Görlitz und Jakob Böhme Peterskirche – Gotteshaus mit Sonnenorgel
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Görlitz und Jakob Böhme Peterskirche – Gotteshaus mit Sonnenorgel
132 Region 3 – Oberlausitz mit Heide-, Seen- und Bergland Gruppen sowie Einzelpersonen »Kloster auf Zeit« kennen lernen, beispielsweise bei Fasten- und Besinnungswochen. Zudem wird eingeladen zu Konzerten und Klostermärkten. Außerhalb des Klostergeländes führt ein Pfad nach oben zum östlichsten Weinberg Deutschlands und vorbei am Stationsberg, einem restaurierten Kreuzweg. An jedem Ostersonntag erklingen in Ostritz alle Glocken, um die Saatreiter-Prozession anzukündigen. Dann überbringen 100 Reiter die Osterbotschaft. i St. Marienthal/Gästepforte: St. Marienthal 1, 02899 Ostritz, Tel. +49 35823-7 73 68, +49 35823-7 73 85, www.kloster-marienthal.de i Internationales Begegnungszentrum St. Marienthal (IBZ)/Tourist-Information: St. Marienthal 10, 02899 Ostritz, Tel. +49 35823-7 70, www.ibz-marienthal.de i Öffentliche Klosterführung von Ostermontag bis Oktober täglich 15 Uhr, von November bis Ostersonntag Sa und So 15 Uhr Peterskirche – Gotteshaus mit Sonnenorgel GÖRLITZ . St. Peter und Paul, die über Görlitz auf einem Felsen thronende Kirche und Wahrzeichen der Stadt, gilt als »Gottes schönstes Haus an der Neiße«. Weithin sichtbar sind ihr mächtiger, 72 Meter hoher Ostchor mit dem spitzen Kupferdach und die beiden erst Ende des 19. Jahrhunderts aufgesetzten 84 Meter hohen Türme. Die mit einer Länge von 72 Meter und einer Breite von 39 Meter größte spätgotische Hallenkirche Sachsens hatte eine spätromanische Vorgängerin, an die das Westportal mit seinem »Brauttor« erinnert. Das heutige Gebäude mit fünf Schiffen Ostritz – Görlitz und die zum Abstützen errichtete Georgenkapelle als Unterkirche (Krypta) konnten Ende des 15. Jahrhunderts nach langer Bauzeit fertiggestellt werden. Ihre prächtige barocke Ausstattung erhielt die Peterskirche 1691 nach einem Stadtbrand. Vor allem sehenswert ist der Prospekt, das Pfeifengehäuse der Sonnengesicht berühmten Sonnenorgel, eine Arbeit des Künstlers Jo- mit Orgelpfeifen hann Conrad Büchau. Das Orgelgehäuse – 14,40 Meter hoch und 10,30 Meter breit – wurde wegen seiner außergewöhnlichen Gestalt international bekannt. Auf dem Prospekt sind siebzehn »Sonnen« angebracht: Um goldene Sonnengesichter wurden strahlenförmig Orgelpfeifen angeordnet, die dem Instrument seinen Namen gaben. Die erste Sonnenorgel baute zwischen 1697 und 1703 gemeinsam mit seinem Sohn der berühmte Orgelbaumeister Eugenio Casparini. Diese Orgel gibt es schon lange nicht mehr. Es folgten viele Umbauten, seit 1997 erklingt ein Orgelwerk der Schweizer Firma Orgelbau Mathis AG in Näfels. i Peterskirche: Bei der Peterskirche 9, 02826 Görlitz Öffnungszeiten: siehe Aushänge, öffentliche Kirchenführungen: täglich, konkrete Angaben auf der Führungsuhr in der Kirche i Orgel Punkt 12 – Meditation und Information zur Sonnenorgel: April bis Oktober Di, Do und So 12 Uhr, November bis März So 12 Uhr i Tourist-Information: Obermarkt 32, 02826 Görlitz, Tel. +49 3581-4 75 70, www.goerlitz.de Görlitz und Jakob Böhme GÖRLITZ. Er stammte aus einem Bauerngut im Dorf Kirche St. Peter und Paul Sonnenorgel in der Peterskirche Alt Seidenberg bei Görlitz, heute Stary Zawidów. Der 1575 Geborene war schwächlich, lernte deshalb Schuhmacher, ging auf Wanderschaft und erwarb 1599 als Mittzwanziger die Bürgerrechte von Görlitz, kaufte eine Schuhbank am Untermarkt sowie für sich und seine Frau Katharina, mit der er bis 1606 Jakob Böhme (1575–1624) vier Söhne haben sollte, ein Haus jenseits der Neiße am Töpferberg. Es steht noch immer in der heutigen ul. Daszyńskiego 12. Eine hier angebrachte Tafel verkündet: »In diesem Haus wohnte Jakob Böhme von 1599–1610« (siehe S. 147). Jakob Böhme, SchuhmacherPhilosoph, Mystiker und – neben dem Ausnahme-Fußballer Michael Ballack selbstverständlich – der wohl berühmteste Sohn der Stadt an der Neiße, schrieb wenig später, ohne je eine höhere Schule besucht zu 133 134 Region 3 – Oberlausitz mit Heide-, Seen- und Bergland haben, sein erstes Werk »Aurora« von erstaunlicher Geistestiefe. Damit und weiteren Arbeiten, die sich gegen den in dieser Zeit in Riten und Dogmen verharrenden Protestantismus richteten, machte er sich den Hauptpastor von St. Peter und Paul, einen Anhänger der lutherischen Orthodoxie, und dessen aufgehetzte Gemeinde zu Feinden. Böhmes Schriften hielten sie für unchristlich und bezichtigten den Autor des Ketzertums. Er erhielt Schreibverbot, das er 1619 durchbrach und 1624 sein Buch »De tribus principiis oder die Beschreibung der drei Prinzipien Denkmal für Jakob Böhme von Johannes Pfuhl göttlichen Wesens« veröffentlichte. Daraufhin musste er die Stadt verlassen. In Dresden, aufgenommen von einem verständnisvollen Theologen, konnte er in einem Streitgespräch seine Thesen verteidigen, traute sich danach wieder nach Görlitz und wurde erneut verklagt. Bald darauf starb er. Sein Grab wurde geschändet. Böhme hatte seine Philosophie, eine Verbindung von Luthertum und Mystik, in 22 Schriften dargelegt, einige davon wurden später als »Der Weg zu Christo« herausgegeben. Für den Philosophen Friedrich Schelling war Böhme eine »Wundererscheinung in der Geschichte der Menschheit«, für den großen Friedrich Hegel »der erste deutsche Philosoph«. Görlitz ließ ihm 1898 ein Bronzestandbild, das einzige Denkmal für den Gelehrten überhaupt, errichten. Es steht im Park des Friedens an der Dr.-Kahlbaum-Allee. Das Grab Böhmes befindet sich auf dem Nikolaikirchhof. Im Kulturhistorischen Museum Kaisertrutz hat er zwischen Görlitzer Persönlichkeiten in einer der Schießscharten dieser Bastei einen hervorgehobenen Platz mit Porträt, Dokumenten und einer Hörstation gefunden. Görlitz Museum – Schlesiens Geschichte im Schönhof GÖRLITZ . Gegenüber dem Rathaus von Görlitz steht inmitten der Altstadt mit ihren vielen denkmalgeschützten und sanierten Häusern der spektakuläre Schönhof. Er ist eines der prächtigsten Gebäude rundum und beherbergt zudem eines der interessantesten der hiesigen Museen. Die Reste des mittelalterlichen Schönhofes waren nach einem Stadtbrand 1525 von Ratsbaumeister Wendel Roskopf d. Ä. überbaut worden, er schuf damit das erste Renaissancegebäude von Görlitz. Es erhielt eine eindrucksvolle Fassade, reiche Bauplastik, kostbare Wandmalereien sowie verschiedenartig bemalte Holzdecken und diente – komfortabel ausgestattet – als fürstliches Gästehaus. Seit 2006 ist der Schönhof Sitz des Schlesischen Museums zu Görlitz. Auf 2000 Quadratmeter Fläche wird in der Dauerausstellung über eine alte Kulturlandschaft mitten in Europa erzählt. Dargestellt ist die kulturelle Geschichte Schlesiens von Handwerkskunst wie Glasund Keramikherstellung bis hin zur Kunst der klassischen Moderne. Gezeigt werden gesellschaftliche Entwicklungen während der Zugehörigkeit zum piastischen Polen, zum habsburgischen Böhmen, zum Preußen der Hohenzollern und zum Deutschen Reich.Von besonderen Interesse sind die Exponate zur Geschichte Schlesiens im 20. Jahrhundert. Das Museum zeigt darüber hinaus zahlreiche Sonderausstellungen. i Schlesisches Museum: Brüderstr. 8, Untermarkt 4, 02826 Görlitz, Tel. +49 3581-87 91-0, www.schlesisches-museum.de Öffnungszeiten: Di–So 10–17 Uhr i Jakob-Böhme-Haus: ul. Daszyńskiego 12, 59-900 Zgorzelec, Tel. +48 75-77 5 46 16, Öffnungszeiten: Di–Do 12–14 Uhr, Fr–So 12–17 Uhr i Kulturhistorisches Museum Kaisertrutz: Demianiplatz, 02826 Görlitz, Tel. +49 3581-67 14 20, www.museum-goerlitz.de Öffnungszeiten: Di–So 10–17 Uhr 135 Eine der beeindruckenden Holzdecken Der Schönhof in der Altstadt 136 Region 3 – Oberlausitz mit Heide-, Seen- und Bergland Görlitz Gründerzeitviertel – Kaufhaus und Straßburg-Passage Heiliges Grab – Andachtsstätte als Touristen-Attraktion GÖRLITZ. Eine lohnenswerte Alternative zur viel frequentierten Alt- GÖRLITZ. Eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten von Görlitz ist das stadt von Görlitz ist das in sich geschlossene und komplett erhaltene Gründerzeitquartier mit seinen Einkaufs- und Flaniermöglichkeiten. Das Ende des 19. Jahrhunderts entstandene Jugendstil-Viertel, eines der größten Deutschlands, hat beeindruckende Bank- und Geschäftshäuser, Kasernen und Schulen, ein monumentales Stadttheater – wegen seiner üppigen Ausstattung »Kleine Semperoper« genannt – und ein Heilige Grab, auch Görlitzer Jerusalem genannt, im Norden der Stadt. Diese nachgestaltete mittelalterliche Pilger- und Andachtsstätte war auf Anregung des 1465 von einer Pilgerreise nach Jerusalem zurückgekehrten späteren Görlitzer Bürgermeisters Georg Emmerich bis 1504 entstanden. Von vielen, damals üblichen Nachbildungen ist sie diejenige, die dem mittelalterlichen Original am nächsten kommt. Zur Gesamtanlage Heiliges Grab gehört die DoppelKapelle zum Heiligen Kreuz, das Salbhaus mit der Skulptur »Die Beweinung Jesu« des Bildhauers Hans Olmützer und die Grabkapelle, das Heilige Grab selbst. Damit sind die wichtigsten Teile aus der Großen Grabeskirche in Jerusalem nachgebildet, einem Ort des ErinDas Salbhaus nerns an das Leiden und Sterben sowie die Auferstehung von Jesus Christus. Die Stätte gilt zudem als einer der ersten symbolischen Landschaftsgärten in Deutschland. In die Gestaltung einbezogen wurde die Landschaft nördlich der Grabkapelle hinter der Umzäunung. Nachempfunden sind hier der Ölberg mit dem Garten Gethsemane, wo Jesus in der Nacht vor seiner Kreuzigung betete, und mit Hilfe des kleinen Lunitz-Baches das Tal des Baches Kidron, den In der Straßburg-Passage Im Jugendstil-Kaufhaus inzwischen überdimensioniertes, fast mondänes Bahnhofsgebäude. Besonders sehenswert ist das in der Nähe der Frauenkirche stehende schönste Warenhaus Deutschlands und zugleich das einzige, das in seiner Ausstattung noch so existiert, wie es 1913 einmal eröffnet worden war. Man kann es heutzutage lediglich vom Eingangsraum aus beschauen: Eine Glaskuppel überdacht den zentralen Lichthof. Der Innenraum hat freitragende Treppen. Jugendstil-Elemente schmücken die Säulen. Besonders schön sind die riesigen Kronleuchter. Nach langem Leerstand soll das Gebäude wieder ein Kaufhaus werden. Wenige 100 Meter weiter verbindet die Straßburg-Passage die Berliner Straße mit der Jakobstraße und dem Wilhelmsplatz. Diese Jugendstil-Passage mit Sandsteinportal und zweigeschossigen Lichthöfen entstand 1908 als Erweiterung eines Spezialgeschäftes des Görlitzers Textilkaufmanns Otto Straßburg für »Leinen- und Baumwollwaren, Gardinen, Geraer Kleiderstoffe sowie Aussteuerartikel aller Art«. Die prächtige Passage hat nun als attraktives historisches Einkaufszentrum einen etwas anderen Branchenmix zu bieten: stilvolle Geschäfte, Restaurant und Eiscafé sowie Galerien. Am Heiligen Grab 137 138 Region 3 – Oberlausitz mit Heide-, Seen- und Bergland Jesus mit seine Jüngern überquerte. Am Heiligen Grab endet ein von der Kirche St. Peter und Paul ausgehender Kreuzweg mit sieben Stationen. Er hat wie sein Jerusalemer Vorbild 1000 Schritte, beginnt am Westportal des Gotteshauses, führt über die Görlitzer Via Dolorosa vorbei an der Jesus-Bäckerei durch die Nikolaivorstadt bis hin zur Grabstätte und wird alljährlich am Karfreitag von Christen begangen. i Evangelische Kultur-Stiftung Görlitz/Heiliges Grab: Heilige-Grab-Str. 79, 02826 Görlitz, Tel. +49 3581-31 58 64, kulturstiftung.kkvsol.net Öffnungszeiten: März und Oktober Mo–So 10–17 Uhr, So und Feiertag 11–17 Uhr, April bis September Mo–So 10–18 Uhr, So und Feiertage 11– 18 Uhr, November bis Februar Mo–So 10–16 Uhr, So und Feiertage 11–16 Uhr Führungen: Mo–So 11 und 15 Uhr, So und Feiertage 11.30 und 15 Uhr Landskron-Brauerei – Führungen und danach ein Bier GÖRLITZ. Ein Kulturzentrum der besonderen Art ist die seit 1869 bestehende Görlitzer Landskron-Brauerei auf dem Weinberg-Gelände am Neißeufer. Zu ihren Brauereifesten, diversen Veranstaltungen und zu den gefragten Brauerei-Führungen kommen jährlich an die 100 000 Besucher. Die Gäste der Brau-Manufaktur werden in einem Besucherzentrum mit Fanshop im Untergeschoss der LandskronVerwaltung begrüßt. Bei Führungen durch die Brauerei, die zu den Am Eingang zur Brauerei Görlitz ältesten produzierenden Industriedenkmälern Deutschlands gehört, geht es auch in die zwölf Meter tiefen Gewölbekeller, wo das Bier – länger als allgemein üblich – 40 Tage reift. Die Gärungsräume von 1869 stehen unter Denkmalschutz. Im Biergarten auf dem Gelände kann man sich dann ein Frischgezapftes schmecken lassen. Der Name der traditionsreichen Brauerei leitet sich übrigens von einem Görlitzer Wahrzeichen ab, der Landeskrone, 420 Meter hoher Hausberg und Ausflugsziel mit Blick auf die Stadt. i Landskron-Brauerei mit Besucherzentrum, Fanshop und Biergarten: An der Landskronbrauerei 116, 02826 Görlitz, Tel. +49 3581-46 50, www.landskron.de, Öffnungszeiten des Besucherzentrums: Mai bis Oktober täglich 11–18 Uhr, im Winter täglich 11–17 Uhr Führungen: 0,33 l-Tour So 11 Uhr, weitere Touren Tel. +49 3581-46 51 42 Meridianstein – 15. Längengrad am Ufer der Neiße GÖRLITZ. Seit dem 1. April 1893 tickt Deutschland nach Mitteleuropäischer Einheitszeit – und das ist Görlitzer Zeit. Bis dahin gab es überall unterschiedliche Zeitregelungen. Bei der Meridiankonferenz 1884 in Washington D.C. war die Welt in 360 Meridiane und davon 24 Zeitmeridiane eingeteilt worden. Der 15. Meridian östlich von Greenwich bei London, die Bestimmungslinie für die Mitteleuropäische Zeit, durchquert Görlitz als einzige deutsche Stadt. Inzwischen richten sich über 40 Staaten Europas und Afrikas bei ihrer Zeitbestimmung nach der Görlitzer Zeit. Am 6. Mai 1961 wurde anlässlich des ersten bemannten Weltraumfluges des sowjetischen Kosmonauten Juri Gagarin ein Meridianstein neben der Görlitzer Stadthalle und der Stadtbrücke nach Zgorzelec aufgestellt. Die 1150 Kilogramm schwere Erdkugel aus Lausitzer Granit und mit einer Richtungsschiene aus Bronze zeigt die vom Vermessungsamt bestätigte genaue Position des 15. Längengrades an. Auch ein in den Asphalt eingebranntes Blaues Band quer über die Straße nahe am Meridianstein kurz vor der Brücke kennzeichnet seinen Verlauf. Der Meridianstein von Görlitz 139