allem in der Konzeptionsphase zum Einsatz kommen sollten. In der eigentlichen Betriebsphase wird Usability-Aspekten die geringste Relevanz zugewiesen. D.h. ist die Website erst einmal „online“, werden Usability-Analysen zur Qualitäts- bzw. Erfolgskontrolle als relativ unwichtig erachtet. Die Bedeutung von Usability in der Phase der programmiertechnischen Umsetzung kann als durchschnittlich eingestuft werden. Uneinigkeit besteht dagegen bei der Einschätzung der Bedeutung von Usability-Methoden in der Analysephase: 23,4% der insgesamt 77 befragten Experten sind der Meinung, dass gerade in der Analysephase Usability-Methoden eingesetzt werden sollten. Jedoch weisen 35,1% der Teilnehmer Maßnahmen zur Gewährleistung einer hohen Usability in dieser Phase eine geringe Bedeutung zu. 3.3 Verbreitung und Relevanz von Usability-Methoden Neben den Spezifika des Websitegenres Corporate-Website wurde die Bedeutung von 16 in der Praxis gängigen Usability-Methoden in Erfahrung gebracht. Dabei wurde auf eine allgemein verständliche Methodenbezeichnung geachtet. Zudem konnten die Befragten nur dann die Relevanz einer Methode einschätzen, wenn sie die betreffende Methode kannten bzw. schon eingesetzt haben. Die Auswertung der Befragungsergebnisse ergab, dass sich unter den Top 4-Methoden drei in frühen Phasen der Entwicklung einer Corporate-Website zum Einsatz kommende Methoden befinden: Die Aufgabenanalyse, das Prototyping und die Anforderungsanalyse über Zielgruppenbefragung in einem Panel. Logfile- bzw. ClickstreamAnalysen, die eher in der Betriebsphase Abb. 3: Bedeutung von Usability im Entwicklungsprozess 189 zum Einsatz kommen, gehören ebenfalls zu den Top 4-Methoden. Expertenevaluationen und Nutzerbefragungen - angelegt als Onsite-Befragungen - stellen weitere Methoden bzw. Verfahren dar, die bei der Entwicklung und Optimierung von Corporate Websites eingesetzt werden. Als weniger relevant werden EyeTracking-Studien, Nutzerbeobachtungen vor Ort und Card Sorting-Tests von den 77 befragten Internetexperten angesehen. Überraschend ist, dass Nutzertests im Usability-Lab und Remote UsabilityTests, die derzeit dominierenden Methoden bei der Evaluation und Optimierung von Websites, in Bezug auf Corporate-Websites eine eher unterdurchschnittliche Bedeutung aufweisen. Dies kann sicherlich damit erklärt werden, dass mit diesen beiden Methoden vor allem Interaktionsprozesse analysiert und optimiert werden. Zudem handelt es sich bei beiden Verfahren um die kos- tenintensivsten ihrer Art. 3.4 Eignung generischer Prozessmodelle Bei genauer Betrachtung lässt sich feststellen, dass sich die betrachteten Modelle in ihren Grundsätzen kaum unterscheiden. Ihr Bezug zum Software-Engineering ist klar zu erkennen. Der iterative Prozesscharakter des Usability-Engineering wird in jedem Prozessmodell betont. Unterschiede zwischen den Prozessen gibt es jedoch in der Gewichtung der Designaktivitäten in Bezug auf den damit verbundenen Aufwand und in der Reichweite der Prozesse, d.h. nicht alle Prozesse umfassen den gesamten Entwicklungsprozess eines Produktes. Vergleicht man die Art und den Umfang der Nutzerinvolvierung in den verschiedenen Modellen, so ergeben sich ebenfalls erhebliche Unterschiede. Letztendlich existiert kein allgemeingültiger Prozess, der alle Aspekte abdeckt. Sowohl die nutzer- als auch die modellgetriebenen Ansätze haben ihre Gültigkeit, schließen sich aber gegenseitig aus. Ein Vergleich aufgrund der Erfolge von Usability-Engineering-Prozessen in der Praxis lässt sich ebenfalls schwer anstellen. Quantitative Daten für einen Vergleich auf der Basis solcher Kriterien sind Mangelware. Zudem befassen sich die in der Literatur beschriebenen Prozesse meist nur mit großen Softwareprojekten, bei denen sich die Kosten für das Usability-Engineering im sechsstelligen Bereich bewegen. 4.0 Spezifisches Prozessmodell Das Ergebnis der gesamten Unter- Abb. 4: spezifischer Usability-Engineering-Prozess für Corporate-Websites 190 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 suchung bildet ein kosteneffizienter, speziell auf die Spezifika von CorporateWebsites zugeschnittener, EngineeringProzess, der die einzelnen Prozessschritte in Form eines eigenständigen Prozesshandbuches erläutert und die einzelnen Kosten für ein exemplarisches Website-Projekt aufzeigt. Als Ausgangsbasis dienten die Prozessmodelle von Mayhew (Mayhew 1999) und Nielsen (Nielsen 1993). Zusätzlich wurden einzelne Schritte der anderen Prozessmodelle adaptiert. Um eine Integration in die typische Vorgehensweise bei der Website-Konzeption zu gewährleisten, wurden deren Aktivitäten ebenfalls im Prozess berücksichtigt. Hinzu kamen die Daten bzw. Ergebnisse der eigenen Analysen. Die vier Phasen (Analyse, Konzeption, Umsetzung und Betrieb) wurden um eine einführende Planungsphase ergänzt. Der Schwerpunkt der Aktivitäten liegt auf der Konzeptionsphase, dicht gefolgt von der Analysephase. Statt am Ende des gesamten Projektes das Design- und Interaktionskonzept durch eine größere Nutzergruppe testen zu lassen, werden in jeder Projektphase vom Umfang her beschränkte, aber qualitative Test mit Nutzern bzw. Expertentests durchgeführt. Zudem wurden Befragungsvarianten eingesetzt, die keine hohe Incentivierung von zu rekrutierenden Testpersonen erfordern. So wird die Usability in jeder einzelnen Projektphase kostengünstig überprüft. Nach Inbetriebnahme der Website gilt es, diesen Qualitätsprozess zu erhalten. Die Kosten für einen solchen systematischen Usability-EngineeringProzess belaufen sich auf insgesamt ca. 60.000 € (reine Usability-Maßnahmen, bei einem Tagessatz von 600 €) zuzüg- lich der Kosten, die für die Erstellung des Prototyps, der Websiteinhalte (Texte, Grafiken, etc.), der Durchführung der Workshops und für die benötigte Technik erforderlich sind. Besondere Bedeutung kommt bei diesem Entwicklungsprozess der Bildung von sog. Personas zu. Bei den zahlreichen Zielgruppen mit unterschiedlichen Intentionen und Erwartungen auf einer Corporate-Website ist der PersonaAnsatz (Cooper & Reimann 2003), d.h. die Erstellung archetypischer Nutzer, maßgeblich am Erfolg der nutzerzentrierten Entwicklung einer Corporate-Website beteiligt. Leider hat sich diese Methode im Bereich der Website-Konzeption noch nicht fest etabliert. 5.0 Fazit und Ausblick Die Aufarbeitung der theoretischen Grundlagen und die Daten der Expertenbefragung zeigen, wie wichtig ein spezifischer Prozess ist, der den Einsatz von Usability-Maßnahmen entlang der gesamten Entwicklung einer Corporate-Website von der Planung bis hin zum Live-Betrieb beschreibt. Neben dem eigentlichen Prozessmodell bietet die Beschreibung seiner Durchführung in Form des Prozesshandbuchs eine hervorragende Grundlage für die Konzeption einer benutzerfreundlichen CorporateWebsite. Es ist anzumerken, dass das Prozessmodell ungeachtet seines engen Praxis-bezuges einen idealtypischen Ablauf beschreibt, der selbstverständlich an einigen Stellen an das jeweilige Website-Projekt angepasst werden muss. Fortan gilt es diesen Lifecycle im Rahmen von Fallstudien zu evaluieren bzw. zu validieren und ggf. anzupassen. Derzeit besteht eine Kooperation mit der Bosch Rexroth AG in dieser Hinsicht. Fokus des systematischen Entwicklungsprozesses ist hierbei die Abbildung der Websitenutzer durch Personas infolge einer Nutzerbefragung auf dem Internetangebot (Onsite-Befragung), auf deren Basis die weiteren Entwicklungsschritte folgen. Die komplette Studie war Teil einer Diplomarbeit an der Technischen Universität Ilmenau im Studiengang Medientechnologie in Zusammenarbeit mit der eResult GmbH. Weitere Informationen sind auf Anfrage bei den Autoren erhältlich. 6.0 Literaturverzeichnis Brau, H.; Sarodnick, F. (2006): Methoden der Usability Evaluation : wissenschaftliche Grundlagen und praktische Anwendung. Bern: Huber. Braun, B.; Miao, M.; Röse, K. (2007): Integration von Usability-Engineering in die Produktentwicklung : Ergebnisse einer Expertenfokusgruppe. In: Braun, B.; Röse, K. (Hrsg.): Usability Professionals 2007 - Berichtband des fünften Workshops des German Chapters der Usability Professional Association e.V.. Stuttgart: Fraunhofer IRB Verlag, S.131-134. Cooper, A.; Reimann, R. (2003): About face 2.0 : The essentials of interaction design. Indianapolis: Wiley & Sons. eResult GmbH: eResult-Newsletter. http://eresult.de/newsletter.htm IHK Hannover: Online-Infoservice (Newsletter). http://www.hannover.ihk.de/?id=592 Mayhew, D. J. (1999): The usability engineering lifecycle : a practitioner's handbook for user interface design. San Francisco: Kaufmann. Nielsen, J. (1993): Usability Engineering. San Diego: Academic Press. 191 192 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 F al lstudien 193 194 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Innovative Maschinen brauchen innovative Entwicklungsprozesse – Usability, Design und Software optimal verzahnen Franz Koller User Interface Design GmbH Martin-Luther Str. 57 - 59 71636 Ludwigsburg [email protected] www.uid.com Abstract Am Beispiel der Entwicklung einer Touch-Bedienoberfläche zur Steuerung von Maschinen für die Kabelverarbeitung wird gezeigt wie der benutzerzentrierte Entwicklungsprozess in der Praxis genutzt wurde. 1.0 Dieser Anforderung sollte durch ein attraktives Design erreicht werden, das auch in der Gestaltung als ästhetisch hochwertig und überzeugend wahrgenommen wird. Deshalb stellte sich zu Beginn des Projekts die wesentliche Frage, wie sichergestellt werden kann, dass Konzept und Design auch in der geplanten Qualität von der Softwareentwicklung umgesetzt wird. Vorgehen Das Vorgehen orientierte sich am benutzerzentrierten Entwicklungsprozess wie er auch in der ISO13407 (DIN EN ISO 13407, 2000) beschrieben ist. Keywords Benutzerzentrierte Entwicklung, User Experience, Entwicklungsprozess, XAML ationen. Die Vor-Ort-Erhebung wurde später ergänzt durch Beispiele und Demonstrationen an Werkzeugmaschinen in der Fertigung. Diese Informationen lieferten wesentliche, wertvolle Grundlagen für die folgenden Gestaltungsarbeiten. Einleitung Ziel bei der Entwicklung einer Touch-Bedienoberfläche zur Steuerung von Maschinen für die Kabelverarbeitung war nicht nur eine sichere, ergonomische Bedienung. Vielmehr sollte die technische Innovationskraft der Maschine durch eine angemessene visuelle Gestaltung erfahrbar gemacht werden. 2.0 Der Beitrag beschreibt das Vorgehen und legt einen Schwerpunkt auf die Darstellung der Zusammenarbeit zwischen Usability, Design und Software Entwicklung. 2.2 Abb. 1: UCD benutzerzentrierter Entwicklungsprozess bei UID 2.1 Anforderungserhebung Durch intensive Gespräche, Diskussionen und Workshops mit Teilnehmern aus mehreren Ländern machten sich die Usability Engineers zunächst ein Bild vom Nutzungskontext. Wie tatsächlich gearbeitet wird und welche physischen und sozialen Bedingungen am Arbeitsplatz herrschen, kann oft nur im direkten Kontakt mit dem eigentlichen Anwender erfasst werden (Beyer & Holtzblatt 1998, S. 42f., S. 113). Deshalb beobachtete zusätzlich ein Usability Engineer bei einem Vor-Ort-Termin die Aktivitäten von Maschinenbedienern sowie ihre Umgebung. Die Anwender erläuterten dabei ihre relevanten Tätigkeiten, Vorgehensweisen oder Situ- Konzeptentwurf In mehreren Gestaltungsworkshops wurde das User Interface Konzept gemeinsam mit dem Entwicklungsteam der Schäfer Werkzeug- und Sondermaschinenbau GmbH entworfen. Ausgangspunkt waren Konzeptideen, die mit den Anforderungen abgeglichen, aus Usability-Sicht erweitert und konkretisiert wurden. Wichtig war, dass im Entwicklungsteam auch Vertreter aus verschiedenen internationalen Niederlassungen beteiligt waren und zusätzliche regionale Besonderheiten einbringen konnten. Um die Konzeptideen zu visualisieren wurden zu Beginn sehr viel mit Handskizzen gearbeitet, die dann in Wireframes überführt wurden. So konnten die Beteiligten Arbeitsabläufe anschaulich skizzieren und in Workshops anschließend diskutieren und optimieren. 195 präsentieren, ihre Funktionsfähigkeit testen und das Interface den späteren Nutzern zeigen. Die folgenden drei Abbildungen geben einen Einblick in die realisierte Bedienung zur Maschinensteuerung. Abb. 2: Erste Wireframes der geplanten Steuerung Auf der Basis der ersten Wireframes gestalteten die UID-Designer erste grafische Entwürfe. Hierbei war es wichtig, dass die Bedienelemente für den Einsatz auf dem Touch-Screen entsprechend gestaltet wurden. Abb. 3: Grafikentwurf für die Gestaltung 2.3 Prototyping Um sicher zu stellen, dass die Entwürfe der Benutzungsoberfläche auf der Maschine exakt in ein funktionierendes, dynamisches Interface umgesetzt werden, wurde der Entwurf mit XAML (eXtensible Application Markup Language) und "Microsoft Expression Blend", realisiert. Dadurch konnte der Entwurf interaktiv visualisiert und damit für den Kunden frühzeitig "greifbar" gemacht werden. Die Schäfer Werkzeug- und Sondermaschinenbau GmbH konnte so die interaktive Oberfläche ihren Vertriebspartnern und ausgewählten Kunden 196 Abb. 4: Prototyping mit XAML Blend 2.4 Abb. 5: Screenshot des Produzieren Screens Iterative Weiterentwicklung Das erfolgreiche Ergebnis dieses Prototypings bildete die Basis für die eigentliche Softwareentwicklung und die visuelle Optimierung der Benutzungsoberfläche. Eng verzahnt mit dem Kunden haben Usability Engineering, Design und Softwareentwicklung das Konzept weiterentwickelt und auf die verschiedenen Bereiche übertragen. In gemeinsamen Workshops wurden die jeweiligen Neuerungen besprochen und weitere Alternativen geklärt. Nachdem das Grundkonzept entwickelt war, beschränkte sich die Rolle des Usability Engineering immer mehr auf die Rolle der Qualitätssicherung. Im Anschluss trieben Design und Softwareentwicklung gemeinsam die Entwicklung voran. Usability Engineers wurden dabei immer wieder punktuell zu Rate gezogen. Diese übergreifende Zusammenarbeit war sehr fruchtbar. Denn sowohl Designer als auch der Softwareentwickler sind es bei UID gewohnt in interdisziplinären Teams User Interface Konzepte zu entwickeln, die sowohl eine hohe Gebrauchstauglichkeit als auch eine hohe ästhetische Qualität haben. Abb. 6: Screenshot der Konfiguration eines Kabels Abb. 7: Screenshot der Maschinenkonfiguration Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 2.5 Evaluation Eine systematische Evaluation mit Usability Tests ist noch nicht erfolgt. Strukturiertes Feedback von Nutzern der ersten Vorserienmaschinen liegt hingegen vor. Diese Nutzer bestätigen zum einen die sehr positive Entwicklung des Designs bestätigen. Zum anderen zeigen sie weiteres Optimierungspotential in bestimmten Bereichen auf. 3.0 Zusammenarbeit zwischen Usability, Software und Design Durch eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Usability, Software und Design sollen intuitiv bedienbare, funktional ausgewogene Produkte mit eine hohen ästhetischen Qualität entstehen. Das gemeinsame Ziel – die optimale Verbindung von Usability, Ästhetik und Realisierbarkeit – setzt gegenseitiges Verständnis voraus. Die unterschiedliche Ausbildungen und Erfahrungen von Usability Engineers, Designern und Softwareentwicklern führen bei der Gestaltung von Benutzungsoberflächen oft zu Diskussionen. Die besten Lösungen entstehen häufig dann, wenn alle Disziplinen für ihren Standpunkt eintreten und tragfähige belastbare Konzepte erarbeiten, die aus der gemeinsamen Sicht möglichst optimal ist. Eine effiziente Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen ist leicht propagiert und gewünscht, aber nicht so einfach gelebt. Jede Disziplin besitzt ihre eigene Fachsprache und hat ihren geschulten Blick auf ein System. Der benutzerzentrierte Gestaltungsprozess liefert eine gute Grundlage um das gemeinsame Ziel zu erreichen. Das Handwerkszeug für effizientes Arbeiten in einem multidisziplinären Team muss jedoch einfach in der täglichen Praxis geübt werden. Dazu zählt die Kommunikation miteinander, der kontinuierlicher Austausch sowie gegenseitiges Respek- tieren und Verstehen über die Fachgrenzen hinweg. 3.1 Hilft Toolunterstützung? Um die Kommunikation zwischen den Disziplinen zu verbessern und Missverständnisse zu vermeiden, helfen auch gemeinsame Tools. Ein Tool, das sowohl Usability Engineer, Designer und Softwareentwickler zusammen bringen möchte, ist Expression Blend von Microsoft (Leete 2007). In der Praxis sieht es anders aus: Designer gestalten ihre grafischen Entwürfe weiterhin in Adobe Photoshop oder Illustrator. Die Gründe sind einfach nachvollziehbar. Die Designer haben sehr viel Erfahrung mit ihren bisherigen Tools, die alle für sie relevanten Funktionalitäten für ein professionelles Design bereit stellen. Expression Blend bietet hier nicht das komplette Spektrum an Designmöglichkeiten. Die Grundidee ist einfach: Layout und Logik werden getrennt betrachtet. Der Designer entwickelt das Design in Expression Blend und der Software Entwickler erstellt die Programmierlogik mit Visual Studio. Abb. 9: Tatsächliche Arbeitsteilung zwischen Software und Design 3.2 Abb. 8: Theoretische Arbeitsteilung zwischen Software und Design Die Zusammenarbeit ist dabei so konzipiert, dass der Software Entwickler die zwei Komponenten zu einer Anwendung zusammenführen kann. Dabei bestimmt der XAML-Code die grafische Oberfläche und der C#-Code stellt die Anwendungslogik bereit. Zusätzlich gibt es eine gewisse Grauzone in Expression Blend, in der sowohl Designer, Usability Engineer und Software Entwickler in Expression Blend ebenfalls Bedienlogik einbringen und Bedienelemente interaktiv machen können – etwa um verschiedene Screens miteinander zu verknüpfen, Animationen zu starten oder zu beschreiben. Mit Hilfe dieser Funktionalität können prototypisch Bedienkonzepte visualisiert werden. Wie geht es dann? Auch wenn die theoretische Arbeitsteilung in der Praxis so noch nicht angekommen ist, hat sich in der Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen mehr geändert, als auf es auf den ersten Blick scheint. Der Austausch zwischen den Disziplinen ist deutlich intensiver geworden. Um Design- und Lösungsansätze zu optimieren, finden Diskussionen immer häufiger gemeinsam am Rechner statt – statt wie vorher häufig mit Flipchart und Screenausdrucken umständlich zu hantieren. Die unterschiedlichen Toolwelten existieren auch weiterhin. Aber IllustratorDateien werden nach XAML exportiert und in Blend direkt verwendet. Dadurch, aber vor allem durch den Versuch der Designer, direkt in Blend zu arbeiten, ist ein besserer Austausch entstanden. 197 Die verschiedenen Disziplinen setzen sich intensiver mit den Möglichkeiten und Anforderungen der jeweils anderen Tools auseinander und haben dadurch ein besseres Verständnis für einander entwickelt. 4.0 Fazit Die Klammer für das gemeinsame Ziel – die optimale Verbindung von Usability, Ästhetik und Realisierbarkeit – ist nach wie vor der benutzerzentrierte Entwicklungsprozess, der unterschiedli- 198 che Disziplinen zusammenarbeiten lässt. Durch die Entwicklungen im Toolbereich sind wir wieder einen wichtigen Schritt weiter gekommen. So können wir die multidisziplinäre Zusammenarbeit intensiver in der Praxis leben und dadurch zu besseren Lösungen für den Nutzer kommen. 5.0 Literaturverzeichnis Beyer, H.; Holtzblatt, K (1998).: Contextual Design- Defining Customer-Centered Systems. San Francisco: Morgan Kaufmann Publishers, 1998 DIN EN ISO 13407 (2000): Benutzerorientierte Gestaltung interaktiver Systeme, Beuth Verlag, 2000. Leete, G; Leete, M. (2007): Microsoft Expression Blend Bible: The Book you need to succeed!, Wiley & Sons 2007 Mayhew, D.L. (1999): The UsabilityEngineering lifecycle. A practitioner's handbook for user interface design. San Francisco, CA: Morgan Kaufmann, 1999. Stropek, R.; Huber, K. (2007): WPF und XAML Programmierhandbuch, entwickler.press 2007 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Web Globalization balanced by User Experience Arne Kittler Fork Unstable Media GmbH Juliusstr. 25 22769 Hamburg [email protected] Rainer Gibbert SirValuse Consulting GmbH Schlossstrasse 8g 22041 Hamburg [email protected] Christiane Ehlers SirValuse Consulting GmbH Schlossstrasse 8g 22041 Hamburg [email protected] Abstract Eine gelungene Balance aus international übergreifender Standardisierung und einem Angebot, das Nutzer mit ihren jeweiligen lokalen Bedürfnissen anspricht, ist eine wesentliche Herausforderung für internationale Markenwebsites. Bislang fehlt es an anwendbaren Informationen, die Unternehmen und ihren Agenturen beim Erreichen dieser Balance unterstützen. 1.0 Einleitung Im Rahmen der Web Globalization, also den Aktivitäten eines Unternehmens, seine internationalen Webpräsenzen einzurichten und zu betreiben, ist ein hohes Maß an internationaler Standardisierung der empfohlene und weit verbreitete Ansatz (vgl. Yunker 2008; Kittler 2006). So haben in einer aktuellen Studie von Bytelevel Research (Yunker 2008) die am besten internationalisierten Websites eines gemein: Den länderübergreifenden Einsatz globaler Templates. Mit anderen Worten: Weltweit sind alle Websites einer Marke mehr oder weniger gleich. Auf der anderen Seite erscheint es aus User Experience-Sicht gewagt, Nutzer aus unterschiedlichen Kulturkreisen mit einer im Wesentlichen standardisierten Website optimal ansprechen zu wollen. Gerade bei emotionalen Botschaften, die bei Markenwebsites eine wichtige Rolle spielen oder auch bei Funktionen, die ein gesteigertes Maß an Nutzeraktion erfordern, kann diese Standardisierung zu einem Wettbewerbsnachteil gegenüber Angeboten führen, die explizit für bestimmte Märkte entwickelt wurden. Nach einer Phase der Standardisie- Dieser Artikel leistet einen entsprechenden Beitrag: Anhand einer vergleichenden User Experience Analyse der weitgehend standardisierten Markenwebsite von NIVEA mit deutschen und chinesischen Nutzern wird untersucht, in welchen Bereichen und Funktionen Standardisierung unproblematisch ist und wo lokalspezifischere Gestaltungen sinnvoll sind. Keywords: rung von globalen (Marken-) Websites steht deshalb nun eine Phase bevor, in der Unternehmen sorgfältig ausbalancieren müssen, wie weit sie mit der Standardisierung gehen und wo individuellere Lösungen für bestimmte Länder erforderlich sind, um eine bestmögliche User Experience zu gewährleisten. für internationale Markenwebsites verantwortlichen Teams auf Agentur- und Kundenseite aber nur wenig anwendbare Hilfestellungen. Für dieses Ausbalancieren aus Standardisierung und individuelleren lokalen Lösungen fehlt es bisher an anwendbaren Erkenntnissen und Lösungen. Dieser Artikel leistet einen (sicherlich nicht abschließenden) Beitrag zu dieser Fragestellung. 2.0 Suche nach anwendbaren Erkenntnissen In Beiträgen zu internationaler Usability und internationaler Markenkommunikation fehlt es nicht an Beispielen für Probleme, die ein allzu starres Übertragen von Kommunikationsbotschaften auf unterschiedliche Kulturkreise haben kann (vgl. Anholt 2000; Aykin & Milewski 2005). Diese Beiträge, haben leider in vielen Fällen eines gemein: Sie werfen zwar Licht auf punktuelle Probleme und sensibilisieren somit zur Vorsicht – geben den User Experience, Branding, Web Globalization, Internationalisierung, China Selbst wenn man beispielsweise weiß, dass ein bestimmter Icon-Stil in einigen Kulturen Probleme bereitet, kann man nicht sicher sein, dass entsprechend entwickelte Alternativen in wiederum anderen Ländern oder Kulturen nicht ihrerseits Probleme bereiten. Bei den Websites internationaler Marken ist der Handlungsraum dabei global und entsprechend komplex: Die Durchschnittliche Anzahl von Sprachen auf internationalen Websites ist 2008 auf 20 gestiegen (Yunker 2008) und erfolgreiche Websites wie die hier untersuchte NIVEA Website sind in 50 oder mehr Ländern auf allen Kontinenten präsent. 3.0 Der Ansatz: Web Globalization balanced by User Experience Statt sich darum zu sorgen, ob ein einzelnes Detail einer Website in allen Zielmärkten funktionieren wird, suchen wir deshalb nach einer allgemeingültigeren Lösung: Einer Systematisierung der sinnvollen Balance zwischen global konsistenten und lokalspezifischen Bereichen und Inhalten von Markenwebsites. 199 3.1 Untersuchung typischer Bereiche und Funktionen auf Standardisierbarkeit Zur Systematisierung untersuchen wir typische Bereiche und Inhalte von Markenwebsites daraufhin, in welchem Maße sie international divergierenden Anforderungen in Bezug auf die User Experience ausgesetzt sind. Bereiche und Funktionen, bei denen nur ein geringes Maß an internationaler Divergenz festgestellt wird, können einigermaßen bedenkenlos standardisiert werden. Sie werden idealerweise lediglich sprachlich übersetzt. Hierdurch kann mehr Augenmerk auf jene Bereiche der Website gelegt werden, bei denen die Nutzerbedürfnisse für eine optimale User Experience international stärker variieren. 3.2 Vorgehensweisen bei weniger standardisierbaren Bereiche und Funktionen Für Bereiche, in denen eine hohe internationale Divergenz festgestellt wird, gibt es drei mögliche Vorgehensweisen: 3.2.1 Modulare Internationalisierung Das Internationalisierungsteam entwickelt modulare Lösungen, die im Rahmen des Lokalisierungsprozesses einfach an lokale Bedürfnisse angepasst werden können. In den Content Management Systemen, mit denen internationale Websites lokalisiert werden, können hierfür entsprechende Optionen vorgesehen werden. Dieses Vorgehen eignet sich besonders für Inhalte, deren lokale Ausprägung sich in stabilen Regeln abbilden lässt. Zum Beispiel können lokale Besonderheiten wie Maßeinheiten oder Adressformate auf diese Art und Weise gut berücksichtigt werden. Idealerweise können Best PracticeBeispiele identifiziert werden, an denen sich Web Globalization Teams bei der Entwicklung orientieren können. 200 3.2.2 Lokale Eigenentwicklungen In dedizierten Bereichen der Website (und sinnvollerweise geleitet durch entsprechende Styleguides, Vorlagen und Qualitätssicherungsmechanismen) können genuin lokale Inhalte integriert werden. Diese Inhalte sind spezifisch auf die jeweiligen lokalen Nutzer ausgerichtet und werden üblicherweise von lokalen Teams entwickelt. Dieses Vorgehen ist besonders gut geeignet für sehr emotionale Inhalte, Humor, Ironie usw. 3.2.3 Keine lokalen Ausnahmen Ob die beiden oben genannten Vorgehensweisen angewandt werden, hängt letzten Endes auch davon ab, ob die erwarteten Verbesserungen der User Experience in einem angemessenen Verhältnis zu den damit verbundenen Mehraufwänden steht (im Gegensatz zu einer einfachen Übersetzung international standardisierter Lösungen). Falls die Aufwände unangemessen hoch erscheinen, kann es ratsam sein, Abstand von diesen Lösungen zu nehmen. Naturgemäß kann die Wirkung einer verbesserten User Experience nicht in demselben Maße quantifiziert werden wie Zusatzkosten. Nichtsdestotrotz kann auch eine qualifizierte Abschätzung entsprechend dieser Systematik die Entscheidungsfindung von Web Globalization Teams bei ihrer Arbeit erleichtern. 4.0 Methodisches Vorgehen zur Evaluation der Deutschen und Chinesischen NIVEA-Website Nur in wenigen Fällen ist es möglich, allein aufgrund der Inhalte einer Website Bereiche zu identifizieren, bei denen ein hohes Maß an Standardisierung die User Experience in globaler Hinsicht beeinflusst. Dies gilt für jene Inhalte, die direkt von divergierenden Standards außerhalb der Online- Kommunikation betroffen sind, wie etwa Adressformulare. Für eine aussagekräftige Bewertung weiterer Bereiche ist es dagegen erforderlich, vergleichende Untersuchungen zur User Experience mit internationalem Kontext anzustellen, idealer Weise mit Nutzern aus den unterschiedlichen Kulturkreisen. 4.1 Expertenevaluation Zur vergleichenden Untersuchung der User Experience der NIVEA-Website in Deutschland und China wurde zunächst ein Expertengutachten beider Websites durchgeführt. Hierzu evaluierten User Experience-Experten aus Deutschland und China die jeweilige Landeswebsite hinsichtlich folgender Faktoren für den Erfolg von Markenwebsites (vgl. Schwab, Wörmann, Wolf 2005): 4.1.1 Anmutung und Design Die internationale Standardisierung der NIVEA-Websites zeigt sich insbesondere an dem länderübergreifend einheitlichen Design. Ein zentrales Content Management System mit standardisierten Templates und einem internationalen Styleguide sorgen auf den ersten Blick für ein einheitliches „Look and Feel“ der Seite beider Ländern. Anmutung und Design der Sites werden von den Experten in beiden Ländern als passend zur Marke NIVEA bewertet; besonders das durchgängig verwendete blaue Farbschema sorgt für einen hohen Wiedererkennungswert. Während die Models auf der deutschen Website als passend und ansprechend bewertet werden, kritisiert der chinesische Experte, dass die auf der chinesischen NIVEA Website eingesetzten (überwiegend asiatischen) Models zu europäisch aussehen und befürchtet Identifikationsprobleme chinesischer Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Nutzer mit diesen Models. Neben dieser generellen Kritik wird vom chinesichen Experten insbesondere das Keyvisual als nicht aussagekräftig kritisiert, da hierin kein spezielles Produkt dargestellt wird – eine in Deutschland dagegen übliche und somit unkritische Präsentation. könnte hingegen der Eindruck entstehen, dass auf der Seite wenige Informationen angeboten werden und nicht viel zu tun sei. Auch die Schriftgestaltung auf der chinesischen Website wird als teilweise schwierig bewertet. Da die chinesischen Schriftzeichen größer und komplexer sind als unsere Buchstaben, wird die Lesbarkeit in Teilen der Website kritisiert, obwohl in den eingesetzten Templates die Schrittgröße für chinesisch gegenüber deutschen Texten bereits bewusst erhöht wurde. 4.1.2 Abb 1: Startseite der deutschen NIVEAWebsite Usability Die Benutzbarkeit von Markenwebsites hat weniger direkte (und vor allem weniger quantifizierbare) Auswirkungen auf den Erfolg der Site als z.B. bei einem Online-Shop, bei dem ein Usability-Problem direkt zu einem Kaufabbruch führen kann. Trotzdem beeinflusst die Benutzbarkeit maßgeblich das Anwendungserlebnis auf einer Seite und kann somit positiven oder negativen Einfluss auf das Markenbild insgesamt haben. ten werden, mit der Seite zu interagieren (z.B. durch Beratungs-, oder Community-ähnliche Funktionen sowie Spiele), wird durch den chinesischen Experten bemängelt, dass im Bereich „Unterhaltung“ kaum interessante Funktionen angeboten werden. Insbesondere eine Community zum Austausch über NIVEA oder Schönheitsprodukte würde hier aus chinesischer Sicht Sinn machen. Die in „Unterhaltung“ angebotenen Spielen werden in beiden Ländern als langweilig und zu wenig kosmetikbezogen kritisiert, es zeigt sich darüber hinaus aber auch die Bedeutung kultureller Referenzen: Die vom chinesischen Experten vorgeschlagenen alternativen Spielprinzipien „Chinese Poker“ und „Majiang“ sind in Europa weitgehend unbekannt und würden von in Europa ansässigen Entwicklungsteams sicher kaum als Inspiration für neue Spiele herangezogen werden. Dies unterstreicht die unter 3.2.2 geäußerte Vermutung, dass gerade derart unterhaltende Inhalte mit lokalen Eigenentwicklungen besser auf lokale Bedürfnisse eingehen können. 4.1.4 Grundlegende Unterschiede hinsichtlich der Benutzbarkeit der beiden Länderwebsites konnten in dem Expertengutachten nicht identifiziert werden. Dies sollte jedoch nochmals in einem Test mit echten Anwendern verifiziert werden. Abb 2: Startseite der chinesischen NIVEAWebsite Insgesamt wird vom chinesischen Experten angemerkt, dass besonders die Startseite der NIVEA-Website zu leer und aufgeräumt erscheint. Was in Deutschland und westlichen Ländern als Vorteil gesehen wird, wird vom chinesischen Experten als möglicherweise problematisch gekennzeichnet, da chinesische Websites eher voll und mit vielen Informationen versehen sind. Durch ein zu aufgeräumtes Design 4.1.3 User Engagement Die Einbeziehung und Einbindung von Anwendern auf einer Markenwebsite ist wichtig, um die potentiellen Kunden möglichst lange mit Marke und Produkten in Kontakt zu halten und ein positives Erlebnis zu generieren. Der NIVEA-Website gelingt dies in den beiden untersuchten Ländern unterschiedlich. Während aus deutscher Sicht vielfältige Möglichkeiten angebo- Wissenswertes / authentische Informationen Informationen über Produkte zu bieten ist eine wichtige Anforderung an eine Markenwebsite (je nach Art der angebotenen Produkte). Für die NIVEA-Website bedeutet dies, dass hierauf zu den verschiedensten Produkte Informationen zu Anwendung, Inhaltsstoffen u.v.m. geboten werden sollten. Während das Informationsangebot aus Sicht des deutschen Experten als grundsätzlich umfangreich, nützlich und meist leicht verständlich bewertet wird, werden die Informationen von dem chinesischen Experten als nicht ausreichend kritisiert. Chinesische Konsumenten vermissen laut dem Experten auf Websites europäischer Hersteller generell länder- und kulturspezifische Infor- 201 mationen und Ansprachen. Auf der chinesischen Website von NIVEA fehlen aus Expertensicht insbesondere Informationen, wie und wozu spezielle Produkte genutzt werden können. So fehlen beispielsweise Tipps zur Nutzung von Sonnenschutz speziell für chinesische Hauttypen oder auch Informationen, warum man Deodorants benutzt – eine in Deutschland sicher unnötige, in China aber relevante Information. 4.1.5 Markenadäquanz Wie schon angesprochen, wird die generelle Anmutung und das Design der NIVEA-Website von den Experten beider Länder als passend zur Marke bewertet. Insbesondere in Deutschland, wo NIVEA eine bekannte Marke mit langer Tradition ist, kann durch die Gestaltung der Seite ein direkter Bezug zur Marke hergestellt werden. Marken-Loyalität war hingegen in China historisch ein weniger wichtiges Thema. Laut dem Experten etabliert sich erst seit einiger Zeit ein gewisses Bewusstsein für bestimmte Marken. Westliche und insbesondere auch deutsche Marken werden in China dabei besonders positiv wahrgenommen, da diese dort für Qualität stehen. Trotzdem sind viele deutsche Marken nur teilweise bekannt. Laut dem chinesischen Expertengutachten liegt hierin ein weiteres Optimierungspotential hinsichtlich der chinesischen NIVEA-Website, da die Informationen zur Marke nicht offensichtlich genug kommuniziert werden. So gibt es zwar wie auf der deutschen Site auch einen allgemeinen Bereich „Die Marke“, die wichtigsten Informationen sollten jedoch prägnanter und direkt auf der Startseite kommuniziert werden. Hierzu zählen vor allem, dass NIVEA eine deutsche Marke mit langjähriger Tradition ist und dass NIVEA eine international angesehene und benutzte Marke ist. 202 4.1.6 Sicherheit und Fairness Markenwebsites sollten bei allen Daten, die von den Nutzern z.B. zur Newsletter-Bestellung oder für Gewinnspiele erfragt werden, ein hohes Maß an Sicherheit und Fairness gewährleisten (Sicherheit im Sinne, dass sämtliche angegebenen Daten vertraulich behandelt werden und Fairness, dass keine unnötigen Daten erfragt werden), da sich beide Faktoren negativ auf das Image der gesamten Marke niederschlagen können. Aus Sicht der Usability-Experten gibt es auf den beiden Ländersites von NIVEA keine schwerwiegenden Problemstellen hinsichtlich der Sicherheit und Fairness. Der chinesische Experte merkt jedoch an, dass in China generell ein anderes Sicherheitsbewusstsein herrscht (aufgrund der politischen Lage in der Vergangenheit und der Gegenwart), weshalb chinesische Nutzer im Gegensatz zu westlichen Nutzern weniger gewillt sind, persönliche Daten preiszugeben. Stattdessen werden hier häufiger falsche oder fiktive Daten in Webformularen angegeben, als dies z.B. in Deutschland der Fall ist. Dies sollte also entsprechend bei der Gestaltung von Formularen auf Markenwebsites und deren Fehlertoleranz hinsichtlich der Eingaben berücksichtigt werden. 4.1.7 Technik Die technische Implementierung und insbesondere deren Performance sind weitere kritische Faktoren für die Wahrnehmung und den Erfolg einer Website und insbesondere einer Markenwebsite (vgl. Meyer, Vogt & Glier 2005 und Schwab, Wörmann, Wolf 2005). Daher sollte bei der Gestaltung einer entsprechenden Website immer auch das Wissen über die technische Ausrüstung der Zielgruppe eine Rollte spielen. Während in Deutschland mittlerweile mehr als 60% der Internetnutzer über einen DSL- oder anderen Breitbandanschluss verfügen, ist die Anzahl von Breitbandanschlüssen in China derzeit noch vergleichsweise niedrig. Hinzu kommt laut chinesischem Experten, dass die Verbindung zu in anderen Ländern gehosteten Internetsites aus China heraus ebenfalls niedriger ist, als in westlichen Ländern, was im Falle von NIVEA durch zusätzliches Hosting in Hongkong allerdings nicht der Fall ist. Dies hat zur Folge, dass Websites mit relativ aufwendigen Grafiken, Filmen und anderen interaktiven Elementen (wie den auf NIVEA verwendeten FlashFilmen) teilweise deutlich langsamer laden. Hinzu kommt, dass die Verbreitung von neusten Software-Versionen wie der auf der NIVEA-Website erforderliche Flash Player 8 in China ebenfalls deutlich geringer ist als in westlichen Ländern. Insgesamt könnten diese technischen Anforderungen laut chinesischem Experten dazu führen, dass Nutzer entmutigt werden, die Website in ihrem vollen Umfang zu nutzen. 4.2 Weitere geplante Methoden Auf Grundlage dieser ersten Ergebnisse sind weitere vergleichende Untersuchungen vorgesehen, deren Ergebnisse aber noch nicht vorliegen. Dabei soll zunächst eine OnlineBefragung auf den jeweiligen Landeswebsites durchgeführt werden. Ziel ist es, zum einen die Erkenntnisse aus den Expertengutachten durch quantitative Nutzerdaten zu belegen und zum anderen weitere Informationen über die tatsächlichen Anwender sowie deren Bedürfnissen in den Ländern zu erheben. Die Ergebnisse aus Expertengutachten sowie Online-Befragung sollen anschließend als Fragestellungen in einen Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 internationalen User Experience Test mit Nutzern aus den beiden Ländern einfließen. Hierzu werden Testpersonen aus Deutschland und China zu einem User Experience Test im Labor eingeladen und bei der Bearbeitung typischer Nutzungsszenarien (identifiziert aus den in der Online-Befragung angegebenen Besuchsgründen) beobachtet. Ziel der Studie insgesamt ist es, in Expertengutachten, Online-Befragung und User Experience Test Erkenntnisse zu generieren, die einerseits in die Optimierung und Weiterentwicklung der NIVEAWebsite einfließen sollen. Darüber hinaus sollen grundlegende Richtlinien extrahiert werden, die für die Gestaltung internationaler Markenwebsites global und lokal relevant sind. 5.0 Erste Schlussfolgerungen Obwohl die Ergebnisse der OnlineBefragung und der User Experience Tests noch ausstehen, geben die Expertenevaluationen bereits einige erste Indikationen für Elemente von Markenwebsites, bei denen eine lokale Ausprägung wichtig für eine adäquate lokale User Experience ist: 5.1 Schwerpunkt für europäische Märkte produziert werden. 5.2 Lokale Relevanz der Homepage In der Evaluation wurden sehr spezifische Anforderungen chinesischer Nutzer an die Homepage festgestellt: Sowohl hinsichtlich der vermittelten Informationsfülle als auch hinsichtlich der generellen Einführung der Marke wurden lokale Bedürfnisse geäußert, die mit globalen Templates kaum abzudecken sind. Aus diesem Grund empfiehlt sich auch für die Homepage (und vermutlich auch weitere Seiten, die als Einstiegspunkt für neue Nutzer fungieren sollen) wiederum eine lokale Lösung. Ob eine Modularisierung der entsprechenden Templates hierbei sinnvoll ist, muss durch einen Abgleich mit anderen lokalen Bedürfnissen an die Homepage ermittelt werden: Zeichnen sich dabei entsprechende Parallelen in den Bedürfnissen unterschiedlicher Länder ab, können diese entsprechend modular berücksichtigt werden. Falls es sich andererseits um rein chinesische Bedürfnisse handelt, wäre eine chinesische Ausnahmeregelung sinnvollerWeg. Lokale Bildwahl Um die Darstellung lokal akzeptierter Bildwelten zu ermöglichen, ist im Sinne von 3.2.1 eine modulare Anlage aller international entwickelten WebsiteBereiche in Hinblick auf die eingesetzten Bilder empfehlenswert. Das untersuchte Beispiel NIVEA zeigt allerdings, dass diese Modularität bei Markenwebsites nicht automatisch zu optimalen Ergebnissen führt: Im Falle der NIVEA Website sind zwar alle Bilder lokal wählbar, aber die Auswahl an chinesischen Motiven ist sehr eingeschränkt. Grund hierfür ist, dass auf der NIVEA Website Bilder aus anderen Kommunikationsmaßnahmen der Marke (u.a. Werbung und PR) eingesetzt werden, die bislang im 5.3 Lokale Unterhaltungen Die Evaluation bestätigt die im Vorfeld nahe liegende Vermutung, dass unterhaltsame Inhalte und Community-Formate aus Sicht der User Experience optimalerweise lokal entwickelt werden. Da es sich bei diesen Inhalten häufig um kostspielige Entwicklungen handelt, besteht die Herausforderung in diesem Fall darin, sinnvolle Synergien zwischen ähnlichen Märkten herzustellen, oder von Seiten der zentralen Entwicklung mit entsprechender Infrastruktur zu unterstützen (z.B. Bereitstellen von serverseitigen Community-Funktionen). 6.0 Fazit Bereits die ersten Ergebnisse im Rahmen dieser Studie bestätigen die eingangs aufgestellte These, dass es sinnvoll ist, in Web Globalization Projekten für bestimmte Inhalte und Bereiche andere Vorgehensweisen als eine vollständige Standardisierung zu wählen, um in den jeweiligen Zielmärkten eine optimale User Experience zu gewährleisten. Weitere Untersuchungen werden die bisherigen Ergebnisse ausdifferenzieren und es ermöglichen, weitere Bereiche zu identifizieren, die eine auf lokale Märkte abgestimmte Vorgehensweise erfordern. Wichtig hierbei ist jedoch immer die Einbeziehung von Nutzern aus den relevanten Ländern und Märkten. Auf diesem Wege können anwendbare Erkenntnisse für eine erfolgreiche Balance von lokalspezifischen und international standardisierten Inhalten von internationalen Markenwebsites entwickelt werden. 7.0 Literatur Anholt, S. (2000): Another one bites the Grass: Making Sense of International Advertising. New Jersey: John Wiley & Sons Aykin, N.; Milewski, A. (2005): Practical Issues and Guidelines for International Information Display. In: Aykin, N. (Hrsg.): Usability and Internationalization of Information Technology. New Jersey: LEA Kittler, A. (2006): Usability bei der Internationalisierung von Markenwebsites. Stuttgart: Fraunhofer IRB Verlag Meyer, H.A., Vogt, P. & Glier, M. (2005). Performance und Usability. i-com, Zeitschrift für interaktive und kooperative Medien, Heft 3/2005, S. 62-65. Schwab, K.; Wörmann, M.; Wolf, M. (2005): Erfolgsfaktoren von Markenwebsites. Herunterzuladen unter http://argonauten 360.de/ (Stand: 02.06.2008) Yunker, J. (2008): The Web Globalization Report Card 2008. San Diego: Bytelevel Research 203 NEW HMI Möglichkeiten und Grenzen abstrakt-geographischer Visualisierung in Bereich der Anlagensteuerung Thomas Hofmann Institut für Arbeitswissenschaft TU Darmstadt Petersenstraße 30 64287 Darmstadt [email protected] Peter Holzkämper SIG Combibloc Systems GmbH Rurstrasse 58 D-52441 Linnich [email protected] Abstract Die funktionale Komplexität aktueller und zukünftiger Leitwarten erfordert ergonomisch optimierte Schnittstellen. Die Firma SIG Combibloc GmbH ist sich der Notwendigkeit nutzerangepasster Interfacegestaltung im industriellen Umfeld bewusst und strebte die Neuentwicklung des existierenden Systems an. Im Rahmen des Forschungs- und Entwicklungsprojektes NEW HMI wurde ein komplett neues Mensch-Maschine Interface entwickelt, 1.0 Einleitung Idealerweise bedient hoch qualifiziertes Personal entsprechend komplexe Produktionsanlagen, wodurch eine gewisse Interfacekomplexität akzeptabel scheint. In der Realität erfolgt die Kontrolle und Manipulation laufender Prozesse jedoch häufig auch durch angelernte und gering qualifizierte Arbeitskräfte, zumeist unter Zeitdruck. In Zukunft wird diese Situation aufgrund ökonomischer Faktoren zunehmend zum Normalzustand werden. Mit steigenden Komplexität von Fertigungsstraßen und Produktionslinien wird es allerdings auch für hochqualifiziertes Personal immer schwieriger die Menge an Informationen zu analysieren und entsprechend effektiv zu handeln. Entsprechend müssen die Schnittstellen zukünftig wesentlich besser an die je- 204 welches die Kontrolle und Anpassung der laufenden Produktion ermöglicht. Des Weiteren dient die Schnittstelle der Systemadministration zur Modifikation Rezept unabhängiger Maschinenparameter. Keywords Integrative Hard- und Softwareentwicklung, Designsprache, nutzer- und kontextzentrierte Gestaltung Das Interface wird sowohl von Maschinenbedienern, als auch von Personen aus der Systementwicklung bedient. weiligen Interaktionsprozesse zwischen Nutzer und Technik angepasst werden. Diese Situation stellte die Entwickler des HMI vor die Aufgabe, eine Systemschnittstelle zu gestalten, die einerseits auch ohne Verständnis der Gesamtkomplexität sicher und effektiv zu bedienen ist, andererseits bestimmten Nutzern komfortabel die Möglichkeit gibt, tief in das System einzugreifen und grundlegende Veränderungen vorzunehmen. 2.0 Grundlagen der Entwicklung Motivation zur Entwicklung eines neuen MMI liegt in zwei Faktoren begründet. Eine Produktionslinie zur Abfüllung von Verbundverpackungen setzt sich üblicherweise aus unterschiedlichen Produktionsschritten zusammen. Die eigentliche Füllanlage wird ergänzt durch Arbeitsschritte wie Anbringen von Ausgießern, Trinkhalmen, Bedrucken mit MHD oder der Pallettierung. Diese Produktionsschritte werden an eigenständigen Systemen durchgeführt, welche entsprechend individuelle MMI besitzen. Dieser Umstand bedingt eine entsprechend längere Lernphase durch den Nutzer (Operator). Ebenso ist die Reaktionsfähigkeit im Fehlerfall aufgrund unterschiedlichen Bedienphilosophien und Designs beeinträchtigt. Aus diesem Grund sollte ein homogenes MMI entwickelt werden, über welches alle Produktionsschritte und angeschlossenen Systeme zentral kontrolliert und gesteuert werden können. Der zweite Grund für die Neukonzeption des Interfaces war, die Neuformulierung der zukünftigen Nutzergruppen. Das zukünftige MMI sollte anders als das existierende den Ansprüchen zweier Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 unterschiedlicher Nutzergruppen entsprechen. Zum einen dem Operator (Maschinenbediener im täglichen Produktionsprozess), zum anderen dem Systementwickler. Der Operator zeichnet sich dadurch aus, dass er nur einen sehr geringen Interaktionsumfang besitzt. Seine Aufgaben bestehen neben der Auswahl eines bestimmten Rezeptes vor allem in der Überwachung der laufenden Produktion und Beseitigung von Fehlern, die zum Produktionsausfall führen oder führen könnten. Dazu muss der Operator in der Lage sein, auftretende Systemmeldungen (Fehler und Störungen) sofort auf dem Bildschirm zu sehen und deren Ursache lokalisieren zu können. Die Interaktion mit dem Interface beschränkt sich vor allem auf die Behebung von Fehlern, beziehungsweise die Bestätigung behobener Fehler. Der Systementwickler hat im Gegensatz zum Operator nicht den eigentlichen Produktionsprozess im Fokus, sondern Systemeinstellungen. Diese Einstellungen dienen der Optimierung der Füllrezepte und davon unabhängigen Systemmodifikationen. Da diese Arbeitsschritte massiven Einfluss auf die Funktionalität der Produktionsanlage haben, werden sie nur von hochqualifiziertem Personal durchgeführt. Der Zugang zu diesen Funktionen ist dem normalen Operator nicht möglich. 2.1 Abb. 3: MMI Roboter Abb. 1: Bisheriges Haupt MMI (Touchscreen) Die ergänzenden MMI basieren auf anderen Plattformen, in ihrer Hardware, wie in ihrer Software. Wie aus den Abbildungen ersichtlich, stellt sich die MMI Landschaft einer Produktionsanlage als sehr heterogen dar. Weder die Bediensystematik, noch die Darstellung unterliegen einer durchgängigen Systematik. Es existieren hintergundbeleuchtete LCD, TFT Touchscreens, sowie konventionelle LCD. Die Bedienung erfolgt über Folientasten, Hardkeys oder Touchscreen. Die Bedienung durch das Personal erfordert erhöhten Lern- und Anpassungsaufwand. Status Quo Derzeit existiert ein MMI zur Steuerung und Manipulation der Fülleinheit. Dieses Interface basiert auf den konventionellen MMI Authoring Werkzeugen. Die Architektur und das Interface Design sind nicht an die unterschiedlichen Bedürfnisse der Nutzergruppen angepasst, die Bedienung ist nicht an den Produktionsprozess abgestimmt. 3.0 Architektur Der Gestaltung des Interfaces liegt das Konzept zugrunde, eine Repräsentation des physikalisch existierenden Systems darzustellen. Das Interface sollte in allen Darstellungsebenen reale Zusammenhänge widerspiegeln. Dies bietet dem Nutzer eine einfache und konsistente Orientierungshilfe. Dieses Prinzip sollte auch bei der Navigation zwischen den einzelnen Screens des Interfaces Anwendung finden. Zudem sollte das Interface dem Nutzer kontinuierlich alle Systemmeldungen visualisieren. Eine komplette Produktionslinie ist allerdings mit mehreren hundert Signalgebern ausgestattet, eine entsprechend übersichtliche vollständige Darstellung ist nicht realisierbar. Aus diesem Grund wurde zur Visualisierung der Ansatz der Substitution und Kondensierung verfolgt. Systemmeldungen einer funktionalen Einheit sollten in der nächst höhern Organisationseinheit zu einer abstrahierten Systemmeldung zusammengefasst dargestellt sein. Dadurch wird gewährleistet, dass alle Meldungen eine graphische Repräsentation erfahren und die Übersichtlichkeit trotzdem gewahrt ist. Abb. 2: MMI Drucker für MHD 205 Abb. 4: Das Prinzip der substituierenden Signaldarstellung Um eine für den Nutzer plausible Darstellungs- und Interaktionsform zu entwickeln wurden darauf aufbauend zahlreiche unterschiedliche konzeptionelle Ansätze entwickelt und prototypenhaft realisiert. Als Gestaltungshilfe wurde von mathematischen Modellen der Selbstähnlichkeit und unendlichen Wiederholbarkeit ausgegangen. Es wurde von Seiten der Maschinenkonstruktion überlegt, die Systemarchitektur zu überarbeiten. Man hatte zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeit, uneingeschränkt von bestehenden Restriktionen, ein Interfacedesign Konzept zu gestalten. Aus diesem Grund wurde auf sehr abstrakte Modelle zurückgegriffen. Abb. 5: Darstellung selbstähnlicher Elemente nach Mandelbrot 206 Abb. 6: Vereinfachtes Modell selbstähnlicher Elemente Die ersten Ansätze basierten auf Darstellungsprinzipien, die auf einer homogenen Verteilung von Informationen und Unterinformationen basieren. Die Schwierigkeit der Umsetzung lag darin, dass es sich bei dem vorliegenden technischen System um ein sehr heterogenes Produkt handelt. Die einzelnen Systemmeldungen sind in ihrer Menge und Verteilung zu funktionalen Einheiten nicht gleichmäßig. So ließen sich zunächst keine befriedigenden Darstellungsformen realisieren. 3.1 Ansatz 1 In der ersten Phase wurde überlegt, Informationsmelder konzentrisch um die übergeordente Informationseinheit zu gruppieren (Abb 7), welcher wiederum Teil einer übergeordneten Einheit ist. Dieses Model, wie auch die daraus entwickelten Varianten stellten sich als nicht praktikabel heraus – die Menge der Unterinformationen je Einheit war zu unterschiedlich, eine geeignete Darstellungsform lies sich nicht finden. Die Darstellung der Informationen lies sich nicht wie in Abbildung 7 entwickeln, es entstand ein sehr unübersichtliches Gesamtbild, welches die Gesamtarchitektur negativ geprägt hätte. Abb. 7: Darstellungsvariante 1 3.2 Ansatz 2 In einer weiteren Iterationsstufe wurde mehr Rücksicht auf die physikalische Struktur der Maschine genommen. So wurde auch die Darstellungsform weniger geometrisch und bot mehr Platz für die entsprechenden Systemmelder. Dabei stellte sich im Rahmen von Simulationen heraus, dass die Wahrnehmbarkeit der Systemmeldungen nicht ausreichend gewährleistet war (Abb 8). Das Gesamtdesign wirkte auch hier zu verstreut und verhinderte eine klare Zuordnung der Systemmeldungen zu physikalischen Einheiten. Abb. 8: Darstellungsvariante 2 3.3 Ansatz 3 Da die Wahrnehmbarkeit und Rückverfolgbarkeit individueller Fehlermeldungen zu den wichtigsten Funktionali- Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 täten gehören sollte, wurde das System kompakter aufgebaut. Dabei half ein mentales Modell aus der Architektur. Im Rahmen des Projektes wurde es OpenDoor Prinzip genannt. In einigen Ausgestaltungen erinnerte es an den Grundriss von Gebäude- oder Raumplänen (Abb 10). Produktionsanlage, als in den zuvor konzipierten Designs. Die Übertragung idealisierter Modells war nicht befriedigend möglich. Diese Modelle waren nicht ausreichend in der Lage, die tatsächliche Anforderung der Übersichtlichkeit mit einer ergonomischen Bedienbarkeit zu kombinieren. Es musste entsprechend ein anderer Ansatz der Darstellung gewählt werden. Die Zieldefinition, dem Nutzer ein möglichst übersichtliches Interface zu präsentieren, führte schließlich dazu, dass sich die Darstellung an der Geographie der Produktionsanlage anlehnt. Der Ansatz einer physikalischen oder geographischen Repräsentanz wird in zahlreichen Interfacedesigns verfolgt. Die Differenzierung zwischen dem NEW HMI und den konventionellen Formen besteht darin, dass man sich hier auf sehr rudimentäre Gestaltungselemente beschränkte und die Darstellung stark abstrahierte. Abb. 9: Modell für die OpenDoor Idee Der Nutzer gelangt zu den individuellen Fehlermeldungen, indem er wie durch Flure zu einzelnen Zimmern geht. Der Weg zu dem Zimmer (Systemmeldung) wird ihm optisch klar signalisiert. Als Gestaltungselemente wurde auf sehr wenige Charakteristika zurückgegriffen: • • • Abb. 10: Darstellungsvariante des OpenDoor Prinzips mit farblicher Hervorhebung 4.0 Design Das finale Design orientiert sich schließlich stärker an der realen Physik der die Nähe von zusammengehörigen Funktionen die zeitliche Abfolge von Arbeitsschritten farbliche Kennzeichnung von Systemzustandsänderungen Das gesamte Interface ist grundsätzlich monochrom gehalten. Bis auf Temperaturwerte in der Skalendarstellung werden farblichen Hervorhebungen lediglich zur Visualisierung von Warnungen genutzt. Dadurch bekommen kritische Systemveränderungen die notwendige prominente Darstellung. Das Interface ist zweigeteilt. Es existiert ein Navigationsbereich, der ständig alle Systemmeldungen substituiert darstellt. Ergänzt wird dieser Bereich durch den Interaktionsbereich, der dem Nutzer den Zugriff auf die zu einem funktionalen Bereich gehörenden Manipulatoren repräsentiert. In den Bereichen sind die Funktionselemente so zueinander gruppiert, wie an der realen Produktionslinie (Abb 11). Es gibt hier einen zweireihigen Aufbau, wobei die obere Reihe übergeordnete Funktionen beinhaltet, welche sich auf die gesamte Produktionslinie beziehen, im unteren Bereich ist eine Zweiteilung in die untergeordneten physikalisch getrennten Einheiten (Dornradteil und Kettenteil) vorgenommen. Während aus Platzgründen in der Navigationsansicht alle funktionalen Einheiten eine identische Größe aufweisen, unterliegt die Gestaltung im Manipulationsbereich einem anderen Prinzip (Abb 12). Die Abfüllung an den Maschinen der SIG Combibloc erfolgt parallel in mehreren Bahnen. Je nach Modell werden die Verpackungen zwei- bis sechsbahnig verarbeitet – analog erfolgt auch die Darstellung im MMI. Weiterhin gibt es funktionale Einheiten, die nicht an eine einzelne Bahn gebunden sind. Diese Funktionalitäten sind entsprechend oberhalb der bahnbezogenen Melder angeordnet. Ihre Größe richtet sich nach dem Einflussbereich in der Produktion. Aufgrund dieser gestalterischen Besonderheiten ist der Nutzer jederzeit in der Lage unmittelbar zu sehen, wo, in welchem Kontext und mit welcher Dringlichkeit eine Fehlfunktion vorliegt. Das Ergebnis ist eine Gestaltung, die eine effektive Orientierung ermöglicht redundante graphischen Elemente werden vermieden. Die Größe der Elemente resultiert aus der Bedienung per Touchscreen. 207 Abb. 11: Beispiel Navigationsansicht Das Interface ermöglicht in seiner Ausgestaltung ein Höchstmaß an Übersichtlichkeit, kombiniert mit einer schnellen und effektiven Bedienbarkeit. Usabilityuntersuchungen im Vorfeld zeigten zahlreiche Defizite konventioneller Schnittstellen. Ein signifikantes Charakteristikum für die schlechte Bedienbarkeit existierender Interfaces ist die nur unzureichende Anpassung des Designs an den realen Arbeitsprozess. Der Bildschirm ist häufig aufgrund standardisierter graphischer Elemente mit Informationen überlastet, die für den Nutzer nicht relevant oder in ihrer Hierarchisierung falsch sortiert sind. Hier war es möglich auf ein sehr flexibles und modernes Werkzeug zur Interfacedesign Entwicklung zurückzugreifen und somit neue effektive Lösungen zu generieren. 5.0 Abb. 12: Finales Design 4.1 Gründe für das finale Design Ein leistungsstarkes Authoring Werkzeug zur Entwicklung Maschinensteuerungen eröffnete die Chance, konventionelle Darstellungsformen zu hinterfragen und neue Konzepte zu verfolgen. Auf dieser Basis entstanden zahlreiche Designs, welche auf Relevanz und Bedienbarkeit hin untersucht wurden. Aufgrund des Gestaltungsspielraumes von Seiten der Software, sowie der Offenheit der Firma SIG Combibloc war es möglich, ein Interaktionskonzept zu entwickeln, welches sich deutlich von den bekannten Designs im Bereich der Investitionsgüter abhebt. 208 Restriktionen bei der Designentwicklung Obwohl das Entwicklungswerkzeug die Umsetzung vieler graphischer und funktionaler Gestaltungselemente unterstütze, waren zahlreiche Wünsche von Seiten des Designs und der Usability noch nicht umsetzbar. Die enge Zusammenarbeit mit dem Werkzeughersteller ermöglicht in Zukunft allerdings mehr Spielraum. 6.0 Usability & Design Das Design wurde auf Basis vorgeschalteter Usabilitytests entwickelt. Die Designentwicklung fand iterativ statt. Das Design ersetzte sukzessive das bestehende Design an existierenden Maschinen. Aufgrund kontinuierlichen Feedbacks zwischen Nutzern, Entwicklungsabteilung und Design existierte ein sehr konstruktiver Entwicklungsprozess. Diese Faktoren unterstützen die Entwicklung eines effektiv funktionierenden Interfaces. Der Einsatz des Interfaces im realen Produktionsumfeld zeigt ein hohes Maß an Akzeptanz durch die Nutzer. Nicht nur aufgrund der hohen Funktionalität, sondern der Visualisierung. Bisherige Interfaces in diesem Sektor waren designtechnisch, wie ergonomisch nicht optimal auf den Anwender abgestimmt. Das nun vorliegende MMI funktioniert nicht nur effektiv, es zeigt dies auch durch ein modernes und funktionales Design, was bei den Nutzern zu einer sichtlich höheren Motivation führt, das System zu erlernen und zu bedienen. 7.0 Literaturverzeichnis Holland, John (2000): Emergence: From Chaos to Order, Oxford University Press Miller, John H. (2007): Complex Adaptive Systems: An Introduction to Computational Models of Social Life, University Presses of California Stankowski, A.; Duschek, K (1994): Visuelle Kommunikation. Reimer Verlag, Berlin Shannon, C.E., Weaver, W. (1949): The Mathematical Theory of Communication, Urbana Ill. Tufte, Edward R. (1994): Envisioning Information, Graphics Press USA Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 U n ternehme ns s t ra t e g i e U ser-Centere d - D e s i g n 209 210 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Interdisziplinär: User-Centered Design im Großunternehmen Kostanija Petrovic User Experience SAP AG Dietmar-Hopp-Alee 16 69190 Walldorf [email protected] www.sap.com Matthias Harbusch User Experience SAP AG Dietmar-Hopp-Alee 16 69190 Walldorf [email protected] www.sap.com Carola Fellenz Thompson User Experience SAP Labs LLC Palo Alto United States CA [email protected] www.sap.com Abstract Die erfolgreiche Gestaltung nutzergerechter Produkte ist nur unter Beteiligung aller betroffenen Disziplinen möglich. Diese ist ihrerseits an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Wir von SAP verfolgen nun seit mehreren Jahren den Ansatz, Methodenwissen breiten Teilen der Organisation zur Verfügung zu stellen. Dies geschieht durch das Angebot von Methodentrainings, die Publikation von Prozessdokumentation, Tools und Vorlagen einerseits sowie durch Projektarbeit andererseits. Wir stellen in diesem Beitrag unsere Erfahrungen mit der Vermittlung von 1.0 Einleitung User-Centered Design (UCD), oder zu deutsch benutzerzentrierte Produktgestaltung, beschreibt den Prozess der Erhebung und Definition von Benutzeranforderungen sowie deren Umsetzung im Produkt. Für den Prozess finden sich Beschreibungen bei verschiedenen Autoren, u. a. bei Hix und Hartson (1993) oder Beyer und Holtzblatt (1998) um nur wenige zu nennen, sowie in der DIN EN ISO 13407 Benutzerzentrierte Gestaltung interaktiver Systeme (1999). Der Prozess des UCD beinhaltet: x x x x Methoden sowie ihrer erfolgreichen Anwendung in Projekten vor. In der Kommunikation des User-Centered Design Prozesses (UCD) und dessen Anwendung bedarf es der Nutzerzentrierung! Eine Botschaft, die keiner versteht, ist keine Botschaft. Sowohl die Zusammenarbeit unterschiedlicher Disziplinen als auch der gezielte Einsatz von User Experience Experten sind notwendige Voraussetzungen erfolgreicher Projekte. Keywords zer und deren Anforderungen, iteratives Vorgehen sowie die empirische Überprüfung der Entwürfe seitens der Benutzer. Seitens der User Experience Abteilung bei SAP wurde für SAP ein UserCentered Design Prozess definiert, der die folgenden Phasen umfasst: Wie Burmester et al. (2005) betonen, bedeutet benutzerzentrierte Produktgestaltung mehr, als lediglich die Berücksichtigung von Belangen potentieller Benutzer, vielmehr ist die „direkte Benutzerbeteiligung am Gestaltungsprozess von zentraler Bedeutung“. Plan for UCD – Projektplanung unter Berücksichtigung der erforderlichen Ressourcen für UCD Aktivitäten. Research – Erhebung von Nutzeranforderungen durch Felduntersuchungen und Analyse bestehender Ergebnisse aus vergangenen Projekten. Design – Entwicklung von Use cases, basierend auf den Ergebnissen der vorangegangenen Phase, Übersetzen der Use cases in User Interfaces, beginnend mit groben Entwürfen, die mit mehreren Iterationen durch Endbenutzerfeedback immer weiter verfeinert werden. Analyse von Anforderungen, Aufgaben- und Zielbeschreibung aus Benutzersicht Definition von Benutzeranforderungen Konzeption und Entwurf Evaluation Prinzipien des User-Centered Designs sind die frühe Fokussierung auf Benut- User-Centered Design, Methodentraining, Interdisziplinarität, Business Software Adapt – Anpassen der UI Designs an die Möglichkeiten der technischen Umsetzung. Abb. 1: User-Centered Design bei SAP 211 Measure – Summativer Test der Software – Überprüfung, ob das Produkt die erhobenen Anforderungen erfüllt. 1.1 Interdisziplinarität – Bereicherung oder Hindernis? Wie bereits Seffah und Metzker (2004) in ihrem Beitrag zur Integration des Usability Engineerings in das Software Engineering herausgestellt haben, gilt es bei der erfolgreichen Integration von benutzerorientierten Produktentwicklungsmethoden in einen Produktlebenszyklus einige Hürden zu überwinden, welche nicht zwingend technischer Natur sind. Neben den organisatorischen Herausforderungen spielt vor allem die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen eine große Rolle. Ein Grundverständnis für die jeweils andere Disziplin muss auf beiden Seiten vorhanden sein. Da zumeist die Ausbildung von Entwicklern technisch orientiert ist, während Ausbildungen im Bereich User Experience eher im gestalterischen oder arbeitspsychologischen Umfeld stattfinden, entstehen Kommunikationshürden. In der Praxis scheitert die Kommunikation oftmals bereits an recht populären Konzepten, wie beispielsweise Use cases – was ist ein Use case, was ein Szenario? Ein Use case nach dem Ansatz von Cockburn (2001) deckt sich nicht zwingend mit einem Use case auf Ebene eines Business Szenarios. Ein Use case im Cockburn-Format beschreibt eine Abfolge von Interaktionsschritten aus Benutzersicht, ein Business Szenario hingegen beschreibt den Ablauf eines Geschäftsprozesses. Trotzdem wird für letzteres oftmals ebenfalls der Begriff Use case verwendet. Wie also stellt man sicher, dass man, wenn man vom Gleichen spricht, auch das Gleiche meint? In dem man grundlegende Konzepte der Methoden des 212 User-Centered Design im Rahmen von Trainings vermittelt. Wenn innerhalb einer Disziplin Meinungsverschiedenheiten über Namen und Konzepte bestehen – und das ist bei dem Thema UCD mit Sicherheit der Fall – stellt dies besondere Anforderungen an die Kommunikation. Ein standardisierter Prozess, wie er bei der SAP AG angewendet wird, hilft dabei, die Begrifflichkeiten zu vereinheitlichen und reduziert dadurch das „Rauschen“. Darüber hinaus muss der Mehrwert, welcher durch den Einsatz von UCDMethoden im Produkt entsteht, überzeugend vermittelt werden. Wenn dieser Zugewinn an Produktqualität erfolgreich kommuniziert wird und die Methoden des UCD fester und allseits akzeptierter Bestandteil des Requirements Engineering und des Entwicklungsprozesses sind, ergibt sich daraus eine verbesserte Zusammenarbeit der verschiedenen Disziplinen. So können die Beteiligten ihr gemeinsames Ziel erreichen: qualitativ hochwertige Software zu erstellen, die gerne von den Benutzern verwendet wird und diese optimal bei ihrer Arbeit unterstützt. 1.2 Möglichkeiten und Grenzen von Trainings Im ersten Teil unseres Beitrags gehen wir näher auf die Erfahrungen aus zwei Jahren Methodentraining für fachfremde Zielgruppen, konkret Produktmanager und Entwickler, ein. Hier hat sich gezeigt, dass zwar einige Schwierigkeiten bei der Methodenvermittlung auf kommunikativen Hürden basieren, die es zu überwinden gilt, andere jedoch darauf schließen lassen, dass bestimmte Aufgaben im UCD Prozess nur durch Experten ausgeführt werden sollten. Denn nur die Experten verfügen über die notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen, um die standardisierten Methoden effizient einzusetzen und somit zur erfolgreichen Projektdurchführung beizutragen. 1.3 Erfolgreich mit UCD - Entdecke die Möglichkeiten! Im zweiten Teil unseres Beitrags stellen wir Erfahrungen aus erfolgreichen Projekten vor. Wir berichten über hilfreiche (Kommunikations-)Strategien sowie Projektmanagementanforderungen. Hier hat sich gezeigt, dass das Prinzip der Nutzerperspektive in vielerlei Hinsicht Anwendung findet. 2.0 Teaching UCD – Ein Erfahrungsbericht Im Zuge der organisatorischen Zusammenlegung verschiedener User Interface Design Bereiche, die erstmals vor wenigen Jahre erfolgte, entstand eine erste Version von Methodentraininings. Die organisationsweit angebotenen Kurse deckten folgende Themen ab: 1. 2. 3. Understanding Users – Durchführung von Site Visits. Use Cases – Erstellung von Use cases Formative Usability Evaluation – standardisierte Durchführung von formativen Evaluationen. Der Beitrag konzentriert sich auf die Erfahrungen aus den ersten beiden Trainings. 2.1 Understanding Users Ziel des eintägigen „Understanding Users“ Trainings war es, Grundlagen der Durchführung von Feldstudien mit Endbenutzern, sogenannter „Site Visits“, zu vermitteln. Hierbei wurden thematisch von der Definition des Zielnutzerprofils bis zur Fragebogenerstellung und Interviewdurchführung Grundlagen abgehandelt sowie in Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 praktischen Einheiten eingeübt. In einer weiteren Version des Trainings wurde an einem einfachen Beispiel eine Aufgabenanalyse anhand von im Training erhobener Daten durchgeführt. Der Erfolg des Kurses bestand, neben der Grundlagenvermittlung, in erster Linie darin, den Kollegen eine Möglichkeit zum Perspektivwechsel zu geben, einen ungewohnten Blick auf den Menschen vor der Maschine statt auf Systemfunktionalität zu werfen. Die Rückmeldung aus den Kursen zeigt, dass die Idee der benutzerzentrierten Produktgestaltung auch für Fachfremde von Interesse und ein solcher Ansatz wünschenswert ist. Es zeigte sich aber auch, dass organisatorische Änderungen und das Engagement von übergeordneten Managementebenen notwendig sind, um den Prozess tatsächlich zu leben. setzung des Prozesses in Projekten von der Anwesenheit eines UCDExperten mit geeigneter methodischer Ausbildung (bspw. Psychologie) abhängig ist, da insbesondere die Auswertung der gesammelten Daten nur von solchen effizient durchgeführt werden kann. Des Weiteren ist eine kontextgerechte Wissensvermittlung notwendig; die Methoden müssen im Projektzusammenhang dargestellt werden und gemeinsam mit Grundlagen des Projektmanagements vermittelt werden. Als Konsequenz wurde von der Erstautorin ein neues Training entwickelt, das die Methodenvermittlung eng an die Projektplanung und -durchführung knüpft und Beispiele zur Aufwandsschätzung und Aufgabenverteilung gibt. 2.2 Einige der Trainingsteilnehmer zeigten sich überrascht vom Trainingsinhalt. Waren sie hier nicht in einem Training, bei dem es um User Interfaces ging? Erstaunlicherweise kam kein einziger Bildschirminhalt im ganzen Kurs vor. Und Nutzerbedürfnisse? Stellte man hier nicht Standardsoftware her, deren Ziel es niemals sein konnte, individuelle Bedürfnisse und Vorlieben zu befriedigen. Aufgabenziele? Was hatte das mit dem Businessprozess zu tun, den doch die ganze Funktionalität abbilden sollte? Und was war jetzt eigentlich genau eine Aufgabe? Was hatte das jetzt alles mit Dialoggestaltung („Screendesign“) zu tun? Als Reaktion auf das Feedback aus den Kursen wurde ein eigener Überblickskurs geschaffen, der UCD direkt in den Kontext der Anforderungsdefinition stellt. Selbst wenn Grundlagen des UCD erfolgreich vermittelt wurden, zeigt die Erfahrung, dass eine erfolgreiche Um- Use cases Eines der Schlüsseldokumente im UCD Prozess ist die Erstellung von Use cases im Cockburn-Format (2001). In einem eintägigen Training wurden Grundlagen der Use case-Erstellung im Textformat vermittelt. Diese Grundlagen umfassten die Benennung von Nutzern, die Identifikation von Nutzerzielen sowie die Erstellung von einfachen Use cases. Im Fokus stand dabei die Erstellung von Use cases auf Nutzerziel-Ebene. Dieses Vorgehen setzt voraus, dass bei der tatsächlichen Projektdurchführung ebendiese Nutzerziele auch erhoben wurden. Gerade bei den ersten zu schreibenden Use cases herrscht große Verunsicherung darüber, wie genau diese definiert sein müssen. Was ist die richtige Granularität? Woher weiß ich, wie die Use cases miteinander zusammenhängen? Eine Projektbegleitung durch User Experience Experten hilft, Verunsicherung zu reduzieren und effizient erste Use cases zu erstellen. 3.0 User-Centered Design meets Reality Es reicht nicht, einen guten Ansatz zu verfolgen, den Wenige kennen bzw. verstehen. Die Frage, die man sich und seinen Kollegen zunächst stellen muss, ist: Wann ist ein Produkt erfolgreich am Markt? Die Antwort scheint auf der Hand zu liegen: Das Produkt trifft die Bedürfnisse der Kunden, denn es ist attraktiv und benutzbar. Doch wie erreicht man diese Eigenschaften eines Produkts – wie sieht der zugehörige Produktentwicklungsprozess aus? Nach eingehender Marktanalyse, Ideensammlung und Kundeninterviews wird zu einem bestimmten Zeitpunkt das Produkt definiert (Produktdefinition). Handelt es sich bei dem Produkt um Software, arbeiten hier Produktmanager, Entwickler und im besten Falle auch User Interface Designer zusammen. Jeder der Beteiligten verfügt über eigene Vorstellungen davon, wie der ideale Produktentwicklungsprozess auszusehen hat, was mittelfristig den Kommunikationsbedarf, wie oben dargestellt, erheblich steigert. Aus Sicht der User Experience Kollegen, bedeutet das oft Aufklärungsarbeit an vorderster Front, im englischen Sprachgebrauch auch gerne als „Evangelisieren“ bezeichnet. Basierend auf Erfahrungen aus zahlreichen Projekten wird aufgezeigt, dass Überzeugen durch „Predigen“ nicht der Schlüssel zum Erfolg ist. Vielmehr gilt es 213 auch hier, die Sprache seiner Nutzer zu sprechen und Lösungen anzubieten, die auf die Bedürfnisse, Fähigkeiten und Kenntnisse der Benutzer eingehen. Also in diesem Falle von Produktmanagern, Entwicklern und Entwicklungsarchitekten, die alle „UCD-Prozess-Benutzer“ sind. Der Schlüssel ist, das gemeinsame Ziel in den Vordergrund zu stellen. Das Ziel von UCD ist, ein besseres Produkt zu schaffen und nicht, noch mehr Projektdokumente auszufüllen. UCD dient zur besseren „Ziel-“ also Produktdefinition und führt so zu neuen, besseren Produkten, die sich folglich besser verkaufen lassen. Jetzt wurden die erhobenen Daten noch nicht ausgewertet – pro Interviewstunde kann man mit einem vielfachen an Auswertungsaufwand rechnen. Einem Tag Durchführung stehen drei bis vier Tage Auswertung gegenüber, und das gilt für das gesamte Projektteam. Hier zeigt sich bereits eine der ersten Herausforderungen – ein solcher Aufwand muss sich am Ende auch rechnen. Denn tatsächlich sind, je nach Projektumfang, mehrmonatige Erhebungs-aktivitäten in der Produktdefinitionsphase nötig, um alle erforderlichen Prozesse zu untersuchen. 3.2 3.1 UCD und Projektmanagement Die Durchführung eines konkreten UCD-Projekts beginnt bereits vor dem eigentlichen Projekt mit dessen Planung. Schon hier müssen die Kolleginnen aus den Bereichen Entwicklung und Produktmanagement konkret unterstützt werden, um die wichtigen Schritte des UCD umsetzen zu können. Wie sieht das im Einzelnen aus? Für eine erfolgreiche UCD-Planung müssen realistische Aufwandschätzungen zur Verfügung gestellt werden – bspw. Manntage für die Durchführung und Auswertung eines Nutzerinterviews im Arbeitskontext. Zusätzlich muss der Gesamtbedarf an solchen Aktivitäten für das Projekt geschätzt werden. Ein konkretes Beispiel: Für die Durchführung von zwei aufeinanderfolgenden Nutzerinterviews an einem Arbeitsplatz braucht man zwei Projektmitarbeiter und einen Tag – entsprechend zwei Manntage. In der Regel werden jedoch jeweils zwei Interviews parallel durchgeführt – also vier Interviews insgesamt – in Summe vier Manntage usw. 214 UCD und Kommunikation Aus einer solchen Konstellation ergibt sich eine besondere Anforderung an die Kommunikation innerhalb des Projektteams. Wichtig ist es hier immer wieder das Ziel, nämlich ein benutzerfreundliches Produkt zu schaffen, in den Fokus zu rücken. Zunächst muss ein gemeinsames Verständnis vom „Problemraum“ geschaffen werden. Als hilfreiches Instrument erweist sich die offene, nicht-direktive Fragetechnik. Diese kann in Projektgruppentreffen angewendet werden, um alle notwendigen Informationen über das Projekt zu erhalten. Oftmals gehen die Projektbeteiligten von Annahmen aus, ohne diese zu konkretisieren und mit Teamkollegen auszutauschen. Dabei handelt es sich um eine ähnliche Vorgehensweise, wie im Nutzerinterview, nur mit einer anderen Zielsetzung. Die Frage lautet: „Wie siehst Du das?“ Nur durch Offenheit gegenüber anderen Perspektiven ist es möglich, eine gemeinsame Problemlösung zu finden. Konkret bedeutet das, erst eine gemeinsame Sicht auf die Projektsituation zu erarbeiten. Im nächsten Schritt können die Vorteile des UCD-Prozesses aufgezeigt werden. Ein Aufzeigen bedeutet, dass ohne Belehrung anhand gemeinsamer Ziele ein Vorgehen herausgearbeitet wird, das im Interesse aller Beteiligten ist. Durch einen solchen partizipativen Ansatz sind alle Projektbeteiligten „Inhaber“ der Lösung, die Ihnen nicht durch einen „predigenden“ Experten diktiert wird. Nachdem eine Einigung über die Ziele und die weitere Vorgehensweise erreicht wurde, können die ersten Schritte im UCD-Prozess durchgeführt werden. Die sind erfahrungsgemäß oft ein wenig holprig, doch je weiter das Projekt fortschreitet, umso eingespielter ist das Team und umso besser funktioniert der Prozess. 4.0 Literatur Beyer, H.; Holtzblatt, K. (1998): Contextual Design – Defining Customer-Centered Systems. San Francisco: Morgan Kaufmann Publishers. Burmester, M.; Machate, J.; Sandweg, N. (2005): Integration benutzerzentrierter Methoden in die Software-Entwicklung. In: i-com, Zeitschrift für interaktive und kooperative Medien. 3/2005. München: Oldenbourg. Cockburn, A. (2001): Writing Effective Use Cases, Boston: Addison Wesley. DIN EN ISO 13407 (1999): Benutzerorientierte Gestaltung interaktiver Systeme, Berlin: Beuth Verlag. Hix, D.; Hartson, H. R. (1993): Developing User Interfaces: ensuring usability through product and process. New York: Wiley. Seffah, A.; Metzker, E. (2004): The Obstacles and Myths of Usability and Software Engineering. In: Proceedings of the ACM, 47, 12. Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Human-Centered Design als Unternehmensstrategie: Ein Arbeitsbericht Clemens Lutsch Microsoft Deutschland GmbH DPE Konrad-Zuse Str. 1 85716 Unterschleißheim [email protected] www.microsoft.com Kostanija Petrovic User Experience SAP AG Dietmar-Hopp-Alee 16 69190 Walldorf [email protected] www.sap.com Abstract Die Einführung von Human-Centered Design Prozessen nach ISO 13407 hängt von vielen Einflussgrößen ab, die für Unternehmen schwer einzuschätzen sind. Der Erfolg eines solchen HCDProzesses ist aber entscheidend mit der Frage verbunden, ob das Management die Ziele des HCD teilt und diese als unternehmerische Zielgrößen (Key Performance Indicators – KPI) formuliert hat. Doch selbst wenn die Formulierung der KPI Kriterien wie Usability 1.0 Einleitung Obwohl der Begriff User-Centered Design (UCD) nun bereits seit 1985 (Gould & Lewis) die Entwicklung von gebrauchstauglichen Systemen beschreibt, nicht nur innerhalb der Expertengemeinschaft Übereinkunft darüber besteht, das Gebrauchstauglichkeit (engl. Usability) durch UCD erreicht wird (bspw. Karat 1997) und der Prozess unter dem Namen Human-Centered Design (HCD) durch die 13407 (1999) Eingang in den internationalen Standard gefunden hat, ergeben sich bei der tatsächlichen Prozessein- und -durchführung in vielen Bereichen nach wie vor Herausforderungen, die es zu meistern gilt. Sowohl die Einführung als auch die Anwendung eines HCD-Prozesses leiden unter mehreren Schwachpunkten, für die keine einfachen Lösungen greifbar sind. Bei der Beratung von Unternehmen, die interaktive Lösungen produzieren, wurde (die durch den HCD Prozess erreicht werden soll) benennt, so bleibt weiterhin deren Umsetzung und Interpretation abhängig von verschiedenen Faktoren, wie bspw. Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal, Integration von HCD in den Entwicklungsprozess usw. In diesem Beitrag werden die verschiedenen Bereiche basierend auf aktuellen Erfahrungen diskutiert und Implikationen für die erfolgreiche Umsetzung des HCD erörtert. Keywords daher oft festgestellt, dass ein HCD Prozess nicht in ausreichender Konsequenz eingeführt wurde und/oder eine leblose Hülle darstellt. Die Folge ist eine weitgehende Frustration der Beteiligten bis hin zur offenen Distanzierung des Managements zum Thema HCD. Hier sollen die Ursachen dieses Zustandes beleuchtet und Wege erschlossen werden, wie HCD als werthaltige Bereicherung der (Software-)Produktentwicklung anwendbar ist. und die User Experience (wie wird das Produkt von Nutzer erlebt?). Um diesem Druck zu begegnen, sind die Anbieter bestrebt, der Idee des HCD folgend User Experience im Entwicklungsprozess zu adressieren. 2.0 Die Situation Anbieter interaktiver Lösungen sind einem starken Wettbewerb ausgesetzt. In der Wahrnehmung des Marktes geht es allerdings nicht mehr alleine um die technologische und funktionale Leistungsfähigkeit der Lösung, sondern auch immer mehr um die Gebrauchstauglichkeit (unterstützt das Produkt einen bestimmten Nutzer im festgelegten Nutzungskontext?) HCD, User Experience, Management, KPI, ISO 13407, Unternehmensstrategie. 2.1 Problemfeld Personal Der HCD Prozess verlangt nach qualifiziertem Personal. Es wurde beobachtet, dass oft im Unternehmen geeignetes Personal vorhanden ist aber die organisationale Zuordnung die „Schlagkraft“ dieser Experten vermindert. Ein weiterer beobachteter Fall ist, dass kein geeignetes Personal vorhanden ist. Die Beschaffung von geeignetem Personal zieht einigen Aufwand nach sich: Es müssen neue Stellen geschaffen werden, die das gesuchte Profil besitzen. Die Schaffung von neuen Stellen ist ihrerseits mit folgenden organisatorischen Determinanten versehen: Gibt es Ressourcen für diese neue Stellen? Wem werden sie zugeordnet? Wer ist in 215 der Lage zu erkennen, ob die Bewerber zur Stelle passen? Über das Thema „Zuordnung von Personalressourcen“ werden unternehmerische Verantwortlichkeiten berührt und das Thema HCD wird in einer Art und Weise politisiert, die den Einfluss des jeweils Verantwortlichen in den Vordergrund stellt – zu Ungunsten der eigentlichen, inhaltlichen Prozessaufgabe: der Entwicklung eines besseren Produkts. 2.2 Problemfeld Dokumentation Die Etablierung des HCD als Bereicherung des gängigen Entwicklungsprozesses gelingt nur, wenn er an definierten Punkten mit diesem verwachsen kann. So wurde bei der SAP AG bspw. der UCD-Prozess in den Software Engineering Prozess integriert (Petrovic & Weissenberger, 2008). Hier sind Use cases die Schlüsseldokumentation, die eine Einpassung von Nutzeranforderungen in den Produktentwicklungsprozess ermöglicht. Use cases, verfasst auf Nutzerzielebene (Cockburn, 2001) repräsentieren gesammelte Nutzeranforderungen. Voraussetzung für eine solche Integration des HCD in den Entwicklungsprozess ist die Standardisierung des letzteren. Oft sind aber die etablierten Entwicklungsprozesse weder definiert noch standardisiert. So hängt im schlimmsten Fall der HCD Prozess in der Luft. Wird er dann dennoch ausdefiniert, erscheint er als abgehobenes Konstrukt: ein Konzept aus dem Elfenbeinturm, das mit dem realen Leben wenig Berührung hat und die Nöte des betroffenen Unternehmens nicht wirklich konstruktiv lösen kann. Der HCD Prozess landet in der Ablage, versehen mit den bedauernden Worten: „Tja, er wäre toll gewesen, aber das kann man ja leider nicht umsetzen“. 2.3 Problemfeld Ergebnisse Wenn der HCD Prozess von „Documents“ spricht, also von Ergebnissen, die im Prozessgefüge von Dritten weiterverwertet werden sollen und können, so ist es leider oftmals nicht klar, wie genau diese Dokumente aussehen sollen. Hier findet jedes Unternehmen seine eigene Lösung. Vergleicht man bspw. UI Konzepte verschiedener Firmen so findet man kaum Dokumente, die sich gleichen. Dies gilt auch für UI Spezifikationen oder die Beschreibungen von Nutzeranforderungen. Hier gab und gibt es Bestrebungen der internationalen Normung, mit dem Common Industry Format (CIF - ISO/IEC 25062:2006) Abhilfe zu schaffen. Ob und auf welche Weise dies gelingt und in wieweit sich hier CIF in der Industrie etablieren kann, muss sich in den nächsten Jahren klären. 2.4 Problemfeld Evidenz Die häufigsten Fragen zum Thema HCD werden zur Bewertung der erreichten Qualität gestellt. Hiermit ist nicht die ergonomische Qualität der Lösung gemeint, sondern die ProzessQualität, der Mehrwert für die Zusammenarbeit und die Effizienzsteigerung für den Entwicklungsprozess. Gestandenen Prozessplanern in Unternehmen sind Key Performance Indikatoren (KPIs) zum Thema HCD häufig fremd und die Norm ISO 13407 schweigt hierzu. Wird HCD eingeführt, muss der Berater also auch Wege aufzeigen, wie Evidenz des Mehrwertes (und damit der Return on Investment – ROI) festzustellen ist. 2.5 Problemfeld Anforderungen Das Requirements Engineering bezeichnet die Erhebung und Dokumentation von Anforderungen. Laut IEEE 610.12 – 1990 ist eine Anforderung: x Die Beschaffenheit oder Fähigkeit eines Systems, die von einem Benutzer zur Lösung eines Problems oder zur Erreichung eines Ziels benötigt wird. x Die Beschaffenheit oder Fähigkeit, die ein System oder Systemteile erfüllen oder besitzen muss, um einen Vertrag, eine Norm, eine Spezifikation oder andere formell vorgegebene Dokumente zu erfüllen. Softwarequalität wird unter anderem in der ISO/IEC 9126 beschrieben. Hauptqualitätsmerkmale sind Funktionalität, Zuverlässigkeit, Gebrauchstauglichkeit, Effizienz, Änderbarkeit und Übertragbarkeit. Gebrauchstauglichkeit (engl. Usability; dt. auch: Benutzbarkeit) bezeichnet laut ISO 9241-110 (2006), die Eignung eines Produktes bei der Nutzung durch bestimmte Benutzer in einem bestimmten Benutzungskontext, die vorgegebenen Ziele effektiv, effizient und zufriedenstellend zu erreichen. Es bedarf also der Berücksichtigung des Endbenutzers im tatsächlichen Nutzungskontext, um das Qualitätsmerkmal Benutzbarkeit zu erfüllen. Bei der Feststellung dieses Qualitätsmerkmals ist die fehlende Einheitlichkeit der Definitionen von Gebrauchstauglichkeit innerhalb der verschiedenen Normen eine weitere Hürde bei der Umsetzung im Produkt (Seffah & Metzker, 2004). Bereits die oben genannte Unterscheidung zwischen der Benutzer- und der Systemperspektive verdeutlicht, dass beim Requirements Engineering im her- 216 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 kömmlichen Sinne zwar vom Nutzer und dessen Bedürfnissen die Rede ist, jedoch der Bogen von Nutzerbedürfnissen zu Systemanforderungen leider noch zu selten geschlagen wird. Ähnlich verhält es sich in einschlägiger Literatur (bspw. Ebert, 2005), wenn von Stakeholdern, also Interessenvertretern oder auch Anspruchsberechtigten, die Rede ist – selten findet sich der Endbenutzer in dieser Auflistung, obwohl mittels Methoden der benutzerzentrierten Produktgestaltung eine gute Benutzbarkeit definiert und im Endprodukt sichergestellt werden kann. Nutzeranforderungen (User Requirements) sind ein essentieller Bestandteil des HCD. Wird der Prozess eingeführt, sind Unternehmen mit der Tatsache konfrontiert, diese Anforderungen zu erheben oder erheben zu lassen. Dies geschieht mittels User Research und bedeutet eine ggf. umfangreiche Allokation von Ressourcen, die zu den Aufwendungen für die Prozesseinführung hinzukommen. Auch sind diese keine einmaligen Kosten, denn User Research beschränkt sich nur selten auf eine Momentaufnahme. Nachhaltige Produktentwicklung über mehrere Produktgenerationen hinweg bedarf gepflegter User Requirements. Das bedeutet, dass stattfindende Aktivitäten angemessen dokumentiert werden müssen. Auf der anderen Seite hingegen sinkt der Aufwand, wenn Prozesse etabliert und Ergebnisse angemessen dokumentiert sind – Wissen wird über Projektgrenzen hinaus verfügbar gemacht und der Einsatz zahlt sich in mehrfacher Hinsicht aus. 2.6 Requirements-Management Die Einführung eines HCD Prozesses wird umso erfolgreicher, wenn dieser Prozess an ein bestehendes Requirements-Management angebunden werden kann. Fehlt dieses oder ist es nur unzureichend implementiert (falsches Tooling, keine Verantwortlichkeiten, dezentrale Verwaltung), ist die Berück- sichtigung der Requirements-Typen eines HCD Prozesses sehr schwer. Die folgende Abbildung 1 benennt einige dieser Requirements-Typen, die sich inhaltlich auch überlappen können. Abb1: Requirements-Typen des HCD Prozesses Ein gewichtiger Teil des Requirements-Managements im Rahmen des HCD Prozesses ist die Hoheit über Priorisierung und Gewichtung der Requirements aus den oben genannten Typen. Priorisierung (wie wichtig ist diese Anforderung für die Zielerreichung) und Gewichtung (wie aufwändig ist die Bereitstellung / Entwicklung) bilden die Basis der Verhandlung der Auseinandersetzung mit anderen Beteiligten (z.B. Marketing, Entwicklung, Projektmanagement), die dann zu einer konzertierten Kompromissbildung führen soll, die auch im Sinne der Nutzer ist – also zur besten möglichen Lösung unter den gegebenen Umständen. 2.7 Ein Beispiel: Eine bestehende eCommerce-Lösung für Musik wird hinsichtlich der Transaktionsrate (Verhältnis von Usern zu tatsächlichen Käufern), Abbruchrate (also User, die einen Einkauf abbrechen), Verweildauern und Umsatzsteigerungen nach Werbekampagnen analysiert. Diese Basiswerte sollen durch eine neue Lösung die gemäß HCD konzipiert und hergestellt wird, verbessert werden. Um dies nachzuweisen, werden nach Einführung der neuen Lösung die gleichen Kennwerte analysiert. Kennt man diese Basiswerte nicht, kann man keine Evidenz für HCD belegen. Das bedeutet auch, dass der ROI nicht belegbar ist und für zukünftige Projekte keine Referenzzahlen für den einzusetzenden Aufwand zur Verfügung stehen. In vielen Unternehmen gibt es zwar diese Zahlen, jedoch bergen sie eine gewisse Brisanz, so dass sie selbst Managern oft nicht bekannt sind. 2.8 Ein erfolgreicher HCD Prozess kommt nicht ohne Unterstützung des Managements aus. Dazu zählen: x Empowerment: Die Verantwortlichen des HCD Prozesses müssen in der Lage sein, die Mitwirkung am Prozess einzufordern. Ähnlich wie in vergleichbaren Qualitätsprozessen ist der Prozessbesitzer weisungsbefugt gegenüber Dritten, insofern diese essentielle Aktoren im Prozessgefüge sind und Dokumente / Deliverables liefern. x Ziele: Das Management sollte in der Lage sein, Zielvorstellungen zu formulieren, die eine Begründung für die Einführung des HCD Prozesses und die daraus erhofften Mehrwerte, Verbesserungen und/oder Innovationen beinhalten. Diese Rahmenbedingungen bestimmen die Ausprä- Evidenzbasierte Planung und Kontrolle Um den Mehrwert von HCD festzustellen und auch um Kostenplanungen und –aufwände besser erarbeiten zu können, sollte eine Bestandsanalyse erfolgen, welche eine aktuelle Leistungsfähigkeit bestehender Systeme in Bezug auf Gebrauchstauglichkeit und Wirtschaftlichkeit feststellt. Einbindung des Managements 217 sich eine „grüne Scorecard“, also eine zufriedenstellendere Erreichung der persönlichen Ziele sowohl der Mitarbeiter, wie auch des Managements. gung des HCD Prozesses im Unternehmen. x Key Performance Indicators: Das Management ist aufgefordert, Kriterien zu definieren, die Aussagen darüber erlauben, ob und wie ein Ziel erreicht worden ist. Diese KPIs müssen in den Kernbereichen des Prozesses verwurzelt sein, also bei der Kompetenz der Verantwortlichen und Beteiligten, den eingesetzten Ressourcen, den erzeugten Deliverables und Dokumenten, dem erzielten Ergebnis und der Evidenz für HCD. Ein KPI sollte dem SMART Modell folgen (Hersey, Blanchard & Johnson, 2007): Er muss spezifisch (klar beschrieben), messbar, angemessen (er muss erreichbar sein), relevant (er muss sich auf die Evidenz auszahlen) und terminiert sein (mit einem zeitlichen Bezugsrahmen verstehen). 2.9 HCD als Unternehmensstrategie Wie bei so vielen unternehmensweiten Themen steht und fällt der Erfolg eines Prozesses mit der strategischen Bedeutung, die ihm zugemessen wird. Das Thema HCD ist ein komplexes Gefüge, welches verschiedene Unternehmensbereiche und -prozesse berührt sowie verändert. Entsprechend groß sind die Auswirkungen auf die gesamte Unternehmenskultur, wenn der Prozess tatsächlich etabliert ist: von der Anforderungsanalyse und -definition über erste Versionen von Schnittstellen (sowohl Nutzer- als auch Systemschnittstellen), deren Evaluation, Sammlung weiterer Anforderungen, Anpassung und Weiterentwicklung von bestehenden Technologien bis hin zum interaktiven Austausch mit Kunden. Hier bekommt Kundenorientierung eine zusätzliche, tiefere Dimension. Insbesondere in Zeiten, in denen Unternehmen ihre Endkunden als Innovationsmotor entdeckt haben, bedeutet der Verzicht auf das Thema HCD in der Unternehmensstrategie einen Verzicht auf Innovation. Abb.2: Ziele und KPIs im Wirkungsgefüge x Transparenz der KPIs: Die Indikatoren des HCD Prozesses werden von „unten nach oben“ durchgereicht. Das bedeutet, dass die Ziele und KPIs des Managements mit denen der untergeordneten Mitarbeiter deckungsgleich sind und der Erfolg des HCD Prozesses im Zentrum der Aufmerksamkeit des Managements bleibt. Wird also der Prozess angewendet und führt dieser zu nachweisbaren Verbesserungen, ergibt 218 3.0 Zusammenfassung Es fällt leicht, die zähe Verbreitung von HCD Prozessen bei Herstellern interaktiver Systeme auf eine augenscheinlich schwer lesbare Norm und mangelnde Ressourcen zu schieben. Aber dies ist nur die halbe Wahrheit: Solange das Management nicht integrativer Bestandteil des Prozesses und somit zum aktiven „Kümmerer“ wird, kommt HCD nicht wirklich im täglichen Leben an. Eckpunkte für die Beteiligung des Managements gibt es, wie gezeigt, zur Genüge: Requirements, Ziele, KPIs, ROI und Evidenz. Wenn es jedoch auch schon an einem Bewusstsein mangelt, dass diese Faktoren überhaupt eine Relevanz haben, so müssen Anstrengungen zum HCD ins Leere laufen. Daraus ergibt sich als zwingender Schluss die Erhebung des HCD Prozesses zur Unternehmensstrategie, da durch ihn eine Strahlwirkung auf das gesamte Ressourcenmanagement und auf evidenzbasierte Projektplanung entwickelt werden kann. Unternehmensstrategie bedeutet verbindliches Engagement des Managements und beinhaltet auch das Überlassen von Entscheidungskompetenz, Ressourcenhoheit und Weisungshoheit an die Prozessverantwortlichen. 4.0 Literaturverzeichnis Cockburn, A. (2001): Writing Effective Use Cases. Boston: Addison Wesley. DIN EN ISO 13407: Benutzerorientierte Gestaltung interaktiver Systeme, Berlin: Beuth Verlag, 1999. Ebert, C. (2005): Systematisches Requirements Management, Heidelberg: dpunkt.verlag. Gould, J. D.; Lewis, C. (1985): Designing for Usability: Key principles and what designers think. Communications of the ACM 28 (3), S. 300-311. Hersey, P.; Blanchard, K.; Johnson, D. (2007): Management of organizational behavth ior: Leading Human Resources, 9 edition. Upper Saddle River: Prentice Hall. Karat, J. (1997): Evolving the scope of usercentered design. Communications of the ACM, 40 (7), S. 33-38. Petrovic, K.; Weißenberger, U. (2008): User Centered Design als Teil des Requirements Engineering Prozesses. Vortrag beim Workshop der GI-Fachgruppe Software-Ergonomie des Fachbereichs Mensch-ComputerInteraktion: „Integration von Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Usability-Engineering und SoftwareEngineering“, Esslingen, 6.-7. März 2008). ISO/IEC 25062:2006-04: SoftwareEngineering - Qualitätskriterien und Bewertung von Softwareprodukten (SQuaRE) Gemeinsames Industrieformat (CIF) für Berichte über Gebrauchstauglichkeitsprüfungen. Berlin: Beuth Verlag, 2006. ISO/IEC 9126-1:2001-06 : SoftwareEngineering - Qualität von SoftwareProdukten - Teil 1: Qualitätsmodell. Berlin: Beuth Verlag, 2001. ISO 9241 – 110: Ergonomie der MenschSystem-Interaktion –Teil 110: Grundsätze der Dialoggestaltung (ISO 9241-110:2006) IEEE 610.12 – 1990. IEEE Standard Glossary of Software Engineering Terminology. IEEE, New York, 1998 Seffah, A.; Metzker, E. (2004): The Obstacles and Myths of Usability and Software Engineering. 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Thomas Memmel Mensch-Computer Interaktion Universität Konstanz Universitätsstrasse 10, Box 73 78457 Konstanz http://hci.uni-konstanz.de [email protected] Henning Brau Daimler AG Data and Process Management Team Psychology in Engineering Wilhelm-Runge-Strasse 11 89013 Ulm [email protected] Dirk Zimmermann Eigelstein 27 50668 Köln [email protected] Abstract In diesem Beitrag stellen wir Möglichkeiten zur Verzahnung von Usability Engineering und agiler Softwareentwicklung vor. Dabei beleuchten wir zunächst die Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Vorgehensweisen. Hinsichtlich einer dringend erforderlichen Best Practice für eine agile, nutzerzentrierte Softwareentwicklung erläutern wir Möglichkeiten für ein Down-Stripping von Usability Engineering Techniken. Schließlich schlagen wir konkrete Strategien zur 1.0 Einleitung Die Wichtigkeit des User Interface (UI) wird bereits in vielen zukunftsorientierten Entwicklungs- und Fachabteilungen erkannt. Daher erhalten grundsätzliche Methoden des Usability Engineering ebenso Einzug in Entwicklungsprozesse wie eine Sensibilisierung für das UI Design. Gleichzeitig herrscht jedoch ein enormer Zeit- und Kostendruck vor. Produktentwicklungszeiten werden verkürzt, Softwaresysteme müssen günstiger hergestellt werden und deren Entwicklung wird daher zunehmend auch ins Ausland verlagert. In diesem Kontext besteht die Gefahr, dass Usability Engineering Methoden auch schnell wieder in den Hintergrund rücken. Zahlreiche Faktoren können dazu beitragen, dass Softwareprojekte angesichts dieses enormen Spannungsfelds scheitern oder nur mit unzureichender Integration von leichtgewichtigen Usability Engineering Methoden in agile Entwicklungsprozesse vor. Ziel eines Hybrid-Vorgehensmodells muss dabei weiterhin die Entwicklung von User Interfaces mit hoher Usability und User Experience Qualität sein. Daher müssen Methoden beider Welten mit Bedacht ausgewählt, verschmolzen und intelligent im iterativen Entwicklungszyklus eingesetzt werden. Erst dann kann trotz knapper Budgets und ambi- tionierter Zeitplanung eine hohe User Interface Qualität sichergestellt werden. IT-Organisationen, die den Brückenschlag der Disziplinen schaffen und in der methodischen Praxis umsetzen, können so einen strategischen Wettbewerbsvorteil erreichen. UI Qualität abgeschlossen werden. Dazu gehören: liebtheit bei der Entwicklung von Softwaresystemen. Auch für Usability Experten, deren angewandte Methoden nach wie vor von vielen Softwareentwicklern als zeit- und kostenintensiv angesehen werden, sind agile Methode sehr interessant. Jedoch müssen einige Mythen, Vorurteile und Hindernisse überwunden werden, wenn eine HybridVorgehensweise im Sinne von Agile Usability Engineering eingeführt werden soll. 1. Die Anforderung trotz straffer Rahmenbedingungen gebrauchstaugliche Softwareprodukte zu entwickeln. 2. Der Anspruch eine hohe UI Qualität zu gewährleisten, die der Organisation auch eine strategisch wichtige User bzw. Customer Experience sicherstellt. 3. Der Einfluss von Akteuren aus weitestgehend separierten Disziplinen, darunter vor allem Softwareentwickler, Usability Experten und Business Analysten. 4. Das Fehlen geeigneter Methoden und Vorgehensmodelle, die solchen Herausforderungen angemessen Rechnung tragen. Agile Methoden erfreuen sich in diesem Kontext einer zunehmenden Be- Keywords: Agile, User Interface, Usability Engineering 2.0 Bist Du schon agil oder dokumentierst Du noch? Durch eine inkrementelle Implementierung, zahlreiche Iterationen und schnelle Release-Zyklen wird mit agilen Methoden eine deutliche Flexibilisierung bei gleichbleibend hohen Qualitätsansprüchen ermöglicht. Auf diese Weise kann eine deutlich kürzere Time-toMarket erreicht werden. In keinster Weise korrekt ist jedoch die immer noch weit verbreitete Annahme, dass damit eine 223 Eliminierung jeglicher Dokumentation verbunden ist. Die Motivation hinter den agilen Modellen unterscheidet sich sicherlich von klassischen Modellen in vielerlei Hinsicht. Es gibt keine monolithischen Phasen und natürlich wird auch weniger Wert auf eine umfangreiche Anfertigung unterschiedlicher Artefakte gelegt. Dabei kann das „Einsparen“ jedoch vor allem auf leitende agile Prinzipien zurückgeführt werden, darunter Model with a purpose oder Travel Light. Diese Maximen sehen beispielsweise vor, nur unbedingt erforderliche Modelle aufzubauen und zu pflegen. Vielmehr als in anderen Entwicklungsmethoden kommt es gleichzeitig auch auf Kommunikation und die Interaktion aller Projektbeteiligten an (Schwaber 2004). Entwicklungsmodelle des Usability Engineering und agile Methoden, wie z.B. eXtreme Programming (XP), verfolgen im Grunde ein und dieselbe Zielstellung: Leistungsstarke und stabile Anwendungen mit hohem Nutzwert und Anwenderakzeptanz hervorzubringen. Um solche Applikationen erfolgreich zu entwickeln, müssen unabhängig vom Entwicklungsvorgehen die Bedürfnisse der späteren Nutzer im Anwendungskontext verstanden werden. Mitunter befürchten Usability Experten jedoch, dass im Mahlstrom der engen Release Planung, die vornehmlich auf die Erzeugung lauffähiger Features abzielt, die konkreten Nutzeranforderungen zu wenig Beachtung erhalten. Die Erfolge agiler Softwareprojekte beziehen sich tatsächlich oft auf Systeme, bei denen die Entwicklung und Qualität des UI nicht im Vordergrund stehen. Derartige Bedenken müssen analysiert und verstanden werden, wenn über Agile Usability Engineering nachgedacht wird. 224 3.0 Der gemeinsame Nenner Der Blick auf wichtigste Prinzipien und Praktiken von XP oder Agile Modeling (AM) zeigt, dass es viele Gemeinsamkeiten gibt (Gundelsweiler et al. 2004; Memmel et al. 2007; Nebe et al. 2007). So kennt XP mit Story Cards und Task Cards ähnliche Artefakte wie das Usability Engineering mit User Profiles oder Task Models. Das grundsätzliche Erfordernis von XP Prozessen, in häufigen Zyklen schnell vorzeig- und testbare Ergebnisse zu erzielen, ist mit Usability Prozessen vereinbar. Hier sind ebenfalls frühe Prototypen vorgesehen, um Feedback in die weitere UI Entwicklung zu integrieren. Die dazu notwendige Einbeziehung von Stakeholdern als permanente Quelle für neue Anforderungen und Feedback ist dem aus im Usability Engineering bekannten Prinzip des kollaborativen Designs ähnlich (Gundelsweiler et al. 2004). Sicherlich existieren neben den leicht festellbaren Übereinstimmungen auch grundlegende Konflikte. So wird der agile Entwicklungsprozess in kleine, überschaubare Problemstellungen zerlegt (Small Releases) und zügig inkrementell ausgeführt. Dabei ist es nicht erforderlich, dass alle Anforderungen bereits zu Beginn verstanden und erfasst worden sind. Während der Projektlaufzeit muss es zudem möglich sein, Anpassungen in verschiedenem Umfang vorzunehmen (Refactoring). Im Gegensatz zu dieser Philosophie wird im Usability Engineering zu Beginn relativ viel Zeit für die Anforderungsermittlung und die UI Konzeption genutzt. In die eigentliche Entwicklung soll erst eingestiegen werden, wenn genügend Wissen bezüglich des Nutzungskontextes vorhanden ist und eine vollständige Architektur des UI entwickelt worden ist. Ein permanen- tes Redesign des UI kann schnell zu massiven Benutzungsproblemen führen. So würde eine grundsätzliche Veränderung des Navigationskonzeptes, der Organisation der Informationspräsentation oder der gewählten Interaktionstechniken von Small Release zu Small Release dazu führen, dass grundlegende Dialogprinzipien wie Erwartungskonformität, Selbstbeschreibungsfähigkeit oder Erlernbarkeit verletzt würden (Gundelsweiler et al. 2004). In agilen Methoden ist es auch nicht zwangsläufig der Endbenutzer, der während der kurzen Anforderungsanalyse zu Beginn befragt wird (Memmel et al. 2007; Nebe et al. 2007). So können sich einige offene Fragen bei der Erstellung von User Stories durch Dritte ergeben. Ähnliches gilt für abschließend durchgeführte Akzeptanztests, die nicht etwa die Bewertung durch Endnutzer erhebt, sondern die Erfüllung der vereinbarten Projektumfänge mit dem Auftraggeber. Somit vernachlässigen die agilen Softwareentwicklungsprozesse aus Sicht des Usability Engineering eine Reihe wichtiger Vorgehensweisen zur Entwicklung gebrauchstauglicher Software. 4.0 Flexible Rollenverteilung Eine Grundannahme agiler Methoden ist, dass die Projektmitglieder vergleichbare Qualifikationen haben und somit in einem homogenen Team entwickelt wird. Dies lässt sich schlecht mit Usability Engineering vereinbaren: In DIN EN ISO 13407 für nutzerzentrierte Entwicklung werden explizit multidisziplinäre Teams eingefordert, in denen neben Programmierern auch Designer, Stakeholder und Usability Experten vertreten sein sollen. Zudem sind Usability Experten, die zusätzlich über profunde Softwareentwickler Kompetenzen verfügen eher selten. Gleiches gilt für den umgekehrten, eher noch exotischeren Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Fall. Traditionelle Rollen müssen daher insgesamt durchbrochen werden, so dass beispielsweise auch Entwickler am Designvorgang beteiligt sind und Usability Experten an der Architekturfestlegung. Gerade wenn sich das Agile Usability Engineering an XP anlehnt, kann die interdisziplinäre Vermischung der Akteure im Rahmen von Pair Programming erfolgen (Gundelsweiler et al., 2007). Die offene Kooperation selbst ermöglicht dann durch das konstruktive (auch soziale) Miteinander der verschiedenen Disziplinen und Perspektiven eine gegenseitige Annäherung. Kernkompetenzen der multidisziplinären agilen Projektarbeit Anforderungen an Usability Experten: x Kompetenzen in der Agilen Systementwicklung aufbauen – Grundlagen, Prinzipien und Methoden der agilen Systementwicklung sollten ihnen zumindest bekannt sein. x Im Entwicklungsteam positionieren – Anstelle der Trennung zwischen Entwicklungs-, Designund Usability-Aufgaben sind stetige Kommunikation und Kooperation notwendig. x Anforderungen an Entwickler: x x x UI-Kompetenzen aufbauen – Grundlagen, Prinzipien und Methoden des UsabilityEngineerings sollten ihnen zumindest bekannt sein. Usability als gewichtigen Qualitätsfaktor verstehen – Qualitätsabsicherung ist ein wichtiger Punkt der Agilen Systementwicklung. Für viele Systemeigenschaften gibt es definierte Absicherungsmechanismen. Warum also nicht für Usability? Styleguides respektieren – Gute Programmierer sind gewöhnt, den Konventionen der Programmierung und Systemarchitektur zu folgen, gleiches sollte auch für die Einhaltung der Styleguides bei der UI-Gestaltung gelten. 5.0 Vorurteile abbauen – Selbst das viel gescholtene XP ist weitaus strukturierter und auch anforderungsorientierter als sein Ruf. Die agilen Methoden sind adaptierbar an die jeweiligen aktuellen Bedarfe, ebenso die UsabilityEngineering Methoden. Agile Usability Engineering Aufbauend auf den bisherigen Überlegungen können für die unterschiedlichen Entwicklungsphasen konkrete Methoden für ein Agile Usability Engineering herauskristallisiert werden. Im folgenden Beispiel orientieren wir uns dazu am XP Prozess ergänzt um Anteile aus der Scrum Methodik und erweitern diese um Bestandteile des Usability Engineerings. Zeitintensive Maßnahmen haben dabei keinen Platz, so dass tiefgehende Verhaltensund Prozessanalysen von Nutzern und Nutzungskontext, langwierige Interviewserien oder auch aufwändige Evaluationsverfahren kaum in Betracht kommen. 5.1 Anforderungsphase (Iteration 0) In dieser Phase ist der direkte Kontakt von Entwicklern und Stakeholdern für den Gesamterfolg der Entwicklung sehr hilfreich. Methoden, die sich für eine Nutzeranalyse empfehlen sind beispielsweise offene Interviews, Fokusgruppen, teilnehmende Beobachtungen, Strukturlegetechniken (Card Sorting) sowie das Aufzeichnen von Storyboards und Personas zusammen mit den Stakeholdern. Der gewonnenen Anforderungen können sehr gut mit Role Models und Role Maps (Constantine & Lockwood, 1999) festgehalten werden. Dokumentiert werden sollen die für die Anwendung wichtigen Charakteristika der Rollen, sowie erforderliche Interaktionsschemata. Anschließend werden die Benutzerrollen mit Prioritäten versehen (Focal User Roles) und nach Relevanz für den Produkterfolg sortiert. Essentiell sind auch die Aufgaben der Benutzer, die durch Szenarien, Essential Use Cases und Use Case Maps (Constantine & Lockwood, 1999) oder auch User Stories (Cohn, 2004) beschrieben werden können. Wie schon die Benutzerrollen werden auch die Task Cases sortiert, wobei man sich an der aus XP (Beck, 1999) bekannten Einteilung orientieren kann (Required do first, Desired - do if time, Deferred do next time). Ergänzt wird diese Einteilung um essentielle Task Cases, die besonders komplex oder neuartig sind. Diese werden zu Szenarien ausformuliert, um das Verständnis im Team besser zu kommunizieren. Um Dokumentationsarbeit einzusparen reicht es aus, die ausformulierten Szenarien direkt auf einer Indexkarte festzuhalten. Sind die Aufgaben alle erfasst, ist es möglich, Cluster zu bilden, die innerhalb eines Anwendungsbereichs wichtige Programmteile aufzeigen. 225 Der wesentliche Vorteil der Role Models/Role Maps und Essential Uses Cases/Use Case Maps aus agiler Modellierungssicht besteht darin, dass sie gut zur agilen Philosophie passen (z.B. Nutzung von Indexkarten, Fokussierung auf das Essentielle). Es hat sich ebenfalls für agiles UI Design bewährt, verschiedene Ergebnisse des Usability Engineerings jeweils als einzelne Anforderungen zu dokumentieren (Nebe et al., 2007). Aus den Ebenen „Nutzungskontext“, „Nutzungsanforderungen“ und „Konzeption/Design“ lassen sich so sowohl allgemeine UsabilityAnforderungen modellieren (Effektivität, Effizienz und Zufriedenheit), wie auch Workflow-Anforderungen (im Sinne der ISO 9241 Dialogprinzipien) und nicht zuletzt Anforderungen des UI, entsprechend den InformationsdarstellungsKriterien der DIN EN ISO 9241 (Zimmermann & Groetzbach, 2007) modellieren. Durch die feine Granularität lassen sich einzelne Anforderungen leicht auf mehrere Teams aufteilen, stellen aber gleichzeitig durch ihre Ableitung aus und ihren Bezug zu den Analyseartefakten eine verlässliche Richtschnur für die Evaluation in der verteilten Entwicklung dar. Bei agilen Ansätzen werden Design Prinzipien und Style Guides kaum erwähnt. Vor allem in größeren Firmen mit ausgeprägter Corporate Identity (CI) existieren oft umfassende firmenweit geltende Style Guides, die nicht nur das Look and Feel, sondern auch die CIspezifischen Aspekte des UI regeln. Als Alternative zur Erstellung eines Style Guides schlagen wir eher einen Prototyping-getriebenen Spezifikationsprozess für das UI vor, bei dem die wichtigsten Informationen zum System zusammen mit dem UI Design als Simulation bereitgestellt werden (Memmel et al. 2008). Durch sogenannte interaktive UI Spezifikationen kann auch die Zusammenarbeit mit einem (internen oder externen) Zu- 226 lieferer verbessert werden, der in vielen Fällen für die Implementierung verantwortlich ist. 5.2 Konzeptionsphase In der Anforderungsphase wird bereits die Grundlage für eine Aufteilung von Funktions- und UI-Entwicklung gelegt, in der ab der Konzeptionsphase die gemeinsamen Ansätze unabhängig voneinander ausdifferenziert werden. Dies ist vor allem bei größeren Projekten sinnvoll. Voraussetzung ist allerdings, dass sich die Programmierung einfach in Funktionalität und UI aufteilen lässt. Eine solche Trennung kann mit Hilfe von Software Patterns erreicht werden. Es ist jedoch Fakt, dass der Einfluss der Benutzeroberfläche auf die Architektur mit steigendem Maß an Interaktivität zunimmt. Daher ist eine enge Zusammenarbeit und laufende Abstimmung dieser Stränge unerlässlich, um die spätere Systemintegration reibungslos zu ermöglichen. Dazu muss eine minimalistische UI-Spezifikation erstellt werden (Constantine & Lockwood 2002), die den Entwicklern der Systemarchitektur als Vorlage für die Schnittstellen der abhängigen Komponenten dient. Insbesondere für den UI-bezogenen Entwicklungszweig sollten Prototypen erzeugt oder weiterentwickelt werden. Papierprototypen können für das schnelle Testen erster Ideen genutzt werden, während elaboriert den Workflow abbildende Prototypen (beispielsweise in Adobe Flash erstellt) ideal für Präsentationen vor Publikum und die Simulation der Interaktion sind. Die Erstellung von realistischen Prototypen ist zwar aufwändiger, diese können jedoch in der Konstruktionsphase weiterverwendet werden und als Spezifikation dienen (Memmel et al. 2008). Auch erste Evaluationen können schon in der konzeptionellen Phase durchgeführt werden. Agile Usability Techniken, die mit wenig Aufwand eingesetzt werden können sind, zum Beispiel User und Expert Reviews sowie Usability Inspektionen. Durch eine Beteiligung von Stakeholdern kann die Kooperative Heuristische Evaluation (Brau 2004) die Nutzer- und Expertensicht zusammenführen. Dazu werden realistische Anwendungsszenarien für den zu inspizierenden Funktionsumfang entwickelt. Jeweils ein Usability Experte bearbeitet die Anwendungsszenarien zusammen mit einem Nutzer. Dieser wird aufgefordert die jeweiligen Handlungsschritte zu kommentieren, bzw. der Usability Experte stellt ihm Verständnisfragen zum realen Nutzungskontext. Dies hilft dem Usability Experten, die Sichtweise der Nutzer zu verstehen und entsprechend seine eigenen Ergebnisse auf die Nutzeranforderungen auszurichten. Auch für Entwickler kann es sehr aufschlussreich sein, an einer solchen Sitzung als stiller Beobachter teilzuhaben. 5.3 Konstruktionsphase Bevor die Programmierung beginnen kann, ist ein Iteration Planning (XP) oder Sprint Planning (Scrum) empfehlenswert. Neben den funktionalen Unitbzw. Acceptance-Tests (XP), die später automatisiert ablaufen können, können jetzt auch weitere Usability Testfälle für das ausgereifte System (z.B. anhand möglicher Testaufgaben) überlegt werden, sowie Evaluationskriterien und Zielgrößen für die User Acceptance Tests im Sprint Review innerhalb des Scrum Ansatzes. In dieser Phase findet die teilweise parallel ablaufende Implementierung des UI und der Systemarchitektur statt. UIKomponenten, die für die Implementierung der Systemarchitektur schnell angeliefert werden müssen, können zunächst mit geringer Genauigkeit umgesetzt und in späteren Iterationen verfei- Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 nert werden. Dies ist unkritisch, solange das konzeptuelle Modell nicht verändert wird. Wie auch in der Konzeptionsphase können Usability Studien angewendet werden, um die Gebrauchstauglichkeit des UI sicherzustellen. Funktionstest sollten parallel verlaufen, um Zeit einzusparen. Testergebnisse können auf sogenannten Defect Cards (Gundelsweiler et al., 2004) festgehalten, priorisiert und die Behebung für folgende Iterationen eingeplant werden. 6.0 Übergreifende Koordination Um gerade in größeren Organisationen, in denen viele kleinere Teams parallel arbeiten, die Kohärenz und Konsistenz der Lösung zu gewährleisten, hat sich parallel zu den XP-Ansätzen innerhalb der Scrum-Methodik (Schwaber, 2004) für teamübergreifende Themen das Konzept der „Scrum of Scrums“ bewährt (Larman, 2004). Während die Scrum-Teams in kurzen Inkrementen mit täglichen Abstimmungstreffen und schnellen Iterationen die eigentliche Lösung entwickeln, treffen sich Vertreter jedes der Scrum-Teams in größeren Anständen zu speziellen übergreifenden Themen, wie etwa der Architektur, Datenbankmodellierung, usw. Ein „Usability Scrum of Scrums“ greift diese Methodik auf und hilft den in einzelnen Teams verteilten UI Designern, ihre Ergebnisse regelmäßig miteinander abzugleichen, Evaluationsergebnisse auszutauschen und Ideen und Modelle für Folgethemen zu generieren. So werden die Ideen aus der Analysephase auch durch das gesamte Projekt in regelmäßigen Abständen überprüft und gegebenenfalls modifiziert, jedoch nicht lokal, sondern über die einzelnen Teams hinweg. 7.0 Zusammenfassung Agile Prozesse und Usability Engineering haben grundlegend abweichende Herangehensweisen an das Software Engineering. Beide sehen aber den Einsatz von Methoden zur Nutzer- und Kontextanalyse vor. Agile Methoden erfordern insgesamt ein deutlich flexibleres und schlankeres Usability Engineering, Für eine HybridVorgehensweise ist ein hohes Maß an multidisziplinärer Kooperation und organisationalem Umdenken notwendig. Gelingt eine strukturierte Verknüpfung der beiden Entwicklungsparadigmen, können viele Prozesse parallelisiert werden, so dass in kürzerer Zeit gebrauchstaugliche Anwendungen entwickelt werden können. Im Vergleich zum ursprünglichen XP und Scrum Prozess führen die im Beitrag skizzierten Methoden sicherlich zu weniger „Agilität“. Dafür ermöglicht die Erweiterung aber, eine gebrauchstaugliche Software zu entwickeln. Insgesamt erscheint es uns aber noch mehr als gerechtfertigt, von einem agilen Hybrid-Vorgehensmodell zu sprechen. 8.0 Literaturverzeichnis Brau, H. & Schulze, H. (2004): Kooperative Evaluation: Usability Inspektion in komplexen und verteilten Anwendungsdomänen. In: Peissner, M. & Hassenzahl, M. (Hrsg.). Usability Professionals 2004. Fraunhofer IRB Verlag: Stuttgart. Cohn M. (2004). User Stories Applied – For Agile Software Development, AddisonWesley:Boston. Gundelsweiler, Fredrik; Memmel, Thomas; Reiterer Harald (2004): Agile Usability Engineering. 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Addison-Wesley Professional. 227 Integration von User Centered Design in agilen Entwicklungsprozessen Markus Düchting Siemens IT Solutions C-LAB Fürstenallee 11 33102 Paderborn [email protected] Petra Kowallik Open Text Corp. Product Design Werner-von-Siemens Ring 20 85630 Grasbrunn b. München [email protected] Karsten Nebe Universität Paderborn C-LAB Fürstenallee 11 33102 Paderborn [email protected] Abstract Der vorliegende Beitrag behandelt die Integration von User Centered Design und agiler Softwareentwicklung. Es wurden existierende Ansätze betrachtet und gemeinsame Kernaspekte dargelegt. Diese werden im Bezug zur Praxis an einem konkreten Anwendungsfall verdeutlicht. 1.0 Einleitung Die agile Softwareentwicklung gewinnt in den letzten Jahren immer mehr Aufmerksamkeit, sowohl seitens der Softwareindustrie als auch der Wissenschaft. Dies zeigen beispielsweise die zahlreichen Konferenzen bzw. die öffentlichen Bekundungen vieler Unternehmen agile Entwicklungsprozesse einzusetzen. Die wachsende Verbreitung von agilen Vorgehensweisen in der Softwareentwicklung zieht auch die Aufmerksamkeit der HCI Community auf sich. So resultiert daraus die Frage, ob Softwaresysteme die agil erstellt werden, gebrauchstauglich sind? Vielleicht bietet das Agile sogar dafür eine besondere Chance? Könnten sich Probleme, die in der klassischen Softwareentwicklung existieren, vielleicht im Agilen auflösen? Rigide definierte, lineare Projektpläne, monolithische Phasen, umfangreiche Artefakte / Dokumentation werden z. B. gegenüber der Interaktion mit den Kunden in den Hintergrund gestellt. Viele dieser Aspekte werden auch bereits durch Vorgehensweisen des UCD adressiert. 228 Im Praxisteil wird Open Text’s Agile Design-Methode beschrieben, bei der der Nutzungskontext in frühen Research Phasen evaluiert und mit Hilfe der Persona Methode dargestellt wird. Der iterative Entwicklungsprozess bildet den Rahmen für ein agiles Design, das eine hervorragende User Experience liefert. Keywords In der Literatur existiert zudem eine Vielzahl von Integrationsansätzen, die UCD und agile Vorgehensweisen kombinieren. Es besteht offensichtlich ein Handlungsbedarf seitens der UCD Community auf diese Entwicklung angemessen zu reagieren und die Chance zu nutzen, qualitativ hochwertige und gebrauchstaugliche Produkte agil zu entwickeln. stellt und anschließend mit Beispielen aus dem Vergleich verdeutlicht. Die daraus resultierenden Forderungen werden im Anschluss gesammelt vorgestellt und der Bezug zur Praxis an einem konkreten Anwendungsfall verdeutlicht. Der Fragestellung, inwieweit agile Modelle bereits Aspekte des Usability Engineering berücksichtigen, haben die Autoren bereits im Rahmen einer vorhergehenden Betrachtung diskutiert (Nebe et al 2007). Daraus entstand die Motivation die existierenden Integrationsansätze genauer zu betrachten und einander gegenüber zu stellen. 2.0 Integrationsaspekte Im Folgenden werden Kernaspekte aufgeführt, welche auf die wesentlichen Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen Ansätze abzielen. Dazu werden zunächst die identifizierten Kernaspekte allgemein beschrieben, schließlich einige spezifische Besonderheiten bei der Integration vorge- Agile Software Engineering, Agile Design, User Centered Design 2.1 Analyse In der Softwareentwicklung werden in einer Analysephase Informationen über den zukünftigen Nutzer gesammelt und zusammengefasst. Dazu zählen die Aufgaben und Ziele der Nutzer, die Arbeitsabläufe und der Nutzungskontext, einschließlich eventueller Umwelteinflüsse oder technischer Rahmenbedingungen. Im User Centered Design wird es als unerlässlich angesehen, die zukünftigen Nutzer eines Systems so gut wie möglich zu kennen, bevor mit der Entwicklung von Designs und der Implementierung begonnen wird. Unterschied zum Agilen ist, dass i.d.R. keine explizite, vorgelagerte Analysephase durchgeführt wird. Dies wird versucht, durch die permanente Anwesenheit eines Customer Stakeholder, auszugleichen. Bei einigen der betrachteten Integrationsansätze Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 wurde die Analyse des Nutzungskontexts auch in Kombination mit dem Agilen beibehalten. Diese Analysen sind jedoch nicht so umfangreich, wie sie in klassischen UCD Prozessen vorgesehen werden. Vielmehr wird die Idee der agilen Entwicklung aufgegriffen, nur so viel Wissen zu sammeln, wie für die nächste Iteration entscheidend ist. Dabei entstehen schlankere Dokumente und das Wissen wird oft persönlich weitergegeben. Unterschiede in den Ansätzen existieren darin, wie lang diese Phasen sind, die Art der Dokumentation, wer die Aktivitäten durchführt, ob sie parallel zur Entwicklung stattfinden oder in einem zeitlich versetzten Zyklus durchgeführt werden (Chamberlain et al 2006; Detweiler 2007; Sy 2007). Im Ansatz von Beyer et al. (2004) wird beispielsweise eine Kontextanalyse (Contextual Inquiry) mit mindestens drei Personen in unterschiedlichen Nutzerrollen durchgeführt, die ca. eine Woche dauern soll. Um den Aufwand für den Wissenstransfer gering zu halten, wird die Analyse von einem interdisziplinären Team aus UI Designern, Entwicklern, Marketing Repräsentanten, etc. durchgeführt. Generell ist das Konzept der Analyse, wie es im UCD verstanden wird, nicht konsistent mit dem iterativen Vorgehen bei einer agilen Vorgehensweise. Auf der einen Seite wird im UCD ein iteratives Vorgehen propagiert und auf der anderen Seite eine monolithische und lineare Phase am Anfang des Prozesses eingefordert. Für einen schnellen Entwicklungsprozess wäre es von Vorteil, wenn die Analyse aus dem Produktentwicklungsprozess heraus gelöst wird und bereits vorher von Experten durchgeführt würde. Wichtig aus Sicht des UCD ist es, dass dieses Wissen im Vorfeld vorhanden ist und nicht, ob dies im selben Entwicklungsprozess stattfindet [Norman 2006]. Haikara (2007) beschreibt in einer Fallstudie mehrere agile Projekte, in denen die Entwicklung durch PersonaBeschreibungen unterstützt wurde. Dabei zeigte sich, dass die zeitintensive Erstellung von umfangreichen Personas die agile Entwicklung aufzuhalten drohte. Dies kann als Indiz dafür gewertet werden, dass es Sinn macht, die Analyse vom eigentlichen Entwicklungsprozess zu entkoppeln. um diesen nicht auszubremsen. 2.2 Modellierung Bei der Modellierung geht es in erster Linie darum, Rollen, Aufgaben, Ziele und Anforderungen im (größeren) Zusammenhang darzustellen, um von der Abbildung eines ISTZustandes zu einem verbesserten SOLL-Zustand zu gelangen. Die kleinschrittige, inkrementelle Entwicklung im Agilen erschwert eine ganzheitliche Modellierung von Interaktion und Arbeitsabläufen. Es besteht die Gefahr, dass Anforderungen bzgl. des Workflows der Nutzer nicht in ihrem Gesamtkontext gesehen werden, wenn sie lediglich in Form von User Stories oder Backlog Einträgen festgehalten werden. In der Umsetzung muss daher sichergestellt sein, dass nicht nur einzelne Arbeitsabläufe der Nutzer erfasst und implementiert werden, sondern auch dass die Beziehungen zwischen den Arbeitsabläufen der Nutzer im konkreten Handlungskontext berücksichtigt werden. In den untersuchten Integrationsansätzen wurden dafür unterschiedliche Artefakte, wie Use Cases, Scenarios, Task Models und auch Personas verwendet (Chamberlain et al 2006 ;Patton 2002; Wolkerstorfer et al 2008). Constantine & Lockwood (2003) schlagen beispielsweise vor, die Tasks der Nutzer in Form von Use Case Szenarien auf Index-Karten zu formulieren, diese zu gruppieren und zu priorisieren. Wolkerstorfer et al. (2008) beschreibt hingegen in einer Fallstudie, wie die Entwicklung durch Persona-Beschreibungen unterstützt wurden. Die (Extreme)Personas in diesem Beispiel zeichnen sich durch ihre inkrementelle Entwicklung und Refaktorisierung aus. Daher auch die Bezeichnung Extreme Persona. 2.3 Testing und Prototyping Das kontinuierliche und detaillierte Testen von Teil-Lösungen, ist im Agilen mit dem Ziel verankert, weitestgehend fehlerfreie Software sicherstellen zu können. Dies wird auf technischer Seite durch automatisierte Unit-Tests realisiert und aus Kunden/Nutzer-Sicht durch sog. Acceptance Tests, bei denen ein Softwaresystem gegen die im Vorfeld definierten Anforderungen evaluiert wird. Aus Usability Sicht sind solche automatisierten Test nur schwer möglich und beschränken sich z. B. auf die Prüfung der Konformität des UI (z. B. der richtigen Beschriftung von Interfaceelementen). Das automatisierte Testen komplexer Workflows ist jedoch kaum möglich. In agilen Modellen ist i.d.R. nicht verankert während einer Prozessiteration Zwischenergebnisse, die noch nicht in Code umgesetzt wurden, mit Nutzern oder anderen Stakeholdern zu überprüfen. Die Betrachtung der Ansätze hat gezeigt, dass gerade für die Entwicklung einer gebrauchstauglichen Nutzerschnittstelle die kontinuierliche Evaluation mit Nutzern maßgeblich ist und Teil des Modells sein sollte. Eine häufig angewandte Methode scheint das Paper Prototyping. Der Vorteil ist ein schnelles Feedback ohne den Ballast eines formalen Tests. 229 Im Rapid Contextual Design Ansatz (Beyer et al. 2004) werden Paper MockUps verwendet, um erste Designentwürfe mit Nutzern zu überprüfen, bevor diese in Code umgesetzt werden. Patton (2008) sieht einen deutlichen Mehrwert in unformalen Tests mit Papierprototypen und beschreibt, wie ein solcher Validierungs-Prozess in einen DesignProzess übergeht. Ein Papierprototyp bietet ihm die Möglichkeit, auf Feedback direkt einzugehen, in dem unmittelbar Veränderungen vorgenommen werden können, um diese wiederum zu validieren. Kane (2003) befürwortet ein Szenario-basiertes Prototyping, auf Grund der geringen Kosten und weil es nicht von lauffähiger Software abhängig ist. 2.4 Verortung von Aktivitäten (Parallelität, Nebenläufigkeit) In der traditionellen Softwareentwicklung werden Aktivitäten oft schrittoder phasenweise, meist auch sequentiell, abgearbeitet. Der Entwurf startet meist nach der Analyse, und die Implementierung nach dem Entwurf. Abschließend wird die entwickelte TeilLösung getestet. Dies führt dann zu einer Release-Version, die an Kunden ausgeliefert wird. In der agilen inkrementellen Entwicklung wird das Ergebnis einer jeden Prozessiteration als potentielles Mini-Release verstanden. Dabei werden vergleichbare Aktivitäten wie in der traditionellen Softwareentwicklung durchgeführt, aber kleinschrittiger; die Lösungserarbeitung erfolgt sukzessive. Die Software, die am Ende einer Iteration vorliegt, soll nur aus vollständig getesteten und lauffähigen Features bestehen. In einer Fallstudie beschreibt Sy (2007) den agilen Design und Entwicklungsprozess bei der Firma Autodesk Inc. Hierbei arbeiten das User Experience-Team (UX) und das Development-Team parallel, aber zeitlich versetzt. Das UX Team führt Usability Tests auf Basis des Mini- 230 Release der vorherigen Iteration durch. Designs zur Implementierung für die nächste Iteration werden entworfen und validiert und Requirement Engineering Aktivitäten für den übernächsten Zyklus durchgeführt. Durch diesen Vorsprung gegenüber der Entwicklung, bietet sich die Möglichkeit Designs zu validieren, bevor sie implementiert werden. Es kann mehr Zeit in die Analyse und Anforderungsermittlung investiert werden. Dieses Prinzip wird in ähnlicher Weise auch von anderen Autoren aufgegriffen, wie beispielsweise Ambler (2007), Nummiaho (2006), Ungar & White (2008). Dabei ist es wichtig nicht „zu weit“ für die Zukunft zu designen, da während der Entwicklung immer wieder Änderungen aufkommen (Ferreira 2007). 2.5 Rollenmodell Die Definition von verschiedenen Rollen innerhalb eines Projektteams zielt darauf, alle Kompetenzbereiche der Softwareentwicklung, mit entsprechen ausgebildeten Personen abzudecken. In agilen Teams, wie sie in der Literatur beschrieben werden, gibt es keine feste Rollenzuteilung. Im Idealfall sind alle Teammitglieder in der Lage zu designen, zu programmieren und zu testen. Für Projekte bei denen UI und Interaktion nicht der wesentliche Erfolgsfaktor ist, mag das möglich sein. Andernfalls hat sich gezeigt, dass es notwendig ist, die entsprechenden Entwicklungsteams explizit um Personen mit Erfahrung im Bereich UI Design und/oder User Centered Design zu ergänzen, um die Gebrauchstauglichkeit sicherzustellen (Ferreira 2007; Lee 2006; Sy 2007). Kane hält es wiederum auch für möglich, dass Entwickler, mit einem Minimum an Training, leichtgewichtige „discount“ Usability Methoden anwenden können, wenn sie durch Interfaces Design Patterns, Style Guides und Evaluation durch Heuristiken ergänzt werden (Kane 2003). 2.6 Folgerungen für die Praxis Resultierend aus der Betrachtung der Integrationsansätze lassen sich einige Kernaspekte identifizieren, welche die offensichtlich wesentlichen Punkte sind, die über ein erfolgreiches Zusammenspiel von UCD und agiler Softwareentwicklung entscheiden. Eine Folgerung für die Analyse ist, dass genügend Wissen über die Nutzer vorhanden sein muss, bevor mit dem Design begonnen wird. Die Form der Analyse, also ob diese sehr umfangreich, vor Beginn eines Entwicklungsprojektes oder eher kurz am Anfang durchgeführt und dann inkrementell verfeinert wird, muss an die Komplexität der zu entwickelnden Software angepasst werden. Aus UCD Sicht ist ein ausreichend umfangreiches Basiswissen qualitätsentscheidend. Aus agiler Sicht ist es wichtig, dass zur Dokumentation leichtgewichtige Artefakte genutzt werden und ein Großteil des Wissens mit allen Teammitgliedern geteilt wird. Usability Engineers und UI Designer sollten integraler Bestandteil der interdisziplinären Teams sein. Dies ist eine Grundvorrausetzung, damit übergeordnete Usability Anforderungen berücksichtigt, sowie das entsprechende Analyse-Aktivitäten (aus UE Sicht) richtig durchgeführt werden können. Für gewisse, einfache Usability Methoden können das auch Entwickler machen, die im Vorfeld darin unterrichtet werden und das nötige Bewusstsein dafür mitbringen. Das UI Design sollte ebenfalls von Personen mit Erfahrung und entsprechender Ausbildung entwickelt werden. Es scheint sich bewährt zu haben, ein Team mit expliziten UCD- und UIDesign- Kenntnissen für die Analyse, Entwurf und Validierung bereitzustellen. Dieses Team erarbeitet Anforderungen Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 und Designs mit einem gewissen Vorsprung gegenüber der Implementierung. So können Designs vor der Entwicklung evaluiert werden, ohne den Entwicklungsprozess auszubremsen. Der Vorsprung sollte jedoch nicht zu groß sein, damit im Falle von Schwierigkeiten, z. B. bei der Implementierung, nicht zu viel Aufwand in spätere Änderungen investiert werden muss bzw. Konzepte entwickelt werden, die später keine Beachtung mehr finden. Eine Folgerung bezüglich der Modellierung ganzheitlicher Arbeitsabläufe ist, dass in der Durchführung sichergestellt sein muss, dass nicht nur einzelne Arbeitsabläufe der Nutzer dokumentiert und implementiert, sondern auch die Beziehungen zwischen den Abläufen im konkreten Handlungskontext berücksichtigt werden. Die Verwendung von Artefakten, wie z. B. Use Cases, Szenarios, Task Maps und auch PersonaBeschreibungen stellen offensichtlich einen effektiven Weg dar, den Analysten, Produktmanagern und Nutzern ein ganzheitliches Bild von der Anwendung zu vermitteln und dadurch Anknüpfungspunkte und Problembereiche einfacher lokalisieren zu können. Bezüglich des UI muss sichergestellt werden, dass Entwürfe mit Nutzern evaluiert werden, noch bevor sie implementiert werden. Um auf Änderungen und wechselnde Anforderungen schnell reagieren zu können, scheinen sich Papierprototypen als ideale Ergänzung zum Toolkit der agilen Softwareentwicklung erwiesen zu haben. Darüber hinaus müssen regelmäßige Usability Tests, mit allen Vertretern der Zielgruppe, im Prozess verankert werden. Für die Analyse und das Testen ist die Zusammenarbeit mit echten Nutzern aus UCD Sicht unerlässlich. Deshalb muss sichergestellt werden, dass Endnutzer in der Gruppe der Customer Stakeholder vertreten sind und für diese Aktivitäten herangezogen werden können. 3.0 Anwendungsfall: Open Text’s Agile Design Dass sich die identifizierten Kernaspekte in der Praxis wiederfinden, wird an dem iterativen Entwicklungsprozess (IDP) von Open Text gezeigt. Durch den iterativen Ansatz von Design und Entwicklung und eine enge Kundenbeteiligung in allen Phasen des Projektes, ist es möglich eine hervorragende Customer bzw. User Experience zu liefern. Dabei liefert eine frühe Customer Research Phase den (Nutzungs-) Kontext. Der agile Prozess schafft den Rahmen für die Zusammenarbeit: festgelegte Feedback-Loops zwischen den externen Stakeholdern (Kunden, Endbenutzer) auf der einen Seite und den internen Beteiligten bei Open Text (Entwicklung, Produkt Management, Product Design, Sales und Services) erreichen, dass möglichst früh im Produkterstellungsprozess klar wird, was gebraucht wird und was nicht. DesignEntscheidungen werden iterativ getroffen, Kundenfeedback möglichst bis zur letzten Minute vor der eigentlichen Implementierung berücksichtigt. 3.1 IDP Artefakte Folgende IDP Artefakte basieren auf Research Aktivitäten: x x x x x Vision. Die High Level Sicht, das Ziel eines Releases. Persona. Rock. High Level Feature, typische Roadmap-Inhalte. User Story. Beschreibt eine Tätigkeit einer Persona und ihre zugrunde liegende Motivation. Macro Story. Beschreibt einen Schritt in oder ein Detail der User Story. Beispielsweise eine UX Spezifikation. Die technische Umsetzung wird von der Entwicklung in Form von Micro Stories spezifiziert. Die Anwendung der Persona Methode von Alan Cooper garantiert eine äußerst benutzerfokussierte Entwicklung, da die Requirements (User Stories) aus dem Blickwinkel des Benutzers formuliert werden. Sowohl das User Interface Design als auch das User Interaction Design werden mit Hilfe diese Stories erläutert und definiert. Die für die Produkte erarbeiteten Persona Sets ergänzen die User Stories in idealer Weise. 3.2 IDP Projektstruktur Das Projektteam ist in ein ‚Core Development Team‘ und ein erweitertes ‚Product Team‘ aufgeteilt. Dabei besteht das Core Development Team aus Product Designer, Poject Manager, Developer, Quality Engineer, Technical Writer. Das Product Team bezieht zusätzlich die externen und internen Stakeholder mit ein. 3.3 Iterativer Entwicklungsprozess Der IDP bricht die Produktentwicklung in Iterationen von 2-4 Wochen Länge. Jede Iteration startet mit einem Planning Game und endet mit einem End Game. Landmarks fassen das Ergebnis mehrerer Iterationen zusammen, idealerweise bearbeiten sie wenigstens einen Rock. Landmarks werden wie ‚kleine interne Releases‘ behandelt. In Landmark Demos wird der aktuelle Stand vorgeführt; sie finden alle 2-3 Monate in einem größeren Rahmen vor dem gesamtem Produkt Team statt. Während der Landmark Demo erhält das Entwicklungsteam Feedback von allen Beteiligten. Die kurzen Zeitzyklen garantieren, dass das Feedback noch in der aktuellen Produktversion implementiert werden kann. 3.4 Agile Design-Methode Die Ergebnisse der Research Aktivitäten durch die Product Designer liefern 231 das Fundament für das Design der User Experience für das laufende Projekt: Personas und Stories. Die Bedürfnisse und Aufgaben der Personas helfen, richtige Design-Entscheidungen im Hinblick auf die User Experience zu treffen und die Features zu priorisieren. Sie liefern zudem den Kontext um internen und externen Beteiligten die Software zu erläutern. User Interface und User Interaction Design werden iterativ erarbeitet. DesignEntwürfe werden ausgewählten Stakeholdern (Design Partnern) präsentiert und von diesen bewertet. Deren Feedback dient als Grundlage für die nächste Design-Iteration. Auf diese Weise werden die Stakeholder involviert, bevor die eigentliche Implementierung begonnen hat bzw. möglicherweise schon erste Fehlentscheidungen getroffen wurden. 3.5 Verbesserte Usability Die Integration von UCD Aktivitäten in allen Phasen des iterativen Entwicklungsprozess erhöht eine flexiblere Anwendung der Methoden und damit die Usability eines Produktes. DesignIterationen während des gesamten Entwicklungsprozesses ermöglichen es, Feedback oder anderweitig gesammelte Erkenntnisse während der gesamten Entwicklungsphasen zu berücksichtigen. Durch die vorgeschaltete ResearchPhase ist es garantiert, dass eine klare Vision formuliert wird, an der während der gesamten Projektlaufzeit kontinuierlich gearbeitet wird. Schließlich garantiert die intensive Kundenbeteiligung, dass die Features so entwickelt werden, wie sie die Endbenutzer wirklich brauchen. 4.0 Fazit In dem vorliegenden Paper wurde das Wissen aus unterschiedlichen Integrationsansätzen des UCD und der agilen Softwareentwicklung angewandt, und 232 deren wesentliche Gemeinsamkeiten als Kernaspekte identifiziert und beschrieben. Die resultierenden Folgerungen aus dem Vergleich wurden anhand eines Anwendungsfalles beschrieben und nun zur Diskussion gestellt. Die Folgerungen stellen keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern sollen bei der Auswahl und Anwendung in der Praxis eine Hilfestellung bieten. 5.0 Literaturverzeichnis Beyer , H.; Holtzblatt, K.; Baker, L. (2004): An Agile User-Centered Method: Rapid Contextual Design. 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(2007) UpFront Interaction Design in Agile Development In: Lecture Notes in Computer Sci- Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Extreme Gebrauchstauglichkeit: Agile Prozess- und Softwareentwicklung mit den Mitteln des Usability Engineering Hartmut Obendorf C1 WorkPlace Solutions Vogt-Kölln-Str. 30 22769 Hamburg [email protected] Ronald Naumann Deutscher Ring Ludwig-Erhard-Straße 22 20459 Hamburg [email protected] Abstract Agile Entwicklungsmethoden versprechen durch die iterative Entwicklung von Anforderungen, Bedürfnisse von Kunden genauer treffen zu können als Ansätze des „klassischen“ Software-Engineering. Ausgehend von drei verschiedenen Pro 1.0 Einleitung Agile Entwicklungsmethoden versprechen nicht nur eine im Gegensatz zu klassischen Softwareprozessen erhöhte Produktivität, sondern auch die Ausrichtung von Softwaregestaltung an Wünschen und Nöten von Kunden und Endanwendern. Dabei sagen agile Methoden häufig nur wenig darüber aus, wie diese Anforderungen ausgehandelt und festgehalten werden oder wie daraus eine Vision für die Systemgestaltung abgeleitet werden kann. So bleibt den Anwendern agiler Entwicklungsmethoden viel Interpretationsspielraum. Gerade für die Kommunikation mit Endanwendern und die Konsolidierung unterschiedlicher Nutzungsvorstellungen bietet das Usability Engineering (UE) eine Vielzahl von Methoden an. Das gewachsene organisatorische Umfeld in Versicherungen garantiert uns eine Vielzahl technischer Randbedingungen, so dass ein nicht mit der technischen Umsetzung rückgekoppeltes Design in den meisten Fällen nicht realisierbar ist – die Softwareentwicklung schafft so Rahmenbedingungen für das Usability Engineering. Damit wird die enge Integration von Usability- und Softwareentwicklung, jekten bei einem deutschen Versicherer berichten wir über unsere Erfahrungen mit der Ermittlung und Entwicklung von Anforderungen. Wir beschreiben das Fördern von Verbindlichkeit im erweiterten Entwicklungsteam und den Einsatz von Szenarien. neben der intensiven Kommunikation mit den Anwendern die Anpassung technischer Prototypen im Arbeitskontext notwendig. der Vollständigkeit (von Spezifikationen) kommen, der in der Praxis nicht eingehalten werden kann, und im ungünstigsten Fall wird das Einsatzumfeld statisch betrachtet – und so für Nutzer entwickelt, die es nach dem Ende der Entwicklung nicht mehr gibt, da sich die Anforderungen durch den Softwareeeinsatz geändert haben. 1.1 Agile Methoden Mit der Softwarekrise in den 1960er Jahren – die Kosten für Software überstiegen erstmals die von Hardware – wurde klar, dass die Entwicklung von Software ein sehr teures und in seiner Komplexität herausforderndes Unterfangen ist. Die Qualität von Software wurde wichtig (DIN ISO 55350) – zunächst vor allem die innere, die die Beschaffenheit der Software selbst betrifft, dann auch die äußere, die die Nutzung und den Einsatz bestimmt. „Traditionelles“ Software-Engineering, wie es nicht zuletzt in großen Unternehmen bis heute umgesetzt wird, legt Wert auf einen geordneten Entwicklungsprozess, der formale Hilfsmittel einsetzt, um zu dokumentieren, wie Anforderungen in Software umgesetzt werden. Vorteile sind damit eine hohe Nachvollziehbarkeit und Planbarkeit des Entwicklungsprozesses. Es kann aber zu Geschwindigkeits- und Reibungsverlusten, zu einem Anspruch Keywords Agiles Usability Engineering, Extreme Programming, Szenarien „Leichtgewichtige“ oder agile Methoden legen demgegenüber ein größeres Gewicht auf informelle Kommunikationswege (Beck 1999). Damit versprechen sie nicht nur eine schnellere Entwicklung, sondern vor allem schnelle erste Ergebnisse, die Scheitern oder Erfolg eines Projektes bereits frühzeitig erkennen lassen. Agile Methoden sind immer iterativ und setzen oft auf evolutionäres Prototyping, in dem Entwicklung und Einsatz verschränkt sind. Die praktische Relevanz agiler Methoden wird immer größer, neben Scrum (Schwaber 2001) und FDD (de Luca 2008) hat vor allem XP (Beck 1999, 2004) eine wichtige Rolle in der Softwareentwicklung erreicht. 233 1.2 Extreme Gebrauchstauglichkeit – UE-Techniken und agile Prozesse Die Kombination von Usability Engineering (UE) und agiler Softwareentwicklung liegt aufgrund der zunehmenden Bedeutung der agilen Methoden nahe und wird intensiv diskutiert. UE wird dabei oft als vorbereitende Phase für die Entwicklung gesehen (z.B. (Memmel et al. 2006)) – dies birgt jedoch die Risiken des Zeitverlustes für die Ausführung des UE und des Ausbremsens der agilen Softwareentwicklung (Obendorf & Finck 2007). Die Integration von UE-Techniken in agile Methoden ist aufgrund der Phasenbezogenheit des UE nicht trivial (Nebe et al. 2007). In diesem Beitrag leiten wir aus Schwierigkeiten bei der Umsetzung unserer Implementation von XP und UE unsere Forderung nach einer höheren Verbindlichkeit der Anforderungen ab und beschreiben den Einsatz von Szenarien, um dem zu begegnen. Als Basis dient ein Prozessmuster, welches auf Szenariotechniken aufsetzt, um die „Stories“ von Extreme Programming (XP) im Kontext zu verankern und die „Konversation mit dem Kunden“ zu moderieren (Obendorf et al. 2005, Obendorf & Finck 2008). 2.0 Fallbeispiele für agile Entwicklung beim Deutschen Ring Der Deutsche Ring ist ein traditionelles Versicherungsunternehmen mit Stammsitz in Hamburg. Zur Unternehmensgruppe gehören neben der Lebens-, Kranken-, Unfall- und Sachversicherung die MoneyMaXX AG, die Deutscher Ring Bausparkasse, die Fondsgesellschaft Financial Services, die Maklermanagement AG, der Deutsche Pensionsring sowie einige große Vertriebsgesellschaften. 2008 belegte der Deutsche Ring Krankenversicherungsverein a.G. beim Wettbewerb "Deutschlands 234 kundenorientiertester Dienstleister" den 3. Platz und ist damit Deutschlands kundenorientiertester Versicherer (Handelsblatt vom 28.5.2008). Versicherungsnehmer oder versicherte Person beteiligt ist, kundenbezogen und spartenübergreifend in ihrem aktuellen Zustand dargestellt werden können. In der Entwicklung webbasierter Anwendungen wird vom Deutschen Ring seit zwei Jahren intensiv XP als agile Vorgehensmethode eingesetzt, wobei wie in jedem traditionsreichen Unternehmen sehr verschiedene Entwicklungsparadigmen nebeneinander stehen, und so z.B. auch weiterhin in vielen Bereichen Großrechnertechnik und klassische Softwareentwicklungsmodelle betrieben werden. Dies bringt mehrere Besonderheiten mit sich, die eine Anpassung des XP-Prozesses an die Organisationskultur erforderlich machen: Projekte werden aufgrund sehr global formulierter Anforderungen geplant und beauftragt, oftmals sind viele verschiedene Abteilungen an einem Projekt beteiligt und auch die Kundenrolle ist zumeist auf verschiedene Organisationseinheiten verteilt. Das Maklerportal ist ein Informationssystem, welches auf die Informationen von MACS und der elektronischen Kundenakte zugreift und die Bestandsdaten einzelner Makler für diese bereitstellt. Damit können Verarbeitungszustand wie Vertragsdetails aller beim Deutschen Ring eingereichten Anträge und Verträge vom Makler angefordert werden. Im Maklerportal ist außerdem noch der Zugriff auf Werbemittel und Angebotsrechner möglich, um den Makler im Vertrieb zu unterstützen. Die hier beschriebenen Erfahrungen stammen aus drei verschiedenen Projekten, die kurz skizziert werden sollen: Das Makler-Auskunft- und Controllingsystem (MACS) ist die zentrale Informationsplattform für die Betreuer und Servicemitarbeiter des Maklervertriebs des Deutschen Rings. Stamm-, Kontakt- und Provisionsdaten der Makler werden aus einer Vielzahl anderer Systeme und Datenbanken gesammelt und in MACS angezeigt. Die verschiedenen Bearbeitungsstände der vom Makler eingereichten Versicherungsanträge und die Aufgaben des Maklerservice bezogen auf die einzelnen Anträge werden in MACS verwaltet. Die elektronische Kundenakte (eAkte) ist als Hauptarbeitsmittel für die Kundenbetreuung im Servicemanagement angelegt. Es handelt sich dabei um ein Informationssystem, in dem Daten aller Verträge, an denen ein Kunde als Bei MACS wie der eAkte handelt es sich um Komponenten der hausinternen Informationsplattform iKontakt, das Maklerportal ist eine moderne Eigenentwicklung. Alle drei Anwendungen basieren trotz sehr unterschiedlicher FrontendTechnologien auf einer gemeinsamen Serviceschicht, die den Zugriff auf verschiedene Datenbanken und die beim Deutschen Ring im Einsatz befindlichen Hostrechnersysteme kapselt. 3.0 Verbindlichkeit Beim Deutschen Ring wurde und wird ein großer Teil der Softwareentwicklung nach klassischen Methoden durchgeführt. Die beschriebenen Projekte waren die ersten, die agil ausgelegt waren und sich im Vorgehen an einer Kombination von XP mit Szenariotechniken orientierten (vgl. Obendorf & Finck 2008). Das iterative Vorgehen mit vierwöchigen Iterationsmeetings mit Projektleiter, Auftraggeber, Kunden und Entwickler bedeutete eine Umstellung für alle Beteiligten. Nach jeder Iteration wurde eine neue Softwareversion zum Testen zur Verfügung gestellt und nach Behebung der aufgetretenen Fehler produktiv eingesetzt. In der konkreten Umsetzung von XP setzen wir den XPlan- Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 ner1 (www.xplanner.org) für die Verwaltung der Stories und die daraus abgeleiteten Tasks ein, in einem Wiki können Kunden, Nutzer und Entwickler gleichberechtigt aktuelle und historische Stände der Stories einsehen und bearbeiten. Alle beschriebenen Projekte wurden hausintern mit externer Unterstützung entwickelt, weshalb die Entwicklungskapazität von Beginn an festgelegt war. Damit stellt sich jeweils nicht die Frage nach der Umsetzung aller erfassten Anforderungen, sondern nur danach, welche Anforderungen im Projektrahmen umgesetzt werden können. Die Herausforderung für unseren Kunden besteht also darin, die einzelnen Stories zur Umsetzung im Rahmen der Iterationen "richtig" zu priorisieren, damit am Ende die Funktionalität umgesetzt wird, die wirklich am dringendsten benötigt wird. Für unsere Kunden macht dieses für sie neue Vorgehen zunächst Vieles einfacher. Sie können auch noch während des Projektes Anforderungen beschreiben und zu jeder Iteration in Abhängigkeit vom erreichten Entwicklungsstand neu priorisieren. Die Folgen von Entscheidungen werden durch die unmittelbare Rückmeldung sichtbar und Korrekturen erfolgen zu Beginn einer jeden Iteration fast zwangsläufig. Der Projektstand insgesamt ist für alle Beteiligten nachvollziehbar, Zeitüberschreitungen sind früher erkennbar. Geeignete Gegenmaßnahmen (Verschiebung einzelner Stories in spätere Releases, Anforderung zusätzlicher Ressourcen) können zielgenauer erfolgen. Eines der anfänglichen Probleme innerhalb des Projektes MACS bezogen auf die Vorgehensweise war das heterogene Auftreten der Kunden. So wurden in den ersten Wochen von unseren Kunden besondere Suchfunktionen und die 1 Auch die Zuweisung der Entwickler zu einzelnen Tasks, Aufwandsschätzungen und Verbuchung angefallender Aufwände werden hier vorgenommen. sehr differenzierte Darstellung von Kommunikationsdaten der Makler sehr hoch priorisiert. Im Laufe des Projektes hat sich herausgestellt, dass diese Funktionen nur von einem engen Nutzerkreis und sehr selten verwandt werden. Gemeinsam mit dem Kunden konnten wir das Verhältnis der Nutzer ausgleichen und so die Prioritäten den Bedeutungen der einzelnen Anforderungen annähern. 3.1 Verbindlichkeit: Vollständigkeit Die fortlaufende Beschreibung und Priorisierung von Anforderungen hat aber auch Nachteile: Unser Kunde begann, gerade zu wichtigen und damit scheinbar klaren Anforderungen eine Konsumentenhaltung einzunehmen und die Beschreibung der Anforderung nicht ausreichend auszuführen: Unser Kunde hat z.B. anstelle einer vollständigen Beschreibung einer Funktion lediglich einige wenige Ideen beschrieben und anhand der erfolgten Umsetzung im Anschluss seine Beschreibung weiter komplettiert. Notwendiger Klärungsbedarf ging oft zu Lasten der Entwickler, da die Vollständigkeit der Anforderungen durch deren Nachfragen und spätere Beschreibung sichergestellt werden musste. Vorgehenskonforme, später zu beschreibende Anforderungen ließen sich in einigen Fällen nicht mehr von Change Requests (also nachträglichen Anforderungen) abgrenzen. Damit nahm die Umsetzung einiger Funktionen ein Vielfaches der geplanten Zeit in Anspruch. Hinzu kamen weitere Abstimmungs- und Testaufwände. Eine wichtige Schlussfolgerung für die weitere Arbeit mit leichtgewichtigen Methoden beim Deutschen Ring ist daher, dass Anforderungen zwar in anderer Form (Story) und in einem anderen Kontext (kleinteilig und wo möglich auch unabhängig voneinander) beschrieben werden sowie zu einem anderen Zeitpunkt (z.T. nach Beginn des Projektes). Jede einzelne Story sollte, bevor sie zur Umsetzung priorisiert wird, so vollständig wie möglich und unter Berücksichtigung aller denkbaren Ausnahmen beschrieben worden sein. In einem traditionellen Entwicklungsprozess entspricht dies einem Quality Gate; in agilen Prozessen ist die größte Herausforderung die Identifikation der Kandidaten für neue Stories, denn für diese muss vor der Iterationsplanung mit dem Kunden ein Klärungsprozess eingeleitet werden. 3.2 Erweitertes Entwicklungsteam Nach unseren Erfahrungen – bestimmt durch die hohe Komplexität des Projektumfeldes und vielen beteiligten Stakeholdern – ist die Rollenverteilung Entwicklerteam vs. Kunde, wie sie in XP vorgesehen ist, nicht ausreichend. Der „Kunde vor Ort“, wie er noch in der ersten Version von XP beschrieben wurde, ist als ein Hauptdefizit von XP ausgemacht worden (z.B. McBreen 2002) und drückt eine unrealistische Vorstellung aus. Stattdessen schlagen wir vor, ein je nach Aufgabe variabel aufgestelltes erweitertes Entwicklungsteam zu definieren, in dem Kunde und Benutzer wichtige Rollen ausfüllen: Der Auftraggeber kommt bei uns aus dem gleichen Bereich wie die Mehrzahl der Benutzer, ist aber entfernt von den eigentlichen operativen Anforderungen. Abb. 1: Erweitertes Entwicklungsteam 235 Der Nutzer erfährt die Fachlichkeit im Rahmen seiner täglichen Arbeit sehr genau, kann aber wenig zur zukünftigen Ausrichtung des Bereichs sagen und besitzt nicht die Entscheidungskompetenz des Auftraggebers. Der Spezialist kennt die Fachlichkeit sehr genau, inkl. aller Ausnahmen, rechtlicher Bedeutung etc. Er ist aber nicht Zielgruppe der Software und wird nicht oder selten damit arbeiten. Ziel des erweiterten Entwicklungsteams ist es, für die Beschreibung von Anforderungen eine hohe Verbindlichkeit herzustellen, so dass der Kunde, Anwender und Spezialist gleichermaßen das Gefühl bekommen, dass ihre Anforderungen berücksichtigt werden. Mitglieder in diesem Team sind neben den jeweiligen Entwicklern Vertreter der drei skizzierten Gruppen. Sie alle haben gleichberechtigt Zugriff auf die Stories. Im Vorfeld stellt der Nutzer eine Reihe von Anforderungen aus Sicht seiner täglichen Arbeit auf. Er benennt diese Abläufe und Funktionalitäten. Der Auftraggeber sammelt, priorisiert und fordert von den Entwicklern eine erste grobe Aufwandsschätzung für die aus seiner Sicht wichtigen Punkte an. Zur inhaltlichen Abstimmung einer konkreten Anforderung treffen sich Auftraggeber, Nutzer, Spezialist und Entwickler und beginnen, die Story gemeinsam und detailliert zu beschreiben. Dabei wird darauf geachtet, dass die Beschreibungen entweder direkt im Wiki vorgenommen werden oder unmittelbar im Anschluss dort erfolgen. Anhand dieser Beschreibungen wird ein Autor-Kritiker Zyklus in Gang gesetzt, mit dem Ziel eine möglichst vollständige Beschreibung der Story zu bekommen. Das Entwicklungsteam konkretisiert die Aufwände für die Umsetzung anhand der detaillierteren Beschreibung und schafft somit die Voraussetzung, die 236 Abb. 2: Das implementierte Prozessmuster (vgl. Obendorf & Finck 2008) jeweilige Story in der kommenden Iterationsplanung zu berücksichtigen. 4.0 Anforderungserhebung: Szenarien und Stories Mittel der Wahl für die Dokumentation von Anforderungen sind in XP Stories, der Idee nach kurze Geschichten, die eine benötigte Funktionalität beschreiben (z.B. „ich melde mich an). Stories sind bewusst unvollständig gehalten, ihre genaue Ausgestaltung soll erst im Laufe der Entwicklung und im Dialog von Kunde / Anwender und Entwicklerteam verhandelt werden. Dabei gibt es zwei prinzipielle Schwierigkeiten: zum einen ist die Trennung der Rollen Kunde / Anwender in XP nicht konsequent: Da die Verantwortung für die Anforderungen beim Kunden liegt, besteht die Gefahr, an den Anwendern vorbei zu entwickeln. Auch ist der Gesamtzusammenhang einer Story oft unklar, ihr fehlt die Verbindung zur Gesamtvision. 4.1 Entwicklung der Anforderungen mit Stories Daher beschreiben wir hier, wie wir die gemeinsame Erstellung von Stories und Szenarien einsetzen, um Anforderungen zu entwickeln und im Nutzungskontext zu verorten. XP schlägt vor, die wichtigsten Funktionen eines Systems zu realisieren, um dann Funktionalität sinnvoll zu ergänzen. Dies birgt aber die Gefahr, keine ganzheitliche Vorstellung zu entwickeln und so nur lokal sinnvolle Ergebnisse zu erreichen (Obendorf & Finck 2008). Eine einfache Übertragung von UETechniken würde vor dem Beginn eines XP-Prozesses versuchen, Anforderungen möglichst vollständig zu erfassen. Will man agil bleiben – und sollen Nutzer und Entwickler im erweiterten Entwicklungsteam mitwirken, kann aber dabei nicht einmal annähernde Vollständigkeit erreicht werden, sondern Kontextanalyse und das Design müssen ebenso iterativ und schrittweise erfolgen. Damit wird es notwendig, neben den Rohstories, die als „promise for conversation“ (Beck 1999) dienen und eine erste Planung ermöglichen, konsolidierte Stories als Grundlage für die Entwicklung und ggf. auch Szenarien für die Kontextualisierung der Stories einzusetzen. Beim Deutschen Ring gibt es einige zusätzliche Rahmenbedingungen, die die Nutzung von Stories bestimmen: Dadurch, dass nicht alle beteiligten Abteilungen ein agiles Prozessmodell verfolgen, setzte der XP-Prozess immer auf vorangehenden Planungsschritten auf. So war die Grobplanung der Projekte z.T. bei Start schon abgeschlossen; es lag zwar nie ein vollständiges Anforde- Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 rungsdokument vor, für das MACSProjekt existierte aber z.B. eine Anforderungsdatenbank, für die sehr grob Aufwände geschätzt worden waren. Für das Projekt eAkte gab es dagegen nur detaillierte und oft fehlerhafte inhaltliche Vorgaben, die Spezifikation der Stories wurde vor Projektbeginn durch die Kunden durchgeführt. Wir haben ein mehrstufiges Verfahren zum Erheben und Klären der Anforderungen eingesetzt: von rohen Geschichten, die oftmals nur stichpunktartig die Vorstellungen der Kundenvertreter beschreiben (und damit bereits die im Vorfeld erhobenen Benutzerwünsche interpretieren und filtern), versuchen wir iterativ und gemeinsam mit den zukünftigen Anwendern zu konsolidierten Stories zu gelangen, die dann nicht nur die Anforderungen beschreiben, sondern auch Grundlage für die Abnahme und Dokumentation des entwickelten Systems sind. 4.2 Arbeitskontext und Gesamtzusammenhang: Stories und Szenarien Eine wichtige Eigenart unseres XPProzesses ist die Entwicklung von Stories aus einem Rohzustand hin zu einer brauchbaren Umsetzungsvorgabe und dokumentation. Eine zentrale Rolle kommt so Szenarien zu, die als kontextuelle Beschreibung der Nutzung von zukünftiger Funktionalität nicht nur für die Umsetzung wichtige Details beinhalten, sondern vor allem Nutzungsumfeld und Hintergründe der Nutzung transportieren. So geben sie einzelnen Funktionalitäten einen Rahmen, illustrieren gegenseitige Abhängigkeiten und erhöhen so die Planbarkeit. Ein Szenario kann dabei mit mehreren Stories verbunden sein und beschreibt Tätigkeiten, die benötigte Funktionalitäten begründen und bestimmen. Abb. 3: Bezug von Szenarien und Stories. An anderer Stelle setzen wir Szenarien ein, um gezielt Defizite, die in Rohstories offensichtlich werden, zu beschreiben. Im Rahmen des Projekts eAkte nutzt ein Sachbearbeiter z.B. bis zu fünf verschiedene Auskunftssysteme, in den ursprünglichen Stories waren aber nur die Anforderungen für das neue System beschrieben. In diesen Fällen dienen Szenarien vor allem dazu, den Workflow zu beschreiben und so die Rationalität von Designentscheidungen offen zu legen. Nicht immer ist der Einsatz von Szenarien erforderlich – sind etwa nur wenige Stakeholder an einer Entscheidung beteiligt und hat neue Funktionalität nur sehr lokale Auswirkungen, belassen wir die mögliche Ausdifferenzierung in der direkten, mündlichen Aushandlung mit dem Benutzer. 5.0 Fazit Der Einsatz des vorgestellten Vorgehens wird von allen Beteiligten – auch den Kunden – sehr positiv eingeschätzt. Dennoch sind wir auf Probleme gestoßen, für die wir teilweise Gegenmaßnahmen gefunden haben. Dazu gehört die Gefahr, dass die stetige Entwicklung zu einem Eindruck der Unverbindlichkeit führt. Hier haben wir uns zum einen entschieden, Kunden und Benutzer in einem erweiterten Entwicklungsteam einzubinden, zum anderen Qualitätsanforderungen für die einzelnen Dokumente aufzustellen und im Entwicklungsprozess Zeitpunkte festzulegen, zu denen eine Mindestqualität erreicht sein muss (Quality Gates). Szenarien ergänzen für uns den XPProzess, einerseits, indem sie Stories verorten und die Planbarkeit erhöhen, andererseits, indem sie den gemeinsamen Aushandlungsprozess für Anforderungen unterstützen und die Qualität der Stories nachhaltig verbessern. 5.1 Literaturverzeichnis Beck, K. & Andres, C. (2004). Extreme Programming Explained : Embrace Change (2nd Ed.). Addison-Wesley Professional. Beck, K. (1999). Extreme Programming Explained: Embrace Change. Addison Wesley. Beck, K., Beedle et al. (2001). Agile Manifesto. http://www.agilemanifesto.org. Cohn, M. (2004). User Stories Applied: For Agile Software Development. Addison Wesley. de Luca, J. (2002). FDD processes. http://www.nebulon.com/articles/fdd/. Gundelsweiler, F., Memmel, T., & Reiterer, H. (2004). Agile Usability Engineering. Mensch & Computer 2004, München, 33-42. McBreen, P. (2002). Questioning Extreme Programming. Pearson Education. Nebe, K., Düchting, M. & Zimmermann, D.: Integration von User Centred Design Aktivitäten in Agile Softwareentwicklung. Usability Professionals 2007. Obendorf, H. & Finck, M. (2008). ScenarioBased Usability Engineering Techniques in Agile Development Processes. CHI '08: ACM Conference on Human Factors in Computing Systems, Florence, 2159-2166. Obendorf, H.; Finck, M.; (2007). Szenariotechniken & Agile Softwareentwicklung. Mensch & Computer 2007 - Interaktion im Plural. München, 19-28. Obendorf, H., Finck, M., & Schmolitzky, A. (2005). Teaching balance and respect. Interactions, 12(5), 36-37. Schwaber, K. & Beedle, M. (2001). Agile Software Development with SCRUM. Prentice Hall. 237 238 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 E loquenz in de r I nt e ra k t i o n 239 240 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Wie sag ich’s meinem Anwender? Vorgehen und Empfehlungen für die Gestaltung von Meldungen Richard Oed Daimler AG GR/ESP, Prozessgestaltung Postfach 2360 89013 Ulm [email protected] Heiko Ziegler Daimler TSS GmbH Bereich Consulting Wilhelm-Runge-Str. 11 89081 Ulm [email protected] Abstract Das richtige Feedback an den Anwender kann die Usability eines Systems deutlich beeinflussen. Leider wird diesem Aspekt bei der Softwareentwicklung häufig zu wenig Beachtung geschenkt. Welche Erfahrungen wir dabei in einem aktuellen Projekt gemacht haben und welche Lösungsmöglichkeiten erarbeitet 1.0 Motivation Wer soll das verstehen? Das war die Frage eines Anwenders an das Projektteam bezogen auf die folgende Fehlermeldung: Die ausgeführte Aktion führte zu folgendem Ergebnis: Die an der Quell-Verwendungsversion hängende Quell-Stammversion ist keine Version des der Ziel-Verwendung zugeordneten (Ziel-)Stamms (BATTERIE SENSOR). Kopieren daher nicht möglich. Bitte selektieren Sie eine Verwendungsversion, die eine korrekte Stammversion referenziert. Wie konnte das passieren? Fachexperten, Anwendungsprogrammierer und andere Personen ohne ausreichende Usability-Erfahrung hatten nach bestem Wissen und Gewissen Meldungen und Fehlermeldungen für eine umfangreiche und komplexe Anwendung geschrieben. Aus ihrer Sicht fachlich korrekt, völlig klar und verständlich und alle Eventualitäten bedenkend. wurden, zeigt dieser Erfahrungsbericht auf. Erarbeitet wurden Guidelines zur Erstellung von Meldungen sowie ein Gestaltungskonzept zur textuellen und grafischen Gestaltung aller Hinweis-, Warn- und Fehlermeldungen im zu entwickelnden System. Keywords Die Anwender verstanden allerdings nur „Bahnhof“. x x x Da erst wurde dem Projektteam bewusst, dass dem Aspekt der Anwendungsmeldungen zu wenig Beachtung geschenkt wurde, die Ersteller der Meldungstexte völlig allein gelassen wurden und im Projekt keinerlei Vorgaben für die Erstellung von Meldungstexten existierten, bzw. nicht bekannt waren. So erhielten die Autoren den Auftrag, sich um dieses Thema zu kümmern und einen Vorschlag für die Erstellung und Gestaltung von Fehlermeldungen auszuarbeiten. 2.0 Erfahrungen Die Erfahrung aus verschiedenen Projekten zeigt, dass bei der Erstellung von Anwendungen das Feedback in Form von Meldungen ein häufig vernachlässigtes Element darstellt. Hierzu gehören insbesondere Hinweis-, Warn- und Fehlermeldungen die an den Anwender gerichtet sind. Diese Meldungen sind oft Feedback, Fehlermeldungen, Guidelines, Styleguide, Usability Engineering x in der Wortwahl inkonsistent, in der Gestaltung uneinheitlich. in schlechtem Deutsch geschrieben und deshalb nicht oder kaum verständlich. In den Entwicklungsprojekten wird oft der Fehler gemacht, dass die Erstellung der Meldungen erst x x x in letzter Minute angegangen, dem Programmier allein überlassen und der Inhalt praktisch keinem Review unterzogen wird. Das Outsourcing der Softwareentwicklung bringt eine weitere Herausforderung mit sich. So werden Meldungstexte oft während der Programmentwicklung von Nicht-Muttersprachlern in Englisch erstellt und anschließend ins Deutsche rückübersetzt. Auch dabei kann es zu erheblichen Verständnisproblemen kommen. 3.0 Lessons Learned Dieses wiederkehrende Problem und unser Lösungsbeitrag in einem aktuellen Projekt, werden in diesem Erfahrungsbericht adressiert. 241 Unsere grundsätzlichen Lessons Learned sind: x Es ist wichtig, in einem Projekt frühzeitig das Vorgehen und die Regeln für das Verfassen von Meldungen zu definieren und zu kommunizieren. Von Anfang an ein Glossar aufzusetzen und durchgängig zu verwenden vermeidet unterschiedliche Begrifflichkeiten. Ab der (fachlichen) Konzeptionsphase sollten Meldungen standardisiert erfasst werden. Die Überprüfung sowohl der fachlichen als auch der Systemmeldungen sollte sowohl durch UsabilityExperten als auch durch Experten aus der Anwendungsdomäne erfolgen. x x x 4.0 Erstellung eines Meldungskonzepts Grundsätzlich empfehlen wir, einen Prozess zur Erstellung von Meldungen frühzeitig zu definieren und den beteiligten Rollen zu kommunizieren. 4.1 Rollen x x 4.2 1. 2. 3. x x 242 4. Fachbereich Er kennt die fachlichen Anforderungen und aus seinem Kreise kommen oft die System-Anwender. Er ist während der Erhebung der Fachanforderungen beteiligt. Dabei entstehen oft bereits fachliche Meldungen. Auch steht er bei den späteren Reviews der Meldungen ggf. für Rückfragen zur Verfügung. Requirements Engineer Er entwickelt die Systemanforderungen in Abstimmung mit dem Fachbereich und erstellt dabei oft auch Systemkonzepte. In dieser Phase entstehen mit die meisten Meldungen. Implementierer/IT-Dienstleister Er implementiert das System. Während der Spezifikation und der Imp- Prozess Der Usability Engineer hat u.a. die Aufgabe, im Entwicklungsprojekt einen Prozess zur Erstellung von Meldungen aufzusetzen und auf seine Einhaltung zu achten. Dabei hat sich folgendes Vorgehen bewährt: In großen Projekten sind oft die folgenden Rollen beteiligt: x lementierung entstehen technische System-Meldungen. Usability Engineer Er ist verantwortlich für die Qualitätsabsicherung der Meldungen und erarbeitet daher das Meldungskonzept und die Guidelines. Er führt das Review der erarbeiteten Meldungen durch. Endanwender oder deren Vertreter Stehen zur Nutzerabsicherung bei den späteren Reviews der Meldungen für Usability Tests und ggf. Rückfragen zur Verfügung. 5. Erarbeitung eines projektspezifischen Meldungskonzepts und Erstellung von Guidelines Aufsetzen von Glossar und Meldungs-Tabelle/Datenbank Kommunikation der verbindlichen Vorgehensweise an alle beteiligten Rollen Schulung der beteiligten Rollen (insb. Requirements Engineer) Planung und Durchführung der Reviews der Meldungsdatenbank Exemplarisch sei hier der in unseren Projekten empfohlene Prozess skizziert: x x x Standardisierte Erfassung von Meldungen ab der Erhebung der Fachanforderungen Standardisierte Erfassung von Meldungen durch den Requirements Engineer während der Entwicklung der Systemanforderungen unter Berücksichtigung des Glossars Standardisierte Erfassung von technischen Systemmeldungen während der Systemspezifikation und der Umsetzung durch den IT- x 5.0 Dienstleister unter Berücksichtigung des Glossars Review der Meldungen durch den Usability Engineer auf die Einhaltung der Guidelines. Ggf. Rückgriff auf Experten aus der Anwendungsdomäne (Fachbereich), Requirements Engineer oder Endanwender. Anforderungen an die Benutzerführung insbesondere Meldungen In der Norm DIN EN ISO 9241-13 [ISO9241-13] werden Verfahren zur Benutzerführung und Anforderungen an gute Meldungen beschrieben. Sie enthält Empfehlungen zur: x x x x x x x Benutzerführung allgemein sprachlichen Gestaltung der Benutzerführung Eingabeaufforderung Rückmeldung Statusinformation Fehlermanagement Online-Hilfe Alle diese Aspekte der Benutzerführung müssen beim Entwurf des Interaktionskonzepts berücksichtigt werden. Wegen ihrer speziellen Problematik beschränken wir uns in diesem Beitrag auf die Gestaltung von Meldungen. Unsere Empfehlungen basieren auf den Normen, der Literatur und unseren Erfahrungen aus zahlreichen Projekten. 5.1 Allgemeine Empfehlungen Benutzerführung sollte den Benutzer nicht bei der Aufgabenerledigung stören oder den Fluss des Dialogs unterbrechen. Grundsätzlich sollten so wenige Meldungen wie möglich und so viele wie nötig generiert werden. Dabei ist auf folgendes zu achten: x x Klare Unterscheidbarkeit zwischen unterschiedlichen Systemmeldungstypen Æ Abgrenzung: Hinweis/Warn-/Fehlermeldungen Systemweit einheitlicher Aufbau und Verhalten. Æ Interaktionskonzept und Styleguide Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 x x 5.2 Systemweit einheitliche Syntax und Semantik Æ Glossar und Formulierungsleitfaden Die Formulierung der Meldungen muss möglichst konkret, präzise, spezifisch und trotzdem verständlich sein. Æ Nutzerabsicherung Grundsätzlicher Aufbau Eine Systemmeldung an den Nutzer sollte grundsätzlich kommunizieren: x x x 5.3 Was ist los? Die Meldung, Beschreibung des Ereignisses bzw. des Zustandes. Warum? Erläuterung der Gründe oder möglicher Gründe. Was kann ich tun? Mögliche Handlungsoptionen des Anwenders, falls der Zustand ein Problem darstellt. Sprachliche Formulierungen In der Norm und der Literatur [Heinke 2004] werden zahlreiche Beispiele für die sprachliche Formulierung von Meldungen gegeben. Dazu gehören u.a.: x x x x Das Ergebnis einer Aktion sollte angegeben werden, bevor beschrieben wird, wie die Aktion ausgeführt wird. Bsp.: „Um die Eingaben zu verwerfen, drücken Sie die Esc-Taste.“ anstelle von „Drücken Sie die Esc-Taste, um die Eingaben zu verwerfen.“ Meldungen der Benutzerführung sollten so formuliert sein, dass sie mehr die Benutzerkontrolle als die Systemkontrolle betonen. Bsp.: „Zum Speichern Ihrer Änderungen bitte [OK]-Taste drücken.“ anstelle von „Das System speichert Ihre Änderungen nur, wenn die [OK]-Taste gedrückt wird.“ Im Allgemeinen sollten Nachrichten der Benutzerführung positiv formuliert werden und betonen, was zu tun ist, statt was zu vermeiden ist. Meldungen sollten grammatikalisch einheitlich, in kurzen einfachen Sät- x 5.4 zen und emotional neutralen Worten formuliert werden. Meldungen sollten entsprechend der Terminologie formuliert werden, die Benutzer bei der Erledigung der Arbeitsaufgaben typischerweise verwenden. Einheitliches Vokabular: Glossar Qualitätsaspekte wie Lernförderlichkeit oder Erwartungskonformität erfordern Konsistenz in Syntax und Semantik an der Bedienschnittstelle. Ein einheitlich verwendetes Vokabular ist eine Grundvoraussetzung dafür, und zwar nicht nur für die Anwender sondern auch für das gemeinsame Verständnis in größeren Entwicklungsteams. Ein Glossar ist eine Liste von Wörtern mit Erklärungen, definiert dieses Vokabular zentral und ermöglicht so eine einheitliche Begriffsverwendung. 6.0 Standardisierte Erfassung von Meldungen Die in Kapitel 5.2 aufgeführten Bestandteile einer Meldung (Ereignis, Gründe, Handlungsoptionen) sind jeweils sehr fachspezifisch und können nachträglich nicht oder nur sehr schwer nacherhoben werden. Aus diesem Grund muss bereits bei der Erhebung der Meldungen diese Struktur berücksichtigt werden. 6.1 Meldungsdatenbank Hierfür erweist sich die zentrale und standardisierte Erfassung aller Meldungen in einem einheitlichen Format in einer Meldungstabelle oder Meldungsdatenbank als nützlich. Da bereits bei der Erhebung von fachlichen Anforderungen Fehlerfälle und damit Gründe und Lösungsmöglichkeiten beschrieben werden, sollte mit der standardisierten Erfassung von Meldungen bereits mit der Anforderungsanalyse begonnen werden. Gegebenenfalls werden diese früh erfassten Meldungen im Laufe der Entwicklung auf mehrere Systemmeldungen aufgeteilt oder umformuliert. Jedoch liegt dann zumindest der fachliche Hintergrund bereits vor. Bei der Formulierung der Texte können Platzhalter sinnvoll sein (z.B. „Datei %1 konnte nicht geöffnet werden.“). Hierfür ist ein einheitliches Format zur Verwendung von Platzhaltern in den Texten zu definieren. Dies schließt eine Erläuterung der verwendeten Platzhalter mit ein (z.B. „%1 = Dateiname der Datei inklusive vollständiger Pfadangabe und Dateityp-Suffix“). In allen entwicklungsrelevanten Dokumenten (z.B. Lasten-/Pflichtenheft, ITSpezifikation, Schulungsunterlagen) sollte auf diese Meldungen mit einer Meldungs-ID referenziert werden. Dies gewährleistet die Rückverfolgbarkeit (Traceability) der Meldung zu ihrem Vorkommen im Anwendungskontext. Diese Information kann bei geplanten Änderungen an den Meldungstexten oder der Übersetzung in weitere Sprachen sehr wertvoll sein. Die standardisierte Erfassung der Meldungen an zentraler Stelle bietet auch Vorteile bei der Qualitätssicherung, da der Stand der Reviews bzw. dessen Ergebnisse direkt in der Datenbank abgelegt werden kann. 6.2 Beispielhafte Struktur Im Folgenden werden die möglichen Attribute einer Meldungsdatenbank beschrieben, wie sie sich bewährt hat. x x x Meldungs-ID Meldung Text der Ereignismeldung Text der Gründe Text der Handlungsoptionen Variablendefinition (Platzhalter) 243 x Schweregrad der Meldung [Fehler, Warnung, Information] direkte Interaktion oder sofortige Aufmerksamkeit durch den Nutzer erforderlich Autor/Fachlicher Ansprechpartner Review-Status [OK, Beanstandet durch Nutzer/Fachbereich, Korrigiert] Review Gegenvorschlag x x x x Wird das System mehrsprachig entwickelt, empfiehlt es sich, für jede Sprache in der Datenbank eine eigene Spalte für den Meldungstext vorzusehen. 7.0 Interaktionskonzept Unterschiedliche Kategorien von Meldungen erfordern unterschiedliche Behandlung durch den Anwender. Grob kann man Systemrückmeldungen in folgende Kategorien unterteilen: x x Meldungen in Folge von Aktionen/Funktionsaufrufen oder durch Änderungen am Systemzustand (die klassische „Fehlermeldung“) Meldungen in Folge von Nutzereingaben (schon während der Eingabe) x x durch Formatprüfungen (z.B. Telefonnummer, Autokennzeichen) Meldungen in Folge von Pflichtfeldprüfungen. Hier kann es auch komplexere Formen geben, z.B. mit Abhängigkeiten zu anderen Attributen, mit Abhängigkeiten zum Anwendungskontext. Bestätigungsaufforderungen Statusinformationen, die den aktuellen Zustand von Systemkomponenten anzeigen. Zusätzlich zu den Kategorien muss auch der Schweregrad der Meldungen berücksichtigt werden. Üblicherweise unterscheidet man Fehler, Warnungen und Hinweise. 244 Auch kann zwischen Meldungen unterschieden werden, die die sofortige Aufmerksamkeit oder Interaktion des Anwenders erfordern oder im Ablauf auch später behandelt werden können. Die Umsetzung im Interaktionskonzept der Anwendung ist oft abhängig von der verwendeten Client-Technologie. So erfordern z.B. klassische WebAnwendungen zur Auswertung der Nutzereingabe einen RequestResponse-Zyklus mit dem Server, wohingegen geeignet programmierte Web-Anwendungen oder Rich-Clients dem Nutzer schon während der Eingabe Rückmeldung geben können. Verwendet man Client-Frameworks lohnt ein Blick in die entsprechende Dokumentation oder Guidelines des Frameworks. Exemplarisch seien hier die „Eclipse User Interface Guidelines” [Eclipse UI Guidelines] genannt. Diese empfehlen die Kommunikation von Fehlern, die eine explizite Nutzereingabe oder sofortige Aufmerksamkeit des Nutzers erfordern, mit einem modalen Dialog. Dies zwingt den Nutzer, davon Notiz zu nehmen und sich dem Problem anzunehmen. Fehler die dies nicht erfordern, werden in einer Fehlerliste zusammengestellt. Der Nutzer kann sich zu geeigneter Zeit darum kümmern. 8.0 Styleguide und Guidelines zur Erstellung von Meldungen Um allen beteiligten Erstellern von Meldungen konkrete Hilfen an die Hand zu geben, wurde für das Projekt ein Styleguide und eine Reihe von Empfehlungen für die Formulierung von Meldungen fachlicher Art und für Systemmeldungen entwickelt und kommuniziert. Ziel ist es, die visuelle und sprachliche Konsistenz und damit verbunden die Selbsterklärungsfähigkeit und Lernför- derlichkeit des Systems sicherzustellen. 8.1 Styleguide Der Styleguide soll die visuelle Konsistenz und den einheitlichen Aufbau der Meldungen an der Benutzungsoberfläche sicherstellen. In jedem Fall sollten Schweregrad, Meldung, Grund und Lösungsmöglichkeiten kommuniziert werden 8.1.1 Syntax der Meldungen Jede Nachricht ist nach folgender Struktur aufgebaut: x x x x Icon Meldung Grund Lösungsmöglichkeit Für jedes dieser Strukturelemente gibt es entsprechende Empfehlungen zur Gestaltung und zur Syntax. Icon Das Icon visualisiert auf den ersten Blick, um welche Art von Meldung es sich handelt: Hinweis Für reine Mitteilungen und Systemfeedback an den Anwender. Warnung Für Meldungen des Anwendungsprogramms, die eine Reaktion des Anwenders benötigen. Fehler Für Systemfehler und Anwendungsfehler, die ein Weiterarbeiten ohne Eingriffe des Anwenders nicht erlauben. Meldung [Objekt] [Qualifizierer] [negierte Beziehung]. Beispiel: Kopieren von „Batterie Sensor“ nicht möglich. Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Grund [Objekt] [Qualifizierer] [negierte Beziehung]. Beispiel: Es ist nicht möglich, eine Komponente zu kopieren, die zu einem anderen Stamm gehört. 8.2 Den Entwicklern wurden einige wenige „Goldene Regeln“ zum Verfassen von Meldungen vorgegeben. Lösungsmöglichkeit: [Optional] [Lösungsmöglichkeit] [Objekt] [Qualifizierer] [muss Aktion] Beispiel: Bitte wählen Sie eine Version von „Batterie Sensor“ aus, die zum gleichen Stamm gehört. 8.1.2 GUI Auch hier gilt, wie beim Interaktionskonzept, dass die grafische Gestaltung oft von der verwendeten ClientTechnologie abhängig ist. Verwendet man Client-Frameworks lohnt sich daher ein Blick in die entsprechende Dokumentation oder in die Guidelines des Frameworks. Für die aktuelle Anwendung wurde die klassische Form der Meldung gewählt und im Styleguide wie folgt dokumentiert: Guidelines zur Formulierung der Meldungen 9.0 Im Aktiv, nicht im Passiv formulieren. Keine doppelte Verneinung. Einfache Konstruktion der Sätze (Subjekt, Prädikat, Objekt). einheitliche Syntax (nicht: „SNR“, „Sachnummer“, „SNr.“), Glossar beachten. Grammatikalisch richtige und vollständige Sätze schreiben. Satzzeichen, Rechtschreibung beachten. Keine Anzeige von im Kontext überflüssigen Informationen. Besonders relevante Merkmale konsistent hervorheben bzw. kennzeichnen (beispielsweise Sachnummern in „Anführungszeichen“ setzen). Sowohl Meldung, Ursache als auch die Lösungsmöglichkeit jeweils in einem eigenen Satz beschreiben. Fazit Gute und verständliche Meldungen und Fehlermeldungen unterstützen und verbessern die Interaktion zwischen Mensch und Maschine. Dabei ist es besonders wichtig, bereits zur Anforderungsanalyse das Meldungs- konzept zu entwerfen und an die Projektbeteiligten zu kommunizieren. Das in diesem Beitrag vorgestellte Konzept könnte dafür die Basis bilden und kann projektspezifisch adaptiert werden. Die Guidelines zur Formulierung von Meldungen sind allgemein gültig und stellen eine Best Practice dar. Häufig sind durch die Wahl der ClientTechnologie, z.B. Java-Swing, .NET oder Web, das Interaktionskonzept und der Styleguide schon vorgezeichnet. Dann kann es aus Gründen der Erwartungskonformität wichtig sein, wesentliche Teile davon zu übernehmen. Das Schreiben der Meldungen wird einem aber von keinem System abgenommen. Da sind die Kreativität und das Einfühlungsvermögen der Mitarbeiter gefragt. Wenn wir versuchen, uns in die Lage des Anwenders zu versetzen, werden wir Meldungen auch so formulieren, dass sie für den Anwender verständlich sind. 10.0 Literaturverzeichnis Eclipse UI Guidelines, 2008, http://wiki.eclipse.org/User_Interface_Guidelin es Heineke, A. M. (2004): Mensch-ComputerInteraktion. Leipzig: Fachbuchverlag Leipzig. ISO 9241-13, Ergonomische Anforderungen für Bürotätigkeiten mit Bildschirmgeräten, Teil 13: Benutzerführung, Beuth Verlag, 1000-08 Abb. 1: Beispiel einer Warnmeldung mit einfacher Interaktion. 245 Eloquent Design of Human-Computer Interaction Michael Marek M.A. ergonomic::on Biesingerstraße 2 72070 Tübingen [email protected] Abstract Der nachfolgende Artikel beschreibt einen Ansatz, wie strategische Kommunikationsziele von interaktiven Systemen während ihrer Entwicklung und Gestaltung identifiziert und definiert werden können. Strategische Kommunikationsziele zu erreichen, zumindest ihre Erfolgsbedingungen zu beschreiben, ist nach Auffassung des Autors eine der zentralen Aufgaben für Konzepter, Designer und Applikationsentwickler. Die Bewältigung dieser Aufgabe unter einer rhetorikwissenschaftlichen Perspektive zu systematisieren und die Ergebnisse für die praktische Verwendung zugänglich zu machen, bildet den Ausgangspunkt respektive erläutert die Absicht von „Eloquent Design of Human-Computer Interaction“. Keywords Allgemeine Rhetorik, Persuasive Kommunikation, Eloquent Design, User Experience Design, Human-Computer Interaction Design. - 1.0 Einleitung Für den Autor beabsichtigen und ermöglichen interaktive Systeme durch ihre Benutzungsoberflächen und Interaktionsflächen eine Kommunikation zwischen „Designern“ und „Anwendern“ mit Hilfe textueller, optischer, akustischer und haptischer Ausdrucksformen. Im Fokus einer strategischen Kommunikation steht dabei ihre Wirkungsintentionalität; Also die Absicht des „Designers“, die Menschen, die derartige Systeme (be-)nutzen von etwas zu überzeugen und sie in ihren Meinungen, Einstellungen und Handlungen - im Sinne der persuasiven Prozessualität zu beeinflussen. Ob durch das Design der Ausdrucksformen die Emotionen direkt angesprochen werden können (Norman 2004), oder Bezeichnungen der Ausdrucksformen aufgrund empirischer Erhebungen antizipiert und in einem „mentalen Modell“ dokumentiert werden (Garrett 2003), oder das konzeptionelle Modell hinter den Ausdrucksformen mittels Hilfetexten erklärt wird (de Souza 2005), oder persuasive Computertechnologien auf den Benutzungskontext eingehen (Fogg 246 2003) - Konzepter, Designer und Applikationsentwickler stehen täglich vor den Herausforderungen zahlreiche intellektuelle Artefakte und künstliche Konstruktionen mit den beabsichtigten Wirkungsintentionen zu vereinen und diese überzeugend zu vermitteln. Dazu werden unter Anderem Stilmittel eingesetzt, die durch persönliche Erfahrungen erlangt wurden, um - mehr oder weniger - gezielt respektive persuasiv zu kommunizieren. Diese Stilmittel für die praktische Verwendung zu katalogisieren und zu bewerten, das heißt ihnen einen Wert im Hinblick auf bestimmte Kommunikationsziele und beabsichtigte Wirkungsintentionen zuzuschreiben, ist die Absicht von „Eloquent Design“. Design wird dabei sowohl als Bezeichnung für den (Design-)Prozess, wie für das (Design-)Ergebnis bei der Entwicklung und Gestaltung von interaktiven Systemen gesehen und Eloquenz bezeichnet allgemein die Kenntnis und richtige Anwendung komplexer (Sprach- und) Stilmittel. 2.0 Kurze Einführung in die Rhetorik „Der systematische Forschungsgegenstand der Rhetorik sind die mit der Handlungsrolle Orator verbundenen humankommunikativen Probleme, und die Fragestellung ist ausschließlich auf die Erfolgsbedingungen menschlicher Kommunikation gerichtet. [...] Unter dem theoretischen Konstrukt Orator wird dabei ein auf erfolgreiche Kommunikation eingestellter Kommunikator verstanden.“ (Knape 2005, S. 17). Folglich ist die rhetorische Praxis die Beherrschung erfolgsorientierter strategischer Kommunikationsverfahren. Der als Orator handelnde Mensch kommuniziert, um einem eigenen Anliegen beziehungsweise einem Ziel Geltung zu verschaffen. Die Instanz des Orators ist nicht mehr an einen einzelnen Menschen und nicht mehr an die mündliche Redesituation gebunden (Knape 2000). Unternehmen, Verbände und öffentliche Institutionen kommunizieren mit stellvertretenden Instanzen als Orator in öffentlichen, privaten oder medialen Räumen. Räume auf die sie nur bedingt oder gar keinen Einfluss nehmen können und Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 insofern hochgradig daran interessiert sind, sich über ihre Wirkungsintentionen und das Ergebnis ihrer Kommunikationsbemühungen Klarheit zu verschaffen. Der Orator wird nachfolgend ebenso als Instanz der Gemeinschaft von Menschen gesehen, die mit der Entwicklung und Gestaltung von interaktiven Systemen betreut beziehungsweise beauftragt werden. Die Gemeinsamkeit jeglicher wirkungsbedachter Formen der Präsentation von Informationen mit rhetorisch-orientierten Reden wird wie folgt gekennzeichnet: „Rhetorisch wird Rede durch ihre Wirkungsintentionalität, so dass mit ihr nicht allein der zweckhaft-pragmatisch und ästhetisch geformte Sprechakt gemeint, sondern auch die Beziehung zwischen der sprachlichen Produktion und ihren Adressaten eingeschlossen ist. Das bedeutet auch Einbezug der ganzen Vielfalt von Präsentations- und Schauelementen, also des audiovisuellen [sic!] Bereichs [...], der [...] eine traditionelle Domäne der Rhetorik darstellt, rhetorischer Analyse also auch ohne semiotische Hilfskonstruktion zugänglich ist, weil die Sprache der grundlegende symbolische Ausdruck des Menschen ist und alle anderen bewusst gehandhabten Kommunikationssysteme von ihr abgeleitet sind und sie voraussetzen.” (Ue1 ding & Steinbrink 1994, S. 203f) Dass es sich zum Beispiel bei einer Website mit ihrer Repräsentation von 1 Die in der Definition zur Rhetorik auffällige Betonung von wirkungsorientierter, also auf die Überzeugung des Adressaten hin ausgerichteter Kommunikation, wird im Zusammenhang mit dem Begriff Persuasion näher erläutert: Die im alltäglichen Sprachgebrauch, besonders im deutschsprachigen Raum, vorhandene Unterscheidung zwischen „überreden“ (negativ konnotiert) und „überzeugen“ (positiv konnotiert) spielt in der Rhetorik keine Rolle, da es sich im günstigsten Fall immer um wirkungsbedachte, persuasive Sprechakte handelt. Informationen (Web als HypertextSystem, vgl. Garret 2003) um eine „sprachliche Produktion” handelt, dass für deren Produktion die „ganze Vielfalt [...] des audiovisuellen Bereichs” zu berücksichtigen ist, dass sie eine auf Wirkung bedachte Übermittlung von Informationen, insbesondere mit Hilfe von Interaktionselementen, darstellt und dass sie sich als „bewusst gehandhabte(s) Kommunikationssystem” von der „Sprache als grundlegendem symbolischen Ausdruck des Menschen ableitet”, setzt der Autor dieses Artikels voraus und belegt dies unter rhetorikwissenschaflichen Gesichtspunkten (Marek 1999). 3.0 Rhetorik im Kontext Im Kontext des vorliegenden Artikels wird auf eine detaillierte Rezeption von vorherrschenden Modellen aus den Disziplinen User Centered Design (UCD), User Experience Design (UXD) und Human Computer Interaction Design (HCI) verzichtet, wobei im Folgenden einige Zitate stellvertretend herausgegriffen und erläutert werden, die die Verbindungen zur Rhetorik und somit wesentliche Kreuzungspunkte für „Eloquent Design“ demonstrieren. 3.1 Rhetorik und UCD „I have long maintained that the appropriate way to design a complex system is to develop a clear, coherent conceptual model (ideally the same as the designer's conceptual model) and to design the system so that the user's mental model would coincide. I had always assumed this would be done through the design of the 'System Image': the artifact plus any auxiliary material, such as manuals and help systems.“ (Norman 2006) Norman betont die Schwierigkeiten, intellektuelle Artefakte und künstliche Konstruktionen dem Anwender zu vermitteln. Rückgriffe auf Hilfsmittel, wie Benutzungshandbücher und HilfeSysteme, scheinen ihm unumgänglich. In seiner Rezension von de Souzas „Semiotic Engineering“ erwähnt er zudem, dass Interaktionen zwischen Personen und Technologien „üblicherweise“ als Kommunikation zwischen Mensch und Technik gesehen werden: “It is common to think of interaction between a person and technology as communicating with the technology. De Souza shows that the real communication is between designer and person, where the technology is the medium. Once designs are thought of as shared communication and technologies as media, the entire design philosophy changes radically, but in a positive and constructive way.“(Norman 2006) Mit Semiotic Engineering bietet de Souza einen weiteren, rhetorikwissenschaftlich relevanten Anhaltspunkt: „The ideal of UCD is that the user model captures the essence of the design model, projected in the system image. The ideal of semiotic engineering is that designer and user understand each other, and that users find the designer’s vision useful and enjoyable.” (Sieckenius de Souza 2005, S. 7f) Die Förderung des Verständnisses zwischen den Kommunikationsbeteiligten und die Akzeptanz (useful and enjoyable) der Absichten des Orators (designer's vision) auf Seiten des Adressaten (user) bedingt für das Design von interaktiven Systemen unter Anderem gemeinsame, auf beiden Seiten bekannte und anerkannte Symbole und Zeichen. Das Wissen um diese Symbole und Zeichen und die „zielreflektierenden Selektionen und Kombinationen von semiotischen Mitteln“ markieren einen wesentlichen Aufgabenbereich für die rhetorische Praxis: „Es geht [...] um die theoretisch zu trennenden , analytischen Ebenen von Kode und Textur. Kodes sind die Symbol- und 247 Zeichenvorräte einer Kommunikationsgemeinschaft, einschließlich ihres Verwendungsregelwerkes. Im Sinne eines erweiterten Textbegriffs ist eine Text ein begrenzter und geordneter Zeichenkomplex. Was sich im Bereich der Semiotik solcherart auf zwei diskreten theoretischen Ebenen ansiedeln lässt, muss für den rhetorischen Zusammenhang handlungstheoretisch transformiert und in eine produktionstheoretische Betrachtungsweise überführt werden. Der Grund ist in den operativen Anforderungen der rhetorischen Praxis zu suchen.“ (Knape 2005, S. 19f.) De Souzas Ansatz ist im wesentlichen der Theorie verpflichtet und zeigt in den Beschreibungen weitreichende Möglichkeiten, die sich im Kern auf ausgebaute Menüführungen und erweiterte HilfeSysteme fokussieren. Eloquent Design versucht nicht allein das Verständnis für ein System auf Seiten der Anwender zu fördern, sondern die Wirkungsintention, das strategisches Kommunikationsziel zu vermitteln. Dazu kommen neben textuellen auch andere, eingangs bereits erwähnte Ausdrucksformen in Betracht. 3.2 Die Wahrnehmung eines Produktes ist immer subjektiv und von den Normen und Erwartungen des Benutzers ab- x hängig (Hassenzahl 2003). Diese x Normen und Erwartungen der Zielgruppe im Vorfeld zu kennen und zu benennen, ist von zentraler Bedeutung für den „persuasiven Akt“, der die Änderung von Meinungen, Einstellungen und Verhalten auf Seiten der Anwender beabsichtigt. Weiterhin existieren zur Gestaltung von Produkten mit „gezielter Wirkung“ Methoden, von denen hier exemplarisch Jordans „Kansei Engineering“ aufgegriffen wird; Durch intensive Marktforschung sollen archetypische Gestaltungsmerkmale von Produkten mit ihrer jeweiligen emotionalen Wirkung identifiziert und katalogisiert werden, um sie im Gestaltungsprozess als Rahmen und Orientierungshilfe für die Erzielung einer bestimmten Wirkung zur Verfügung zu haben. Kansei Engineering bildet im Produktdesign seit längerem eine Grundlage, im Interface- respektive Interaktionsdesign ist es bisher nur Ansatzweise verwendet worden (Jordan 2002). Rhetorik und UXD Das es sich bei interaktiven Systemen im übergreifenden Sinne immer auch um „Produkte“ handeln kann, ist eine etablierte und nachvollziehbare Annahme. Ein Produkt wiederum ist das Medium mit dem eine Organisation ein beabsichtigtes Erlebnis zum Benutzer transportiert (Kuniavsky 2007). Nach Einschätzung des Autors ist das „beabsichtigte Erlebnis“ nicht das Ziel einer strategischen Kommunikation, sondern Mittel zum Zweck. Dieses Mittel so zu gestalten, dass es das originäre Kommunikationsziel nicht „verdrängt“ oder „überlagert“, erfordert neben dem Design zusätzliches Wissen über persuasive Techniken und die Reaktionen darauf auf Seiten der Anwender. 248 Zudem sollten intensive Marktforschungen zur Identifizierung und Katalogisierung archetypischer Gestaltungsmerkmale nach Ansicht des Autors bestehende Kataloge heranziehen, insbesondere im Hinblick auf rhetorikwissenschaftliche und somit erfahrungswissenschaftlich belegte Systematisierungen und Kategorisierungen von Stilmitteln. 3.3 Rhetorik und Captology Computertechnologien können nach Fogg unterschiedliche persuasive Rollen einnehmen, wobei eine Rolle nicht exklusiv eingenommen werden muss, sondern eine Überschneidung der Rollen möglich und beabsichtigt ist: x „tool“ - increases capability (Werkzeug - steigert Befähigung) „medium“ - provides experience (Medium - vermittelt Erlebnis) „social actor“ - creates relationship (Akteur - erzeugt Beziehung) Foggs anschließende Aufzählung von Wirkungsbereichen - motivation, attitude change, change in worldview, behavior change und compliance - dürfen nicht als singuläre, getrennt voneinander zu betrachtende Ziele der Überzeugungsverfahren gesehen werden, sondern immer auch als Abfolge von Änderungen unter dem Aspekt der „persuasiven Prozessualität“ von Carl Hovland (Kopperschmidt 2000, S. 179f): 1. Änderung der Meinung, 2. der Einstellung und 3. des Verhaltens. Die „Schnittmenge“ zwischen Computertechnologien und Persuasion bezeichnet Fogg als „CAPTOLOGY - Computer As Persuasive TechnOLOGY“ (Fogg 2003). 3.4 Rhetorik und HCI Buchanan und Boyarski betrachten HCI unter dem Gesichtspunkt der „persuasiven Rede“. Allerdings grenzen sie den persuasiven Akt auf die Kommunikation zwischen Mensch und Computer ein (analog zu Normans „überholter Annahme“ s.o.) und erweitern ihn nicht auf den Aspekt der Kommunikation zwischen Menschen mit Hilfe des Mediums Computer: “In other words, HCI is like a persuasive speech. The user is led into the computer system and provided with every support deemed valuable for its use. A balance of reasoning, implied voice, and feeling (haptic as well as emotional) is critical to effective humancomputer communication.” (Buchanan & Boyarski 1994) 3.5 Zwischenfazit x Interaktive Systeme offerieren Kommunikationsschnittstellen zwischen Menschen. Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 x x x Interaktive Systeme fungieren zur Übermittlung von Kommunikationsinhalten als Medien. Interaktive Systeme agieren zur Erreichung von Kommunikationszielen persuasiv. Interaktive Systeme sind somit potentieller Forschungsgegenstand der Allgemeinen Rhetorik und mit ihrer Hilfe analysierbar und gestaltbar. ist es, einen Eindruck seiner Person, seine Ansichten und seine Handlungsempfehlungen über ein fremdbestimmtes Medium und trotz einem mediumbedingten Widerstandsfaktor gegenüber den Adressaten zu vermitteln. Setting: Zeitungsartikel, Radio- oder TV-Sendung, Web als Hypertext. 4.3 4.0 Kommunikative Settings Medien sind ein zentraler Forschungsgegenstand der Rhetorik, da sie die „Tragflächen“ für die situationsüberschreitende Kommunikation bieten und als Bestandteil kommunikativer Settings betrachtet werden: „Die klassische Rhetoriktheorie ging [...] von einem Basis-Setting aus, auf das sich all ihre Überlegungen konzentrierten: die kommunikative Situation. Dabei wird vorausgesetzt, dass alle Kommunikationspartner sich in einer auf einen Ort konzentrierten Face to faceBeziehung befinden. Die moderne Rhetoriktheorie muss demgegenüber ein zweites Basis-Setting abstrahieren, um der Entwicklung der Kommunikationsbedingungen Rechnung zu tragen. Es handelt sich dabei um die situationsüberschreitende Kommunikation, für die sich der Begriff Dimission anbietet.“ (Knape 2005, S. 30) 4.1 Unmittelbare Kommunikation Die Aufgabe des Orators und das strategische Ziel seiner Kommunikation ist es, seine Persönlichkeit, seine Ansichten und seine Handlungsempfehlungen vor Ort und in einer selbstbestimmten Situation gegenüber den Adressaten zu präsentieren und zu vermitteln. Setting: Mündlicher Vortrag, Rede, Diskussion. 4.2 (Multi-)Mediale Kommunikation Die Aufgabe des Orators und das strategische Ziel seiner Kommunikation Multimodale Kommunikation Die Aufgabe des Orators und das strategische Ziel seiner Kommunikation ist es, einen Ausdruck seiner Person, seine Ansichten und seine Handlungsempfehlungen über ein mitbestimmtes Medium gegenüber den Adressaten zu repräsentieren und zu vermitteln bzw. den Anforderungen der Anwender an eine Applikation zu entsprechen und wenn möglich ihre Meinungen, Einstellungen und Handlungen zu verändern. Setting: Interaktive Systeme respektive Produkte mit informationstechnologisch basierten Benutzungsoberflächen. Ein Medium zu Instrumentalisieren, es als Mittel zum Zweck einzusetzen, heißt im Fall von interaktiven Systemen unter Berücksichtigung der Medienkonvergenz nicht allein ein einzelnes, medienformatspezifisches Leistungsprofil für ein kommunikatives Ziel zu verwenden, sondern eine Kombination von Leistungsprofilen und Ausdrucksformen. Diese Aspekte führen zum eingangs formulierten Postulat „[...] Interaktionsflächen (beabsichtigen und ermöglichen) eine Kommunikation zwischen „Designern“ und „Anwendern“ mit Hilfe textueller, optischer, akustischer und haptischer Ausdrucksformen.“ 5.0 Rhetorik und Eloquent Design Die Aufklärung des 18. Jahrhunderts brachte die Nationalisierung der bisher lateinischsprachigen Rhetorik in allen europäischen Ländern. So festigte sich in Deutschland der Sprach- gebrauch "Beredsamkeit", oder "Eloquenz" für die Praxis und "Redekunst", oder "Rhetorik" für die Theorie der Rede. (Ueding / Steinbrink 1994) „Schon die klassische Rhetoriktheorie konzentrierte sich systematisch auf jene Probleme, die mit der Erfolg versprechenden Ausarbeitung und Performanz von Äußerungen des kommunikativ handelnden verbunden sind. In den textlich kodierten Äußerungen des Orator sah man von Anfang an das Hauptinstrument der rhetorischen Interventionen.“ (Knape 2005, S. 18) Betrachtet man Teilaspekte der Performanz, wie zum Beispiel die Selbstdarstellungs- und Interaktionskompetenz und ihren maßgeblichen Einfluss auf den persuasiven und erfolgreichen Vortrag innerhalb der „unmittelbaren Kommunikation“, ergeben sich im Vergleich mit den Überlegungen zur Entwicklung von interaktiven Systemen erkennbare Analogien (Kopperschmidt 2000). Die Momente der ersten Wahrnehmung werden durch das äußere Erscheinungsbild, das Design geprägt. Zudem müssen sich Gestaltungsprinzipien auf Konventionen beziehen, um eine Akzeptanz und ein Verständnis beim Anwender zu erreichen (Hassenzahl 2003) und um den mediumbedingten Widerstandsfaktors weitestgehend zu reduzieren (Knape 2000). Neben dem Design spielen bei interaktiven Systemen die technischen Funktionalitäten eine entscheidende Rolle; Diese als Ausdruck von Kompetenz gegenüber einem Anwender zu demonstrieren, ist eine weitere Herausforderung für Konzepter, Designer und Applikationsentwickler. Und diese Demonstration zu unterstützen und zu betonen, geschieht wiederum im Zusammenspiel mit dem Design der Interaktionsflächen. Daraus lässt sich folgende Dualität formulieren: Funktion agiert als Ausdruck von Kom- 249 petenz, Design als Ausdruck von Performanz. 5.1 Produktionsstadien einer Rede Zur Veranschaulichung an welchem Punkt die Eloquenz eine entscheidende Rolle spielt, werden nachfolgend die „klassischen“ fünf Produktionsstadien einer Rede aufgeführt: 1. Inventio Auffinden aller nötigen Argumente und Materialien 2. Dispositio Gliederung des Stoffes 3. Elocutio (!) Sprachlich-stilistische Produktion 4. Memoria Einprägen der Rede 5. Actio Verwirklichung der Rede Diese Produktionsstadien bilden das wichtigste systematische Einteilungsprinzip der Rhetorik. Diese Arbeitsschritte sind grundlegend für jede Art menschlicher Kommunikation und regeln die Ausarbeitung eines Kommunikationsaktes vom Auffinden der Gedanken bis zum medialen Vortrag. (Ueding / Steinbrink 2004). „Ein wesentlicher Teil der rhetorischen Theorieanstrengungen ist also zunächst einmal auf Fragen der Vertextung gerichtet. Verlangt wird dabei vom geschulten Orator ein reflektiertes Produktionskalkül, das sich auf die geschulte Kompetenz zum Einschätzen der Adressaten und zum Ausschöpfen der Möglichkeiten aller in Betracht kommenden Textsorten stützt.“ (Knape 2005, S. 18) Durch die Rhetorik als eine Erfahrungswissenschaft, die auf kontrollierter und empirisch nachweisbarer Beobachtung rhetorischer Sprechakte beruht und die Geltung der aus ihr gewonnenen Erkenntnisse durch historische Rekonstruktion und die Bildung von Hypothesen über die Systematik und die Regeln rhetorischen Sprechens zu sichern ver- 250 sucht, kam es zur Katalogisierung zahlreicher „Mittel“ und „Elemente“ respektive rhetorischer Figuren im Bereich der „Elocutio“, deren Systematik und Kategorien nach Ansicht des Autors für „eloquentes Design“ herangezogen werden können. 5.2 Elocutio - Stilprinzipien Ziel der Elocutio ist die Einkleidung der in der Inventio gefundenen und in der Disposition geordneten Gedanken (res) durch solche Worte (verba), die den Sprachgebrauchsprinzipien (Tugenden) der Rhetorik entsprechen. (Till & Meuthen 2003) Zu den elokutionären Tugenden zählen (Ottmers 1996): 1. Grammatikalisch korrekte Sprache (Latinitas) 2. Deutlichkeit / Verständlichkeit im sprachlichen Ausdruck (Perspicuitas) 3. Der „Redeschmuck“ mit spezieller rhetorischer Figurenlehre (Ornatus) ! 4. Die Angemessenheit der sprachlichen Ausdrucksweise gegenüber den Inhalten der Rede (Inneres Aptum) und gegenüber der Redesituation (Äußeres Aptum) Verkürzt zusammengefasst und zur Einordnung des vorliegenden Ansatzes lägen nach Ansicht des Autors Latinitas und Perspicuitas im Aufgabenbereich des UCD und insbesondere der Usability, das Aptum im Fokus des UXD und der Ornatus, mit einer systematischen Erfassung verschiedener Figuren und Stilmittel, im Bereich des Eloquent Design. 5.3 indem er den Adressaten „angenehm unterhält“ und seinen Willen durch Einwirkung auf die Affekte beeinflusst. (Lausberg in Till & Meuthen 2003) Für diesen Artikel wird lediglich eine Kategorie von Figuren erwähnt; Beispiele für „Substitutionsfiguren“ sind im Austausch semantischer Ähnlichkeiten Synonym, Metapher, Metonymie, Synekdoche und Antonomasie. Im folgenden werden zwei dieser Figuren exemplarisch erläutert: “Synonyme sind als Substitutionsfiguren nicht die Wiederholung semantisch sehr ähnlicher Begriffe, sondern meint tatsächlich die Ersetzung eines Wortes durch ein gleichbedeutendes: Buch > Werk > Schmöker > Publikation > etc.“ “Eine Metapher basiert auf der Ähnlichkeit zweier Begriffe, wobei es nicht (wie im Fall der Synonyme) zu einem einfachen, direkten Austausch der Begriffe kommt, sondern die Übertragung den bezeichneten Sachverhalt oder Gegenstand in einem neuen, bisher unbekannten oder unbedachten Licht erscheinen lässt: 'Die Sonne lacht' als Ausdruck für 'angenehm vom wolkenfreien Himmel scheinend' und 'Wärme' und 'Wohlbehagen' ausstrahlt.“ (Ottmers 1996 S. 166ff) Die beiden aufgeführten Substitutionsfiguren dienen als stellvertretende Illustration für das umfangreichen Repertoire, welches die rhetorische Figurenlehre bietet. Für die Ausarbeitung des vorgestellten Ansatzes wird die Katalogisierung entsprechend zahlreicher Figuren auf die im Eloquent Design einsetzbaren Ausdrucksformen und Kommunikationselemente transponiert. Elocutio - Stilfiguren Die rhetorische Figurenlehre und die Theorie der Prosakomposition werden unter dem Oberbegriff des Ornatus zusammengefasst. Der Ornatus unterstützt die Wirkungsintention, 6.0 Fazit Durch die Einflussnahme in der Produktion von medialen Tragflächen respektive Benutzungsoberflächen und Interaktionsflächen kann der Orator mit Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 seinem Wissen über die Erwartungshaltungen der Anwender einen Beitrag zur Reduktion eines mediumbedingten Widerstandsfaktors leisten und strategische Kommunikationsziele von interaktiven Systemen auch in einer situationsüberschreitenden Kommunikation erreichen. Neben den wachsenden Erfahrungen, welche die an der Entwicklung und Gestaltung von interaktiven Systemen beteiligten Personen im Laufe ihre Berufszeit immer weiter befähigt auf die Anwender „einzugehen“ und deren Erwartungshaltungen frühzeitig im Verlauf eines Projekts zu antizipieren, bedarf es nach Ansicht des Autors einer systematisierten Dokumentation und Katalogisierung dieser Erfahrungen entlang eines sprachwissenschaftlich ausgerichteten, etablierten Kanons. Eloquent Design kann somit eine methodische Grundlage zur Aus- und Weiterbildung von Konzeptern, Designern und Applikationsentwicklern bieten und sie durch einen Katalog von Stilmitteln in der alltäglichen Arbeit unterstützen. Dabei setzt sich Eloquent Design mit der geeigneten Anwendung von Stilmittel auseinander und erleichtert es, die Erfolgsbedingungen zum Erreichen strategische Kommunikationsziele im Sinne der Persuasion während der Entwicklung und Gestaltung von Interaktionsflächen mit ihren intellektuellen Artefakten und wirkungsorientierten Botschaften zu beschrieben. Zu den in diesem Artikel nicht aufgeführten weiteren Aspekten zählen eine historische Betrachtung der Entwicklung von Benutzungsoberflächen und Interaktionsflächen wie sie heute im Einsatz sind und ein Ausblick auf zukünftige Entwicklungen, wenn „Flächen“ immer mehr zu „Räumen“ werden und sich Kommunikation über diese Medien dann nicht allein an 2-zweidimensionalen Artefakten oder dem WIMP-Paradigma entlang vollzieht. Literaturangaben Buchanan, R.; Boyarski, D. (1994): Exploring the Rhetoric of HCI. In: Interactions, Volume 1, Issue 2, New York, USA: ACM, S. 25-35. Fogg, B. J. (2003): Persuasive Technology - Using Computers to Change What We think and Do. San Francisco, USA: Morgan Kaufmann Publishers. Garrett, J.J. (2003): The Elements Of User Experience - User-Centered design for the web. New York, USA: AIGA / New Riders. action. Acting with Technology, Cambridge, Massachusetts, USA: The MIT Press. Till, D.; Meuthen, E. (2003): Artikel ›Rhetorische Figur‹. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Hrsg. v. Braungart G., Fricke H., Grubmüller K., et al. Bd. 3. Berlin / NewYork: S. 295-300. Ueding, G.; Steinbrink, B (1994): Grundriss der Rhetorik. 3. überarbeitete und erweiterte Auflage, Stuttgart / Weimar: Metzler. Hassenzahl, M. (2003): The Thing and I: Understanding the Relationship Between User and Product. In: Blythe M., Overbeeke K. et al. (Hrsg.): Funology - From Usability to Enjoyment, Dordrecht, NL: Kluwer Academic Publishers, S. 31-42. Jordan, P. (2002): Designing Pleasurable Products. London, UK: Taylor & Francis. Knape, J. (2000): Was ist Rhetorik?. Stuttgart: Reclam. Knape, J. (Hrsg.) (2005): Medienrhetorik. Tübingen: Attempto Verlag. Kopperschmidt, J. (2000): Rhetorische Anthropologie: Darin: Knape, J. Persuasion und Kommunikation, W. Fink Verlag, S. 171-181. Kuniavsky, M. (2007): User Experience and HCI. Human Computer Interaction Handbook, Lawrence Erlbaum Associates. Entwurf URL: http://www.orangecone.com/hci_UX_chapte r_0.7a.pdf. Marek, M. (1999): Die Rhetorik der Website. Universität Tübingen: Seminar für Allgemeine Rhetorik. Norman, D. A. (2004): Emotional Design Why We Love (Or Hate) Everyday Things. New York, USA: Basic Books. Norman, D. A. (2006): Design as Communication. URL: http://www.jnd.org/dn.mss/design_as_comu n.html. Ottmers, C. (1996): Rhetorik. Sammlung Metzler, Bd. 283, Stuttgart / Weimar: Metzler. Sieckenius de Souza, C. (2005): The Semiotic Engineering of Human-Computer Inter- 251 Sprachapplikationen: Qualität durch Standardisierung Cornelia Hipp Fraunhofer IAO Nobelstraße 12 70569 Stuttgart [email protected] www.iao.fraunhofer.de Matthias Peissner Fraunhofer IAO Nobelstraße 12 70569 Stuttgart [email protected] www.iao.fraunhofer.de Abstract Die Branche der Sprachtechnologie entdeckt ein Defizit an standardisierter Qualitätssicherung von Sprachapplikationen. Unter der Leitung von Fraunhofer IAO und Initiative Voice Business wurde eine Qualitätsoffensive ins Leben gerufen, um gemeinsam mit führenden 1.0 Einleitung Im Rahmen eines Verbundprojekts unter der Leitung von Fraunhofer IAO und mind Business Consultants ist ein offener Qualitätsstandard für Sprachapplikationen erarbeitet worden. In einem interdisziplinären Team von 22 anerkannten Experten wurden Kriterien sowie Maße und Verfahren zur Erhebung und Optimierung der Qualität von Sprachapplikationen definiert und beschrieben. Die erarbeiteten Ergebnisse entsprechen damit einem breiten Konsens innerhalb der deutschsprachigen Fachszene. Aktuelle Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung wurden dabei ebenso berücksichtigt wie die Anforderungen der Industrie nach Praxistauglichkeit und Wirtschaftlichkeit. Sprachapplikationen haben ein hohes Potential, da sie nutzbar im mobilen Kontext sind, lediglich ein Telefon von überall als Eingabemedium ist erforderlich und theoretisch bietet Sprachinterkation eine schnelle und intuitive Nutzung, da mittels Sprache direkt gesagt werden kann, was das Anliegen des User ist. Weiterhin bietet die Sprachinteraktion für alte Menschen & visuell eingeschränkte Personengruppen, sowie in Nutzungskontexten, wenn keine Hände frei sind, ein großes Potential für 252 Experten der deutschsprachigen Fachszene Kriterien, Maße und Verfahren zur Messung und Optimierung der Qualität von Sprachapplikationen zu definieren. Konzepte und Methoden der Usability spielen dabei eine zentrale Rolle. Keywords die Nutzung, sprich wenn die Bedienung eines grafischen User Interfaces schwer fällt. Doch trotz des großen Potentials ist die Nutzung in Deutschland hinter ihren Erwartungen geblieben. Eine Studie des Fraunhofer IAO zeigt diesbezüglich auch die geringe Akzeptanz von Sprachapplikationen auf (Peissner, et al., 2006). Ein Ansatz um die Akzeptanz zu verbessern, ist die Qualität von Sprachapplikationen zu erhöhen. Doch anders als in Bereichen der Softwaretechnik oder Ingenieur-Fachdisziplinen, ist innerhalb der Sprachtechnologie noch keine strukturierte Qualitätssicherung verankert. Die Frage, welche Besonderheiten innerhalb eines Entwicklungsprozesses für Sprachapplikationen bestehen und wie dieser mit hoher Prozess- und Produktqualität gemeistert werden kann, fängt die Branche erst an zu überlegen. Es gibt zwar vereinzelt Literatur zu dieser Thematik (Möller (2005), Hempel (2008), Dybkiaer et al. (2007)), dahingegen startet die Branche der Sprachtechnologie nun hingegen gemeinschaftlich diese Thematik aufzugreifen und hat den Wunsch einen gemeinschaftlichen Konsens zu bilden. Damit ist die Bestrebung verknüpft eigene Sprachapplikationen von schlechten Applikationen abzugrenzen und nach außen mit einer Norm be- werten zu können. Weiterhin soll mit Hilfe der Qualitätskriterien eigene Sprachapplikationen im Vergleich zu anderen eingeordnet werden können. Sprachinteraktion, Qualitätskriterien, Maß, Testverfahren, Voice User Interface 2.0 Vorgehensweise Um eine hohe Qualität, Realisierbarkeit und Validität der erarbeiteten Ergebnisse zu gewährleisten und um von Beginn an eine hohe Akzeptanz im Markt zu sichern, wurden im Rahmen eines 2tägigen Workshops Experten aus einschlägigen deutschen Unternehmen beteiligt, die innerhalb der Sprachtechnologie tätig sind. Zur Vorbereitung des Workshops reichten die beteiligten Experten Position Papers ein, in denen Qualitätskriterien, entsprechende Messgrößen sowie Evaluations- und Optimierungsverfahren beschrieben wurden. Weiterhin konnten die Experten Dokumente, die aus anderen Projektzusammenhängen oder Publikationen bereits zur Verfügung standen, einreichen, soweit sie für die behandelten Fragestellungen relevant schienen. Die Experteneinreichungen wurden von Fraunhofer IAO ausgewertet, mit dem Ziel, die folgenden Expertenworkshops vorzubereiten und eine inhaltliche Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Grundlage für die angestrebte Publikation zu schaffen. Die weitere Vorgehensweise zur Konsolidierung der Inhalte des Dokuments gestaltete sich wie folgt: 2.1 x Qualitätskriterien Fraunhofer IAO erarbeitete auf Grundlage der Experteneinreichungen einen Vorschlag, der während des Workshops im Plenum diskutiert und verabschiedet wurde. 2.2 Komponenten einer Sprachapplikation Im Vorfeld des Workshops kristallisierte sich Diskussionsbedarf bezüglich einer Einigung zu den Applikationskomponenten heraus. Verschiedene technische Realisierungen wurden innerhalb einer speziell dafür gebildeten Arbeitsgruppe beleuchtet. Der resultierende Konsens war, dass die Zuordnung der Maße und Verfahren mit Hilfe einer funktionalen Beschreibung erfolgen soll, die unter 3.2 Komponenten einer Sprachapplikation beschrieben ist. 2.3 Themenbereiche Sehr elementar wurden zu Beginn die Themenbereiche identifiziert, die relevant für die Qualitätssicherung waren – stets aus Sicht von Sprachapplikationen: x x Strategie & Business Logik: Ein wesentliches Erfolgskriterium einer Sprachapplikation ist deren wirtschaftlicher Ertrag. Dessen Messbarkeit sowie die Abschätzung von zukünftigen Investitionen und Einsparungspotenzialen sind wesentliche Gesichtspunkte dieses Themenschwerpunkts. Sprachtechnologie und Linguistik: Die Qualität der Sprachtechnologie ist ein essenzieller Aspekt in der Nutzung von Sprachapplikationen. Die zuverlässige Erkennung der gesprochenen Benutzereingaben und eine verständliche sowie angenehme Sprachausgabe sind zentrale x Voraussetzungen für eine komfortable Interaktion. Dialogplattformen und Integration: Die Nutzung einer Sprachapplikation setzt deren Erreichbarkeit grundlegend voraus. Dafür ist die korrekte Integration der Sprachapplikation und der einzelnen Systemkomponenten in das Gesamtsystem erforderlich. Zusätzlich lassen Aspekte wie geringe Latenzzeiten oder die Nutzbarkeit der Sprachapplikationen auch bei Spitzenbelastungen auf eine sinnvolle technische Umsetzung schließen. Voice User Interface und Usability: Die erfolgreiche und angenehme Nutzung einer Sprachapplikation hängt insbesondere auch von der angemessenen Gestaltung der Benutzungsoberfläche, dem Voice User Interface, ab. Aspekte wie z.B. Wortwahl und Formulierungen der Systemausgaben oder das Management von Fehlern sind dabei relevant. Diese Gliederung verdeutlicht den ganzheitlichen Ansatz, welcher innerhalb des Projektes genutzt wurde, allerdings mit den Prämissen, dass es sich um Telefoniersprachanwendungen handelt und somit nicht anwendbar auf multimodale Anwendungen ist. Eine Zuordnung zu einzelnen Applikationstypen wurde ebenfalls noch nicht vollzogen und als Option für weitere Schritte aufgenommen. 2.4 Entwicklungsphasen Um die erarbeiteten Maße und Verfahren dem Entwicklungsprozess zuzuordnen einigte man sich im Vorfeld auf einzelnen Phasen. Der gewonnene Konsens war, dass die Erstellung einer Sprachapplikationen sich in verschiedene Schritte unterteilen lässt, die folgende Phasen umfasst: x x x x Projektvorbereitung & Analyse Konzept & Design Implementierung Integration & Inbetriebnahme x Betrieb Diese einzelnen Phasen sind nicht streng voneinander getrennt, sondern werden in einem iterativen Prozess mehrfach (je nach Bedarf) durchlaufen. Der Grund hierfür ist die schwere Realisierbarkeit einer linearen Abfolge von Prozessschritten, da verschiedene Aspekte der einzelnen Phasen erst bei späteren Schritten aufgedeckt werden. Durch den iterativen Prozess können sukzessive Teilergebnisse verbessert und korrigiert werden. Während aller Prozessphasen werden zusätzlich kontinuierlich Tests durchgeführt, deren Ergebnisse direkt in die Entwicklung mit aufgenommen werden. Die Testung bereits in frühen Phasen verhindert ein zu spätes Aufdecken von Fehlern. 3.0 Erarbeitete Ergebnisse Als zentrales Projektergebnis wurden die wichtigsten qualitätsrelevanten Maße und Verfahren zur Erhebung und Optimierung der Qualität von Sprachapplikationen identifiziert und beschrieben. In einer strukturierten Form wurden die beschriebenen Maße und Verfahren eingehend charakterisiert und bezüglich ihres Potenzials für den Praxiseinsatz und ihrer Wirtschaftlichkeit bewertet. Diese Übersicht soll dem Profi als Nachschlagewerk dienen und dem interessierten Laien einen umfassenden Überblick bieten. Ein weiteres Ergebnis des beschriebenen Projekts ist die Verständigung auf eine gemeinsame Terminologie für zentrale Konzepte im Umfeld der Entwicklung und Qualität von Sprachapplikationen. Zur Förderung eines gemeinsamen Sprachgebrauchs und zur Steigerung der Transparenz auch für Laien und potenzielle Kunden wurde eine generische Systemarchitektur mit den Komponenten einer Sprachapplikation entwickelt. Darüber hinaus wurden die Pha- 253 sen eines Standardentwicklungsprozesses definiert. Darüber hinaus sind die einzelnen Qualitätskriterien je nach Zielsetzung und Applikationsausrichtung unterschiedlich zu priorisieren. Je nach dem, ob bestehende Dienste automatisiert werden, oder ob durch einen Mehrwertdienst neue Businesskomponenten eingeführt werden, treten beispielsweise unterschiedliche Kriterien mehr oder weniger stark in den Vordergrund. Ebenso können sich die Betreiberziele bezüglich der Gesprächsdauer unterscheiden je nach dem ob eine effiziente und schnelle Bearbeitung gewünscht wird oder ob das Geschäftsmodell einer Entertainment Anwendung auf längere Gesprächsdauer ausgerichtet ist. Nachfolgend werden die identifizierten Qualitätskriterien aufgeführt: x Abb 1: Leitfaden Qualitätskriterien, Maße und Verfahren für Sprachapplikationen Qualitätskriterien Die in diesem Abschnitt aufgeführten Kriterien zielen auf eine ganzheitliche Qualitätsbewertung von Sprachapplikationen. Sowohl wirtschaftliche Aspekte als auch die Qualität der Sprachtechnologie, die Integration einzelner Komponenten sowie die Gestaltung des Voice User Interfaces werden abgedeckt. Die Kriterien beziehen sich nicht auf einzelne Komponenten, sondern sind auf die Bewertung des Gesamtsystems ausgelegt. Die einzelnen Qualitätskriterien stehen in engen Wechselbeziehungen. Daraus ergeben sich teilweise Zielkonflikte, welche die gleichzeitige Erfüllung aller resultierenden Anforderungen einschränken. So kann beispielsweise ein umfangreiches Funktionsangebot zu einer komplexen Navigationsstruktur führen und damit die schnelle Zielerreichung einschränken. 254 x x x x x Angemessener Funktionsumfang und Inhaltsangebot: »Eine Sprachapplikation ist gut, wenn die Sprachapplikation durch ein attraktives und vollständiges Funktionsangebot einen Mehrwert für die Kunden schafft.« Einwandfreie Funktionsfähigkeit und Leistungsfähigkeit: »Eine Sprachapplikation ist gut, wenn ein sicheres, performantes und fehlerfreies Funktionieren des Systems gewährleistet ist – auch bei zu erwartenden Belastungsspitzen.« Administrierbarkeit und effizienter Betrieb: »Eine Sprachapplikation ist gut, wenn technische Aufwände nach Inbetriebnahme des Systems minimal gehalten werden können.« Erweiterbarkeit und Skalierbarkeit: »Eine Sprachapplikation ist gut, wenn die Systemarchitektur zukünftige Erweiterungen und Veränderungen leicht ermöglicht.« Wirtschaftlichkeit: »Eine Sprachapplikation ist gut, wenn der Betrieb der Sprachapplikation wirtschaftlich rentabel ist.« Zuverlässige Erkennung der Benutzeräußerungen: »Eine Sprachapplikation ist gut, x x x x 3.1 wenn die Spracherkennung einen angemessenen Umfang zu erwartender Benutzeräußerungen zuverlässig erkennt.« Effektives Fehlermanagement: »Eine Sprachapplikation ist gut, wenn Erkennungsfehler und Bedienfehler keinen großen Schaden anrichten.« Effektive und flexible Dialogabläufe: »Eine Sprachapplikation ist gut, wenn die Navigationsstruktur die Benutzer unterstützt, schnell und sicher ihr Ziel zu erreichen.« Verständliche und zielführende Systemausgaben: »Eine Sprachapplikation ist gut, wenn die akustischen Systemausgaben den Benutzer bei der Orientierung und der Formulierung zielführender Äußerungen unterstützen.« Anmutung und emotionale Adressierung: »Eine Sprachapplikation ist gut, wenn eine positive und angemessene Einstellung des Benutzers gegenüber der Sprachapplikation, ihrer Nutzung und ihres Betreibers erzielt wird.« Komponenten einer Sprachapplikation Die Realisierung einer Sprachapplikation stellt das Zusammenspiel verschiedener Teilkomponenten dar, die für unterschiedliche Funktionsbereiche innerhalb der Sprachapplikation verantwortlich sind. Diese Komponenten wurden innerhalb dieser Qualitätsoffensive nach dem etablierten Software-Architekturmuster »Model-View-Control« nach funktionalen Kriterien aufgeteilt. Dabei wurde bei Auflistung der Maße und Verfahren angegeben, welchen logischen Bereichen des Model-View-Control Entwurfsmusters sie zugeordnet sind. Es erfolgte keine Zuordnung zu einzelnen technischen Komponenten, da diese teilweise mit der konkreten Implementierung und der verwendeten technischen Plattform eng zusammenhängen und deshalb nicht immer zugeordnet werden können. Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Zusätzlich wurde das Model-ViewControl-Konzept für die Bedürfnisse von Sprachapplikationen erweitert um die Komponente »Access«. Diese stellt die Telefonie-Funktionalität dar, welche für die Verbindungs-Erstellung von einer Sprachapplikation mit Hilfe des Telefonnetzwerkes notwendig ist. 3.2 Maße Es wurden gemeinsam 32 Maße erarbeitet, welche den in 2.3 genannten Themenschwerpunkten »Strategie und Business Logik«, »Sprachtechnologie und Linguistik«, »Dialogplattformen und Integration« und »Voice User Interface und Usability« zugeordnet wurden. Dabei konnten einzelne Maße auch verschiedenen Themenbereichen zugeordnet werden. Weiterhin wurden bei den Maßen folgende Beschreibungsmerkmale erfasst: x x x x x x x x Synonyme Kurzbeschreibung Auf welche Qualitätskriterien Bezug genommen wird Zuordnung zu Applikationskomponenten Aktueller Praxiseinsatz Potenzial für Praxiseinsatz Verfahren, um das Maß zu erheben Bewertung der Wirtschaftlichkeit Auszugsweise wird anhand von einem Beispiel diese Beschreibungsstruktur verdeutlicht: 3.2.1 Effektives x x x Fehlermanagement Synonyme: Keine Kurzbeschreibung: Dieses Maß bewertet die Fehlerrobustheit des Sprachdialogs. Trotz auftretender Erkennungsfehler kann das Ziel sicher und mit nur geringem zusätzlichem Zeitaufwand erreicht werden. Zur Erhebung des Maßes werden die Effizienzeinbußen berechnet, die sich ergeben, wenn sich ein zusätzlicher Fehler in der Sprachapplikation befindet. Diese Effizienzeinbu- x x x x x x 3.3 ßen werden für alle Fehler berechnet und anschließend aufsummiert. Letztlich wird der Durchschnitt von allen unterschiedlichen Effizienzeinbußen berechnet, indem die gewonnene Summe durch die Anzahl der Erkennungsfehler dividiert wird. Auf welche Qualitätskriterien Bezug genommen wird: Fehlermanagement, Effektive & flexible Dialogabläufe Zuordnung zu Applikationskomponenten: View Relevanz Themenschwerpunkte: Strategie und Business Logik, Voice User Interface und Usability Aktueller Praxis-einsatz: gelegentlich, selten Potenzial für Praxiseinsatz: mittel Verfahren, um das Maß zu erheben: Logfile-Analyse, unter dem Vorbehalt der verlässlichen Erhebung der Task Completion. Die erforderlichen Zahlen lassen sich (in kleinerem Maßstab) auch bereits aus Usability Tests und aus Friendly User Tests gewinnen. Weitere relevante Verfahren sind das Rapid Prototyping und der Wizard of Oz Test. Bewertung der Wirtschaftlichkeit: Note 3 Verfahren Im Rahmen des Workshops wurden von den Experten 23 Verfahren erarbeitet, mit Hilfe deren die Maße erhoben werden können, welche im vorangegangenen Unterkapitel 3.3 dargestellt sind. Bei der Definition der Verfahren wurde darauf geachtet, alle Entwicklungsphasen (vgl. Unterkapitel 2.4) einer Sprachapplikationen mit einzuschließen und auch alle Themenbereiche (vgl. Unterpunkt 2.3). Die Beschreibungsmerkmale der Verfahren wurden im Vergleich zu denen der Maße um die folgenden Punkte erweitert: x x x x Welche Maße können erfasst bzw. optimiert werden? Zuordnung zu Entwicklungsphasen Reifegrad des Verfahrens Anforderungen des Verfahrens Auszugsweise wird analog zu den Maßen nachfolgend eines der insgesamt 23 Verfahren aufgeführt: 3.3.1 Friendly x x x x x x User Test Synonyme: keine Kurzbeschreibung: Potentielle Nutzer testen das System vor Betrieb und agieren dabei kooperativ. Dieser Test erbringt erste Nutzungsdaten und Feedback vor der Live Schaltung. Hier können gravierende Fehler im Betrieb rechtzeitig erkannt und behoben werden. Welche Maße können erfasst bzw. optimiert werden: Die gesamte Applikation und alle Funktionalitäten und Qualitäten werden getestet, also auch die Anbindung an Backendsysteme und beispielsweise Transaktionen. Gegebenenfalls können auch Teilbereiche bereits in einem frühen Stadium getestet werden. Zusätzlich können das Effizienzmaß der Bedienung und das Maß für effektives Fehlermanagement gemessen werden. Auf welche Qualitätskriterien Bezug genommen wird: Funktionalität und Inhaltsangebot, Funktions- und Leistungsfähigkeit, Administrierbarkeit und Betrieb, Zuverlässige Erkennung, Fehlermanagement, Effektive & flexible Dialogabläufe, Verständlichkeit & Zielführung, Anmutung und Emotion Zuordnung zu Appliakationskomponente: Betroffen sind die Spracherkennung, die semantische Analyse, die Ausgabegenerierung und der Content & Daten; somit sind Model, View und Control betroffen Relevanz Themenschwerpunkte: Strategie und Business Logik, Voice User Interface und Usabili- 255 x x x x x x 4.0 ty; Sprachtechnologie und Linguistik Zuordnung zu Entwicklungsphasen: Projektvorbereitung & Analyse, Konzept & Design sowie Implementierung Kommentar dazu ist, dass dieses Verfahren in unterschiedlichen Projektphasen einsetzbar ist, in der Regel aber vor dem Live Betrieb eingesetzt wird. Reifegrad des Verfahrens: hoch Aktueller Praxiseinsatz: immer, Standard Potenzial für Praxiseinsatz: hoch Anforderungen des Verfahrens: Es muss ein funktionsfähiger Prototyp vorhanden sein. Tests können auf unterschiedlichen Ebenen in unterschiedlichen Stadien durchgeführt werden: auf reiner Spracherkennungsebene (Vokabular), auf Dialogebene, auf Anwendungsebene (inklusive Transaktionen und Interaktion mit Fremdsystemen). Bewertung der Wirtschaftlichkeit: Note 1-2: Allumfassend; Ergebnisse sind wichtig, bevor System abgenommen werden kann. Danksagung Das Verbundprojekt unter der Leitung Fraunhofer IAO und mind Business Consultants ist mit freundlicher Unterstützung von Semantic Edge, Sikom, Sympalog, Telenet und VMA entstanden. Zum erfolgreichen Gelingen möchten wir uns bei den mitwirkenden Experten bedanken: Ludovica De Sio (IBM Entwicklung GmbH), Dr. Christian Du- 256 gast (zum Zeitpunkt selbstständig), Dr. Carsten Günther (zum Zeitpunkt IBM Entwicklung GmbH), Mark Gutmann (STRATECO GmbH & Co. KG), Dr. Jürgen Haas (Sympalog Voice Solutions GmbH), Tom Houwing (Voiceandvision B.V.), Markus Kesting (Telenet GmbH Kommunikationssysteme), Dietmar Kneidl (Sikom Software GmbH), Jörn Kreutel (SemanticEdge GmbH), Dr. Guntbert Markefka (TMobile Deutschland GmbH, VMA), Dr. Marion Mast (zum Zeitpunkt IBM Entwicklung GmbH), Jürgen Mehring (Sparda Bank Hamburg eG), Prof. Dr. Sebastian Möller (Deutsche Telekom AG Laboratories, TU Berlin), Frank Oberle (T-Systems Enterprise Services GmbH), Dr. Lupo Pape (SemanticEdge GmbH), Andreas Schaub (Unisys Deutschland GmbH, VMA), Bernhard Steimel (mind Business Consultants), Paul Hubert Vossen (Voice & Visual Design), Dr. Frank Wanning (HFN Medien GmbH, VMA) 5.0 Ausblick Um bestehende Forschungslücken weiterhin zu schließen und den Nutzwert des ersten Projekts für die Praxis weiter zu erhöhen, haben sich die Projektbeteiligten entschieden, ihr Vorhaben 2008 weiter voranzubringen und haben sich bereits auf die thematischen Schwerpunkte der zweiten Forschungsphase geeinigt. Im Mittelpunkt steht dabei die eingehende Betrachtung unterschiedlicher Applikationstypen und die Erarbeitung eines ent- sprechenden Merkmalkatalogs. Anschließend soll erarbeitet werden, welche der in der ersten Forschungsphase identifizierten Methoden sich zur Qualitätsoptimierung für die verschiedenen Applikationstypen am besten eignen. Wie bereits im ersten Jahr ist das Ziel zahlreiche Experten zu gewinnen und dadurch unter Beteiligung eines möglichst breit aufgestellten Expertenkreises die Akzeptanz in der Praxis zu erhöhen. 6.0 Literaturverzeichnis Dybkjaer, L.; Hemsen, H.; Minker, W. (2007). Evaluation of Text and Speech Systems. Dordrecht: Springer. Hempel, T (Ed.). (2008). Usability of Speech Dialog Systems. Berlin: Springer-Verlag. Möller, S. (2005). Quality of TelephoneBased Spoken Dialogue Systems. New York: Springer Sciene + Business Media. Peissner, M.; Sell, D.; Steimel, B. (2006). Akzeptanz von Sprachapplikationen. Stuttgart: Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO. Peissner, M.; Hipp, C.; Steimel, B. (2007). Qualitätskriterien, Maße und Verfahren für Sprachapplikationen. Stuttgart: Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO. http://www.hci.iao.fraunhofer.de/de/proje kte/qualitatskritrien_masse_und_verfahre n_fur_ sprachapplikationen/index.html Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 In t eraktion v o n M o rg e n 257 258 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Umsetzung von neuen Interaktionskonzepten mit Hilfe der Wii-Remote – Wii interagiere ich? Margeritta von WilamowitzMoellendorff Institut für Arbeitswissenschaft TU Darmstadt Petersenstraße 30 64287 Darmstadt [email protected] www.arbeitswissenschaft.de Michael Schreiber Institut für Arbeitswissenschaft TU Darmstadt Petersenstraße 30 64287 Darmstadt [email protected] www.arbeitswissenschaft.de Ralph Bruder Institut für Arbeitswissenschaft TU Darmstadt Petersenstraße 30 64287 Darmstadt [email protected] www.arbeitswissenschaft.de Abstract Die Spielekonsole Wii wurde schon kurz nach ihrer Einführung nicht nur zum Spielen verwendet, sondern hat Wissenschaftler aus aller Welt angeregt die neuartige Interaktion zwischen Mensch und Computer in weiteren Anwendungsgebieten zu untersuchen. Durch die diversen technischen Schnittstellen und die vielfältigen Eingabemöglichkeiten der Wii-Remote ergeben sich neue Möglichkeiten der Interaktion mit technischen Systemen. Diese Formen der Interaktion bieten nicht nur Verbesserungspotenziale hinsichtlich der Intuitivität, sondern sollen auch den Spielspaß der Wii in andere Einsatzgebiete transportieren. 1.0 Motivation Wenn man der Vorhersage von Donald Norman (2007) glauben darf, so wird einer der neuen Trends für die Zukunft des User Interfaces das „tangible interface“ und somit eine Rückkehr zu physikalischen Bedienelementen sein. Analog zu unserer Umgebung, in der wir mit physikalischen Gegenständen interagieren, sollen dadurch auch komplexe Systeme besser zu steuern sein. Ein Beispiel dafür, wie der Trend von Graphical User Interfaces hin zur Steuerung über „tangible interfaces“ geht, ist die Spielekonsole Wii von Nintendo. Bei diesem neuen Spielekonzept wird die Steuerung des Spiels alleine durch Bewegungen und Klicks einer Art Fernbedienung, der Wii-Remote, durchgeführt. Am Institut für Arbeitswissenschaft der TU Darmstadt wurden verschiedene Projekte durchgeführt, bei denen die Wii-Remote eingesetzt wird. Unter anderem wurde ein interaktives Whiteboard basierend auf der Idee von Johnny Lee (www.cs.cmu.edu/ ~johnny/projects/wii/) gestaltet, durch Usability-Tests evaluiert und das Eingabegerät in Form eines druckempfindlichen Stifts verbessert. In einem weiteren Schritt wurde die Möglichkeit der Gestensteuerung von Software mit Hilfe der Wii-Remote implementiert. Diese soll in weitergehenden UsabilityStudien untersucht werden. 2.0 Die Wii-Remote Die Wii Spielekonsole von Nintendo kam 2006 auf den Markt und revolutionierte den Spielemarkt, indem sie nicht durch immer realitätsnähere Graphiken auf sich aufmerksam machte, sondern durch ein völlig neues Interaktionskonzept. Gesteuert wird über die Wii-Remote, einen „game controller“, der zum einen die Position des Eingabegerätes in Relation zu zwei infraroten Lichtquellen (Wii Sensorbar) bestimmen kann und zum anderen mit Sensoren ausgestattet ist, welche die Beschleunigungen in die drei Richtungen eines xyz-Koordinatensystems aufnehmen können. Durch die WiiRemote ist eine sehr intuitive Steuerung möglich und ein immersives In dem Beitrag sollen neue Interaktionsformen, die durch die Wii-Remote realisierbar sind, vorgestellt und diskutiert werden, was unter anderem die Gestensteuerung durch die Wii-Remote beinhaltet. Aktuelle Projekte und UsabilityUntersuchungen und ihre Ergebnisse werden präsentiert. Die entwickelten Systeme werden im Vortrag demonstriert und verwendet. Keywords Wii-Remote, Gestensteuerung, Whiteboard, Interaktionskonzepte Spielgefühl entsteht, nicht nur bei Sportarten wie Tennis und Bowling. Die Wii-Remote ist kabellos und mit Bluetooth ausgestattet, um Kontakt mit der Spielekonsole oder einem PC aufzunehmen. Insgesamt sind auf dem Controller ein „directional pad“1 und weitere acht Knöpfe angebracht, um im Spiel bestimmte Aktionen zu initiieren. Zum Einsatz kommt aber insbesondere der 3-Achsen-Beschleunigungssensor des Geräts, welcher die Beschleunigung in die drei Koordinatenrichtungen messen kann. Eine Infrarot-Kamera im Controller errechnet im Bezug zur auf dem Fernseher/Computer stehenden SensorBar (mit Infrarot-Signal) die Position. 1 Als „directional pad“ wird das Steuerungskreuz genannt, das in die vier Richtungen „hoch“, „runter“, „links“ und „rechts“ betätigt werden kann. 259 Die Wii-Remote eignet sich insbesondere deshalb für den Einsatz außerhalb des Spielekontextes, da durch den Zugriff auf eine Vielzahl an Sensoren, die drahtlose Datenübertragungsmöglichkeit und die Ein- und Ausgabeschnittstellen eine einfach Anpassung an Arbeitsumgebungen gegeben ist. So kann durch die Kamera die Ortung erfolgen, Beschleunigungssensoren sind vorhanden, die Übertragung der Daten erfolgt kabellos, und dies alles zu einem vergleichsweise geringen Preis. In einer Reihe von Projekten wurde die Wii-Remote aus diesen Gründen bereits auch von Wissenschaftern eingesetzt und die Möglichkeiten, die sich durch dieses Gerät ergeben, untersucht. Darunter fallen Projekte, die Wii-Remote in der Rehabilitation von Patienten einzusetzen oder im künstlerischen Bereich damit zu experimentieren (Lee et al. 2008). Um die Wii-Remote ist mittlerweile eine ganze Internet-Community entstanden, die neue Anwendungen entwickelt und ihre Erfahrungen und Programme anderen zur Verfügung stellt, mit Johnny Chung Lee von der Carnegie Mellon University (http://www.cs.cmu. edu/~johnny/) als einem der bekanntesten Vertreter. Gallo et al. (2008) verwenden beispielsweise die Wii-Remote als Werkzeug, um in 3D-Umgebungen in einem medizinischen Kontext zu interagieren. Eingesetzt wurde die Wii-Remote für die Analyse von drei-dimensional rekonstruierten Organen, die beispielsweise aus Bildern von Computer-Tomo-graphen entstehen. Das System wurde jedoch noch nicht in der Praxis getestet. Ein weiteres Beispiel ist der Einsatz der Wii-Remote in einem Multi-Wall Virtual Reality Theatre (Schou & Gardner 2007), ähnlich einem Cave. In einer Spiele-Umgebung (Half Life 2) wurde getestet, wie die Wii Remote eingesetzt 260 werden kann, um sich in einer virtuellen Realität zu bewegen und zu zielen. Schlömer et al. (2008) setzten die WiiRemote zur Gestensteuerung ein und beziehen sich dabei auf Vorarbeiten von Hofmann et al. (2004). Dabei verwendeten sie Hidden-Markov-Modelle, um vom Nutzer gewählte Gesten zu trainieren und zu erkennen, die durch charakteristische Muster von Beschleunigungsdaten identifiziert werden. Schon nach einer kurzen Reihe von Training-Samples konnten bei einer Studie mit sechs Probanden Gesten mit einer Wahrscheinlichkeit von 90% richtig erkannt werden. Die Ergebnisse dieser Forschergruppe werden auch anderen Wissenschaftlern über eine Gesten-Datenbank zur Verfügung gestellt. Castelluci und MacKenzie (2008) beschäftigten sich insbesondere mit der Eingabe von Buchstaben beispielsweise bei Präsentationen oder Entertainment-Situationen. Dafür nutzten sie das Unistrokes Gesten-Alphabet (Goldberg & Richardson 1993), bei dem die besonders häufigen Buchstaben durch eine gerade Linie und die übrigen Buchstaben durch einen Strich (auch mit Krümmung) dargestellt werden. Diese Gesten wurden bei der WiiRemote durch das Drücken der BTaste an der Unterseite, die Durchführung der Geste und dann das Loslassen der Taste markiert. In einer webbasierten Studie nahmen 18 Probanden teil, die das System testeten. Dabei wurden die Buchstaben, die mit der Wii-Remote per Geste gezeichnet werden sollten nacheinander präsentiert und die entsprechenden Zeiten pro Buchstabe gemessen. Dabei zeigt sich, dass die Eingabezeiten sehr kurz waren und bei 296 bis 481 ms lagen. Die Ergebnisse waren unabhängig von der Erfahrung mit der Wii. 3.0 Das Wii-Whiteboard Für die Präsentation von unterschiedlichen Sachverhalten bei Meetings kommen immer häufiger interaktive Whiteboards zu Einsatz, auf denen durch die Projektion eines Beamers die Präsentation (oder auch die normale Desktop-Oberfläche) auf einem berührungssensitiven Display zu sehen ist. Die Interaktion erfolgt in der Regel über Stifte mit denen das Whiteboard berührt und gesteuert wird. Diese interaktiven Whiteboards haben jedoch den Nachteil, dass sie zum einen mit hohen Anschaffungskosten (ab 800 Euro) verbunden sind und dass sie zum anderen eine stark eingeschränkte Mobilität besitzen. Durch die umfangreiche technische Ausstattung der Wii-Remote gibt es eine Möglichkeit, genau ein solches interaktives Whiteboard nachzubauen, wobei die Kosten nur ein Bruchteil der kommerziellen Lösungen betragen und das System fast an allen Orten eingesetzt werden kann. Hierfür sind neben der Software nur eine Wii-Remote und eine frei bewegliche Quelle, die infrarotes Licht emittiert, erforderlich. Die Idee für dieses interaktive Whiteboard stammt von Johnny Chung Lee (www.cs.cmu.edu/~johnny/projects/wii/). Ziel der Studien am IAD der TUDarmstadt war es, dieses interaktive Whiteboard nachzubauen, mit Probanden zu testen und ergonomische Verbesserungen umzusetzen. Dafür wurde zunächst von Tobias Röglin, Jochen Zaunert und Stefan Zettl in einem studentischen Design-Projekt ein Whiteboard nach den im Internet verfügbaren Plänen gebaut. Das Prinzip beruht darauf, dass mit einem selbstgebauten Stift, der an der Spitze mit einer Infrarot-Lichtquelle (IR) ausgestattet ist, auf einer Fläche, auf der die Projektion des Beamers zu sehen ist (dies kann ein Whiteboard, ein Tisch, oder eine andere Fläche sein) geschrieben werden kann. Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Die Reflektion des IR-Lichtpunktes wird von der Infrarot-Kamera der WiiRemote, die leicht entfernt auf der Seite steht, detektiert und als Koordinaten an den Computer via Bluetooth gesandt. Durch eine vorherige Kalibrierung (ähnlich der eines Touchdisplays) ist das von Johnny Chung Lee geschriebene Programm in der Lage, den Mauszeiger an die Stelle, an der der IR-Lichtpunkt erscheint, zu setzen und dort einen Klick der linken Maustaste zu emulieren. Dafür muss in dieser Version jedoch immer der Schalter am IR-Stift gedrückt werden, um das Licht zu aktivieren. Denn wäre dieses immer eingeschaltet, würde es versehentlich zu Fehlauslösungen kommen. Zur Verbesserung der Handhabbarkeit wurde eine 2.Version des Infrarot-Stifts entwickelt. Hierbei wurden erstens mehrere IR-LEDs verwendet, die somit für die Remote-IR-Kamera besser zu registrieren waren. Zweitens wurde der Stift dahingehend verbessert, dass kein Druck mehr auf den Schalter nötig war, um die IR-LEDs zu aktivieren. Es wurde vielmehr ein Druckschalter vorne in der Stiftspitze angebracht, der bei Aufdrücken des Stifts auf einer Fläche den Kontakt herstellte und das Licht aktivierte (siehe Abb.1). So war eine einfachere Bedienung analog zu einem Stift oder einem Stück Kreide möglich. Abb.1: IR-Stift mit druckempfindlicher Spitze (Stift 2) Die Benutzerfreundlichkeit des WiiWhiteboards in der herkömmlichen Form (Stift 1) und in der Erweiterung mit dem druckempfindlichen Stift (Stift 2) wurden in einer Probandenstudie (siehe Abb. 2) getestet. Dafür wurden Aufgaben ausgewählt, wie sie in einem Meeting auftreten können, bei dem das interaktive Whiteboard als virtuelles Flipchart fungiert. Aufgaben waren beispielsweise das Abzeichnen von einem Graphen und das Aufschreiben einer kurzen Nachricht. Insgesamt nahmen 15 Personen (Altersdurchschnitt 28 Jahre, 4 Frauen) teil, 9 testeten die herkömmliche Variante und 6 den druckempfindlichen Stift. Abgefragt wurden nach dem etwa 15minütigen Test eine Reihe von selbstentwickelten Fragen und Teile des IsoMetrics-Fragebogens (Gediga & Hamborg 1999). nicht lange gedauert, bis ich die Bedienung des Wii-Whiteboards erlernt hatte“ (Stift 1: 3,88; Stift 2: 4,80). Oder „Ich würde gerne mit dem Wii-Whiteboard arbeiten“ (Stift 1: 3,63; Stift 2: 4,60). Insgesamt war das Ergebnis, dass sich mit sehr einfachen und günstigen Mitteln ein interaktives Whiteboard mit der WiiRemote nachbauen ließ, welches portabel und für den Einsatz in Meetings geeignet ist. In einer Studie konnte gezeigt werden, dass die Probanden das System gut beurteilten und akzeptierten, insbesondere mit der Erweiterung eines druckempfindlichen Stifts. In einem PilotProjekt konnte das Wii-Whiteboard am Institut für Arbeitswissenschaft auch bereits multitouch fähig gemacht werden, da die Wii-Remote bis zu vier IRLichtpunkte unterscheiden kann. Weitere Projekte dazu laufen. 4.0 Abb. 2: Proband bei der Usability-Studie Die Ergebnisse zeigen, dass das WiiWhiteboard bei den Probanden auf große Zustimmung stieß. In dieser ersten Studie können aufgrund der relativ geringen Anzahl von Probanden keine statistischen Aussagen getroffen werden, jedoch zeigen sich klare Tendenzen. Auf einer Skala von 1-5 (mit 5 als beste Ausprägung) wurden die meisten Items des selbstentwickelten Fragebogens als sehr positiv beurteilt. Sehr deutlich war auch die positivere Beurteilung der ergonomisch verbesserten Stifts mit der druckempfindlichen Spitze. Beispielsweise: „Es hat Die Wii-Gestensteuerung Ein zweiter Schritt war es, zu untersuchen, welche weiteren Möglichkeiten der Steuerung von Systemen mit der Wii-Remote sich noch ergeben. In vielen der für die Wii erhältlichen Spiele ist die Steuerung, beispielsweise eines Tennisschlägers, durch die Simulation der Bewegung (gemessen durch die Beschleunigung und teilweise auch die Position des Spielers) durch die Wii möglich. Diese Interaktion durch Bewegung der Wii-Remote kann als sehr intuitiv bezeichnet werden und ist für die Spieler leicht zu erlernen, da sie entweder die Bewegung aus der Realität kennen (Bsp. Tennis) oder nach einen sehr kurzen Erklärung diese leicht nachahmen und auch behalten können. Daher war die Idee, durch die Wii-Remote auch mit einem Rechner durch Gesten interagieren zu können und diesen darüber zu steuern. Für diese Art der Interaktion gibt es bereits erste Projekte (siehe Kapitel 1.1), die eine Reihe von Gesten 261 umgesetzt haben, wie beispielsweise Schlömer et al. (2008). Gesten werden von Menschen zum Zweck der nonverbalen Kommunikation eingesetzt und sind, anders als Gesichtsausdrücke, nicht angeboren, sondern erlernt und somit abhängig vom kulturellen Hintergrund. Gesten werden hier, in dem Kontext der Gestensteuerung, verstanden als eine zeichenhafte Bewegung der Hand, mit der ein Befehl gegeben wird, den das System umsetzen soll. Dabei ist die Wii-Remote in der Hand zu halten und dient als Übermittler eines Bewegungsmusters im Gegensatz zu anderen Arbeiten, in denen beispielsweise die Form der Hand die Geste definiert (Zobl et al. 2003). Der Einsatz von Gesten zur Steuerung von Systemen wird in unterschiedlichen Bereichen diskutiert, beispielsweise zur Steuerung für In-Car Devices (Zobl et al. 2003), oder in virtuellen Umgebungen. Ein weiteres Gebiet kann die Steuerung von Computersystemen sein, insbesondere die Steuerung von Multimediasystemen (am Computer, oder am Fernseher). Hierauf soll im Folgenden näher eingegangen werden. Um eine Gestensteuerung für Computersysteme zu entwickeln wurde von den Studenten Benjamin Franz und Nils Schader zunächst analysiert, welche Tätigkeiten Nutzer bei der Interaktion mit unterschiedlicher Software durchführen, so unter anderem bei der Nutzung von Word, PowerPoint und der Nutzung eines Internet-Browsers. Neben der Befragung von Personen wurden eine Reihe von Probanden auch beobachtet und die durchgeführten außer-beruflichen Tätigkeiten am Computer ausgezählt. 262 Abb. 3: Verteilung der außer-beruflichen Tätigkeiten am Computer Dabei zeigte sich, dass neben dem Schreiben mit etwa einem Drittel die häufigste Tätigkeit das Surfen im Internet (43%) ist (siehe Abb. 3) und immer wieder gleiche Tätigkeiten, wie „hoch scrollen“, „runter scrollen“, „Seite vor“ „Seite zurück“ , „lauter“ und „leiser“ durchgeführt werden, die gut durch eine Gestensteuerung bedient werden könnten. Um Gesten zu gewinnen, die besonders intuitiv sind, wurde eine Studie durchgeführt, in der Probanden ein Szenario vorgegeben wurde, in dem sie mit der Wii-Remote in der Hand verschiedene Tätigkeiten durch eine frei gewählte Geste steuern sollten. Beispielsweise war eine Aufgabe „machen Sie bitte den Ton lauter“, oder „stoppen Sie die Musik“ oder auch schwierige Aufgaben wie „kopieren Sie bitte eine Datei“. Insgesamt wurden 18 aus der Beobachtung und Befragung als besonders häufig erkannte Tätigkeiten als Aufgabe gegeben. Die 20 Probanden wurden auf Video aufgezeichnet (siehe Abb. 4) und die Bewegungen, die die Leute intuitiv zur Steuerung einer solchen Tätigkeit gewählt hatten, ausgewertet. Abb. 4: Aufnahme eines Probanden bei der Durchführung der Versuche Bei der Auswertung und Kategorisierung der Bewegungen zeigt sich beispielsweise bei der Geste für die Tätigkeit „machen Sie bitte den Ton lauter“, dass 8 Versuchspersonen (40%) eine translatorische Bewegung des Eingabegerätes nach oben (+Z Richtung, Abb. 5, zweites Bild von oben), 4 (20%) eine Rotationsbewegung um die Hochachse nach rechts (-θz-Richtung; Schnicken nach rechts, Abb. 5, zweites Bild von unten) und 4 Probanden (20%) eine Kippbewegung nach oben (Abb. 5, unteres Bild) ausführten. Insgesamt zeigte sich ein mehr oder weniger konsistentes Bild, bei dem fast die Hälfe der Probanden die Aufgabe mit einer translatorischen Bewegung nach oben steuern würden. Andere Tätigkeiten dagegen zeigten ein weitaus breiteres Spektrum an Gesten, die von den Probanden gezeigt wurden, wie beispielsweise das „Stoppen der Musik“. 36% der Probanden bewegten die Wii-Remote in positive z-Richtung und wieder zurück, was einem kurzen Antippen, ähnlich der Bedienung eines Druckschalters, gleich kommt. Die restlichen Probanden zeigten jedoch sehr unterschiedlichen Gesten, beispielsweise das Zeichnen eines „X“ (wie das Schließen eines Programms in Windows), andere das Zeichnen eines Quadrats, wie die Stopp-Taste auf einem Player. Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Schritt sollen sie in einer UsabilityStudie mit Nutzern getestet werden. Dabei soll evaluiert werden, wie intuitiv und leicht sie zu lernen sind. Die aktuellen Ergebnisse sind auf www.arbeitswissenschaft.de zu finden. 5.0 Fazit Mit diesem Artikel soll ein Überblick gegeben werden, welche neuen Interaktionsarten durch die WiiRemote möglich werden. Dafür sollen zwei Studien stehen, bei denen die Wii-Remote eingesetzt wurde, um Systeme zu steuern und eine andere Art von Interaktion als über Maus und Tastatur möglich zu machen. Das interaktive Whiteboard und die Gestensteuerung mit der Wii-Remote zeigen, dass mit einfachen Mitteln Systeme bedient werden können und ein Bedienelemente aus dem Spielekontext eingesetzt werden kann, um eine intuitive Bedienung von Systemen möglich zu machen. Abb. 5: Oberes Bild: Wii-Remote mit Koordinatensystem, zweites Bild von oben: translatorische Bewegung in z-Richtung, zweites Bild von unten: Rotation nach rechts, unteres Bild: Kippbewegung nach oben Es zeigte sich jedoch deutlich, dass die meisten Gesten ähnlich waren wie die Interaktion mit dem Rechner oder mit anderen elektronischen Geräten und dass der kulturelle Einfluss eine bedeutende Rolle spielt. Ältere Probanden zeigten auch ein anderes Verhalten als jüngere, beispielsweise war bei ihnen das imaginäre Drehen eines Knopfes beim Lauter und Leiser stellen, häufiger verbreitet. Die von den Probanden am häufigsten verwendeten Gesten werden zum jetzigen Zeitpunkt modelliert. Im nächsten Weitere Forschungen in diese Richtung sind natürlich notwendig und weitere Studien sollen Aufschluss über Effizienz und Akzeptanz der Interaktionskonzepte geben. Interessant ist auch die Verknüpfung mit weiteren Eingabe-Modalitäten, sowie die Erweiterung um Ausgabemodi wie Vibration und Sound, über die die Wii-Remote verfügt. Danksagung Wir danken Tobias Röglin, Jochen Zaunert, Stefan Zettl, Nils Schader und Benjamin Franz für ihre Mithilfe an den Projekten. 6.0 Literaturverzeichnis Castelluci, S.J.; MacKenzie, I.S. (2008): UniGest: Text Entry Using Three Degress of Motion. Extended Abstracts of the ACM Conference on Human Factors in Comput- ing Systems – CHI 2008. New York: ACM, S. 3549-3554. Gallo, L.; De Pietro, G.; Marra, I. (2008): 3D interaction with Volumetric Medical Data: experiencing the Wiimote. Proceedings of the 1st international conference on Ambient media and systems, Article No. 14. Gediga, G.; Hamborg, K.-C. (1999): IsoMetrics: Ein Verfahren zur Evaluation von Software nach ISO 9241-10. In: Holling, H.; Gediga, G. (Hrsg.): Evaluationsforschung (S. 195 - 234). Göttingen: Hogrefe. Goldberg, D.; Richardson, C. 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Es wurde eine mobile haptische Navigationshilfe für Blinde konzipiert, ein Prototyp entwickelt und dieser in Nutzertests evaluiert. Das System basiert auf einem vibrotaktilen Multidisplay als Interaktionsschnittstelle, welches an den Handgelenken des Nutzers angebracht wird. Der Ursprung des 1.0 Einleitung Es gibt Situationen, in denen existierende mobile Navigationshilfen den Bedürfnissen der Nutzer im vorliegenden Kontext nicht gerecht werden. Die meisten Systeme für körperlich unbeeinträchtige Menschen bieten ihre Informationen hauptsächlich auf grafischem Wege an. Der visuelle Sinneskanal ist in der reizintensiven Verkehrsumgebung des Fußgängers jedoch stark beansprucht, und die Informationsverarbeitung wie auch die Fortbewegung gehen infolgedessen oft gehemmt vonstatten. Alternativ können jene Navigationsgeräte akustische Hinweise geben. Mobilitätshilfen für Blinde kommunizieren ebenso in dieser Form. Problematisch wird das jedoch an viel befahrenen Straßen, wo sprachliche Hinweise schwerer verstanden werden. Kopfhörer stellen nur eine bedingte Lösung dar, da sie den Nutzer von seiner akustischen Umgebung abschirmen. Für Blinde sind 264 Konzepts liegt in der Unzulänglichkeit vieler existierender mobiler Navigationsgeräte, die ausschließlich den visuellen und auditiven Sinneskanal ansprechen, obwohl beide im Nutzungskontext des Fußgängers der Gefahr der Reizüberflutung ausgesetzt sind. Für die Erarbeitung der haptischen Schnittstelle wurden Designguidelines zusammengetragen, welche auch bei der Entwicklung Anwendung fanden. Die Ergebnisse des Projektes zeigen eine prinzipiell gute Erfolgschance einer derartigen haptischen Interaktionsschnittstelle – und das auch über die Zielgruppe der visuell beeinträchtigten Nutzer hinaus. Kopfhörer fast ausgeschlossen, weil sie sich beim Orientieren stark auf Umgebungsgeräusche verlassen. Auch visuell nicht beeinträchtigte Menschen sollten zu ihrer Sicherheit im Straßenverkehr nicht von dieser Informationsquelle abgeschnitten werden. tet“ auf Input, ohne die kognitiven Prozesse unnötig zu belasten. Auch lässt der Tastsinn ungestört das parallele Arbeiten der anderen Sinne zu. Er ist resistenter gegenüber Störreizen von außen als Augen und Ohren. Das sicherlich auch, weil taktile Information in der Natur des Menschen eine eher untergeordnete Funktion hat und überhaupt seltener vorkommt. Der beschriebene, im Straßenverkehr vorherrschende Nutzungskontext initiierte die Berücksichtigung des haptischen Informationskanals für die konzipierte mobile Navigationshilfe. Es wurde ein haptisches Interface erarbeitet, das Navigationshinweise in vibrotaktiler1 Form ausgibt. Der Vorteil des haptischen Sinneskanals gegenüber den anderen ist, dass er auch dann aktiv ist, wenn gerade keine Reize eintreffen. Die Haut „war- 1 „Vibrotaktil“ sind haptische Reize, die durch an der Haut induzierte Vibration verursacht werden, wohingegen „haptisch“ alle Arten der mechanischen Reize, Temperaturreize und Schmerzlokalisation umfasst. Keywords Vibrotaktiles Feedback, mobile Navigation, Haptik-Designguidelines, haptische Interaktionsschnittstelle 2.0 Designguidelines für haptische Interfaces Zu Beginn der Idee, eine mobile haptische Navigationsunterstützung zu erarbeiten, wurde klar, dass die Haut ebenso Gesetzmäßigkeiten unterliegt, wie beispielsweise die Augen. Aus diesem Grund wurden haptische Designrichtlinien zusammengetragen, um dem Benutzer bei der Konzeption des haptischen Interfaces mit vibrotaktilem Feedback gerecht zu werden. Nachfolgend werden die wichtigsten davon aufgeführt. Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 2.1 Empfindungsschwelle und Reizstärke Ein Vibrationsreiz muss eine bestimmte Intensität aufweisen, damit er erkannt wird. Seine Empfindungsschwelle ist von verschiedenen Faktoren abhängig (Verillo 1962, 1963, 1965, 1966; Van Doren 1990), wie beispielsweise von der Frequenz der Vibration und von der Körperstelle, an die der Reiz wirkt. Pauschal kann die Haut – alle Hautpartien zusammengefasst – Frequenzen zwischen 20 und 500 Hz spüren. Davon besitzen die Frequenzen von 200 bis 250 Hz die niedrigsten Empfindungsschwellen; werden also am ehesten wahrgenommen. Am sensibelsten sind Körperstellen mit unbehaarter Haut, wie sie an Händen und Fingern vorzufinden ist. Beispielsweise werden an den Fingerspitzen sinusförmige Vibrationsreize im optimalen Frequenzbereich von 200 bis 300 Hz bei Hauteindellungen von nur etwa 1μm erkannt. An Wade und Bauch beträgt die nötige Reizfläche dagegen 5 bis 6 μm (Deetjen & Speeckmann 1999). Der Rumpf verlangt eine Frequenz von mindestens 200 Hz (Sherrik & Cholewiak 1986). Prinzipiell nimmt die Sensibilität für Vibrationsreize in Richtung der Gelenke gegenüber dem Rest des jeweiligen Körperteils zu. Ebenso beeinflusst die Wellenform der Vibration ihre gefühlte Intensität. Am stärksten wirkt die Rechteck-Wellenform, gefolgt von der Dreieck- und der Sinus-Wellenform. Der Vibrationsreiz wird jeweils immer am besten übertragen, wenn sich der Vibrationsmotor in einer festen Verankerung befindet. 2.2 Vibrotaktile Informationskodierung Um komplexe Informationen durch Vibration zu kodieren, ist die Modifikation von Frequenz, Amplitude und Zeitintervall der Vibration möglich, ebenso wie den Wechsel der Reizstelle. 2.2.1 Subjektiv wahrgenommene Reizstärke Je höher die Amplitude einer Vibrationsfrequenz ist, als umso stärker wird die Vibration subjektiv empfunden. Nach Craig (1972) können verschiedene Reizstärken zur Informationskodierung eingesetzt werden. Jedoch sollten nicht mehr als vier Intensitäten, zwischen Wahrnehmungs- und Schmerzschwelle gelegen, verwendet werden (ebenda). Es gibt zwei Möglichkeiten die wahrgenommene Reizstärke zu steigern: x x 2.2.2 die Verstärkung der Intensität nahe der Schwelle (Verrillo et al. 1969), die Vergrößerung der Stimulusfläche (Cholewiak 1979). Frequenz Vibrationsreize mit gleicher Amplitude aber verschiedenen Frequenzen werden als unterschiedlich stark empfunden (Goff 1967). Für die Informationskodierung sollten nicht mehr als neun verschiedene Frequenzen benutzt werden, wobei der Unterschied zwischen zwei Frequenzen mindestens 20% betragen sollte. 2.2.3 Zeitintervall Die Haut besitzt eine hohe Sensibilität gegenüber zeitlich versetzt induzierten Reizen. Sie ist ähnlich stark wie die des auditiven Systems und größer als die des visuellen Systems. Durch den Einsatz eines Aktuators (z.B. einen Vibrationsmotor) kann man demnach mittels Vibrationsmuster Informationen kodieren. Diese Art Muster werden nach Van Erp et al. (2002) als „touchstones“ bezeichnet. Die Pause zwischen Vibrationsreizen muss mindestens 10 ms betragen, um die einzelnen Reize gut voneinander unterscheidbar zu machen (Gescheider 1974, Petrosino & Fucci 1989). Man sollte dabei nicht vergessen, dass Vibrationsmotoren einige Zeit benötigen, bis sie in der gewünschten Frequenz rotieren. 2.2.4 Platzierung am Körper Ein System mit mehreren Aktuatoren kann Informationen kodieren, indem Reize an verschiedenen Stellen des Körpers induziert werden. In diesen taktilen Mehrfachdisplays spielt die Dichte der Aktuatoren eine entscheidende Rolle. Eine besonders hohe räumliche Auflösung für taktile Reize haben zum Beispiel die Finger, die Hände und das Gesicht. Grundsätzlich hat der menschliche Körper eine pauschale räumliche Auflösung von ca. 4 cm, ohne Rücksicht auf die Körperstelle. Für trainierte Benutzer (z.B. Blinde) ist die Auflösung tendenziell höher. 2.3 Die Verständlichkeit vibrotaktiler Interfaces Taktile Nachrichten müssen selbsterklärend sein. In diesem Sinne führte Van Erp (2001) den Begriff „vibrocon“ ein. Einem taktilen Reiz Bedeutung einzuverleiben, ist allerdings schwierig, denn die meisten Menschen sind mit taktilen Signalen nicht vertraut. Weitere Schwierigkeiten werden dadurch erzeugt, dass Menschen nicht dazu fähig sind, taktile Signale über einen längeren Zeitraum hinweg gleichstark wahrzunehmen. Beim Einsatz vibrotaktiler Multidisplays ist es besonders ratsam, darauf zu achten, dass es nicht zu einer Überlagerung und Beeinflussung von Signalen sowie Reizüberflutung kommt (Van Erp 2002). Des Weiteren gibt es für Menschen nur begrenzte Möglichkeiten, die Bedeutung von taktilen Nachrichten zu erlernen. Entwickelt man vibrotaktile Nachrichten, ist es daher ratsam, diese aus bereits bekannten und mit Bedeutung belegten Komponenten aufzubauen. 265 Die Behaglichkeit von vibrotaktilen Reizen 2.4 Taktile Displays wirken naturgemäß direkt an der Haut. Es ist daher äußerst notwendig, dass sie einen hohen Tragekomfort über einen längeren Zeitraum hinweg gewährleisten können, dass sie ergonomisch und dezent sind. Beim Design vibrotaktiler Schnittstellen zu beachten ist, dass Vibrationsmotoren eine starke Hitze generieren können und so Schmerzen oder gar Verbrennungen verursachen könnten. Auf Grund der Tatsache, dass es kaum möglich ist, vibrotaktile Stimuli zu ignorieren, sind gewisse Behaglichkeitsregeln einzuhalten: x x x x x x Ein zu starker taktiler Reiz kann zu Unbehagen und Schmerz führen. Angenehme Stimuli liegen 15 bis 20 dB über der absoluten Reizschwelle. Amplituden von 0,6 bis 0,8 mm werden als Schmerz wahrgenommen. Vibrationen an Hand und Arm angelegt sollten immer reduziert sein. Die kritischsten Frequenzen liegen um 12 Hz, zwischen 1 und 5 m/s². Eine Überbelastung mit starker Vibration kann gesundheitsschädlich sein. 3.0 3.1 Grundaufbau Die konzipierte Navigationshilfe besitzt drei Komponenten (Abb 1), die sich ergänzen und über Bluetooth miteinander kommunizieren: x ein Handy, mit Navigationssoftware, GPS und digitalem Kompass, x x zwei Armbänder mit je zwei vibrotaktilen Einheiten, ein Schrittsensor-Clip zur Befestigung am Schuh. Das Handy stellt die intelligente Schaltzentrale des Systems dar. Seine Navigationssoftware wird durch Daten aus GPS, Kompass und Schrittsensor gespeist. Die Software veranlasst, je nach Position und Bewegung des Benutzers, die notwendigen Navigationshinweise an den vibrotaktilen Einheiten der Armbänder. Die Armbänder werden in einer vorgegebenen Weise angelegt, da die Navigationssoftware die fixierte Position der Vibrationseinheiten voraussetzt. Sie stellen das eigentliche haptische Interface dar. Ihre Aufgabe ist es, Richtungswechselhinweise durch Vibrationsnachrichten zu übermitteln, so dass der Nutzer zum gewünschten Zielort manöv- Konzept der mobilen haptischen Navigationshilfe Die im Folgenden beschriebene konzipierte haptische Navigationshilfe für den mobilen Bereich wurde am Fraunhofer IAO – Competence Center Human-Computer Interaction im Rahmen des EU-Projektes ASK-IT erarbeitet. In ASK-IT wurden verschiedene Technologien für Menschen mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen prototypisch entwickelt, um sie in ihrem mobilen Leben zu unterstützen. Die ursprüngliche Zielgruppe der Navigationshilfe sind Sehbeeinträchtigte, für die bis dato keine haptischen Mobilitätstechnologien marktreif entwickelt wurden, die 266 über eine erweiterte Blindenstockfunktion hinausgehen. Nichtsdestotrotz lagen auch körperlich unbeeinträchtigte Menschen im Blickwinkel dieser Arbeit. Die durchgeführten InitialEvaluationen wurden vorerst nur mit sehenden Testpersonen durchgeführt. Wie bereits erwähnt, könnten auch körperlich unbeeinträchtigte Menschen durch den im Straßenverkehr herrschenden Nutzungskontext von einer haptischen Navigationshilfe profitieren. Abb. 1: Übersicht über die Komponenten der mobilen haptischen Navigationshilfe Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 rieren kann. Die Entscheidung für die physikalische Form der Armbänder basierte auf verschiedenen Gründen: x x x x 3.2 sie wirken immer direkt auf der Haut, egal welche Kleidung der Nutzer trägt, das Handgelenk hat eine hohe räumliche Auflösung und ist sensibel für vibrotaktile Reize, die Platzierung der Reize an den Extremitäten ist ideal für die Kodierung von Richtungen, sie sind optisch dezent. Funktionsweise des vibrotaktilen Interface Die Navigationshinweise beruhen zum großen Teil auf einer Informationskodierung mittels Platzierung am Körper. Weil das System nicht dazu in der Lage wäre, automatisch zu erkennen, wo welche Vibrationseinheit sitzt, muss das Formdesign eindeutig auf das korrekte Anlegen der Armbänder hinweisen. Ebenso sollte es ein Verrutschen verhindern. Die Vibrationseinheiten befinden sich, wie in Abbildung 1 erkennbar, je Arm an der Stelle einer Armbanduhr und direkt gegenüber, bei den Pulsadern. Aufgrund der fixierten Position der Vibrationseinheiten, lassen sich insgesamt acht direkte Bewegungsrichtungen durch ein einfaches Vibrationsmuster darstellen (siehe Abb 2). Um beispielsweise darauf hinzuweisen, dass in einem Winkel von 90 Grad nach links abgebogen werden soll, müssen die Vibrationseinheiten 1 und 2 gleichzeitig für einen bestimmten Moment aktiviert sein. Um, neben der Veranlassung eines Richtungswechsels, weitere komplexe Informationen darzustellen, wurde im Konzept die Kodierung mittels Zeitintervalle verwendet. Es stellt im Vergleich zu den anderen Möglichkeiten, wie beispielsweise die Kodierung durch Abb. 2: Kodierung der Richtungswechselinformationen mittels Platzierung am Körper unterschiedliche Frequenz, eine geringe Herausforderung für den Nutzer dar. In dem entwickelten Konzept wird dem Nutzer ein Countdown für das Abbiegen in eine andere Richtung angeboten. Der Schrittsensor liefert die notwendigen Daten, damit die Vibrationsintervalle mit der Schrittgeschwindigkeit des Benutzers beginnen können. Bei Annäherung an die Kreuzung verändert sich das Tempo der Intervalle. Am Abbiegepunkt angelangt, vibrieren die entsprechenden Motoren dauerhaft, und das so lange bis der Abbiegevorgang abgeschlossen ist. Das korrekte Abbiegen wird danach bestätigt, indem die Richtung „geradeaus“ (Vibrationseinheit 1 und 3) angezeigt wird. Das hier zum Einsatz kommende Prinzip der Richtungswechselanzeige mit abschließender Bestätigung, entspricht den von Arthur und Passini (1990) propagierten und bestätigten Richtlinien für gutes Design von Orientierungssystemen. Des Weiteren schlägt das Navigationssystem Alarm, sobald sich der Nutzer in eine falsche Richtung bewegt. Der Benutzer muss die Erkenntnis des Alarmes durch Betätigung eines Tasters bestätigen. Erst danach folgen Richtungswechselhinweise zum Durchführen der Wegkorrektur. Die Bestätigung gewährleistet eine saubere Trennung der unterschiedlichen Handlungen. Es ermöglicht die einfache Trennung zwischen passiver Informationsaufnahme (z.B. Navigieren mittels Hinweise) und aktiver Informationsabfrage (z.B. Wegkorrektur). Prinzipiell könnte der Taster mit weiteren Funktionen belegt werden. Er befindet sich beim Prototyp auf der linken äußeren Vibrationseinheit. 4.0 Prototyp und Evaluation Im Rahmen des Projektes wurde nur das vibrotaktile Interface, genauer die Navigationsarmbänder, prototypisch umgesetzt. Es folgen eine Beschreibung der technischen Umsetzung und ein Umriss der Evaluation. 267 4.1 Prototyp Für den Bau der Armbänder wurden existierende Technologien verwertet, um sie in den gewünschten Prototyp zu transformieren. Es wurde ein Wizard-OfOz-Prototyp angefertigt, bei dem der Testleiter die Funktion der Navigationssoftware übernimmt und die Navigationshinweise manuell von einem Laptop aus steuert. Außerdem soll erwähnt werden, dass die Methode des Rapid Prototyping als Vorbild diente: es sollten zeitlich und finanziell ökonomisch genügend Erkenntnisse zusammengetragen werden. Grundsätzlich sollte die Funktionalität des konzipierten haptischen Interfaces geprüft, und die Resultate für weitere Entwicklungsschritte bereitgestellt werden. Die Vibrationseinheiten bestehen aus einfachen Plastikgehäusen, in denen jeweils ein Vibrationsmotor, wie er in handelsüblichen Mobiltelefonen vorkommt, eingefasst wurde. Die Bänder sind aus elastischem Material gefertigt und ihr Umfang justierbar. 4.2 Um herauszufinden, inwieweit der Prototyp dazu in der Lage ist, Fußgänger bei der Wegfindung und Navigation durch die Stadt zu unterstützen, wurde ein Wizard-Of-Oz Test mit fünf visuell nicht beeinträchtigten Personen durchgeführt. Der Test fand im verkehrsberuhigten Außengelände der Universität Stuttgart (Vaihingen) und der Universität Weimar statt. Das Testgelände wurde so gewählt, dass von den Probanden keine Rückschlüsse auf die korrekte Durchführung der Aufgaben gezogen werden konnten; bei der Aufgabe nach links abzubiegen, führte im Augenblick des Abbiegens kein Weg nach links. Die Fragestellungen der Evaluation umfassten hauptsächlich: x x x x x Abb. 3: Die prototypischen Navigationsarmbänder, von einer Testperson getragen Um eine kabellose Kommunikation zwischen dem Prototyp und dem TestleiterLaptop zu ermöglichen, wurde auf eine 433-MHZ-Funkverbindung zurückgegriffen, wie sie in Steuergeräten von Spielkonsolen vorkommt. 268 Evaluation 5.0 Können die Vibrationseinheiten voneinander differenziert werden? Ist die Richtungskodierung intuitiv verständlich oder schnell erlernbar? Können einzelnen Vibrationsmustern bestimmte Bedeutungen (z.B. Alarm) zugeordnet werden? Können die Testpersonen mit Hilfe der vibrotaktilen Navigationshinweise navigieren? Unterstützt dabei der Abbiege-Countdown? Welche Probleme treten hinsichtlich der Verständlichkeit und Nutzbarkeit der Navigationshinweise auf? Ergebnisse und Ausblick Während des Projektes und im Zuge der Evaluation zeigte sich, dass weitere Design- und Entwicklungsarbeit nötig ist, um die konzipierten Navigationsarmbänder zu einem ausgereiften Stadium zu bringen. Insbesondere im Produktdesign schlummert noch einiges Potenzial zur Verbesserung der Ergonomie und des Trage- komforts, der Robustheit sowie der Übertragung der Vibration auf die Haut. Ferner stellte sich heraus, dass die Vibrationsstärke vom Benutzer veränderbar sein muss. Er sollte auch die Funktionalität des Navigationssystems entsprechend seiner Wünsche anpassen können. Des Weiteren scheint eine individuelle Auswahl der zu verwendenden Vibrationsmuster möglich. Beispielsweise scheint es höchst angebracht, dass der Abbiege-Countdown ein- oder ausgeschaltet werden kann, denn die Meinungen der Testpersonen darüber variierten sehr. Das Alarmsignal wurde durch seine Ähnlichkeit zu akustischen Alarmen (abwechselnd Vibration an und aus) sofort verstanden, was darauf hinweist, dass bekannte Muster aus anderen Wahrnehmungsbereichen beim Design von Vibrationsmustern zu Rate gezogen werden können. Nichtsdestotrotz konnte die Evaluation zeigen, dass das Konzept der haptischen Navigationshilfe grundsätzlich funktioniert. Die Vibrationseinheiten konnten größtenteils differenziert werden. Auch die Richtungskodierung wurde verstanden und als nachvollziehbar bewertet. Zudem hat sich offenbart, dass, auch wenn Vibrationsmuster nicht sofort verstanden werden, ihre Bedeutung erlernt werden kann. Prinzipiell könnten noch komplexere „vibrocons“ entwickelt werden. Wichtig dabei ist, dass die Muster ausreichend verschieden sind und die Anzahl nicht die Erinnerungs- und Leistungsfähigkeit des Nutzers übersteigt. Die freie Navigation gemäß der Navigationshinweise bedurfte einiger Übung, jedoch verbesserte sich die Performance der Probanden mit jedem Durchgang, so dass auf eine erlernbare Nutzung geschlossen werden kann. Da als Testpersonen nicht-blinde Menschen eingesetzt wurden, bedarf es weiterer Evaluation mit Blinden, um die Gül- Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 tigkeit der Ergebnisse für diese Zielgruppe auszudehnen. Trotzdem wurde deutlich, dass selbst Menschen, die taktile Informationen normalerweise nicht verwenden, ihre Nutzung erlernen könnten. Schlussendlich ist zu sagen, dass dieses Projekt nur den Anfang der Entwicklung einer haptischen Navigationshilfe darstellt. Weitere Entwicklungsschritte sind erforderlich. So scheint die Zielgruppe der Fahrradfahrer, aufgrund ihres Nutzungskontextes, ebenso möglich. Danksagung Ich danke dem Fraunhofer IAO für die Ermöglichung des Projektes und Cornelia Hipp für die Betreuung. Zudem danke ich Prof. Jens Geelhaar für die Unterstützung seitens der Bauhaus-Universität Weimar. 6.0 Literaturverzeichnis Arthur, P.; Passini, R. (1990): Wayfinding: People, Signs, and Architecture. Toronto: McGraw-Hill Ryerson. Cholewiak, R.W. (1979): Spatial factors in the perceived intensity of vibrotactile patterns. Sensory Processes, Vol. 3, S. 141-156. Craig, J.C. (1972): Difference threshold for intensity of tactile stimuli. Perception & Psychophysics, Vol. 11, Nr. 2, S. 150-152. Deetjen, P.(Hrsg.); Speckmann, E.-J.(Hrsg.) (1999): Physiologie. 3. Auflage. München: Urban & Fischer. Gescheider, G.A.; Bolanowski, S.J.; Verillo, R.T.M Arpajian, D.J.; & Ryan, T.F. (1990): Vibrotactile intensity discrimination measured by three methods. Journal of the Acoustical Society of America, Vol. 87, Nr. 1, S. 330-338. Goff, G.D. 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Birmingham: University of Birmingham. 269 "Luftmäuse" – berührungslose „Multipointing-Interaktion“ Paul Chojecki Fraunhofer-Institut für Nachrichtentechnik, Heinrich-Hertz-Institut Interactive Media - Human Factors Einsteinufer 37 10587 Berlin [email protected] www.iPointPresenter.de Ulrich Leiner Fraunhofer-Institut für Nachrichtentechnik, Heinrich-Hertz-Institut Interactive Media - Human Factors Einsteinufer 37 10587 Berlin [email protected] www.hhi.fraunhofer.de/im Abstract Heutzutage stehen dem Nutzer bereits viele verschiedene Möglichkeiten der Mensch-Computer-Interaktion zur Verfügung. Dennoch wird weiterhin nach neuen Lösungen gesucht, da immer noch Aufgaben und Nutzungskontexte bestehen, für die keine optimalen Eingabegeräte vorhanden sind. Ein Trend der letzten Zeit sind sicherlich Multi-Touch-Benutzerschnittstellen. Diese Technologie wurde nicht ausschließlich von Apple vorangetrieben, ist aber durch die Einführung von Apples jüngster Produktlinie in hohem Maße bekannt geworden. Doch was könnte der nächste Schritt sein, der über das Berühren 1.0 Einleitung Um 1964 erfand das Team um Douglas C. Engelbart und William English den „X-Y-Positions-Anzeiger für ein Bildschirmsystem“ und veränderte damit maßgeblich die Interaktion zwischen Menschen und Computern. Durch das Gerät, das heute als (Computer-) Maus bekannt ist, sind wir es gewohnt, einen Mauszeiger bzw. Cursor auf dem Bildschirm durch Bewegungen der Maus zu steuern. In Verbindung mit Maustasten können Eingaben wie Klicken, Greifen, Verschieben und Scrollen ausgelöst werden. Diese Grundfunktionen haben bereits mehrere Generationen von Mensch-Maschine-Schnittstellen geprägt und die Entwicklung von grafischen User-Interfaces (GUI) vorangetrieben. Durch neue Anforderungen, Ideen und technologische Möglichkeiten kann seit 1964 nicht nur eine Evolution der Com- 270 von Bildschirmen hinausgeht, um eine bessere Mensch-Computer-Interaktion zu ermöglichen? In diesem Beitrag wird ein Ansatz des Fraunhofer-Instituts für Nachrichtentechnik / Heinrich-Hertz-Institut vorgestellt: Videokameras und Algorithmen zur Bildanalyse und Objekterkennung ermöglichen eine nicht-invasive, also berührungs-, und markerlose Interaktion zwischen Anwender und Computer. Der Nutzer kann Eingaben durch einfache Handgesten tätigen, da das System die Raumkoordinaten eines oder mehrerer Finger des Nutzers erkennt. Mit solchen „Multipointing“- Eingabedaten kann einerseits die MausBedienung substituiert werden, darüber hinaus eröffnen diese viele neue Optionen für die Mensch-MaschineInteraktion. Die hier vorgestellte Untersuchung beschäftigt sich mit einer für „Luftmäuse“ grundlegenden Fragestellung: Welche Geste ersetzt den Mausklick besser, ein Zeitschwellwert oder eine Vorwärtsbewegung des zeigenden Fingers? Keywords Mensch-Computer-Schnittstellen, Eingabegeräte, berührungslos, Multipointing, Mausersatz putermaus, sondern auch die Entwicklung von neuen Eingabe-, bzw. Zeigegeräten beobachtet werden. Ein UITrend der letzten Jahre waren (Multi-) Touchscreens wie zuletzt der „Surface“ von Microsoft oder das iPhone von Apple. Touchscreens haben im Vergleich zur Mausinteraktion den Vorteil, dass die Eingabefunktion direkt in den Bildschirm integriert ist. Ein- und Ausgabebereich verschmelzen; es ist keine verzerrende Abbildung der Maus- in die Cursorbewegung nötig, ja ein zusätzliches Eingabegerät fällt komplett weg. Geräte bedienen müssen, ohne sie wegen der Sterilitätsanforderung berühren zu dürfen. Hier, wie auch in einigen anderen Szenarien, wäre eine berührungslose (Gesten-) Steuerung eine gute Eingabemöglichkeit. Daher beschäftigt sich das Team "Interaktive Medien - Human Factors" des Fraunhofer-Instituts für Nachrichtentechnik seit längerem mit dieser Fragestellung und hat mehrere einsatzreife Lösungen realisiert. In diesem Paper vergleichen wir erstmals zwei dieser Interaktionskonzepte bezüglich ihrer Usability in einem Nutzertest. Doch auch diese Lösung birgt Bediennachteile und deckt nicht alle Anforderungen und Nutzungsszenarien ab. Die Suche nach neuen Arten der Interaktion für GUIs geht weiter. 2.0 Untersuchungsgegenstand: Berührungslose Interaktion 2.1 Technische Umsetzung Stellen wir uns den Nutzungskontext OP-Saal vor, in dem Ärzte komplexe Unsere Arbeiten basieren auf dem HHI Handtracker, einem nicht-invasiven, videobasierten System zur schnellen und robusten Erkennung und Verfolgung Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 von Fingern. Der HHI Handtracker ist in der Grundversion mit 2 Kameras ausgestattet, die orthogonal zum Bildschirm angebracht sind, also die Hand von oben oder unten aufnehmen. Seine Bildverarbeitungs-Software erkennt aus den Kamerabildern in Echtzeit die Position eines oder mehrerer Finger im Raum. Diese zeitabhängigen 3D-Koordinaten können dann an beliebige Applikationen weitergegeben und von diesen interpretiert werden. Abb. 1: Handtracker-Hardware mit 2 Kameras Dabei können sowohl die aktuellsten Datensätze als auch ganze Zeitreihen verwendet werden. Letztere ermöglichen die Beschreibung und Analyse komplexer Gesten. 2.2 Interaktionskonzepte Auf diesen Koordinatendaten haben wir verschiedene Bedienaktionen aufgesetzt, die von der Computermaus oder dem Touchscreen her etabliert sind: Die Grundaktion ist die Steuerung des Mauszeigers. Der Nutzer kann den Cursor per Fingerzeig bewegen. Bewegungen zum Bildschirm hin oder von ihm weg werden nicht ausgewertet. Eine Translation und Skalierung der Rohdaten ist möglich und hat sich als wesentlich für eine ermüdungsarme Bedienung erwiesen. Die Auswahl, die typischerweise mit einem Klick der linken Maustaste durchgeführt wird, haben wir auf zwei unterschiedliche Arten modelliert: Durch Zeitsteuerung, d.h. der Cursor muss eine bestimmte Mindestzeit über einem selektierbaren Element gehalten werden, oder durch Klicken in der Luft, wobei der Finger in einer bestimmten Zeit eine Mindestbewegung in Richtung Bildschirm über einem selektierbaren Objekt ausführen muss. Diese beiden Methoden wurden in dem Test verglichen und näher untersucht. Darüber hinaus haben wir komplexere Interaktionen wie Klick, Grab und Release bzw. Drag & Drop in Luftgesten übertragen. Das Interaktionskonzept beruht dabei auf einer Metapher aus der natürlichen Umwelt, in der Objekte wie z.B. Fotos auf einem Tisch liegen. In der virtuellen Umgebung werden die Objekte auf einem Display dargestellt. Streckt der Nutzer seine(n) Finger aus, kann er auf diese Objekte - mit dem Mauszeiger - zeigen. Wird der Finger nach vorne, also in Richtung des Objektes auf dem Bildschirm bewegt, kann dieses Objekt berührt werden, genauso wie wenn man ein Objekt auf einem realen Schreibtisch berühren würde. Damit kann man das Objekt über den Tisch bewegen und wieder loslassen. Die virtuelle Berührung erfolgt, indem der Nutzer mit seinem Finger eine virtuelle Wand durchsticht und damit vom Zeige-Modus in den Greif-Modus wechselt. Diese Aktion wird durch ein auditives und visuelles Feedback unterstützt. Abb. 2: Aufbau des Testsystems mit einem 63“ Plasmabildschirm und dem HHI Handtracker über der Hand des Nutzers. Schließlich haben wir auch das Erkennen und Zusammenwirken mehrerer Finger genutzt, um Rotations- und Skalierungsaktionen ähnlich wie bei Apples iPhone zu implementieren. Dazu haben wir die Greif-Geste mit der Erkennung zweier Finger kombiniert. Das so gegriffene Objekt kann durch die Relativbewegung der Finger zueinander skaliert oder rotiert werden. 3.0 Untersuchung 3.1 Ziele Das Klicken ist bei GUIs eine der wichtigsten Funktionen. In unserem Interaktionskonzept werden durch Mausklicks Buttons aktiviert bzw. Objekte über sensitive Bereiche „berührt“. Ziel dieser Untersuchung ist ein erster empirischer Vergleich zwischen zwei „Gesten“ (Klicken durch Warten vs. Klicken durch Bewegen), die unserer Meinung nach für den Mausklick geeignet sind. 3.2 Methode Um die beiden Klickvarianten zu untersuchen wurde ein Messwiederholungsdesign mit randomisierter Abfolge der Bedingungen angewandt. Jede Versuchsperson (VP) hat beide Klickvarianten nacheinander getestet und bewertet. Im ersten Durchgang haben zwölf VPN durch Warten, acht VPN durch Bewegen geklickt. Im zweiten Durchgang entsprechend umgekehrt. Jede VP sollte vor der Untersuchung und Einweisung in die zu testende Technologie zunächst schildern, wie sie einen auf dem Bildschirm gezeigten Button berührungslos drücken würde. Folgende abhängigen Variablen wurden erfasst: 1. Lernzeit: Jeder VP wurde die jeweilige Klickvariante erklärt, bevor die VP selbst diese Variante solange testen konnte, bis sie der Meinung 271 2. 3. 4. 272 war, dass Sie dieses Klickkonzept verstanden hat. Die Dauer des Explorierens bzw. Lernens wurde dabei erfasst. Genauigkeit: Auf dem Bildschirm waren fünf rechteckige Buttons dargestellt. Diese Buttons zeigten ein Kreuz und befanden sich in der Mitte, sowie in den vier Ecken des Bildschirms. Die VP hatte die Aufgabe, genau in die Mitte des Buttons zu klicken. Es wurde der Radius der Abweichung vom Mittelpunkt des Buttons in Pixel erfasst. Minimale Buttongröße: Auf dem Bildschirm wurden Gruppen von Buttons (3 x 3 Buttons) in 11 verschiedenen Größen gezeigt. Die kleinsten Buttons waren 10 x 10 Pixel, die größten waren 60 x 60 Pixel groß. Der Unterschied zwischen den Buttons zweier benachbarter Gruppen betrug immer genau fünf Pixel. Die VP hatten die Aufgabe, die Buttongruppe zu benennen, bei welcher sie den mittleren Button a) noch bequem mit dem Mauszeiger treffen konnte (Bedingung Zielen) und b) noch bequem anklicken konnte. Es sollte jeweils die Gruppe mit der minimal-akzeptablen Buttongröße genannt werden. Subjektive Zufriedenheit: nach beiden Durchgängen musste jede VP einen Fragebogen zur subjektiven Zufriedenheit mit der soeben ausprobierten Klickvariante ausfüllen. Der Fragebogen enthielt Aussagen wie: „Es war mühsam, auf die Buttons zu klicken“, oder „Diese Bedienart würde ich auch bei anderen Diensten wieder nutzen“, die auf einer Skala von 1 (trifft zu) bis 7 (trifft nicht zu) bewertet werden sollten. Das neunte Item war eine siebenstufige Kunin-Skala (Kunin, 1955). Auf dieser Skala werden mit Smilies sieben verschiedenen Gesichtsaudrücken dargestellt, die verschiedene Zufriedenheiten ausdrücken sol- 5. 3.3 len. Ursprünglich wurde diese Skala für eine „Ein-Item“ Erfassung der Arbeitszufriedenheit konzipiert, wird heute aber auch in anderen Bereichen reliabel angewandt. In dieser Untersuchung erfassen wir damit die Gesamtzufriedenheit der VP mit einem Versuchsdurchgang. Dauer der Aufgabenbearbeitung: Dauer für die Bearbeitung einer einfachen Klickaufgabe, bei der die VP in einem Hauptmenü ein Untermenü öffnen und den zweiten Untermenüpunkt anklicken sollte. Versuchspersonen Fünf Frauen und 15 Männer haben an der Untersuchung teilgenommen. Die jüngste VP war 21 Jahre alt, die älteste 61 Jahre alt. Der Altersdurchschnitt lag bei 32 Jahren (SD = 11,32). Die Versuchspersonen hatten leicht überdurchschnittliche Computerkenntnisse. Für die Teilnahme an der 30-minütigen Untersuchung wurde keinerlei Aufwandsentschädigung geleistet. 4.0 Ergebnisse 4.1 Signifikante Unterschiede 4.1.1 Lernzeit Bezüglich der AV Lernzeit konnte ein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Klickvarianten festgestellt werden (t = -2,109; p = .048; df = 19). Die VPN lernten das Klicken durch Warten (M = 31,60; SD = 26,84) ca. 20 Sekunden schneller als das Klicken durch Bewegen (M = 51,80; SD = 30,98). 4.1.2 Genauigkeit nifikant genauer (t = 4,558; p = .000; df = 18) als beim Klicken durch Bewegung (M = 16,32; SD = 4,02). 4.1.3 Minimale Buttongröße beim Klicken Die Angaben zu der minimalen Buttongröße für das Klicken waren in der Bedingung Klicken durch Warten (M = 2,95; SD = 1,05) mit ca. 20 x 20 Pixel signifikant kleiner (t = -7,033; p = .000; df =19) als in der Bedingung Klicken durch Bewegen (M = 4,65; SD = 1,46) mit ca. 30 x 30 Pixel. 4.1.4 Subjektive Zufriedenheit Ein hoch signifikanter Unterschied (t = 5,311; p = .000; df =19) konnte hinsichtlich der subjektiven Zufriedenheit beobachtet werden. Auf der siebenstufigen Skala lag die mittlere Zufriedenheit in der Bedingung Klicken durch Warten mit M = 5,35 (SD = 1,09) höher als die Zufriedenheit mit dem Klicken durch Bewegen (M = 4,00; SD = 1,52). 4.2 Keine (signifikanten) Unterschiede 4.2.1 Zeit für die Aufgabenbearbeitung Hinsichtlich der Zeit für die Aufgabenbearbeitung gab es keinen Unterschied zwischen den Klickvarianten. Beim Klicken durch Warten brauchten die VPN durchschnittlich M = 6,1 Sekunden (SD = 2,10), beim Klicken durch Bewegen durchschnittlich 7,1 Sekunden (SD = 3,17). 4.2.2 Minimale Buttongröße beim Zielen Die Angaben zu der minimalen Buttongröße für das Zielen waren in der Bedingung Klicken durch Warten (M = 2,95; SD = 1,15) mit ca. 20 x 20 Pixel nicht unterschiedlich von der Bedingung Klicken durch Bewegen (M = 2,95; SD = 0,76). Beim Klicken durch Warten (M = 12,43; SD = 3,30) waren die VPN sig- Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 4.3 Weitere Ergebnisse 4.3.1 Die intuitive Klickgeste Im Hinblick auf die erste Frage nach einer „intuitiven“ Geste für das berührungslose Drücken eines WindowsButtons haben 12 VPN eine Geste gezeigt, die genauso oder sehr ähnlich wie die o.g. Klickart „Klicken durch Warten“ aussah. Drei VPN haben eine Geste gezeigt, die der o.g. „Klicken durch Bewegen“-Variante entsprach. Fünf Personen haben andere Gesten gezeigt. 4.3.2 Reihenfolgeeffekte Da bei dem zugrunde liegenden Untersuchungsdesign Reihenfolgeeffekte erwartet werden können, wurden die Daten auf solche Effekte hin untersucht. Es konnten fünf signifikante Effekte gefunden werden. Die Lernzeit für das Klicken durch Bewegen fiel um 32,42 Sekunden länger aus (t = -2,624 p = .012; df = 18), wenn die VPN diese bereits im ersten Durchgang lernten (M = 71,25; SD = 24,81). Für die Angabe über die minimale Buttongröße beim Zielen für die Klickart Warten konnte ein positiver „Lerneffekt“ gefunden werden (t = 2,527; p = .021; df = 18). Haben die VPN die Klickart Warten im ersten Durchgang ausprobiert, fiel deren Einschätzung der minimalen Buttongröße fürs Zielen größer aus (M = 3,42; SD = 1,08) als bei den VPN, die bereits einen Durchgang mit der anderen Klickart hinter sich hatten (M = 2,25; SD = 0,89). Dieser Effekt kann ebenfalls für die Angaben zur minimalen Buttongröße für das Klicken mit der Klickart Warten (t = 2,856; p = .010; df = 18) festgestellt werden. Die VPN ohne vorherige Übung mit der anderen Klickart wollten größere Buttons fürs Klicken (M = 3,42; SD = 1) als die VPN, die bereits einen Durchgang hinter sich hatten (M = 2,25; SD = 0,71). Für die minimale Buttongröße fürs Klicken mit der Klickart Bewegen gibt es einen umgekehrten Effekt (t = 2,556; p = .020; df = 18). Die VPN, die im ersten Durchgang mit der Klickart Waten beginnen und erst danach die Klickart Bewegen kennen lernen, wünschen sich größere Buttons (M = 5,25; SD = 1,48) als die VPN, die direkt mit der Klickart Bewegen beginnen (M = 3,75; SD = 0,89). Bei der Gesamtzufriedenheit mit der Klickart Bewegen konnte ebenfalls ein signifikanter Reihenfolgeeffekt gefunden werden (t = -2,798; p = .012; df = 18). Haben die VPN zuerst das Klicken durch Warten kennen gelernt, so bewerteten sie das Klicken durch Bewegen deutlich schlechter (M = 3,33; SD = 1,371) als die VPN, die im ersten Durchgang mit der Klickart Bewegen begonnen haben (M = 5,00; SD = 1,195), also keine Vorerfahrungen mit der anderen Klickart hatten. 5.0 Diskussion In vier von sechs erfassten Variablen konnten signifikante Unterschiede zwischen den beiden Klickvarianten festgestellt werden. In diesen vier Fällen schneidet die Variante Klicken durch Warten immer besser ab als das Klicken durch Bewegen. Der gravierendste Unterschied besteht, unserer Meinung nach in der Lernzeit. Um mit der Variante Klicken durch Bewegen zurecht zu kommen, brauchten die VPN durchschnittlich 20 Sekunden länger. Das entspricht auch unserer Erfahrung und dem von uns vorgeschlagenen Einsatzgebiet für die beiden Gesten. Das Klicken durch Warten ist einfacher zu verstehen und auch genauer, insbesondere für Novizen. Wir haben deshalb diese Variante für Systeme vorgeschlagen und realisiert, die z.B. im öffentlichen Bereich verwendet werden. In dem Kontext sind die Nutzer meist Novizen und die Lernzeit sollte so gering wie möglich sein, um eine effektive, effiziente und zufriedenstellende Nutzung zu ermöglichen. Die Bearbeitungszeit der einfachen Klickaufgabe zeigt jedoch, dass, wenn die Nutzer das Konzept des Klickens durch Bewegen verstanden haben, es bei einfachen Aufgaben genauso gut angewendet werden kann. Die gefundenen Reihenfolgeeffekte deuten auf die bekannte Problematik des Messwiederholungsdesigns hin. Inhaltlich unterstützen diese Effekte aber die bereits erwähnten Vorteile des Klickens durch Warten. Beispielweise ist die subjektive Zufriedenheit der VPN mit dem Klicken durch Bewegen deutlich geringer, wenn diese VPN bereits die allgemein favorisierte Klickart durch Warten kennen gelernt haben. Andererseits kann aber nicht behauptet werden, dass die Kenntnis der Klickart durch Bewegen die subjektive Zufriedenheit mit dem Klicken durch warten beeinflussen würde. Der Reihenfolgeeffekt hinsichtlich der minimalen Buttongröße fürs Klicken (Klicken durch Bewegen) deutet darauf hin, dass diese Klickart möglicherweise durch das Messwiederholungsdesign schlechter bewertet wurde, als es tatsächlich der Fall ist. Hier scheinen sich die VPN, die diese Klickart im ersten Durchgang kennen lernen sicherer zu fühlen da sie kleinere Buttons wählen als VPN, die erst das Klicken durch Warten ausprobieren. Die Kenntnis der „besseren“ Klickgeste (Klicken durch Warten), scheint die negativen Wertungen der „schlechteren“ Klickgeste (Klicken durch Bewegen) zu verstärken. Das Klicken durch Bewegen hat zudem in der Bewertung unter einigen technisch-ergonomischen Problemen gelitten, die in der nächsten Version des Systems behoben werden sollten. Das Klicken durch Bewegen sollte z.B. nicht 273 auf einer Linie, senkrecht zum Display, sondern auf einem Bogen geschehen, dessen Mittelpunkt der Nutzer ist. Das ist ergonomischer bzw. entspricht einer natürlichen Bewegung. Weiterhin sollte der Nutzer bzgl. der unsichtbaren Bereiche in denen er klicken oder nur den Mauszeiger bewegen kann, ein eindeutiges Feedback erhalten. Unserer Ansicht nach, ist das Klicken durch Warten einfacher zu erlernen und zunächst auch genauer. Es scheint auch, zumindest für einfache Klickoperationen auch intuitiver zu sein als das Klicken durch Bewegen (siehe Absatz 4.3.1 Die intuitive Klickgeste). Das Klicken durch Bewegen hat allerdings den Vorteil, dass der Nutzer eine aktive Eingabe macht (bewegen vs. warten) um einen Befehl auszuführen. Das entspricht eher den bekannten Konzepten aus der Computerwelt (Drücken einer Maus-, Tastaturtaste) aber auch aus unserer natürlichen Umwelt (Drücken eines Lichtschalters). Weiterhin ist solch eine aktive Eingabe besser um Fehlbedienungen zu vermeiden. Aus diesem Grund sind wir der Meinung, dass das Klicken durch Bewegen weiterhin verfolgt werden sollte und in einigen Nutzungskontexten, z.B. in Expertensystemen, die eine komplexere Interaktion erfordern ggf. vorteilhafter sein könnte. Diese und weitere Fragestellung, die aus den ersten Ergebnissen resultieren, als auch die hier erwähnten methodischen und konzeptionellen Probleme werden in weiteren Arbeiten evaluiert. 274 Weiterhin ist uns bewusst, dass der hier untersuchte Lösungsansatz erst einen Bruchteil der Interaktionsmöglichkeiten durch berührungslose Gesten abdeckt. Unser Ziel war es zunächst eine der wichtigsten Nutzeraktionen, den Klick, genauer zu untersuchen. Der Ansatz der berührungslosen Interaktion hat jedoch ein über den Transfer von Maus- und Touchaktionen weit hinausgehendes Potential. Z.B. können die Zahl der ausgestreckten Finger und deren Bewegung zur Basis einer umfangreichen Gestensprache ausgebaut werden. Aus diesem Grund werden wir dieses Thema sowohl hinsichtlich der Verbesserung der Technik als auch der Usability weiter vorantreiben. Danksagung Für die tatkräftige Unterstützung bei der Untersuchung bedanken uns herzlich bei Jasmin Heumann, Christian Gali, Wolfgang Reiner und Dr. Lothar Mühlbach. 6.0 Literaturverzeichnis Engelbart, D.; English, W. (1968): A Research Center for Augmenting Humans Intellect. AFIPS Conference Proceedings, Vol. 33, S. 395-410. 7.0 Weiterführende Literatur und Links Hopf, K.; Chojecki, P.; Neumann, F.; Przewozny, D. (2006): Novel autostereoscopic single-user displays with user interaction. Proceedings of SPIE, Vol. 6392, October 2006. Maggioni, C. (1995): Gesture Computer New Ways of Operating a Computer. Proceedings of International Conference on Automatic Face and Gesture Recognition, S. 166–171. Nickel, K.; Stiefelhagen, R. (2007): Visual recognition of pointing gestures for humanrobot interaction. Image and Vision Computing, Vol. 25, Nr. 12, S. 1875-1884. Yamamoto, Y. et al. (2004): Arm-Pointing Gesture Interface Using Surrounded Stereo Cameras System. Proceedings of the Pattern Recognition, 17th International Conference on (ICPR'04), Vol. 4, S. 965-970. http://www.hhi.fraunhofer.de/de/abteilungen/i m/produkte-unddienstleistungen/beruehrungsloseinteraktion.html http://www.igesture.org/: A General Gesture Recognition Framework http://www.healthypointers.no/confluence/disp lay/hp/Home http://naturalinteraction.org Kunin, T. (1955), The construction of a new type of attitude measure. Personal Psychology 8 (1955) 39-47 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 U ser-Centere d - D e s i g n un d S o ftw are Ent w i c k l u n g 275 276 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Erfahrungen zur praktischen Anwendung eines ganzheitlichen Usability Engineering im Kontext der klassischen IT Systementwicklung und Prozessreifung Michael T. Offergeld Daimler AG, Research & Development Wilhelm-Runge-Strasse 11 89081 Ulm [email protected] Abstract Usability Engineering (UE) versteht sich weitläufig als eigenständige Disziplin mit einer Vielzahl an Methoden und Verfahren zur Entwicklung nutzergerechter und gebrauchstauglicher IT Systeme. Nach eigenen langjährigen Erfahrungen mangelt es aber immer noch an ausreichend Akzeptanz sowohl im Kontext klassischer System- und Softwareentwicklungsprojekte, als auch im Kontext der Reifung von Entwicklungsorganisationen. 1.0 Einleitung Usability Engineering (UE) bietet als eigenständige Disziplin eine Vielzahl an Methoden und Verfahren zur Entwicklung informationstechnischer (IT) Systeme. Wendet man diese Methoden im Kontext großer IT Entwicklungsprojekte konsequent über den gesamten Systementstehungs- und Lebenszyklus an, wie innerhalb der Daimler AG in den vergangenen 15 Jahren geschehen, so bieten sie in ihrer Gesamtheit einen enormen Nutzen sowohl für die Qualität des finalen Systems, für die Qualität des zugehörigen Entwicklungsprojekts als auch für die Reife der zugehörigen Entwicklungsorganisation. Dennoch fällt es auch heute noch schwer, UE als anerkannte Kompetenz im Unternehmen zu verankern. Häufig werden die Möglichkeiten von Usability Engineering schon von der Begrifflichkeit her unterschätzt oder missverstanden. Hier beherrschen Themen wie Projektund Qualitätsmanagement, Requirements Engineering, Software Realisierung, Produktintegration und Test die Szene und die Aufmerksamkeit von Entscheidern. Einen Ausweg aus diesem Dilemma könnte die Betrachtung von UE genau aus diesem Blickwinkel klassischer Management und Engineering Themen sein: Usability Engineering – einmal aus einem anderen Blickwinkel betrachtet Keywords Der vorliegende Beitrag beleuchtet wesentliche Erkenntnisse, vermittelt Eindrücke und Beobachtungen, gibt Erklärungen und zeigt mögliche Wege für die Zukunft von UE im industriellen Umfeld auf. Dabei wird ausgehend von eigenen Erfahrungen auf folgende Schwerpunkte eingegangen: UE in unternehmensinternen Entscheiderkreisen wirksamer als Lieferant von Lösungen für zahlreiche Projektmanagement und Engineering Aspekte aufzugreifen. Aber nicht als gesondert bzw. losgelöst zu betrachtende Disziplin, sondern als Ergänzung klassischer Management- und Engineering Themen. x x x x x x Begrifflichkeiten rund um Usability, beobachtete Missverständnisse Beitrag und Nutzen eines ganzheitlichen und durchgängigen UE Die Querschnittlichkeit von UE – und Konsequenzen daraus Die weitläufig bekannte Welt der System- und Softwareentwicklung Reifung von Entwicklungsorganisationen UE aus dem Blickwinkel klassischer System Management und Engineering Themen Ziel ist es, den Lesern die Bedeutung und Einsatzbreite des Themas UE im Kontext von Systementwicklungsprojekten darzulegen. Es soll vor allem ein Anstoß dafür gegeben werden, das Usability Engineering, Gebrauchstauglichkeit, Ergonomie, System und Software Engineering, Entwicklung von IT Systemen, V-Modell XT, Prozessreife, CMMI, Systemqualität 2.0 Systems Engineering: typische Phasen der Systementwicklung Als Basis für die weitere Diskussion werden nachfolgend die typischen Phasen und Aktivitäten einer Systementwicklung genannt: x x x Produktidee mit Kosten/Nutzenanalyse, Ist-Stand-Analyse (z.B. Betrachtung von Altsystemen, Wettbewerbersystemen) Projektvorbereitung mit Vorprojektphase zur Lastenhefterstellung, Projektausschreibung, Projektplanung Anforderungsspezifikation auf Basis des Lastenhefts (= Grobanforderungen des Auftraggebers), Erstellung 277 des Pflichtenhefts durch den Auftragnehmer (Entwicklungsbereich) Systemgrob- und -feinentwurf (HW und SW) mit Definition von Leistungsmerkmalen/Systemarchitektur Implementierung und Test Systemintegration, Integrationstests Überleitung in die Nutzung mit Pilotierung, Schulung, Rollout Operativer Systembetrieb/-pflege x x x x x Darüber hinaus seien noch projektübergreifende Unterstützungsaktivitäten wie Projektmanagement, Lieferantenmanagement, Qualitätsmanagement und Dokumentation genannt. Usability Engineering (UE) 3.0 Unter UE verstehen wir hier ein Referenzmodell für die systematische, ganzheitliche und durchgängige Entwicklung und Pflege nutzer- und aufgabengerechter, gebrauchstauglicher interaktiver Systeme. Es beinhaltet eine Vielzahl an Methoden und Verfahren, die sich an den eben genannten klassischen Systementwicklungsphasen orientieren (DATech 2008). In dieser Form ist UE in zahlreichen Anwendungsdomänen innerhalb der Daimler AG zur Unterstützung von IT Systementwicklungsprojekten eingeführt und praktiziert worden. Dabei sind vielfältige Erfahrungen gemacht worden. Ergonomie, Usability & Co. 3.1 Es existiert eine Vielzahl an Begrifflichkeiten rund um das Thema UE. Versucht man, zu beschreiben, worum es sich hier handelt, ist etwa die Rede von Dingen wie x x x x x x Gestaltung ergonomischer Systeme Sicherstellung der Gebrauchstauglichkeit von Systemen Entwicklung nutzergerechter und Aufgaben-angemessener Systeme Gewährleistung möglichst hoher Nutzer- und Nutzungsakzeptanz Erhebung von User Requirements Absicherung der Qualität durch entwicklungsbegleitende Usability Tests 278 x Benutzerbeteiligung UE wird leider häufig auf eine „weiche“ Disziplin reduziert, die sich mit Themen wie „Nutzer zufrieden stellen“, „Knöpfchen rot oder grün färben“, „Wünsche der Anwender abfragen und berücksichtigen“ und „Grafiken oben oder unten positionieren“ befasst. Themen also, die in der „harten“ Welt der Systementwicklung, in der es um Entwicklungsressourcen, Zieltermine, Meilensteine und Systemqualitäten geht, eher nachrangige Bedeutung haben, jedenfalls dann, wenn es im Projekt „eng“ wird. Wir haben hier also ggf. ein Begrifflichkeitsproblem: „Usability Engineering“ ist als eigene Disziplin vom Wording her nicht so bekannt, prominent / anerkannt wie etwa die Themen Projektmanagement, Qualitätsmanagement, Risikomanagement, Lieferantenmanagement, Änderungsmanagement, Requirements Engineering, SWRealisierung, Systemintegration und Systemtest. 3.2 Ganzheitliches und durchgängiges Usability Engineering In zahlreichen Projekten haben wir es nach gewisser Zeit geschafft, UE als ganzheitliche und durchgängige Unterstützung der IT Projekte einzuführen. Eine interessante Erkenntnis war vor allem, dass UE als Referenzmodell für die Entwicklung interaktiver IT Systeme nicht nur Methoden und Verfahren für Entwicklungs- / Herstellerorganisationen, sondern auch für klassische Auftraggeberorganisationen (und dazu zählen viele DaimlerFachbereiche, die IT Systementwicklung nach Extern beauftragen) zur Verfügung stellt. UE liefert für nahezu alle in Abschnitt 2.0 genannten Phasen und Aktivitäten der Systementwicklung sehr wertvolle Unterstützung. In der operativen Praxis (vor allem, wenn das Thema an neue Fachbereiche ohne UE Vorkenntnisse herangetragen wurde) werden aber Usability Experten typischerweise eher zu Themen der User Interface Gestaltung gefordert, und das oft erst in späten Phasen des Projekts, wenn schon fast alle Benutzungsoberflächen implementiert wurden oder gar das System schon in den operativen Betrieb überführt wurde. Den Idealzustand eines ganzheitlichen und durchgängigen UE kennzeichnet daher eine kontinuierliche Projektunterstützung durch UE Aktivitäten beginnend schon bei der Projektvorbereitung, über die Anforderungsanalyse, den Systementwurf, die Implementierung, den Modul- und Systemtest bis hin zur Überleitung in die Nutzung und sogar Unterstützung der operativen Phase des eigentlichen Systembetriebs. Aber: Einen verantwortlichen Fachbereich dazu zu bringen, UE ganzheitlich in diesem Sinne zu leben, ist ein harter und steiniger Weg. Nicht selten wird schon in Folgeprojekten alles wieder vergessen, wenn nicht explizit wieder ein Usability Experte den Finger hebt und das Thema beim (Projekt) Management deutlich adressiert. Liegt das nicht vielleicht auch an der Denke „Ich biete Dir ein Komplettpaket Usability Engineering an“? 3.3 Die Querschnittlichkeit von Usability Engineering UE ist aus Sicht eines Entwicklungsprojekts eine hochgradig querschnittliche Disziplin, die wertvolle Beiträge zu vielen Einzelthemen leistet. Diese Querschnittlichkeit hat sich in der Praxis insofern als problematisch erwiesen, als dass man sich damit nur schwer fokussieren kann. Aus Sicht eines IT Projekts entsteht der Eindruck, dass man als Usability Experte überall ein bisschen mit dabei, aber nirgends zentraler Stakeholder ist. Man kümmert sich nicht nur um Qualitätssicherung, son- Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 dern auch um Anforderungserhebung, Gestaltung, Test etc. Das macht das Leben eines Vollblut Usability Experten im Projekt und auch in der Organisation z.T. recht schwer, da man sich mit verschiedenen unterschiedlichen Verantwortlichen im Projekt abstimmen muss (z.B. mit Requirements Engineer, Qualitätsmanagement-Beauftragten, Projektleiter, Test-Experten, Schulungsbereich). 4.0 1. 2. 3. Was sind denn klassische Themen des Systems Engineering? Diese Frage zu beantworten, fällt nicht sonderlich schwer, gibt es doch dazu in der Systems Engineering Community genügend Stoff. 4.1 Beispiel V-Modell XT Das V-Modell XT steht für einen Leitfaden zum Planen und Durchführen von Projekten. Es ist seit Februar 2005 für die Planung und Durchführung von IT Projekten des Bundes verbindlich vorgeschrieben (IABG 2007). Mit einer VModell-konformen Durchführung werden folgende Ziele verfolgt: x x x x Minimierung der Projektrisiken, Verbesserung und Gewährleistung der Qualität, Eindämmung der Gesamtkosten über den gesamten Projekt- und Systemlebenszyklus sowie Verbesserung der Kommunikation zwischen allen Beteiligten. Wenn wir also UE im Management verankern wollen, sollten wir zu diesen Zielen erhebliche Beiträge leisten und auch darstellen können. Ein Kernelement des V-Modells XT sind die so genannten Vorgehensbausteine. Sie fassen unterschiedliche Aktivitätsbausteine jeweils zu einer modularen Einheit zusammen. Alles, was in Projekten thematisch abzudecken ist, ist über folgende Vorgehensbausteine abgesichert: Relevant für alle V-ModellProjekte: Projektmanagement, Konfigurationsmanagement, Qualitätssicherung, Problem- und Änderungsmanagement, Messung und Analyse Relevant für die Auftraggeber (AG) / Auftragnehmer (AN) Schnittstelle: Vertragsschluss, Lieferung und Abnahme Relevant für die Systementwicklung: Anforderungsfestlegung, Multiprojektmanagement, Systemerstellung, Systemsicherheit, Evaluierung von Fertigprodukten, Logistikkonzeption, SWEntwicklung, HW-Entwicklung, Weiterentwicklung und Migration von Altsystemen sowie Benutzbarkeit und Ergonomie. Der einzige Begriff, der hier annähernd mit Usability Engineering in Verbindung gebracht werden kann, ist der Baustein „Benutzbarkeit und Ergonomie“. Etwas mager, oder? 4.2 Beispiel CMMI CMMI (Capability Maturity Model Integration) ist ein am Software Engineering Institute (SEI) der Carnegie Mellon University (CMU) im Auftrag des Department of Defense (DoD) entwickeltes und weltweit als Standard anerkanntes Referenzmodell für die Analyse und Verbesserung von System Entwicklungsprozessen (Beth, Konrad & Shrum 2006). Will man die Reife einer Entwicklungsorganisation auf der Basis von CMMI systematisch steigern, so fokussiert man in verschiedenen Reifegrad Leveln (i.w. Level 2 bis 5) in Summe auf 22 so genannte Prozessgebiete (Process Areas). Die für die Reifegrad Level 2 und 3 relevanten Prozessgebiete sind u.a.: 1. Level 2: Requirements Management, Project Planning, Project Monitoring and Control, Supplier Agreement Management, Measurement and Analysis, Process and Product Quality Assurance sowie Configuration Management 2. Level 3: Requirements Development, Technical Solution, Product Integration, Verification, Validation, Organizational Process Definition, Organizational Training sowie Risk Management Das sind die zentralen Management und Engineering Themen, die für die Reifung von Entwicklungsorganisationen mit dem Management diskutiert und im Rahmen einer Prozessreifung angegangen werden. Auf den ersten Blick weit und breit nichts von Usability Engineering zu sehen. 5.0 Die mögliche Lösung: UE aus einem anderen Blickwinkel Wie die Beispiele V-Modell XT und CMMI zeigen, ist auf der Landkarte der Top-Management und Engineering Themen nicht wirklich etwas von Usability Engineering zu spüren. Aber, mal etwas genauer durchleuchtet, bietet das ganzheitliche und durchgängige UE eine ganze Menge an Beiträgen zu vielen dieser Themen. Der wesentliche Appell dieses Beitrags lautet daher, UE viel stärker aus dem Blickwinkel dieser Projektmanagement und Engineering Themen zu betrachten und vor allem Management und Entscheidern darzustellen. Vielleicht sollte man Usability Engineering nicht so sehr als weitere Einzeldisziplin, sondern vielmehr als eine querschnittliche Disziplin darstellen, die in einem IT Entwicklungsprojekt zu allen oben genannten klassischen Themen einen wertvollen Beitrag leistet. Genau das soll im weiteren Verlauf dieses Beitrags getan werden (Abschnitt 5.3). Vor- 279 her aber noch zwei zentrale Erfahrungen im Umgang mit UE. 5.1 Die entscheidende Frage Das alles entscheidende Kriterium dafür, ob UE überhaupt für ein IT Projekt relevant ist, ist die Frage, ob es sich beim zu entwickelnden System um ein interaktives System handelt. Sobald dies der Fall ist, muss man den Qualitätskriterien, die bisher als für das System relevant erachtet wurden, noch das der Gebrauchstauglichkeit (Usability) hinzufügen. Das ist sozusagen das Eintrittsticket für die Integration von UE ins Projektgeschehen. Die Relevanz dieses Qualitätsziels wird aus meiner Erfahrung heraus in der Regel von allen Beteiligten bestätigt, denn eine nicht ausreichende oder gar nicht vorhandene Anwenderakzeptanz des Systems kann sich zumindest auf Dauer kein Fachbereich als Systembetreiber leisten. 5.2 5.3 Setzen wir also nun eine andere Brille auf, eben die der klassischen und in aller Munde befindlichen Management und Engineering Themen im IT Systementwicklungskontext – und reden wir über wertvolle Beiträge eines ganzheitlichen und durchgängigen UE. Dazu werden sortiert nach oben genannten klassischen Themen des VModell XT und des CMMI zugehörige UE Aktivitäten aufgezählt. Alle genannten Aktivitäten wurden in der Vergangenheit in verschiedenen Projekten innerhalb von Daimler Fachbereichen intensiv erprobt und gelebt. 5.3.1 Projektvorbereitung, Vertragsschluss x Mitwirkung bei der Ausschreibung der Systementwicklung (UE auf Seiten des AGs) durch: Vorgabe von Usability als ein zentrales Qualitätskriterium des Zielsystems; Forderung nach Entwicklung des IT Systems nach Prinzipien des UE (z.B. durchgängige Nutzerbeteiligung, Analyse des Nutzungskontext, Durchführung von Usability Tests); Forderung der namentlichen Benennung eines Usability Verantwortlichen auf AG- und ANSeite; Bewertung der eingehenden Entwicklungsangebote externer Dienstleister bzgl. der geforderten Qualitäten und Leistungen Beteiligung bei der Auswahl des Dienstleisters, der den Zuschlag für die Systementwicklung erhält Beteiligung beim Vertragsschluss durch verbindliche Festlegung des groben Vorgehens und der Verantwortlichen im Kontext UE Der richtige Zeitpunkt Aus Sicht eines IT Entwicklungsprojekts gibt es einen optimalen Zeitpunkt (Phase im Projekt), um das Thema Ergonomie und Usability zu verankern: die Phase der Projektvorbereitung. Schafft man es hier nicht, Usability als zentralen Qualitätsaspekt für das zu entwickelnde System zu fordern (z.B. im Rahmen einer Ausschreibung) und damit zu verankern, wird es im weiteren Verlauf des Projekts sehr schwer, dies noch wirksam und prominent zu tun (Oed & Offergeld 2006). Der Hauptgrund liegt darin, dass ganzheitliches und durchgängiges UE sauber geplant und mit entsprechenden Ressourcen auszustatten sind (z.B. Personal, Budget, Infrastruktur). Und diese Planungen erfolgen zu Projektbeginn, wo Budget, Laufzeit etc. in der Regel fürs Projekt gefixt werden. 280 Die andere Brille x x x 5.3.2 Project Planning, Projektmanagement, Project Monitoring and Control x Definition von für UE Aktivitäten relevante Rollen im Projekt (z.B. Usability Agent auf AG-Seite, Usability Engineer auf AN-Seite, Nut- x x x x zerrepräsentanten, UI Designer, UI Developer) Planung von Arbeitspaketen und Ressourcen für z.B. UE Personal, Befragungen, Usability Tests, Usability Workshops, User Group Treffen und Integration in den Gesamtprojektplan Planung von Usability Equipment wie Labore, Kameras, Räumlichkeiten und Rechnerausstattung Planung der Beteiligung von Nutzerrepräsentanten, ggf. auch unter Rückgriff auf spezielle Agenturen zur Akquisition Fortlaufendes Controlling aller UE Aktivitäten (Status, Fortschritt) 5.3.3 Supplier Management, Risk Management x Aus Sicht des AG Ausgestaltung der Zusammenarbeit mit den externen und internen Dienstleistern und Zulieferern z.B. bei der Erhebung von Anforderungen, der Verfolgung von Usability Qualitätszielen, der Durchführung von Usability Tests Berücksichtigung von Projektrisiken im Zusammenhang mit Aktivitäten des UE und der ergonomischen Qualität des Systems (z.B. drohende Akzeptanzprobleme, nicht verfügbare Nutzerrepräsentanten, Zeitverzug in UE Aktivitäten) x 5.3.4 Anforderungsfestlegung, Requirements Development, Requirements Management, Evaluierung von Fertigprodukten x Mitwirkung bei der Festlegung und Berücksichtigung von Geschäftsund Einsatzzielen des Systems Analyse eines vorhandenen IstStandes durch heuristische Usability Expertenevaluationen auf der Basis von ISO 9241-110 (z.B. auf noch im Einsatz befindliche Altsysteme oder verfügbare Wettbewerbersysteme) Durchführung einer Kontextanalyse bestehend aus Benutzerprofilanalyse (wer sind die Nutzer des Systems? Welche Rollen soll das System unterstützen? Welche Eigenschaften haben die Nutzer in ihren Rollen?), Aufgabenanalyse (welche Aufgaben x x Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 x 5.3.5 x x x x x x haben die Nutzer in ihren verschiedenen Rollen mit Hilfe des Systems später zu erledigen?) und der Analyse des Nutzungskontext (unter welchen Umgebungsbedingungen wird das System genutzt?) Berücksichtigung von HW-/SWRandbedingungen und Einschränkungen für die Systemgestaltung (z.B. intranetbasierte Anwendung mit Web-2.0-Technologie) Systemerstellung, SW-Entwicklung, HW-Entwicklung, Benutzbarkeit und Ergonomie, Problem- und Änderungsmanagement Workflow Reengineering (Änderung von Prozessabläufen, die durch das neue IT System bewirkt werden, Anpassung an die erhobenen Nutzeraufgaben der Zukunft) Erstellung eines konzeptionellen User Interface (UI) Modells (Grobes GUI-Konzept) Erstellung früher UI Mockups (z.B. Papierprototypen) Erstellung elektronischer UI Prototypen Definition von Styleguide Regeln ggf. unter Berücksichtigung schon etablierter Styleguides und Gestaltungsrichtlinien Beratung der Entwickler bei der Umsetzung/Implementierung der Nutzungsoberflächen auf der Zielplattform (z.B. Entscheidung von Alternativen bei nicht ausreichend möglicher technischer Umsetzbarkeit) 5.3.6 Process and Product Quality Assurance, Qualitätssicherung, Messung und Analyse, Verification, Validation, Product Integration x Definition von qualitativen und quantitativen Usability Zielen als Rahmenvorgabe für GUI Gestaltung, Testfokus, Abnahme und Akzeptanztest Durchführung von heuristischen Usability Expertenevaluationen auf Zwischenstände der Entwicklung Durchführung von Iterativen UI Walkthroughs auf UI Mockups (pa- x x x x x x x piergestützte UI Reviews und Inspektionen) Durchführung klassischer Usability Tests auf verfügbare elektronische Oberflächenprototypen von Teilsystemen Durchführung von IntegrationsUsability Tests auf das Gesamtsystem (nach Zusammenführung aller Einzeldialoge; z.B. Test von Antwortzeitverhalten und effiziente Bearbeitbarkeit übergreifender Arbeitsaufgaben über Teilsystemgrenzen hinweg) Durchführung von Abnahmetests auf der Basis der vorgegebenen Usability Ziele und Nutzeraufgaben Durchführung von NutzerAkzeptanztests nach Überführung des Systems in den operativen Betrieb Durchführung von UsabilityVergleichstests mit Vorgänger bzw. Wettbewerbersystemen 5.3.7 Lieferung und Abnahme, Organizational Training x Unterstützung der Abnahme des Systems vor Auslieferung an den AG durch Fokussierung auf die vorgegebenen Usability Ziele Unterstützung bei der Erstellung von Bedienanleitungen durch Dokumentation von zentralen Gestaltungsregeln (Styleguide) und Beschreibung der Systembedienung anhand zentraler Nutzerrollen und zugehöriger Aufgaben Unterstützung bei der Schulung des Systems (Fokus der Systembedienung mit Darstellung von zentralen Gestaltungsregeln (Styleguide) und Beschreibung der Systembedienung anhand zentraler Nutzerrollen und zugehöriger Aufgaben) x x 5.3.8 x Weiterentwicklung und Migration von Altsystemen, operativer Betrieb Abfrage von NutzerRückmeldungen nach einer gewissen Zeit der Nutzung x x x 6.0 Identifikation von Systemverbesserungen (z.B. Nutzer-Rückmeldungen zu Bedienproblemen) Identifikation von Systemerweiterungen (z.B. Nutzer-Rückmeldungen zu neuen Funktionen) Vorbereitung des nächsten System Releases z.B. durch Planung neuer Funktionalitäten und Systemoptimierungen Schlusswort UE als Einzeldisziplin in IT Projekte eingebracht bringt schon einen gewaltigen Mehrwert und Nutzen für die Systemqualität und Projektgüte. Aber man kämpft mitunter in jedem neu startenden Projekt erneut um eine Beachtung von UE. Durch die Betrachtung von UE als integraler Teil der klassischen Management und Engineering Themen in einem IT Projekt besteht die Chance, zu einer automatischen Berücksichtigung der Methoden und Aktivitäten zu gelangen. Dies setzt voraus, dass man UE in die zentral in der Organisation definierten Entwicklungsprozesse integriert. 7.0 Literaturverzeichnis Beth Chrissis, M.; Konrad, M.; Shrum, S. (2006): CMMI for Development, Version 1.2; Guidelines for Process Integration and Product Improvement; Second Edition, San Francisco, New York: Addison-Wesley. DATech in der TGA GmbH (2008): Deutsche Akkreditierungsstelle Technik - Leitfaden Usability, Version 1.1 vom 28.1.08.; Kap. 2 (Gestaltungsrahmen für den UsabilityEngineering-Prozess). http://www.datech.de IABG (2007): Industrieanlagen Betriebsgesellschaft mbH – V-Modell XT Gesamt 1.2.1 vom 16.11.07. http://v-modell.iabg.de Oed, R.; Offergeld, M. (2006): Usability Engineering als Auftraggeberkompetenz. Usability Professionals 2006. 281 Qualitätsaspekte bei der Integration von User Centered Design Aktivitäten in Softwareentwicklungsprozesse Karsten Nebe Universität Paderborn, C-LAB Fürstenallee 11 33102 Paderborn [email protected] www.c-lab.de/usability.de Markus Düchting Siemens IT Solutions, C-LAB Fürstenallee 11 33102 Paderborn [email protected] Dirk Zimmermann T-Mobile Deutschland User Centred Design & Process Configuration Landgrabenweg 151 53227 Bonn [email protected] Volker Paelke Leibniz University Hannover, IKG Institut für Kartographie und Geoinformatik Appelstrasse 9a, 30167 Hannover [email protected] Abstract Die vorliegende Untersuchung zielt auf eine verbesserte Integration von Software Engineering (SE) und Usability Engineering (UE) Aktivitäten in Entwicklungsprozessen. Dazu wurden Schnittstellen zwischen den Bereichen identifiziert und in Experteninterviews Qualitätsmerkmale und Kriterien für die entsprechenden UE Aktivitäten erhoben. 1.0 Einleitung Die Gebrauchstauglichkeit (Usability) von Produkten nimmt einen wachsenden Stellenwert bei der Entwicklung von Software ein – nicht nur für den Endnutzer, sondern auch für die entwickelnden Organisationen. Insbesondere für den Wettbewerb bedarf es eines systematischen, wiederholbaren Vorgehens zur Erstellung und Sicherstellung gebrauchstauglicher Produkte. In der Praxis erweist sich die Umsetzung jedoch nicht selten als Herausforderung. Eine Schwierigkeit beseht meist darin, die Methoden, Aktivitäten und Artefakte des Usability Engineering (UE) in die bestehenden Strukturen einer Organisation einfließen zu lassen, welche bereits über ein etabliertes Vorgehensmodell verfügt und in dem die entsprechenden Prozesse fest verankert sind. Alleinstehende, oft punktuell durchgeführte oder parallel zum Prozess existierende Aktivitäten, wie sie in der Praxis häufiger auftreten, haben meist nur einen geringen Einfluss auf die Usability des zu erstellenden Produktes. Nicht selten gehen 282 Die Auswertung belegt die Bedeutung einer engen Verzahnung von UE und SE und kann als Grundlage für die usability-orientierte Weiterentwicklung von SE Prozessen in Unternehmen dienen. diese Aktivitäten im Geschehen des Entwicklungsprozesses unter. Die angewandten Aktivitäten, Prozesse und Modelle sind in der Regel jene, die vom Software Engineering (SE) vorgegeben werden (Granollers 2002). Nichtsdestotrotz hat das Usability Engineering seine Berechtigung in der Entwicklung und bedarf einer angemessenen Berücksichtigung. Um die beiden Disziplinen SE und UE einander näher zu bringen ist es notwendig nach entsprechenden Schnittstellen und Anknüpfungsbereichen zu suchen, an denen die dahinter stehenden Aktivitäten und Artefakte reibungslos in den Prozess der Entwicklung eigebettet werden können. Das Ziel ist es, Usability Engineering mit den systematischen und planbaren Vorgehensweisen des Software Engineering zu vereinen. Bei der Suche nach entsprechenden Anknüpfungsbereichen, ist eine Betrachtung auf unterschiedlichen Abstraktionsebenen möglich: x Keywords Software Engineering, Usability Engineering, Entwicklungsprozesse, Prozessmodelle x x Rahmen zur Sicherstellung und Wahrung von Konsistenz und Qualität, innerhalb und über die Grenzen einer Organisation hinweg genutzt werden. Auf der Ebene von Modellen, also in der Definition des Vorgehens, welche als Vorlage für die Durchführung dient. Und auf der operativen Ebene (dem Prozess), also der praktischen Durchführung von Aktivitäten und der Verarbeitung von Ergebnissen innerhalb der Organisation. In existierenden Arbeiten wurden diese Abstraktionsebnen im Hinblick auf Anknüpfungsbereiche bereits untersucht (Nebe 2007a, Nebe 2007b). So wurde beispielsweise auf Ebene der Standards ein gemeinsamer Rahmenprozess von Aktivitäten (sog. „Common Activities“) identifiziert, die den Entwicklungsprozess, sowohl aus Sichtweise des Software Engineering als auch aus Sicht des Usability Engineering repräsentieren. Dieser Rahmenprozess kann als gemeinsame Grundlage für die darunter liegende Ebene der Modelle herangezogen werden. Auf der abstrakten, übergeordneten Ebene von Standards, die als Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 2.0 Integration von SE und UE Um der Frage nachzugehen, inwieweit existierende Software Engineering Modelle bereits User Centered Design (UCD) bzw. Usability Engineering Aktivitäten unterstützen (oder integrieren) wurde eine Analyse ausgewählter Modelle durchgeführt (Nebe 2007a, Nebe 2007b). Die Standards DIN EN ISO 13407 (1999) und ISO/PAS 18152 (2003) dienten dabei als Grundlage. Die in der ISO/PAS 18152 enthaltenen Best Practices wurden als Bewertungskritierien herangezogen und mit den Dokumentationen unterschiedlicher Software Engineering Modelle verglichen. Als Ergebnis wurden jedoch nicht nur die Lücken der SE Modelle bezogen auf die Erfüllung der Base Practices untersucht, sondern gleichermaßen Potentiale für die Integration zwischen SE und UE identifiziert die auf der nächsten Ebene, der Umsetzungsebene im operativen Prozess, Berücksichtigung finden. Für eine differenziertere Bewertung und die gezielte Ableitung von Empfehlungen ist es wichtig, die Qualitätseigenschaften von Aktivitäten, Methoden und Deliverables des UE zu hinterfragen. Um diese grundlegenden Eigenschaften zu erheben wurden insgesamt sechs UE-Experten befragt, zunächst mittels halbstrukturierter Interviews, im Folgenden mit einem Fragebogen. In der Auswertung wurden daraus übergeordnete Prozess- und Qualitätseigenschaften ermittelt, welche Aussagen über die Relevanz, den Einsatz und die Notwendigkeit von Usability Engineering Aktivitäten, Methoden und Deliverables im Software Engineering zulassen. Dieser Beitrag stellt einen ersten Auszug der Ergebnisse, insbesondere in Bezug auf die Qualitätseigenschaften von UEAktivitäten dar. Die Ergebnisse spiegeln grundlegende Tendenzen und Meinungen der Experten wieder und sind somit nicht direkt verallgemeinerbar. 3.0 Qualitätsaspekte im UE Ein wesentlicher Teil der Interviews bezog sich explizit auf Qualitätseigenschaften der vier Aktivitäten der DIN EN ISO 13407: Context of Use, User Requirements, Produce Design Solutions und Evaluation of Use. Ziel war es herauszufinden, was aus Sicht der Experten die Qualität einer bestimmten Aktivität ausmacht, was die Erfolgs- und Qualitätskriterien sind, die für die Durchführung der Aktivität angelegt werden können. Gesamt betrachtet lässt sich bereits sagen, dass aus Sicht der Experten die Qualität der vier Aktivitäten im wesentlichen von der Erstellung und Weiterverarbeitung des jeweils generierten Ergebnisses abhängt. Es geht also nicht zwangsläufig darum, wie etwas durchgeführt wird, sondern vielmehr darum, die Qualität des Ergebnisses sicherzustellen. Um die Frage zu beantworten, was diese Qualität ausmacht, werden nachfolgend die analysierten Aussagen der Experten zu den jeweiligen Aktivitäten dargestellt. Es wird beschrieben was die Kerneigenschaft (Essenz) der jeweiligen Aktivität darstellt, gefolgt von inhaltlichen Anforderungen, (messbaren) Qualitätsund Erfolgsmerkmalen und einer Auflistung operativer Maßnahmen als Empfehlung für die Umsetzung und Sicherstellung der Qualität. 3.1.1 Context of Use Laut übereinstimmender Aussage der Experten ist das grundlegende Ziel der Kontextanalyse die Schaffung eines tiefen Verständnisses über die Nutzer, deren Ziele, Bedürfnisse und den tatsächlichen Arbeitskontext. Es gilt sowohl, eine Arbeitsgrundlage zu schaffen für das Erarbeiten von Anforderungen sowie eine Grundlage für die Validierung von Nutzungsanforderungen, als auch für spätere Lösungen bereitzustellen. Der Fokus der Kontextanalyse sollte auf den originären Arbeitsaufgaben liegen, also unabhängig von einer konkreten Lösung (oder unterstützenden Systemen) sein. Neben der Dokumentation bzw. Kommunikation des analysierten Wissens ist die Verankerung der Aktivität Kontextanalyse im Prozess entscheidend. Sie bildet die Arbeitsgrundlage für den gesamten Prozess, insbesondere für das Ableiten von Nutzungsanforderungen, was die Verknüpfung zum nächsten Prozessschritt darstellt. Generell gilt, dass innerhalb eines Prozesses ein Output nur in dem Maße wertvoll ist, wie er als Input für einen folgenden Teilprozess dient. Die Kontextanalyse muss daher ausreichend früh im Prozess stattfinden, also vor einer umfassenden Spezifikation, etwa in einer Pre-studyphase des Projektes, in der noch nicht über die technische Plattform und die Details der Umsetzung entschieden wurde. Die Qualität der Kontextanalyse und resultierend deren Ergebnis ist zudem abhängig von organisationalen Rahmenbedingungen. So bedarf es der Bereitstellung von ausreichenden Ressourcen und ein ausreichendes ZeitBudget, um die Kontextanalyse in einer angemessenen Form durchführen zu können, sowie der Unterstützung durch das Management und der Organisation. Wie bereits erwähnt ist das Ergebnis maßgeblich für die Qualität der Kontextanalyse. Die meisten Experten fokussierten dabei auf die Dokumentation der Analyseergebnisse (in klassischer Form), jedoch zeigte sich, dass dies nicht zwangsläufig so sein muss. Das Entscheidende ist, dass die Ergebnisse in einer kommunizierbaren Form vorliegen und zwar so, dass alle Projektbeteiligten die Inhalte zugreifen, verstehen, nachvollziehen und verarbeiten können. Kontextbeschreibung im Weiteren meint daher nicht ausschließlich dokumentiertes Wissen. 283 Bei der Beschreibung bzw. der Kommunikation der Kontextinformationen wurden zwei zentrale Punkte identifiziert, die beachtet und unterschieden werden müssen: Kontextdaten müssen so vermittelt werden, dass sie durch Menschen, die nicht an der Erhebung beteiligt waren, verstehbar sind. Außerdem sollten sie widerspruchsfrei und vollständig sein. Das heißt zum einen es werden nur sinnvolle und kontextbezogene Daten beschrieben und zum anderen wird Vollständigkeit in Bezug auf die Systeme, die bei der Aufgabenbewältigung erforderlich sind, sichergestellt. Ein wesentliches Qualitätsmerkmal für eine erfolgreiche Kontextanalyse ist laut Expertenaussagen, dass die Kontextbeschreibung das Erkennen von sogenannten „Implied Needs“ [in DATech (2008) formuliert, als “Identifizieren der Erfordernisse”] ermöglicht. D.h. eine gute Kontextbeschreibung enthält die, für die Herleitung der Nutzungsanforderungen, erforderlichen Informationen. Die Experten stimmten darin überein, dass in der Praxis die Qualität der Ergebnisse sehr stark von der Erfahrung und Qualifikation der Analysten abhängt. Die Fokussierung auf das Wesentliche und das Erheben von Fakten und nicht deren Interpretation ist dabei in dieser Phase entscheidend. Weiterhin sind die Erfahrungen der Nutzer qualitätsentscheidend (Repräsentativität, Fähigkeit der Nutzer sich auszudrücken, Validität der Aussagen, etc.). Ein messbares Qualitätskriterium für eine Kontextbeschreibung ist, dass die Gesamtheit der vorhersehbaren Nutzungsanforderungen auf Basis der Kontextbeschreibung ermittelt werden kann. Befragt man beispielsweise fünf Experten unabhängig voneinander und bittet diese, auf Grundlage der Kontextbeschreibung, alle Nutzungsanforderungen abzuleiten die darin enthalten sind, und kämen alle fünf zu einem vergleichbaren 284 Satz an Nutzungsanforderungen was Menge und Inhalt angeht, so wäre dies eine erfolgreiche Kontextbeschreibung. Dies impliziert, dass die Gesamtheit der vorhersehbaren Nutzungsanforderungen auf Basis der Kontextbeschreibung hergeleitet werden können. Erfolgskriterien während der Durchführung sind laut Expertenmeinung das Erkennen schlüssiger Muster. Ein Negativbeispiel ist, wenn bei jedem Interview ein anderer Arbeitsablauf herauskommt, was als ein sicheres Indiz für die Notwendigkeit weiterer Erhebungen gewertet werden muss bzw. ein tiefergehendes Verständnis erfordert. Ein weiteres Erfolgskriterium ist die Präsentation der Analyseergebnisse, und zwar nicht nur den Projektbeteiligten, sondern auch der Organisation mit der bei der Analyse zusammengearbeitet wurde. Die Ergebnisse und Aussagen einer solchen Präsentation sind ebenfalls Qualitätskriterien. Eine erfolgreiche Kontextanalyse lässt sich oft erst im Nachhinein bewerten und zwar dann, wenn die Nutzer keine Lücken in der Anwendung finden und gute messbare Kriterien für das Anwender-erleben abgeleitet werden können. Eine summative Evaluation ist ein geeignetes Mittel um dies zu überprüfen. Ein weiteres, jedoch schwieriger messbares Qualitätskriterium ist die Akzeptanz und der Nutzen der Ergebnisse im weiteren Prozess und in der Organisation. Ist es möglich, auf Grundlage der Kontextbeschreibung die Anforderungen zu definieren und ein „gutes Interaktionsdesign“ zu erstellen, waren die Analysedaten offensichtlich gut. Entscheidend ist, dass die Fragen, die während des Designprozess entstehen, durch die Kontextinformationen beantwortet werden können. Eine wichtige Maßnahme zur Sicherstellung der Qualität ist eine Ausbildung der Durchführenden in der anzuwendenden Methodik bzw. Methode. Die Qualifizierung der Durchzuführenden bestimmt maßgeblich die Ergebnisqualität. Qualifikation heißt hier nicht nur Wissen (theoretisch erlernt), sondern auch Können (praktisch erprobt). Die Kontextanalyse ist der Grundstein für die nutzerzentrierte Entwicklung und ist entscheidend für den Erfolg einer Lösung. Für die Sicherstellung der Qualität bedarf es sowohl einer Verankerung der Aktivität(en) und Ergebnisse (Deliverables) im Gesamtprozess, der Bereitstellung ausreichender und qualifizierter Ressourcen sowie der Einplanung einer angemessener Zeit zur Durchführung einer vollständigen Analyse im Projektplan. Dafür ist laut Expertenaussagen die Unterstützung durch das Management und die Organisation notwendig und entscheidend. 3.1.2 User Requirements Das wesentliche Ziel der Aktivität User Requirements ist, ein tiefgehendes Verständnis über die organisationalen und technischen Anforderungen, die Arbeitsabläufe, Wünsche und Ziele der Nutzer des zukünftigen Systems zu erarbeiten. Dieses liefert die Basis für valide Systemspezifikationen. Entscheidend ist dabei der Wechsel von einer rein technisch getriebenen Sichtweise, hin zu einer nutzungs- und situationsbezogenen Sicht. Der Großteil der Experten beschreibt den Kern dieser Aktivität mit der Spezifikation und Dokumentation von Anforderungen. Es gilt aber zu beachten, dass das Ergebnis nicht immer in der Form feingranularer Anforderungen vorliegen muss. Wesentlich ist vielmehr, dieses Wissen erfolgreich in den Entwicklungsprozess zu tragen. Entscheidend ist auch hier, wie schon bei der Kontext- Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 analyse, sowohl die Erfahrung und Kompetenz der Analysten bei der Durchführung der Methode, ihre Kenntnis der Methodik, als auch die Repräsentativität und Kompetenz der befragten Personen. Laut Aussagen der Experten lassen sich eine Reihe an Qualitätskriterien definieren die sowohl auf die Durchführung der Aktivität, als auch auf das Ergebnis selbst zielen. So sollten Nutzeranforderungen eine bestimmte Formulierungsqualität (Lesbarkeit, Verständlichkeit, Konsistenz, etc.) aufweisen und dabei systemneutral formuliert sein. Sie sollten auf einem Erfordernis basieren, wodurch zwangsläufig die Validität sichergestellt ist – was ein wichtiger Argumentationspunkt sein kann. Nutzeranforderungen müssen ausreichend präzise sein, d.h. sie sind auf Ebene der Aufgabe formuliert. Ein Negativ-Beispiel wäre: „Das System muss benutzbar sein“ – diese Anforderung ist nicht an einer Aufgabe verankert, sondern lediglich an einem abstrakten Ziel. Gute Nutzeranforderungen sind als solche nicht interpretierbar. Die daraus abgeleitete Lösung unterliegt selbstverständlich der Interpretation, nicht aber die Anforderung selbst. Als ein Erfolgskriterium wird von den Experten insbesondere die Berücksichtigung von Nutzerzielen und Anforderungen, aber auch die Abstimmung mit den übergeordneten Geschäftszielen der Organisation und damit verbundenen Produktzielen angesehen. Ähnliches gilt für die Sicherstellung der Verständlichkeit, Nachvollziehbarkeit und Verwendbarkeit der Ergebnisse (Requirements) im Prozessverlauf. Um diese Qualität zu erreichen empfehlen die Experten eine Reihe an Maßnahmen, wie z. B. ein iteratives Vorgehen sowohl bei der Erhebung, als auch bei dem Ableiten von Anforderungen. Die Einbeziehung aller am Prozess beteiligten Stakeholder (Nutzer, Auftraggeber, Management, Entwicklung, etc.) ist unumgänglich. Insbesondere die Vorstellung der Nutzeranforderungen gegenüber dem Management gilt als ein wichtiges Mittel zur Sensibilisierung. Dedizierte und qualifizierte Rollen sind ebenfalls erfolgsentscheidend für den gesamten Prozess (z.B. sollte kein Entwickler die Spezifikation schreiben). 3.1.3 Produce Design Solution Bei der Aktivität Produce Design Solution geht es um den kreativen Prozess der Überführung von User Requirements und dem Wissen über die Nutzerdomäne und Businessperspektive in ein Konzept für eine neue Lösung. Dabei werden unterschiedliche Ideen untersucht und verfolgt. Es ist eine Art Problemlösen mit unterschiedlichen Lösungen. Das Ziel ist, aus Nutzersicht eine Benutzungsschnittstelle bereitzustellen, die so effizient und zufriedenstellend wie möglich ist (alle Informationen, keine Fehler, keine überflüssigen Schritte, etc.), also die 7 Grundsätze der Dialoggestaltung erfüllt. Zentral ist dabei, dass die entwickelte Lösung zum einen den erhobenen Anforderungen entspricht (Validität) aber auch, dass sich die Nutzer sicher und zufrieden mit den Ergebnissen fühlen. Für die Entwicklung bedeutet eine gute Qualität, dass ein Detaillevel erreicht wurde, der für die Umsetzung als nützlich erachtet wird. Dabei ist die Form der Dokumentation nicht das Entscheidende. Sichergestellt werden muss aber auch hier, dass die Lösung erfolgreich kommuniziert wird. Alternative Design- bzw. Lösungsvorschläge, die zur Überprüfung mit Nutzern herangezogen werden, werden als sinnvoll und wichtig erachtet. Verständnisfragen der Nutzer - aber auch seitens der Entwicklung - zu den jeweiligen Lösungsvorschlägen, können ein Indiz für die Notwendigkeit weiterer Analysen und einer Überarbeitung sein. Die Qualität der Lösungsvorschläge ist ebenfalls (aber hier besonders) von den Erfahrungen und Kenntnissen der Personen abhängig, die diese erarbeiten. Multidisziplinarität, jedoch unter Berücksichtung klarer Rollen- und Kompetenztrennung (Entwickler, Analyst, Designer, etc.) wird als qualitätsentscheidend erachtet. Erfolgskriterien und messbare Qualitätskriterien sind hier nicht trennscharf. Was jedoch überprüft und gemessen werden kann, sind beispielsweise die Erfüllung der Nutzeranforderungen durch das Design, die Übereinstimmung der Designs mit den Dialogprinzipien [DIN EN ISO 9241-110(2008)] und denen der Informationsdarstellung [DIN EN ISO 9241-Teil 12(1998)], vergleichende Untersuchungen alternativer Designs, etc. Geeignete Maßnahmen zur Qualitätssicherung sind die Verzahnung mit den benachbarten Prozessaktivitäten, User Requirements und der Evaluation of Use sowie das Befolgen einer iterativen Vorgehensweise mit alternativen Lösungsvorschlägen. Um das kreative Potential zu nutzen, sollten unterschiedliche Rollen im Entwicklungsprozess in die Lösungsfindung einbezogen werden. Dabei ist es aber entscheidend, dass die Führung bei einem entsprechend qualifizierten Userinterfacedesigner liegt, dessen Rolle explizit ausgewiesen ist und der in dieser Aktivität das letzte Wort hat. Diese Notwendigkeit muss dem Management kommuniziert und von diesem entsprechend unterstützt werden. 3.1.4 Evaluation of Use Das Ziel der Aktivität Evaluation of Use ist es, Feedback über den praktischen Einsatz zu erhalten, um auf dieser Grundlage das Design und Produkt zu verbessern. Dabei werden Nutzungs- 285 probleme identifiziert und in der Folge behoben. Entscheidend dabei ist, dass Evaluation etwas Kontinuierliches ist und während des gesamten Prozesses, in Abhängigkeit der unterschiedlichen Reifestufen der Ergebnisse, eingesetzt werden sollte. Viele Evaluationsmethoden fokussieren darauf Probleme zu finden, zeigen aber keine Lösungsansätze für die gefundenen Probleme auf. Es ist nicht nur wichtig Probleme zu identifizieren, sondern auch herauszufinden, wie diese Probleme gelöst werden können. Dies sollte durch den Prozess reflektiert werden. Wichtig dabei ist, dass die Ergebnisse weiter verwendbar und für die Verantwortlichen verständlich umsetzbar sind. Die Qualität der Aktivität Evaluation of Use ist in erster Linie auf das Ergebnis bezogen. Es wird evaluiert, was vorher analysiert, gestaltet und umgesetzt wurde. Entscheidend ist, dass dabei die signifikanten Nutzungsprobleme identifiziert werden. Signifikant sind Dinge die aus Nutzersicht als störend empfunden werden. Es gibt darüber hinaus natürlich Probleme, die valide sind, jedoch nicht zwangsläufig Störungen für die Nutzer darstellen. Das bedeutet auch, dass die Aktivität abgeschlossen ist, sobald keine signifikanten Probleme mehr gefunden werden. Ebenso entscheidend für die Qualität bei der Durchführung ist das Commitment aller Beteiligten, die Expertise der Usability Experten sowie die Fähigkeit aller Beteiligten, Kritik anzunehmen und diese konstruktiv umzusetzen. Messbare Qualitätskriterien leiten sich aus der Auswahl und den Einsatz existierenden Evaluationsmethoden ab (Freymann, 2007). Entscheidende Maßnahmen zur Qualitätssicherung sind insbesondere die Qualifizierung der Personen, die Explikation der Evaluation als essentielle Tätigkeit im Prozess sowie die Bereitstellung ausreichender Zeit zur mehrfachen Durchführung im Projektplan. 286 4.0 Zusammenfassung & Fazit Die Usability eines Softwareproduktes ist heute ein entscheidendes Qualitätskriterium bei der Erstellung und in der Vermarktung. Die Unterschiede der Unternehmensstrukturen, Entwicklungsprozesse und organisationalen Rahmenbedingungen macht es jedoch schwierig dieses Wissen in den Projektalltag zu übertragen. Dies ist sicherlich ein Grund, warum in der Praxis und Theorie eine Vielzahl an unterschiedlichen Integrationsansätzen von Usability- und SoftwareEngineering existiert. Einige dieser Ansätze fokussieren sehr spezifisch auf diese Gegebenheiten, andere wiederum sind sehr allgemein und abstrakt formuliert. Zwar existiert auf Seiten der Usability Experten sicherlich ein relativ einheitliches Verständnis darüber was Usability Engineering ausmacht. Standards, wie die DIN EN ISO 13407, tun dies, durch Definition allgemeiner Prinzipien und Aktivitäten, allerdings auf einer bewusst abstrakten Ebene. Um zu ermitteln, was aus Sicht der Experten das Entscheidende am Usability Engineering ist, wurden Experteninterviews durchgeführt und Fragebogen angewandt, die auf die Qualitätsaspekte des Usability Engineering abzielen. Die Befragung erfolgte unabhängig von einem zugrunde liegenden Entwicklungsmodells oder der praktischen Umsetzung. Die daraus resultierenden Qualitätsanforderungen und -eigenschaften sind zum Teil einheitliche, zum Teil ergänzende Aussagen unterschiedlicher UEExperten, die unabhängig voneinander befragt wurden und deren Antworten einander gegenüber gestellt wurden. Sie verdeutlichen die Bedeutung einer engen Verzahnung von UE und SE sowie einer Weiterverwendung von UE-Ergebnissen im Entwicklungspro- zess und können als Referenz herangezogen werden wenn es darum geht, Usability Engineering in einem Unternehmen zu etablieren. 5.0 Literaturverzeichnis Granollers, T., Lorès, J. & Perdrix, F. (2002): Usability Engineering Process Model. – Integration with Software Engineering. In Proceedings of HCI International 2003. New Jersey, USA: Lawrence Erlbaum Associates DIN EN ISO 13407 (1999). Human-centered design processes for interactive systems. Brussels: CEN - European Committee for Standardization ISO/PAS 18152 (2003). Ergonomics of human-system interaction — Specification for the process assessment of human-system issues. First Edition 2003-10-01. Switzerland: ISO copyright office Nebe, K. & Zimmermann, D. (2007): Suitability of Software Engineering Models for the Production of Usable Software. In: Engineering Interactive Systems 2007, IFIP WG 13.2 1st Conference on Human Centred Software Engineering 2007 Nebe, K. & Zimmermann, D. (2007): Aspects of Integrating User Centered Design to Software Engineering Processes. In: Proceedings of the HCII International 2007. Springer DATech (2008): Leitfaden Usability. Frankfurt am Main, Germany: Deutschen Akkreditierungsstelle Technik e.V in der TGA GmbH DIN EN ISO 9241-12 (1998): Ergonomie der Mensch-System-Interaktion. Ergonomische Anforderungen für Bürotätigkeiten mit Bildschirmgeräten. Teil 12: Informationsdarstellung. Berlin: Beuth DIN EN ISO 9241-110:2006(E) (2006): Ergonomie der Mensch-System-Interaktion. Teil 110: Grundsätze der Dialoggestaltung. Switzerland: ISO copyright office Freymann, M. (2007): Klassifikation nutzerzentrierter Evaluationsmethoden im User Centered Design Prozess. Diplomarbeit. Paderborn: Universität Paderborn. Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Faktoren zur erfolgreichen Umsetzung von User-Centred-Design-Aktivitäten – Beispiele aus der Praxis Dirk Zimmermann T-Mobile Deutschland GmbH User Centred Design & Process Configuration Landgrabenweg 151 53227 Bonn [email protected] Markus van Ballegooy T-Mobile Deutschland GmbH User Centred Design & Process Configuration Landgrabenweg 151 53227 Bonn [email protected] Kathrin Jepsen T-Mobile Deutschland GmbH User Centred Design & Process Configuration Landgrabenweg 151 53227 Bonn [email protected] Dagmar Wehr T-Mobile Deutschland GmbH User Centred Design & Process Configuration Gartenstrasse 217 48153 Münster [email protected] Abstract Zur erfolgreichen Umsetzung von User Centred Design Aktivitäten in größeren Entwicklungsorganisationen ist es nicht ausreichend, die gängigen Methoden und Ansätze zu kennen und zu beherrschen. Vielmehr spielen Fragen der internen PR, der Projektanbahnung und Planung, des richtigen Timings von Aktivitäten und Ergebnissen sowie eine den Bedürfnissen der Organisation ange- messene Aufbereitung eine entscheidende Rolle. Ergebnisse aller UCDAktivitäten sind letzen Endes nutzlos, wenn sie keinen Einfluss auf die Entwicklung der Produkte erzielen. In diesem Beitrag werden, basierend auf Erfahrungen aus verschiedenen Projekten der Autoren, einige dieser Faktoren benannt und diskutiert. Sowohl Positiv- wie Negativ-Beispiele verdeutlichen, dass die genannten Faktoren gerade in größeren Entwicklungsorganisationen für eine erfolgreiche UCD Umsetzung relevant sind. Ein aktuelles Thema, mit dem sich die Human-Computer Interaction (HCI) Gemeinschaft beschäftigt, ist die Integration von User Centred Design (UCD) Aktivitäten in die Entwicklungsprozesse von Unternehmen sowie die verbesserte Verankerung des UCD-Themas in der Organisation (Rosenbaum et al. 1999; Nebe & Zimmermann, 2007). Dazu zählen u. a. die durchgängige Beteiligung von Usability-Experten an Entscheidungsprozessen sowie die Gleichberechtigung von technischen und Nutzeranforderungen in der Planung und Durchführung von ITEntwicklungsprojekten. UCD und Entwicklung gegeben. Dennoch gibt es einige Ansätze, die dies in Form von integrierten Modellen versuchen, wie beispielsweise Mayhew (1999), Cooper (2003) oder IBM (1996). In diesen Modellen wird beschrieben, welche UCD-Methoden zu welchem Zeitpunkt der SoftwareEntwicklung geeignet sind, um Nutzungsanforderungen und NutzerFeedback in der Analyse und Gestaltung von IT-Systemen angemessen zu berücksichtigen. Der Schwerpunkt wird dabei allerdings immer noch stark auf konkrete UCD-Methoden und -Modelle gelegt, die Rahmenbedingungen in der jeweiligen Organisation bleiben auch dort größtenteils unbetrachtet. Ergebnisaufbereitung eine entscheidende Rolle bei der Frage, welchen Einfluss die UCD-Ergebnisse auf die Entwicklung und somit die Usability der resultierenden Produkte erzielen. UCD stellt eine Reihe von Modellen und Methoden zur Sicherstellung der Nutzerorientierung in der Softwareentwicklung zur Verfügung. In der Praxis orientiert sich der Einsatz dieser Methoden und den verbundenen Aktivitäten meist stark an allgemeinen SoftwareEntwicklungs-Modellen. Die UCDAktivitäten finden häufig nebenläufig zur Software-Entwicklung statt und demzufolge ist nicht immer eine Integration von Zur erfolgreichen Umsetzung der Ergebnisse von UCD-Aktivitäten im Sinne von Usability-Verbesserungen ist es in der Regel nicht ausreichend, die gängigen UCD-Methoden und Ansätze zu kennen, zu beherrschen und anzuwenden. Vielmehr spielen Fragen der internen PR, der Projektanbahnung und –planung, des richtigen Timings von Aktivitäten sowie eine den Bedürfnissen der Organisation angemessene 1.0 Einleitung Keywords User Centred Design, Prozesse, Organisationale Integration, Erfolgsfaktoren Die Autoren berichten über die praktischen Erfahrungen, die sie zu diesem Aspekt in ihrer Organisation gemacht haben. Es handelt sich hierbei um den IT-Bereich der T-Mobile Deutschland GmbH, in dem die UCD-Abteilung sich schwerpunktmäßig um die Gebrauchstauglichkeit der eigenen IT-Systeme des Unternehmens kümmert. Dies sind sowohl Vertriebs- und KundenpflegeSysteme zur Nutzung durch interne Mitarbeiter, wie auch E-Business und Selbstadministrations-Systeme für Endkunden. Entwicklungsprojekte werden in unterschiedlichen Phasen durch UCD unterstützt, so z.B. in frühen Machbarkeits-Studien mit grundlegenden Kontext- und Workflowanalysen oder Evaluationen von Bestandssystemen. In späteren Phasen, wie z.B. dem detaillierten Systemdesign, wird durch Erhebung von konkreten Informations- und Interaktionsanforderungen sowie durch Konzeption und Layout in verschiedenen For- 287 men sichergestellt, dass die Ziellösung sowohl dem Kontext, wie auch den konkreten Aufgaben der Nutzer genügt. In diesem Beitrag werden, basierend auf Erfahrungen aus verschiedenen Projekten der Abteilung, einige der förderlichen oder hinderlichen Faktoren bei der Integration von UCD in Entwicklungsprozesse benannt und diskutiert. 2.0 Relevante Faktoren zur Integration von UCD in Organisationen Etablierung und interne Werbung Beim Aufsetzen und Etablieren der UCD-Abteilung hat die Erfahrung gezeigt, dass verschiedene Faktoren den Erfolg beeinflussen können. Gerade in den letzten Jahren findet der Begriff "Usability" immer breitere Verwendung. Allerdings zeigt sich häufig, dass Projektpartner damit eine falsche Erwartung bezüglich der Aufgaben und Ergebnisse der Abteilung verbinden. Immer wieder musste klargestellt werden, dass die Hauptaufgabe und der Mehrwert des UCD nicht in der nachträglichen Bewertung von Produkteigenschaften oder der visuellen Ausgestaltung einer Oberfläche liegt, sondern dass der UCD-Ansatz ein umfassenderes Set an Analyse-, Gestaltungs- und Evaluations-Aktivitäten erfordert. Ebenso hat die Verwendung von UCDTermini wie z. B. "Anforderungsanalyse" bei benachbarten Abteilungen Verwirrung erzeugt, da der Begriff dort mit anderen Aufgaben und Rollen besetzt war und die Sorge bestand, dass deren Tätigkeitsspektrum beschnitten werden sollte. Bei der Einführung des Themas stellt also die Tätigkeit des Erklärens und Verkaufens von UCD in der Regel sowohl für die operativ Arbeitenden, wie auch für die Führungskraft eine ständige Aufgabe dar. Für Führungskräfte bedeu- 288 tet dies, dass sie zum einen innerhalb der Abteilung den projektübergreifenden Austausch fordern und fördern und die Wissensvermittlung bei Projektpartnern ihren Mitarbeitern als ständige Aufgabe mitgeben. Zum anderen heißt es aber auch, dass über die konkrete Projektarbeit hinaus die Aufmerksamkeit für und Anerkennung von UCD kontinuierlich aufrechterhalten werden muss, etwa durch Veröffentlichung von Erfolgsgeschichten, dem Aufsetzen von expliziten Usability-Projekten oder der Eskalation von Anforderungskonflikten. Organisationale Zuordnung UCD-Teams, die innerhalb der ITSeite einer Entwicklungsorganisation angesiedelt sind, verfügen durch die „räumliche“ und prozessbedingte Nähe über eine tiefere Einsicht und bessere Zugriffsmöglichkeiten auf den Entwicklungsteil von IT-Projekten. Ergebnisse von UCD-Aktivitäten können hier schneller und unkomplizierter in die Software-Entwicklung eingebracht werden. Die bessere Einsicht in die ITinternen Prozesse eröffnet dem UCDTeam bessere Möglichkeiten, Ergebnisse an der richtigen Stelle unter Berücksichtigung der jeweiligen Projektphasen direkt in die Softwareentwicklung einzuspeisen. Innerhalb einer Organisation mit mehreren Fachseiten ist eine zentral in der IT angesiedelte UCD-Abteilung zu empfehlen, um fachübergreifende Themen zu identifizieren, Synergien zwischen Projekten zu nutzen und ggf. redundante Aktivitäten aufzudecken. Auf der anderen Seite bietet eine Zuordnung des UCD-Teams zur Business-Seite eines Unternehmens die Möglichkeit, die Formulierung von Business-Anforderungen durch UCDAktivitäten zu unterstützen – noch vor dem Start der IT-Entwicklung. Für Or- ganisationen, in denen es nur eine zentrale Fachseite gibt, könnte dies die besser geeignete Wahl darstellen Nach der Erfahrung der Abteilung ist eine organisational virtuell zwischen Business und IT angesiedelte Rolle ideal zur erfolgreichen Umsetzung von UCDAktivitäten. Als sehr günstig hat sich dabei im Projektalltag erwiesen, insbesondere bei Neuentwicklungen, IT und Business frühzeitig in UCD-Aktivitäten einzubeziehen und zum Beispiel bei der Definition von Use Cases für eine neue Anwendung eine Zusammenarbeit zu initiieren: In einigen Projekten war festzustellen, dass die zusätzlichen Ergebnisse der UCD-Aktivitäten sowohl fachlichen als auch IT-seitigen Systemsverantwortlichen wertvolle Informationen sowie eine bessere und vollständigere Vorstellung davon geben konnten, wie die eigentlichen Anwender mit den Systemen arbeiten. Verankerung von UCD-Aktivitäten im Entwicklungsprozess Neben einer günstigen organisationalen Ansiedlung ist auch die prozessbezogene Verankerung für eine erfolgreiche Arbeit von UCD-Tams wichtig. Zusätzlich zur grundsätzlichen Zielsetzung, sich möglichst früh an Projekten zu beteiligen, hat sich in der Erfahrung der Autoren als günstig erwiesen, zu Beginn eines Projektes klare Aufgabendefinitionen für die Arbeit des UCDTeams vorzunehmen. Dabei sollte den Projektverantwortlichen idealerweise für den gesamten Projekthorizont verdeutlicht werden, welche UCD-Aufgaben wann und wo im Entwicklungsprozess geleistet werden können und welchen Beitrag diese für einzelne Meilensteine und das Gesamtergebnis des Projektes liefern. In Organisationen, in denen UCD noch nicht als üblicher Standard etabliert ist, bietet dieses Vorgehen den Vorteil, das eigentliche Ziel, aber auch die Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Grenzen von UCD aufzeigen zu können und so die Erwartungen der Projektbeteiligten sinnvoll zu steuern. Es hat sich zudem als zielführend erwiesen, auch die Übernahme von Dokumentations- und Koordinationsaufgaben im Prozess anzustreben, wie zum Beispiel die UI-Spezifikation oder auch die Moderation von (Design-)Workshops der Projektbeteiligten. In den Projekten, in denen dies gelang, zeigte sich letztlich, dass das Einbringen von UCDErgebnissen deutlich einfacher und integrierter möglich war als in Projekten, bei denen lediglich Ergebnisse zu einzelnen Deliverables beigetragen wurden. Zudem sollte beim Aufsetzen eines Projektes die Rolle eines UCDVerantwortlichen aus dem eigenen Team benannt werden, der – idealerweise auch längerfristig -- im Sinne eines Key-Account-Managers als Ansprechpartner für Fach- und IT-Seite fungiert und alle UCD-relevanten Aktivitäten innerhalb des Projektes koordiniert sowie deren Umsetzung verantwortet. Das Anerkennen der organisationalen und technischen Rahmenbedingungen ist in der Erfahrung der Autoren unumgänglich, um eine Mitsprache bei Entwicklungsprojekten zu haben. Hier ist Verhandlungsgeschick und Kompromissfähigkeit essentiell, um die Umsetzung von UCD-Ergebnissen zu verwirklichen. Abgleich mit Entwicklungszyklen der Organisation Große Organisationen verfügen in der Regel über eine zyklisch organisierte IT-Entwicklung, bei der für die einzelnen Phasen des Entwicklungsprozesses und dem Roll-Out der System-Releases zeitliche Vorgaben bestehen. Für die Arbeit von UCD-Teams bedeutet dies, dass sie die Durchführung und Ergebnisse ihrer Aktivitäten in der Regel in diese Zeitfenster einpassen müssen. Dies ist nicht nur als Erschwernis zu sehen, die eine proaktive Projektplanung und eine große Flexibilität beim Ressourceneinsatz erfordert. Auf der anderen Seite existiert nämlich in den meisten Fällen auch die Möglichkeit, UCD-Ergebnisse über mehrere Releases einer Anwendung hinweg umzusetzen. Die iterative Weiterentwicklung von Systemen erlaubt es unter anderem, hoch priorisierte Anforderungen sofort, und nachgelagerte Anforderungen in einem Folgerelease einzubringen. Um dieses zu gewährleisten, ist eine releaseübergreifende Einbindung des UCD-Teams in die ITProjekte erforderlich, so dass Nutzungsanforderungen nachverfolgt und laufend in die passenden Prozessphasen eingespeist werden können. Darüber hinaus hat es sich bewährt, das UCD-Team auch in die Reviewphase zu integrieren – idealerweise sollte es auch zur Abnahme berechtigt sein. In der Praxis zeigte sich, dass ein zeitnahes Treffen während der Reviewphase bei Verständnisproblemen oder abgelehnten Kommentaren zielführend ist. Eine Voraussetzung ist hier, dass auf der Basis zuvor priorisierter und kommunizierter Ergebnisse diskutiert wird. Interner Support durch andere Abteilungen im Unternehmen UCD-Teams sind bei ihrer Arbeit in hohem Maße auf Information und operative Unterstützung durch andere Fach- und IT-Abteilungen angewiesen. Wird diese nicht durch Vereinbarungen und ggf. auch in der allgemeinen Projektplanung zu Beginn von Projekten sichergestellt, kann es nach unserer Erfahrung zu Effizienzeinbußen bei der Durchführung von UCD-Aktivitäten kommen. Folgende Aspekte haben sich für die Abteilung als kritisch für einen Projekterfolg erwiesen und sollten bei der Planung von UCD-Projekten bedacht werden: Ein hinreichender Überblick über die derzeitige Systemlandschaft, innerhalb der ein neues System entwickelt werden soll, sowie die fachseitige Sicht auf die Systemnutzung sind für das Aufsetzen von UCD-Aktivitäten essentiell. In großen Unternehmen müssen die benötigten Informationen in der Regel von mehreren Personen (aus Fach- und IT-Seite) zusammengetragen werden. Informationen über vorangegangene UCD-relevante Untersuchungen (Marktforschung, Kundenzufriedenheitsbefragungen, Ergebnisse aus Fokusgruppen) sind, ebenso wie Informationen über Management-Interviews, z. T. sehr nützlich, um eine erste Vorstellung der derzeitigen Schwachstellen eines Systems zu bekommen, um zu ermitteln, welche Unternehmensziele durch das System erreicht werden sollen und um die Schwerpunkte von UCD-Aktivitäten nach diesen ausrichten zu können. Diese Informationen müssen bei den entsprechenden Ansprechpartnern aus den Fachabteilungen angefragt werden können. Fachliche Fragen, z.B. zu Geschäftsprozessen, relevanten Nutzergruppen, Vertriebsstrukturen, Rechtekonzepten, Produkten und zukünftigen MarktEntwicklungen kommen immer wieder auf. Hier sollte sichergestellt werden, dass über die gesamte Projektlaufzeit entsprechende Ansprechpartner aus den Fachabteilungen zur Verfügung stehen. Kontakte zu echten Kunden/Nutzern für Befragungen und Nutzertests sind ebenfalls oft nur über andere Abteilungen effizient herzustellen, da diese in der Regel die Steuerungshoheit über Kundenkontakte haben (zur Vermeidung von 289 mehrfachem oder unberechtigtem Ansprechen der Kunden). Bei unternehmensinternen Nutzern ist zu berücksichtigen, dass Befragungen bzw. Untersuchungen an deren Arbeitsplätzen zum einen einer Freistellung von der eigentlichen Aufgabe bedürfen und zum anderen durch betriebliche Vereinbarungen mit der Arbeitnehmervertretung des Unternehmens geregelt sein können und ggf. eine entsprechende, oft nicht zeitnah zu erhaltende Genehmigung erfordern. Hierbei ist auch zu beachten, dass Begriffe wie "Befragung" oder "Nutzertest" bei Probanden oder Arbeitnehmervertretern nachvollziehbare Befindlichkeiten auslösen können. Sie sollten vermieden werden und eine proaktive, rechtzeitige Aufklärung zu Sinn und Zweck der Untersuchung seitens der UCD-Abteilung erfolgen. Erfolgreiche Nutzenargumentation für Usability Anteile Ein zentraler Aspekt der Akzeptanz von UCD-Ergebnissen ist, dass diese nicht nur die Anforderungen von und den Nutzen für den Endanwender, sondern auch die Business-Interessen des Unternehmens berücksichtigen. Bei der Implementierung von UCD muss man auf das Argument vorbereitet sein, dass die durch UCD ermittelten Anforderungen zusätzlichen Aufwand zu den Business-Anforderungen erzeugen. In unserer Erfahrung hat sich der durch die Abteilung gewählte Ansatz bewährt, bei Projektbeginn zu verdeutlichen, dass das UCD zur Verwirklichung der Business Interessen einen essentiellen Beitrag liefert – z.B. indem Abhängigkeiten zwischen den Zielen der Endnutzer und dem Konzernziel transparent gemacht werden. So ist die BusinessAnforderung einer Umsatzsteigerung am Point of Sale (PoS), welche bei der Systemidee eines konzernübergreifenden Vertriebsportal maßgeblich ist, identisch 290 mit dem Ziel der Endnutzer, deren Entlohnung ebenfalls über erfolgreiche Verkäufe beeinflusst wird. Herausforderung des UCD-Teams ist es zu verdeutlichen, dass die systemseitigen Prozesse mittels UCD-Methoden so ausgestaltet werden können, dass Ziele der Nutzer unter Berücksichtigung der technischen Rahmenbedingungen und der konzerninternen Prozesse effizienter verwirklicht werden können. Die aktive und frühzeitige Einbeziehung der Endnutzer liefert dem Entwicklungsprojekt Informationen über die „Pain Points“ aktuell verwendeter Systeme. Diesen kann dann bei der Optimierung vorhandener Prozesse gezielt nachgegangen werden kann. Workflowanalysen zeigen auf, welche Prozesse vorrangig durch ein zukünftiges System unterstützt werden sollen. In diesem Zusammenhang sollte auch das Argument, dass aufgrund der Einbeziehung der Nutzer in die Systementwicklung zusätzliche Aufwände entstehen, entkräftet werden: Inhouse UCD bei T-Mobile agiert nie losgelöst von den technischen und organisationalen Rahmenbedingungen und liefert eine realistische frühzeitige Priorisierung der systemseitig zu unterstützenden Prozesse. UCD Ergebnisse werden demzufolge als zielführend hinsichtlich der unmittelbar umzusetzenden Prozesse dargestellt, statt nur den Charakter einer „Wunschliste“ der Anwender zu haben. Die Praxis bestätigt sogar den umgekehrten Fall: Durch UCD können Aufwände reduziert werden, wenn sich ursprüngliche Anforderungen aus Nutzersicht als nicht sinnvoll oder notwendig erweisen. So war es z.B. bei einer Entwicklung für Mitarbeiter am PoS essentiell, das Telefonieverhalten der Kunden zu kennen, um auf dieser Basis eine bedarfsgerechte Kundenbe- ratung durchführen zu können. Eine hierfür zunächst angedachte aggregierte Aufbereitung des Telefonieverhaltens hätte einen erheblichen Entwicklungsaufwand zur Folge gehabt. Mittels der Kontextanalyse wurde jedoch offenkundig, dass eine Einsicht in die Kundenrechnung für die Berater ausreichend ist – guten Gewissens konnten sich die Projektbeteiligten auf die kostengünstigere Umsetzungs-Variante einigen. Ein Mehrwert für die Einbeziehung von UCD bei Entwicklungsprojekten ist in den Erfahrungen der Autoren die integrative Rolle, die das UCD-Team im Gesamtprojekt einnehmen kann. So wird bei komplexen Projekten häufig offenkundig, dass die beteiligten Fachseiten Spezialisten in ihrem Themenbereich sind. Bei Systemen, die Prozesse verschiedener Facheinheiten integrieren, ist aber eine umfassende Sicht auf die systemübergreifenden Prozesse notwendig. So liefern vom UCD-Team durchgeführte Kontextanalysen und Site Visits eine Gesamtsicht, die wesentlich für die effiziente Erstellung und Ausgestaltung der Use Cases ist. Oftmals wurden zuvor unbekannte Gemeinsamkeiten zwischen Nutzergruppen entdeckt und somit Speziallösungen reduziert. Insbesondere komplexe Projekte, bei denen auch Interessenskonflikte der Stakeholder auftreten können, profitieren von folgender Vorgehensweise: Auf Basis der vom UCD-Team eingebrachten Ideen zur Ausgestaltung können die Beteiligten gemeinsam Lösungen entwickeln, statt eigens entwickelte Lösungsvorschläge zu vergleichen und zu verhandeln. Ein Mehrwert der Integration von UCDMethoden resultiert in der Erfahrung der Autoren auch aus dem Prototyping, also der visuellen Umsetzung der Projektergebnisse und Zwischenstände während der Systementwicklung: Prototyping liefert in diesem Kontext „greifbare“ Dis- Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 kussionsgrundlagen und fördert die sukzessiven Abstimmungsprozesse unter Berücksichtigung der Abhängigkeiten der Nutzungsanforderungen. Die iterative Vertestung von Prototypen stellt sicher, dass das Systemziel verfolgt wird. Die zeitnahe Evaluation der Prototypen liefert den Beteiligten wertvolle Hinweise, welche Designalternativen konsolidiert werden können. Da valide erhobene Evaluationsergebnisse auf mehrere Systembereiche übertragbar sind, können diese auch bei nicht unmittelbar zur Umsetzung geplanten Folgereleases eine Richtschnur darstellen. Das im Rahmen des UCD betriebene systematische Nachverfolgen von Nutzungsanforderungen ist ein Bestandteil des insbesondere in großen Organisationen erforderlichen Requirement Managements. So können die vom UCDTeam angefertigten Dokumentationen und Priorisierungen der Nutzungsanforderungen die Fachseiten bei der Stellung von Change Requests unterstützen. Die Integration von UCD bei der Systementwicklung liefert meistens nicht nur auf ein konkretes System bzw. die dort abzubildenden Prozesse bezogenen Input von Endnutzern. Eine Vielzahl der Ergebnisse können bei vergleichbaren Businessanforderungen für alternative Systeme oder prozessübergreifende Optimierungen genutzt werden oder sogar Kontextprobleme aufdecken, deren Lösung nicht durch die IT allein angegangen werden müsste. Durch den proaktiven Umgang mit diesem Input profitieren auch andere Projekte von den Ergebnissen des UCD. 3.0 Bewertung und Ausblick Die Abteilung hat in der Umsetzung von UCD die Erfahrung gemacht, dass trotz anerkannter Expertise der Mitarbeiter, korrekter Auswahl und Anwendung von Methoden und fachlich valider Auf- bereitung der Ergebnisse der Projekterfolg im Sinne einer Usabilityoptimierten Lösung oftmals nicht erreicht werden konnte. Einen merklichen Impact gab es erst dann, wenn die in diesem Beitrag beschriebenen Erfolgsfaktoren erfüllt waren: Organisationale und prozesstechnische Rahmenbedingungen wurden mit aufgegriffen, Methodenauswahl und Durchführung orientierte sich an übergreifenden Anforderungen aus Business und IT, Ergebnisse wurden so aufbereitet, dass nachfolgende Projektbeteiligte einfach damit weiterarbeiten konnten und der Mehrwert einer UCD-Beteiligung wurde kontinuierlich herausgearbeitet. Die dargestellten Ansätze und Beispiele haben allesamt gemein, dass sie letztendlich die Position der UCDAbteilung sowie Akzeptanz und Weiterverwendung der Ergebnisse fördern. Sie flankieren den effizienten Einsatz und die qualitativ hochwertige Durchführung von Methoden, um die Berücksichtigung der Ergebnisse im Unternehmen im Alltag zu etablieren. Hierbei ist im Sinne einer nachhaltigen Verankerung natürlich auch wichtig, dass die Ergebnisse auch auf Dauer zuverlässig, zutreffend und im Hinblick auf Unternehmensziele förderlich sind. Entscheidungen, die auf fehlerhaften Ergebnissen basieren, können einen erzielten Reputationsgewinn schnell wieder zunichte machen. auf beliebige Firmenkontexte wäre aufgrund des Fallbeispiel-Charakters der einzelnen Aspekte nicht angemessen. 4.0 Danksagung Die Autoren bedanken sich beim ITManagement der T-Mobile Deutschland GmbH für das Ermöglichen dieses Beitrags. Zusätzlich danken wir unserer Abteilungsleiterin Claudia Roennefahrt für die konstruktiven Rückmeldungen bei der Zusammenstellung des Beitrags, ebenso wie für die Möglichkeit, zu den beschriebenen Faktoren sowohl in Projekten wie auch übergreifend Erfahrungen sammeln und unsere UCD-Arbeit dadurch stetig optimieren zu können. 5.0 Literaturquellen Cooper, A. (2003): About Face 2.0. Wiley Publishing Inc., Indianapolis, US. IBM (1996). Ease of Use Model. abgerufen von http://www3.ibm.com/ibm/easy/ eou_ext.nsf/publish/1996, (11/2004). Mayhew, D. (1999): Usability Engineering Lifecycle. San Francisco: Morgan Kaufmann. Nebe, K & Zimmermann, D (2007): Aspects of Integrating User Centered Design into Software Engineering Processes. In: Jacko, J. (Hrsg.): Proceedings of HCI 2007. Heidelberg: Springer Verlag. Rosenbaum, S., Rohn, J. & Humburg, J. (1999): What Makes Strategic Usability Fail? Lessons Learned from the Field. In: Proceedings of CHI 1999, 93-9 Die in diesem Beitrag gesammelten Erfahrungen können nur eine subjektive Zusammenstellung darstellen, deren Validität auch von den lokalen Gegebenheiten im Unternehmen abhängt. Die Autoren verstehen die einzelnen Abschnitte als Anregungen, die von interessierten Lesern in ähnlichen Organisationen aufgegriffen, durchdacht und ggf. umzusetzen versucht werden können. Eine Generalisierung 291 292 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Methoden un d Proz e s s e 293 294 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Evaluation eines Human-Machine-Interfaces für TowerFluglotsen unter Einsatz eines Simulators Christina König Institut für Arbeitswissenschaft Technische Universität Darmstadt Petersenstraße 30 64287 Darmstadt [email protected] www.arbeitswissenschaft.de Thomas Hofmann Institut für Arbeitswissenschaft Technische Universität Darmstadt Petersenstraße 30 64287 Darmstadt [email protected] www.arbeitswissenschaft.de Jörg Bergner Forschung und Entwicklung DFS Deutsche Flugsicherung GmbH Am DFS-Campus 10 63225 Langen [email protected] www.dfs.de Ralph Bruder Institut für Arbeitswissenschaft Technische Universität Darmstadt Petersenstraße 30 64287 Darmstadt [email protected] www.arbeitswissenschaft.de Abstract Zur Unterstützung der Arbeitsaufgabe bei steigenden Anforderungen im Luftverkehr wurde ein neuartiges HMI für Tower-Fluglotsen entwickelt und in einer Reihe von Simulationen während des Gestaltungsprozesses evaluiert. Der Beitrag zeigt den Nutzen einer formativen Evaluation in einem iterativen Designprozess und geht dabei besonders auf die Möglichkeiten der Datenerfassung in einer EchtzeitSimulation ein. Keywords aufbereiten und präsentieren. Je besser diese Daten auf die anstehenden Entscheidungen und Handlungen des Lotsen abgestimmt sind, desto effizienter und sicherer kann er seiner Arbeit nachgehen. Dies war ein Ziel des hier vorgestellten Projekts. Die Herausforderung lag darin, eine für die Arbeitsaufgabe und -situation optimal angepasste Gestaltungslösung zu entwickeln, die sowohl ergonomischen und betrieblichen Anforderungen genügt als auch die Akzeptanz der Lotsen besitzt. Die Expertise der Lotsen wurde daher ebenso in den Gestaltungsprozess einbezogen wie die der Psychologen, Designer und Ingenieure. Die Eignung des Interfaces für die Arbeitsaufgabe sowie die Akzeptanz seitens der Lotsen sollte projektbegleitend evaluiert werden. Simulation, Beobachtungsinterview, iterativer Gestaltungsprozess, Arbeitswissenschaft, Flugsicherung Um der hoch komplexen Arbeitssituation gerecht zu werden und Ergebnisse auf den realen Tower-Betrieb übertragen zu können, kam dazu ein Tower-Simulator zum Einsatz, in dem mehrere Lotsen in einer höchst realistischen Umgebung Szenarien bearbeiten. 1.0 Einleitung Der Beruf des Fluglotsen ist eine hoch beanspruchende Tätigkeit. Ein hohes Maß an Verantwortung verbunden mit extrem kurzen Entscheidungsphasen führt zu einer starken Arbeitsbelastung. Zunehmender Luftverkehr und die immer komplexeren Entscheidungsketten steigern diese zusätzlich (Leonhardt 2005; Manning 2005). 1.1 Arbeitsplatz Tower-Lotse Diese hohe Anforderung gilt auch für den Arbeitsplatz des Tower-Lotsen, zu dessen Aufgaben die Koordination der Starts und Landungen gehört. Besonders in Phasen hohen Flugverkehrsaufkommens muss er in kurzer Zeit eine Vielzahl unterschiedlicher Informationen verarbeiten sowie schnell und sicher handeln. Die Arbeitsmittel der Lotsen sollen sie bei der Informationsverarbeitung optimal unterstützen. Sie sollten dem Lotsen entscheidungsrelevante Daten effizient 1.2 Beschreibung des Projekts In einem interdisziplinären Team aus Arbeitswissenschaftlern, Designern, Ingenieuren und Lotsen wurde vom Institut für Arbeitswissenschaft gemeinsam mit der DFS Deutsche Flugsicherung GmbH und delair Air Traffic Systems GmbH ein HumanMachine-Interface (HMI) für einen Towerlotsen-Arbeitsplatz entwickelt. Das Projekt fand im Rahmen des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie geförderten 4. Luftfahrtforschungsprogramms im Verbundvorhaben Wettbewerbsfähiger Flughafen (WFF) statt, das u. a. eine effizientere Abwicklung des Flugverkehrs an deutschen Großflughäfen zum Ziel hat. 2.0 Projektablauf Die Entwicklung eines HMI für Fluglotsen stellt besondere Anforderungen an das Entwicklungs- und Evaluationsteam. Konventionelle Gestaltungsprinzipien (z.B. DIN EN ISO 9241-110) können nur zum Teil angewandt werden. Die äußeren Bedingungen im Tower wie hoher Entscheidungsdruck oder schwierigen Umgebungsbedingungen führen einerseits zu Einschränkungen, der ho- 295 he Trainingsgrad der Benutzer andererseits aber auch zu neuen Gestaltungsmöglichkeiten. 2.1 Iterativer Designprozess Das Vorgehen im Projekt folgte dem Prinzip des iterativen Designs (Genov 2005): Nach Analyse der bestehenden Arbeitssituation, der Arbeitsaufgaben sowie aktueller Bedienkonzepte wurden Soll-Kriterien für das Interface definiert. Auf der Basis dieser grundlegenden Erkenntnisse wurden nun mehrere iterative Schleifen im Vorgehen begangen: Nach der Programmierung aktueller HMI-Entwürfe und -varianten wurden diese im 3D-Realzeit-Tower-Simulator der DFS eingesetzt. Die sich aus den Erkenntnissen der Simulation ergebenden Veränderungsvorschläge führten jeweils zu einer weiteren Schleife mit einem verbesserten HMI. tung. Daher wurde als Testumgebung der 3D-Echtzeit-Tower-Simulator der DFS ausgewählt. Dieser stellt den Arbeitsplatz des Lotsen realitätsgetreu inklusive einer nahezu vollständigen Rundumsicht dar und bietet damit eine ähnliche Situation wie im realen Tower. Die Simulationsumgebung umfasst die Arbeitsplätze von Anflugkontrolle, Tower und Vorfeldkontrolle. Alle diese Arbeitsplätze werden besetzt, um Eingaben und Funkverkehr analog zum normalen Tower-Betrieb durchzuführen. Reale Personen übernehmen außerdem als so genannte „Pseudopiloten“ die Rolle der Piloten, führen Anweisungen der Lotsen aus, steuern die Flugzeuge und vermitteln so einen noch realistischeren Eindruck im Tower-Simulator. 3.2 Das endgültige Interface ist somit ein Produkt einer verdichtenden Gestaltung und eine schrittweise Annäherung an ein für diesen Arbeitsplatz optimales Human-Machine-Interface. 2.2 Beteiligung der Nutzer Der Tower-Lotse als späterer Benutzer des Systems wurde von Beginn der Entwicklung an beteiligt. So erhält man frühzeitig nicht nur Hinweise auf Bedienprobleme, sondern auch auf sinnvolle Konzepte und Funktionen. Diese können dann direkt in die Entwicklung mit eingehen. Gleichzeitig kann so die Akzeptanz der Nutzer verstärkt werden, sofern deren Vorschläge auch tatsächlich sichtbare Anwendung in der Gestaltung finden. 3.0 Simulation 3.1 Tower-Simulator der DFS Für die Evaluation war die Realitätstreue der Simulation von großer Bedeu- 296 Ablauf der Simulation In den Simulationen wurden HMIEntwürfe in unterschiedlichen Entwicklungsstadien eingesetzt, wobei der Lotse ständig arbeitswissenschaftlich begleitet und seine Bedienhandlungen und -schwierigkeiten protokolliert wurden. Der Lotse erhielt zu Beginn eine kurze Einführung in die Bedienlogik des Interfaces sowie seine eigenen Aufgaben. In der anschließenden Simulation wurde eine alltägliche Situation am Tower nachgestellt, wobei der Lotse angewiesen wurde, sich möglichst realitätsnah zu verhalten. Zusätzlich erfolgte die Anweisung, Gedanken und Überlegungen bezüglich des verwendeten Interfaces laut zu äußern, um sie so den Beobachtern zugänglich zu machen (Methode des lauten Denkens, vgl. Bortz & Döring 2002). Der Schwerpunkt der Instruktion lag jedoch auf der korrekten Erfüllung der Arbeitsaufgabe, um so eine dem normalen Tower-Betrieb annä- hernd gleiche Arbeitsweise zu erhalten. 3.3 Beobachtungsinterview Um strukturierte und verlässliche Daten zu erhalten, wurde die Methode des Beobachtungsinterviews gewählt (vgl. Dunckel 1999). Der Beobachter kann damit seine Erkenntnisse direkt mit dem Nutzer besprechen, offene Fragen und Unklarheiten beantworten und so die eigenen Beobachtungen direkt zu verifizieren. Auch nicht direkt beobachtbare Informationen wie beispielsweise die Einschätzungen und Meinungen der Lotsen bezüglich des HMI konnten so erfasst werden. Zwar stellt diese Methode, wie generell die Verwendung einer Simulationsumgebung, auch einen größeren Eingriff in den natürlichen Arbeitsablauf des Lotsen ein. Hier kommt aber eine Besonderheit der Benutzergruppe zum Tragen: Die Arbeit im Tower-Simulator ist Lotsen vertraut, da sie auch in ihre Aus- und Weiterbildung integriert ist. Auch die Interaktion mit anderen Personen, über Funk oder persönlich, ist im Arbeitsalltag der Lotsen üblich. Daher wurde die Beeinträchtigung durch die Befragung während der Arbeit im Vergleich zum großen Nutzen der gewonnenen Daten als gering eingeschätzt. Zur Ergänzung der während der Simulation erhaltenen Daten wurde anschließend ein weiteres, strukturiertes Interview zu Aspekten der HMI-Gestaltung und -Bedienung durchgeführt. 3.4 Bewertung der Methode Der Einsatz von Simulationen zur Erfassung der Usability hat sich im Projekt bewährt. Unter aktiver Beteiligung der Lotsen erhielt das Projektteam wertvolle Hinweise zur Gestaltung, die zu einer deutlichen Veränderung der folgenden Entwürfe führten. Gleichzeitig bestätigten die ersten Simulationsläufe die prinzipiellen Interaktionskonzepte Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 und grundsätzliche Akzeptanz der Lotsen des entwickelten HMI. Die Simulation diente damit als sinnvolles Werkzeug, um die Entwicklung des Interfaces zu begleiten, Konzepte zu überprüfen und in realitätsnaher Umgebung zu validieren. Die Kombination aus Beobachtung und Befragung erwies sich ebenfalls als sinnvoll. Es hat sich gezeigt, dass reine Beobachtungen für solche komplexen mentalen Prozesse nicht ausreichen. Durch das gleichzeitige Befragen konnten arbeitswissenschaftliche Beobachtungen direkt mit den subjektiven Einschätzungen der Lotsen in Beziehung gesetzt werden. Die Simulationssituation an sich wurde von den Lotsen als sehr realistisch empfunden. Allerdings gibt es auch Hinweise, dass das Verhalten im Simulator einige Abweichungen vom alltäglichen, im Tower gezeigten Verhalten aufwies. Hier zeigen sich die Grenzen der Simulatorforschung, denn der Simulator kann immer nur einen Ausschnitt der Sinneseindrücke und Anforderungen aus der realen Situation bieten. Der Frage der Übertragbarkeit der Ergebnisse vom Simulator in den Tower soll im weiteren Verlauf der Studie nachgegangen werden. 4.0 Literaturverzeichnis Bortz, J. & Döring, N. (2002): Forschungsmethoden und Evaluation für Human- und Sozialwissenschaftler. Berlin: Springer. DIN EN ISO 9241-110:2006. Ergonomie der Mensch-System-Interaktion - Teil 110: Grundsätze der Dialoggestaltung. Dunckel, H. (1999): Handbuch psychologischer Arbeitsanalyseverfahren. Zürich: vdf, Hochschulverl. an der ETH Zürich. Genov, A. (2005): Iterative Usability Testing as Continuous Feedback: A Control Systems perspective. In: Journal of Usability Studies, Vol. 1, Nr. 1, S. 18-27. Leonhardt, J. (2005): Implementation of Critical Incident Stress Management at the German Air Navigation Services. In: Kirwan, B.; Rodgers, M. & Schäfer, D. (Hrsg.): Human Factors Impacts in Air Traffic Management. Hampshire: Ashgate Publishing Limited, S. 207-225. Manning, C. & Stein, E. (2005): Measuring Air Traffic Controller Performance in the 21st Century. In: Kirwan, B.; Rodgers, M. & Schäfer, D. (Hrsg.): Human Factors Impacts in Air Traffic Management. Hampshire: Ashgate Publishing Limited, S. 283-31. 297 Usability Tests bei Immobilienscout24 – Aktuelle Herausforderungen im User Experience Design Monika Denk ImmobilienScout24 Andreasstraße 10 10243 Berlin [email protected] Anja Kimm ImmobilienScout24 Andreasstraße 10 10243 Berlin [email protected] Dr. Steffen Klein ImmobilienScout24 Andreasstraße 10 10243 Berlin [email protected] Abstract Mit der Entwicklung der Informationstechnologie zu einem Massenmarkt haben sich auch die Anforderungen an das User Experience Design verändert. Die heutigen Entwicklungszyklen bringen hohe Erwartungen hinsichtlich Effizienz und Flexibilität mit sich, die ohne eine laufende, praxisnahe Anpassung der Einleitung 1.0 Die Entwicklung des User Experien1 ce Design (UX) hängt eng mit dem Wandel der Computernutzung zusammen. Während die Nutzung zu Beginn nur wenigen Experten vorbehalten war, ist sie heute – zumindest in den Industrieländern – ein alltägliches Gut. Die Veränderungen auf Seiten der Anwender und die damit einher gehenden Anforderungen hinsichtlich Gebrauchstauglichkeit, Verständlichkeit, emotionaler Bindung usw. sind ein wesentlicher Treiber für die kontinuierliche Weiterentwicklung der Designdisziplin. In dem Maße, wie Softwareprodukte zu Konsumartikeln werden, wächst auch die Bedeutung von Design als Differenzierungsfaktor (Klein 2001). Mit der massenhaften Computernutzung vor allem auch im Onlinebereich ist aber nicht nur ein Wandel bei den Anwendern einhergegangen. Gleichzeitig haben sich auch die Produktionsbedingungen wesentlich verändert. War die individuelle 1 Der Begriff User Experience Design oder UX wird hier und im gesamten Artikel als Klammer für die unterschiedlichen Tätigkeitsbereiche User Interface Design, Usability Engineering usw. verwendet. 298 Werkzeuge und Methoden kaum zu erfüllen sind. Im vorliegenden Beitrag werden einige aktuelle Herausforderungen beschrieben. Am Beispiel der internen Usability Tests bei ImmobilienScout24 wird gezeigt, wie die Anforderungen durch ein pragmatisches Vorgehen erfüllt werden können. Keywords Entwicklung von Computerprogrammen von und für Spezialisten im Wesentlichen ein „handwerklicher“ Prozess (im Sinne der Produktion von Einzellösungen), so haben sich heute in vielen Bereichen der Softwareentwicklung industrielle Entwicklungsprozesse etabliert. User Experience Design wird dabei oft zum integralen Bestandteil der Produktentwicklung. denentwicklung (Rogers 2004). Die aktuellen Herausforderungen des User Experience Design lassen sich an folgenden Themengebieten festmachen. 2.0 Aktuelle Anforderungen an das User Experience Design Vor allem im B2C Bereich wird die Qualität der „User Experience“ heute als kritischer Erfolgsfaktor für das extrem wettbewerbsintensive Geschäft wahrgenommen. In einem Markt, der von schnellem Wachstum und kurzen Innovationszyklen geprägt ist, werden dabei hohe Erwartungen an Produktivität und Ergebnisorientierung der UX Teams gestellt. Zugleich passen die im akademischen Umfeld entwickelten Methoden und Werkzeuge in vielen Fällen nicht zu der spezifischen Situation einer „industriellen Produktgestaltung“. In der Praxis profitiert das User Experience Design daher nicht im gewünschten Maße von der wissenschaftlichen Metho- User Interface Design, User Experience, Usability, Internet 2.1 Organisation und Prozesse Die Frage, wie sich ein UX Team zusammensetzt, wie es in die Organisation eingebettet ist und wie die Schnittstellen z. B. zu Produktmanagement und Entwicklung definiert sind, ist ein bedeutender Erfolgsfaktor für das User Experience Design. Auch wenn die Aufgaben und Verantwortlichkeiten nominell über den Entwicklungsprozess festgelegt werden, so entscheidet doch oft die Art der Aufbauorganisation mit über die tatsächlichen Arbeitsbeziehungen. Vielfach ist der Entwicklungsprozess – wenn überhaupt – nur informell definiert. Das erschwert die Anwendung von formalen Prozessmodellen, wie sie in der Literatur beschrieben sind. Zudem treffen diese Modelle bei der Anwendung im Unternehmen vielfach auf historisch gewachsene Gegebenheiten, die berücksichtigt werden müssen und die Anpassungen und Kompromisse erfordert. Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 2.2 Kommunikation Gerade in heterogenen Teams fällt es oft schwer, geeignete Kommunikations- und Darstellungsformen zu finden, die einerseits den jeweiligen fachlichen Anforderungen entsprechen (Vollständigkeit, Widerspruchsfreiheit, Konsistenz, …) und die andererseits von allen Mitgliedern eines Projektteams verstanden und selbst kompetent angewandt werden können. Darstellungsstandards, die das richtige Zusammenspiel von formaler Beschreibung und erlebbarer Darstellung ermöglichen, haben sich im UX Design bisher nicht etablieren können. Die Dokumentation von Arbeitsergebnissen hat oft eher illustrativen als formalen Charakter oder erfolgt ebenso ungenau in Prosaform. Aus vermeidlichen Zeitgründen wird vielfach – vor allem in der Konzeption – auf eine hinreichende Dokumentation verzichtet, statt nach effizienteren Formen der Dokumentation und Darstellung zu suchen, die beispielsweise die Formalisierung bietet. Nicht selten führt dann dieser Mangel an Formalisierung dazu, dass Lücken und Inkonsistenzen im Konzept erst spät aufgedeckt werden und dann zu zusätzlichen Kosten und Verzögerungen führen. 2.3 Wissensbasis Im Hinblick auf die Informationsbasis der Gestaltung zeigt sich ein Vorteil der internen Arbeit gegenüber der rein projektbezogenen Zusammenarbeit (z. B. mit Agenturen): Die kontinuierliche Arbeit innerhalb des Unternehmens ermöglicht die sukzessive Entwicklung einer Wissensbasis (z. B. hinsichtlich der Zielgruppe und des Nutzungskontextes) und passender unternehmensinterner Standards (Styleguide, Design Patterns, etc.). Der projektspezifische Aufwand wird dadurch reduziert und der Nutzen für andere Bereiche des Unternehmens erlebbar. Gleichzeitig stellen der Aufbau und die Vermittlung solcher Ressourcen vor dem Hintergrund der zeitlichen Anspannung eine gewaltige Herausforderung dar. Da es gerade im Bereich der Anforderungsanalyse vielfach inhaltliche Überlappungen mit anderen Bereichen gibt (Produktmanagement, Marktforschung, Produktmarketing), besteht immer auch die Gefahr von Abgrenzungsdiskussionen, die den Informationsfluss blockieren statt die unterschiedlichen Perspektiven produktiv zu nutzen. 3.0 Usability Tests bei ImmobilienScout24 Die beschriebenen Herausforderungen betreffen prinzipiell alle Phasen und Tätigkeitsbereiche des User Experience Design. Die verschiedenen Bereiche sind aber in unterschiedlichem Maße auf diese Herausforderungen vorbereitet. In der Usability ist der Wunsch nach schnellen und flexiblen Ansätzen frühzeitig erkannt worden (Nielsen, 1990) und hat mittlerweile zu einer Reihe von Veröffentlichungen zu diesem Thema geführt (Krug 2000). Nichtsdestotrotz stellt die erfolgreiche Integration von Usability Tests innerhalb eines Unternehmens eine stete Herausforderung dar. Im Folgenden wird am Beispiel unserer eigenen Erfahrungen dargestellt, wie wir bei ImmobilienScout24 den Herausforderungen im Bereich Usability Tests begegnen. In den Usability-Tests werden Prototypen in verschiedenen Projektstadien evaluiert, aber auch die bestehenden Website und die Angebote von Mitbewerbern. Mit den Tests werden Handlungsbedarfe identifiziert und Designentscheidungen abgesichert. Die Zielgruppen von ImmobilienScout24 können in zwei Bereiche unterteilt werden: Immobiliensuchende einerseits und private oder gewerbliche Anbieter von Immobilien andererseits. Eine der Herausforderungen bei beiden Zielgruppen ist es, den Aufwand für die Tests in einem vertretbaren Rahmen zu halten und gleichzeitig flexibel auf die Anforderungen hinsichtlich zeitlicher Planung und zu testender Produkte zu reagieren. Aufgrund der unterschiedlichen Rahmenbedingungen werden die Usability Tests mit diesen beiden Probandengruppen auf unterschiedliche Art und Weise durchgeführt. Die Usability Tests mit Immobiliensuchenden (und teilweise auch privaten Anbietern) werden im Haus durchgeführt. Auf Grund der räumlichen Situation im Unternehmen existiert kein Usabilitylabor. Die Tests finden stattdessen in einem normalen Besprechungsraum statt. Die notwendige technische Ausstattung wird kurz vor Beginn der Tests im Raum aufgebaut. Neben dem Versuchsleiter, der zugleich Protokollant ist, und dem Probanden befinden sich teilweise zusätzliche Besucher mit im Raum, die die Tests mitverfolgen. Alle Tests werden für nachträgliche Auswertungen per Video und Mirkofon aufgezeichnet. Die Tests finden in einem 14-tägigen Rhythmus statt. Hierfür wird von den registrierten Usern des Portals monatlich eine passende Stichprobe von ca. 400 Personen ausgewählt und per E-Mail angeschrieben. Von dieser Auswahl melden sich in der Regel 8-30 Interessenten zurück, die dann zu den jeweiligen Testterminen eingeladen werden. Mit diesem Verfahren ist sichergestellt, dass die richtige Zielgruppe für den jeweiligen Test eingeladen wird. Durch den regelmäßigen Rhythmus können Tests zuverlässig im Designprozess eingeplant und ggf. mehrere Varianten in relativ kurzen Abständen getestet werden. 299 Die Tests mit gewerblichen Anbietern werden in den Büros der Anbieter durchgeführt. Die zu testenden Anwendungen sind dabei auf einem Laptop installiert, welches vom Versuchsleiter mitgebracht wird. Diese mobile Testausstattung erleichtert die Tests vor Ort, ohne dass dadurch die Qualität der Testergebnisse leidet (vgl. Nielsen 1993, S. 202). Bei der Untersuchung sind der Versuchsleiter und oft zusätzlich ein Projektleiter anwesend. Letzterer übernimmt dabei häufig die Aufgabe des Protokollanten und erfährt zeitgleich, welche Prozesse bereits besonders gut funktionieren und an welchen Stellen noch Schwachpunkte existieren. Auch die Probanden der Anbieterbezogenen Tests werden anhand eines Mailings rekrutiert. Zusätzlich werden Seminare und Veranstaltungen genutzt, um weitere Anbieter als Probanden zu gewinnen. Um den notwendigen Reiseaufwand in Grenzen zu halten, ist die Durchführung der Tests in der Regel auf den Raum Berlin beschränkt. Auf Grund der begrenzten Zahl verfügbarer Probanden lassen sich häufige Testiterationen jedoch bei den gewerblichen Anbietern schwieriger realisieren als bei den Nachfragern. Infolgedessen werden zunehmend auch Remote-Tests durchgeführt. Für Remote-Tests wird die Software Netviewer verwendet. Netviewer erlaubt es, dem Probanden ein so genanntes Fernsteuerungsrecht zu erteilen. In der Untersuchungssituation befindet sich der zu testende Prototyp auf dem PC des Versuchsleiters – der Proband sieht auf seinem PC den Bildschirm des Versuchsleiters und hat über die Fernsteuerung die Möglichkeit, den Prototypen über seine eigene Tatstatur und Maus zu bedienen. Die verbale Kommunikation läuft parallel via Telefon. Obwohl sich das Remote-Testing bei ImmobilienScout24 noch in der Anfangsphase befindet, haben wir schon jetzt sehr gute Er- 300 fahrungen gesammelt. Besonders durch den Wegfall regionaler Beschränkungen und die enormen Zeitersparnis ist das Verfahren vor allem für den B2B-Bereich eine sehr interessante Ergänzung zu den Tests vor Ort. 3.1 Methodische Fragen Die beschriebene Vorgehensweise für unsere internen Usability Tests erfordert minimalen zeitlichen und technischen Aufwand. Bei der Durchführung der Tests wird die Thinking Aloud Methode verwendet. Diese Methode hilft uns, das mentale Modell des Nutzers zu verstehen und auch solche Usability Probleme aufzudecken, die nicht unmittelbar im Verhalten des Probanden zum Ausdruck kommen. Unsere Erfahrungen zeigen, dass auch die Probanden kaum Probleme haben, sich auf diese Methode einzulassen – selbst dann, wenn zusätzliche Besucher im Raum sind. Eine Erweiterung der technischen Ausstattungen, z. B. für das Eyetracking, bietet unseres Erachtens keinen wesentlichen Mehrwert. Die hohen Anschaffungskosten stehen in keinem Verhältnis zum praktischen Nutzen, den solchen Verfahren für die Gestaltung bieten (vgl. Burmester, 2006, S.8). Für Fragestellungen, die sich dieser Methodik bedienen (z.B. Reihenfolge der Wahrnehmung von bestimmten Elementen) wird auf externe Dienstleister zurückgegriffen. Gleiches gilt für umfangreiche Projekte (z.B. bundesweite Usability-Tests). 4.0 Zusammenfassung Interne User Experience Teams, die Teil des Produktentwicklungsprozesses sind, stehen einer doppelten Herausforderung gegenüber. Sie müssen mit der notwendigen Pragmatik den hohen Anforderungen hinsichtlich Effizienz und Flexibilität entsprechen, die ein industrieller Entwicklungsprozess mit sich bringt. Zugleich müssen sie die Werkzeuge und Methoden mit denen sie arbeiten kontinuierlich weiterentwickeln und an die Erfordernisse der Praxis anpassen. Im Bezug auf die Usability-Tests hat uns die Literatur maßgeblich unterstützt, den Grundstein für die unternehmensinterne Durchführung zu legen. In der Praxis mussten wir uns jedoch an die uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten halten, um die internen Untersuchungen in den notwendigen Zeitabständen sowie natürlich auch rentabel durchzuführen. Dennoch sind wir überzeugt, mit den angepassten Vorgehensweisen die Zielsetzung des Usability Testings zu erfüllen. Ziel des Beitrags ist es auch, auf die spezifischen Anforderungen hinzuweisen, die heute an interne UX Teams gestellt werden und damit einen erneuten Anstoß zu geben, diese Herausforderungen in Ausbildung und Forschung stärker zu adressieren und, wo möglich, den Austausch zwischen den Akteuren zu verstärken. 5.0 Literaturverzeichnis Burmester, M. (2006): Einführung in die Blickregistrierung. Unveröffentlichtes Skript. Klein, S. (2001): Differenz und Kohärenz: Gestaltung und Wahrnehmung elektronischer Medien. Heidelberg: Synchron. Krug, S. (2000): Don’t make me think! : A common sense approach to Web usability. Indianapolis: Que. Nielsen, J. (1994): Guerrilla HCI: Using Discount Usability Engineering to Penetrate the Intimidation Barrier. www.useit.com/papers/guerrilla_hci.html Nielsen, J. (1993): Usability-Engineering. Boston: Academic. Rogers (2004): New Theoretical Aproaches for HCI. In: ARIST: Annual Review of Information Science and Technology, Nr. 3 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Strategisches User Experience Design Wertorientierte Entwicklung von Interfaces David Gilbert Emser Straße 59 65195 Wiesbaden [email protected] Abstract Das User Experience Konzept hat aufgrund seiner holistischen Betrachtungsweise das Potential strategisch zu wirken und übergreifend die Entwicklung von Interfaces zu führen. Herausforderungen sind jedoch die praktische 1.0 Der Begriff User Experience Unter der aktuellen Diskussion von User Experience sind besonders das Verständnis nach Hassenzahl und das Modell nach Jetter&Gerken hervorzuheben. Hassenzahl weist hierbei besonders auf folgende Facetten hin: (Hassenzahl 2006) x x x Non-instrumentelle Qualitäten von Produktqualität. Fokus auf positive, emotionale Ereignisse. Perspektive der Situationsbezogenheit und Zeitweiligkeit. Anwendung und die Bestimmung strategischer Werte. Daher soll das User Experience Konzept hier als Design betrachtet und durch strategische Werte aus Bunsiness- und Nutzersicht fundiert werden. Keywords Aufgabe (Kontext des Subjekts) stattfindet. (Bonsiepe 1996) vor einiger Zeit in seinem „Experience Design“ Konzept aufgegriffen. In Bezug auf das User Experience Konzept, erscheint es jedoch sinnvoll, diese Definition zu erweitern. Für die praxisnahe Anwendung sollte in Anlehnung an das Modell nach Jetter/Gerken dem Nutzer auch die Organisation als Element gegenüber gesetzt werden. Bezüglich des Objektes sollte neben dem Werkzeug und Produktcharakter auch explizit auf seine kommunikative, semiotische Seite hingewiesen werden. (Gilbert 2007) User Experience, Design, Strategie, Wertorientierung 1.1 Ökonomischer Rahmen In der aktuellen ökonomischen Theorie werden unter dem Stichwort „Emotion Economy“ die beiden Ansätze „Experience Economy“ und „Value Economy“ diskutiert. (Nijs 2003) „Experience Economy“ betont dabei die Inszenierung einprägsamer Erlebnisse, sowie die Betrachtung der Inszenierung als eigentliches Produkt. Die „Value Economy“ verweist auf die Bedeutung übergreifender Geschichten, die eine Organisation erzählt und die aus Kundensicht im. Als strategische Quelle fließen diese in die gesamte Unternehmenspolitik mit ein. Das Modell nach Jetter&Gerken integriert neben dem Nutzer noch die Organisationsperspektive. Hierdurch wird eine hohe Praxisnähe für die Anwendung geschaffen. (Jetter&Gerken 2006) Beide Ansätze finden sich auch im Customer Experience Management (CEM) wieder. Dieses hat sich im Bereich des Beziehungsmarketings als Managementansatz herausgebildet. Diese beiden Modelle sollen als inhaltliche Basis für ein strategisches User Experience Konzept stehen. In diesem Zusammenhang ist jedoch noch der Begriff von Interface zu definieren. Abb. 1: Interface Interface, als Raum für effektives Handeln definiert sich nach bisherigem Verständnis als Dimension, in der die Interaktion zwischen den Elementen Benutzer (Subjekt), Werkzeug (Objekt) und Hieraus kann abgeleitet werden, dass für die praktische Anwendung Produktund Kommunikationsdesign integriert werden sollten. Der amerikanische Designverband AIGA hat dieses schon Inhaltlich wurde hier eine Antwort auf die nicht vorhandene Prozessorientierung bei Kundenzufriedenheit und die nicht vorhandene non-funktionale Betrachtung der Kundenbedürfnisse des Customer Relationship Managements gegeben. Allgemein definiert sich CEM als „Prozess des strategischen Managements 301 aller Kundenerlebnisse mit einer Marke an sämtlichen Kontaktpunkten“. Die Umsetzung erfolgt durch die Gestaltung relevanter Erlebnistreiber. (Schmitt&Mangold 2004) Aus diesem Selbstverständnis heraus, kann das Design folgende drei Kernaufgaben der praktischen Anwendung des User Experience Konzeptes erfüllen: Bei der Analyse des Kundenerlebnisses sollte neben der Zielgruppenanalyse und der Kontaktpunkt-Evaluation eine Erlebnisschichten-Analyse durchgeführt werden. Die Erlebniswelt besteht hierbei aus drei Schichten: 1. x x x Erlebnis der Marke. Erlebnis der Nutzungs- bzw. Konsumsituation. Erlebnis im soziokulturellen Kontext. 2. 3. Moderation und Koordination der verschiedenen Qualifikationen, die im Bereich User Experience gesehen werden (User Experience Umbrella). Kritische Vermittlung und Integration der Nutzer-Perspektive, gegenüber der BusinessPerspektive. Gestaltung der non-funktionalen Qualitäten von Interfaces, als wesentlichen Experience Faktor. Die Gestaltung des Erlebniswertes für Kunden erfolgt durch fünf Erlebnismodule: 2.1 x x x x x Sensorische Erlebnisse. Affektive Erlebnisse. Kognitive Erlebnisse. Verhaltensbezogene Erlebnisse. Soziale Erlebnisse. Die praktische Anwendung von User Experience durch das Design erfordert einen Maßstab für „Gutes Design“. Hier sind primär die in Kapitel 3 abgeleiteten Werte zu sehen. Das User Experience Konzept spiegelt die verschiedenen ökonomischen Bezugskonzepte durch die Erlebnisbetonung und die durch CEM definierten aktuellen Anforderungen des Beziehungsmanagement wieder. Darüber hinaus liefert es dabei einen Brückenschlag hin zur praktischen Anwendung im Bereich von Interfaces. Daneben ist aber auch die geplante methodische Einbindung von User Experience in den Entwicklungsprozess notwendig. Hierzu stehen für alle Stufen des Entwurfsprozesses Methoden zur Verfügung. (Gilbert 2007) 2.0 Gutes Design (Anwendung) Daneben bietet sich die Analyse vorhandener Entwurfsmuster (Design Pattern) an. (van Welie&van der Veer 2003) Die Rolle des Designs Die praktische Anwendung des User Experience Konzeptes soll durch das Design erfolgen. Basis hierfür ist das folgende Verständnis von Design nach Bonsiepe: „Design is an indepedendent category. Located at the interface of industry, the market, technology and culture (living practise), design is eminently suited for engaging in culturally critical exercises that focus on the symbolic function of products.” (Bonsiepe 2007) 2.2 x x 3.0 Der „Problem-Raum“ wird aus einer bestimmten Perspektive betrachtet, welche das Hervortreten von DesignIdeen fördert. Der gesamte ProblemLösungsprozess und enthaltene Schwierigkeiten können in einer systemischen Art und Weise überblickt werden. Strategische Wertorientierung Basierend auf dem erweiterten Verständnis von Interface sollen im Folgenden aus den Perspektiven Business (Organisation) und Nutzer heraus Werte als Maßstab abgeleitet werden. Der Begriff Wert wird hier definiert als quantitativ oder qualitativ abgeleiteter Wert, der sich an Standards oder Zwecken als Maßstab orientiert. 3.1 Business-Perspektive Als zentrale Zielgröße aus wirtschaftlicher Unternehmenssicht gilt die Maximierung des monetären Unternehmenswertes. Wertbringend für den Unternehmenswert sind Investitionen, die einen positiven Economic Profit aufweisen. Zwei strategische Anknüpfungspunkte liefern hier der Customer Value und der Markenwert. Diese sind nach dem Verständnis des integrierten Marken- und Kundenwertmanagement zu harmonisieren. (Göttgens&Wirtz 2004) Gute Designer (Anwender) Weiterhin erfordert die effektive praktische Anwendung von User Experience „Gute Designer“. Im Hinblick auf die Frage, was einen guten Designer ausmacht, konnten Lawson und Cross folgende Erkenntnisse gewinnen (Cross 2007): x Sowohl bei der Entstehung, als auch Ausformulierung von Konzepten wird an leitenden „Richtlinien“ festgehalten. Abb. 2: Business-Perspektive 302 Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 Während der Customer Value über die Hebel Kundenzufriedenheit und Phasenbezug im Kundenlebenszyklus verfügt, hat der Markenwert die Hebel Umsatzprofitibilität, werbliche Unterstützung und Image. Bei der Integration von Kunden- und Markenwertmanagement ist festzustellen, dass die Instrumente des Markenwertmanagements in der Kaufentscheidungsphase eine höhere Relevanz haben, während in den Phasen Kauf und Loyalität die Relevanz der Instrumente des Kundenwertmanagements höher ist. Aufgrund der beschriebenen Wertfaktoren ist für die praktische Anwendung von User Experience eine intensive Auseinandersetzung mit dem Businessmodel und der Markenstrategie notwendig. 3.2 Nutzer-Perspektive Der Wert eines Produktes aus Sicht des Nutzers zeigt sich allgemein im Erleben von Qualität. An dieser Stelle soll auf die Definition von McNamera und Kirakowski zurückgegriffen werden, welche die Grundwerte Funcionality, Usability und Experience integriert. (McNamera&Kirakowski 2006) funktion nach Bürdek auch auf Softwareprodukte übertragen werden. (Bürdek 2005; Bürdek 2002) Die formalästhetische Funktion bezeichnet Aspekte, die unabhängig von ihrer inhaltlichen Bedeutung betrachtet werden können. Hierunter fallen im Wesentlichen die Gestaltgesetze als Syntax. Die Anzeichenfunktion bringt Produkt und Benutzer zusammen. Sie bezieht sich auf die praktischen Funktionen eines Produktes, erläutert Handhabung und Bedienung und macht primär den Gebrauchswert aus. Die Symbolfunktion verweist als subjektive Interpretation des Benutzers auf unterschiedliche soziokulturelle Kontexte, in denen wir ein Produkt wahrnehmen. Sie befasst sich mit Aspekten die besonders unter dem Grundwert Experience zu finden sind. 4.0 Fazit Für die praktische Anwendung des User Experience Konzeptes bietet sich das Design als Träger an. Bedingung ist jedoch das Sicherstellen einer wertorientierten Entwicklung. Hierzu muss klar sein, was „Gutes Design“ ist, das der „Gute Designer“ gestalten und entwerfen kann. Quellenverzeichnis Bonsiepe, G. (1996): Interface – Design neu begreifen. Köln: Bollmann. Bonsiepe, G. (2007): The Uneasy Relationship between Design and Design Research. In: Michel, R. (Ed.): Design Research Now. Basel: Birkhäuser, S. 25-39. Abb. 2: Business-Perspektive Im Hinblick auf die Gestaltung von Interfaces können die beschriebenen produktsprachlichen Kategorien Formalästethik sowie Anzeichen- und Symbol- Bürdek, B. (2002): Vom analogen zum digitalen Design. In: i-com - Zeitschrift für interaktive und kooperative Medien, Ausgabe 01, Jahrgang 2002. München: Oldenbourg. Bürdek, B. (2005): Design – Geschichte, Theorie und Praxis der Produktgestaltung, 3. Aufl. Basel: Birkhäuser. Cross, N. (2007): From a Design Science to a Design Discipline: Understanding Designerly Ways of Knowing. In: Michel, R. (Ed.): Design Research Now. Basel: Birkhäuser, S. 41-53. Gilbert, D. (2007): Strategisches User Experience Design. Saarbrücken: VDM. Göttgens, O. & Wirtz, B. (2004): Integriertes Marken- und Kundenwertmanagement: Strategien, Konzepte und Best Practices. Wiesbaden: Gabler. Hassenzahl, M. & Tractinsky, N. (2006): User experience – a research agenda. In: Behaviour & Information Technology, Vol. 25, No. 2, March-April 2006: S. 91 - 97. London: Taylor and Francis. Jetter, H.-Ch. & Gerken, J. (2006b): A Simplified Model of User Experience for Practical Application. In: NordiCHI 2006, Oslo. International Open Workshop "User eXperience Towards a unified view", Oktober 2006. New York: ACM. McNamera, N. & Kirakowski, J. (2006): Functionality, Usability, and User Experience – Three Areas of Concern. In: Interactions November / Dezember: S. 26-28. New York: ACM. Nijs, D. (2003): Creating a fascinating world. Breda: NHTV University of Professional Education. Schmitt, B. & Mangold, M. (2004): Kundenerlebnis als Wettbewerbsvorteil - mit Customer Experience Management Marken und Märkte Gewinn bringend gestalten. Wiesbaden: Gabler. van Welie, M. & van der Veer, G.C. (2003): Pattern Languages in Interaction Design Structure and Organization. In: Proceedings of Interact '03, 1-5 September. Amsterdam: IOS Press. Danksagung: Für seine Unterstützung und sein Vertrauen danke ich ganz besonders Professor Stephan Schwarz von der FHWiesbaden. 303 Webdesign und Usability-Evaluierung: Ein Methodenmix für die Neugestaltung des Webauftritts der Auto 5000 GmbH (Volkswagen AG) Inga Rill Wolfsburg AG / InnovationsCampus Major-Hirst-Str. 11 38442 Wolfsburg Folker Caroli, Thomas Mandl Informationswissenschaft Universität Hildesheim 31141 Hildesheim [email protected] Abstract Der Beitrag beschreibt den Aufbau der Website eines Unternehmens der Automobilbranche unter Berücksichtigung von Usability-Kriterien. Der Aufbau erfolgte schrittweise im Rahmen des Usability Engineerings und unter Anwendung von unterschiedlichen Usability-Evaluierungsmethoden. 1.0 Einleitung Die Auto 5000 GmbH ist eine Gesellschaft der Volkswagen AG in Wolfsburg. Bei der Gründung im Jahr 2001 war die Grundidee, 5000 Arbeitsplätze mit jeweils 5000 DM Einkommen zu schaffen. Heute produziert Auto 5000 die Modelle Touran und Tiguan und setzt auf innovative Qualifizierungskonzepte für seine Mitarbeiter. Die Website der Auto 5000 GmbH wurde 2007 völlig neu aufgebaut und sollte mit wissenschaftlichen Methoden benut1 zerangemessen gestaltet werden . Die Gebrauchstauglichkeit stellt gerade im Web ein zentrales Qualitätsmerkmal dar. Sie kann nur durch empirische Methoden überprüft und verbessert werden. In dem hier beschriebenen Projekt kam ein Methodenmix zum Einsatz, der drei empirische Methoden kombinierte: Card Sorting, Logfile Analyse und Benutzertests. Diese Methoden wurden zu unterschiedlichen Phasen im Lebenszyklus der Website angewandt. Card Sorting dient der benutzerorientierten Optimierung der grundlegenden Informationsar1 http://www.auto5000.de 304 Die gründliche Analyse der Unternehmensziele, die mit der Website verfolgt werden, eine Analyse von Webauftritten vergleichbarer Unternehmen aus der Automobilbranche sowie Card Sorting, Logfile Analyse und Benutzertests führten in mehreren Schritten zu einem optimierten Design. Mit dieser Kombination von Methoden ließen sich unterschiedliche Usability Probleme erkennen. chitektur. Benutzertests sind eine aussagekräftige Methode, um nach der Entwicklung die schwerwiegendsten Fehler aufzudecken. Danach ist ein Re-Design vor der Onlineschaltung sinnvoll. Die Logfile Analyse muss im laufenden Betrieb erfolgen und kann dazu dienen, die Maßnahmen des ReDesigns zu bewerten. handen sind. Dazu zählen Unternehmensvisionen oder Leitbilder, Struktur des Unternehmens, historische Entwicklung, wirtschaftliche Fakten, Stellenanzeigen, Besucher- und Kontaktinformationen. Ausgangspunkt der Bearbeitung war die Website des Unternehmens Auto 5000 GmbH. Die Ziele und Zielgruppen der Website haben sich aufgrund von unternehmenspolitischen Entwicklungen verändert und führten somit zu grundlegenden Veränderungen der Inhalte, Informationsarchitektur und der visuellen Gestaltung der einzelnen Webseiten. Als erstes musste für die vom Unternehmen für relevant erachteten Informationen eine benutzerangepasste Struktur gefunden werden. Die auf der Website darzustellenden Informationen sollten so angeordnet werden, wie es den Bedürfnissen und dem intuitiven Zugang der Benutzer entspricht. Ziel war daher die Erhebung des "mentalen Modells" des Benutzers, um daraus eine intuitive und verständliche Navigationsstruktur abzuleiten. Als erster Schritt erfolgte eine Wettbewerbsanalyse, um den state of the art eines Webauftritts von vergleichbaren Unternehmen zu erfassen. Die Ergebnisse dieser Analyse lieferten einen Rahmen für die Auswahl der Informationen, die auf der Unternehmenswebsite dargestellt werden sollten. Dieser Benchmark zeigte, dass gewisse Standardinformationen auf fast allen Internetpräsenzen von Konkurrenten vor- Keywords Auto 5000, Website, Relaunch, Card Sorting, Logfile-Analyse, Web-Design 2.0 Grundlegende Informationsarchitektur Um dieses Ziel zu erreichen, wurde die Usability-Evaluierungsmethode Card Sorting angewandt. Den Benutzern werden dabei die Menüpunkte der künftigen Website auf Karteikarten vorgelegt. Sie werden gebeten, diese aus Ihrer Sicht in eine logische Ordnung zu bringen. Auf diese Weise wurde die Gesamtnavigation nach den Ergebnissen eines Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 zweifachen Durchgangs durch diese Methode festgelegt. Als Teilnehmer wurden ein Unternehmensmitarbeiter und zwei andere Personen gewählt, um die heterogenen Zielgruppen widerzuspiegeln. Bei Card Sorting handelt es sich um eine im Wesentlichen qualitativ orientierte Methode, so dass nicht mehr Teilnehmer pro Zyklus nötig waren. Aufgrund der zweifachen Durchführung waren insgesamt sechs Testpersonen beteiligt. Der zweite Durchgang erbrachte wenig Änderungsbedarf, so dass auf weitere Testpersonen bzw. Phasen verzichtet wurde. In jedem Zyklus mussten die Begriffe der Menüpunkte einigen Oberbegriffen zugeordnet werden, um zu überprüfen, ob die konzipierte hierarchische Struktur sich tatsächlich für die Navigation eignet. Anhand der Ergebnisse des ersten Durchlaufs modifizierte die Testleiterin die Oberbegriffe. Geringe Übereinstimmungen sowie Zögern der Testpersonen wiesen auf Schwachpunkte hin. So konnten zahlreiche Schwächen erkannt werden. Die Hauptnavigationspunkte Innovation und Dialog wurden kaum verstanden und dem Oberbegriff Unternehmen ordneten die Testpersonen eher willkürlich Karten zu. Als Konsequenz wurden letztendlich vier Leitfragen gewählt (Wer wir sind, was wir machen, was uns ausmacht, der Weg zu uns). Im zweiten Zyklus ergab sich eine korrekte Zuordnung von 87% der Menüpunkte zu den vom Design vorgesehenen Phrasen. 3.0 Interaktion mit der Website Die Konzeption des Internetangebots erfolgte unter Berücksichtigung von Standards und Heuristiken aus der Mensch-Maschine Interaktion. Das ästhetische Design wurde mit dem Unternehmen abgestimmt. Die Entwicklung führte eine Agentur durch. Nach vollständiger Entwicklung der Website erfolgte ein Benutzertest. Ziel der Benutzertests war die Erhebung von Problemen, die potentielle Benutzer beim Umgang mit der konkreten Website haben könnten. Die Benutzertests wurden in einer kontrollierten Testumgebung durchgeführt. Dabei wurden ausschließlich qualitative Fragestellungen berücksichtigt. Aufgrund der Ergebnisse dieser Benutzertests wurde die Website im Rahmen eines ReDesigns modifiziert, mit dem Ziel die Bereiche, die die Testpersonen beim Test als problematisch empfanden, zu optimieren. Erst nach der Durchführung des Re-Designs erfolgte die Online-Schaltung der Website der Auto 5000 GmbH. Die Tests wurden mit der Software MORAE aufgezeichnet, um eine gründliche Auswertung zu erleichtern. Ein Pretest gab Aufschluss über die Durchführbarkeit des Tests in der vorgesehenen Zeit. Eine Befragung vor dem Test erhob demographische Daten und ein Fragebogen nach dem Test sollte über die subjektive Wirkung des neuen Internetangebots Aufschluss geben. Folgende Aspekte sollten besonders untersucht werden: • • • die neu gestaltete Navigationsstruktur einige innovative, interaktive Elemente (z.B. interaktiver Lageplan) Lesbarkeit und Verständlichkeit der Inhalte Das folgende Szenario bildete den Rahmen für die acht Testaufgaben: Die Testperson sucht nach einem Arbeitsplatz und möchte sich umfassend über Auto 5000 informieren. Dabei wurden den Testpersonen Wissensfragen gestellt, die mit Hilfe der Site zu beantworten waren. Im Folgenden werden einige wichtige Erkenntnisse exemplarisch vorgestellt. Eine ausführliche Herleitung der Aufgaben, die damit jeweils überprüften Usability Aspekte sowie die Ergebnisse findet sich in Rill (2007). Die Gliederung der Ergebnisse folgt dabei der Einteilung in Site, Page und Content Design (Lynch & Horton 1999). Die ersten drei Aufgaben konnten von allen acht Testpersonen bzw. eine weitere von sieben Testpersonen auf Anhieb richtig gelöst werden. Somit scheint die Navigationsstruktur für wichtige Informationen gut gewählt zu sein. Als problematisch im Site Design erwiesen sich externe Links auf die Homepage der Volkswagen AG, die jedoch aus firmenpolitischen Gründen angeboten werden müssen. Solche Verweise wie beispielsweise bei den Stellenangeboten verwirrten die Testpersonen und erschwerten die weitere Navigation auf der Site der Auto 5000 GmbH. Auch die fehlende Verlinkung von Bildern störte Aufgrund der eindeutigen Testergebnisse konnte eine Handlungsempfehlung ausgesprochen werden. Beim Page Design zeigten sich Schwierigkeiten bei der Interaktion der Benutzer mit einer Zeitleiste, welche zur Navigation in der Geschichte des Unternehmens dient. Nicht alle Teile dieses Designelementes führten beim Anklicken zu einer neuen Seite. Die Verlinkung wurde danach korrigiert. Die Logfile-Analyse zeigte, dass dieses Vorgehen vermutlich erfolgreich war (siehe unten). Die Beobachtung der Testbenutzer zeigte, dass in dem gewählten Design Links nicht eindeutig identifiziert werden konnten. Die Benutzer klicken häufig auf Überschriften der Kurzfassungen von Informationen und erwarteten, dass sie zu der Langfassung kommen würden. Dafür war aber ein anderer Link vorgesehen, der ähnlich wie die Überschrift gestaltet war. Das Design der Überschrift wurde als Konsequenz modifiziert. Ebenso klicken die Benutzer auf das Firmenlogo auf den Seiten und erwarteten, so auf die Startseite zu gelangen. Daraus wurde eine Handlungsempfehlung abgeleitet, das Corporate De- 305 sign der Website entsprechend zu ändern. wurden aus den Ergebnissen weitere Handlungsempfehlungen abgeleitet. Im Rahmen des Content Design konnten zahlreiche Details bei der Benennung von Elementen und Inhalten verbessert werden. Teils verstieß das Design auch gegen verbreitete de-fakto Standards. So war bei den Schlagzeilen die aktuellste Meldung nicht oben einsortiert. Aufgrund mehrerer vergeblicher Suchen wurden auf der Job-Seite noch Kontaktinformationen eingefügt. Die Logfiles des ersten Monats der Onlineschaltung der Site wiesen 700.000 Hits auf. Diese weisen natürlich nicht auf eine gleiche Anzahl von Nutzern hin (Heindl 2003). Die Auswertung erfolgte mit Hilfe der Software ClickTracks (siehe auch Bartel 2004), die 6.470 Seitenabrufe verzeichnete. Tab 1: Ergebnisse des Posttest-Fragebogens. Bewertung erfolgte mit Schulnoten Frageziel Durchschn. Bewertung Erscheinungsbild 1,8 Orientierung auf der Site 2,9 Auffinden von Informationen auf der Site 3,1 Interaktive Elemente 2,1 Verlinkung 2,1 Der Posttest-Fragebogen sollte die subjektive Einschätzung der Benutzer abfragen. Solche Aspekte sind im Sinne einer Analyse der ganzheitlichen User Experience sehr bedeutsam. Besonders das Erscheinungsbild der Website wurde sehr positiv bewertet. Auch die anderen Aspekte schnitten auf einer Schulnotenskala mindestens mit befriedigend ab, wie Tabelle 1 zeigt. 4.0 Beobachtung des laufenden Betriebs Als letzte Evaluierungsmethode wurde nach online-Schaltung der Website eine Logfile-Analyse durchgeführt. Um aussagekräftige Ergebnisse zu erzielen, wurden einen Monat lang die Logfiles gesammelt und ausgewertet. Ziel war die Bestätigung der im Benutzertest gefundenen Probleme bzw. der Überprüfung der Optimierungen. Zusätzlich sollten weitere Usability-Probleme erhoben werden. Für ihre Behebung 306 Gezielte Maßnahmen der internen und externen Kommunikation sorgten anfangs für sehr großes Interesse an der Site. Allerdings nahm die Anzahl der Besucher im Lauf des Monats allmählich ab. In einer weiteren Woche führten die Tarifverhandlungen als externes Ereignis zu einem spürbaren Ausreißer nach oben. Am populärsten waren nach der Startseite die Jobs gefolgt von Tiguan und Touran. Da die Jobs-Seite auf die Volkswagen Internetpräsenz verweist, stellt sie auch die häufigste Ausstiegsseite dar. Dies bestätigt die Erkenntnis aus dem Benutzertest, dass der externe Link auf die VW Stellenbörse eher störend ist. Durch das Verlassen der Auto5000 Website entstehen Probleme bei der Orientierung. Die mittlere Verweildauer lag bei Jobs mit Abstand am höchsten; sie betrug fast 80 Sekunden. Die Startseite nahm noch etwa 40 Sekunden in Anspruch, die übrigen mittleren Verweildauern lagen unter 30 Sekunden. Die Analyse der Verweildauer bewies, dass ein Film „Das Werk von innen“ mit einer Laufzeit von fünf Minuten von kaum einem Benutzer vollständig betrachtet wurde. Daraus folgte die Handlungsempfehlung, diesen Beitrag zu kürzen. Die Analyse der Klickpfade zeigte ein Phänomen, das sich auf die erst kurz vorher erfolgte Onlineschaltung zurückzuführen lässt. Zahlreiche Benutzer navigieren systematisch durch alle Menüpunkte und verlassen dann das Angebot. Hierbei handelt es sich vermutlich um Mitarbeiter, die aus Neugier den Umfang der neuen Internet-Präsenz explorieren, ohne ein konkretes Informationsbedürfnis und eine konkrete Zielseite zu haben. Diese Klickpfade sind für das reale Benutzerverhalten kaum repräsentativ und geben keine Hinweise für die Verbesserung der Usability. Mit Hilfe der Logfile-Analyse konnte die Wirksamkeit einiger Änderungen überprüft werden, die nach dem Benutzertest vorgenommen wurden. Auf der Startseite waren Abkürzungen zu Seiten auf tieferen hierarchischen Ebenen eingefügt worden (Quicklinks). Insbesondere der Quicklink zu der Jobs-Seite kam nach dem Benutzertest dazu. Diese Maßnahme wirkte sehr positiv. Der Klickpfad von der Homepage zur JobsSeite war einer der am häufigsten durchschrittenen Pfade. Für die Benutzer mit dem Ziel Jobs-Seite konnte also die Interaktion sehr effizient gestaltet werden. Probleme beim Benutzertest hatten sich mit der Zeitleiste ergeben, die das Navigieren durch die Historie des Unternehmens erlaubt. Das Re-Design hatte dies berücksichtigt und eine fast vollständige Verlinkung aller Elemente der Zeitleiste vorgenommen. Die Logfile-Analyse deckte auf, dass 93% der Benutzer, welche die Seite Meilensteine anklicken, auch die Zeitleiste aufrufen. Somit wird die Zeitleiste jetzt zumindest als Interaktionselement erkannt und das Problem ist vermutlich behoben. Eine ausführlichere Darstellung bietet Rill (2007). 5.0 Zusammenfassung In dem vorgestellten Projekt wurde ein Methodenmix zur strukturierten Durchführung des Usability Engineering eingesetzt. Dieser beinhaltete unterschiedliche Evaluierungsmaßnahmen in unterschiedlichen Phasen der Entwicklung unter Berücksichtigung objektiver Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 und subjektiver Datenmengen. Basis dieser Evaluierungsmaßnahmen waren Inhalte, die mit unterschiedlichen Bereichen des Unternehmens abgestimmt waren, um somit den Ansprüchen der praktischen Umsetzung und der tatsächlichen Online-Schaltung zu genügen. Die verwendeten Methoden im Rahmen des Methodenmix erwiesen sich für die Umsetzung der gesetzten Ziele als sinnvoll. Zum einen wurden jeweils unterschiedliche Usability-Probleme aufgedeckt und zum andern nahm die Zahl der gefundenen Usability-Probleme mit der steigenden Anzahl an Evaluierungsmaßnahmen stetig ab. Weiterhin hat sich der gewählte Methodenmix als überzeugend erwiesen, da die gefunde- nen Probleme tatsächlich auch in der praktischen Durchführung behoben wurden. Dies ist darauf zurückzuführen, dass auch dem Unternehmen der Mehrwert der Umsetzung bewusst wurde. 6.0 Literaturverzeichnis Bartel, T. (2004): Die Verbesserung der Usability von WebSites: Auf der Basis von Web Styleguides, Usability Testing und Logfile-Analysen. Köln: Wiku. Dahm, M. (2005): Grundlagen der MenschComputer-Interaktion. München: Pearson Studium Heindl, E. (2003): Logfiles richtig nutzen. Webstatistiken erstellen und auswerten. Bonn: Galileo. Lynch, P.; Horton, S. (1999): Erfolgreiches Web- Design. Planegg/München: KochMedia. Rill, I. (2007): Webdesign und UsabilityEvaluierung: Benutzertests und LogfileAnalysen für die Neugestaltung des Webauftritts der Auto 5000 GmbH (Volkswagen AG) Magisterarbeit, Internationales Informationsmanagement (IIM) Universität Hildesheim. Schweibenz, W.; Thissen, F. (2002): Qualität im Web: Benutzerfreundliche Webseiten durch Usability-Evaluation. Berlin: Springer. 307 Business Centered Design: Erfolgsfaktoren im E-Business Christian Becker Usability Engineer Christian Fernandez Creative Director kuehlhaus AG N7, 5-6 68161 Mannheim [email protected] kuehlhaus AG N7, 5-6 68161 Mannheim [email protected] Abstract Business Centered Design ist ein Modell, das den Erfolg von Webprojekten garantieren soll. Neben den Interessen der Anwender werden zusätzlich die wirtschaftlichen Anforderungen der Betreiber durch alle Entwicklungsphasen hinweg berücksichtigt. 1.0 Einleitung Mit der Erfahrung aus mehr als 12 Jahren und unzähligen Projekten entwickelt die kuehlhaus AG webbasierte Anwendungen in den Bereichen B2B und B2C mit dem Schwerpunkt auf EBusiness Angeboten und Unternehmensportalen. Neue oder optimierte Technologien erlauben es, immer komplexere Prozesse und Transaktionen im Internet abzubilden. Ziel ist eine Harmonie der diversen Einflussfaktoren zu erreichen und dem Spannungsfeld Internet gerecht zu werden. Hierfür wurde von der kuehlhaus AG ein phasenbasierter Prozess mit speziellen Methoden entwickelt. 3. Wirtschaftlichkeit: Die Anwendungen müssen einen optimalen Return on Invest für den Betreiber der Seite erzielen, also die Marketing- und Vertriebsziele erfüllen. Auf diesen grundsätzlichen Annahmen beruht das von kuehlhaus entwickelte Business Centered Design Modell für ein optimales Ergebnis im E-Business. Keywords User Centered Design im Web, Business Centered Design, Joy-of-Use, Wirtschaftlichkeit, E-Business, Design, Usability, Phasenmodell, UCD, Interaktionsdesign 2.0 Business Centered Design markiert den nächsten Level des User Centered Design von Internet-Anwendungen. Mit diesem einzigartigen Konzept stellt die kuehlhaus AG sicher, dass die entwickelte Online-Shops, OnlineBuchungssysteme oder Unternehmensportale • Neben der technisch einwandfreien Basis fokusiert sich kuehlhaus bei der Entwicklung von Internet-Anwendungen auf drei Ziele (vgl. Abbildung1): • 1. • 2. 308 Usability: Die Internetangebote müssen für den Nutzer leicht verständlich und intuitiv bedienbar sein, also den Ansprüchen an eine optimale Usability gerecht werden. Design: Häufig entscheidet nur ein kurzer Blick, ob das Angebot wahrgenommen und anschließend akzeptiert wird oder nicht. Ein ansprechendes visuelles Design und innovative Ideen sind daher ausschlaggebend. • Abb 1: Usability, Design und Wirtschaftlichkeit im Business Centered Design Modell der kuehlhaus AG Business Centered Design: Am Beispiel eines Prozesses der kuehlhaus AG für jedermann einfach zu verstehen sind eine hohe grafische Qualität besitzen dem Nutzer eine optimale Interaktion bieten, Leads generieren und somit die gesetzten Marketing- und Vertriebsziele erreichen. Das Business Centered Design Modell ist eine von kuehlhaus entwickelte Methode, mit der über die Usability hinaus, sämtliche Aspekte des zugrunde liegenden Businessmodells von Portalen oder Shops verwirklicht werden. Die praxiserprobte Herangehensweise für die Entwicklung von Internetanwendungen nutzt die bewährten Standards aus dem User Centered Design, betrachtet aber neben dem Benutzer von Anfang an zusätzlich die Marketing- und Ver- Brau, H., Diefenbach, S., Hassenzahl, M., Koller, F., Peissner, M. & Röse, K., (Hrsg.): Usability Professionals 2008 triebsziele der Anwendung und berücksichtigt diese durch alle Phasen der Entwicklung (siehe Abbildung 2). Das Business Centered Design Modell der kuehlhaus AG definiert sich durch vier aufeinander folgende Phasen, deren Produkte zyklisch mit dem Auftraggeber abgestimmt bzw. mit dem Endanwender getestet werden. So wird eine hohe Qualität gewährleistet und das Projekt aufgrund der methodenbasierten Struktur kalkulier- und steuerbar. Joy-of-Use ist ein weiterer Faktor, der durch die parallele Entwicklung des grafischen Designs und der Interaktionen berücksichtigt wird. So ist es bereits früh möglich, innovative Konzepte einfließen zu lassen und diese auch zu testen. Abb 2: Die Phasen des Business Centered Design Modells der kuehlhaus AG 2.1 Strategie und Technik: Ziele und Anforderungen festlegen In der ersten Phase der Entwicklung anspruchsvoller Internet-Anwendungen wird eine eingehende Anforderungsanalyse durchgeführt. Die grundsätzlichen Ziele für das geplante Projekt werden so gemeinsam erörtert und festgesetzt. Das Business Centered Design Modell berücksichtigt dabei neben einer Betrachtung der Nutzeranforderungen, also den Mehrwerten für die späteren Nutzer, auch die geschäftlichen Ziele des Auftraggebers und die gewünschten Marketingeffekte des Angebots. Außerdem wird das bestehende Marktumfeld betrachtet und die Stärken und Schwächen des Wettbewerbs analysiert, um sich gezielt von diesen absetzen zu können. Schon in dieser frühen Phase werden daher die Marketing- und Vertriebsabteilungen des Auftraggebers direkt in die Konzeption mit einbezogen. Gemeinsam werden die geschäftlichen Ziele und deren Vereinbarkeit mit den Nutzeranforderungen analysiert. • • • • • • Nach dieser Phase ist klar, was der Anwender und der Kunde von d