Hitler und der Holocaust: dem Lachen

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Hitler und der Holocaust: dem Lachen
Rijksuniversiteit Groningen
Duitslandstudies
Hitler und der Holocaust: dem Lachen preisgegeben?
Hitler und die Holocaustdarstellung in den komischen Spielfilmen Mein Führer, die
wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler und Zug des Lebens
Rijksuniversiteit Groningen
Masterarbeit Duitslandstudies
LDD999M20
Dr. P.O.H. Groenewold
Dr. H. Harbers
Sommersemester 2011
Erarbeitet von:
Rinske Heida
s1586289
Inhaltsangabe
Einleitung
3
1.
Medialisierung des Holocaust
1.1 Phasen der Erinnerung an den Holocaust
1.1.1 Vergangenheitsbewältigung im Film
6
6
8
2.
Das 'Undarstellbare' dargestellt: Holocaust-Spielfilme
2.1
Diskurs zur die Fiktionalisierung der Shoah
2.1.1 Bilderverbot
2.1.2 Formfragen: Das Authentizitätsprinzip
2.1.3 Der Holocaust: zwischen Hoch- und Massenkultur
11
11
11
12
15
3.
Spielfilme über Hitler
3.1
Hitler als Popfigur
18
24
4.
Komik, Humor und Lachen
4.1 Das unkomische des Komischen
4.2 Die Funktion von Lachen und Humor
4.2.1 Die Satire: grotesk und absurd
4.3 Die Figur des Clowns im Holocaust-Spielfilm
26
26
29
32
34
5.
Mein Führer: die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler
5.1 Komik in Mein Führer
5.1.1 Lachen über Hitler
36
38
41
6.
Zug des Lebens
6.1 Handlung und Erzählrahmen
6.2 Komik und Absurdität in Zug des Lebens
44
45
49
7.
Fazit
51
8.
Literaturangabe
54
2
Einleitung
Jeder Mensch lacht. Die Themen und Gegenstände worüber Menschen lachen -Humor
also- sind jedoch ganz unterschiedlich und manchmal eine Geschmackssache. Nicht jeder
kann eine Zote schätzen und so finden manche Leute American Pie (Paul Weitz, 1999) nicht
lustig. Jeder hat also seinen eigenen Geschmack. Oben erwähnte Beispiele, worin
hauptsächlich über den menschlichen Körper gelacht wird. sind ziemlich unschuldige
Gegenstände, über die man sich vergnügen kann. Was ist wenn der Humor weniger
'unschuldig' oder pointierter schwarzer ist? Können wir über lebensbedrohende
Situationen lachen? Über Mord und Totschlag? Uns über das Leiden und den Tod von
Millionen Menschen lustig machen? Obwohl der Holocaust auf dem ersten Blick gar nicht
zum Lachen einlädt, können wir hierüber durchaus lachen. Es sei denn, die Thematik des
Holocaust wird in einen anderen Rahmen gestellt, den der Komik und Absurdität etwa.
Das Medium Film hat in der Vergangenheit schon erwiesen bei der Umkontextualisierung
dieser Thematik hilfreich sein zu können. Die italienische Komödie Das Leben ist schön
(Roberto Benigni, 1997) ist ein gutes Beispiel hierfür: Der Regisseur hat die Geschichte der
-zum Teil jüdischen- Familie Orefice -Vater Guido, Mutter Dora und Sohn Giosué- im
Zeitrahmen der deutschen Besatzung von Italien situiert. An seinem Geburtstag wird
Giosué zusammen mit seinem Vater ergriffen und in ein Konzentrationslager verschleppt.
Guido täuscht seinem Sohn vor, dass sie Teilnehmer eines Spiels sind und dass sie, wenn
sie das Spiel gewinnen, einen Panzer bekommen werden. Der kleine Junge befolgt die
strenge Regeln des Spiels -er versteckt sich den ganzen Tag, hat kaum was zu essen-, weil
er -wie Guido weiß- gerne einen Panzer haben will. Vater und Sohn halten durch, kurz vor
der Befreiung des Lagers jedoch wird Guido erschossen. Trotzdem endet die Geschichte
-in Augen des Junges- quasi happy: Er 'gewinnt' einen Panzer und wird danach wieder
mit seiner Mutter vereint, die sich als nicht-Jüdin ins Lager hat deportieren lassen. Das
Spiel von Guido mit der Wirklichkeit und der harten Realität des Lagerlebens, seine
Manipulation des Alltaglebens, sorgt dafür, dass der Film nicht nur komisch sondern
manchmal auch märchenhaft wirkt. Das Leben ist schön hatte weltweit großen Erfolg,
3
zugleich bot er Anlass zur Diskussion über die filmische Darstellung des Holocaust.
Einige Jahre zuvor hatte es um den Kinohit Schindlers Liste (Steven Spielberg, 1993) einen
derartigen Diskurs gegeben: Damals hieß es noch “Darf der Holocaust dargestellt
werden?”, Ende der neunziger Jahre wurde die Frage neu formuliert: “Darf man über den
Holocaust lachen?”. Kritiker wie Holocaustüberlebender und Schriftsteller Elie Wiesel und
Claude Lanzmann, Regisseur des Dokumentarfilms Shoah (1985) erkannten zwar, dass
über den Holocaust gelacht werden kann, meinten aber, dass man darüber nicht lachen
darf. Nach ihrer Meinung sollte es überhaupt keine -fiktive- schriftliche und bildliche
Repräsentationen des Holocaust geben. Lanzmann: “Die Fiktion ist eine Übertretung, und
es ist meine tiefste Überzeugung, daβ jede Darstellung [der Shoah] verboten ist.”1 Man
könnte begründen, dass die Fiktionalisierung und Darstellung dessen gerade heutzutage
bedeutend ist: Die Zeitzeugengeneration ist fast ausgestorben und deswegen können wir
in der nahen Zukunft nicht mehr über Erinnerungen an die nationalsozialistische Zeit aus
erster Hand verfügen. Da das Bilder- und Fiktionalisierungsverbot etliche Male gebrochen
worden ist, gibt es eine unzählbare Menge Bücher, Filme, Dokumentationen,
Augenzeugenberichte usw. über den Holocaust. All diese Medien tragen zu der Art und
Weise worauf die heutige Generationen den Holocaust erinnern bei; ohne diese -entweder
fiktiven oder non-fiktiven- Medien würde die jüngere Generation weltweit vielleicht kaum
was wissen über die Judenvernichtung. Filme wie Schindlers Liste sind Teil ihres
Alltagswissens geworden. “Die[se] Vermischung von Kulturindustrie und Holocaust ist
für die moralischen Holocaust-Puristen unerträglich. Dabei wird weder auf den Inhalt
solcher Filme noch auf ihre Wirkung eingegangen. Das Bilderverbot steht über allem.”2, so
Levy und Sznaider, die begründen, dass Filme wie Schindlers Liste und Das Leben ist schön
gerade einen Beitrag an das kosmopolitische Gedächtnis leisten.
Ebenso wie Levy und Sznaider bin ich der Meinung, dass die Kulturindustrie bei
der -emotionalen- Beschäftigung des Holocaust eine positive Rolle spielt: Sie kann
weltweit ein großes und diverses Publikum bedienen. Dadurch wird dieses Thema für
1
2
Kramer, Sven, Auschwitz im Widerstreit, Zur Darstellung der Shoah in Film, Philosophie und Literatur, 1999, S.
22, zitiert nach: Claude Lanzmann, Ihr sollt nicht weinen
Levy, Daniel, Sznaider, Natan, Erinnerung im globalen Zeitalter: Der Holocaust, 2001, S.154
4
jeden mit einem Fernseher 'leicht' zugängig3. Fast jeden Tag lässt sich über irgendwelche
Sender ein Programm oder Film finden, der etwas mit dem Zweiten Weltkrieg, Hitler oder
dem Holocaust zu tun hat. Und jedes Jahr werden Filme, die die nationalsozialistische Zeit
thematisieren, herausgegeben. 1998 erschien der komische Film Zug des Lebens (Radu
Mihaileaunu), der über die Selbstdeportation der Einwohner eines ost-europäischen
jiddischen Schtetls handelt, Dorftrottel Schlomo hat -quasi- die Führung über dieses
Unterfangen. Vor einigen Jahren erschien Mein Führer- Die wirklich wahrste Wahrheit über
Adolf Hitler (Dani Levy, 2007), ebenfalls ein komischer Film, aber diesmal ist Adolf Hitler
die Figur, über die gelacht werden kann. Körperlich und seelisch ist er übel dran und für
die Vorbereitung seiner Neujahrsansprache braucht er dringend Hilfe. Der jüdische
Schauspiellehrer Adolf Grünbaum personifiziert diese Hilfe: Er sieht sich nun moralisch
herausgefordert, über das Leben -oder den Tod- des Führers zu entscheiden.
Im Obigen habe ich schon kurz den Hintergrund des Diskurses über die
Fiktionalisierung des Holocaust -pointierter der Holocaust-Spielfilme- skizziert. Auf die
die Komik und Absurdität der Holocaust-Inszenierung und der historischen und
inszenierten Figur Adolf Hitler komme ich im Folgenden zurück. Die Untersuchung der
-komischen- Holocaust- und Hitler-Filme und die Wirkung von Komik und Humor führt
schließlich zur Analyse der oben erwähnten Filme Zug des Lebens und Mein Führer; ich will
untersuchen weshalb die Filme komisch wirken -können- und wie der Holocaust
beziehungsweise Hitler dargestellt werden.
3
Vgl. “Sogar der Fernsehzuschauer, der nie seinen Heimatort verlässt, muss globale Wertvorstellungen,
die an anderen Orten produziert werden, in den eigenen nationalen Rahmen integrieren.” in: Levy,
Daniel, Sznaider, Natan, Erinnerung im globalen Zeitalter: Der Holocaust, S.36
5
1. Medialisierung des Holocaust
1.1 Phasen der Erinnerung an den Holocaust
Unmittelbar nach dem Krieg war die deutsche Bevölkerung erschöpft, traurig und
verunsichert. Oder in den Worten der Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmanns: “Die
Deutschen, die überlebt haben, waren vor die Aufgabe gestellt, sich gänzlich neu zu
erfinden.”4 Dreizehn Jahre in denen der Nationalsozialismus und die nationalistische
rassistische Glaubenslehre im Mittelpunkt standen, schienen im Nachkriegslicht sinnlos.
Die Millionen Toten, die das Naziregime und die deutsche Bevölkerung auf dem
Gewissen hatten, waren schwer zu verdauen. Das einfachste schien wohl zu vergessen was
im Krieg passiert war und sich auf das Alltagsleben und die Zukunft zu richten. Das
Trauma stand frisch in der Erinnerung, aber die zeitliche Distanz war -noch- zu kurz, die
Vergangenheit zu bewältigen. Dass Deutschland sich nicht als Gewinner sondern als
Verlierer ergeben hatte, war auch ein Teil des Traumas. “Trauma ist [...] die Störung, ja
Zerstörung von Identität.”5 Obwohl Assmann glaubt, “dass eine traumatische Erfahrung
erst nachträglich [...] zu gesellschaftlicher Anerkennung und symbolischer Artikulation
findet.”6, meint sie, dass nur die wirklichen Opfer des Krieges, die Opfer des
Völkermordes und Überlebenden der Todeslager also, Recht haben auf die Verwendung
des Begriffs Trauma für ihre Vergangenheit. Es war dieses Trauma, diese lähmende
Erinnerung an die Vergangenheit, die auch bei den Opfern für ein Stillschweigen sorgte.
Das Schweigen von beiden Seiten wurde erst in den sechziger Jahren allmählich
gebrochen, als der Frankfurter Auschwitz Prozess (1963-1965) stattfand. Die Verbrechen
der SS-Aufseher in Auschwitz wurden durch Überlebende an die Weltöffentlichkeit
gebracht. Das Ende des Schweigens und Verdrängen der eigenen Schuld war endlich
durchbrochen. Auch die Nachkriegsgeneration wollte das Schweigen ihrer (Groβ-)Eltern
durchbrechen, indem sie sie zur Rechenschaft zogen. Die vielen Fragen nach den
Erfahrungen der Vorfahren wurden unter anderem in der sogenannten Väterliteratur
4
5
6
Assmann, Aleida, Frevert, Ute, Geschichtsvergessenheit Geschichtsverssenheit, Vom Umgang mit deutschen
Vergangenheiten nach 1945, 1999 S. 100
Assmann, Aleida, Der lange Schatten der Vergangenheit, Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, 2006 S.68
Assmann, Aleida, Der lange Schatten der Vergangenheit, Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, 2006 S.75
6
geäuβert. Die Kultur wurde als (Hilfs-)Mittel bei der Verarbeitung der Vergangenheit
benutzt und würde später immer wichtiger bei dem Umgang mit dem Holocaust, obwohl
die Massenvernichtung erst Ende der siebziger Jahre den Namen 'Holocaust' bekam. Dank
der amerikanischen Fernsehserie Holocaust (1978) hatte der Genozid einen Namen
bekommen, der universal verbreitet war. Die Benennung sorgte dafür, dass es für die
Opfer (und Täter) einfacher würde, über ihre traumatischen Kriegserfahrungen zu
kommunizieren; das Wort Holocaust und der Inhalt des Begriffs waren in der Gesellschaft
geläufig geworden. Diese Namengebung bewirkte überdies, dass das Trauma der
-jüdischen- Opfer nun zum Trauma der Gesellschaft wurde. Die Holocaust-Serie gab der
Vergangenheit ein Gesicht, wodurch es für Zuschauer möglich wurde, sich den Krieg und
den Holocaust vorstellen zu können und mit dem Vorstellungsvermögen wuchs auch das
Verständnis für die Opfer. Diese Periode, worin Justiz, Kultur und schlieβlich die
Gesellschaft Kritik an der Vergangenheitsbewältigung ausüben, gilt für Assmann als die
zweite Phase der deutschen Erinnerungsgeschichte, sie begrenzt sie von 1958 bis 1984. Die
letzte Phase steht für sie im Zeichen der Erinnerung: die Zeit von 1985 bis heute ist
geprägt von Kommemoration.7
Daniel Levy und Nathan Sznaider dagegen gliedern die Erinnerungsphasen
anders. Ebenso wie Assmann gilt das Nachkriegsjahrzehnt als erste Periode der
Erinnerung, oder besser gesagt des Vergessens, Verdrängens und Verschweigens. Auch
die Zeit der Prozesse, quasi eine Aufklärungszeit, läuft bei den Autoren gleichzeitig. Levy
und
Sznaider
unterscheiden
klassifizieren
die
Periode
die
achtziger
danach
als
Jahre
eine
Zeit
als
Erinnerungsjahrzehnt
von
“Universalisierung
und
und
Kosmopolitalisierung”8. In dieser Zeit werden, wie bekannt, viele Filme mit dem Thema
Holocaust und oder Krieg gedreht. Schindlers Liste und Das Leben ist schön sind weltweit
wohl die bekanntesten Beispiele, die das Holocaustbild vieler Menschen geprägt haben.
7
8
Vgl. Assmann, Aleida, Frevert, Ute, Geschichtsvergessenheit Geschichtsversessenheit, Vom Umgang mit
deutschen Vergangenheiten nach 1945, 1999, S.144
http://buecher.hagalil.com/suhrkamp/sznaider.htm
7
1.1.1 Vergangenheitsbewältigung im Film
Die Bewältigung der Kriegsvergangenheit im Film lief fast parallel zu der Verarbeitung in
der Gesellschaft. Eine mögliche Erklärung für diese Entwicklung ist, dass Spielfilme nicht
immer nur neue Wege einschlagen, sondern, dass sie auch eine Spiegelfunktion haben: sie
zeigen dem Publikum die aktuellen Trends und Stimmung der Gesellschaft. Unmittelbar
nach dem Krieg wurden in der Bundesrepublik keine Filme über Hitler und den
verlorenen Krieg veröffentlicht, und schon gar nicht über die damals noch namenlose
Massenvernichtung. In den Vereinigten Staatsen, der CSSR und später auch in der DDR
wurden mehrere Filme über die nationalsozialistische Zeit gedreht. Erst 1960 wurde in der
BRD die Kriegsvergangenheit in der fünfteiligen Fernsehadaption desgleichnamigen 1955
veröffentlichten Romans von Hans Scholz Am grünen Strand der Spree (Umgelter) erstmals
seriös thematisiert. Die Geschichte handelt von einem Freundeskreis, der sich seit dem
Kriegsausbruch kaum gesehen hat, sich dann 1954 in einer Bar in West-Berlin trifft um die
späte Heimkehr von Major Lepsius zu feiern. Während dieses Treffens erzählen die
Männer, was sie in und nach dem Krieg durchgemacht haben. Der erste Teil dieser Serie
Das Tagebuch des Jürgen Wilms bot dem deutschen Publikum zum ersten Mal in der
Fernsehgeschichte der Bundesrepublik Bilder von Judenerschießungen9. Wie der Titel
dieser Episode schon vermuten lässst, ist die Erzählung
auf dem -fiktiven-
Kriegstagebuch des Obergefreiten Jürgen Wilms basiert. Lepsius kennt ihn und hat bei
einer zufälligen Begegnung sein Tagebuch bekommen, an dem Abend in der Bar liest er
seinen Freunden Ausschnitte vor.
“Umgelter [hatte] mit seinem massenmedial visualisierten Tabubruch in der in
Bezug auf den Holocaust zunehmend bilderlosen Adennauerzeit [...]10” viele Reaktionen
ausgelöst, Kritiker waren sich einig, dass der Film, der “[...] die furchtbare, grauenhafte, zu
9
10
Vgl. “In dem TV-Film »Das Tagebuch des Jürgen Wilms« wurden 1960 erstmals Massenerschießungen
von Jüdinnen und Juden gezeigt [...]” http://www.d-a-s-h.org/dossier/11/08_medien.html, 3. Dezember
2010
Koch, Lars, Das Fernsehbild der Wehrmacht am Ende der fünfziger Jahre, Zu Fritz Umgelters Fernsehmehrteiler
'Am grünen Strand der Spree', S. 72 in: Hrs. Wende, Wara, Der Holocaust im Film, Mediale Inszenierung und
kulturelles Gedächtnis
8
schnell vergessene Wahrheit [...]11 zeigte, eine aufklärerische Wirkung hatte. Koch zufolge
gibt Das Tagebuch des Jürgen Wilms den Zeitgeist der späten fünfziger Jahre wieder: “die
Radikalität der filmischen Darstellung [ist] inhaltlich [zurückgenommen], um so die
Auseinandersetzung mit dem Vernichtungskrieg an der Ostfront für den direkt oder
indirekt betroffenen Fernsehzuschauer letztlich doch moderat zu gestalten.12” Obwohl dies
seinerzeit nicht der einzige bundesdeutsche Film war, der sich auf den Krieg bezog,
unterscheidet der Film sich von denen, indem er nach der Verantwortung der deutschen
Soldaten fragt.
Im Gegensatz zu Das Tagebuch des Jürgen Wilms ist der ostdeutsche Spielfilm
Jakob der Lügner (Beyer, 1974), nach dem gleichnamigen Roman von Jurek Becker, aus der
Perspektive des jüdischen Protagonisten Jakob Heim gefilmt worden. In dieser Zeit waren
die Auschwitz-Prozesse schon vorbei und die deutsche Bevölkerung ging anders mit ihrer
Vergangenheit um als in den Nachkriegsjahren. Nun wurden den Kriegsopfern mehr
Aufmerksamkeit gewidmet als vorhin: unmittelbar nach Kriegsende hatte das deutsche
Volk vor allem Auge für eigenes Leid. Durch die Kapitulation fühlte es sich nicht nur
gedemütigt, sondern vor allem herrschte das Gefühl Verlierer zu sein. Man wollte
vorwärts gehen, statt zurückzublicken auf das Leid anderer: mit dem Wirtschaftswunder
der fünfziger Jahre war es der Bundesrepublik gelungen, den Sprung vorwärts zu machen.
In der DDR hatte die SED-Leitung mit anderen Schwierigkeiten zu kämpfen, durch den
Braindrain entschied die Führung sich dafür, eine Mauer zu bauen. In beiden Ländern
schien es als ob man sich nur mit der eigenen Zukunft beschäftigte. Doch betont Assmann,
dass es wichtig ist sich -auch- mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen: “Das Ziel der
Vergangenheitsbewältigung ist die Überwindung einer schmerzhaften Erinnerung um
einer gemeinsamen und freien Zukunft willen.”13
Zurück zum Film: Jakob der Lügner hat eine märchenhafte und manchmal
komische Handlung, in der Jakob seinen Gettomitbewohnern eine Lüge über das
11
12
13
Ebd.
Koch, Lars, Das Fernsehbild der Wehrmacht am Ende der fünfziger Jahre, Zu Fritz Umgelters Fernsehmehrteiler
'Am grünen Strand der Spree', S. 73 in: Hrs. Wende, Wara, Der Holocaust im Film, Mediale Inszenierung und
kulturelles Gedächtnis
Assmann, Aleida, Der lange Schatten der Vergangenheit, Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, , München
2006, S.72
9
Herannahen der Roten Armee erzählt. Er soll diese Information von einem
Rundfunkprogramm bekommen haben, der Besitz so eines Gerätes ist im Getto jedoch
verboten: Er täuscht den Bewohnern vor, dass er ein Radio hat und gibt ihnen gelegentlich
neue hoffnungsvolle Berichte über ihre -vermeintliche- kommende Befreiung. Nach dieser
Vorlage -einer Handlung, die auf einer Lüge stützt- werden später die Filme Das Leben ist
schön und Zug des Lebens modelliert. “Significantly, all three films [Das Leben ist schön, Jakob
der Lügner, Zug des Lebens] are centered on a lie that allows the threatened Jews to survive
their ordeal.”14 Gerade diese Lüge, die den Protagonisten bei ihrer Überwindung und
Überlebung des schrecklichen NS-Alltags hilft, schafft Žižek zufolge neue Dimensionen
bei der Holocaust-Darstellung: “The key to this trend is provided by the obvious failure of
its opposite, the holocaust tragedy.”15
10
14
15
Žižek, Slavoj, Laugh Yourself to Death: the new wave of Holocaust comedies
http://www.lacan.com/zizekholocaust.htm
Ebd.
2. Das 'Undarstellbare' dargestellt: Holocaust-Spielfilme
2.1 Diskurs um die Fiktionalisierung der Shoah
Wie auf den vorhergehenden Seiten schon erwähnt wurde, ist die filmische -und damit
die visuelle- Darstellung des Holocaust von verschiedenen Argumentationen getragen.
Salopp gesagt beharren Gegner der Verfilmung der Zeit des Massenmords auf der
Einzigartigkeit der Shoah, und Befürworter treten dafür ein, dass Holocaust-Spielfilme
gerade einen aufklärerischen Charakter haben -können-.
Anhand des Textes Der
Holocaust als Filmkomödie, Komik als Mittel der Darstellung des Undarstellbaren von Anja Oster
und Walter Uka will ich den Diskurs zur visuellen Darstellung des Holocaust kurz
wiedergeben.
2.1.1 Bilderverbot
Der deutsche Philosoph Theodor W. Adorno sah die Massenvernichtung an Millionen
Menschen schon 1944 als Zivilisationsbruch beziehungsweise als Bruch der Moderne: “[...]
'Der Gedanke, daβ nach diesem Krieg das Leben 'normal' weitergehen oder gar die Kultur
'wiederaufgebaut' werden könnte [...] ist idiotisch. Millionen Juden sind ermordet worden,
und das soll ein Zwischenspiel sein und nicht die Katastrophe selbst?”16 Bekannt
geworden ist vor allem seine spätere Äußerung zu jener Form von Kunst und Kultur
nach dem Krieg:“[...] nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch [...].”17 Denn
meint er “Auschwitz [...] hat die Kultur aufgelöst, es hat das Miβlingen der Kultur
unwiderleglich bewiesen”18 und “[...] Alle Kultur nach Auschwitz samt der dringlichen
Kritik daran, ist Müll.”19 Ihm zufolge kann es also keinerlei Repräsentationen des
Holocaust geben: Prominente in dem Diskurs um die visuelle Darstellbarkeit, Elie Wiesel,
Holocaustüberlebender und Schriftsteller und der Regisseur des Dokumentarfilms Shoah
(1985) Claude Lanzmann beharren auf dem Bilderverbot “[...], wonach jede Imagination
zwangsläufig eine Banalisierung und Verfälschung des historischen Geschehens zur Folge
16
17
18
19
Zitiert nach Theodor W. Adorno in: Auschwitz im Widerstreit, Zur Darstellung der Shoah in Film, Philosophie
und Literatur, S.102
Zitiert nach Theodor W. Adorno in: Auschtwitz im Widerstreit, Zur Darstellung der Shoah in Film, Philosophie
und Literatur, S.73
Ebd.
Ebd.
11
haben muss.”20 Genau wie bei dem filmischen Imaginationsverbot Hitlers weist das
Bilderverbot Parallelen auf mit dem Zweiten Gebot des Alten Testaments, wonach Gott
nicht bildlich repräsentiert werden darf. Obwohl Lanzmann findet, dass “die Fiktion [...]
eine Übertretung [ist], und es [...] [s]eine tiefste Überzeugung ist, daβ jede Darstellung
[der Shoah] verboten ist”21 und er selbst einen Dokumentarfilm [Shoah] gedreht hat, worin
er Zeitzeugen zu Wort kommen lässt, gibt er, genauso wie Wiesel, keine Hinweise dafür,
was eine angemessene Form der Holocausterinnerung sein könnte. Offensichtlich hält er
Augenzeugenberichte für die einzige richtige Art der Kommemoration, so dass das
historische Ereignis 'Eigentum' bleibt von denjenigen, die während der Kriegszeiten
gelebt haben. Auf diese Weise wird quasi den Nachkriegsgenerationen das Recht auf ihre
eigene Holocausterinnerung verweigert, weil der Argumentation Lanzmanns zufolge
dieses Recht nur exklusiv der Kriegsgeneration selbst gehört.
Die drei genannten Befürworter des Bilderverbots haben nicht verhindern können,
dass es seit den neunziger Jahren -das heißt seit dem Massenerfolg von Schindlers Liste
und Das Leben ist schön- immer mehr visuelle Repräsentationen des Kriegs und des
Holocaust gibt.
2.1.2 Formfragen: Das Authentizitätsprinzip
Der oben genannte Philosoph und Kulturkritiker Žižek meint also, dass die Tragödie keine
angemessene Form für die filmische Darstellung des Holocaust sei. Kritiker der
Holocaust-Verfilmung sind mit ihm nicht einverstanden, sie meinen eben, dass gerade
eine realistische -also tragische- Darstellung dem Grauen des zwanzigsten Jahrhunderts
gerecht wird: “Das wichtigste Argument der 'Holocaust-Veritas'-Schule für ihre Forderung
nach 'Realismus' lautet, andernfalls würden wir die Ereignisse des blutigen 20.
Jahrhunderts immer abstrakter werden lassen, sie falsch darstellen, vergessen, schließlich
sogar leugnen. Die genaue, unverfälschte Darstellung der wahren Geschichte der Shoah,
so die Implikation, wird politisches Engagement und demokratische Orientierungen
20
21
Oster Anja, Uka, Walter, Der Holocaust als Filmkomödie, Komik als Mittel der Darstellung des Undarstellbaren,
in: Die Shoah im Bild, S.251
Zitiert nach Claude Lanzmann in: Auschwitz im Widerstreit, Zur Darstellung der Shoah in Film, Philosophie
und Literatur, S.22
12
unterstützen und so dazu beitragen, dass sich Derartiges nicht wiederholen kann.”22 Bei
der Holocaust-Darstellung jedoch gibt es noch andere Herausforderungen außer der
Genrewahl. Jede Frage nach der filmischen -oder literarischen- Gestaltung des Holocaust
ist ja eine Frage der Form. Die Filmerzählung kann als Dokumentation, mit
Zeitzeugeninterviews, als Komödie, als Drama usw. präsentiert werden. Jede dieser
Formen
beziehungsweise
Genres
bietet
für
den
Regisseur
verschiedene
Darstellungsherausforderungen, aber sie haben -abgesehen von dem Diskurs um das
Darstellungsverbot und von der Frage ob die Thematik um den Holocaust zur
Unterhaltung dienen darf- eines gemeinsam, nämlich: “[...] die Frage nach der
Authentizität und mit ihr die Grundfrage nach der Wahrhaftigkeit und der Moral von
Geschichtsschreibung.”23
Seit Kriegsende sind mittlerweile gute fünfundsechzig Jahre vergangen und die
Zeitzeugengeneration des Nationalsozialismus wird immer kleiner. Manche Menschen
haben Angst, dass mit dem Sterben des letzten Zeitzeugen auch die Erinnerung an die
Verfolgung und Ermordung Millionen Juden verloren geht. Zwar stimmt es, dass es
demnächst keine Kriegsüberlebende und damit keine Menschen mehr gibt, die den Krieg
durchgemacht haben und deswegen “gelebte Erfahrung”24 aus erster Hand haben. Doch,
derjenige, der denkt, dass nach dem Aussterben der Zeitzeugen langsam, aber sicher auch
die Erinnerung an den Holocaust stirbt, kann sich täuschen. In den vorigen Jahrzehnten
haben Tausende Holocaustüberlebende ihre Geschichte erzählt und oder aufgeschrieben.
Manche dieser Geschichten sind veröffentlicht oder verfilmt25 worden und haben durch
die moderne Massenmedien ein breites Publikum erreichen können. Diese Erinnerungen
an die nationalsozialistische Zeit werden, solange sie gelesen, gehört oder gesehen
werden, nie verloren gehen und damit auch die -individuelle und oder kollektiveErinnerung an den Holocaust nicht.
Die Zeitzeugenschaft bietet anderen Generationen eine Möglichkeit sich mit dem
22
23
24
25
Laster, Kathy, Steinert, Heinz, Eine neue Moral in der Darstellung der Shoah? Zur Rezeption von 'La Vita è
bella' in: Lachen über Hitler, Auschwitz-Gelächter? S.194
Benz, Wolfgang, Bilder statt Fuβnoten, www..zeit.de
Levy, Daniel, Sznaider, Natan, Erinnerungen im globalen Zeitalter: Der Holocaust, S.42
“Die Krönung der Zeitzeugenschaft besteht in der Niederschrift und Publikation der Erinnerung.” Hg.
Benz, Wolfgang, Distel, Barbara, Dachauer Hefte 25, Die Zukunft der Erinnerung, S.11
13
Leben
der
Kriegsopfer
-und
manchmal
auch
mit
dem
Leben
der
Täter
auseinanderzusetzen-, doch ein groβes Problem bei dieser Form der Erinnerung ist die
Authentizität.26 Ein Zeitzeuge hat seine Geschichte zwar -real- erlebt,
jeder Versuch
jedoch, seine eigene Erlebnisse in Worte zu fassen, ist eine Form der Inszenierung und
damit ist auch eine Erinnerung nie hundertprozentig authentisch. Obwohl eine
Zeitzeugenschaft -meistens- authentisch und 'real' erlebt ist, ist sie zugleich immer ein
Konstrukt
beziehungsweise
eine
Inszenierung.
Daneben
gibt
es
auch
falsche
Zeugenschaften wie die von dem Schweizer Bruno Dösekker: er hatte 1995 unter den
Pseudonym Binjamin Wilkomirski das Buch -Bruchstücke. Aus einer Kindheit 1939–1948- mit
seinen Kindheitserinnerungen an den Holocaust veröffentlicht. Keiner wusste, dass
Wilkomirski ein Pseudonym war und er die Erlebnisse, die er im Buch schildert, nicht
erlebt, sondern erfunden hat. Die Masse fühlte mit dem Autor mit, sein Buch wurde sehr
geschätzt und auch als Anlass benutzt über den Holocaust zu diskutieren. 1998 wurde
Dösekker als Betrüger entlarvt und das Mitleid wurde durch scharfe Kritik entsetzt.
Dösekker hatte dem Publikum jahrelang vorgeführt, er wäre Wilkomirski, der
Holocaustüberlebende. Als sich herausgestellt hatte, dass das Ganze erfunden war, wurde
Bruckstücke nicht länger gelobt, sondern wurde es als unwertvoll betrachtet. Das Buch galt
nicht mehr als Repräsentation für den Holocaust und die Erinnerung daran, nur weil es
-verallgemeinert gesagt- nicht authentisch war, sondern fiktiv. Vielleicht hätte Bruchstücke
auch gute Kritiken bekommen, wenn Dösekker vom Anfang an betont hatte, dass seine
Geschichte fiktiv war. Aber wie gesagt, ist die fiktive Einrahmung keine Garantie für milde
Rezeption.
Auch die Benutzung von authentischen filmischen Bildern ist problematisch:
Joachim C. Fest und Christian Herrendörfen zum Beispiel haben für ihren Film Hitler– eine
Karriere (1977) Originalaufnahmen verwendet. Anhand dieses Materials skizzierten sie die
Entwicklung des Nationalsozialismus und den Aufstieg Hitlers politischer Karriere. Doch
26
Vgl. “Ein zweiter Diskurs um die Frage nach der Darstellbarkeit des Holocaust oszilliert zwischen den
Polen Dokumentation und Fiktion. Obwohl der Dokumentarfilm, der die Opfer und Zeitzeugen der
Shoah zu Wort kommen lässt, das angemessene Medium zu sein scheint, authentisch von dem
Geschehenen zu berichten, sind in letzter Zeit Zweifel laut geworden, ob bei dokumentarischem
Filmmaterial tatsächlich ein größerer Wirklichkeitsbezug vorhanden ist.” in: Oster Anja, Uka, Walter, Der
Holocaust als Filmkomödie, Komik als Mittel der Darstellung des Undarstellbaren, in: Die Shoah im Bild, S.251
14
die Verwendung von Materialien, die einst für die Propagandazwecke der Nazis
eingesetzt wurden, ist nicht ganz ohne Gefahr. Die Bilder vermitteln nämlich noch immer
die Perspektive des Filmemachers, des Nazis. Zweites Problem ist “die nicht mitgezeigte
Lücke dessen, wovon filmisch nichts überliefert ist.”27 Zwar sind die Bilder authentisch,
der propagandistische Blick bleibt. Originales beziehungsweise authentisches Material, ob
es Zeitzeugenschaften, Tagesbücher, Rundfunkreden, Filmmaterialen usw. sind, bergen
immer die Perspektive der jeweiligen Macher und wie oben gesagt, kann die Verwendung
davon
problematisch
sein.
Wäre
es
daher
nicht
einfacher
mit
inszeniertem
beziehungsweise 'unauthentischem' Material zu arbeiten? Daniel Levy und Nathan
Sznaider zufolge haben solche Repräsentationen des Holocaust gewisse Vorteile:
“Repräsentationen [sind kein] oberflächlicher Ersatz für authentische Erlebnisse im
Zeitalter des Globalen, sondern als integraler Bestandteil derjenigen modernen Nation zu
verstehen [...]. Ganz im Gegenteil: Repräsentationen sind die Basis für diese konstruierte
Authentizität.”28 In dieser Zeit, wo die meisten unter uns keine eigenen Erfahrungen mit
dem Holocaust haben, sind wir auf solche Repräsentationen angewiesen. Massenmedien
wie das Fernsehen bieten eine exquisite Chance, möglichst viele Menschen an das Thema
des
Genozids
im
Zweiten
Weltkrieges
heranzuführen.
Entweder
durch
einen
Dokumentarfilm -mit 'authentischen' Bildern- oder durch einen Spielfilm. Auf diese Weise
kann der Holocaust Teil des Weltwissens, der Alltagswelt, ja, sogar des Erinnerns des
Fernsehzuschauers werden.
2.1.3 Der Holocaust: zwischen Hoch- und Massenkultur
Obwohl Massenmedien ein großes Publikum erreichen und damit irgendwelche
Botschaften oder Informationen übertragen können, ist “Die Vermischung von
Kulturindustrie und Holocaust [...] für die moralischen Holocaust-Puristen unerträglich.
Dabei wird weder auf den Inhalt solcher Filme noch auf ihre Wirkung eingegangen. Das
Bilderverbot steht über allem.”29 Wie schon erwähnt, sehen die Gegner der Visualisierung
des Holocaust mit ihren festen Meinungen nicht, welche potentielle Wirkung Holocaust27
28
29
Kramer, Sven, Auschwitz im Widerstreit, Zur Darstellung der Shoah in Film, Philosophie und Literatur, S.30
Levy, Daniel, Sznaider, Natan, Erinnerungen im globalen Zeitalter: Der Holocaust, S. 45
Levy, Daniel, Sznaider, Natan, Erinnerung im globalen Zeitalter: Der Holocaust, S.154
15
Spielfilmen haben -können-. Gerade die Reichweite der Massenmedien kann dafür sorgen,
dass möglichst viele Menschen an das Thema Holocaust herangeführt werden, oder wie
Levy und Sznaider
formulieren: “Es sind nun gerade diese Massenprodukte, die
emotionale Reaktionen hervorrufen können und die beim Publikum Interesse und
Mitgefühl für das Leid anderer erzeugen.”30 Auch Oster und Uka sind von der positiven
Wirkung von auf den Holocaust bezogenen Spielfilmen überzeugt: „Es ist zu betonen,
dass insbesondere der Film zu den Massenmedien gehört, der mit seinen neu erschaffenen
Bildern, die er aus dem Vergangenen schöpft, unser kulturelles Gedächtnis bereichert und
modifiziert.“31 Aleida Assmann hält die moderne Medien gleichfalls für unentbehrlich für
unsere Erinnerungspraxis: “Die Massenmedien [...] sind heute die wahren Medien des
kulturellen Gedächtnisses. In der Tat bilden sie die kulturelle Umwelt für individuelles
und soziales Erinnern.”32
Der Holocaust-Wissenschaftler Terrence Des Pres hingegen teilt diese Auffassung
nicht, er hat 1988 mehrere Konventionen zur Darstellung der Shoah aufgestellt.
Konvention Vier handelt über das Spannungsfeld zwischen Hochkultur und der
populären beziehungsweise Massenkultur: “Darstellungen des Holocaust sollen im
Bereich der 'Hochkultur' stattfinden. Populäre Produkte sind automatisch verdächtig und
jedenfalls weniger bedeutend. Komödien sprechen meist ein Publikum an, das nicht
zwangsläufig gut gebildet ist, und haben es daher schwerer, zur Hochkultur gerechnet zu
werden.”33 Obwohl die Diskurslandschaft über den Holocaust in den achtziger Jahren
anders aussah wie heute, vergisst er, dass die modernen Massenmedien die beste
Möglichkeit bieten möglichst viele Menschen zu erreichen. Dass die Produkte qualitativ
sehr unterschiedlich sind, muss er in Kauf nehmen. Die Vielzahl an HolocaustRepräsentationen und „[...]Geschichten aus der Geschichte“34 jedoch bietet jedem die
30
31
32
33
34
Ebd..
Oster Anja, Uka, Walter, Der Holocaust als Filmkomödie, Komik als Mittel der Darstellung des Undarstellbaren,
in Die Shoah im Bild, S.253
Assmann, Aleida, Der lange Schatten der Vergangenheit, Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, S.242
Zitiert nach Terrence Des Pres in: Laster, Kathy, Steinert, Heinz, Eine neue Moral in der Darstellung der
Shoah? Zur Rezeption von 'La Vita e bella' in: Lachen über Hitler, Auschwitz-Gelächter?S.186
Vgl. “Die Totalität geschichtlicher Ereignisse kann in ihrer Komplexität nur annäherungsweise
rekonstruiert werden, und eine mimetische Repräsentation dieser Totalität ist mit künstlerischen Mitteln
nicht möglich -gleichwohl aber können 'Geschichten' aus der Geschichte erzählt werden.” in: Wende,
Wara, Medienbilder und Geschichte, Zur Medialisierung des Holocaust, in: Der Holocaust im Film S.13
16
Chance, sich auf irgendeine Weise mit der düsteren Nazi-Zeit auseinanderzusetzen. Auch
Oster und Uka konstatieren, dass es keinen Maßstab für die visuelle Auseinandersetzung
des Holocaust gibt, noch geben soll.
Die Holocaust-Spielfilme lassen sich in drei Kategorien einordnen. Schindlers Liste
zum Beispiel basiert auf einer wahren Gegebenheit: Oskar Schindler hat eine Gruppe
Juden vor dem gewissen Tod gerettet. Regisseur Spielberg zieht alle Register, um die
fiktionalisierte Geschichte für die Zuschauer zu beglaubigen; für eine authentische
Wirkung benutzt er schwarz-weiß Bilder und im Abspann werden Texte eingeblendet,
worin wir erfahren, was in der Nachkriegszeit mit dem realen Schindler passiert ist. Diese
Re-Imaginierung des Holocaust gibt den Rezipienten eine Erfahrungsmöglichkeit, die nur
das Medium Kino/Film bieten kann. Daneben gibt es die Gattung Filme über den
Holocaust, die auf Zeitzeugenschaft gestützt ist. Das Tagebuch der Anne Frank hat schon als
Grundlage einiger Filme gedient, neuerdings ist Der Untergang ein gutes Beispiel hierfür.
Obwohl die Handlung auch auf den Büchern des Historikers Joachim C. Fest basiert,
entlehnt der Film seinen Wahrheits- und Authentitätsanspruch vor allem den
Zeitzeugenerklärungen von Traudl Junge und Albert Speer. Diese Gattung weist einige
Übereinkünfte -wie Authentisierungsstrategien- mit Filmen wie Schindlers Liste auf.
Letztendlich gibt es Filme wie Zug des Lebens und Das Leben ist schön, die den Holocaust
aus neuen Perspektiven darstellen. Obwohl die Handlungen sich -wie in obengenannten
Filmen- vor den Kulissen der Massenvernichtung abspielen, machen sie keine
Wahrheitsansprüche. Vielmehr betrachten sie die nationalsozialistische Zeit aus einem
fantasievollen Blickwinkel, sie verleugnen quasi die Realität und ersetzten diese durch
ihre eigene Welt. Dieser Kontrast ist durchaus Grundlage für komische Filme.
17
3. Spielfilme über Hitler
Nicht nur inszenierten Hitler und sein Propaganda-Minister Goebbels die Figur Hitler
filmisch, schon während seiner Lebzeiten faszinierte und inspirierte der Diktator mit dem
Schnurrbart andere Filmemacher. Der bekannteste Spielfilm über Hitler ist wohl der
witzige The Great Dictator (1940), worin der Regisseur Charles Chaplin sowohl die Rolle
von Adenoid Hynkel, Diktator in Tomania, -eine satirische Entsprechung des deutschen
Führers- als die eines jüdischen Frisörs verkörpert. Der Frisör und Adenoid sehen sich
äußerlich sehr ähnlich und am Ende der Geschichte findet der unvermeidbare
Rollenwechsel statt, der natürlich für einige Missverständnisse sorgt. Im Film wird nicht
nur auf der politischen Verbindung zwischen Tomania und Bacteria (Italien) und die
jüdische Gettos verwiesen, sondern auch auf das Lagerleben. In seiner 1964 erschienenen
Autobiografie betonte Chaplin, dass er es bereute den Film gedreht zu haben: „Hätte ich
etwas von den Schrecken in den deutschen Konzentrationslagern gewußt, ich hätte (den
Film) nicht zustandebringen, hätte mich über den mörderischen Wahnsinn der Nazis nicht
lustig machen können.“35 Für ihn fühlte sich das Lachen über die Naziperiode
augenscheinlich als Verspotten der Opfer an, zugleicherzeit tabuisiert er mit dieser
Aussage das Lachen über Hitler und den Holocaust, das nicht a priori heißt, die Opfer zu
verlachen. Dennoch ist The Great Dictator auch heute -dank Chaplins unglaublicher
Parodie auf Hitler- noch aktuell: er wirkt keinen Moment altmodisch oder langweilig.
Auch der Anti-Nazi-Film Sein oder Nichtsein (1942) von Lubitsch hat eine
komische Handlung, worin der Handel und Wandel eines Warschauer Theaterensembles
vor und während der polnischen Besatzung im Mittelpunkt steht. Als Probe für ein neues
Stück läuft der Schauspieler Bronski als Hitler verkleidet durch Warschau: Seine Tarnung
und Darstellung sind aber nicht überzeugend, er wird noch als Bronski erkennt. Später in
der Handlung wird dieses Spiel mit der Wirklichkeit auf die Spitze getrieben, indem der
Führer selbst eine Aufführung des Ensembles besucht. Indem er und Bronski von ihrer
Umgebung nicht -immer- als sie selbst erkannt werden, entsteht -genauso wie in The Great
35
Zitiert nach Charles Chaplin in: Lindner, Burkhardt, Die Spuren von Auschwitz in der Maske des
Komischen,Chaplins 'The Great Dictator' und 'Monsieur Verdoux' heute in: (Hg.) Frölich, Margrit, Loewy,
Hanno, Steinert, Heinz, Lachen über Hitler – Auschwitz-Gelächter? S.96
18
Dictator- eine komische Situation. Das Spielen mit Identitäten, Wirklichkeit und Phantasie
durch Vermummung und Tarnung wird in komischen Filmen oft gemacht, auch in Zug
des Lebens wird diese Strategie benutzt.
In den vierziger Jahren wurde auch in den Vereinigten Staaten gerne mit der Figur
des 'Führers' gespielt. Das Walt Disney Studio machte den kurzen Zeichentrickfilm Der
Führers Face (1943) worin Donald Duck im Nazi-Alltag von einer Blaskapelle geweckt
wird. Tagsüber arbeitet er in einer Munitionsfabrik, wo er am Fließband die Zünder von
Granaten einschrauben muss, doch es kommen nicht nur Bomben vorbei, auch Bilder von
Hitler rollen über das Band und jedes mal muss er die mit dem Führergruß grüßen.
Abends hat Donald einen absurden Albtraum, worin Granaten und andere Waffen und
auch Hitler vorbeiziehen. Als er wach wird, sehen die Zuschauer, dass seine Wohnung mit
amerikanischen Symbolen wie den 'stars and stripes' und der Freiheitsstatue dekoriert ist.
Donald aber erkennt die Schatten der Statue als einen Mann, der den Führergruß macht
und er will ordnungsgemäß grüßen, bemerkt dann zu seiner Erleichterung, dass er sich
nicht in Nazideutschland, sondern in den Vereinigten Staaten befindet. 1943 veröffentlicht
Disneys Konkurrenz MGM auch einen -propagandistischen- Kurzfilm über Hitler, Blitz
wolf, worin die Handlung auf der Geschichte der drei kleinen Schweinchen basiert. Trotz
eines Nichtangriffpakts attackiert Adolf Wolf die Schweinchen, wonach beide Parteien sich
bekriegen. Der Krieg endet damit, dass Adolf im tiefsten Höllenfeuer landet.
Die Wirkung all dieser Filme ist auch heute noch aktuell; die damaligen Filmemacher
haben Hitler und seine Gesten, Artikulationen usw. gründlich observiert. Gerade die
Tatsache, dass die Filmemacher und Hitler Zeitgenossen waren, sorgt dafür, dass die
Filme eine politische Note bekommen. Überdies wäre zu beachten, dass das Lachen über
Hitler -oder besser über eine Karikatur Hitlers- damals eine andere Konnotation als heute
hatte. Die Filmemacher der vierziger Jahre wussten zwar von den jüdischen Gettos und
der gewalttätigen und mörderischen Stimmung im Dritten Reich, aber das Ausmaß der
Katastrophe wurde erst nach dem Krieg deutlich. Man lachte über den kleinen Diktator
mit den Schnurrbart und seinen komischen deutschen Tonfall um ihn zu verspotten und
sich besser über sich selbst und sein eigenes Volk zu fühlen: vorerwähnte Filme sind alle
US-amerikanische Produktionen, die zum Teil propagandistischen Zwecken dienten.
19
In Deutschland war es zu dieser Zeit undenkbar derartige Witze über den Führer
oder überhaupt das nationalsozialistische Regime zu machen. “Denn ein wesentlicher
Grundzug des Nazionalsozialismus war das generelle Verbot, das System zu karikieren.
[...] Das Lachverbot unter dem Nazionalsozialismus hatte die Funktion, das Regime
sakrosankt zu halten.“36 Auch Selbstspott stand den Nazis fern: „Das Lachverbot der
Nazis hing eng mit ihrer Propaganda und der faschistischen Ästhetik zusammen. Die
propagandische Wirkung von NS-Dokumentarfilmen [...] zielte darauf ab, die NS-Realität
als Erfüllung der bestmöglichen aller Welten darzustellen. Der nationalsozialistischen
Ästhetisierung des Alltags ging es darum, die Kraft des Imaginären ins Reale zu heben.
Eine realitätstranszendierende imaginäre Welt war bedrohlich, da in ihr die ganze
verleugnete Schwäche, Abhängigkeit und Verletzbarkeit auftauchen könnte. So wurde mit
der Imagination auch das Lachen aus der Welt geschafft, denn ohne die Kraft der
Imagination gibt es kein Lachen, keine Ironie, keinen Humor.”37 Aus Zöchmeisters Kritik
kann man folgern, dass Verdikte wie Lachverbote im Sinne des propagandistischen
nationalsozialistischen
Lachverbots
handeln.
Indem
sogar
im
Nachhinein
der
nationalsozialistische Staat nicht durch Lachen kritisiert oder verspottet werden darf,
bleibt das originale Verbot erhalten. Doch Gegner von Hitler- (und Holocaust-)Komödien
behaupten gerade das Gegenteil, derartige Filme würden sich nicht für eine angemessene
Reflexion der Shoah eignen und überdies würden sie das Grauen verharmlosen. Das
Lachen über die Hitlerfigur wurde noch mit einem weiteren Argument tabuisiert; dieser
mörderische Dämon sollte nicht lächerlich gemacht werden, sondern ihm sollte mit
angemessener Angst entgegengetreten werden. Und solange nicht ausgearbeitet wird,
welche Funktionen das Lachen in diesem Kontext haben kann „[...] unterliegt [den Diskurs
des Lächerlichen] demnach immer der Gefahr, den unvorstellbaren Ausmaß der
Katastrophe nicht gerecht zu werden , sie zu verharmlosen, eskapistisch zu sein, vor dem
Grauen zu fliehen.“38 Erst als sich herausstellt ob und wie derartige Komödien die Debatte
um den Holocaust bereichern oder „[...] welche andere Erklärung durch eine
36
37
38
Zöchmeister, Markus, Nazismus, Karneval und Perversion, Mediale Reproduktionen der NS-Welt, in: Das Böse
im Blick, Die Gegenwart des Nationalsozialismus im Film, S.33
Ebd.
Oster, Anja, Uka, Walter, Der Holocaust als Filmkomödie, Komik als Mittel der Darstellung des Undarstellbaren,
in: Die Shoah im Bild, S. 254
20
humoristische Perspektive auf den Holocaust gewonnen wäre [...]“39, kann das Tabu
aufgehoben werden. Im nächsten Kapitel wird die Funktion des Lachens, Humors und der
Komik noch ausführlich behandelt.
Außer obengenanntem Verbot gibt es auch Lanzmanns schon erwähntes
Bilderverbot, wonach keine -visuelle- Repräsentationen des Holocaust gemacht werden
sollen. Dieses Verbot gilt in gewissem Maße auch für die Darstellung Hitlers im Spielfilm,
denn die Erscheinung der Führer-Figur in Filmen verursacht auch heute noch
Schlagzeilen. Zugegeben, bevor Der Untergang [Hirschbiegel, 2004) erschien, wurde Hitler
in -deutschen- Produktionen fast immer nur von hinten gezeigt oder besetzte die Figur
eine Nebenrolle. Im Untergang jedoch ist Hitler von allen Seiten zu bewundern: Das Tabu
ihn darzustellen ist endgültig gebrochen. Diese Alltagserscheinung Hitlers im Film scheint
etwas ganz normales zu sein und deswegen trägt paradoxerweise gerade das Brechen des
Tabus (das Bilderverbot) zur Mystifizierung Hitlers bei. Wo die Nazis -und vor allem
Propagandaminister Goebbels- damals ihres Bestes taten, das Bild von ihrem Führer
präzise zu inszenieren, tun die Filmemacher heute genau dasselbe. Sie durchbrechen diese
Mystifizierung rund um Hitler nicht, sie halten diese instand. Nicht nur das Zeigen der
Figur Hitler in all seinen alltäglichen Tätigkeiten trägt zu dieser Mystifizierung bei, gerade
das was nicht gezeigt wird, würde den Diktator zum Mythos machen. Stephan Horn:
“Würde-und pietätsvoll verschwindet er wie in allen Bunkerfilmen hinter verschlossenen
Türen, der letzte Akt des Führers wird ein ewiges Mysterium bleiben. Der Führermythos
lebt!”40 Bei der Besprechung des Untergangs in Feuilletons tauchte ein drittes Problem bei
der Inszenierung Hitlers auf: Authentizität. Im zweiten Kapitel stellte sich schon heraus,
dass manche Kritiker fürchten, dass wenn die Reimagination des Holocaust nicht
realistisch geschieht, die Holocaustthematik letztendlich so abstrakt wird, dass sie fast
nicht mehr als solche zu erkennen ist. Obwohl 2004 Rezensenten sich häufig über die
realistische und vor allem menschliche Darstellung Hitlers (gespielt von Bruno Ganz)
monierten, wurde andererseits betont, dass die Geschichte über die letzten Tage im
Führerbunker so wahrheitsgetreu wie möglich verfilmt werden musste. Wie und ob das
39
40
Ebd.
Horn, Stephan, Clausewitz ist ausjejeben!, www.filmzentrale.com
21
Gespenst der deutschen Geschichte filmisch dargestellt werden soll, ist eher eine
Geschmackssache. Kritiker wie Tilman Krause und Peter Zadek jedoch meinen, dass es
widerlich sei, Hitler auf der Leinwand reinkarnieren zu lassen. Solche Reaktionen lösen im
Diskurs um solche Filme die unvermeidliche Frage aus, ob man das denn darf: Hitler
darstellen. Doch, das darf man. “Man darf sogar noch viel mehr, wenn man sich im
fiktionalen Raum des Kunstwerks Film bewegt.”41 Eins steht fest: Filme worin Hitler
inszeniert wird, lassen viel Staub aufwirbeln.
Für Filmemacher bleibt Hitler deswegen ein dankbares Thema: in verschiedenen
filmischen Gattungen ist für ihn die Hauptrolle vorbehalten. In unzählbaren Zombie-,
Science-Fiction-, Actionfilmen, Dramen und TV-Serien usw. lebt der Diktator für ewig
weiter. Eine kleine Auswahl aus dem unerschöpflichen Archiv der Hitler-Filme
beziehungsweise Filme worin die Figur des Diktators eine Rolle hat:
The Great Dictator (Chaplin, 1940)
Sein oder Nichtsein (Lubitsch, 1942)
Der letzte Akt (Pabst, 1955)
Hitler – Eine Karriere (Fest, Herrendoerfer, 1977)
The Bunker (Schaefer, 1981)
100 Jahre Adolf Hitler – Die letzte Stunde im Führerbunker (Schlingensief, 1989)
Indiana Jones and the last Crusade (Spielberg, 1989)
Conversation with the Beast (Mueller-Stahl, 1996)
Little Nicky (Brill, 2000)
Goebbels und Geduldig (Wessel, 2001)
Der Untergang (Hirschbiegel, 2004)
Speer und er (Breloer, 2004)
Mein Führer - Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler (Levi, 2007)
Inglourious Bastards (Tarantino, 2009)
Obenstehende Titel sind ziemlich bekannt und können fast alle in der Mainstream-Kultur
eingeteilt werden. Ein Großteil dieser Filme sind von deutschen oder amerikanischen
Regisseuren gedreht worden, es gibt jedoch noch eine Menge an obskuren HitlerSpielfilmen aus Ost- und Südeuropa. Nicht nur die westliche Herkunft der Filmemacher
41
Borcholte, Andreas, Die unerzählbare Geschichte, www.spiegel.de, 15. September 2004
22
ist interessant und auffällig, auch die Thematik ist bemerkenswert. Sowohl Der letzte Akt,
The Bunker, Conversation with the Beast als Der Untergang sind seriöse Filme, die von den
letzten Tage des Diktators im Bunker handeln. Der Aufstieg des Nationalsozialismus und
die Herrschaft Hitlers vor Kriegsanfang hingegen sind für die Kino-Industrie weniger
'appealing'. Weshalb das Kinopublikum sich derartige Filme ansieht, lässt sich schwer
erraten, Tatsache ist aber, dass die Thematik Zuschauer hereinlockt: die Zahl der
Kinobesucher, die sich Der Untergang angesehen haben, spricht für sich. Hirschbiegels
Film lockte 4,5 Millionen Besucher in die Kinos. Mein Führer dagegen wurde von 650 000
Menschen auf der Leinwand gesehen. Keine schlechte Beteilung für diesen Film, aber
auch kein großer Box-Office-Erfolg wie Der Untergang.
Es ist interessant, dass die übrigen Filme fast alle keine Realitätsansprüche machen
und auch nicht versuchen, die Nazis oder Hitler so realistisch wie möglich darzustellen.
Im Gegenteil. In Indiana Jones, Little Nicky, Mein Führer und Inglorious Bastards werden sie
so klischeehaft und übertrieben porträtiert, dass sie eher lächerlich wirken. “Es gibt eben
mindestens zwei Hitlers und zwei Sorten Nazis in der gegenwärtige Kultur, einerseits den
traditionellen, realistischen Nazi der aufklärerischen Fernsehdokumentationen und von
Schindlers Liste, andererseits den Unterhaltungs- und Komödiennazi, der, vom Realismus
und Pseudorealismus befreit, in Filmen von Walter Moers oder in Indiana Jones als das
absolut Böse oder lächerliche Figur herumspukt.”42 Martenstein bemerkt zurecht, dass es
mindestens zwei Sorten Hitlers gibt, eine dritte Sorte konnte man in Schlingensiefs 100
Jahre Hitler ausmachen. In diesem Film ist er aus seinem politischen und historischen
Kontext geholt, wodurch er weder realistisch noch lächerlich ist, sondern eher absurd.
42
Martenstein, Harald, Adolf auf der Couch, www.zeit.de, 14. Januar 2007
23
3.1 Hitler als Popfigur
Rudolf Worschech beschreibt 2006, das Jahr worin Mein Führer erscheint, folgendermaßen:
“2006 war also das Jahr, in dem der Massenmörder Adolf Hitler endgültig zu einer
Popfigur wurde.”43 Nun es den Deutschen unbenommen war über eine deutsche HitlerParodie zu lachen, waren Worschech zufolge alle Tabus um die Figur Hitler gebrochen
worden, so dass er als Mainstream-Figur fungieren konnte. Die Umgestaltung vom
Diktator zur Pop-Figur jedoch war meiner Meinung nach schon eher vollendet worden.
Obwohl ich nicht so genau wie Worschech eine Jahreszahl und sogar einen Filmtitel
nenne, behaupte ich, dass Hitler schon eher nicht nur eine historische Figur war, sondern
auch eine Mainstream-Identität 'entwickelt' hatte. Rezensent Harald Martenstein ist
einverstanden: “Hitler, hat sich, weltweit, in eine Popfigur verwandelt. Diese Erkenntnis
ist nicht originell [...]”44 Die Hitler-Figur tauchte seit Anfang der neunziger Jahre oft in
verschiedenen Filmen auf und wurde auch in anderen Medien als dankbares Thema
begrüßt. In Zeichentrickserien wie South Park und Family Guy hat 'Hitler' regelmäßig einen
Cameo-Auftritt, wobei er wegen seinem Aussehen und Akzent verspottet wird und des
Öfteren auch den Tod findet oder zur Hölle geschickt wird. Das Comicheft Maus-Die
Geschichte eines Überlebenden -oder besser formuliert; graphic novel- von Art Spiegelman,
Sohn eines Holocaustüberlebenden, lädt im Gegensatz zu obengenannten Serien gar nicht
zum lachen ein. Im Buch werden sowohl die unheimlichen Erinnerungen des Vaters an
den Holocaust, als auch die Shoah selbst thematisiert. Spiegelman hat die Fabel als Form
des Erzählens gewählt, wobei er die Juden als Mäuse und die Deutschen als Katzen
abgebildet hat, indem Menschen wie Tiere maskiert sind, wird die Geschichte auf eine
abstrakte Ebene gehoben, folgemäßig hat Maus wenig Identifizierungspotential. 45
Im Internet sind Webseiten wie catsthatlooklikehitler.com oder hipsterhitler.com,
genauso wie verschiedenerlei Clips worin 'Hitler' Protagonist ist, wahnsinnig populär. Vor
43
44
45
Worschech, Rudolf Mein Führer -Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler, Dani Levys Hitler-Satire in:
Das Böse im Blick, S.205
Martenstein, Harald, Adolf auf der Couch, www.zeit.de, 14. Januar 2007
Vgl. „I need to show the events and memory of the Holocaust without showing them. I want to show the
masking of these events in their representation.“ zitiert nach Art Spiegelman in:
http://de.wikipedia.org/wiki/Maus_-_Die_Geschichte_eines_Überlebenden, 15. Februar 2011
24
allem Adolf-die Nazisau [Felix Gönnert, Walter Moers], der auf den Comics von Moers
basiert, ist mit einer Zuschauerzahl von einigen Millionen ein online Phänomen gewesen.
In diesem animierten Kurzfilm ist Adolf Hitler einschließlich seinem Bunker [Bonker] in
die heutige Zeit versetzt. Während des Clips planscht er vorwiegend in seiner Badewanne
herum, was ihm den Anschein einer albernen Figur gibt. Neben diesem Hit sind noch
zahlreiche Hitler-Clips im Internet erschienen, Kampf Claydolf, worin Hitler als Sklave von
Sankt Nikolaus endet, gehört zu diesen. Nach dem Erfolg von Der Untergang tauchen
online Ausschnitte aus diesem Film auf, wobei Hitler [Bruno Ganz] statt seinem
Generalstab, wie im originellen Fragment, böse zu sein, fragt wohin der Betriebsausflug
geht oder er sagt, dass er Fan von Michael Jackson ist. Der eine ist absurder als der andere
und hat fast gar nichts mehr mit der historischen Figur zu tun.46 Hitler ist also in einen
anderen Rahmen gestellt, diese Umkontextualisierung bewerkstelligt, dass er manchmal
als eine erbärmliche und lächerliche Figur erscheint, die man in diesem Kontext einfacher
auslachen kann als in seinem historischen. Und genau das sollen Hitler-Parodien und
Komödien herausfordern: „Der schrecklichste Schmierenkomödiant der Geschichte, den
die Deutschen hätten auslachen sollen, anstatt ihn ernst zu nehmen.”47
46
47
Vgl. “Hitler und die Nazis sind, in der Popkultur, inzwischen eine von den politischen Zusammenhängen
weitgehend befreite, abstrakte Personifizierung des 'Bösen', gelegentlich auch des 'lächerlichen
Wüterichs.“ Martenstein, Harald, Adolf auf der Couch, zeit.de 14.01.2007
Suchsland, Rüdiger, Überhaupt nicht lustig: Hitler ist komisch Von Chaplin bis Levy: Der gröβte Filmstar aller
Zeiten im bewegten Bild – die unendliche Karriere einer Marke, www.heise.de, 27. Oktober 2010
25
4. Komik, Humor und Lachen
4.1 Das unkomische des Komischen
Am Anfang der Arbeit habe ich geschrieben, dass jeder Mensch lacht. Warum aber lachen
wir? Und worüber? Klar, wir lachen, wenn wir froh sind oder wir stimmen damit einem
guten Witz zu. Die Handlung scheint auf den ersten Blick exklusiv und unlöslich mit der
heiteren positiven Seite des Lebens verbunden zu sein. Was ist die Quelle des Humors
jedoch? Im Leben ist nicht alles eitel Sonnenschein, es hat auch schlechte Zeiten und auch
in diesen Perioden können wir -oft- noch lachen. Der Humor bietet uns die Gelegenheit
für einen Moment unsere Sorgen zu vergessen: lachen kann daher befreiend wirken.
Gottfried Müller behauptet in seiner Theorie der Kritik, dass der natürliche Zustand eines
Menschenlebens Schmerz ist, Babys kommen eben schreiend und weinend zur Welt. Sein
Weltbild ist ein negatives: “Aus [der] Unmöglichkeit, dem Leben einen Sinn zu
unterschieben, Vernunft oder Moral, müssen wir zugeben, daß das Leben von sich aus
wenig zum Lachen und Fröhlichsein bietet.”48 Er ist nicht der einzige, der davon überzeugt
ist, dass der wichtigste Grund zum Lachen eher Kummer als Freude ist: Auch Mark Twain
hatte diese Einsicht: “The secret source of humor itself is not joy but sorrow.”49 In ihrem
Buch Lachen zitieren Mauser und Pfeiffer den deutschen Schriftsteller Otto Julius
Bierbaum: “Eine recht verbreitete Definition für Humor ist: 'Humor ist, wenn man
trotzdem lacht.”50 Die Autoren sind mit dieser Definition einverstanden: “Im Hintergrund
des Humors stehen also die menschlichen Leidensmöglichkeiten [...].”51 Welche Funktion
haben Lachen und Humor jedoch im Zusammenhang mit Leiden? Fast jeder hat mal eine
Situation erlebt, worin er sich komisch benahm und daher aus Unfähigkeit blöd zu lachen
anfing. Gerade in solchen bedrohlichen Umständen liegt die Möglichkeit, sie zu
überwinden -um danach erleichtert zu lachen-: „[...] [die] innere Bearbeitung [der
48
49
50
51
Müller, Gottfried, Theorie der Kritik, Über die komische Wirkung im Theater und Film, Konrad Triltsch Verlag
Würzberg, 1964, S.7
Zitert nach Mark Twain in: Morreall, John, Humor in the Holocaust: Its Critical, Cohesive and Coping
Functions, www.holocaust-trc.org, 27-10-2010
Zitiert nach Otto Julius Bierbaum in: Mauser, Wolfram, Pfeiffer, Joachim, Lachen, http://books.google.nl/,
S.32
Mauser, Wolfram, Pfeiffer, Joachim, Lachen, http://books.google.nl/, S.29
26
Bedrohung] führt zu Bewältigung von Veränderbarem oder einer Akzeptanz des
Unveränderbaren und damit zu einer Entspannung, die sich dann in einem befreiten
Lachen äußern kann.”52
Damit wird eine Funktion des Lachens deutlich: es kann eine befreiende Wirkung
haben.53 Überdies kann Humor eine neue Perspektive bieten: “[...] comedy is not 'time out'
from the real world; rather it provides another perspective on that world. And that other
perspective is no less valuable than the tragic perspective.”54 Diese Einsicht ist vor allem
im über Holocaust- und Hitler-Komödien von wesentlicher Bedeutung: Solange der
allgemeine Konsens nicht von dieser Idee, dass Humor eine andere -neue- Perspektive
bieten kann, überzeugt ist, werden diese Filme nie ganz enttabuisiert. Wie schon erwähnt
enthalten Verdikte wie Lanzmanns Lachtabu durchaus legitime Gründe was die filmische
Repräsentation des Holocaust anbelangt; nämlich, dass in diesem Kontext immer die
Gefahr besteht, der Shoah nicht gerecht zu werden. Doch können diese Komödien -außer
ihrer befreienden Wirkung- zum Diskurs einen weiteren positiven Beitrag leisten. Die
Konstatierung, dass man nicht immer vor Freude lacht, ist wichtig für die weitere Analyse
des Lachens, Humors und der Komik.
Die Komödie und Tragödie haben, obwohl sie gleichzeitig auch Gegenpole sind,
eine wichtige Übereinstimmung: “Not only do tragedy and comedy look at the same
world, but they both focus on its problematic side. [...] Most problems involve evils of
some kind, and a major function of religion, comedy and tragedy is to help us deal with
evil.”
55
Obwohl sowohl die Tragödie als die Komödie eine Hilfeleistung sein können wie
man mit dem Bösen umgehen kann, bietet letztgenanntes Genre eine bessere Möglichkeit
bei der kulturellen Verarbeitung des Holocaust. Nicht nur können Komik und Humor ein
befreiendes Gefühl hervorrufen, „[...] Humor hilft [auch] bei der Meisterung von Leiden.
Er kann sowohl der Abwehr von Angst dienen (Abwehrfunktion), als auch der
52
53
54
55
Mauser, Wolfram, Pfeiffer, Joachim, Lachen, http://books.google.nl/, S.34
Vgl. “Bekanntlich eignet sich der Humor gerade in extremen Situationen zur Bewältigung, ja sogar im
Wortsinne als Mittel zum Überleben.”in: Laster, Kathy und Steinert, Heinz, Eine neue Moral in der
Darstellung der Shoah? Zur Rezeption von 'La Vita e bella' In: Lachen über Hitler, Auschwitz-Gelächter?S.182
Morreal, John, Humor in the Holocaust: Its Critical, Cohesive and Coping Functions, www.holocaust-trc.org,
27. Oktober 2010
Morreal, John, Humor in the Holocaust: Its Critical, Cohesive and Coping Functions, www.holocaust-trc.org,
27. Oktober 2010
27
Bearbeitung und Bewältigung von Angst (Anpassungsfunktion).”56 Da der Holocaust in
der
Mainstreamkultur
und
der
populären
Historiografie
-wie
Guido
Knopps
Dokumentarfilme- mittlerweile fast synonym ist mit dem Bösen und Hitler oft und gerne
mit dem Teufel verglichen wird, hat der Diskurs eine sakrosankte Färbung bekommen, die
offenbar nicht ausreicht. Der schon erwähnte Philosoph Žižek findet die Tragödie ebenso
wenig ein geschicktes Medium um den Holocaust gerecht zu werden57, übrig bleibt also
nur die Komödie.
Es sollte mittlerweile deutlich sein, dass -paradoxerweise- eine Komödie nicht
unbedingt witzig oder komisch zu sein braucht58. In diesem Genre dreht es sich -wie oben
auch konstatiert wurde- um eine Besiegung oder Überwindung, um das Bemühen die
Normalsituation wiederherzustellen. Hierin unterscheidet die Komödie sich von ihrem
Gegenpol; der Tragödie: „Während [...] die Tragödie die Unversöhnlichkeit des Schicksals
thematisiert, den Preis, den es unweigerlich fordert, endet die Komödie notwendigerweise
mit einer Versöhnung.“59 Es ist logisch, dass die Gattung sich nicht einfach definieren lässt,
da sie keine statische Form betrifft: eine Komödie kann zugleich auch ironische und
satirische Aspekte enthalten: Sie kann sich also in anderen Begriffsebenen bewegen. „[...]
[die] Erweiterung des traditionellen Begriffspaars von Tragödie und Komödie um die
Gattungen der Romanze und der Satire ermöglicht es erst, traditionelle Erzählformen und
deren Spuren in der mimetischen Literatur und im fiktionalen Film zu beschreiben.“60
56
Mauser, Wolfram, Pfeiffer, Joachim, Lachen, http://books.google.nl/, S.34
Bemerkung: Obwohl Žižek die Komödie eine angemessenere Gattung für die filmische HolocaustVerarbeitung als die Tragödie findet, achtet er dieses Genre letztendlich auch unzureichend für diese
Aufgabe. Vielmehr soll es ein bestimmter Null-Punkt geben, ein Neu-Anfang, ein neues Genre sogar für
die filmische Thematisierung des Holocaust. „[...] the zero-point at which the very opposition between
tragedy and comedy, between the sublime and the ridiculous, between dignity and derision, is suspended,
the point at which one pole directly passes into its opposite.“ in: Žižek, Slavoj, Laugh Yourself to Death: the
new wave of Holocaust comedies http://www.lacan.com/zizekholocaust.htm
58
Vgl. “Komödien zeichnen sich bekanntlich nicht etwa durch besondere Witzigkeit aus, sondern durch das
gestalterische Prinzip, scheinbar unauflösbare Verstrickungen schockartig zu entflechten, sie im Wortsinn
zu zerschlagen.” in: Schneider, Christian, Wer lacht wann? in: Hg. Fröhlich, Margrit, Loewy, Hanno,
Steinert, Heinz, Lachen über Hitler – Auschwitz-Gelächter? Filmkomödie, Satire und Holocaust S.146
59
Loewy, Hanno, Fiktion und Mimesis, Holocaust und Genre im Film, in: Hg. Fröhlich, Margrit, Loewy, Hanno,
Steinert, Heinz, Lachen über Hitler – Auschwitz-Gelächter? Filmkomödie, Satire und Holocaust S.42
60
Ebd.
57
28
4.2 Die Funktion von Lachen und Humor
Eine Komödie ruft also nicht immer unbedingt Gelächter hervor, was passiert jedoch wenn
das wohl passiert? Worüber wird gelacht? Und warum lacht man? Die erste Frage lässt
sich nicht einfach beantworten, denn das Lachen ist eine Art reflexive Reaktion des
menschlichen Körpers. Im Nachhinein nachzuvollziehen warum und worüber gelacht
wurde, ist mühsam. “Es gibt [...] einen nachträglichen Widerstand gegen das Komische,
gerade weil die Hemmungen des Realitätsprinzips vorübergehend vermindert und außer
Kraft gesetzt werden. Deshalb ist das Komische im substanziellen Sinne so schwer
definierbar.”61 Dieser Augenblick, worin alle Hemmungen kurz aufgehoben werden,
verursacht
manchmal
Schamgefühle.
Denn
das
Komische
mit
seinem
'Überrumpelungscharakter'62 sorgt dafür, dass man zeitweise die Kontrolle verliert und
über etwas lacht, worüber wir gar nicht lachen wollten.63 Überdies heißt das Lachen den
Witz gut; wie Freud schon umschrieben hat ist „[j]edes Lachen über einen Witz ist ein Akt
der Zustimmung [...]“64 Auch Burkhardt Lindner kann dem nur beipflichten, dass das
Lachen nicht schamlos ist: „[...] Man kann sich im gemeinsamen Lachen 'sauwohl' fühlen,
aber sich des Lachens im Nachhinein auch schämen, es kann einem im Halse stecken
bleiben und, wenn man selbst der Ausgelachte ist, hilflos machen.“65 Er meint auch, dass
das Komische „keine Grenze [hat], weil es Grenzen und das Gegenständliche auflöst.“66
Dazu behauptet er, dass theoretisch über alles gelacht werden kann beziehungsweise, dass
61
62
63
64
65
66
Lindner, Burckhardt, Die Spuren von Auschwitz in der Maske des Komischen, Chaplins 'The Great
Dictator'und 'Monsieur Verdoux'heute, in: Hg. Fröhlich, Margrit, Loewy, Hanno, Steinert, Heinz, Lachen
über Hitler – Auschwitz-Gelächter? Filmkomödie, Satire und Holocaust S.86
Lindner, Burckhardt, Die Spuren von Auschwitz in der Maske des Komischen, Chaplins 'The Great Dictator'
und 'Monsieur Verdoux'heute, in: Hg. Fröhlich, Margrit, Loewy, Hanno, Steinert, Heinz, Lachen über Hitler –
Auschwitz-Gelächter? Filmkomödie, Satire und Holocaust S.85
Vgl. “Wie wenn man eine Tat unter hypnotischem Einfluβ begeht, darf man beim Lachen – und das ist
eine wichtige Bedingung – nicht wissen, was man tut: Das Lachen muβ automatisch, überfallartig
herausplatzen, ohne dass man weiβ, worüber noch warum man lacht.”zitiert nach Freud in: Schneider,
Christian, Wer lacht wann? in: Hg. Fröhlich, Margrit, Loewy, Hanno, Steinert, Heinz, Lachen über Hitler –
Auschwitz-Gelächter? Filmkomödie, Satire und Holocaust S.149
Zitiert nach Freud in: Schneider, Christian, Wer lacht wann? in: Hg. Fröhlich, Margrit, Loewy, Hanno,
Steinert, Heinz, Lachen über Hitler – Auschwitz-Gelächter? Filmkomödie, Satire und Holocaust S.139
Lindner, Burckhardt, Die Spuren von Auschwitz in der Maske des Komischen, Chaplins 'The Great
Dictator'und 'Monsieur Verdoux' heute, in: Hg. Fröhlich, Margrit, Loewy, Hanno, Steinert, Heinz, Lachen
über Hitler – Auschwitz-Gelächter? Filmkomödie, Satire und Holocaust S.85
Ebd.
29
alles komisch sein kann.
Dass alle Gegenstände potentiell komisch sein können, heißt nicht, dass man
darüber lachen kann. Eine Bananenschale ist erst witzig, wenn jemand auf ihr ausrutscht.
Ein komischer Effekt kann erreicht werden, indem das Erwartungsschema des Rezipienten
durchbrochen wird und so eine Inkongruenz der Normalsituation entsteht. Manchmal
wird das Lachen hervorgerufen durch ein Spiel mit den Erwartungen und Hoffnungen
des Publikums: es hat schon bestimmte Kenntnisse beim Sehen eines Films. Wer sich zum
Beispiel eine romantische Hollywood-Komödie ansieht, weiß von Anfang an, dass der
Mann und die Frau, die sich jetzt nicht ausstehen können, sich am Ende der Geschichte
lieben werden. Obwohl wir durch unsere frühere Erfahrung mit solchen Filmen schon
wissen, welche Struktur sie haben -ein Weg mit genanten Zwischenfällen und
Missverständnissen- und den Ablauf erraten können, hoffen wir trotzdem, dass der Mann
und die Frau sich lieben werden. Offenbar ist die Wiederholung von derartigen Mustern
gar nicht langweilig, sondern ist gerade die klischeehafte Vorhersagbarkeit der
romantischen Komödie seine Stärke. Indem in dem Plot von den Erwartungen des
Zuschauers abgewichen wird, kann eine komische Situation entstehen: “Der komische
Effekt reflexiver Wiederholung entsteht aus der Differenz der erwarteten zur tatsächlichen
Wiederholung; sie ist komisch, weil sie ihr Prinzip reflexiver Wiederholungen in der
Differenz selbst reflektiert.”67 Die Gattung Komödie kann sich reflektieren, wie ein Mensch
sich und sein Benehmen reflektieren kann: “De mens [...] leeft en beleeft niet alleen, hij of
zij beleeft zijn beleven ('erlebt sein erleben'). Dat wil zeggen dat de mens een reflectieve
houding ten opzicht van zichzelf en zijn ervaringen inneemt.”68 Die -komische- Reflexion
bietet die Möglichkeit, mit distanziertem Blick oder mit einer anderen Perspektive zum
Beispiel die Vergangenheit zu betrachten. Bei den Hitler- oder Holocaustkomödien kann
die Einsicht, dass die Gattungen reflexiv sind, für diejenigen, die sich beim Sehen solcher
Filme belastet fühlen, eine Hilfeleistung sein.
67
68
Paech, Joachim, Das Komische als reflexive Figur im Hitler- oder Holocaustfilm, in: Hg. Fröhlich, Margrit,
Loewy, Hanno, Steinert, Heinz, Lachen über Hitler – Auschwitz-Gelächter? Filmkomödie, Satire und Holocaust
S.76
Critchley, Simon, Humor, Routledge, Londen, 2002, S.31
30
4.2.1 Die Satire: grotesk und absurd
Außer den schon erwähnten Genres der Tragödie und Komödie -und der daraus
folgenden Tragikomik- gibt es auch noch eine Subform der Komödie zu betrachten, die für
die Analyse der Hitler- und Holocaust-Filme von Bedeutung ist: nämlich die Satire.
„Korrespondieren die Narrativ der Komödie [und] Tragödie [...] mit den virulenten
Plotstrukturen, deren unwillkürlich mitgedachter Bezugsrahmen allgemein vorausgesetzt
werden kann, so fordert die Satire mehr: nämlich den Bezugsrahmen gemeinsamer
Erfahrung und gemeinsamen Wissens, das nicht Gesagte und nicht zu sagende, und sei es
das Nichtsagbare.“69 In diesem Genre gibt es andere Grundbedingungen und der Plot
bietet keinen deutlichen Halt beziehungsweise es gibt kein 'kommunikatives Vertrauen'70
wie in der Komödie oder Tragödie. Die Satire ist für die Kritisierung oder Karikierung von
Personen und politischen Situationen sehr geeignet. In Mein Führer wird das
nationalsozialistische Regime mit seinen Eigentümlichkeiten wie dem Führergruß
verspottet. Auch Hitler wird parodiert, indem seine Schwächen (Bettnässer, unbeholfener
Liebhaber),
seine
Unsicherheiten
(schlechte
Beziehung
zu
seinem
Vater)
und
Äußerlichkeiten vergrößert und übertrieben werden. In diesem Sinne konnte man Hitler
zugleich als eine groteske Figur71 bezeichnen: der Charakter wirkt manchmal
bemitleidenswert, erregt jedoch auch Ekel. Im Film ringt er mit seiner Abscheu für das
jüdische Volk und seiner Sympathie („der Jud tut gut“) für den jüdischen Schauspiellehrer
Adolf Grünbaum.
Dieser innerliche Widerspruch ist kennzeichnend für das Groteske: “'Grotesk' ist
zunächst nicht ein Begriff der Ästhetik, sondern des Erkennens, der etwas über eine
bestimmte Beschaffenheit von Wirklichkeit aussagt. Und zwar bezeichnet er spezifisch
deren Entstellung – von einer Art, die den Betrachter entsetzt und zugleich lachen macht,
69
70
71
Loewy, Hanno, Fiktion und Mimesis, Holocaust und Genre im Film, in: Hg. Fröhlich, Margrit, Loewy, Hanno,
Steinert, Heinz, Lachen über Hitler – Auschwitz-Gelächter? Filmkomödie, Satire und Holocaust, S.61
Mikos, Lothar, Film- und Fernsehanalyse, S.254
Grotesk: “In fiction, characters are usually considered grotesque if they induce both empathy and disgust.
(A character who inspires disgust alone is simply a villain or a monster Obvious examples would include
the physically deformed and the mentally deficient, but people with cringe-worthy social traits are also
included. The reader becomes piqued by the grotesque's positive side, and continues reading to see if the
character can conquer their darker side.“ http://en.wikipedia.org/wiki/Grotesque
31
die grauenvoll und lächerlich in eins ist.”72 Diese Definition überschneidet sich stark mit
den anderen Erkenntnissen und Aussagen über Humor und Komik in diesem Kapitel, es
unterscheidet sich jedoch von ihnen, da es ein Superlativ ist. Die Gegenpole Lachen und
Grauen sind im Groteske eng umschlungen. Das Groteske ähnelt der Absurdität
formtechnisch stark, ist aber nicht ganz dasselbe: das Groteske repräsentiert oft
außergewöhnliche, sonderbare und übertriebene -aber mögliche, reale- Situationen und
Verhältnissen, das Absurde dagegen vertritt das Unmögliche, das Widersinnige.
Deswegen wird der Holocaust von Philosophen wie Adorno als ein Bruchpunkt
betrachtet: der Holocaust ist absurd. Das Unmögliche ist passiert. Deswegen hat er
Aussagen gemacht über die Barbarei einer kulturellen Äußerung nach Auschwitz.
Deswegen sprachen manche Menschen ein Denkverbot aus: „Are you aware of what you
propose ultimately leads to the Holocaust?“73 Doch es gibt auch mildere Definitionen des
Absurden: „Grundmodell des Absurden ist in der abendländischen Philosophie die
Duplizität der Weltaspekte und ihrer Interpretationen, die Doppelbödigkeit bwz.
-sinnigkeit und Unbeständigkeit jeglicher Erscheinungen der Welt, auf die bereits der
weise Salomon, der zweite König Israels, hingewiesen hat: Alles birgt seinen eigenen
Widerspruch in sich bzw. mündet in ein anderes, so auch das Verhältnis von Leben und
Tod.”74
Mein Führer und Zug des Lebens sind beide sowohl grotesk als absurd zu nennen.
Beide Filme sind von schwarzem jüdischen Humor durchdrängt. In diesen Witzen wird
oft an das Verhältnis zu Gott referiert, das schon seit Hiobs Erprobungen schwierig ist,
aber nach dem Holocaust erst recht. Warum lässt Gott sein auserwähltes Volk so oft im
Stich? In Zug des Lebens fragt der Rabbiner ihn, als der Zug von einem Nazi angehalten
wird, ob er „sadistisch ist oder verschließt du Augen und Ohren um nicht schockiert zu
sein?“ Das Lachen ist wie schon konstatiert -oft- von Leiden geprägt.
Eigentlich ist der gesamte Handlungsstrang von beiden Filmen grotesk: in Mein
Führer bekommt Hitler Unterricht von einem Juden und in Zug des Lebens deportiert ein
72
73
74
Heidsieck, Arnold, Das Groteske und das Absurde im modernen Drama, S.17
Žižek, Slavoj, Laugh Yourself to Death: the new wave of Holocaust comedies! www.lacan.com, 27. Oktober 2010
Kortmann, Géraldine, Das Absurde als Element der Komik, Anmerkungen zum Film ‚Train der Vie‘ von Radu
Mihaileanu in: Hg. Fröhlich, Margrit, Loewy, Hanno, Steinert, Heinz, Lachen über Hitler – AuschwitzGelächter? Filmkomödie, Satire und Holocaust S.299
32
jüdisches Schtetl sich -ausgerechnet- per Zug (die Holocaust-Ikone schlechthin) nach dem
Vorbild der Nazis. Hinzu kommt, dass einige Bewohner sich für diese Aufgabe nicht nur
in Nazi-Uniformen kleiden sollen, sondern sich auch wie Nazis benehmen sollen. Nach
und nach bedient Mordechai, der quasi Hauptaufseher des Zugs ist, sich immer mehr
nationalsozialistischer Gesten und Aussagen, doch er vergisst seine Herkunft nie: er will
zum Beispiel nur koscheres Fleisch essen. Doch der Gipfel des Grotesken kommt wohl in
Tarantinos Film Inglourious Bastards (2009) zum Ausdruck, in dem eine Gruppe
amerikanisch-jüdischer Männer versucht, in Europa möglichst viel Nazis zu töten, am
liebsten skalpieren sie ihre Opfer. Hauptzweck ihrer Mission ist es, Hitler und andere
Nazibonzen, wie Goebbels, während einer Kino-Premiere zu ermorden. Mit viel Hilfe,
Glück und vor allem Gewalt kommen sie letztendlich ans Ziel. Dieses 'Revenge-Movie'
bietet eine erfrischende Abwechslung in der gesättigten Filmlandschaft.
33
4.3 Die Figur des Clowns im Holocaust-Spielfilm
Im Zug des Lebens warnt Dorftrottel Schlomo die Einwohner seines Schtetls vor einer
herankommenden Nazi-Division, die er angeblich gesehen hat. Die Zuschauer und die
Bewohner müssen ihm aufs Wort glauben. Sie nehmen seine Warnung ernst und sie
belegen einen Dorfrat, wo nur die Männer willkommen sind. Für längere Zeit sind sie alle
gedankenverloren, doch sie haben noch keine Lösung für das heraufziehendes Unheil
gefunden. Dann äußert Schlomo folgenden Plan, als ob es die naheliegendste und
logischste Idee wäre: das Dorf kann eine Selbstdeportation organisieren. Allmählich
stimmen all die alten -und wie ihr stereotypes Aussehen verspricht: weisen Männerseinem Plan zu. Die einzige Frau, die die Versammlung heimlich beobachtet hat, murmelt:
„Warum soll ein Verrückter den Weg weisen?“ Im Lauf der Handlung wird Schlomos
Verrücktheit, seine Rolle als Dorfnarr, immer wieder betont, aber zugleich wird sie auch in
Frage gestellt. Als er und Mordechai, der für die Deportation des Schtetls die Rolle eines
Nazi-Offiziers auf sich genommen hat, Schach spielen, fragt Mordechai ihn, warum er der
Narr ist. Darauf antwortet er klug: „Ich wollte Rabbiner werden, aber die Stelle war
besetzt. Da ein Narr gesucht wurde, dachte ich 'sei verrückt, sonst werden sie es'“. Er kann
seine Position also sehr gut reflektieren, ein Zeichen dafür, dass er nicht so dumm ist wie
manche Schtetl-Bewohner denken.
Doch an anderen Stellen im Film erinnert Schlomo wirklich an einen Narr, als er
zum Beispiel mit scheinbar unkontrollierten Handbewegungen und ohne Sprache dem
Rabbiner deutlich machen will, dass einer der 'Deportierten' von echten Nazis verhaftet
worden ist. Der Mann hatte seine Brille verloren und verwechselte daher die Nazis mit
seinen Dorfbewohnern. Mauser und Pfeiffer meinen dann auch, dass „die Sprache der
Komik [...] vor allem eine Sprache des Körpers [ist]“75 Vor allem Clowns und Narren
bedienen sich dieser Sprache mit ihren körperlichen Gesten. Mit ihrem Verhalten „[...]
machen [sie] uns etwas vor, sie halten uns im Narrenspiegel ein komisches Bild vor die
Nase. Sie ahmen unser Alltägliches nach und verzerren das Verhalten ins Groteske.“ 76
Damit halten sie anderen quasi „[einen] 'Narrenspiegel' vor[...] [worin] wir uns selbst
75
76
Mauser, Wolfram, Pfeiffer, Joachim, Lachen, http://books.google.nl/, S.39
Mauser, Wolfram, Pfeiffer, Joachim, Lachen, http://books.google.nl/, S.42
34
wiedererkennen [...].“77 Diese Konfrontation mit der Welt und mit uns selbst scheint wohl
die wichtigste Funktion des Clowns zu schein; wir können uns teilweise mit ihm
identifizieren, zugleich aber geht aus seiner Figur auch eine gewisse Distanz hervor, die
Raum bietet für Reflexion. In Das Leben ist schön nimmt der jüdische Guido die Stelle des
Narren ein: im ersten Handlungsstrang des Films ist er ein verliebter Verrückter, der das
Herz der Lehrerin Dora erobern will -und es auch tut-, im zweiten Teil werden er und
Giosé, der gemeinsame Sohn, in ein Konzentrationslager verschleppt. Guido macht seinem
Sohn weis, dass sie Teilnehmer eines Spiels sind: die Belohnung ist ein echter Panzer, das
Wunschobjekt seines Sohns. Die Parallelwelt, die Guido geschaffen hat, stößt regelmäßig
gegen die nationalsozialistische Wirklichkeit, Vater und Sohn wissen sich jedoch mit ihrer
eigenen Logik und Regeln aus bedrängten Lagen zu retten. Als das Lager im Begriff ist,
befreit zu werden, sieht Guido seine Dora, sie hat sich freiwillig inhaftieren lassen um
dasselbe Los wie ihr Mann und Kind erleiden zu müssen. Ihr Mann verkleidet sich nun als
Frau, um die Frauenabteilung des Lagers unbemerkt erreichen zu können, Giusé hat er
versteckt. Diesmal aber funktioniert die Maskerade des Clowns nicht: er wird erwischt
und erschossen. Giusé wird später von einem alliierten Soldaten in seinem Panzer
mitgenommen, wodurch der Junge mit seinem kindlichen Blick auf die Welt und die
Regeln seines Vaters in Gedanken denkt, dass er das Spiel gewonnen hat beziehungsweise,
dass er selbst den Ablauf beeinflusst hat. Als er schließlich mit seiner Mutter vereinigt
wird, endet das Spiel in seinen Augen 'happy'. Mit seinem kindlichen und vielleicht
naiven Blick versucht der Clown die böse Welt zu maskieren, doch obwohl es ihm gelingt,
das Leben und Leiden anderer Menschen erträglicher zu machen, sind seine Bemühungen
für sich selbst -wie bei Schlomo und Guido- fatal.
77
Mauser, Wolfram, Pfeiffer, Joachim, Lachen, http://books.google.nl/, S.41
35
5. Mein Führer: die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler
Am Anfang von Mein Führer ist ein Podium mit roten Vorhängen zu sehen, aus dem Off
sind schon die jubelnden Stimmen einer Menge zu hören. Der Vorhang geht auf und der
schwarz-weiße Menschenhaufen kommt ins Bild. Aus dem Off sagt ein Mann, dass
Deutschland seit hundert Jahren von einem Mann regiert wird, die Kamera schwenkt und
Adolf Hitler ist im Bild. Die Stimme erzählt weiter, während Hitler eine Rednerbühne
betritt: der Mann will nicht Hitlers Geschichte erzählen, sondern seine. Er hat die
vergangenen fünf Tage in der Nähe des Führers verbracht, „so nahe es einem Juden sein
kann.“ Der Fokus der Kamera wird von Hitler auf den Raum unter der Bühne verlegt, jetzt
bekommt die Off-Stimme ein Gesicht: „Dem Führer geht es heute nicht gut, aber mir geht
es heute leider auch nicht besser.“ Ein Close-Up zeigt sein Antlitz, worüber nun Blut rinnt.
Die Dokumentarbilder blenden allmählich in Farbtöne über und der Mann fährt fort:
„Meine Geschichte, die ich ihnen gleich erzählen möchte, ist wahr. So wahr, dass sie
wahrscheinlich nie in einem Geschichtsbuch auftauchen wird.“ Nach dem Fade-to-black
beginnt seine Geschichte am 25. Dezember 1944. Die Anfangssequenz des Films ist mit
übertrieben Wirklichkeitsansprüchen gefüllt: die Dokumentarbilder und der Claim des
Erzählers, dass seine Geschichte wahr ist, sind direkte Hinweise auf Spielfilme wie Der
Untergang. In dem Diskurs um diesen Film lag der Schwerpunkt auf der sogenannten
Authentizität des Ganzen, Zeugenberichte von Traudl Junge und Albert Speer sollten
diesen Anspruch unterstützen. Obwohl die Handlung in Mein Führer auf der Erfahrung
des Erzählers mit Hitler basiert, wird die Zeugenaussage in der Öffnungssequenz sofort
aufs Korn genommen. Auch der Titel des Films spielt auf diesen Authentizitätsanspruch
an: Mein Führer, die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler ist als eine Parodie auf Filme
wie Der Untergang zu verstehen: somit wird die Form des Films auf verschiedenen Ebenen
reflektiert. Schon einige Minute später wird auf einen anderen Genre-Film verwiesen: der
Erzähler, ein jüdischer Mann, wird für einen besonderen Auftrag in der Reichskanzlei
verlangt. Als Insasse eines Konzentrationslagers soll er sich zuerst erfrischen: er bekommt
Seife und wird in eine Dusche geschickt, woraus alsbald Wasser kommt. Es ist deutlich,
dass hier auf die berühmte Szene aus Schindlers Liste herangespielt wird: dort wird in
36
Auschwitz eine Gruppe Frauen gezwungen unter die Dusche zu gehen: dramaturgisch
bleibt es eine Zeit lang auch für die Zuschauer ungewiss ob sie den Raum lebendig
verlassen werden. Später wird The Great Dictator auch persifliert: Hynkels Tanz mit einem
Globus hat Levy möglich zur nächsten Sequenz angeregt: 'sein' Hitler hat einen Globus,
der mit allerhand Medikamenten gefüllt ist.
Der Handlungsstrang lässt sich kurz nacherzählen: Ende 1944 ist der totale Krieg
Hitlers (Helge Schneider) in eine Sackgasse geraten, auch dem Führer selbst geht es nicht
gut; er wirkt blass und depressiv. Goebbels will die ganze Sache aufputschen indem er den
jüdischen Schauspiellehrer Adolf Grünbaum (Ulrich Mühe) aus dem KZ Sachsenhausen
holen lässt, um dem Führer Sprachunterricht für seine Neujahrsansprache zu geben. Denn
argumentiert er: nur ein Jude kann das Feuer in Hitler so schüren, dass er eine so
zündende Rede halten kann, die dem Kampfgeist der Bevölkerung wieder einen Kick
verschaffen kann. Doch der Weg zum ersten Januar entwickelt sich nicht für alle
Betroffene wie geplant beziehungsweise gehofft.
Grünbaums Geschichte beginnt am 25. Dezember und endet am 1. Januar unter der
Rednerbühne in Berlin. Innerhalb dieser fünf Tage soll er Hitler mit seiner Rede helfen,
ihre Beziehung jedoch entwickelt sich schon bald in eine umgekehrte: Nicht nur entpuppt
Grünbaum sich als eine Art Psychologe, der Hitlers tiefste Gefühle losmacht, sondern er ist
als Schauspiellehrer quasi der Führer seines Schülers geworden. Hitler nennt ihn an ihrem
letzten Tag zusammen sogar „mein Führer“ und „jüdischer Freund“. Diese Aussage taucht
natürlich nicht aus dem Nichts auf: Grünbaum hat Hitler in einer Woche besser
kennengelernt als der Großteil seines Stabs ihn kannte.
37
5.1 Komik in Mein Führer
Trotz der Bezeichnung Komödie ist Mein Führer kein Film geworden, der zum schallenden
Lachen einlädt; manche Gags sind eher spaßig als Bombenwitze zu nennen. Goebbels
(Sylvester Groth) zum Beispiel macht fortwährend Witze über das Lagerleben: Als er
Grünbaum zum ersten Mal trifft, fragt er ihn höflich, aus welchem Lager er kommt.
Grünbaum antwortet: Sachsenhausen. Worauf Goebbels sagt, dass das schade ist, denn
Theresienstadt sei das schönste Lager. Und als der Lehrer einige Tage mit Hitler in der
Reichskanzlei verbracht hat, bemerkt Goebbels nebenbei, dass er besser aussah, als er
gerade aus Sachsenhausen kam. „Tja, das Lagerleben...“, sagt Grünbaum, „...ist besser als
sein Ruf“, ergänzt Goebbels. Auch der Führergruß wird nicht geschont: während des
ersten Treffens zwischen Grünbaum und Hitler, bittet Letzterer den Lehrer, ihn zu heilen,
dabei verwirrt er Grünbaum, da er nicht die Geste, sondern die seelische Heilung meint.
Weiter kann Hitlers Hund Blondi statt Pfötchen zu geben den Gruß machen und macht
Himmler, macht aufgrund eines Unglücks wobei sein Arm auf eine merkwürdige Weise
eingegipst ist, eine konstante 'Heil-Bewegung'. Sogar Grünbaum macht, in seinem Schlaf
allerdings, diese Bewegung.
Auch über Juden werden im Film Witze gemacht: Goebbels meint, dass Grünbaum
„das mit der Endlösung nicht gegen [sich] persönlich nehmen“ soll. Hitler selbst hat auch
„nichts gegen den Juden“, sie sollen ihn bloß in Ruhe lassen. Grünbaum hat Verständnis
für Hitlers Scham, als dieser eingesteht, dass er vielleicht einen jüdischen Verwandten hat:
„Ach, das tut mir wirklich leid.“ Doch die Juden selbst sind in Mein Führer keine Komiker
wie Guido [Das Leben ist schön], Schlomo [Zug des Lebens] oder wie der jüdische Friseur in
The Great Dictator. Obwohl Grünbaums Benehmen in der fremden, feindlichen Umgebung
der Reichskanzlei manchmal albern und deswegen komisch wirkt, sind seine Frau und
Kinder vor allem vernünftig und seriös. Daher bieten sie eine moralische Perspektive auf
die ganze Situation. Bei seiner Ankunft in Berlin hat Grünbaum vom Reichsminister für
Propaganda verlangt, dass seine Familie aus dem Lager geholt würde um mit ihm in der
Reichskanzlei zu wohnen. Ihr Zimmer im Keller ist sehr klein und düster und erweckt
Assoziationen mit Konzentrationslagern. In diesem Raum besprechen er und seine Frau
38
Elsa ihre Lage, wobei Elsa sich fragt, ob es moralisch sei, den Diktator zu unterrichten. Der
älteste Sohn, Adam, hält seinem Vater einen -moralischen- Spiegel vor: als Grünbaum nach
einem Tag Sprachunterricht mit Hitler 'nach Hause' kommt, fragt er seine Kinder: „Ratet
mal, was ich heute getan hab?“ Adam denkt, dass er den Führer umgebracht hat. Als sein
Vater das nicht bestätigen kann, nennt er ihn einen Feigling. Grünbaum hat Hitler zwar
niedergeschlagen, aber es war nicht seine Absicht, ihn zu töten. In seiner ersten
Unterrichtsstunde mit Hitler hat Grünbaum sich gegen dessen Versuch gewehrt. In einem
Nebenraum können Goebbels, Himmler und Speer durch ein verhängtes Fenster der
ganzen Sache folgen und sehen also, dass ihr Führer ohnmächtig auf dem Boden liegt.
Goebbels erkundigt sich bei Grünbaum nach der Situation, worauf dieser antwortet, dass
„der Führer sich entspannt.“ Auf dem zweiten Tag sieht Grünbaum sich, während er
Hitler eine Entspannungsübung machen lässt, wobei dieser seine Augen schließen muss,
in dem Büro nach möglichen Mordwaffen um. Ein Goldbarren scheint ihm dafür
zweckvoll, aber im Moment, dass er Hitler schlagen will, fängt dieser zu weinen an, er ist
zurück in seiner Kindheit und hat Angst vor seinem Vater. Der Anblick des weinenden
Mannes hält Grünbaum von seinem Vorsatz ab. Er macht keine weiteren Mordversuche
mehr.
Die Zweiteilung des Film in einen komischen und moralischen Teil hat Mein Führer
nicht gut getan: der Film schwankt hin und her, verliert daher sein Tempo, überdies
kommen die Witze nicht immer zur Geltung. “Am Ende beschleicht einen das Gefühl,
Dani Levy habe sich vor der eigenen Chuzpe erschrocken und einen überdreht geplanten
Film über Hitler durch das Einfügen einer konventionellen Opfer-Täter-Geschichte
entschärft.”78 meint Focus-Online-Kritiker Leipold. Der Ausgangspunkt der Geschichte ist
zwar originell und grotesk, ein Jude, der Hitler unterrichtet, aber Levy hat sich
offensichtlich nicht ganz getraut. Grünbaums Frau und Kinder nämlich reflektieren ihre
Lage und versuchen eine moralische Stütze für ihren Adolf zu sein. Dabei muss gesagt
werden, dass sie einen gewissen naiven Blick haben: ihr Plan reicht nicht weiter als das
Ermorden von Hitler, sie hoffen somit den Krieg zu beenden. Ihn zu töten heißt nicht
automatisch, dass die nationalsozialistische Gesellschaft keine Existenzberechtigung mehr
78
Leipold, Frieder, Mein Führer, Ein zahmer Kompromiss, focusonline.de 6. Januar 2007
39
hat. Doch hätte Levy sich mehr getraut, hätte er vielleicht auf den Intermezzi im Keller
verzichten können oder er hätte die Familie, statt sie nur darüber reden zu lassen, wirklich
Hitlers Blut vergießen lassen können. Der Tod wird dennoch nicht gescheut: wie schon
erwähnt, wird Adolf Grünbaum während der Neujahrsansprache erschossen. Am ersten
Januar hat eine Friseuse versehentlich Hitlers Schnurrbart abrasiert. Er erkennt sich im
Spiegel nicht wieder und fühlt sich nicht sich selbst: seine Maske ist abgefallen. Vor
Aufregung verliert er seine Stimme: Grünbaum soll ihm bei der Rede helfen, indem er
spricht und Hitler -mit falschem Schnurrbart- Play-back macht. Unter Bedrohung einer
Pistole spricht Grünbaum unter der Rednerbühne zum deutschen Volk, nach einiger Zeit
weicht er aber von dem geübten Text ab und erzählt die 'Wahrheit' über Hitler, dass er ein
Bettnässer und Medizinsüchtiger ist, dass er eine unglückliche Kindheit gehabt hat und,
dass er ein schlechter Liebhaber ist. Hitler schaut verzweifelt nach unten, nach seinen
Lehrer. Dieser wird von Himmler, Goebbels und Speer das ewige Stillschweigen auferlegt.
Sein Tod jedoch vereitelt einen Anschlag auf Hitler: unter der Bühne stand ein Koffer
voller Sprengstoff. Hitler aber verlässt das Podium, als er sieht was mit Grünbaum passiert
ist.
Levys Grünbaum-Figur zieht also den Kürzeren: im Film gab es nicht genügend
Raum für zwei Adolfs.
40
5.1.1 Lachen über Hitler
Obwohl die Handlung im zweiten Teil des Films von der Moralität der Grünbaum-Familie
dominiert wird, kann die erste Hälfte, in der die seelische Entwicklung Hitlers im
Mittelpunkt steht, durchaus komisch genannt werden. Im vierten Kapitel wurde
konstatiert, dass eine Komödie nicht unbedingt zum Lachen anregen muss. Vielmehr
dreht es sich in dieser Gattung um eine Versöhnung, Überwindung oder Inkongruenz, das
Durchbrechen von Erwartungen. Hitler ist am Anfang der Geschichte ein gebrochener
Mann, der von Depressionen gequält wird. Überdies wird er von Kindheitserinnerungen
an seinen strengen Vater heimgesucht: sie nehmen einen negativen Einfluss auf seinen
Alltag. Ausgerechnet ein jüdischer Schauspiellehrer soll ihm bei der Vorbereitung eines
flammenden Rede für die deutsche Bevölkerung helfen. Grünbaum jedoch profiliert sich
immer mehr als Psychologe79, der Hitler bei der Verarbeitung seiner Jugendzeit, worin er
regelmäßig von seinem Vater geprügelt wurde, zur Seite steht. Somit bietet die Handlung
einen möglichen Grund für die Herrschsucht und Grausamkeit des Diktators, eine
Erklärung oder Entschuldigung ist sie aber nicht. In den Sessionen mit Grünbaum
sondiert Hitler sein Gefühlsleben, dass erweckt einige unvermutete Emotionen, wie
Kummer, bei ihm. Sein Lehrer jedoch bietet ihm die Möglichkeit, sich mit der schlechten
Beziehung zu seinem Vater abzufinden. Hitler nutzt diese Gelegenheit, um sich mit seiner
Vergangenheit zu versöhnen.
Mit dieser Heilung seiner 'zerbrochenen Welt' entsteht
wieder Ordnung und Ruhe in seinem Leben. Wie er selbst bemerkt „tut der Jude [ihm]
gut“. Diese Überwindung beziehungsweise Versöhnung, wobei die Normalsituation
wiederhergestellt wird, ist kennzeichnend für eine Komödie.
In Mein Führer ist Hitler nicht nur ein Mann, der in vielen Bereichen versagt,
sondern er wird zugleich in manchen Sequenzen als ein ängstliches Kind dargestellt: In
dem komischen Genre kann die Kinder- oder Clownfigur mittels Spiel und seiner Torheit seiner Umgebung- eine neue Perspektive auf die Welt verschaffen. Bietet Hitler in diesem
Film auch so einen kindlichen Blick? Die schon besprochene Sequenz, in der er wegen
79
“In jüdischer Tradition wird aus dem Schauspiellehrer langsam ein Psychiater. Die Unterrichtseinheiten
werden zu Therapiestunden.” in: Filmheft Mein Führer S.16
41
seiner unglücklichen Kindheit weint, ist ein Beispiel dafür, dass er konstant auf der Suche
nach Zuneigung, Geborgenheit und Anerkennung ist: als er am Sylvesterabend den Keller,
wo die Grünbaum-Familie sich aufhält, besucht, will er Adolf zur Rechenschaft ziehen.
Speer hat ihm eben zuvor nämlich erzählt, dass der Jude ein Attentat plant. Das
Missverständnis wird geklärt und Hitlers Maske fällt zum ersten Mal ab: er fühlt sich
einsam und kann wegen der Weltlage und seinen Gewissensbissen über die Millionen
Toten den Schlaf nicht finden. Elsas Einladung ins Ehebett akzeptiert er zweifelsohne. Als
er zwischen Elsa und Adolf liegt, wiegt sie ihn mütterlich, unterdessen singt sie ein
jiddisches Lied. Als er schläft, versucht sie ihn unter einem Kissen zu ersticken. Ihr Mann
hält sie davon ab, einen „wehrlosen Mensch“ zu töten. Dieser Bedarf nach Wärme jedoch
ist nicht per se kindisch, jeder Mensch sehnt sich nach Liebe. Überdies spielt Hitler nicht wie ein Clown- mit der Welt, er lässt mit sich spielen: Als Bewegungsübung lässt
Grünbaum ihn auf allen vieren durch das Zimmer kriechen, dazu muss Hitler bellen.
Während dieses Auftrags wird er noch weiter erniedrigt, indem Blondi, sein Hund, ihn
besteigt. Levy hat aus seinem Hitler also weder einen Clown noch ein Kind gemacht, diese
versuchen mit ihrem naiven unschuldigen Blick nämlich das Leben anderer Menschen zu
erheitern, wobei sie sich selbst -wie Guido in Das Leben ist schön- oft aufopfern.
Levys Hitler wird nicht nur von seiner Gier nach Anerkennung -die er sich politisch
mittels Macht und Zwangsherrschaft zueignet- geprägt, sein Umfeld übt auch Einfluss
auf ihn aus, besser gesagt, es beherrscht ihn. Goebbels und Himmler belauschen ihn nicht
nur, sondern sie planen heimlich einen Bombenattentat, sodass sie nicht nur hinter den
Kulissen, sondern auch öffentlich die Macht ausüben können. Aus seinem Stab ist nur
Albert Speer ihm zugetan: Mein Führer verweist einige Male subtil auf die anhaltenden
Gerüchte über eine -homosexuelle- Beziehung zwischen den beiden. Auf Hitlers
Schreibtisch stehen zwei Bilder; eins von Blondi und eins von Speer. Da würde man eher
ein Foto von Eva Braun erwarten, mit der er im Film eine Beziehung hat. Am
Sylvesterabend sehen Hitler und Eva sich einen Berghof-Film an: er begleitet das Ganze
mit einer Orgel und singt dazu über die Liebe; „Ohne Liebe ist die Welt ein Loch“.
Hiernach folgt ein genantes Schauspiel im Schlafzimmer, wobei sich herausstellt, dass er
impotent ist; „Ich spüre Sie nicht, mein Führer“. Um die Zuschauer nicht vergessen zu
42
lassen, dass es sich hier wirklich um der Massenmörder Adolf Hitler handelt, wird in einer
kurzen Sequenz auf die Massenvernichtung angespielt, wer nicht aufpasst, verpasst den
Hinweis. Hitler hat seine Füße auf seinen Schreibtisch gelegt, unter seinen Stiefeln ist ein
Plan des Lagers Auschwitz zu sehen. Es gelingt Levy nie, ihn ganz aus seinem Kontext zu
holen, dadurch gerät der Film ins Wanken. “Das gesetzte Ziel ist nicht weniger, als Hitler,
den Privatmann, zu zeigen, gleichzeitig auf die Massenvernichtung einzugehen und das
Ganze als Satire zu präsentieren.”80 Der Regisseur hat keine deutliche Richtung für seinen
Film gewählt, wodurch die Handlung sich fortwährend in einem Spagat zwischen Humor
und Komödie einerseits und Moralität und Realität andererseits befindet. Denn obwohl
Mein Führer keine Authentizitätsansprüche wie Der Untergang hat, 'unauthentisch' ist er
auch nicht. Dafür werden zu wenig neue Wege beschritten, um so mehr werden alte
Wahrheiten wiedergekäut: der historische Hitler hatte sogar einen Sprachlehrer namens
Paul Devrient. Vielleicht wäre Levys ursprüngliche Idee, die Handlung aus der
Perspektive Hitlers, der den Krieg überlebt hat und irgendwo in Deutschland wohnt, zu
erzählen, spannender gewesen.
80
Leipold, Frieder, Mein Führer, Ein zahmer Kompromiss, focusonline.de 6. Januar 2007
43
6. Zug des Lebens
Der Film Zug des Lebens (Train de Vie) wurde schon 1998 von dem französischen Regisseur
rumänischer Herkunft Radu Mihaileaunu gedreht, erschien jedoch erst im Jahre 2000 in
den deutschen Kinos. Die Welle von Holocaust-Spielfilmen wie Schindler Liste und Das
Leben ist schön, die die Kino-Landschaft der neunziger Jahre geprägt haben, war schon
vorbei. Ein interessantes Detail ist die Tatsache, dass Mihaileaunu -nach eigenen
Behauptungen- das Drehbuch von Zug des Lebens Roberto Benigni schon 1996 -vergeblichangeboten hat, weil er ihn als Darsteller von Schlomo engagieren wollte. Benigni lehnte
den Vorschlag ab, weil er sich seinem eigenen Film widmen wollte; wie bekannt, wurde
dieser Film, Das Leben ist schön, nicht nur sehr erfolgreich, sondern wurde -und wird- er
für seine Progressivität gelobt. Dass die Filme Übereinkünfte -Komödie, Holocaust,
jüdische Clownsfigur als Protagonist- haben, ist nicht zu bestreiten und löste eine PlagiatsDebatte aus, die hier weiter nicht besprochen werden soll. Mihaileaunu hat sich nicht nur
von dem jüdischen Schtetlleben seiner ost-europäischen Vorfahren inspirieren lassen: „[Er]
[...] wusste von dem sogenannten 'Zug von Lassi', einem 1941 ziellos in Rumänien
herumfahrenden Todeszug, in dem über 2.000 jüdische Häftlinge den Hungertod
starben.“81 Der Regisseur wurde von diesem Geschehen gefesselt und hat sich gefragt „[...]
Wie können wir diese Geschichte heute noch erzählen? Aus einer anderen Perspektive, in
einer anderen Sprache.“82 Der Zug hat sich im medialen Umgang mit der Shoah als Ikone
der Massenvernichtung entwickelt, auch Gegenstände wie Stacheldraht und Wachtürme
erwecken Assoziationen mit dem Holocaust auf. Mihaileaunu aber wollte die Geschichte
umkehren und aus dem Todeszug eine Metapher von Hoffnung und (Über-)Leben
machen. Die Schtetlbewohner wollen mit ihrer Lokomotive via Russland nach Palästina,
das Heilige Land, fliehen. Doch als Zuschauer spürt man, dass der Exodus per Zug nicht
ohne Gefahr ist: im Kontext eines Holocaust-Filmes ist die -tödliche- Symbolik des
Fahrzeuges immer im Hintergrund anwesend. Mihaileaunu hat den Zug als ambivalente
Ikone -Hoffnung und Leben versus dem Tode geweiht sein- eingesetzt, genauso wie er
81
82
Oster Anja, Uka, Walter, Der Holocaust als Filmkomödie, Komik als Mittel der Darstellung des Undarstellbaren,
in Die Shoah im Bild S.258
Ebd.
44
keinen eindeutigen Erzählrahmen für Zug des Lebens benutzt hat.
6.1 Handlung und Erzählrahmen
Schon in der Eröffnungssequenz wird mit dem Wissen der Zuschauer gespielt: Genauso
wie in Mein Führer wird der Handlungsstrang in einen Erzählerrahmen eingebettet. Der
Erzähler in diesem Film erhebt aus dem Off auch einen Anspruch auf die Wahrheit seiner
Erzählung; „Das ist die Geschichte meines Dorfes, so wie wir alle es erlebt haben.“
Gleichzeitig jedoch hat er diesen Wahrheitsanspruch schon am Anfang entkräftet, weil er
mit „Es war einmal ein kleines Schtetl“ anfängt. Das Märchensignal „es war einmal“,
macht die Zuschauer schon auf die eventuelle Fiktonalität des Ganzen bedacht. Das
Gesicht des Erzählers, Schlomo, wird überblendet und nun ist zu sehen wie er durch einen
Wald rennt. „Schlomo ist also in der ersten Einstellung ein klassischer Erzähler und wird
unmittelbar darauf zur Figur in der von ihm begonnenen Erzählung.“83 Diese Doppelrolle
und die ambivalente Handlungsebene sind prägend für Zug des Lebens, wodurch die
Zuschauer sich fragt, was wahre Geschichte ist und was ein Märchen. Weiter im Film wird
die Handlungsebene auf der Dorfsversammlung von den Protagonisten diskutiert und
damit reflektiert. Diese Reflexion ist nicht nur kennzeichnend für die Gattung Komödie;
“Die Funktion des Rahmens, aus der sich das selbstreflexive Potenzial des Films ableitet,
verweist auf die Selbstreflexivität als wesentliches Merkmal des Absurden.”84 Der
Rabbiner des Schtetls geht das Problem der herankommenden Nazis rational und bedacht
an, weil sich Schlomo, von dem wir mittlerweile wissen, dass er der Dorftrottel ist, eine
fantasievolle und unlogische Lösung ausdenkt: Das Dorf soll seine eigene Deportation
inszenieren. Die Versammlung akklamiert -aus Mangel an besseren Ideen- seinem
Vorschlag; sie akzeptiert somit den märchenhafte -und absurden- Rahmen der Erzählung.
Nun muss entschieden werden, wer die Rolle des Nazis auf sich nimmt („Wer
83
84
Kortmann, Géraldine, Das Absurde als Element der Komik, Anmerkungen zum Film ‚Train der Vie‘ von Radu
Mihaileanu in: Hg. Fröhlich, Margrit, Loewy, Hanno, Steinert, Heinz, Lachen über Hitler – AuschwitzGelächter? Filmkomödie, Satire und Holocaust S.294
Kortmann, Géraldine, Das Absurde als Element der Komik, Anmerkungen zum Film ‚Train der Vie‘ von Radu
Mihaileanu S.306
45
sollen die Deutschen sein?“ „Die Nazis!“), aus moralischen und religiösen Gründen
meldet keiner sich freiwillig. Letztendlich setzt der Rabbiner Mordechai, den Holzhändler,
als SS-Offizier ein. Um ihn gut auf die Rolle eines Nazis vorzubereiten, wird aus einem
anderen Dorf ein Schriftsteller, Israel Schmecht, geholt, der ihn Deutschunterricht geben
soll. Mordechai wundert sich über die Ähnlichkeiten zwischen der jiddischen und
deutschen Sprache, worauf Israel ihm erklärt, dass „das Deutsche [...] sehr hart [ist],
Mordechai. Sie ist präzise und traurig. Jiddisch ist eine Parodie des Deutschen. Es hat
jedoch zusätzlich Humor. Ich verlange also nur von ihnen, wenn sie gut deutsch sprechen
wollen, den Humor weg zu lassen. Sonst nichts.“ Der Holzhändler vermutet, dass in
dieser Nachahmung beziehungsweise Parodie des Deutschen eine Ursache des
Antisemitismus begründet liegt. Auch äußerlich muss er in einen Nazi verwandelt
werden; der Schneider will, dass Mordechai den Ärmel testet, dieser streckt seinen Arm
und macht den Hitlergruß. Diese Maskerade ist nur Spiel, ein unschuldiges Verkleiden.
Sie kann sogar als Teil der jüdischen Tradition betrachtet werden; Während des
Purimfests, nach dem Buch Ester, ist es Brauch sich zu verkleiden, manchmal vermummen
Juden sich als Haman, ein persischer Mann aus dem fünften Jahrhundert vor Christus, der
den Judaismus ausrotten wollte. Dem Juden Mordechai aber kam dieser Plan zu Ohren
und er konnte seine Pflegetochter Ester, die Frau des persischen Königs, rechtzeitig
warnen. König Xerxes vereitelte Hamans Plan und bog den möglichen jüngsten Tag des
Judentums in einen Tag von Freude und Leben um. Heutzutage feiern die Juden diese
Errettung ihres Volkes indem sie Festschmäuse konsumieren, singen und sich also
verkleiden. Der Mordechai in Zug des Lebens hält diesen Brauch, sich als böse Person zu
vermummen, in Ehren. Die Tradition des Verkleidens
basiert auf der direkten
Abwesenheit von Gott in dem Buch Ester, manche Juden glauben daher, dass Gott sich
auch verkleidet hat. Als Mordechai dann auch seinen Bart abrasiert, ist die visuelle
Verwandlung in einen Nazi vollzogen und die Deportation des Schtetls kann beginnen.
Obwohl er als SS-Offizier die formale Führung über die Reise hat, mischen sich der
Rabbiner, Schlomo und später auch Yossi, der als 'Kommunist' ein Teil des Zugvolkes
repräsentiert, um die Weisungsbefugnis der Schtetlbewohner ein.
Trotz ihrer verschiedenen Lebensgestaltungen haben die Nazis, Juden und
46
Kommunisten des Zuges ein gemeinsames Ziel: Das Erreichen von Palästina. Ihre Reise
geht nicht unbeachtet vorbei: Als der Zug von echten Nazis aufgehalten wird, wird
Mordechais Verantwortung für das Los der Schtetlbewohner plötzlich lebensecht. Nun
kommt es darauf an, dass er seine Herkunft tarnt und seine Rolle als Nazi so realistisch
wie möglich darstellt. Er kann den Kommandanten mit seinen Kenntnissen des Judaismus
davon überzeugen, dass er eine außergewöhnliche Gruppe Juden transportiert, sie seien
nicht nur jüdisch, sondern kommunistisch dazu. „Das ausgeklügelte Camouflagespiel
macht zum einen die Unterschiede zwischen den echten und den falschen Nazis deutlich,
weicht aber zum anderen die 'Substanz' der kopierten Vorbilder durch die Imitation eines
soldatischen Verhaltens auf und lässt die lächerliche Seite der Nazis hervortreten [...].“85
Diese Sequenz zeigt auch, dass er in dieser Situation als Jude und falscher Nazi, mit seiner
Autorität und Überzeugungskraft zugleich die Oberhand hat. Die echten Nazis lassen sich
im Zug des Lebens mehrmals von den verkleideten austricksen. Im gewissen Sinne ähnelt
Mordechai seinem Namensvetter aus Ester, indem er das Leben seines Volkes rettet.
Der Zug setzt seine Reise fort, aber wird später wieder von den Deutschen
angehalten und alle müssen aussteigen. Der Nazi-Kommandant fragt Mordechai, aus
welchem Teil Deutschlands er kommt. Dieser kann den Schein nicht länger wahren und er
antwortet mit jiddischem Akzent: „Aus dem Sieden.“ Als alle -die Zuschauer inklusivedenken, dass die Zeit der Schtetlbewohner gekommen ist, mischt sich Schlomo in die
Situation ein, er wird mit einer Pistole bedroht. Aus dem Nichts taucht ein entzückter
Mann auf, der Schlomo umarmt. Die beiden kennen sich, der andere Mann ist Manzatu,
ein Dorfnarr. Er gehört einer Roma-Gemeinschaft an, die ebenfalls auf die Idee der
Selbstdeportation gekommen ist. Obwohl die Gruppen andere Reiseziele haben -die Roma
wollen nach Indien-, schlagen sie dieselbe Richtung ein; bis Russland können sie
zusammen reisen. In dem Grenzgebiet halten sie an um die Grenzmarkierung zu suchen,
nun wird der Zug bombardiert, aber seltsamerweise trifft keine der Bomben zu. Der Zug,
die Juden und Zigeuner befinden sich in einer Art Niemandsland, damit fallen sie quasi
aus der Handlung. „Dies erweckt den Eindruck, der Zug falle aus der Geschichte heraus
85
Kortmann, Géraldine, Das Absurde als Element der Komik, Anmerkungen zum Film ‚Train der Vie‘ von Radu
Mihaileanu in: Hg. Fröhlich, Margrit, Loewy, Hanno, Steinert, Heinz, Lachen über Hitler – AuschwitzGelächter? Filmkomödie, Satire und Holocaust S.295
47
und die imaginierten Möglichkeiten von Zusammenstößen zwischen unseren Helden und
ihren Feinden seien ausgeschöpft [...].“86
Dann wird der Rahmen wieder aufgegriffen; in einer langsamen Überblendung
sehen wir Schlomos Gesicht, er ist wieder Erzähler geworden, zugleich fährt der Zug
wieder an. „Bereits in dieser Einstellung erweist sich die vom Zuschauer mit Anrührung
und Hoffnung verfolgte Flucht als ein Produkt der erzählerischen Imagination
Schlomos.“87 Er beschließt seine Erzählung mit den Worten: „Dies war die wahre
Geschichte unseres Stetls, oder sagen wir, beinahe die wahre Geschichte...“ Mitten im Satz
wird er in einer amerikanischen Einstellung gezeigt, er ist in eine Häftlingsuniform und
Mütze gehüllt. Das bewegte Bild wird ein Freeze-Frame. Mehr Holocaust-Ikonografie
brauchen die Zuschauer nicht, um zu verstehen, dass Schlomo über den Zaun eines
Konzentrationslager hinweg seine Geschichte erzählt hat. Diese Befindung ist absurd und
angesichts der Historie unmöglich. Vielmehr dient seine Erzählung als eine Art Folie für
dasjenige, was im Film nicht gezeigt wurde. Zug des Lebens macht die Diskrepanz
zwischen erzählter Geschichte, der Hoffnung auf ein neues Leben, und 'wahrer'
Geschichte, der Inhaftierung Schlomos, deutlich. Das Ende ist genauso wie Mein Führer
kein fröhliches oder komisches, doch bietet Zug des Lebens eine hoffnungsvolle
Perspektive, nämlich, dass die Toten in unseren Gedanken und Geschichten immer
fortleben.
86
87
Kortmann, Géraldine, Das Absurde als Element der Komik, Anmerkungen zum Film ‚Train der Vie‘ von Radu
Mihaileanu in: Hg. Fröhlich, Margrit, Loewy, Hanno, Steinert, Heinz, Lachen über Hitler – AuschwitzGelächter? Filmkomödie, Satire und Holocaust S.297
Ebd.
48
6.2 Komik und Absurdität in Zug des Lebens
Sowohl die Protagonisten als die Antagonisten und auch das Leben im Schtetl werden im
Zug
des
Lebens
klischee-
und
flächenhaft
dargestellt.
Man
könnte
dazu
die
Randbemerkung machen, dass das Leben auf dem Dorf romantisiert und nostalgisch
dargestellt wird. Die Hauptzüge stimmen; Es gab eine Synagoge und ein Frauenbad, die
Männer und Frauen arbeiteten hart und viel als Handwerker, dabei bestimmten die
Männer noch über politische Sachen. Was aber aus der Handlung gelassen ist, ist die
Tatsache, dass die Menschen aus den Schtetlech oft bitterarm waren. Im Film sind die
Bewohner nicht arm: Für den Kauf eines Zuges wird Jankele, ein Buchhalter, angestellt,
mit Spenden der Gemeinschaft -Schlomo schenkt einen Apfel- kann er sich schon bald
einen Zug anschaffen. Das Dorf ist wohlhabend, Jankele jedoch findet es so schwer, Geld
auszugeben, dass ein Arzt ihm bei dem Kauf beistehen muss; er verkörpert somit das
Klischeebild des geizigen Judes. „Mihaileaunus Shtetljuden sind Inkarnationen eines
folkloristischen Stereotyps, halb Fremdwahrnehmung, halb jiddisches Theater.“88 Obwohl
jüdische Stereotypen und Traditionen thematisiert und parodiert werden, ist Zug des
Lebens kein typischer Film über das Judentum geworden, 'Leben' und 'Überleben' sind
vielmehr Leitmotive. Dass die Juden eines Dorfes im Nationalsozialismus so lange
ungehindert
vor
den
Deutschen
flüchten
können,
wird
im
märchenhaften
Handlungsstrang als normal betrachtet. Die Welt der Verfolgung und Vernichtung -die
Rezipienten wissen durch ihre Kenntnisse der deutschen Vergangenheit, dass diese
realistisch ist- hingegen wird von den Protagonisten als absurd wahrgenommen. Die
Inversion von historischen Ereignissen und Rollenmustern ist kennzeichnend für die
Handlung und verschafft dem Film seine Komik. Allererst ist der Titel schon eine
Umkehrung: Während der deutschen Besatzung Europas wurden Züge gleichsam als eine
Art fahrende Särge benutzt, um Millionen von Menschen in Todeslager zu verschleppen,
in Zug des Lebens symbolisiert das Gefährt gerade die Rettung. Auch das schon
88
Loshitzky, Yosefa, Verbotenes Lachen, Politik und Ethik der Holocaust-Filmkomödie in: Hg. Fröhlich, Margrit,
Loewy, Hanno, Steinert, Heinz, Lachen über Hitler – Auschwitz-Gelächter? Filmkomödie, Satire und Holocaust
S.28
49
besprochene Purim-Spiel ist ein Beispiel von Inversion: Die Verwandlung des frommen
Mordechais in einen Nazi beziehungsweise Haman ist grotesk zu nennen. Er ist nicht
mehr mit sich identisch. Die komischen Situationen im Film sind diejenigen, die von der
Normalität abweichen.
Schlomo, dessen Namen 'Frieden' bedeutet, funktioniert als ein Katalysator
zwischen Wirklichkeit und Irrealität. Obwohl er von seiner Umgebung als Dorftrottel
bezeichnet wird und wie er sagt, selbst diese Rolle gewählt hat, ist er -wie im
Vorstehenden konstatiert- nicht so verrückt, wie er es hinstellt. Gerade seine bewusste
Wahl, Dorfnarr zu werden, signalisiert, dass er seine Position reflektieren kann. Schlomos
Pläne werden von dem Rabbiner, der als religiöses Institut die Obrigkeit des Dorfes ist,
günstig aufgenommen. Somit lenkt Schlomo die Bewohner indirekt. Auf der Meta-Ebene
kann er als Erzähler mit der Geschichte machen, was er will. Zurück zu seiner Rolle als
Narr: “D[er] verrückte[...] Held[...] [von Zug des Lebens], der osteuropäische Narr Schlomo
(Clown und Narr sind beides Figuren, die in komischer Form Tabus aufgreifen und die
Wahrheit zum Ausdruck bringen dürfen), [befindet sich im Film] in einer ständigen
Auseinandersetzung mit dem Realitätsprinzip, weiger[t] sich jedoch, die mit den
Faschisten zunehmlich bedrohlicher werdende Welt anzuerkennen. Dadurch, dass [er]
sich unrealistisch [verhaltet], [schafft er] (ein typisches Charakteristikum des Clowns) eine
eigene Wirklichkeit.”89 Obwohl seine optimistische Weltanschauung die Obhut anderer
Menschen erleichtert, kann er nicht auf seinem kindlichen Blick beharren bleiben; Die
Realität des Dritten Reichs lässt sich letztendlich nicht mit seiner Phantasiewelt
verknüpfen. Die Zuschauer wissen von Anfang an, was passieren wird, wenn die Flucht
per Zug scheitert, hoffen jedoch, dass der Clown die Richtung zeigen wird und die Juden
auf diese Weise rettet. Durch Schlomos Benehmen jedoch vergessen wir, genauso wie die
Schtetl-Juden, die düstere Folie des Holocaust und in diesem Sinne ist seine
Clownsummer gelungen.
89
Oster Anja, Uka, Walter, Der Holocaust als Filmkomödie, Komik als Mittel der Darstellung des Undarstellbaren,
in: Die Shoah im Bild S.264
50
7. Fazit
Nach Kriegsende dauerte es lange, bevor die Opfer und die Verlierer des Krieges sich
trauten, auf die Vergangenheit zurückzublicken und sie zu verarbeiten. In den sechziger
Jahren, in denen Kriegsverbrecher im Gericht zur Rechenschaft gezogen werden, wurde
ein vorsichtiger gesellschaftlicher Anfang der Vergangenheitsbewältigung gemacht. Erst
im folgenden Jahrzehnt, nach der Ausstrahlung der amerikanischen Fernsehserie
Holocaust (1978), macht die Erinnerungskultur zur Kriegsvergangenheit einen großen
Sprung. Die namenlose Massenvernichtung hat einen Namen und damit ein Gesicht
bekommen, das macht es für Opfer und Täter -und Außenstehende- einfacher, über ihre
traumatischen Erfahrungen zu reden. Überdies ist der Begriff Holocaust nun geläufig
geworden, wodurch das jüdische Trauma -öffentlich- Teil der Gesellschaft geworden ist.
Die Dezennien danach stehen im Zeichen der Kommemoration und der kulturellen
Verarbeitung des Dritten Reichs und des Holocaust. Spielfilme wie Schindlers Liste bringen
heftige Diskurse zuwege: 'Darf man den Holocaust darstellen?' ist eine Zeit lang
Diskussionsthema. Gegner solcher Filme sprachen ein Bilderverbot aus, denn keine
visuelle Repräsentation könne je dem Ausmaß des Holocaust und seiner Opfer gerecht
werden. Nach der Erscheinung von Das Leben ist schön wird darüber diskutiert ob man
über einen Holocaust-Spielfilm lachen darf. Befürworter argumentieren, dass Lachen eine
aufklärerische und vor allem eine befreiende Funktion hat. Am Beginn des 21.
Jahrhunderts werden die Diskurse wiederholt, aber diesmal steht Hitler statt der
Holocaust im Mittelpunkt. 'Darf man Hitler -realistisch- darstellen?' wurde im Vorfeld der
Premiere von Der Untergang gefragt. Und die Frage 'Darf man über diesen Mann lachen?'
wurde aufgegriffen bei der Veröffentlichung des komischen Films Mein Führer.
Die Thematik um Hitler und den Holocaust lädt nicht automatisch zum Lachen ein,
ganz im Gegenteil. Doch kann eine komische filmische Darstellung diesen Themen auf
einer Ebene gerecht werden, die realistische beziehungsweise authentische filmische
Repräsentationen nicht bieten können. Der komische Blick ermöglicht eine neue Sicht und
kann
eine
Hilfeleistung
sein
bei
der
Verarbeitung
der
nationalsozialistischen
Kriegsvergangenheit und den Umgang mit ihr. Schon in der klassischen Zeit sind
51
Menschen zu der Erkenntnis gekommen, dass in Perioden, in denen sie Schmerz
empfinden, Lachen und Humor Erleichterung bringen. Im Nationalsozialismus war das
nicht anders. Obwohl es auf Befehl von oben ein Lachverbot gab, um das Regime
sakrosankt zu halten, gibt es eine Menge Beispiele von jüdischen und deutschen Witzen
über Hitler und seinen Führungsstab, sogar im Lager versuchten die KZ-ler mittels
Humor ihr Leiden zu mildern. Dies ist eine wichtige Funktion der Komik: die
Überwindung oder Versöhnung des Bösen. Dabei braucht man sich nicht immer vor
Lachen auszuschütten, Komik kann sich subtiler offenbaren.
In Mein Führer, ist vor allem die Handlungslage komisch: die Idee, dass der
rassistische Diktator Unterricht von einem Juden bekommt ist grotesk. Auch die
Parodierung von Authentizität beanspruchenden Spielfilmen wie Der Untergang ist gut
gelungen, überdies reflektiert Mein Führer somit seine eigene Form und Position in der
Filmlandschaft. Doch die Hitler-Figur ist hier nicht unbedingt Heiterkeit erregend, eher
ist er bemitleidenswert: er wird von hinten und vorn betrogen, leidet an Depressionen, ist
ein schlechter Liebhaber usw. Um die Rezipienten daran zu erinnern, dass dieser Hitler
zugleich Massenmörder ist, werden ein Paar Randverweisungen an den Holocaust
gemacht. Levys Versuch, Hitler sowohl komisch als realistisch darzustellen scheitert, weil
er dem Film keine deutliche Richtung gibt. Obwohl die Sequenz, in der Hitlers
Schnurrbart versehentlich abrasiert wird und seine Maske sozusagen abfällt, witzig ist,
kann man das von der Hitler-Figur kaum sagen. Eigentlich ist er nur komisch in dem
Sinne, dass er sich mit Hilfe Grünbaums mit seiner Vergangenheit und seinem mühsamen
Verhältnis zum Vater versöhnt. Mein Führer ist eine milde Komödie, die daher kaum
auffällt in der Masse Hitler- und Holocaust-Spielfilme.
Mihaileaunu hat sich mit seiner Holocaust-Komödie Zug des Lebens offensichtlich
mehr getraut als Levy. Seine Handlung, in der die Bewohner eines Schtetls unter der
Leitung des Dorftrottels Schlomo ihre eigene Deportation per Zug organisieren, ist
geradeheraus absurd. Er spielt mit Inversionen von Identitäten, indem er Juden -und
Zigeuner- in Nazis verwandeln lässt, diese Maskerade sorgt für komische Situationen.
Auch die Verwendung von stereotypen Juden ist hier gelungen, indem sie so übertrieben
dargestellt werden und überdies auf der Dialogebene reflektiert werden. Sogar die Form
52
des Films wird von den Protagonisten diskutiert: sollen wir uns realistisch und vernünftig
verhalten oder folgen wir Schlomos märchenhaften Vorschlag? Der Dorfnarr selbst ist
auch sehr gut in der Lage, seine Position als Narr zu reflektieren. Diese kluge Inszenierung
und die Anwendung eines Erzählers -Schlomo-, machen von Zug des Lebens einen
gelungenen Holocaust-Spielfilm, wobei die Zufälligkeit des Überlebens und die
Erinnerung an die Opfer thematisiert worden sind. Für Mihaileaunu ist es schade, dass
sein Film erst Ende der neunziger Jahre veröffentlich wurde, denn er hat aufklärerisches
Potential wie Das Leben ist schön.
53
8. Literaturangabe
Buch
Assmann, Aleida, Der lange Schatten der Vergangenheit, Erinnerungskultur und
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Film
'Zug des Lebens'(Frankreich 1998)
Radu Mihaileaunu, Schauspieler: Lionel Abelanski, Rufus
'Mein Führer, Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler'(Deutschland 2007)
Daniel Levy, Schauspieler: Helge Schneider, Ulrich Mühe
56

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