ÖKOLOGIE UND NEUE ARBEIT

Transcrição

ÖKOLOGIE UND NEUE ARBEIT
Zum Vortrag und Workshop von
Frithjof Bergmann
1
Ökologie und neue Arbeit
Stellen Sie sich vor, Sie säßen in einem Flugzeug, und der Reisende neben Ihnen, ein älterer Herr, hätte im
selben Augenblick, in dem er sich in seinen Sitz hat fallen lassen, wie wild und ohne auch nur einmal aufzusehen
zu schreiben begonnen. Er ist ganz offensichtlich kein Durchschnittstyp – alle anderen dösen vor sich hin oder
schlafen tief. Man könnte sagen, daß er etwas von einem Dämon an sich hat, allerdings einem Dämon, der lacht.
Er ist zweifellos besessen. Bis das Essen serviert wird, schreibt er stundenlang ohne jede Unterbrechung. Dann
kann er wegen des Tabletts vor ihm nicht mehr weiterschreiben und beginnt zu reden.
Es stellt sich heraus, daß sie beide auf dem Heimweg von demselben Kongreß zum Thema „Exzessiver Konsum“
sind. Tatsächlich wird ihnen beiden klar, daß sie sich dort in der einen oder anderen Sitzung bereits begegnet
sind. Ja, Sie erinnern sich schließlich, daß unter den vielen Plakaten, die in der Eingangshalle hingen, auch eines
von diesem Mann gewesen war – mit zwei Wörtern unter seinem Foto: Neue Arbeit. Sie werden hellhörig, als er
folgendes sagt:
(Ich habe hier die Anführung weggelassen, weil die folgenden 40 Seiten ein einziger Monolog sind und die
Abführung im Deutschen erst nach 40 Seiten käme <nicht am Ende jedes Abschnitts, wie im Englischen>. Die
vielen in doppelte Anführung gesetzten Begriffe dazwischen müßte man sonst in einfach Anführung setzen, was
wiederum komisch aussähe, wenn weit und breit keine doppelte An-/Abführung zu sehen ist. Der Übersetzer)
Ich habe eigentlich nur an dem Kongreß teilgenommen, um einen einzigen Gedanken zu vermitteln. Das war
zudem eine Idee, die den meisten Delegierten sicherlich schon bekannt ist; tatsächlich haben sie bereits oft
davon gehört. Und doch: Um dieses einen Gedankens willen bin ich über den Ozean geflogen und habe in
meinem ansonsten mit Arbeit randvollen Leben extra Platz für diese Konferenz geschaffen. Und ob Sie es glauben
oder nicht: Die ganze Idee läßt sich in einem Nu darstellen, in einem Schlaglicht.
Sehen Sie mal, ich bin ziemlich sicher, daß jedermann schon einmal in einem Wutanfall (etwa nachdem er sich
zwanzig Minuten lang irgendein Reklamegeschrei über eine Ausverkaufsaktion von Sofas anhören mußte) mit der
Phantasie gespielt hat, wie es wohl wäre, wenn man mit einem einzigen Rundumschlag die gesamte Werbung
zum Schweigen bringen könnte – wenn man dieser Bauernfängerei, den Übertreibungen, den aufdringlichen
Anpreisungen, dieser ganzen Flutwelle von geschmacklosem und übertriebenem Mist Einhalt gebieten könnte.
Ahhh, welch eine Stille, was für ein Frieden, was für eine Wohltat das wäre, wenn wir nicht ständig beschwatzt,
manipuliert und belästigt würden. Welche Rückkehr zur Unschuld, zur stillen Natur!
Aber – und das ist bereits die Schlußfolgerung und Quintessenz meines einen Gedankens – wir können die
Werbung natürlich nicht abschaffen, und wir wissen das. Nein, ein solcher Versuch könnte nicht mehr sein als ein
heftiger, wütender Aufschrei. Selbst wenn jedermann genau zur selben Zeit seinen Wutanfall bekäme und wir es
schafften, eine riesige Demonstration zu organisieren – es spielte überhaupt keine Rolle, wie viele von uns daran
teilnähmen. Am Ende bliebe der ganzen versammelten Menge nichts übrig als die Schultern zu zucken und
wieder nach Hause zu gehen.
Und warum ist das so? Weil die Beseitigung sämtlicher Werbung zu einem katastrophalen wirtschaftlichen
Zusammenbruch führen würde. Die ganzen Begehrlichkeiten, dieser Appetit nach der nächsten Welle neu
gestylter Produkte, würden plötzlich nicht mehr erzeugt. Niemand würde mehr mitbekommen, daß diese neuen
Waren überhaupt existieren. Ungeöffnete Schachteln und Kisten würden sich auftürmen, und das nicht nur in den
Frachthäfen, sondern in den Straßen und Gassen, auf den Marktplätzen und Kreuzungen.
Aber schließlich – was kümmern uns die Schachteln? Das ist doch kein Problem für uns, die wir auf diesem
Kongreß zusammengekommen sind. Mag sich der Staub darauf absetzen, bis wir darauf Skilaufen können. Nein,
die viel schwerwiegendere Auswirkung wäre ein massiver und schrecklicher Sumpf der Arbeitslosigkeit. Anstehen
für Suppe und Brot, Hunger leidende Kinder. Das Bild der hungernden Kinder vor Augen, wird uns klar, warum
wir niemals einen ernsthaften Versuch unternehmen würden, die Werbung abzuschaffen, selbst wenn wir uns
manchmal darüber beschweren und sanft dagegen aufbegehren.
Für mich macht dieses eine Bild deutlich, daß an dem gewohnten Bild unserer Wirtschaft etwas nicht stimmt.
Gewiß wollen wir alle Hüte und Schuhe und Häuser und etwas zu essen, aber das alles zusammen erklärt noch
nicht die Konsumexzesse – das andauernde Hinaufspringen auf noch höhere Sprossen der Leiter, dieses bis zur
Weißglut gesteigerte Tempo, mit dem die Räder der Maschine, in der wir heutzutage leben, sich drehen müssen.
Natürlich ist es richtig zu sagen, daß die Werbung uns überredet, verführt und beschwatzt und uns das Verlangen
nach immer neuen Extravaganzen geradezu einhämmert. Aber dabei übersehen wir eine viel verräterischere
Wahrheit, die hautnah unter den oberflächlichen Fakten liegt: Der wahre Grund für dies alles ist unser quälender,
unstillbarer und allesverschlingender Hunger, unser dringendes Verlangen nach ... ja, wonach? Nach Arbeitsplätzen! Ja. Genau. Die Kraft, die uns dazu treibt, der Erde ihre Metalle zu entreißen und sie zu Halden von Schlacke
und Abfall aufzutürmen, ist nicht der Appetit unserer verwöhnten Sinne oder daß wir von unseren endlich
angestachelten Begierden getrieben wären. Nein, wo es um Lustbefriedigung geht, ist unsere Kultur ein Stümper,
ein Tölpel mit zwei linken Händen. Wir sind eher so etwas wie Strafgefangene auf einer Galeere. Wir legen uns in
die Riemen und rudern in hektischem Gefechtstempo, weil ansonsten der Nachschub an Arbeitsplätzen schwinden
und das ganze Zirkuszelt über unserem Kopf zusammenbrechen könnte.
2
Kommt es Ihnen nicht als bizarre Umkehrung der Dinge vor, daß die Arbeit, die zu Anfang, nachdem wir aus dem
Paradies vertrieben waren, die „Große Strafe“ darstellte – lästig, ermüdend, ein wahrer Fluch –, daß diese Arbeit
nicht länger das Mittel ist, das wir zu einem anderen Zweck auf uns zu nehmen gewillt sind? Wir haben einen
Mechanismus konstruiert, eine neue Art von kompliziertem Hamsterkäfig, der die Arbeit in das geheimnisvolle
und letzte Desideratum verwandelt hat – in den Schatz, den zu suchen sich der Held aufmacht, um ihn
davonzutragen in seine Stadt oder seinen Staat.
Und genau dies hat den Akt des Kaufens verwandelt. Er wurde losgelöst von dem Produkt und von der
Befriedigung, das Produkt schließlich benutzen zu können. Was zählt, ist nur noch die Auswirkung des Erwerbs –
daß dadurch am Ende des Fließbands Platz freigemacht wird, so daß die nächste Einheit produziert werden und
der Fluß weitergehen kann. Da haben sie die Idee so kraß formuliert, wie Sie es sich nur wünschen können. Der
Zweck unserer Wirtschaft ist nicht der Lustgewinn oder Nützlichkeit oder Befriedigung, er ist nicht Pastete oder
Schaumbäder oder Krokodillederschuhe: die treibende Kraft ist, die Vollbeschäftigung zu bewahren.
Sie sehen das noch deutlicher, wenn Sie sich auf den Gedanken der Ankurbelung einer Wirtschaft konzentrieren.
Wachstum ist das Koffein oder Amphetamin des Ökonomen. Ohne Wachstum haben wir das Anstehen nach
Suppe. Das Außerordentliche ist bloß: Wir haben uns dermaßen an diesen Gedanken gewöhnt, daß er uns gar
nicht mehr bewußt ist. Aber die Verbindung ist immer vorhanden; nicht nur bei Clinton, sondern durchgängig und
offenkundig wie zum Beispiel im Fall von Franklin D. Roosevelt. Ob es mehr Ausgaben im Staatshaushalt oder
Steuersenkungen sind oder irgendeine der anderen sieben „Interventionen“ (und sie alle sind roh, wie die
Medizin im Mittelalter, so als benutzte man Blutegel zum Schröpfen) –, sie tauchen mit schöner Regelmäßigkeit
dort auf, wo es um die Notwendigkeit geht, neue Arbeitsplätze zu „schaffen“ (beachten Sie den anmaßenden
Begriff aus dem neunzehnten Jahrhundert).
Der tiefere Grund dafür, daß wir aufs Gaspedal treten und damit mehr Rohstoffe verbrauchen und mehr Schmutz
erzeugen, ist nicht etwa, daß der Durchschnittsmensch in unserer Kultur ein selbstsüchtiger, verwöhnter Parasit
wäre, eine Prinzessin auf der Erbse, die nicht schlafen kann, wenn sie nicht auf 880 verschiedene Konsumgüter
gebettet ist. Weit gefehlt. Warum lehnen wir uns denn nicht mit einem Seufzer der Erleichterung zurück, wenn
sich die Wirtschaft in einer Flaute befindet? Warum treiben wir an, drängen und stimulieren? Wegen unseres
Gierens nach Arbeitsplätzen.
Lassen Sie mich noch einen anderen Aspekt erwähnen: Wenn unser Hunger wirklich so unersättlich und mächtig
wäre, wie wir behaupten, dann wäre das ganze Aufheben um die Ankurbelung der daniederliegenden Wirtschaft,
all das Gewedel mit Riechsalz und die Wiederbelebungsversuche, doch offensichtlich überflüssig. Dies ist ein
weiterer Beweis dafür, daß es das, was ich die Armut des Wünschens nenne, in Wirklichkeit nicht gibt – daß die
Menschen im Grunde nicht unersättlich, sondern im Gegenteil passiv, depressiv, ängstlich und abgestumpft sind.
Die Teilnehmer des Kongresses dachten wahrscheinlich, meine Idee sei wesentlich einfältiger, als sie in
Wirklichkeit ist. Ich wollte ihnen klarmachen, daß es da tatsächlich einen Widerspruch, eine Zweideutigkeit gibt.
Natürlich gibt es Leute, die zu viele Schuhe und zu viele Snowmobile kaufen. Und einerseits ist es in der Tat pure
Verschwendung und eine Schande, wie unverschämt sie ihren Reichtum vor den Augen der Armen zur Schau
stellen. Aber dennoch dürfen wir unsere lange, puritanische, asketische Nase nicht darüber rümpfen. Denn das
Geldausgeben ist auch eine Notwendigkeit, ein Akt des Gehorsams, ja geradezu der Erfüllung unserer Pflicht.
Auf dem Kongreß habe ich versucht, das möglichst anschaulich darzustellen. Ich habe gesagt: Nehmen wir an,
Sie schrieben nur ein einziges Wort an die Wand: Gewinnsucht. Dieses eine Wort benennt die treibende Kraft in
der Sicht der Dinge, der die meisten von uns anhängen. Und wie weittragend und umfassend und vielleicht sogar
einfach das inzwischen geworden ist! Denn die lange Liste von Vergehen und Verbrechen, die der Kapitalismus
begangen hat, läßt sich ohne eine einzige Ausnahme auf Gewinnsucht zurückführen. Von den Anfängen der
Kolonialisierung und der Eroberungskriege über die Ausbeutungsbetriebe, in denen Kinder starben, und die
häßlichen und mörderischen Elendsviertel sowie die Art und Weise, auf die wir Flüsse in Kloaken und Regen in
Säure verwandelt haben, bis hin zu den vulgären Darbietungen, auf die die Medien uns süchtig gemacht haben,
ja, tatsächlich bis zu den unechten Catch-as-catch-can-Shows – das ist alles nur der Bodensatz, der durch diesen
Wettlauf, in dem der Teufel den Letzten holt, aufgewirbelt wird. Und da dieses Grabschen nach dem Profit die
Ursache und für alles verantwortlich ist, sind wir, die wir keine Unternehmer sondern die Arbeitenden sind, die
passiven Opfer, die von dieser monströsen Kraft mitgeschleift werden. Unser Part besteht darin, entsetzt die
Hände zu ringen, zu lamentieren oder zu zensieren und dann und wann auf erbärmlich unwirksame Weise zu
bedenken zu geben, daß einige besonders garstige Entgleisungen nicht einmal durch Profit zu rechtfertigen sind.
Mein Vorschlag besteht nun darin, zur Gewinnsucht noch ein begleitendes Motiv hinzuzufügen: Beschäftigungssucht. Arbeitsplätze. Anzunehmen, diese beiden seien ein isomorphes Paar wie zwei Ochsen in einem Joch, wäre
ein riesiger Fehler. Sobald wir es nämlich zulassen, daß die Beschäftigungssucht ins Spiel kommt, nimmt das
Drama der Geschichte eine abrupte Wendung. Die Geschichte ist nicht länger eine erbauliche moralische Parabel,
in der alle Schuld zusammengeballt in einer Ecke des Rings anzutreffen ist und ihr gegenüber die reine,
blauäugige Unschuld. Die Szene zeigt nicht mehr zwei klar zu unterscheidende gegnerische Lager. Ja, das Ganze
ist in der Tat nicht länger eine Schlacht oder ein Kampf. In der Mitte findet sich nun eine große Masse von
Menschen, und diese sind in eine neue Kategorie einzuordnen. Diese Kategorie ist nicht gerade schmeichelhaft –
diese Menschen sind, um es mit einem Wort zu sagen, Kollaborateure.
3
Ich weiß, das ist ein mit schrecklichen Assoziationen beladenes Wort; aber lassen Sie mich genau diesen Kontext
als ein weiteres Beispiel nehmen: Denken Sie an Hitler und seinen Weg an die Macht durch die Abstimmung der
Massen. Gewiß hatte er seine gutfunktionierende und lohnende Allianz mit den Junkers und der traditionellen
deutschen Schwerindustrie und damit mit dem großen Kapital. Und natürlich waren da auch die Millionen von
Menschen, die auf seinen Großkundgebungen sechs Stunden in der Sonnenhitze warteten, um dann in ein
Begeisterungsgebrüll auszubrechen, ein Gekreische, das niemand, der es einmal gehört hat, je wieder vergessen
kann. Aber das waren noch nicht genug. Nein, die Waagschale senkte sich zu seinen Gunsten durch die vielen
anderen Millionen, die durchaus nicht unwissend waren, die eine ziemlich zutreffende Vorahnung von dem
hatten, was dieser Mann schließlich über die Welt bringen könnte, und die ihn trotzdem wählten. Warum? Was
überwog ihre Befürchtungen?
Auch das ist bekannt. Deutschland versank in einem Sumpf von Arbeitslosigkeit, und unsere Unwissenheit,
unsere Verwirrung angesichts der Arbeitslosigkeit spielten eine großer Rolle. Denn ein großer Teil der braven
Mitläufer meinte, man brauche jetzt einen „starken Mann“, so einen wie den mit dem Schnauzbart, und daß nur
einer von diesem Kaliber geeignet sei, diese unheimliche, kaum verstandene Krankheit der Arbeitslosigkeit zu
heilen. (Und selbst heute, zu Beginn des dritten Jahrtausends, herrscht in vielen Ländern noch immer dieselbe
Verwirrung vor, und es wäre durchaus möglich, daß ein anderer starker Mann, diesmal vielleicht einer mit Locken
und Nadelstreifen, als die einzig passende Antwort erscheint.)
Sie sehen also, wie die beiden Beweggründe wie Nut und Feder ineinanderpassen. Bedenken Sie die entsetzliche
Abwägung, den Schrecken der Gleichung, die diese Leute aufmachten. Sehen Sie sich an, was in den beiden
Waagschalen liegt: Auf der einen Seite ein solches Gemetzel, daß die von Bulldozern zusammengeschobenen
gefrorenen Kadaver sich zu Bergen aufhäuften, und auf der anderen Seite: Arbeitsplätze. Das sollte Hinweis
genug sein auf den Wert, den sehr viele der Verfügbarkeit von Arbeit beimessen. Und das wäre dann wiederum
ein Maßstab für die außerordentliche Macht des Zusammenhalts, der diese Menschen in eine soziale Ordnung
einbindet, die ihnen Arbeit verspricht. Wenn Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen, ist die Bedrohung absolut und
total, und die Menschen geraten nicht nur außer sich oder in Panik – sie sind bereit zu töten.
Sie verstehen zweifellos, über welch monströse Macht die gigantischen Konzerne inzwischen verfügen. Man
könnte es eine neue Form der Diktatur nennen oder die Etablierung einer Weltregierung, die im Roulettespiel der
Finanzmärkte die Wirtschaft eines ganzen Landes (Thailand zum Beispiel) in einer Nacht ruinieren kann. Aber
dies sind Untertreibungen, die am wesentlichen Punkt vorbeizielen: Die Macht geht nicht „von oben“ aus. Was zu
einer gewissen Zeit einmal „die Massen“ genannt wurde, nicht Fritzchen Müller sondern tatsächlich Otto
Normalverbraucher, ist unauflöslich in dieses System verstrickt. Und das, was die Leute in dieses System
einbindet, ist ihre Arbeit. Für sie sind Arbeitsplätze das, was die Büffel für die Indianer waren. Die machten aus
den Büffeln ihre Zelte und ihre Schuhe und ihre Bogensehnen, und was sie aßen, waren ebenfalls Büffel.
Und das heißt, daß „ihr“ und „wir“, daß heißt ihr Ökologen und Globalisierungsgegner und wir Vertreter der
Neuen Arbeit, Partner sein müssen. Seit zwanzig Jahren predigen wir, daß der Arbeitsmarkt der allumfassende
Faktor ist, und seit zwanzig Jahren versuchen wir das zu ändern. Jeder Versuch, den Konsum zu reduzieren oder
ein Stück Regenwald oder eine Spezies der Tierwelt zu retten ist zum Scheitern verurteilt, ist totale Energieverschwendung, wenn wir nicht von der Vernetzung des Arbeitsmarktes ausgehen. Wer wäre nicht für saubere
Flüsse und gesunde Luft? Aber sobald du ihre Arbeitsplätze in Frage stellst, wirst du die Leute gegen dich
aufbringen.
***
Bis jetzt gab es große Differenzen zwischen den Umweltschützern und der Arbeiterbewegung. Ja im Grunde
sahen beide eine Bedrohung in der anderen Seite. Die Arbeit will natürlich Wachstum, und die Umweltschützer
wollen es natürlich nicht. Es hätte also keinen frontaleren Zusammenprall geben können. Aber mein umfassendstes Argument ist, daß wir uns alle hilflos in der Umklammerung des Arbeitsmarktsystems befinden und daß die
Umweltschützer keine Chance haben, wirkliche Veränderungen herbeizuführen, solange dieses System nicht
verändert wird. Genau das ist unser gemeinsames Ziel und unsere gemeinsame Sache.
Ich bin durchaus bereit, dies so provokativ wie möglich zu formulieren: Wollte man versuchen, die Umwelt zu
schützen, während man den Arbeitsmarkt unangetastet ließe, so wäre das, als legte man die Hand auf die
Auspufföffnung eines Autos, während der Motor noch läuft. Das gibt einem die Befriedigung, es versucht zu
haben, aber sobald man die Hand wieder wegnimmt, macht es nicht den geringsten Unterschied. Und darum
wenden wir von der Seite der Neuen Arbeit uns mit tiefem Ernst an euch Umweltschützer. Wenn ihr euch nicht
mit Gesten und guten Absichten zufriedengeben wollt, sondern wenn ihr tiefgreifende und bleibende Veränderungen erreichen wollt, sowohl für die Umwelt als auch in Hinsicht auf den Konsum, dann macht gemeinsame Sache
mit uns: Helft uns, den Arbeitsmarkt zu verändern.
Ich weiß, daß sich das für euch im ersten Moment seltsam und verwirrend anhören mag; darum lassen Sie es
mich erklären. Im Rahmen der Neuen Arbeit, den wir nun seit zwanzig Jahren entwickeln und anwenden, ist das
Konzept des Arbeitsmarktes einer der zentralen Angelpunkte, um den unsere Analyse sich dreht. Das grundlegende Faktum ist für uns, daß die große Mehrheit der Menschen erst seit etwa zweihundert Jahren Lohnarbeit
leistet. Davor war das vorherrschende Arbeitssystem landwirtschaftlicher Natur, und das ist etwas ganz anderes
als das System der Lohnarbeit, das wir seither haben. Die Leute wurden nicht mit Stechuhren kontrolliert,
wurden nicht eingestellt und entlassen, sie bekamen keinen wöchentlichen oder monatlichen Lohn, und wenn sie
4
Kleinbauern waren, dann hatten sie keinen Chef, sondern arbeiteten für sich selbst. Das gesamte Lohnarbeitssystem ist deshalb aus historischer Sicht eine relativ neue Erfindung. Es entstand im Zuge der Industriellen
Revolution.
Zudem haben schon von Anfang an ganz verschiedene Leute darauf hingewiesen, daß dieses System alle
möglichen Schwächen und potentiellen Probleme in sich birgt. Wir sprechen ja oft genug davon, daß der
Arbeitsmarkt „krank“ sei. Und das ist schließlich der entscheidende Punkt: Wir sehen das System der Lohnarbeit
als ein mögliches Arrangement. Es war von Anfang an problematisch, und der Komplex der Probleme hat sich
während der vergangenen zweihundert Jahre allmählich aber schmerzlich verschlimmert. Darum ist jetzt
vielleicht die Zeit gekommen, vorsichtig und behutsam ein neues Arbeitssystem einzuführen. Dieses System wird
der Nachfolger (wenn Sie so wollen, der dem 21. Jahrhundert entsprechende Nachfolger) des Lohnarbeitssystems
sein, und es wird sich ebenso drastisch von diesem unterschieden, wie das Lohnarbeitssystem sich von dem
vorangegangen Ackerbausystem unterschieden hat.
Wir stellen uns keinen abrupten Wandel vor und gewiß keinen, der der Welt von einer konspirativen Gruppe
kleiner Zellen aus dem Untergrund aufgezwungen wird. Weit gefehlt. Die Dynamik, die uns schon jetzt in
Richtung der Neuen Arbeit drängt, ist umfassend, von enormer Komplexität, und sie ist bereits ein ganzes Stück
fortgeschritten. Seit zwanzig Jahren haben wir in und mit diesen ökonomischen und politischen Kräften
gearbeitet. Um es genauer zu sagen: Wir haben zwei Formen der Arbeit gefördert, die sich nicht nur deutlich von
der Lohnarbeit unterscheiden, sondern ihr geradezu entgegengesetzt sind. Beide Formen der Arbeit sind heute
dabei, rapide zuzunehmen. Unserer Ansicht nach stehen die Chancen sehr gut, daß diese und natürlich andere
Formen der Arbeit sich weiter entwickeln lassen und diese Evolution sich einigermaßen steuern läßt, bis eine
kritische Masse erreicht ist. So könnte, wie bei so vielen anderen Entwicklungen, das, was einmal Mainstream
war, zu einer Randerscheinung werden. Andere Formen der Arbeit werden allmählich zunehmen, und die heute
noch vorherrschende Form der Arbeit, die lohnabhängige Arbeit, wird zurückgehen, bis eine neue Gestalt, ein
neues Aussehen, ein neues System sich herauskristallisiert hat.
Lassen Sie mich diese beiden Formen der Arbeit erklären, doch seien Sie sich bewußt, daß dies nur Teilaspekte
sind. Eine dramatisch veränderte Beziehung zur Umwelt und zum Konsum läßt sich nur in jener Konfiguration
erreichen, die durch die Interaktion dieser beiden Teile entsteht, innerhalb des kohärenten Ganzen, das aus
ihnen entstehen könnte.
Unser Name für die erste Form von Neuer Arbeit ist „High-Tech-Selbstversorgung“. Wie dem Name schon sagt,
ist es eine Form der direkten Selbstversorgung, was bedeutet, daß man hier nicht für einen Chef arbeitet (da
haben wir schon den Hauptunterschied zu lohnabhängiger Arbeit). Außerdem ist es keine Arbeit für einen Markt,
sondern unmittelbar für den eigenen Konsum. Man könne eine ganze Weile darüber sprechen, was diese Form
der Arbeit mit dem Ackerbau gemein hat. Aber gleichzeitig ist sie meilenweit von dem Schaufeln von Mist
entfernt und hat ebenfalls nichts mit dem Ziehen der eigenen Petersilie oder dem Einkochen von Marmelade in
der eigenen Küche zu tun. Die meisten Menschen praktizieren bereits irgendeine Vorform der High-TechSelbstversorgung. Das gewöhnlichste, banalste und am weitesten verbreitete Beispiel hierfür ist die Selbstbedienung an der Zapfsäule einer Tankstelle. Diese Arbeit ist in gewissem Sinne „high-tech“, weil sie erst möglich
wurde, als die Zapfsäulen von Computern kontrolliert werden konnten. Und sie ist offensichtlich eine Art
Selbstversorgung, denn wir erledigen damit eine Dienstleistung, die früher von anderen Menschen erbracht
wurde, welche herbeigelaufen kamen, sobald wir den Motor abstellten. An einem Bankautomaten Bargeld vom
eigenen Konto abzuheben ist ein anderes zur Selbstverständlichkeit gewordenes Beispiel – vielleicht noch nicht
von High-Tech-Selbstversorgung, aber von jenem überbrückenden Bereich, der uns zu ihr hinführt. Dazu gehören
auch Verkaufsautomaten, über Computer abgewickelte Formen der Bezahlung und so weiter. Ich denke, die
meisten von uns sind sich bewußt, daß alle diese Eigendienstleistungen zusammengenommen nichts sind im
Vergleich zu dem wesentlich größeren Bereich von Dienstleistungen, die wir heute für uns selbst erbringen, nicht
vorwiegend im öffentlichen Bereich, sondern genau in unserem Heim, in der Ecke in unserem Schlafzimmer, die
wir für unseren privaten PC reserviert haben.
Ich habe dieses Bild mit Bedacht gewählt, weil diese Formulierungen auf tiefere Prinzipien verweisen, welche von
ziemlich einzigartiger und bisher wenig verstandener Bedeutung sind: nämlich auf ein zweites, allmählich
auftauchendes oder gar sich offenbarendes neues Gesicht, das die Technologie haben kann. Die Assoziationen
zum Bereich der Technologie, die die meisten von uns haben – insbesondere was Computer angeht –, gehen in
Richtung des Unpersönlichen, ja mehr als das, des Anonymen. Sie verbinden diese Technologie mit etwas, das
dem Bereich des Emotionalen, des Subjektiven, der Privatsphäre gegenüber feindlich eingestellt ist. Aber was
sich heute zu zeigen beginnt, ist geradezu die Umkehrung davon, nämlich eine (paradoxerweise) sehr „hoch“
entwickelte, also fortgeschrittene Technologie, die nicht im Dienste des großen Marktes oder des Goliaths der
großen Konzerne steht, sondern ganz im Gegenteil! Es ist die Technologie einer Gegenkraft hin zum Innerlichen,
zum Persönlichen, zum Häuslichen, zum Emotionalen und zum Menschlichen. Uns geht es darum, aufzuzeigen,
wie wichtig es ist, sich der Möglichkeit einer solchen Entwicklung und der Vorstellbarkeit einer solchen Zukunft
bewußt zu sein (und mitzuhelfen, sie zu fördern und zu steuern).
Die kleine Minderheit, die bereits begonnen hat, das Internet aktiv zu nutzen, steht, wie ich denke, an genau
diesem Scheideweg, wo wir langsam ein Gefühl für diese neue Entwicklung gewinnen. Irgendwann in der nun
schon fernen Vergangenheit gab es die Emanzipation von etwas so Profanem wie dem Maschineschreiben eines
anderen Menschen (also von der Sekretärin, die diese Fertigkeit besaß). Inzwischen sind es schon so viele Dinge
5
geworden, daß wir sie gar nicht alle aufzählen können: von der Planung der Ferien über die Führung des eigenen
Bankkontos, über Bücher und Artikel, die wir nicht nur bestellen, sondern immer häufiger auch selbst
ausdrucken, über das Finden von Informationen über Krankheiten und Behinderungen, die uns widerfahren, bis
hin zu Möglichkeiten, sich selbst auf praktisch unbegrenzte Weise zu unterrichten und zu bilden. Etliche unter uns
haben bereits auf eine beinahe schlafwandlerische Weise damit begonnen, in all diesen Bereichen High-TechSelbstversorgung zu betreiben. Doch das Ganze mag sozial, kulturell und politisch sogar noch explosiver und
revolutionärer sein, als wir es uns bisher auszumalen erlaubt haben – und das trotz der Flut von überdrehtem
Gerede darüber.
Lassen Sie mich drei plausible Weiterentwicklungen dieses Trends aufzeigen: Zuerst einmal machen Sie sich klar
– mit aller Deutlichkeit und mit roter Tinte unterstrichen! –, daß der Gebrauch eines Computers allein zum
Betrieb eines Druckers eines Tages wahrscheinlich als ein eklatantes Beispiel dafür angeführt werden wird, wie
kindisch und hausbacken wir waren. Ein Drucker ist nur eine von unzähligen möglichen Maschinen, die ein
Computer lenken und kontrollieren kann. (Wenn sie einen Eindruck davon gewinnen wollen, dann gehen Sie
einmal durch eine Autofabrik und sehen Sie selbst.) Da das Arsenal solch anderer Maschinen immer billiger wird
und die Apparate zudem wesentlich flexibler und wesentlich „intelligenter“ werden, ist die Idee, unsere Computer
mit Maschinen zu verbinden, die nicht nur Informationen ausdrucken, sondern Dinge herstellen können
(Kleidung, Schuhe, Uhren, Schmuck, Handys), gar nicht so weit hergeholt. Sie mag im Gegenteil schon spürbar
in der Luft liegen.
Zweitens: Dieses Selbermachen von Dingen im Bereich der eigenen Privatwohnung zu bewerkstelligen würde
unser Heim überladen und alle möglichen Einschränkungen mit sich bringen. Diese Maschinen werden außerdem
noch immer viel zu teuer für den individuellen privaten Besitz sein. Jedoch mit anderen an einem Ort zusammenzuarbeiten hätte dagegen über den reinen Kostenfaktor hinaus offensichtlich eine ganze Menge von Vorteilen –
angefangen von der Hilfestellung, die man von anderen bekommen könnte, bis hin zu der einfachen Freude, die
es macht, mit anderen zusammenzuarbeiten, statt allein vor sich hin zu werkeln. Solche Maschinen also in einer
Art Nachbarschaftszentrum für Neue Arbeit aufzustellen, wo Menschen hingehen und sie benutzen können, so
wie man heute in eine Bibliothek oder in einen Copyshop geht, könnte sehr wohl der nächste Entwicklungsschritt
oder eine parallele Entwicklung sein.
Und damit bekommen wir schon eine Ahnung von einigen der politischen und sozialen Implikationen, die ich
bereits angedeutet habe. Ganz schlicht gesagt: Das Resultat wäre eine große Anzahl von Menschen, die von
Computern und von diesen Maschinen und vom Internet Gebrauch machen könnten – und die so zum Beispiel
Waren viel günstiger über das Internet einkaufen könnten. Und das könnten genau jene Menschen sein, die
ansonsten weder die Ausbildung noch die Computer besitzen, dies zu tun. (Anders gesagt: Eine der vielen
Funktionen, die ein solches Gemeindezentrum für Neue Arbeit erfüllen könnte, bestünde darin, Hilfen bereitzustellen, die das überbrücken, was manche heute schon den „digitalen Abgrund“ nennen – also Brücken, auf
denen die etwa 80 Prozent der Bevölkerung, die bis dato ausgeschlossen sind, hinübergehen können.)
Drittens: „Billiger“ ist der Begriff, um den die Diskussion kreisen wird. Zur Zeit ist das Internet noch ein heftig
umkämpftes Territorium, ein Freistilringkampf zwischen Goliath-Konzernen, welche die Kontrolle, die sie bereits
ausüben, auch auf diesen neuen Bereich ausdehnen möchten, und einer großen und bunten Menge von
Mikrounternehmern, die manchmal Musiker, Dichter oder Videokünstler sind, denen jedoch eine ganze Reihe von
eher konventionellen kleinen Firmen gehören und die alle zusammen einen Sog in Richtung auf die Erfüllung der
demokratischen oder populistischen Vision erzeugen, die von Anfang an eine der Verheißungen des Internets
war.
Es könnte von entscheidender Bedeutung sein, wer diese Schlacht gewinnt, und ironischerweise könnten gerade
die kleinen Leute, die Armen, die Davids, diese Schlacht durch ihren Gebrauch der „freien Marktwirtschaft“
gewinnen. Kurz gesagt: Heute sind Bücher, die man bei dem berüchtigten amazon.com bestellt, nicht billiger als
Bücher, die man bei Karstadt oder Kaufhof bestellt. Diese Tatsache ist eigentlich ein Skandal, denn wenn man
keine Ladengeschäfte unterhält und keine Angestellten hat, sind Einsparungen möglich. So wäre es vorstellbar,
daß genügend kleine Unternehmer, die sich von unten hocharbeiten, das Internet dazu benutzen könnten, die
großen Firmen zu unterbieten, und daß dadurch die Preise gedrückt werden. (Daß kleine Internet-Gruppen
manchmal in der Lage sind, große Firmen zu unterbieten, ist oft genug bewiesen worden; genau dies könnte der
Molotow-Cocktail sein, den das Internet den „Elenden der Welt“ in die Hand gegeben hat.)
Allein diese drei Entwicklungen würden miteinander vereint und im Zusammenspiel an sich schon einen
spürbaren Effekt auf die Umwelt und unser Konsumverhalten haben. Es ist sonnenklar: Würden etwa 60 bis 70
Prozent der Dienstleistungen und Güter nicht Tausende von Kilometern transportiert, sondern (durch Anwendung
von Hochtechnologie) in der Nachbarschaft hergestellt, dann würde es weniger Abgase von Lastwagen geben.
Gleichzeitig würde die enorme Verschwendung, die zum Prozeß der Massenproduktion gehört, vermindert
werden. Es gäbe nicht die Halden von Überschußprodukten, ob es nun um Kleidung oder Schuhe oder Autos
geht, die es unglücklicherweise nicht bis zu einem Käufer geschafft haben. Aber darüber hinaus gibt es noch eine
vierte Entwicklung, welche die anderen drei noch profilierter hervortreten läßt und uns deshalb ein noch
lebhafteres Gefühl dafür vermittelt, wie groß der Unterschied sein könnte.
Es läuft auf Folgendes hinaus: Die gewohnte Voraussage über das Aussehen der Fabrik der Zukunft könnte sich
als falsch erweisen. Wir haben es mehr oder weniger für selbstverständlich gehalten, daß die Fabrik der Zukunft
6
aus gigantischen Werkshallen mit kilometerlangen Reihen von Robotern bestehen wird, Robotern, die sich alle
wie große Vögel nach vorn beugen und zwischen denen sich kaum noch Menschen finden. Alle paar hundert
Meter eine Person in einem weißen Kittel mit einer Checkliste, das ist die Phantasie, die wir haben. Doch heute
erscheint es wahrscheinlich – nicht sicher, aber möglich –, daß die Ereignisse eine andere Wendung nehmen
werden, und das vor allem wegen eines Quantensprungs in der technologischen Raffinesse.
Einfach formuliert: Roboter, die nur eine einzige Funktion ausführen, repräsentieren ein niedriges Niveau von
Intelligenz. Solange man nur diese Roboter mit niedrigem IQ hatte, brauchte man eine große Zahl von ihnen in
langen Reihen. Doch das gilt nicht mehr für die nächste Generation. Diese wird um einige Größenordnungen
flexibler sein, anpassungsfähiger und vor allem intelligenter. Einer dieser Roboter wird in der Lage sein, die
Gesamtheit der einzelnen Arbeitsschritte auszuführen, die bisher das sprichwörtliche „Fließband“ erforderten.
Fabriken mit langen Fließbändern könnten also bald der Vergangenheit angehören.
Das Konzept, das sich seit einigen wenigen Jahren entwickelt hat, unterscheidet sich radikal von dem, was viele
angenommen hatten: Die tatsächliche Herstellung aller Einzelteile – für alles Mögliche, sei es ein Auto, ein
Kühlschrank, ein Möbelstück oder ein Handy – könnte sich in der Zukunft in außerordentlich kleinen Werkstätten
abspielen. Dort stehen dann nicht mehr als ein oder zwei dieser Roboter der nächsten Generation. Der
überraschendste und aus unserer Perspektive aussagekräftigste Aspekt des Wandels ist, daß dies in gewissem
Sinne alles ist, was es braucht!
Große Montagehallen sind entsetzlich teuer, und es mag sein, daß sie schon in der nahen Zukunft abgeschafft
werden, so wie bereits vieles andere „ausgelagert“ worden ist. Wenn wir bedenken, daß dieser Auslagerungsprozeß auch ganze Hierarchieebenen und große Segmente des Managements umfaßt hat ebenso wie vieles, was mit
dem Vertrieb zu tun hatte, dann wird uns langsam klar, wie das Ganze in Richtung einer kohärenten Entwicklung
tendiert, die heute kurz davor steht, ein Ziel zu erreichen. Dieses Ziel könnten kleine, dezentralisierte,
hochmoderne Kleinfabriken in nächster Nachbarschaft sein, die natürlich durch Computer vernetzt wären. Eine
Bestellung – was immer es auch sei, das wir kaufen wollen – könnte von unserem eigenen Computer direkt an
das relevante Netzwerk kleiner Fabriken gehen. Die Teile kommen an und können entweder im eigenen Heim
oder in der eigenen Garage oder besser noch im Nachbarschaftszentrum für Neue Arbeit zusammengebaut
werden.
Dieser Plan der Dinge eliminiert offensichtlich große Teile des Fabrikationssystems, an das wir uns gewöhnt
haben. Sogar die Landschaft hätte ein anderes Aussehen: Es wären nicht nur die riesigen Fabriken verschwunden, sondern auch die Bürohochhäuser und viel von der Architektur, in der Ausstellungs- und Verkaufsräume
untergebracht sind sowie Ersatzteillager und Reparaturwerkstätten. Die meisten von uns haben bereits bemerkt,
daß bei den letzteren bereits ein eklatanter Konzentrationsprozeß eingesetzt hat.
Um voll und ganz begreifen zu können, welche Auswirkungen dies haben könnte, müssen Sie dieses neue
System der digitalen Fabrikation mit dem Konzept der Nachbarschaftszentren für High-Tech-Selbstversorgung
kombinieren. Fügen Sie also zum Verschwinden der gerade beschriebenen Architektur den Faktor hinzu, daß eine
Vielzahl von Dienstleistungen aber auch die Herstellung einer bunten Palette von Dingen (von Weihnachtskarten
über Kleidung und Möbel bis zu Schmuck) in diesen Zentren stattfinden könnte. Dann fragen Sie sich, was als
Konsequenzen für die Umwelt und den Konsum denkbar wäre.
Allerdings ist dies nur eine der Formen der Neuen Arbeit, die im Entstehen sind. Lassen Sie mich die zweite, total
verschiedene Form beschreiben. Wenn Sie überhaupt schon einmal etwas von uns gehört haben – also über die
Neue Arbeit –, wenn Sie einen Artikel in einer Zeitung gelesen oder ein Radiointerview gehört haben, dann ist der
eine Satz, dem Sie sicher schon begegnet sind, daß „die Menschen die Arbeit tun sollten, sie wirklich und
wahrhaftig tun möchten“. Nun, unser Name für diese Form ist „bezahlte Berufung“, und sie ist weit mehr als nur
eine Fußnote, sie macht tatsächlich eine gute Hälfte der Gesamtstruktur der Neuen Arbeit aus.
Lassen Sie mich für den Moment nur so viel dazu sagen: Diese Art der Arbeit ist wiederum im Boden des
Alltäglichen verwurzelt, nämlich in der Tatsache, daß viele Menschen ihre Arbeit wie eine leichte Krankheit
erfahren. Es wird schon vorübergehen, schließlich ist bereits Mittwoch, und ich werde es schon irgendwie bis
Freitag schaffen. Die Idee, es jedermann und nicht nur einer Elite möglich zu machen, wenigsten einen Teil der
Zeit eine Arbeit zu leisten, die eine bezahlte Berufung darstellt, entstand einfach aus dem Bemühen, dem
Verständnis von Arbeit als leichte Krankheit als Kontrast etwas dezidiert Anderes gegenüberzustellen. Von Anfang
an und seit der vergangenen zwanzig Jahre zielten wir darauf ab, Menschen zu einer Arbeit zu verhelfen, die
diesem Verständnis so diametral entgegensteht wie nur möglich. Kurz gesagt: ihnen zu einer Arbeit zu verhelfen,
die für sie das Beste, das Optimum ist – ihren Begabungen und ihrer Weltanschauung angemessen, passend zu
ihrem Privatleben, ihren Werten, und vor allem angepaßt an ihre Wünsche, an das, was sie letztlich wirklich und
ernsthaft und aus tiefstem Herzen wollen. Also keine Arbeit, die eine leichte Krankheit ist, sondern Arbeit, die
weit besser ist als viele Therapien, die mehr Kraft, mehr Vitalität und mehr Gesundheit verleiht.
Lassen Sie mich einen ganz zentralen Punkt hervorheben: daß nämlich die Struktur dieser Form von Arbeit das
spiegelverkehrte Bild der Lohnarbeit ist. In der Lohnarbeit verkaufe ich mich an jemand anderen und hoffe, daß
er mich zu seinen Zwecken benutzen kann. Das Wesentliche der bezahlten Berufung ist, daß der Ursprung der
Arbeit und der Impuls dazu aus meinem Inneren kommen und nicht an der Oberfläche entstehen; sie kommen
von einem Ort, der meinem Kern, dem Ort, „wo ich lebe“, so nahe liegt wie nur möglich. Ich arbeite also
tatsächlich aus dem Herzen und Zentrum meiner Seele.
7
Natürlich haben wir betont, daß diese Art von Arbeit (zumindest recht oft) von der Lohnarbeit abgetrennt worden
ist und daß sie als Kategorie eine Hinzufügung repräsentieren sollte, eine neue und weitere Art der Arbeit. Und
natürlich war die ganze Zeit selbstverständlich, daß man für diese Art von Arbeit bezahlt würde, und zwar nicht
knauserig, sondern im Gegenteil recht gut. Daß diese Arbeit einen ökonomischen, einen materiellen Unterschied
machen würde, war für uns eine selbstverständliche Voraussetzung (genauso wie bei der High-TechSelbstversorgung). Andernfalls wäre sie schlichtweg nicht wichtig. Sie würde keine Auswirkungen haben. (Das ist
ein Teil dessen, was wir meinen, wenn wir sagen, daß wir versuchen, ein anderes Arbeitssystem zu installieren:
Würde es keine materiellen und ökonomischen Änderungen bewirken, dann dürfte man es nicht ein „System“
nennen – es wäre nur Mumpitz, Augenwischerei für müde Menschen.)
In dem Versuch, dieses Argument mit voller Absicht auf eine klärende Weise überspitzt zu formulieren, haben wir
durchgängig betont, daß es zehn oder wenn Sie wollen fünfunddreißig verschiedene Weisen gibt, auf die man die
Bezahlung für diese Arbeit regeln könnte. Das war Teil eines umfassenderen, grundlegenderen Standpunkts: daß
nämlich das, was wir vorschlagen, leicht umsetzbar ist. Anfänglich schlugen wir vor, daß ein Konzern wie General
Motors für jeden Arbeitsplatz, den er wegrationalisiert oder –modernisiert, eine bestimmte Summe zahlt (oder
vielleicht sogar zahlen muß). Eine Summe, die es einem Arbeiter erlauben würde, das zu tun, was er oder sie
wirklich tun möchte.
Später konzentrierten wir uns stärker auf eine Analogie zu Stiftungen: Warum sollten nur Professoren oder
Künstler Stipendien erhalten? Warum nicht jedermann, der in der Lage ist, wertvolle Arbeit zu verrichten? In
letzter Zeit haben wir vorgeschlagen, daß es staatliche Programme geben sollte, welche die Leute nicht
verpflichten, an Straßenrändern Müll aufzusammeln, sondern die den Menschen helfen, die kreativste und
produktivste Arbeit zu leisten, zu der sie fähig sind.
Die Situation, auf die wir von Anfang an hingearbeitet haben, war die, in der die Entwicklung von Talenten und
Ideenreichtum belohnt werden. Wenn jemand tatsächlich eine Idee hat, eine Aufgabe, die er oder sie liebend
gern ausführen möchte, und wenn die Person und die Aufgabe einige selbstverständliche Voraussetzungen
erfüllen – wenn dadurch wirklich ein „Mehrwert“ erzeugt wird, allerdings ein breiter definierter „Wert“ –, dann
sollte diese Person in einer Gesellschaft mit einem Minimum an gesundem Menschenverstand gut bezahlt
werden.
syEs geht hier darum, wenigstens einige Bruchteile einer gesunden Perspektive wiederzugewinnen: Es ist
offensichtlich, daß wir Millionen an einen Haufen von Menschen zahlen, die nichts produzieren, was einen
ernstzunehmenden Wert hat. (Gehen Sie einmal durch die Verwaltungsgebäude in jedem beliebigen Konzern
oder durch die Büroräume einer Behörde, und da sehen Sie sie an ihren Schreibtischen vor sich hin dösen.) Da
sind zudem die Milliarden für die alle paar Wochen verkündeten Firmenzusammenschlüsse. Ganz zu schweigen
von den sprichwörtlichen und vieldiskutierten Billiarden, die sich einfach dadurch vermehren, daß sie von einem
Computer zu einem anderem Computer am anderen Ende der Welt wandern. Vorzugeben, daß eine Gesellschaft
wie die unsere Menschen nicht für die kreativsten aller Arten von Arbeit bezahlen kann, ist einfach grotesk.
Schließlich sollte klar sein, daß der Anspruch, für Arbeit bezahlt zu werden, stärker als jeder andere in diesem
gesamten Bereich ist; man könnte sogar argumentieren, daß er stärker ist als der Anspruch, im Falle von
Krankheit oder Alter Unterstützung zu erhalten.
Ich hoffe, daß Sie mich verstehen. Unsere grundlegende Idee ist, den Würgegriff des Systems lohnabhängiger
Arbeit durch die Förderung und allmähliche Einführung dieser beiden Formen von Arbeit zu lockern, von Formen,
die offensichtlich nicht Arbeitsverhältnisse und die kein Teil des Lohnarbeitssystems sind. Wenn Sie gestatten,
werde ich rasch ein Modell skizzieren, welches auf vereinfachte Weise beschreibt, wie diese Teile interagieren und
ein kohärentes Ganzes ergeben können – etwas, das das Arbeitssystem des 21. Jahrhunderts sein könnte.
Stellen Sie sich eine wundervoll aussehende, wie von Buckminster Fuller entworfene Glaskuppel mitten in Ihrem
Stadtviertel vor. Eine von vielen Funktionen dieser Glaskuppel ist, daß sie auch ein Gewächshaus ist, in dem alle
möglichen Gemüse und Blumen nach den fortgeschrittensten Permakultur-Methoden gezogen werden. In diesem
Dom gibt es aber auch einige der Roboter der nächsten Generation, die ich beschrieben habe. Der Dom ist also
eine Produktionsstätte. In einer anderen Ecke stehen etliche Computer und ein Team geschulter Helfer zur
Verfügung, so daß jedermann und nicht nur einige Wenige sich mit einer Vielfalt von Dienstleistungen aber auch
Waren high-tech-selbstversorgen kann.
Natürlich gibt es da auch ein Restaurant, Bühnen für Konzerte und Theatervorführungen und selbstverständlich
Schwärme von Kindern, denn diese Glaskuppel ist auch ihre Schule. Es ist, kurz gesagt, ein sehr lebendiger Ort.
Sein allgemeines Erscheinungsbild ist das eines ultramodernen Bahnhofs, von dem aus rund um die Uhr Züge in
eine fröhlichere Zukunft abfahren. Jeder Mensch, der in diesem Neue-Arbeit-Viertel lebt, würde Teil haben an den
drei Arten von Arbeit, die ich zuvor beschrieben habe. Nehmen wir mal an, das geschieht in einem Wechsel von
jeweils zwei Tagen: zwei Tage verbringen die Leute mit High-Tech-Selbstversorgung, zwei Tage leisten sie
Lohnarbeit (zum, Beispiel in kleinen, hochmodernen Fabrikationsstätten) und zwei Tage gehen sie einer
„bezahlten Berufung“ nach.
* * *
Lassen Sie mich versuchen, Ihnen einen Überblick über die mehr als rechtwinklige Wendung zu geben, den die
ganze Stoßrichtung des Konsums nehmen würde, wenn es uns gelänge, den Übergang in eine Gesellschaft und
8
Kultur der Neuen Arbeit zu vollziehen. Nehmen Sie zuerst das Erdgeschoß des strukturellen ökonomischen
Wandels: Die Bereitstellung der meisten Dienstleistungen, aber auch die Herstellung der meisten Warten in
Nachbarschaftszentren würde zu solch immensen Vereinfachungen, Verschlankungen und Reduzierungen von
Abfall führen, daß der Widerstand dagegen zweifellos groß sein würde. Tatsächlich wäre die Abnahme von
Lohnarbeitsplätzen so drastisch, daß der Druck auf die Einführung von so etwas wie der Neuen Arbeit zum
Ausbalancieren dieses Rückgangs sprunghaft ansteigen würde. In der schieren Größenordnung wäre der
Unterschied so groß wie der zwischen der alten Schwerindustrie von Pittsburgh oder Detroit und der neuen
Industrie an der kalifornischen Küste. Aber mit stringenter organisatorischer Unterstützung könnte dies dennoch
gelingen, einfach weil starke ökonomische Kräfte in diese Richtung drängen. Kleine Fabriken mit sehr viel
intelligenteren Maschinen sind tatsächlich viel wirtschaftlicher und konkurrenzfähiger als die ungeschlachten
Dinosauriere, die wir heute noch haben.
Addieren Sie dazu die Bandbreite der kulturellen Veränderungen, die ebenso mithelfen würden, den Konsum zu
vermindern. Die erste davon wäre die Ausbreitung einer bestimmten Art von Wut. Was ich meine ist die
brennende Frustration in Bezug auf ihre Arbeit, die sich in so vielen in das Lohnarbeitssystem eingebundenen
Menschen einstellt. Ich habe das in Flint beobachtet. Arbeiter, die aus den Fabriken kommen und dann mit ihrem
eben abgeholten Lohn in eine Art Kaufrausch verfallen – aus der Wut heraus, die sie gegen ihre Arbeit
empfinden. Sie kaufen, um sich zu rächen, um ihre Überlegenheit wenigstens gegenüber Dingen, gegenüber
Waren zu beweisen. Sie fühlen sich gedemütigt durch das Leben, das sie führen, und durch die Arbeit, die sie
leisten müssen, und sie revanchieren sich, in dem sie prahlerisch und mit einer gewissen Verachtung Dinge
kaufen. Die Verachtung zeigte sich mir darin, daß sie ihre Einkäufe nicht einmal in ihre Häuser mitnahmen; sie
ließen sie einfach im Regen auf dem Rasen der Vorgärten liegen.
Den zweiten kulturellen Wandel könnte man durch die Analogie mit einem hydraulischen System zusammenfassend beschreiben. In einem typischen Film aus den letzten Jahren wird der knallharte, junge Manager von der
Chefetage gefragt, warum er auf der Erfolgsleiter von Sprosse zu Sprosse immer weiter aufsteigt. Er (Michael
Douglas) antwortet: „Es ist eine Weise zu wissen, wo man steht.“ Das ist ziemlich treffend. Treffender wäre
vielleicht noch: „Es ist die einzige noch verbliebene Weise zu wissen, wo man steht.“ Die dahinterstehende
Wahrheit ist unübersehbar: Wir alle wissen, daß die Arbeit viel von dem erstickt hat, was einmal der Rest
unseres Lebens war. Während die Arbeit sich immer breiter machte, wurde sie auch immer unbefriedigender –
aus all den vielschichtigen Gründen, die sich unter einem Begriff zusammenfassen lassen: Streß. Was kann der
Einzelne also tun? Die Situation ähnelt auf vertrackte Weise einem hydraulischen System: Indem der Bereich,
aus dem wir etwas Lust oder Befriedigung beziehen können, sich verengt, nehmen die Lust und das Verlangen
danach exponentiell zu. Kaufen ist nicht nur der einzige Maßstab; es ist das Einzige, was noch zu tun bleibt. Man
sitzt bewegungsunfähig auf der hohen Fahnenstange seines zur Schau gestellten Konsums.
Das Gegenteil dieser Situation wäre irgendein Mensch, der seine Arbeit leidenschaftlich liebt; als typische
Beispiele fallen uns der Künstler, der Wissenschaftler oder der Erfinder ein. Deren Leidenschaft für ihre Arbeit
wird oft so intensiv, daß sie kein Ohr mehr für die Verlockungen der materialistischen Welt haben. Hätten mehr
Menschen die Chance zur High-Tech-Selbstversorgung und könnten sie darüber hinaus mit etwas Geld verdienen,
das tatsächlich ihre Berufung darstellt, dann erschienen ihnen viele der Waren, die sie heute kaufen, im Vergleich
dazu schal. Sie würden weniger kaufen, nicht aus Sparsamkeit und noch weniger aus Asketizismus, sondern aus
Unterscheidungsvermögen – einfach weil sie Geschmack gewonnen haben an „feineren Dingen“.
Der Konsum ist auch so etwas wie eine letzte Zuflucht. Man kauft noch mit dem letzten Atemzug. Gäbe es jedoch
andere Freuden, insbesondere die wunderbaren, herrlichen, verlockenden Freuden einer Arbeit, die man wirklich
gern tut, dann schmecken die Freuden, mit denen all der Schund uns locken will, nur noch wie Asche.
Der dritte kulturelle Wandel betrifft unsere Beziehung zu den Dingen: Von der großen Mehrzahl der Dinge, die wir
kaufen, sagen wir selbst: “Ex und hopp!“ Wir entledigen uns ihrer so beiläufig, wie wir sie gekauft haben.
Angesichts der Ressourcen, die wir damit verschwenden, ist das grauenhaft. Aber es bedeutet auch, daß wir
unverankert sind, freischwebend wie ein Astronaut im All, dessen Röhren und Drähte durchschnitten wurden. Die
High-Tech-Selbstversorgung würde das ändern. Kehrten wir zu einem Lebensstil zurück, bei dem wir viele Dinge
wieder selbst herstellten – nur diesmal mit viel weniger „Schweiß des Angesichts“ und wesentlich mehr
Hilfestellung durch die raffiniertesten und fortgeschrittensten Technologien –, dann hätten wir wieder eine
Beziehung zu den Dingen, die wir herstellen. Sie würden unsere Begabung verkörpern, unseren Geschmack, eine
Weile unserer Zeit; sie wären ein Teil von uns selbst, und unsere Beziehung zu ihnen wäre ein klein wenig so wie
zu unseren Kindern.
***
Versuchen Sie sich die Landschaft vorzustellen, die da Gestalt anzunehmen beginnt: Es gibt kleine dezentralisierte Nachbarschaftswerkstätten und sonst nichts, weil alles andere sich als entbehrlich, unwirtschaftlich und
verschwenderisch erwiesen hat. Und außerdem gibt es die Nachbarschaftszentren für Neue Arbeit, in denen die
Menschen sich als Gruppe weiterentwickeln, einerseits in Richtung auf mehr Selbstversorgung und andererseits
hin zu einer Arbeit, die sie „wirklich und wahrhaftig“ tun wollen. Es gibt tatsächlich eine gewisse Hoffnung darauf,
aber dennoch haben wir noch das Riesenproblem, das der Hauptgrund für meine Teilnahme an dieser Konferenz
gewesen ist: das Problem des forcierten Wachstums.
9
Denken Sie daran, daß eine der Methoden der Exekution im Mittelalter darin bestand, Menschen von Pferden zu
Tode schleifen zu lassen. Genau das geschieht zur Zeit mit uns. Wir liegen auf dem Boden, unsere Hände sind
gebunden, und die durchgehenden Pferde des Lohnarbeitssystems galoppieren mit uns im Schlepptau über ein
steiniges Feld. Dies ist das schwerwiegendste der gegenwärtigen Übel, und seit sie zuerst erdacht wurde, sollte
die Neue Arbeit eine Antwort darauf sein.
Um zu sehen, wie das funktionieren könnte, stellen Sie sich ein Neue-Arbeit-Viertel oder eine solche Gemeinschaft in einem ökonomischen Engpaß vor. Um es konkreter zu machen, nehmen wir an, daß diese Menschen
schon einige Jahre Erfahrung mit der High-Tech-Selbstversorgung haben und viele von ihnen seit einigen Jahren
als Teilzeitjob in der kleinen lokalen Fabrik gearbeitet haben, die Komponenten für elektrische Batterien für
Mopeds herstellt. Aus irgendeinem Grund ist der Markt für ihre Batterien eingebrochen, und sie sind in
wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Wie gehen sie also vor?
Was ganz offensichtlich und besonders wichtig ist: ihre Selbstversorgung funktioniert noch. Sie sind auf ganz
andere Weise von ihren Jobs abhängig als das bei uns noch der Fall ist. Sie sind eher mit dem vergleichbar, was
unsere Bauern einmal waren – als die Bauern noch Bauern und nicht Agrarökonomen waren. Sie können nämlich
viel leichter eine Dürreperiode überstehen als Menschen, die über Nacht entlassen worden sind. Ihre Jobs
machen nur einen Teil ihrer Arbeit aus, und das Einkommen, das sie daraus beziehen, ist in etwa dem
vergleichbar, was die Bauern durch ihre Ernte an Bareinnahmen machten.
Das ist jedoch nicht alles, was sie haben. Sie haben auch etliche Jahre hinter sich, in denen sie ihren Erfindungsreichtum, ihre geistige Beweglichkeit und ihr Improvisationstalent entwickelt haben. Die High-TechSelbstversorgung hat sie gut darin trainiert. Eine der ersten Entscheidungen, die sie treffen könnten, bestünde
darin, die Verluste durch einen größeren Anteil an Selbstversorgung auszugleichen. Vielleicht haben sie ihre
Schuhe bisher noch nicht selbst hergestellt. So stellen sie mit Hilfe des lokalen Zentrums für Neue Arbeit einige
Nachforschungen an und finden heraus, daß dies machbar ist. (Was zu dem Zeitpunkt, da ich dies schreibe,
tatsächlich der Fall ist.) Damit könnten sie vielleicht nicht nur ihre Kosten verringern; es könnte gleichzeitig der
Keim für die nächste Firma sein, die sie gründen. Denn viele der umliegenden Nachbarschaftszentren könnten an
einem ähnlichen Punkt angelangt sein, und vielleicht möchten diese Zentren ihnen ja die benötigte Software für
die Herstellung von Schuhen abkaufen.
Dabei bleibt bisher die andere Seite der Neuen Arbeit unberücksichtigt: Jeder dieser Menschen, die ganze
Gemeinschaft ist durch mehrere Stadien einer Suche nach dem gegangen, was sie „wirklich und wahrhaftig“
arbeiten möchten. Auch das hat viele ihrer Fähigkeiten entwickelt und hat ihren Erfindungsreichtum vergrößert.
Eine auf der Hand liegende Strategie bestünde darin, eine Bestandsaufnahme der großen Bandbreite ihrer
vergangenen Beschäftigungen zu machen und sich zu fragen, was von dieser Vielfalt ökonomisch, also
gewinnbringend anwendbar sein könnte. Entscheiden ist hier, daß schon relativ wenig relativ weit tragen würde:
Wenn man sich auf der Ebene einer 80prozentigen Selbstversorgung befindet, dann könnte das Äquivalent eines
zusätzlichen Arbeitsplatzes ausreichend sein für fünf Menschen.
Und es gibt noch eine andere Seite. All diese Menschen haben sich darin geschult, neue Ideen hervorzubringen,
und die Grundannahme ist, daß sie in einer Gesellschaft leben, in der wertvolle Ideen ermutigt und auf vielfältige
Weise gefördert werden. So könnte also eine gewisse Anzahl von ihnen bereit sein, Unterstützung für eine ihrer
„Berufungen“ zu suchen, und könnte im Austausch dafür auf den Anspruch auf einen ihrer zur Zeit gefährdeten
Teilzeitjobs verzichten.
Der entscheidende Punkt ist, daß sie Strategien gegeneinander aufwiegen und miteinander ausbalancieren
können. Sie sind nicht automatisch gezwungen, einen neuen Unternehmer dahingehend zu bestechen, daß er
eine andere Fabrik für sie baut. Dies ist der nun wirklich essentiellste, all-über-alles-wichtige Dreh- und
Angelpunkt, auf den ich während dieser Konferenz aufmerksam machen wollte: Die unerläßliche Voraussetzung
für jede Art von ökonomischer Freiheit ist die Freiheit, nein zu sagen: nein zu einer neuen Technologie, nein zu
einer neuen Produktpalette, nein zu einer noch hirnrissigeren Sorte von „Dienstleistungen“, nein zu GoliathKonzernen – selbst wenn diese mit „Arbeitsplätzen“ winken.
Beginnen Sie zu sehen, wie die Neue Arbeit den Würgegriff lockern würde, von dem ich die ganze Zeit
gesprochen habe? Da können Sie sich die ganze Bandbreite der Beispiele ansehen, die ich angeführt habe:
Vielleicht ließe sich daß große Mundwerk der Werbung endlich doch stopfen, und vielleicht müßte die aus der
Werbung resultierende Anhäufung von unnützem Kram nicht zu einer Katastrophe werden, die uns schreiend
durch die Straßen laufen läßt. Vielleicht können wir dem Problem mit Gleichmut begegnen und es als einen
weiteren Schritt auf dem Weg unserer allmählichen Befreiung ansehen. Wenn das gelänge, dann wäre das ein
Beweis dafür, daß wir begonnen haben, die Macht dessen, was ich das „Ungetüm“ genannt habe – also den
Marsch des vereinten Konzern-und-Lohnarbeits-Systems in Richtung auf mehr Wachstum und mehr Verschwendung –, zu zähmen.
***
Hoppla! Eijeijei! Na, so gerade noch rechtzeitig. Die sagen, wir haben zum Landeanflug angesetzt. Also schließen
Sie ihren Sicherheitsgurt. Tut mir leid, wenn dies nicht der erholsame Flug war, den Sie sich vielleicht gewünscht
haben. Noch ein letzter Satz, wenn Sie erlauben. Dieser Konsum wäre etwas total und nicht wiederzuerkennend
Anderes, wenn die Menschen etwas hätten, an das sie glauben könnten, etwas, das Sie bereits kennen und auch
10
sonst jedermann. Genau darum geht es bei der Neuen Arbeit. Würde man den riesigen Ozean großartiger
menschlicher Energie, der heute verschwendet wird, einigermaßen intelligent zur Anwendung bringen, dann
würden wir nicht nur unendlich weniger konsumieren, wir könnten auch mit dieser Energie eine völlig andere
Kultur von Grund auf neu schaffen, neu aufbauen. Und ihr Ökologen solltet mit uns dabei zusammenarbeiten – in
dem Bemühen, nicht nur eine menschlichere, intelligentere, fröhlichere Kultur aufzubauen (das ist etwas, das die
Marxisten vergessen haben), sondern auch ein Kultur, die sinnlicher und prächtiger ist. Sie wissen, daß wir dahin
gelangen könnten, daß wir dem Ganzen bereits so nahe sind wie unsere Maschine jetzt der Landebahn. Aber ich
weiß ... Genug. Genug. Also dann, auf Wiedersehen! Ich werde jetzt den Mund halten und mich wieder daran
machen, mein langes, ziemlich dickes Buch zu schreiben.