Heierkatalog - Cornelia Heier
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Heierkatalog - Cornelia Heier
AUSWAHL IN BILD UND TEXT Prolog S 6 - 8 Hirondelle Interims Atelier S 9 - 15 Metaphorik eines emotionalen Zustands S 16 - 20 Signalement S 21 Hope S 22 - 35 Das Zimmer der Dolores S 36 - 38 Partition S 39 - 40 Das Zünglein + Das große Vergessen S 41 - 45 Proust als Metapher - Künstlerinnen Gehirn S 46 Movement - Spielen und Staunen zwischen den Häusern xqm S 47 - 48 Fantomas S 49 Ambulante Handlung Interventionen S 50 - 56 Produzentensozietät S 57 - 60 Kiosk Environment S 61 Zwischenspiel S 62 - 65 Verteilung im öffentlichen Raum S 66 StrömungsKombinat S 67 Mix Bilder S 68 Das war‘s Bild Skulptur Objekt Installation Audio Werke mit dem öffentlichen Raum Ein Arbeitsschwerpunkt meiner Arbeit ist Kunst mit dem öffentlichen Raum. Ich realisiere kleine und große, installatorische, objekthafte und skulpturale Werke in Korrelation bestimmter Umgebungen - Stadt, Land, ... Jede im öffentlichen Raum realisierte Werkreihe, ob eine Skulptur oder eine bildnerische Arbeit, folgt dem Hintergrund ausgiebiger Beobachtungen und Reflexionen der jeweiligen Umgebung. Manche Arbeiten sind "verlorene" Werke. Fester Bestandteil meiner künstlerischen Arbeit ist die diskursive Auseinandersetzung, sowie partizipative Projekte verschiedener Positionen und zwischen interdisziplinär arbeitenden Künstlern/innen. Andere Schwerpunkte meiner künstlerischen Arbeit sind Objekte, Collagen, Zeichnungen Bilder, Performance und Audiocollagen. Die Werke folgen inhaltlich meiner Auseinandersetzung mit dem menschlichen Sein (Handlung, Wesenhaftigkeit) z. B. als Auflösungsprozess. Ein Reflexionsschwerpunkt ist die Infragestellung der Wirklichkeit und der eigenen Existenz. Es geht also nicht in erster Linie um Formen, Farben oder Dimensionierung, sondern um Gedanken, Konzepte. Um das Herstellen von Zusammenhängen und die Auseinandersetzung mit urbaner Umgebung. Skulptur und Raum sind eins. Oben und unten, vorne und hinten. Eine Frage des Verständnisses, nicht der Betrachtungsoberfläche. Ein unabhängiger, werkoffener Kunstaspekt mit partizipativer Perspektive... Mit dem öffentlichen Raum umzugehen meint für mich, einen zärtlichen Umgang mit den Menschen zu pflegen. Es bedeutet Kommunikation. Allerdings bin ich auch der Ansicht, dass der öffentliche Raum oft als Transitstrecke benutzt wird. Das hängt sicher nicht allein mit der architektonischen oder planerischen Erscheinung zusammen, sondern auch am Nutzer. „Wer seine Kinder nicht durch den öffentlichen Raum laufen lässt, ihnen nicht die Möglichkeit gibt selbstständig Raum zu erleben, zu definieren und ihn zu bespielen, wird sich kaum selbst in diesem schauend oder spielend bewegen.“ (Hamm 1982, 25;) Aber genau darum geht es, spielerisch, offenen Auges und mit offenen Sinnen die Umgebung wahrzunehmen. Hierbei spielt es keine Rolle, ob vom Standbild die Rede ist oder vom Abfallhaufen. Mir ist der spielerische Umgang mit der Umgebung in Bezug auf meine Arbeiten wichtig. Mit verschiedenen Methoden (oder Hilfsmitteln) versuche ich, den expliziten Besucher oder den zufälligen Passanten zur Interaktion mit dem Werk zu bewegen. Unter öffentlichem Raum verstehe ich die Stadt oder das Land, den simulierten-, den medialen, den virtuellen Raum. „ … Indem wir Räume in oftmals höchst komplizierten arbeitsteiligen Prozessen produzieren, produzieren wir gleichzeitig ihre soziale Bedeutung, und jedes Kind, das lernt, mit dem Raum umzugehen, erlernt gleichzeitig die Regeln, mit deren Hilfe es die den Räumen anhaftende Symbolik entschlüsseln kann …“ (Hamm 1982, 25;) Der öffentliche Raum wird beplant, umgebaut, steckt voller Angebote und Verbote, ist angehäuft von Geschichte und Zukunft. Er ist eine logistisch organisierte Zuordnung architektonischer, akustischer, olfaktorischer und optischer Signale, die die Bewegungsabläufe und die Wahrnehmung jedes Einzelnen beeinflussen. Er konstituiert sich durch die Schichtigkeit und die gegenseitige Bedingtheit. Eine Stadt, eine Siedlung, ist von Innen- und Außenraum geprägt - oder, wir werden nass oder wir werden nicht nass. Die unterschiedlichen Bedingungen verursachen unterschiedliche Verhalten. Erleben ist an diese Differenzierung gebunden. Hierzu ein paar Beispiele: Straßen - und Wegführung, Treppe hoch, Treppe runter, links, rechts, geradeaus, nach unten oder nach oben, Brücke oder Tunnel, im Fortbewegungsmittel oder zu Fuß, drinnen oder draußen, auf dem Wasser, der Straße oder in der Luft, auf dem Land - womit auch Dörfer gemeint sind, oder in der Stadt. Dazu kommen klimatische, optische, akustische und Geruchseigenarten. „ …Die Entstehung des Raums ist ein soziales Phänomen und damit nur aus den gesellschaftlichen Entwicklungen heraus, das heißt auch als prozesshaftes Phänomen, zu begreifen. Raum wird konstituiert als Synthese von sozialen Gütern, anderen Menschen und Orten, in Vorstellungen, durch Wahrnehmungen und Erinnerungen, aber auch im Spacing durch Platzierung (bauen, vermessen, errichten) jener Güter und Menschen an Orten in Relation zu anderen Gütern und Menschen. Die Konstitution von Raum, Synthese und Spacing, vollzieht sich im Alltag vielfach in Routinen. Über die repetitiven Handlungen werden räumliche Strukturen rekursiv reproduziert. Räumliche Strukturen sind in Institutionen eingelagert, die durch relationale Platzierung und das Wiedererkennen bzw. Reproduzieren dieser Anordnungen repetitiert werden. Räumliche Strukturen sind eine Variante gesellschaftlicher Strukturen …“ (Martina Löw - Raumsoziologie) Fester Bestandteil meiner künstlerischen Arbeit ist die diskursive Auseinandersetzung verschiedener Positionen zwischen interdisziplinär arbeitenden Kreativen. Interims Atelier "Hirondelle" Erweiterung der Kunstzone „Hirondelle“, November 2014 in Rödelheim, Westerbachstraße 29. Das Interims Atelier, eine ambulante Kunsthandlung im erweiterten Sinn, ist eine runde, künstlerische Intervention, ein Gesamtwerk vieler Beteiligter. Interims Atelier, eine Erweiterung der Kunstzone, bezieht sich auf die immobile Atelierarbeit der Künstler in ihren angestammten Orten und Flächen und eben der notwendigen Erweiterung dieses Arbeitsfeldes auf andere Orte unter Fokussierung dieser anderen Orte. Eine Unterbrechung des Künstleralltags, ein Ausnahmezustand, eine Zentrierung der künstlerischen Arbeit und des Austauschs in der eigenen Stadt. Der prozesshafte Moment und die experimentelle Situation stehen im Mittelpunkt. In einem Intervall von je einer Woche (7 Tage) werden die Ausstellungen präsentiert. Wie auf einer Drehbühne wechseln die Ausstellungen ihre Position, bleiben aber im Hintergrund für den Besucher bestehen. Beteiligte: Kerstin Lichtblau, Michael Bloeck, Cornelia F Ch Heier, Petra Pfeuffer, Harald Etzemüller, Vladmir Combre de Sena, Finn Lauberger, Caroline Geiger, Brigitte Kottwitz, Stefan Beck, JüOllMan. Objekte, C.F.Ch.Heier ″Zwischenwelt″, K.Lichtblau 6 Hirondelle Ansichten künstlerische Intervention Lachyoga, B. Kottwitz Eröffnung durch die Kuratorin P. Pfeuffer 1. öffentliches Abendbrot - Einschwärmung 2. Eröffnung: "Das Zimmer der Dolores", Installation. Cornelia F.Ch. Heier 3. Künstlergespräche mit K. Lichtblau, C. F. Ch. Heier, M. Bloeck 4. öffentliches Abendbrot und Künstlergespräch mit C.F.Ch. Heier 5. Eröffnung: "Zwischenwelt", Malerei & Siebdruck. Kerstin Lichtblau 6. "wild creatures", Siebdruckaktion mit Kerstin Lichtblau 7. Filmabend, Neue Musik, altes Berlin mit Finn Lauberger 8. künstlerische Intervention Lachyoga mit Brigitte Kottwitz. Lachen als gemeinsam erlebte Skulptur 9. öffentliches Abendbrot und Künstlergespräch mit K. Lichtblau 10. Eröffnung: "Thu dich um", interdisziplinäre Poesie. Michael Bloeck 11. Kulturkooperationen, Vermarktungsstrategien. Harald Etzmüller und Vladmir Combre de Sena 12. Alle Fragen, alle Antworten mit Stefan Beck via Skype 13. spontane Aktion - …und wenn die Welten untergehn… 14. Concrete Carpet mit Hans Romanov 15. öffentliches Abendbrot und Künstlergespräch mit M. Bloeck 16. Sound Performance mit JüOllMan 17. “Alpenglühen“ - Südtirol in Text, Bild mit Caroline G. 18. künstlerische Intervention Lachyoga mit Brigitte Kottwitz. 19. FAT - Big Bang mit C. F. CH. Heier, S. Abidi, Reiner Böhm. Das Zimmer der Dolores, C. Heier Siebdruckaktion, K. Lichtblau 7 Thu dich um, interdisziplinäre Poesie. M. Bloeck öffentl. Abendbrot Film: Neue Musik, altes Berlin, F. Lauberger Thu dich um, M.Bloeck FAT - Big Bang , Heier, Abidi, Böhm Alle Fragen, alle Antworten, S. Beck via Skype Sound Performance mit JüOllMan 8 Metaphorik eines emotionalen Zustands Standort 2012 - 2015 Die Frankfurter Innenstadt ist umrundet von einem Grüngürtel. Es ist laut. Eine zweispurige Fahrbahn in beide Richtungen, unmittelbar neben einer großen Kreuzung, an der sich alle Fortbewegungsmöglichkeiten queren. Der Weg führt in viele Richtungen und damit in besondere städtische Eigenheiten. Die Lange Straße: staubig, grau, eng, laut und ein bisschen schäbig. Das Allerheiligentor: Einblick in ein Frankfurter Rotlichtviertel aber auch mit Blick auf die Mauern des alten jüdischen Friedhofs. Die Hanauer Landstraße: der Blick in ein altes und doch neues Viertel, das Ostend. Die Obermain Anlage: der Blick ins Grüne. Hier findet rege Betriebsamkeit in alle Richtungen statt. Es wird geschlendert, gespielt, Rad gefahren, gerannt, gelaufen, rumgehangen und ... Die Friedberger Anlage, die Wege und Gebäude werden hier vielfältig genutzt und benutzt, z. B. als Verstecke, als Schlafstätten und als öffentliches WC. Die Anlage ist Transitstrecke und Verweilort, hier werden Geschäfte gemacht und Liebeserklärungen. Hier ist es poetisch und romantisch kann es sein, es ist aber auch rüde, dreckig und morbid, es ist belebt in allen Facetten. Die skulpturale Aussage wächst mit der Umgebung, also dem Environment in Zwiesprache der Betrachtung oder dem flüchtigen Wahrnehmen zusammen. 9 Metaphorik eines emotionalen Zustands Stadtlabor unterwegs - historisches Museum Ffm Ein partizipatives Ausstellungsprojekt rund um die Frankfurter Wallanlagen 2014 Stadtlabor - unterwegs "park in progress" in der Wallanlage. 4 Termine an der "Metaphorik eines emotionalen Zustands". Aussaat an der „LIEBE“. Saat Aktion. LiebesGeschichten I Es geht nicht nur um Liebesbriefe, die man erhalten hat und die eventuell in einer Schublade immer brüchiger werden. Es geht auch um die selbst geschriebenen, die nie verschickt wurden oder die man an sich selbst geschickt hat oder die, von denen man sich gewünscht hat sie zu erhalten. LiebesGeschichten II Die Lesung Nr. II widmet sich den Liebesbriefen und -geschichten der Geschichte. Die griechische Mythologie ist ebenso geeignet, Material zu finden, wie das französische Rokoko oder der deutsche “Sturm und Drang“ (die Leiden des jungen Werther). LiebesGeschichten III Die Nr. III steht für Frankfurter Liebesgeschichten. Wer mit wem und wann. Aus Literatur, Magazinen und aus der eigenen Erinnerung. 10 Das "Standbild" Das Ostend – Planung, Umbau, Neubau – Und die Menschen? Im Rahmen des Ausstellungsprojekts, des historischen Museum, "Stadtlabor unterwegs" 2011, stand die Skulptur „Metaphorik eines emotionalen Zustands“ in Bezug zur Geschichte des Stadtviertels und zur Geschichte und Gegenwart der Bewohner des Viertels an einem zentralen Ort, einem Verkehrsknoten im Ostend. Der Ort Der Ort, eine "Verkehrsinsel", die als Platz mit einem besonderen Namen bezeichnet wird (Ernst - Achilles Platz), ist eine Fußgängerpassage über eine recht unangenehme Straßensituation. Konstitutiv stellen sich die, positiven wie negativen, Spannungsverhältnisse von Objekt, Zeit, Raum, Ort und Mensch dar. Ein Wort, ein Bild, eine Skulptur, die Metaphorik eines emotionalen Zustandes. Das bezieht sich hier auf eine Lebensumgebung, die in erster Linie nicht aus Gründen der Liebe entstanden ist, uns aber ebenso ständig begleitet und unter Umständen auch verwirrt. Planung, Umbau, Neubau – Und die Menschen? Im Ostend wird gebohrt, gehämmert, gebuddelt, rangiert. Die leisen Töne, zwitschernde, quakende, zirpende gibt es auch, zwischen Häusern und Containern. Es sind die unscheinbaren, kleinen, vergessenen Dinge, die ein kurzes Glück, eine Träumerei, Stille und Kontemplationsmomente ermöglichen. Poesie des städtischen Details, die Skulptur "Liebe", auf dem Ernst Achilles Platz ist eine Intervention, zu lächeln ohne ersichtlichen Grund ... ihr Wert liegt im dialogischen Raum. Die Schönheit ist gemeint, die ohne viele Worte, unentdeckt, durch Ritzen und Nischen fließt, alles durchtränkt und sich verliert. 11 Metaphorik eines emotionalen Zustands Zentrale Interventionen zur Verbildlichung der Skulptur in Bezug auf das wahre, oder die Ware Leben. Die Skulptur steht in Bezug zu Situationen, Geschehen und Zuständen. 2009 steht konstitutiv das Spannungsverhältnis von Objekt, Zeit, Raum, Ort und Mensch im Zentrum des Aufbaus. In Zusammenhang mit den von mir gewählten Orten, Nibelungenallee und Adickesallee steht die Explizierung des Objekts zu seiner Umgebung im Mittelpunkt. Es sind Orte, die kaum zum Flanieren oder Spazieren genutzt werden. Die Orte sind keine klassischen Verweilorte, sondern Transitstrecken. 12 Liebe 2007 4. Juli 2007, Eröffnung der Ausstellungsreihe "Metaphorik eines emotionalen Zustands". Standorte 23. August, Grünstreifen der Arnsburger Straße. Ab 31. August stand die Skulptur auf dem Friedberger Platz. Ab dem 14. November konnte die Skulptur in der Eschenheimer Anlage betrachtet werden und ab dem 10. Dezember schloss sich der Kreis auf dem Parlamentsplatz mit dem finalen Auf- und Abbau. Zur Arbeit Aus einem gefetteten, blanken Metall wird nach einigen Monaten verrostetes Metall. Der Rost verweist auf einen Zeitablauf und auf Umgebungsverhältnisse: Regen, Urin, Hundekot und Dreck, wir sehen ein "klassisches" Vanitas Thema. Die Proportionen sind dem erwachsenen Menschen angelehnt. Die Skulptur ist auch ein Bild, ein Bild? Eine Verbildlichung. Das ist wie mit dem Gedicht von K. Schwitters, A n n a, von vorne wie von hinten gleich. Schwer zu verstehen? Wenn man die fünf Elemente, egal wie, aufstellt, kommt immer das Gleiche raus. Es gibt kein richtig oder falsch. Nur Nonsens, gegebenenfalls. Aber, der ist nicht gegeben! Skulptur und Bild Vielleicht kann von einem zeitgenössischen Stillleben gesprochen werden. Von einer Fliege, die sich fett auf einem Schinken labt. Von der aufgeweichten Pommestüte rot/weiß mit Resten. Von der Erinnerung an aufgeschlagene Knie. Von Fremdenhass und Egoismus. Von Arroganz und Neid. Das bleibt die Frage persönlicher Perspektive. Skulptur Metaphorik, die verschiedenen Aufbau- bzw. die verschiedenen Zuordnungen der fünf Elemente sind vom Wort unabhängig, ein Bild. Die jeweiligen Flächenveränderungen immanieren das Bild (um das zu sehen, schaut man sehr lange). Es gibt Flächen, die Bildflächen. Die Bildfläche wird von der Umgebung geschluckt, verwischt oder übermalt, aber durch die Konturen, die Linien der Skulptur auch exponiert. Ganz ohne klassizistisches Standbein. 13 14 Installationskonzept für das Modell Die einzelnen Objekte bezeichnen je einen Buchstaben in der Abmessung 187cm, 137cm, 27cm. Das Modell ist aus dickwandiger Pappe, stabil gebaut. Die Materialeigenschaften unterstützen den konstitutiven Bestandteil der Arbeit, nämlich das Entstehen von Blessuren, die durch die Anordnungsversuche (verschieben, tragen) entstehen (Metaphorik). Die Erscheinung der Skulptur ist streng graphisch. Fünf Personen wählen sich je einen Buchstaben. Die Formationen der Skulptur sind situativ bedingt durch das, von jedem erzeugte, Verhältnis (mittels eines Buchstabens) zu seiner Umgebung (Zuschauer, Passanten, Architektur und der anderen Buchstaben, der Bodenbeschaffenheit oder anderer Begebenheiten). In welchem Spannungsverhältnis die Arbeit zu dem jeweiligen Umfeld steht und wie Passanten das Verhältnis beeinflussen, zeigen die entstandenen Anordnungen. Installation Juni, Rundgang durch die Innenstadt. September, Rundgang durch Bornheim. Dezember, Zuordnungen auf der Hauptwache. 15 Erweiterung der Kunstzone Wo Werbebebilderung Platz hat, ist es natürlich Kunst, zu platzieren. Signalement (Personenbeschreibung) … ist eine Werkreihe grafischer schwarz-weiß Porträts (Zeichnungen) bekannter und unbekannter Persönlichkeiten für den öffentlichen Raum. Die Auswahl „Signalement“ 2014 reflektiert die Unterscheidungsleistung, die Menschen tagtäglich angesichts medial personifizierter Produktvermittlung erbringen. Der Portraitzyklus stellt Künstler und Politiker, Idole und Sternchen, bekannte und unbekannte Personen, wie z. B. Golda Meir, Pipilotti Rist und Robert Mugave nebeneinander. 16 2014 auf 80 Litfaßsäulen und Werbestellen in U-Bahnstationen, in Frankfurt. 17 Litfaßsäulenrundgang... ...im öffentlichen Raum (Westend, Bahnhofsviertel, Sachsenhausen u. Ostend) Der öffentliche Raum gehört längst nicht mehr nur der Kunst. „Wer heute durch die Stadt flaniert, wird erfreut den ein oder anderen Springbrunnen entdecken. Eher selten sind Skulpturen. Denkmäler von Persönlichkeiten aus der Politik etwa erscheinen im schnelllebigen Medienzeitalter gänzlich unzeitgemäß. Oder können Sie sich vorstellen, plötzlich einem Standbild von Ex-Kanzler Kohl oder Gerhard Schröder gegenüberzustehen? Die Lücken zwischen den Gebäuden füllen heute vorwiegend Werbeanzeigen, die unser Auge mit Angeboten locken. Die Künstlerin Cornelia Heier hat dagegen an über 90 Litfaßsäulen in Frankfurt Porträts von bekannten und erfundenen Personen angebracht, u.a. von George Bush, Colin Powell und Andy Warhol. Die comicartigen, grafisch äußerst reduzierten Arbeiten reflektieren die zunehmende Standardisierung des medial vermittelten Bildes. Die Porträts wachsen zu einer einheitlichen Schablone zusammen, die kaum noch physiognomische Unterschiede erkennen lässt. Die Feldbusch, der Papst, Che, Lagerfeld - Cornelia Heier porträtiert alle mit der gleichen, austauschbaren Maskenhaftigkeit.“ (Hortense Pisano) 18 Baustellengänge und Baustellenwände Signalement (Personenbeschreibung) - sind 100 stark reduzierte grafische schwarz - weiß Porträt Zeichnungen. Abgebildet sind bekannte Personen, unbekannte Personen und erfundene Personen. Signalement ist für - und mit dem öffentlichen Raum entwickelt, Signalement integriert sich optisch in die Umgebung, Signalement ist eine Intervention zur Wahrnehmung im öffentlichen Raum. Ausstellungsorte: Bleichstr./Konrad-Adenauer Str. (Baustellengang), Zeil (Baustelle), Große Eschenheimer Str. (Baustellengang). Einführung Die Künstlerin Cornelia Franziska Charlotte Heier und ihre Disziplin, dreidimensionale Darstellung im öffentlichen Raum. Die Bilder sind doch nicht dreidimensional? Doch: Wenn man den öffentlichen Raum einbezieht, der nicht nur Bedingung dieser Ausstellung ist, sondern konstituierendes Element dieser Werke. Interessant finde ich die Darstellung von Abbildern von Individualität im Zeitalter der Kulturindustrie und Massenkommunikation. In der Kunstgeschichte entstehen Porträts einhergehend mit der Antizipation von Individualität. Waren es bis ins Mittelalter Institutionen, die in Persona dargestellt wurden, ist mit Beginn der bürgerlichen Gesellschaft das Individuum fernab von Amt und Würden Thema geworden. Es ist der Einzelne, der etwas bewegen kann, Geschichte schreibt, entdeckt oder entwickelt. Porträts sind Persönlichkeiten, die in ihrer Individualität dargestellt sind, deren Charaktere fein und genau beobachtet werden und die ihr Abbild finden. Die Kompetenz eines Künstlers ist es, das Wesen eines Menschen zu erfassen und nicht das äußere oder äußerliche zu imitieren. Porträts, die wie Comics aussehen, scheinen ein Widerspruch zu sein. Sie sind nur möglich, weil die Charakter von Menschen „in dieser schnelllebigen Zeit“ (ironisch) auf wenige Signifikanten geschrumpft werden. Lebensgeschichten werden in Schlagworte gepackt und Menschen werden zu Icons oder zu Ikonen: Who the fuck is Verona Feldbusch? Ein Mensch gewordener Comic gilt als Testimonial für einen Lifestyle mit allen dazugehörigen Produkten: Individualität ist vorkonfektioniert. Wie ist es, wenn man im Internet Bücher bestellt? Da geht ein Fenster auf und zeigt einem weitere Titel, die andere bestellt haben, die dasselbe Buch wie man selbst bestellt haben. Ich frage: Gehörst du zu den Tätowierten? oder bist du Germanist? Che Guevara und Sadam verhalten sich zueinander wie Bin Laden und Jesus, Donald und Gustav (Ganz und Duck, versteht sich). Lebensstil und Vita sind - noch nicht mal rastergedruckt, sondern gleich kopiert. „Sehr ähnlich, wer soll‘s denn sein?“ - (Titel von Ferry Arle‘s Fernsehportraitshow in den 70ern). Die Frage stimmt hier sogar wirklich: Individualität wird im Zeitalter der Kulturindustrie wieder auf das Zeichenhafte reduziert. (Dipl.Soz. Kristine Erdmann) 19 Signalement Zeil, Konrad Adenauer Straße und Große Eschenheimer Straße 20 HOPE Digitalcollage für den öffentlichen und andere Räume. Hope ist technisch gesehen eine Fotocollage, eine Verknüpfung verschiedener, ursprünglich nicht zusammenhängender Fotos. Eine Mischung aus Tagträumen, Phantasmen, Poemen und die physikalisch unabwendbare Begleiterscheinung, sobald Licht strahlt. Die Collage entsteht aus der Motivstruktur einzelner Fotos. Die Arbeiten sind dokumentarische Bilder meiner optischen Auseinandersetzung, nicht unbedingt der Wirklichkeit. Hope bezieht sich auf den öffentlichen Umgebungsraum (als Inspirationsquelle), die Collagen sind Spiegelbilder all dessen, was der Mensch sich, meiner Beobachtung nach, zumutet. Hopeaufbau Das Motiv ist der Ausschnitt realistischer Gegebenheiten, eine tote Maus, eine Landschaft, ein Boot. Das Motiv ist die Struktur und ist Zeichen. Struktur und Zeichen repräsentieren eine Metapher der Wirklichkeit. Die Struktur ist die Basis der Geschichten. Die Struktur beinhaltet die Motivumgebung und ist Informationsgeber der Motivinhalte (Aufbau, Zugehörigkeit). Das realistische Motiv, die tote Maus, ist chronometrisch, bezogen auf den tatsächlichen Hergang und Zusammenhang des Abbildes. Die Zusammensetzung der Motive ist eine Geschichte mit zeitlichen und örtlichen Verschiebungen. (Struktur + Realität = Strukturrealismus). Durch die Verknüpfung der Motive entsteht eine Illusion von etwas, das in der abgebildeten Form nie als Szenario existent war, die tote Maus hat sich vervielfacht. Hope ist eine progressive Werkreihe. 21 DAS ZIMMER DER DOLORES Die Story Leben hinterlässt Flecken, Staub und Dreck, es beinhaltet Falten, Tränensäcke und Pickel, verschmierte Schminke, schlecht sitzende Kleidung, Laufmaschen und dicke Bäuche ... 1997 lernte ich einen Menschen kennen, der, so erzählte er mir, mehrere Mietshäuser im Rhein-Main Gebiet besitzt. Wir tauschten uns über Mieter aus. Der Mann erzählte mir von einer Mieterin, die er niemals zu Gesicht bekommen habe. Telefonisch und per E Mail wurde der Mietvertrag für ein Zimmer abgeschlossen, die Schlüssel zum Zimmer wurden per Postweg übersandt. Die Kaution kam als Scheck ebenfalls per Post und der Mietzins wurde regelmäßig bar eingezahlt. Die Mieterin habe ihr Zimmer irgendwann gekündigt, per E Mail, die Schlüssel wurden postalisch zurückgesandt. Der Vermieter erzählte weiter, dass seine Mieterin die Kaution nicht zurückverlangt habe, das machte ihn stutzig. Er sei daraufhin in das Zimmer gegangen und fand es so vor, als sei die Frau nur kurz weg. Kleidungsstücke, Bücher, Essensreste, alle möglichen Dinge hatte die Frau vor Ort gelassen. Dieser Anblick habe ihn berührt, er sei neugierig geworden und habe angefangen, sich alles genau anzusehen, immer mit der Furcht, von der Mieterin überrascht zu werden. Sie sei aber nicht gekommen, an jenem Tag nicht, auch an den vielen folgenden Tagen nicht, an denen er sich genauestens in dem Zimmer umsah, sogar an der Unterwäsche roch, wie er sagte. Er habe Handschriftliches gefunden, Tagebucheinträge, manche geschrieben, manche als Mundabdruck mit Datum. Es sei alles ganz persönlich gewesen und langsam habe er sich vorgestellt, wie seine Mieterin gelebt haben könnte. Er fing an, nach ihr zu suchen, ihr Name sei Dolores. Er fand keine Hinweise auf eine Dolores, bis er auf die Idee kam, über das Internet zu recherchieren, er bekam Antworten und Fragen, aber nicht von Dolores, sondern von Menschen, bei denen Dolores ebenfalls gelebt hatte und die ebenfalls nach ihr suchten. Man habe sich dann, unter Vermietern, getroffen und gemeinsam angefangen, das progressive Dolores Archiv aufzubauen. Das Archiv stellt mir der Mann zur Verfügung. Nicht nur das, auch die Kontaktadressen, den Pool, sodass ich, ein - bis zweimal im Jahr einen neuen „Koffer“ von Dolores erhalte. Die Vorstellung über sie bündelt sich kontinuierlich, es bildet sich aber kein einheitliches Bild. Die Person bleibt unbekannt trotz größter Nähe. Vorgehensweise Investigative Recherche anhand der von ihr hinterlassenen Zeichen. Dolores entsteht durch den Blick in einen Spiegel. Das Abbild eines Abbildes. Abwesenheit und ihre Folgen. Das rekonstruierte Zimmer der Dolores ist ein öffentlich zugängliches Zimmer, vielleicht nur eine Nische. 22 Das Zimmer der Dolores 2014 Rekonstruktion IV der Wohn- und Lebenssituation im Hirondelle. Einige handgeschriebene Notizen, ein kurzer Brief (eher eine Tagebuchnotiz), und die Beschreibung eines Vermieters (Wirtes) eines von Dolores bewohnten Zimmers von Mitte 2013 bildeten die Basis für die Rekonstruktion 2014. Personenstatus: Auch der „Koffer 2013“ ergibt kein Bild von dem Menschen Dolores. Lediglich Lebenspassagen können dargestellt werden. „Dolores“ bleibt eine Fremde, eine Verlorene, Unsichtbare, nicht fassbare Person. Sie hinterlässt Spuren, die auf einen zerrissenen inneren Zustand hinweisen (nach unseren Maßstäben). Ihre Logis waren Notunterkünfte, kleine Zimmer, ohne jeglichen Komfort. Oder sie begnügte sich damit, geschützte Orte im Stadtraum zu nutzen. Nach wie vor bestimmt der „leere Spiegel“ die Situation... Zuschrift über den Pool „Dolores“ am 07. November 2013 Sehr geehrte Frau Heier, hiermit erlaube ich mir auf Empfehlung von Herrn Ebenhohl, Ihnen die folgenden Beschreibungen einer meiner Mieterinnen zu schicken. Ende April kontaktierte mich eine Frau per Mail mit der Frage nach einem Zimmer im Haus 13, in Essen (Markscheide 16, Essen- Altendorf). Ich konnte Ihr eine bescheidene 1 Zimmerwohnung anbieten. Die Dame nannte sich Frau Dolores M.. Der „Briefwechsel“ war normal und sachlich. Ich schickte Ihr einen Fragebogen, den Sie mir ausgefüllt zurück sandte. Frau Dolores überwies die von mir geforderte Kaution. Den Schlüssel schickte ich ihr postlagernd. Am 15. Mai 2013 konnte Frau Dolores die Wohnung beziehen. Die Mieten gingen bis einschließlich August pünktlich ein. Im September und Oktober blieb die Miete aus. Auf Briefe und Mails reagierte Frau Dolores nicht, weshalb ich mich zu einem persönlichen Besuch entschied. Die Mieterin war nicht anwesend. Ich öffnete die Wohnungstür mit einem Ersatzschlüssel. Die Wohnung war bis auf wenige Gegenstände und Müll ausgeräumt. Eigentlich sah es nicht mal so aus, als wäre sie jemals mit Möbeln bestückt gewesen. Eine Matratze bildete den Mittelpunkt des Zimmers, wie eine Insel lag sie da. Nicht bezogen, fleckig. Eine dünne verschossene Decke lag zerknüllt halb auf der Matratze, ein Kissen, nicht bezogen und stark vergilbt lag am Ende des Bettes. Davor lagen einige Dinge. Umgefallene Flaschen, Unterwäsche, eine Bürste und ein zerbrochener Handspiegel. 23 Ein Pappkarton stand an der Wand und diente wohl als Tisch oder Ablage. Darauf befanden sich einige Zettel mit Notizen, eine Scheibe verschimmeltes Brot und eine Tasse mit einem Rest Flüssigkeit (wahrscheinlich Tee), neben der Tasse lag in einer kleinen Schale ein alter Teebeutel. Eine weitere Kiste, aus Holzlatten, wurde anscheinend als Kochtisch verwendet. Dort standen ein Tauchsieder und eine Kanne. Daneben war ein Korb mit angefaultem Obst. In dem Zimmer standen an der Wand noch 2 Bücher und einige alte Zeitungen, aus dem Jahr 2012 - halb zerrissen. Es gab keine weiteren Gegenstände. Am Boden lagen noch einige Kleidungsstücke, wie ein Pullover und eine Strumpfhose, die kaputt war. Ein sehr stark verschmutzter Schuh lag in der Nähe der Wohnungstür. In einer Nische im Zimmer war ein Wasseranschluss mit Wasserbecken, über dem ein Spiegel hing. Der war mit cremiger Farbe beschrieben, oder besser gesagt bemalt. Man schaute sozusagen in eine Fratze hinein. An dieser Tür hingen an einem Haken ein Mäntelchen, eine Mütze und eine Stofftasche. Im Flur der Wohnung hing an der Wand, grob mit Tesa angeheftet, ein Fotomotiv – eine betende Madonna mit einer Rose im Hintergrund. Die Wohnung roch süßlich und war stark verstaubt. Der Boden war verschmutzt (Flecken). Das Fenster war verschlossen und mit einem Stoff halb zugezogen. Die Wohnung wird mit einem Ölofen beheizt. Die Wohnung verfügt nicht über eine sanitäre Anlage, dazu muss man in den Flur gehen und sich das Klo mit anderen Bewohnern der Etage teilen. Im Briefkasten, der konnte nicht mal verschlossen werden und war aufgebogen, lag der Wohnungsschlüssel. Ich habe die wenigen Dinge bis auf die Zeitungen aufgehoben – man hätte es direkt in den Müll werfen sollen, aber ein Impuls hielt mich zurück. Von diesen wenigen Sachen gingen eine Geschichte, eine Wehmut und eine tiefe Traurigkeit aus, ich konnte sie einfach nicht entsorgen. Innerhalb der nächsten Zeit habe ich bei einem Eigentümertreffen diese Geschichte erzählt und wenige Tage später erhielt ich einen Anruf von Herrn Ebenhohl, der den sogenannten Pool der Dolores seit einigen Jahren pflegt. Herr Ebenhohl bat mich, die Reste der Mieterin an Ihn zu schicken. Und es war weniger als ein Koffer voll. Herr Ebenhohl erzählte mir in diesem Zusammenhang über den Kontakt mit Ihnen. Ja, ob es wohl zu einem Ergebnis kommen wird? Ob es eine Erklärung geben kann? Gibt es diese Person denn wirklich? Was hat die Frau zu einem solchen Leben gebracht? Ist Sie eine Suchende, ist Sie ein Gewissen? Ist Sie unser Verlust? Ich zweifle daran, dass eine künstlerische Auswertung oder, wie sie es nennen, eine Rekonstruktion dazu führt, dieser Frau näher zu kommen, aber eine bessere Idee habe ich auch nicht. Es kostet ja auch nichts, Ihnen die Dinge im Koffer zu schicken. Ich bleibe an dem Pool dran und werde mir regelmäßig Neuigkeiten kommen lassen, eventuell wird die Frau ja doch mal in Person erscheinen. Vielen Dank, es grüßt Sie P. Erossa. 24 Bestandsliste: • 1 Matratze – Insel, Individualität, Intimität. • 1 dünne verschossene Decke – Geborgenheit und genau das Gegenteil, Verlust… • 1 Kissen – Geborgenheit, Hinweis auf den Geist, Gedanken, Träume… • Flaschen – Genuss, Sucht, Flucht… • Unterwäsche - Intimität • 1 Bürste – Hinweis auf Individualität und Verfall… • 1 Spiegel verschmiert, 1 zerbrochener Handspiegel – Suche, Depression, Eitelkeit, Dialog, Fixpunkt zur Gegenwart. Widerschein der Seele. Indifferenz, Verlorenheit, Suche. • 1 Pappkarton – Improvisation. • Zettel beschrieben – Realität, an der Gegenwart festhalten. • 1 Scheibe verschimmeltes Brot - Alltag. Vergänglichkeit, Ablehnung. • 1 Tasse • 1 kleinen Schale • 1Teebeutel vertrocknet – Zeit… • 1 Kiste, aus Holzlatten • 1 Tauchsieder, 1 Kanne, 1 Korb • angefaultes Obst – Vergänglichkeit… • Bücher – Ablenkung, Bildung, Fantasie, … • alte Zeitungen – Tagesinformation, Bildung … • 1 Pullover – Intimität der Person, Spiegelbild… • 1 Strumpfhose, 1 Schuh, 1 Mäntelchen, 1 Mütze, 1Stofftasche 1 Madonna mit einer Rose – Religiosität, Schmerz, Sehnsucht, Dolores… • • Gardinen (Stofffetzen) – Schutz, Einsamkeit… 25 Ansichten Rekonstruktion IV 26 Anonyme Zusendung an den Pool „Dolores“ 27. Februar 2013. 7:16h, Bamberg Winterstimmung. Morgendlicher Gang zur Bahn. Schaue wie immer durch meinen inneren Tunnel. Den Ort wechseln. Brauche eine neue Umgebung. Trist und kalt ist es hier. Misstrauen um mich. „Sieht aus, wie eine, die keinen Spiegel hat“, höre ich hinter mir sagen. Habe schlechte Wochen hinter mir. Habe mich letztes Jahr in Ffm. aufgehalten, werde dort wahrscheinlich wieder hingehen. Ein Zimmer mieten, habe etwas gespart. Muss mich ausruhen, in einen warmen, trockenen Raum. Hotel? Pension? Werde mich auf dem Wohnungsmarkt umsehen. Bin hier in der Gegend seit Dezember, es ist schlimm, erniedrigend wie sich die Menschen verhalten, wenn sie selbst wenig Auswahl haben oder keine Abwechslung, Zerstreuung. Jeder versteckt sich vor sich selbst. Kein Blick in den Spiegel. Keine innere Annäherung. Befremdung vor dem eigenen Selbst. Hoffe aus dieser nebligen Sicht heraus zu kommen. Habe mein Bett fotografiert. So habe ich in den letzten Wochen gelebt. Gez.: eine Wanderin Korrespondenzen 27 Zustandsbericht 2011 Der Brief „Sehr geehrte Frau Heier, als Hausbesitzer, Vermieter und Geländeverwalter bin ich über Umwege auf den Informationspool „Dolores“ getroffen. Die Beschreibungen der Person haben mich zutiefst berührt, nicht aus Voyeurismus, falscher Anteilnahme, sondern weil ich auf einem meiner Grundstücke, übrigens mitten in Frankfurt am Main, auf eine Wohnstätte, ich möchte es sogar ein Zimmer nennen, gestoßen bin. Bei einem meiner Rundgänge über ein etwas abseits und in der Nähe der Bahn liegendes Gelände schaute ich, wie gewöhnlich auch zwischen Sträuchern und Gebüsch nach wilden Müllhaufen und fand ein, ja, ein Zimmer. Ein Bett, mit geblümter Decke und dekoriertem Kissenstoff, ein Tischchen und eine Art Schrank (einige Äste, die miteinander verbunden waren und mit Folie umspannt waren). Ebenso war eine Nische für Lebensmittel, die in Tüten an Ästen hingen, vorhanden. Auf einer Kiste lagen verschiedene Kosmetikutensilien. Ich durchsuchte den Schrank und fand Frauenkleider. Strümpfe, Unterwäsche, Hosen und Röcke. Die Auswahl der Garderobe war nicht groß, aber kombinierbar und alles passte farblich zueinander. Auch verschiedene Schuhe fand ich. Größe 39. Im ersten Moment konnte ich meine Wut und Empörung über die wilde Nutzung meines Geländes nicht unterdrücken, fast hätte ich alles in einen großen Müllsack gestopft, oder wenigsten die Polizei gerufen. Aber, etwas hielt mich davon ab. Ich versuchte die Spuren meiner Untersuchung zu bereinigen. Ich fotografierte das Zimmer mit meinem Mobiltelefon und ging. Einige Tage hat mich diese Entdeckung nicht in Ruhe gelassen, so ging ich wieder an den Ort, in der Hoffnung die dort lebende Person anzutreffen. Hier entsteht eine große Leere – der Ort war verlassen, außer einigen Kleinigkeiten, darunter ein Kajalstift und eine Bluse, sowie ein Zustellungsbescheid, auf dem lediglich noch ein Vorname zu lesen war, war das Zimmer nicht mehr vorhanden. Dolores stand auf dem Bescheid – auf diesem Wege bin ich übrigens an den Pool geraten. Über den Namen. Nun, nach ca. 8 Wochen sende ich Ihnen, verehrte Frau Heier, die Fotos mit der Bitte, diese dem Archiv der Dolores beizufügen. Mit herzlichen Grüßen Otto Jedefahl.“ 28 Zustandsbericht 2010 Vor einigen Wochen wurden mir Fotos und einige schriftliche Aufzeichnungen überbracht. Einer Notiz konnte ich entnehmen, dass die Fotos die Unterkunft einer Frau dokumentieren. Allem Anschein nach, so geht aus dem Bericht hervor, handelt es sich um eine Frau namens Dolores. Sie habe Anfang 2010 in der Nähe von Mainz, in einem Vorstadtgebiet, ihre Unterkunft aufgeschlagen. Spaziergänger meldeten die „wilde“ Wohnstätte den Behörden, die ihrerseits versuchten, die Person anzutreffen, ohne Erfolg. Es habe Beschwerden über den üblen Geruch und die Verrohung des Stadtteils gegeben, die Bürger fanden Unrat und Abfall rund um das Wohnlager. Eine Bürgerinitiative entschied sich, die Stätte abzubauen. Dazu drangen sie in den kleinen improvisierten Raum ein. Vorgefunden wurde eine beängstigende Atmosphäre. Ein Durcheinander von Schlafsack, Kleidungsstücken, Abfällen und eine Stelle, an der die Person ihre Notdurft verrichtet hatte. Mit Mundschutz versehen wurden die Pappkartonreste und Kleidungsfetzen in Mülltüten gestopft und vernichtet. Die Bretterbude wurde abgerissen und entsorgt. Die Person, die Frau, die dort lebte, hat keiner zu Gesicht bekommen. Zustandsbericht 2009 Nach dem Brief von 2007 und dem Koffer von 2006 ist Stille eingetreten. Nichts Neues von Dolores. Ihr Aufenthaltsort ist nicht bekannt geworden. Allerdings hat sich vor Kurzem ein Herr bei mir gemeldet. Er habe zu Anfang diesen Jahres vor einem Wohnhaus in Esslingen ein Paar Schuhe gefunden, die, so habe er beobachtet, eine Frau mittleren Alters sorgsam auf das Trottoir gestellt habe. Diese Frau sei an diesem Tag mehrmals vor dem Paar Schuhe stehen geblieben und habe sehr nachdenklich gewirkt. Von dieser Frau sei eine seltsame, für ihn nicht zu beschreibende Ausstrahlung ausgegangen. Am folgenden Tag, die Schuhe standen genauso wie die Frau sie hingestellt hatte, habe er den Hausmeister des Gebäudes befragt. Dieser habe erzählt, eine Frau namens Dolores habe ihre Kammer verlassen, leer sei der Raum, am Türrahmen habe eine Geldnote, ein Schlüssel und ein Zettel mit den Zeilen, „Leben sie Wohl, vielen Dank für alles“, gesteckt. Er habe ein Foto von den Schuhen zur Erinnerung an diese Frau geschossen und wolle mir dieses Bild für das Dolores-Archiv, von dem er erfahren habe, überlassen. 29 Rekonstruktion - III - 2008 im Wagnerraum Dolores hat sich von März bis Mai 2006 in Hamburg aufgehalten. Dort hat sie sich ein Zimmer gemietet. Sie hat das Zimmer ohne Möbel, Heizung und Bad gemietet. Sie hat das Zimmer mit einer Matratze, einem Stuhl und einem Teppich eingerichtet. 2008 erhielt ich, anonym, ein Paket mit Brief, Fotos und einer Beschreibung zu Dolores. Der Bericht Von Nachbarn konnte ich nichts Relevantes über Dolores erfahren. Sie ist eine stille, unauffällige Mieterin. Man hört und sieht sie nicht. Gelegentlich kann man riechen, dass sie kürzlich durch den Korridor gegangen ist, - süßes Parfum. Ich habe mit ihr telefoniert. Sie hat eine reife, klare Stimme. Sehr charmant im Gesprächsumgang - man scherzt unwillkürlich, und natürlich, in eine solche Frau, Imagination ist alles, habe ich mich sofort verliebt. Sie ist gewandt, vertrauensvoll, verbindlich. Sie spricht mit einem wundervollen Singsang, zuordnen kann man ihr Idiom allerdings nicht - akzentfrei, vielleicht rollt sie das R, leichtes Lispeln, kein Verwischen der Silben. Ich kann wirklich nicht sagen, aus welcher Region sie stammt. Als ich dann die Wohnung betreten habe, nachdem sie mir den Schlüssel geschickt hat, stieg langsam ein bedrückendes Gefühl in mir hoch. Verlassenheit, Rohheit, Aggression. Das ist beängstigend und so schwer zu erklären. Dann kommen die Eindrücke, abgestandener Geruch, Fäulnis. Es ist nicht Verwahrlosung, nein, - es ist lieblich und abstoßend gleichermaßen. Man erkennt einen Menschen - und sofort ist er wieder verwischt, es macht mich ganz traurig, und unruhig. Nein, der Spiegel wird blind. Dolores hat kein Gesicht. Ich übersende ihnen den „Koffer“ in der Hoffnung, dass sie irgendwann ein Gesicht zu Dolores finden. Zusammenfassung Der Beschreibung nach hat Dolores das Zimmer in schlechtem Zustand hinterlassen. Auf dem Boden liegt ein farbiger Teppich mit Flecken. Neben der Matratze liegt eine bestickte runde Tischdecke, darauf steht eine Kerze, eine Vase mit vertrockneten Blumen und ein Teller mit Essensresten, Obst und altes Brot. Das Essen ist vertrocknet und verfault. Auf dem eher schmutzigen Boden liegt eine Spielkarte, ein Stück Schnürsenkel und ein Häufchen Kleider. Auf der Matratze liegen ein vergilbtes Laken und eine Wolldecke, die einen Slip halb verdeckt. An der Wand steht ein Pappkarton. Darauf stapeln sich einige Zeitschriften, eine Packung Haarfärbemittel, eine Haarbürste mit Haaren, eine Fingernagelfeile und ein Roman. Auf dem Teppich befinden sich zerknüllte Zettel, eine Tasse, eine Teedose und ein Radiogerät. Am Bettrand liegen einige Pillen (Medikament) und eine zerbrochene, ausgelaufene Weinflasche. Über dem Stuhl hängt ein Frottétuch. An dem Fenster hängt eine zerschlissene Gardine. An der Wand sind zwei Kleiderhaken befestigt, an einem hängt ein Jackett, in dessen Taschen Krumen sind, eine Taschennaht ist aufgerissen. An dem Anderen hängt eine rötliche Damenhandtasche, darin befinden sich Mascara, eine Puderdose und ein Taschenrechner. An der Zimmerwand sind einige Kritzeleien. In dem Papierkorb liegt ein Foto mit der Abbildung eines Gebäudes. In dem Zimmer riecht es abgestanden und muffig, es ist feucht. 30 Ansichten Rekonstruktion III 31 DAS ZIMMER DER DOLORES REKONSTRUKTION - II Das Zimmer der DOLORES Rekonstruktion II März 2004 Einführung von Cordula Fröhlich Die Frankfurter Künstlerin Cornelia Heier präsentiert im März 2004 eine Rauminstallation in der temporären Ausstellungshalle IMPLUS in Obertshausen. 2003 rekonstruierte die Künstlerin in ihrem offenen Interimsatelier in Frankfurt das Zimmer, von dem ihr 1997 erzählt wurde, erstmalig. Im vergangenen Jahr soll Dolores in einem teilmöblierten Zimmer in Düsseldorf gelebt haben. Auf diesen Lebensabschnitt bezieht sich die Rekonstruktion in Obertshausen. Neben kleineren Möbeln steht ein Bett im Mittelpunkt der Installation. Dinge des täglichen Lebens bzw. sehr persönliche, intime Utensilien eines Menschen, vermutlich einer Frau namens Dolores, sind im Raum verteilt. In einer aufwendigen Rekonstruktion, mit Liebe zum Detail, schafft Cornelia Heier ein Bild der Unbekannten. Unwillkürlich versucht der Betrachter, die einzelnen Hinterlassenschaften einer Persönlichkeit, einem Charakter zuzuordnen. Die Annäherung an die Rauminstallation erfolgt auf verschiedenen Ebenen. Schon aus der Ferne, auch als Passant, erhält man durch das Schaufenster des ehemaligen Plusmarktes Einblick auf das rekonstruierte Zimmer. Der voyeuristische Aspekt des Kunstkonzepts von Cornelia Heier wird dadurch betont. Schon in diesem ersten Moment werden Fragen nach der Person, die das Zimmer bewohnt aufgeworfen. Mit dieser Neugier des Betrachters spielt die Künstlerin, indem sie zum Beispiel Gegenstände, die gleichzeitig anziehend und abstoßend wirken können, sorgfältig drapiert. So liegen zum Teil benutzte Dessous und Kosmetikutensilien im Raum verstreut. Als Blickfang führen diese Objekte zu den ersten Spekulationen über Dolores. Ist sie eine Prostituierte, eine Geliebte oder wurde sie vergewaltigt? Ist sie eine eilige Geschäftsfrau, eine Künstlerin oder ein Transvestit. Hat sie die Wohnung übereilt verlassen oder hat sie nur unbrauchbare Dinge zurückgelassen? Folgt sie einem Beruf oder einer Berufung? Wird sie von Zwängen oder von Leidenschaft getrieben? War sie in Zeitnot, auf der Flucht oder wurde sie bedroht, war sie gar eingesperrt? Hier schließt sich die Frage an, ob sich noch eine weitere Person in diesem Zimmer aufgehalten hat. Auch dafür gibt es Hinweise: 2 Gläser, benutzte Kondome, ein Liebesbrief, der hinterlassen und zerrissen wurde (von wem?). Hier geht es nicht nur um die Auseinandersetzung mit einer Raumsituation, sondern um ein menschliches Verlangen, mit detektivischem Spürsinn eine unbekannte Person und ihre Lebensgewohnheiten kennenzulernen. Ein weiterer Aspekt dieser Installation ist das Vanitasthema. So findet man verfaultes Obst, teilweise leere Trinkgefäße, verschlissene und verschmutze Laken und Kleidungsstücke. Der Zustand der Verlassenheit ist präsent. 32 Diese Verlassenheit impliziert auch Trauer. Zurückgelassene Tagebuchblätter lassen auf den ersten Blick vermuten, dass dem Bewohner etwas zugestoßen ist. Waren die Tagebucheinträge unwichtig, wurden sie weggeworfen und von einem Fremden wieder hervorgeholt? Wurden sie vergessen? In welchem körperlichen und geistigen Zustand befand sich Dolores beim Verlassen des Zimmers? Fragen über Fragen, die durch das Arrangement der Objekte aufgeworfen werden. Man versucht sich einer imaginären Person, von der man weiß, dass sie sich Dolores nennt, anzunähern. Die umliegenden Gegenstände informieren über Charaktereigenschaften und Seelenzustände, über das Alter und die Herkunft lässt sich nur spekulieren. Ein einzelner Schuh und eine Sonnenbrille aus den 70er Jahren lassen als Trägerin eine modebewusste 20-jährige genauso zu, wie eine abgetakelte Fünfzigerin, die Relikte ihrer Jugend zurücklässt. Auch das Kruzifix spielt eine Rolle, denn es ist bereits in der ersten Rekonstruktion aufgetaucht, und lässt auf eine religiöse, ev. südeuropäische Herkunft schließen. Hinweise über den Verbleib von Dolores gibt es aber nicht. Mit der Rekonstruktion III werden wir mehr erfahren. Bei allen Spekulationen ist aber eines sicher: das Zimmer der Dolores berührt durch die Konfrontation sehr intimer Hinterlassenschaften. Es weckt Neugierde und man wird sicherlich auch durch den Geruch, der von einem Parfum und verfaulendem Obst erzeugt wird, hineingetragen in eine andere Welt, die Welt von Dolores. Es entsteht eine Nähe, die außergewöhnlich, vielleicht sogar beängstigend ist, da es nicht der sozialen Norm entspricht, in diese intime Privatsphäre einer fremden Person einzutauchen. Cornelia Heier beschäftigt sich in ihren Arbeiten gerne mit den unsichtbaren Dingen des Lebens. Objekte und Menschen, die uns umgeben, aber hinter der Fassade des schönen Scheins unbemerkt bleiben. „Leben hinterlässt Flecken, Staub und Dreck, es beinhaltet Falten, Tränensäcke und Pickel, verschmierte Schminke, schlecht sitzende Kleidung, Laufmaschen und dicke Bäuche“, sagt die Künstlerin. Gerade mit dieser in der Installation gezeigten Intimität, die jeder kennt, aber keiner einer Öffentlichkeit preisgeben möchte, weckt Cornelia Heier die Neugierde des Betrachters. Sie blickt im wahrsten Sinne hinter die Fassade eines Mietshauses, in ein Zimmer, in dem man die Reste einer Maske in Form von Kosmetika und Kleidung findet. Überbleibsel eines Menschen, der offensichtlich in diesem Raum gelebt hat. Gerade die Abwesenheit weckt unser Interesse an der Person. Sie bleibt durch ihre Hinterlassenschaften präsent - sie lebt weiter in unseren Gedanken und unsere Fantasie, Dolores wird zu einer Ikone. Bestandsliste Februar 2004 Zimmer ca. 15 m² 1Fenster, 1Bett, 1Stuhl, 1Inri - Foto hängend, 1Flasche Schnaps, 1Flasche Wein, 1Wandspiegel, 1Schminktasche, 1Mascara, 1Lippenstift, 10 falsche Fingernägel, 2 falsche Wimpern, mehrere Präservative, 2 Gläser, 1Tasse mit Kaffee, 4 Bücher, 1Nachttischlampe, 1Strumpfhalter, Damenstrümpfe, Slips benutzt, Büstenhalter, Tagebuchblätter, 1Birne, 2 Äpfel, 1Bluse, 1Rock, 2 Collagenbilder hängend. 33 Ansichten Rekonstruktion II 34 DAS ZIMMER DER DOLORES REKONSTRUKTION - I - 2003 Zimmer ca. 18 m² Dolores scheint das Zimmer übereilt verlassen zu haben. Das Zimmer wirkt vernachlässigt, es ist schmutzig. Die Bettdecken sind mit verschlissenem, verschmutztem Satin bezogen. Die Laken sind zerwühlt, auf der Matratze liegen Tagebuchblätter und abgebrochene Fingernägel. In dem Zimmer riecht es abgestanden, eine Birne verfault auf dem Fensterbrett. Dessous liegen auf dem Boden, über dem Stuhl und im Bett. Ein wenig Schminkzeug und Watte liegen vor dem Spiegel. Dolores hat weder Schuhe noch andere Oberbekleidung im Zimmer hinterlassen. Über ihren Verbleib gibt es keine Notiz. Das Tagebuchheft ist 2002 datiert, die Tagebuchblätter sind aktuellen Datums. Bestandsliste Februar 2003 2 Fenster, 1Bett + Bettwäsche, 1Stuhl, 1gekreuzigter Jesus hängend, 1Flasche Schnaps, 1Handspiegel, 1Schminktasche, 1Mascara, 1Lippenstift, 10 falsche Fingernägel, mehrere benutzte und unbenutzte Präservative, 2 Gläser, 4 Bücher, 1 Nachttischlampe, 1Strumpfhalter, Damenstrümpfe, Slips benutzt, Büstenhalter, Stifte, Tagebuchblätter, 1Birne, 1Bluse, 1Portraitabbildung. 35 Partition#2 Heussenstamm Galerie 2013 Woher kommt das Kunst Werk? Einblick in das Künstlerinnen Gehirn. Ein performativer Vortrag. Ein gesprochenes und gesungenes Kunstwerk. Was hat Gertrude Stein damit zu tun? „Ein Kunstwerk kann man sich ansehen, man kann es auch anfassen (wenn es erlaubt ist), man kann es umrunden, sich davor, oder dahinter setzen. Selten sieht man eins von oben oder unten, weil es fast immer aufsteht oder anhängt, dann hat es ein hinten, oder weil es zu groß ist und davor keine Leiter steht, sodass man hinaufklettern könnte und von oben auf das Werk schauen könnte. Man kann ein Kunstwerk selten essen, aber es kommt schon mal vor – dann ist es relativ schnell weg. Man kann ein Kunstwerk hören, entweder live oder von einem Tonträger. Wenn man es live hört, ist es auch nach einer bestimmten Zeit weg. Wenn man sich das Werk über einen Tonträger anhört, bleibt es so lange bis man abstellt (vielleicht mitten im Werk) oder der Träger futsch ist, oder das Gerät kaputt geht. Man kann sich den Genuss eines Kunstwerkes aufteilen, immer mal wieder hingehen, immer mal wieder schauen oder immer mal wieder rein hören. Heuteabend hat das Kunstwerk eine bestimmte Zeit, etwa 20 Minuten, in der Sie es hören und sehen können – danach ist es weg, als Einheit weg. Wird zerlegt in 0 und 1.“ (C.H.) „Was ist die Strömung, die Maschinen macht, die sie knistern macht, was ist die Strömung, die eine lange Linie bringt und eine notwendige Taille. Was ist diese Strömung. Was ist der Wind, was ist er.“ Gertrude Stein. „Damit könnte ich es bewenden lassen, tue ich aber nicht. Je nachdem wie lange man bereits auf der Welt ist, kommt einem die unmittelbare Umgebung als eine Einheit, etwas Komplettes, etwas ja, auch Amorphes vor. Durch die eigene Bewegung, durch Sehen, Hören und Anfassen wird die Umgebung, werden Formen, Farben, Gerüche und Geräusche differenziert, zugeordnet, zerlegt. Was welche Bedeutung erhält, ist im eigentlichen Sinn gar nicht vorgegeben – und doch haben wir alle das Ding mit den vier Stöcken und einer Platte irgendwann als Stuhl akzeptiert. Prima! Wenn ich den Stuhl zerlege kommen je nach Bauart, acht Vierkanthölzer dabei raus – weiter zerlegt, könnten Sägespäne oder auch Holzmehl daraus werden – oder ein Gerüst, ein Weihnachtsbaum, eine Anhäufung von Holz oder eine Analyse des verwendeten Materials und seiner Bestandteile.“ (C.H.) 36 „Zweifellos kann man im zwanzigsten Jahrhundert wenn es einem gegeben ist zu schreiben wirklich zu schreiben seinen Lebensunterhalt nicht mit Schreiben verdienen. Irgendjemand hat gerade vorgeschlagen, dass ich mit dem Schreiben von Zigarettenreklame viel Geld verdienen könnte. Also fange ich an zu schreiben….“ Gertrude Stein, ohne Komma. „(Ähnliches wurde auch Andy Warhol vorgeschlagen). Ich hocke hier in dem Gerüst, vor der Galerie, ich hätte nicht wenig Lust das Gerüst einfach zu zerlegen. Nicht weil es mich stört – ich finde es ganz schön, sondern weil es sich anbietet und ich dann aus dem Material etwas anderes zusammenfügen könnte, ein neues Gerüst, das man zerlegen kann und wieder aufbauen kann, so wie das Gerüst, hier in dem ich sitze, das so konstruiert ist, dass man es auf- und abbauen kann. Ich gehe jetzt mal über die Straße und schaue mir die Haltestelle an. Das ist ein Unterstand, mit einem tragenden Gerüst aus Metall, etwas klobig. Die Flächen sind aus Glas und sollen wahrscheinlich Leichtigkeit, Transparenz im Sinne von „gar nicht vorhanden sein“ vermitteln. Diese Haltestelle sollte zerlegt werden und an keinem anderen Ort wieder aufgebaut werden. Ich werde all die Einzelteile später, in Gedanken mitnehmen und daraus etwas konstruieren. Das können Sie übrigens auch. Der Vorgang der Partitionierung findet ständig in alle Richtungen statt.“ (C.H.) „Das ist das Schlimme mit der Zerstreuung. Zerstreuung lenkt das Bewusstsein vom Vergehen der Zeit ab. Das ist das Schlimme mit jeder Utopie, jedem System, sobald es ein System ist ist es keine Zerstreuung und deshalb ermöglicht es einem nicht länger vom Vergehen der Zeit nichts zu Wissen.“ Gertrude Stein. „Ich erkläre ihnen jetzt nicht und auch später, nicht was das hier für ein Kunstwerk ist, ich zerlege meine Arbeit nicht vor Publikum! Um mit Martin Honert zu sprechen: “ … nein, nein, ich erkläre ihnen nichts, sie sehen doch mein Werk ...!“ „Ungeachtet der verschiedenartigen Unternehmungen all derer, die sich auf den Surrealismus berufen haben und sich noch auf ihn berufen, wird man letztlich doch zugestehen müssen, dass er nichts so sehr erstrebte, als in intellektueller und moralischer Hinsicht eine Bewusstseinskrise allgemeinster und schwerwiegendster Art auszulösen; und dass lediglich die Erreichung oder Nicht-Erreichung dieses Zieles über seinen geschichtlichen Erfolg oder Misserfolg zu entscheiden hat. Auf intellektuellem Gebiet ging und geht es noch immer darum, mit allen Mitteln und um jeden Preis die Faktizität der alten Antinomien aufzuzeigen und bloß zulegen, die man scheinheilig dazu ausersehen hat, jeder ungewöhnlichen Regung des Menschen vorzubeugen – und sei es bloß dadurch, dass man ihm eine nur dürftige Vorstellung von seinen Möglichkeiten gegeben hat, indem man ihm die Überzeugung nahm, sich dem universalen Zwang in nennenswerter Weise entziehen zu können. Die Vogelscheuche des Todes, die Tingeltangel des Jenseits, der Schiffbruch der noch so schönen Vernunft im Meer der Gleichgültigkeit, der lastende Vorhang der Zukunft, die Türme von Babel, die Spiegel des Unbeständigen, die unüberwindbare, hirnbespritzte Mauer des Geldes, diese allzu erschütternden Bilder der menschlichen Katastrophe sind vielleicht nur Bilder.“ (André Breton) 37 „Ein Vergleich: Ich schaue unter die Motorhaube einer alten Landmaschine und sehe einen komplexen Mittelteil, zu dem Gestänge und Schläuche hin oder weg führen. Wenn ich mir eine Weile den Motor der Landmaschine angesehen habe, erkenne ich eine Kurbelwelle, Gas- und Bremsgestänge, Zylinder … - ich kann nachvollziehen wie durch Schwung- – Zahn- und Wellenräder das Ding ins laufen gebracht wird. Wenn ich unter die Motorhaube eines zeitgenössischen Wagens schaue, sehe ich einen Block und erkenne, selbst bei laufendem Motor nicht wie die Kraft, die Bewegung zustande kommt. Den Motor der alten Landmaschine, es könnte auch ein alter PKW sein, kann ich mit einfachen Werkzeugen auseinandernehmen, zerlegen – um im Bild zu bleiben-. Ja, nein, nicht im Bild, sondern im Kunstwerk, das auch ein Bild sein kann. Das ich durch Partitionierung meiner Umgebung, meines Lebensumfeldes, zu eben einem Werk kreiere. Wenn ich also nichts zu Zerlegen habe, muss ich mich selbst zerlegen – ein spannender Vorgang wie die Kollegen und Kolleginnen alle wissen.“ (C.H.) „Schließlich muss jeder der etwas hervorbringt es als etwas Gegenwärtiges haben, der Schriftsteller kann eine ganze Menge in dieses Gegenwärtige einbeziehen und alles gegenwärtig machen aber der Maler kann nur einbeziehen was er sieht und hat sozusagen nur eine Oberfläche und das ist eine flache Fläche die er sehen muss und deshalb muss er sie ob er will oder nicht sehen. Sie können einbeziehen so viel sie können aber man muss es sehen können, das sagt Marie Laurencin und sie sah es und man muss es sehen können. Es braucht viel Zeit ein Genie zu sein, man muss so viel herumsitzen und nichts tun, wirklich nichts tun.“ (Gertrude Stein) „cdefgah, hagfedc, jede Note eine Saite, eine bestimmte Spannung und eine bestimmte Schwingung. Jede Taste auf einer Saite, mit einer bestimmten Spannung und einer bestimmten Schwingung.“ (C.H.) 38 „Das Zünglein“ im North Bound Material: Pappe/Mischtechnik Größe: Kleiner als es aussieht. Untertitel: Information und Desinformation. Ein Objekt, das sich vordergründig einer ästhetischen Relevanz entzieht. Eine Gelegenheit, eine hingeworfene Beiläufigkeit, eine improvisierte Pappschachtel. Ein Verweis auf Ansammlungen von ungereimten Erscheinungen verschiedener Gegenstände und deren ursprünglicher Bedeutung im Alltag unseres Lebens und Handelns. Genauso geht es im „Inneren“ der Schachtel weiter. Der Monitor, funktional verwendet als das, was er ist, ein Bildgeber und in diesem Fall auch Tongeber. Die Bilder mit dem Obertitel „Hope“ beinhalten echte Verweise (Zeichen) auf Vorhandenes, bzw. tatsächlich Gewesenes (vollendete Wesenheit der Dinge). Und entsprechen damit einer Information. Allerdings stehen die Zusammenhänge der einzelnen Motive nicht in gewesenem Zusammenhang, sie bilden eine gegenwärtige, eine anhaltende Wesenheit und sind eine Desinformation in Bezug auf ihre einzelnen Herkünfte. Der zugehörige Ton entspricht den Bildern in beiderlei Inhalten. Information und Desinformation. Das Objekt ist das Zünglein an der Waage im übertragenen Sinn. Korrespondenz Störungs-Hope 2014 39 Audio Installation „Das große Vergessen“ 2012 Gezeugt, geboren, aufwachsen, altern, sterben, verwesen. Erinnerungen, materielles Gut, ideelle Schätze, Emotionen, Worte und Werte. Gelegentlich findet man, ganz nah, im Alltäglichen vermengt, Hinterlassenschaften Verstorbener wieder - von Briefen bis hin zu Parfüms längst vergessener „Tanten“. Alte Bekannte kommen vorbei ... Im eigenen Spiegelbild findet sich Gewissheit – da sieht man sich in die eigenen Augen und blickt auf sein äußeres Erscheinungsbild seiner selbst. Die Spiegelkontrolle ist eine Selbstvergewisserung, eine kontinuierliche Erinnerungshilfe. Die eigene Reflexion in der Pupille (metaphorisch zu verstehen) eines anderen Menschen löst die Selbstvergessenheit, die Selbstverlorenheit auf. Wiedergefunden in der Realität nehme ich meine Tätigkeit, das Denken wieder auf. Da war doch was …, eine Stimme und die dazugehörige Person. Die Erinnerung an die Person evoziert eine emotionale Erinnerung an das Timbre der Stimme. Der Auslöser für meine Erinnerung war der Blick auf einen Kassettenrekorder. Kassette, Hören, Sprache. Mein Gedächtnis gräbt den Sound der Pausentaste eines alten (1983 er) Diktiergerätes aus – ich hatte es ja gar nicht vergessen! Ich hatte es nur nicht gebraucht. Ich finde die Kassette wieder, höre sie mir an und habe das Gefühl, etwas Verlorenes, wiedergefunden zu haben. Die Stimme, zu Erinnerungszwecken vor ca. 30 Jahren auf Tonband aufgenommen, hat überlebt. Die emotionale Sicherheit, die diese Stimme auf mich bewirkt, ist wie der Blick in den Spiegel, eine Selbstbestätigung meines Seins. Die Tatsache, dass die Person nicht mehr existiert, ist in Anhörung der Stimme nicht relevant. Die Stimme ist Auslöser, Verlorenes und Vergessenes wieder zu finden. Sie steht als Metapher für das eigentliche Verlieren und Vergessen seiner Selbst, in allen Facetten des menschlichen Daseins und Vergehens – Vanitas – die Fliege auf dem Aas. 40 Chirurgische Einblicke in mein Künstlergehirn. 3. 2012 Ich geselle mich zu Beuys, Baselitz, Immendorf, Polansky, Stein, Oppenheim, und der Gert, Valeska selbstverständlich und vielen anderen Künstlern/innen. Die verwendeten Werkzeuge heute Abend sind: Skalpell, Sondenröhrchen, Weichmacher, Leuchtstab, Masselöffel, Spanner, Schnabel, Hammer und Geist. Nicht zu Vergessen, die stimulierenden Substanzen, die ich vorsichtshalber seit dem 29. September, in stetig erhöhender Dosis zu mir genommen habe. MACHEN SIE JETZT EINE PAUSE! Dank meiner außergewöhnlichen Fähigkeit, für Menschen eine seltene Gabe, Hirn und Zunge zu verbinden, werde ich heute Abend meinen Kopfinhalt vor Ihre Füße kippen. Klick, klick, wuhhuhu, briiiieeees, te, te, te, te, klick, klick, tik, tik, tik, brrrrr, brrrrr, brrrrr. SSSSSS, he, he, he, ha, hoooo. Siiit, siehie, siehie, siehie. Tick, tik, tik. - Statuten! Immer wenn ich für mich alleine bin, hol ich aus meinem Sinn die Zahlen hervor. 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1 … ------- 20. SCHLIESSEN SIE DIE AUGEN! Ich trage zwei blonde, dicke Zöpfe hinter den Ohren. Kaum, dass ich den einen in die Finger nehme, schwubbs, ist es ein Besen, mit dem ich großflächig die Werkstatt fege. Den anderen? Habe ich vergessen. – Ab ist der Zopf. Die immer gleiche Bewegung. Wie mit einer Sense, beidhändig, die Armhaltung versetzt, schwinge ich den Besen knapp über den Boden. Der Staub wirbelt hoch auf. Alte Bekannte kamen vorbei. Die Staubwolke funkelt in den flachen Lichtstrahlen. Schwebt hoch und weit und strudelt unterschiedlich schnell auf und in alles was hier so ist. Freie Lücken, Schneckenspalten, Hohlräume, wulstige Gangnischen. Es wird diesig. Nicht hell, nicht dunkel. Ein Pfeifen setzt sich aus dem Off durch, unmelodisch. Das Dunkel ist eine Einbildung von rechts nach links. Weg von den Kanälen, hin zu den Schaltverbindungen. Rötlich, mit zischendem Geräusch vermengt, setzt sich ein Bild fest. Eine Art riesen Hangar, dessen Dach und Wände sich im Nichts verlieren. Eine kathedralische Gebäudesituation. Durch Spalten bricht das Licht in viele Farben und von allen Seiten herein. Der Blick geht von oben und von unten, schräg und waagrecht. Die Kuppel verschluckt die Schatten. Winzige Gestalten schlendern und kriechen da herum. Genau betrachtet ist es eine Stadt von oben gesehen. Eine Stadt bei herbstlichem Wetter. Von Weitem hört man Krähen, Verkehrsgeräusche mischen sich unter und ein kontinuierliches Rauschen, das nicht von außerhalb stammt, mischt sich bei. Die Wolken verhindern weiteren Einblick. Das Rauschen wird zum Dröhnen. Da steh ich an der See und schaue über sanfte Wellen in den Horizont. Das Plätschern und Gurgeln über die Steinchen und den Sand, das dunkle Grün, die Wellenbewegung, hin zu mir und weit weg führend, setzt eine unproportionale Melancholie in Gang. Bei diesem Anblick laufen mir die Tränen. Hier will ich bleiben – einfach am Ufer, mit Sicht über das Wasser, hin in die Weite, ins diesige Nichts. In die Verschwemmung von Wasser und Himmel. 41 Es riecht nach Schlick, alten Algen und Salzwasserpfützen, die abgestanden in der Sonne verbraken. Möwen ziehen hämisch kichernd vorbei. Einfach Sitzen und die Zeit vergehen lassen. Es plätschert. Warme feuchte Luft breitet sich aus. Es ist kalt – draußen – und das mollige Bad ist bereitet. Schaumbad, das ist so hübsch anzusehen. Die kleinen Bläschen funkeln bunt und platzen mit leisem Pitsch. Der Einstieg ins warme, duftende Wasser ist eine kitzlige und nur schwer zu ertragende Angelegenheit. Dauert ewig. Die Zehen schmerzen, so heiß ist das Wasser und der Rest des Körpers kühlt weiter aus. Nach einigen Minuten habe ich es geschafft, bin bis über die Schultern unter Wasser. Der Hahn tropft, die Wärme umgibt mich - -----sehr schmeichelnd. Guter Mond du gehst so stille ... Laa,la,lala,lalalala. Das Wasser ist längst mit lautstarkem Gefällegeräusch abgelaufen. Die Wanne ist seit Jahren unbenutzt. Dreck und Einschläge in der Emaille überziehen die Badewanne. Zur Zierde liegt ein Skelett eines Vögelchens am Rand des Abflusses. Der Kopf ist winzig. Zarte, hauchdünne Knochenschicht. Zwei verhältnismäßig große Löcher sind zu sehen und ein leicht geöffneter Schnabel. Die dünnen Beinknöchelchen mit den Klauen sind verdreht. Eine halb volle Schaumbadflasche steht auf dem Rand. Da kommt ein Klopfen und Hämmern näher. Ein riesiger Hase biegt um die Ecke. Aufrecht, mit den Vorderläufen auf den Asphalt schlagend. In Drohgebärde bleibt er stehen. Nix wie weg von hier! So adrett geordnet und inszeniert, wie dieses Gebäude, das eigentlich einen Lebenszustand und eine Lebensposition zeigen soll, ist langweilig. Eine Rekonstruktion, deren Feinheit lediglich im Unbekannten für manche liegt. Das ist Effekthascherei und es entspricht nicht dem Original. Das ist ein flüchtiger Gedanke zur Documenta 2012. Meine physiognomischen Eigenschaften erlauben einen gezielten Einblick in die „Schaltkreise“ und hormongesteuerten Eigenschaften meines Groß- und Kleinhirns. Sie können mir durch die Ohren mitten in den Kern hören, das ist einzigartig. Meine Sehkraft ist wie die Vergrößerung eines Spezialmikroskops. Das hängt nicht mit meiner Dioptrie zusammen, sondern mit meiner Imagination. Ähnlich verhält es sich übrigens mit meinem Tastsinn und meinem Riech- und Hörsinn. Aber ich bleibe zunächst beim Sehen. Hier habe ich ein Beispiel. Kürzlich hatte ich eine kleine Verletzung am Knie. Eine Schürfwunde. Nach einigen Tagen hatte sich eine Kruste über der Verletzung gebildet, die ich, mit den Fingerspitzen befühlt, als uneben, holprig und borstig empfunden habe. 42 Das Bild dazu: eine dörrige Tonerden-Landschaft. Aus den Spannungsrissen der Erde kragten Stängel hervor. Was ich fühlte, wollte ich auch sehend überprüfen. Kann es sein, dass ich eine solche Landschaft auf meinem Knie vorfinden würde? Bei gestrecktem Bein, der Abstand von den Augen zum Knie beträgt etwas mehr als einen Meter, konnte ich nichts Außergewöhnliches sehen. Also winkelte ich das Bein an und war so mit meinen Augen etwa zwei Zentimeter von der Krustenoberfläche entfernt. Und, tatsächlich sah ich einen etwa 1 Cent großen Krustenkreis, der uneben war. Allerdings sah ich synchron, als übergeordnete Sichtfläche, eine Vergrößerung, die meinem Fühlereignis sehr nah kam. Natürlich sah ich keine Landschaft, sondern eine braunrot verdickte und vertrocknete Blutkruste, die viele kleine Risse hatte, aus denen Haarstoppeln wuchsen. Meine Beobachtung hab ich dann, mithilfe einer Lupe, verifiziert. Ich sehe, trotz einer gemessenen Sehschwäche von ca. 2-3 Dioptrien und einer Hornhautverkrümmung, vergrößert und darüber hinaus sehe ich mehr als überhaupt vorhanden ist. Dementsprechend bleibt mir eine Erlebniserinnerung, die extrem detailreich ist und mir für meine Arbeit einen immer größer werdenden Fundus anlegt. Jaaa, der wird angelegt, das tue ich nicht aktiv. Das entsteht durch die Fähigkeiten meines Gehirns, das seine Füllkapazität nach ca. fünfzig Jahren bestand, noch immer nicht erreicht hat. Leider habe ich noch nicht gelernt all die Inhalte, die mir da zur Verfügung stehen, zu verwenden. Ich laufe mir selbst immer ein bisschen hinterher. Komischerweise bin ich schneller als andere, vielleicht nutze ich ja doch mehr. Hauptsächlich Zahlenkombinationen, und Farbbeutel lasse ich ungern liegen. Das mit den Zahlen ist sehr abstrakt. Nicht das Rechnen meine ich, sondern die Zahl als Mengen- und Kombinationsangabe, als vergleichende Größe und Proportion. Als Einschlafhilfe und Beruhigungsmittel sind Zahlen, man sollte sich auf eine Zahl beschränken, ungemein nützlich. Neurotisch, hochempfindlich sind auch viele andere meiner Empfindungen und Wahrnehmungen. Nein, ich rede nicht von Angst, sondern von einer eselsgleichen Vorsicht vor möglichen Unwägbarkeiten. Und einer Aufmerksamkeit, die einer Schlange gleicht, diese Tiere spüren Vibrationen über viele, viele Kilometer entfernt. Allerdings kann man das auch Empathie nennen. Ich werde Ihnen noch mehr Bröckchen zur Interpretation und oder Analyse vorwerfen. Bitte Sie aber, mir später keine "guten" Ratschläge zu erteilen! Sie malen ja auch nicht in ein Bild hinein, das in einer Ausstellung hängt. Ein Wald ist ein Wald und keine Spielwiese für Kunst. Oder denken Sie, dass Tiere sich einem Kunstwerk hingeben, es befühlen, betrachten, aufsaugen und mit in ihren Bau nehmen wollen? Was könnte so ein Tier wohl bezahlen? Glücklicherweise brauche ich mich nicht an wissenschaftliche Termini oder die Richtigkeit meiner Aussagen zu kümmern. 43 Ich stelle mir mein Gehirn bildlich, als Wurmansammlung vor, oder als eine vierdimensionale Struktur. Die netzartig aus einzelnen, hauchdünnen, wahnsinnig vielen Fäden besteht, die sich an manchen Stellen miteinander verbinden. Relaisstationen bilden. Ein komplexes Gebilde mit Freiräumen. Da knallen manchmal, wenn zu viel Input an eine Verbinderstelle kommt, die Verteiler durch. Ein Funke, ein Zucken, helles Licht, ein Blitz, und dann herrscht mal kurz Ruhe. Manchmal verursacht durch äußere Impulse. Meist aber verwende ich diese Empfindlichkeit als Antreiber für meine Arbeit. Es ist keine Verstopfung, sondern eine zu intensive Reibung der zu nahe aneinander liegenden Transportfäden. Da schlackert ein Fadenende rum, bis er sich rekonvalesziert hat. Oder ein anderer Faden die Aufgabe übernimmt. Ob Rot Rot ist, spielt keine Rolle, sofern ich mir sicher bin, dass ich das Rot, das ich meine, benutze. Der Mond geht auf - groß und hell als wär's in Schottland - eine Kuppel wölbt sich langsam am Horizont empor. Enten quaken die Sonne herbei. Dunkel wird es nie. Nur die Ahnung der Dunkelheit verkehrt den Sinn. Ein Bach murmelt, als wär's ein Kanal, was die Dunkelheit noch heller werden lässt - Elektrogeräte summen im Off. Ein Stierkämpfer erscheint vor einem Bahnsignal - er wedelt mit dem roten Tuch - er zielt, doch trifft er die Hochspannungsleitung nur am Rand. Des Matadoren Augen leuchten kurz und feurig auf - es ist zu hell. Arabische Frauenstimmen tauchen - Auf und Ab - Bäume wiegen sich in alten Tanzpalästen - nicht zum Walzer - Enten quaken. Der kühle Hauch des Tages zieht durch stille Räume - Ein Bewusstsein scheint zu erlöschen, schon hört man ein Neues raunen - Bilder huschen durchs Gedächtnis - Enten quaken am Steg. Schiffchen schaukeln auf dem See. Die kleine östliche See murmelt sachte vom Bernstein - Anekdoten, Fetzen. Die Gischt legt sich rasch darüber - Orkane wehen übers Land - Krähen rufen am Abend wie am Morgen - sie erzählen turbulente Geschichten - Gestalten tanzen am Rocksaum - Eitelkeiten verwischen am Strand - Ein längst Verstorbener schaut vorbei und wünscht sich von Zeit zu Zeit sein Leben wieder - Ein Synthi wimmert - kein Rhythmus, eher ein Zustand macht sich breit, Gespenster gehen um am Küchenbord - aber das Rascheln und Kratzen sind die Mäuse, die über Winter ins Warme flüchten. Die Flüsse steigen an Schneeschmelze über Land - glockenhelles Lachen - Mond und Sonne treffen sich, mancher Strahl biegt an einer Ecke ab, durchstreift unbekannte Gassen - vielleicht mit rotem Band? Signale zappeln durchs Gestrüpp - Wolken ziehen vorüber - Menschen verstummen - Bilder über Bilder - Naturkatastrophen präsentieren sich harmlos. Die Kuppel wurde zum silbernen Ball am Himmel - Meersalz, Algenduft und tote Fische die Sicht ist gut - so gut es eben geht. Afrika kann man hören und von Formen träumen, die keinen Kompromiss eingehen. Der Tag ist freundlich - Wie kann das sein? Hohe Wellen verschlingen Felsen mit Lust, die sie nicht kennen und nicht haben. Der Mensch weint und lacht am eigenen Grab - Die Sonne schiebt sich dazwischen und alles ist weg. Das Wesen liegt im Individuum, nicht in der Empfehlung einer Wesenhaftigkeit. Ich erinnere an Cervantes, Don Quichotte und an Grimmelshausen „Simplicissimus“. Weder ein Ritterroman noch eine Abenteuergeschichte. Wir überhöhen unser Dasein, unser Handeln bis ins Groteske, allen Ernstes. 44 Ein Bruchteil ... 45 MOVEMENT spielen und staunen zwischen den Häusern x-qm 2011 Objekt und Bewegungsinstallation zum Projekt x-qm "wem gehört der Raum zwischen den Häusern" auf dem Friedrich-Stoltze-Platz. Auf dem Friedrich-Stolze-Platz wurden "Hickelhäuschen" aufgemalt. In der Spiele - Infobude konnten weitere Spiele, Accessoires, wie Haushaltsgummi oder Kreide und Steinchen abgeholt werden. Kurze Spiele-Erläuterungen für "Neulinge" lagen ebenfalls in der Bude vor. So konnten Passanten aus einer Laune heraus Hickelhäuschen, Gummitwist, Verstecken oder anderes spielen. Diese „kleinen“ Spiele, die ich in ihrer Einfachheit der Theorie des japanischen Wabisabi assoziiere, stehen als Aufforderung und Hinweis, unmittelbare Freude zu leben und stehen als Metapher für Kommunikation und die Einfachheit des Seins . . . 46 L‘ amis du Fantomas 2011 Das ist eine Straße hinter dem Römerberg, die Buchgasse, sie führt auf die Leonhardskirche zu. In der Buchgasse fanden Bauarbeiten statt. Um die Baustelle zu schützen, wurde eine Holzwand aufgebaut. Diese Wand ist charakteristisch und einzig zu dem Zweck des Schutzes da. Und für Künstler, die den öffentlichen Raum als Angebot sehen und spielend verwenden. L'amis du Fantomas ist ein Gelegenheitswerk, das je nach Lichteinfall deutlich oder undeutlich hervortritt. L'amis du Fantomas ist ein "verlorenes" Werk. Oneway mit verschiedenen Erscheinungsformen: Objekt (Environment) und dessen Schatten (gelegentliches Abbild). L'amis du Fantomas ist nur kurze Zeit sichtbar und vorhanden. Urbane Kunstspielerei "L'amis du Fantomas" ist eine Arbeitsreihe im und mit dem öffentlichen Raum. Kleine, temporäre Arbeiten für städtische Nischen, für leere Wände und kahle Mauern. Die Dauer der Ausstellungen ist nicht vorhersehbar. Was mit den Werken geschieht, sind sie vom Ort verschwunden, ist ebenfalls unbekannt ... Die Erscheinungsweise der Werke konzentriert sich umgebungsabhängig am Ort. 47 Fantomasi 2008 Gesichter im Vorbeigehen, Blicke die einen kurz streifen, Münder, die man im Vorübergehen erhascht, Kleinigkeiten des kurzen Augenblicks. Ob man sie je wieder sieht, oder gar wieder erkennt? Fünf Stationen, eine Position im öffentlichen Raum Frankfurt, unter dem Titel: “L’Amis du Fantomas”. Wann: ab 15. April 2008. Dauer, unbekannt. Wo: Braubachstraße graues Tor Holzgraben/ Ecke Zeilpassage Holzgraben Nr. 8 Holzgraben Holzgraben Nr. 5 Verlorenes Werk 48 WOW 2010 oder, das fehlende Kunstwerk Ein Laut der Begeisterung, der Zustimmung und Sprachlosigkeit. WOW klingt positiv und ist eine hübsche Buchstabenkombination. Lautsprachliches Bild. Ohne Konsequenz und ohne Zynismus. International verständlich durch die Prononcierung, sprechen Sie WOW mal hessisch aus. Wie gemacht für den Stadtraum. Anekdote der künstlerischen Arbeit: ... mit dickem Kreidestrich verrichte ich mitten im Stadtraum eine Subversion und, wie ich erhofft habe, werde ich von Stadtpolizisten an meiner Handlung gehindert, sehr freundlich aber bestimmt. Kreide hin, Kreide her. Eine gelungene Arbeit, bei der nichts fehlt, außer am Ende das Kunstwerk, ich musste es entfernen. Perfekt! Ambulante Handlung 2009 Interventionen oder ambulante Handlung Stehen fertig Backmischungen oder Fertiggerichte nicht schon seit Längerem auf fragwürdigem Boden? Mal auf die Kunst übertragen, die bildende, müsste doch eigentlich jeder Künstler von der Fertigmischung Abstand nehmen. Vorkonfektioniert steht es sich doch eher wacklig, bzw. zwackt der eine und andere Abnäher an der falschen Stelle. Eine Vernormung in der bildenden Kunst, thematisch wie formal, ist wie Backtriebmittel, es führt zu Blähungen und Unwohlsein. 49 Die Produzentensozietät Die Produzentensozietät ist eine Künstlerinnengruppe, 2005 gegründet von C. F. Ch. Heier und S. Abidi. Zwei - dreimal im Jahr zeigen wir und die von uns eingeladenen „varianten Genossen“, in einem offenen und einsehbaren Prozess, unsere Arbeiten und Arbeitsmethoden. Die Aktionen sind temporär. Tischgesellschaft zu Gast in der Heussenstamm Galerie 2014 "Bleiben wir doch auf dem Teppich" Essen und Kunst Speise: Gormeh Sabsi und Hadouch – persisch, marokkanisch in 3 Szenen. 1.Szene Vorspeise: Kräuter, Nüsse, Oliven, Pasten, Joghurtsauce, Rosen, Fladenbrot Minzetee aus Samowar. Schüsseln und Schalen. Mit dem Brot nimmt man die Saucen auf, Löffelchen für Kräuter und Oliven, Servietten. Zwischenszene 1 Der Tisch wird abgedeckt. Über den Tisch wird zur allgemeinen Unterhaltung ein Streifen Papier, thematisch beschriftet ausgerollt. 2.Szene Hauptspeise: Gormeh Sabsi (Lammfleisch mit Kräutern) und Hadouch (Gemüse-Topf) mit persischem Reis. Tee, leichtes Bier und Wein. Teller, Besteck, Gläser (einfache Wassergläser), Vorlegeplatten für den Reis, 2 Töpfe. Zwischenszene 2 Der Tisch wird abgedeckt. Persische, klassische Musik von Kassette (Ghettoblaster). Polaroid 10 Fotos der Szenen. 3.Szene Nachspeise: marokkanisches Gebäck und Tee. Filzstifte und Papier. Ausklang. 50 Die Produzentensozietät im Projekt x-qm 2011 Anlagen-Boutique im Untergrund Zittriges Licht, Aroma von Urin, einige Graffiti, Werbeplakate, Hall, schnelle Schritte, surrendes Geräusch von Rolltreppen, einige leer stehende Läden, Hinweisschilder. Eine Unterführung, mitten in der Stadt. Hier hält man sich nicht auf! Doch!! Um genau zu sein, hat sich die Produzentensozietät 7 Tage im Untergrund aufgehalten. Jeder konnte kommen und darüber staunen. Ventilierung und Irrlichterei der Produzentensozietät Programm: Ortseinfühlung: Betrachtung und Dokumentation eines Tages in der Unterführung. (8 Stunden sind kein Tag). Konkretisierung: situationistische Choreografie. (grafische Darstellung von Untergrundbewegungen originaler und fiktiver Spuren). Kartenspiel, Kaffee und Kuchen. Sieht man im Untergrund besser? Verwerfung: situationistische Interventionen mit Nadel und Faden. Seemannsgarn, langes Fädchen, faules Mädchen, der rote Faden hängt am Haken, Restgarn knüpfen. Entwirrung, Auflösung und Fragestellung. Zwischenspiel: 90 Minuten Plätzchen. Ein urbanes Spiel mit dem Spiel. Ortsausgang: Abrechnung: 1+2+3+4= >oder<10. 51 Zu Gast im Künstlerkreis Kelkheim - Märchen Collage aus den Tiefen der Erinnerung Titel: Mähähä, Mähähä, ich bin so satt, ich mag kein Blatt... Performance zur Eröffnung Die Produzentensozietät zu Gast im Yachtklub Frankfurt 2010 Titel: Qué será …Urbs phonie - Eine auditiv-visuelle Installation mit variantem Genossen. Urbs phonie – bedeutet bei dieser Installation, akustische Eigenarten der Stadt und der unmittelbaren Umgebung des Yachtklubs in einer auditiv-visuellen Verschmelzung (Ton, Lichtbild, Musik, Bootsfahrt mit Schiffen) zu arrangieren. Material: Plattenspieler (Dj-Anlage), Laptop, Beamer, Projektionsfläche, Gummiboot, Paddel, Papierschiffchen. Dauer: 2 - max.3 Stunden. Sanfter Ausklang. Auf dem Main ist uns eine seltsame Gestalt erschienen, weiß und schaumig sah die Gestalt aus, mit riesiger Flosse. Kunst schafft neue Dimensionen, macht Unsichtbares sichtbar, hier ist der Beweis, die Mär vom Wal im Main ist wahr. 52 Überraschung im Vorübergehen - 2008 Interventionistisches Kunstprojekt im Wagnerraum. Dieser kleine Laden ist etwas Besonderes. Jahrzehnte wurde er von einem "Unsichtbaren" künstlerisch genutzt. In diesem Kunstkarton war die "Hölle" los. 25 Jahre, etwa alle 6 Wochen gab es einen Umbau. Eine neue Raumsituation war zu sehen. Seit etwa 2 Jahren wird der Raum nicht mehr so rege bespielt. Vier Wochen lang haben wir das geändert. Die Entwicklung neuer Arbeiten unter öffentlichen Bedingungen steht im Zentrum unseres Projektes. Nicht das einzelne Werk, sondern die interventionistische Situation, die Gesamtheit des Projektes ist das Werk. Wir konstruieren transitorische Bedingungen. Einführung Auf unser hochkomplexes Werk verweisen wir mit zwei Miniaturen, und merken mit einem Zitat von Samuel Beckett aus „Das Gleiche noch mal anders“ an: "Glücklicherweise geht es nicht darum zu sagen, was noch nicht gesagt worden ist, sondern wieder zusagen, und zwar so oft wie möglich, auf möglichst engem Raum, was schon gesagt worden ist. Sonst verwirrt man die Amateure ... Also, das Gleiche noch mal anders, weil dasselbe niemals zweimal passiert." 53 Variante Genossen der Produzentensozietät im Wagnerraum 54 Frankfurter Kunstorte Friedberger Platz "Verehrte Gäste, treten sie bitte nicht an die Wände, verschmieren sie bitte nicht die Scheiben und achten sie beim Eintreten auf die fünf Stufen! - Vorsicht! Guten Abend, sie befinden sich in einem Produzentensozietätsraum, das ist so was wie ein Labor oder der OP Saal im Krankenhaus. Bzw. äh, wie sagt man? Ach ja, der Ausstellungsraum. Situationsbedingt haben wir es hier mit einem Umgebungsraum bzw. mit einem transitorischen Raum zu tun ..." 55 90 Minuten Plätzchen Beitrag der varianten Genossin Pa. Sch. Moh. Heute ist Kaiserwetter in Frankfurt. Ich warte auf der Verkehrsinsel am Park auf grünes Licht. Ein vielgliedriges Autoschlangentier braust an mir vorbei und aus dem Park auf der anderen Straßenseite lockt der kunterbunte neue Spielplatz. Ein sonnengeflecktes Nachmittagsgrün am Weg zu den Hauptumschlagplätzen von Ware gegen Geld. Ach, verweile doch hier. Etwas weiter entfernt, auf der Wiese, sehe ich einen Fleck, der da nicht hingehört, so als wenn sich der Pointillist vertupft hätte, als er den Spielplatz gemalt hat. Endlich Ampelgrün, weiterschlendern und nachschaun. Neugier überkommt mich. Niederfrequente Fußballschallwellen dringen aus einem Fernseherchen, der auf dem Rasen steht, dort, wo sich die Wege kreuzen. Umgelegte Bierkästen und der Flimmerkasten und sonst keine Fußballseele da. Einpaar unschlüssige Minuten lasse ich noch vergehen, bevor ich mich niederlasse. Es ist WM und ich schaue Fußball. „Na, sie ham es sich aber gemütlich gemacht, junge Frau, wie viel stehts denn?“ Ein in explodierende Farbe gekleideter älterer Herr steht neben mir. „Nehmnse Platz, mein Herr und schaunse selber“. Sein Hund leckt mir die nackte Fußsohle. Wir schauen nun gemeinsam mit Tunnelblick auf das Geschehen. Eine Mutter ruft ihre Kinder zurück: “Nein, nicht dahin gehen“! Anton Kirchner lächelt milde von seinem grünspanigen Denkmalsockel herunter. Denk mal. Da fährt eine Brise durch die Platanenbaumkronen hoch über uns und ein Blätterrauschen ist vernehmbar in der Sekunde, in der die Stadt schweigt, weil das Schlangentier an der Ampel ruht und der Reporter gerade mal nichts sagt. 90 Minuten Plätzchen steht auf dem Pappsitzkissen. Einige von der Gesellschaft vergessene Mitbürger von der Trinkhalle am Parkrand prosten uns mit Flaschenbier zu. Kinder vom Spielplatz stehen plötzlich da und gucken. „Wer spielt denn?“ Ich bin ja hier der Gastgeber, sozusagen der Pionier dieses Örtchens – war ja der Erste, der sich getraut hat, auf dem Plätzchen zu sitzen. Ich lächle also ein ermunterndes Lächeln und die Kinder lassen sich nieder. Sandige Sandalen neben mir. Ein Pärchen diskutiert hinter uns den Spielstand, eine Dame mit Hündchen geht derweil kopfschüttelnd vorbei und dreht sich dann doch einige Male um. Der Verkehrslärm weicht zurück, wird zum niederfrequenten Stadtrauschen um die kleine Gemeinschaft, dieses Inselchen herum. Schlusspfiff. Die Kinder rennen zum Spielplatz zurück, der Mann in explodierenden Farben und ich erheben uns träge. Wo wollte ich eigentlich noch mal hin? Nachtrag: Letzte Nacht hatte ich einen Albtraum, ich war wieder am 90 Minuten Plätzchen, und diesmal stand auch eine Würstchenbude da und ein Caipistand. Fahnen wehen, es ist geflaggt. Pa. 56 Kiosk - Environment 2000 Der Kiosk ist als semi-transparente Installation im öffentlichen Raum entwickelt. Der Kioskkörper besteht aus transparentem Plexiglas - die Wandung ist silhouettenscheinig - die Transparenz lässt die Verschmelzung des äußeren Erscheinens - Körperoberfläche - mit dem Inhalt - Aktivität - geschehen. Die Umgebung - beteiligt wie unbeteiligt - ist ein unausweichlicher Bestandteil des Kiosks. Besucher und Passanten sehen einander von innen nach außen ebenso wie von außen nach innen und integrieren sich so mit der Raumskulptur. Der Raum mit Inhalt tritt metamorphisch in Erscheinung. Es ist ein Versuch meine Idee der Komplexität von äußerer und innerer Eigenschaft einer skulptural - räumlichen Arbeit im/mit dem öffentlichen Raum wiederzugeben. Dieser Raum ist eine Skulptur, er ist mobil und im Public Space erlebbar. 57 Einführung Transkription “... und nicht nur Hopes geschaffen hat, sie hat auch ein Projekt in Gang gesetzt, das Aktionsfläche für weitere Künstler ist, in den nächsten Wochen. Heute feiern wir die Eröffnung des Kiosk Environments. Der Kiosk wird in den nächsten Wochen durch Frankfurt wandern. Um es vorwegzunehmen - ich erkläre jetzt nicht, was dieser Kiosk zu bedeuten hat, ich werde jetzt keine Gebrauchsanweisung zur Rezeption geben. Wenn ich mich dem Begriff Kiosk systematisch nähere, betrachte ich zunächst den Begriff Kiosk und die Bedeutung Kiosk, die eine alltagspraktische Funktion hat, was Cornelia sehr schön in ihren Einladungen erklärt, was ein Kiosk eigentlich für eine Funktion hat, was er leistet. Das spontane Einkaufen, wenn man was vergessen hat, spontanen Gelüsten nachgeben, wenn man tagsüber etwas vergessen hat, abends kann man diese Dinge noch schnell am Kiosk kaufen. Nicht in allen Städten gibt es Kioske. Z. B. in Wuppertal gibt es keine Kioske, und da vermisst man Kioske ganz furchtbar, wenn einem da abends um 9h einfällt, dass man noch ein Bier trinken möchte oder noch etwas zu besorgen hat, muss man an eine Nachttankstelle mit dem Auto und merkt, es ist ein struktureller Mangel keinen Kiosk zu haben. Als ich wieder in Frankfurt war viel mir auf, dass in Stadtteilen wie Bornheim, Nordend oder auch Bockenheim, Kioske eine Zäsur sind in der Architektur. Wir haben klassischerweise einen Block, eine Ecke, einen Kiosk, eine Querstraße, einen Block, eine Ecke, einen Kiosk und wieder eine Querstraße - so schön ist es in Frankfurt. ... und wenn ich mir vorstelle, dass dieser Kiosk durch Frankfurt wandert und ein Gedankenexperiment mache - wenn wir uns sehr, sehr langsam durch Frankfurt bewegten - dann würden wir auch diesem Kiosk in regelmäßigen Abständen begegnen wir müssten langsamer sein, als er auf- und abgebaut wird. Woher kommt das Wort Kiosk? - Es hört sich nicht besonders hessisch an, Hessen sagen 58 auch ab einer bestimmten Promillegrenze, Waasserhäussche oder Trinkhalle, Kiosk muss eben deutlich ausgesprochen werden. Kiosk wurde im 18. Jh. Aus dem französischen Kiosque entlehnt und bedeutet offener Gartenpavillon. Ursprünglich stammt das Wort aus dem türkischen Kösk, Cornelia Heier sagt, eigentlich aus dem persischen Kušk. Die moderne Bedeutung erfährt der Kiosk im 19 Jh., das war die Zeit, in der die Kioske in der Stadt Einzug fanden. Also, ein Kiosk ist ein Gartenpavillon. Wenn ich mir jetzt genau angucke, was ist das hier für ein Ding und was macht dieses Kiosk Environment eigentlich aus, dann merke ich schon an dem Namen, das ist keine Trinkhalle und kein Wasserhäuschen, das ist ein Kioskenvironment - das ist ein Zungenbrecher. Wir sehen einen fliegenden Leichtbau aus Kunststoff - ein Leichtbaupavillon in Anlehnung an einen Gartenpavillon, dieser Leichtbaupavillon hat ein Fenster, was für Kioske typisch ist, in einem Kiosk dient dieses Fenster der Warenausgabe - hier können ebenfalls Waren aus dem Fenster ausgegeben werden, im Unterschied zu unserer bisherigen Kioskerfahrung fehlt aber ein Hinweis auf diese Ware. Normalerweise hängen Schilder und Plakate von Coca-Cola, Henningerbier etc. Also wir sehen, aha - der Kiosk ist kein Kiosk. Ein Indikator für Autonomie von Kunstwerken ist, dass sie sich vermitteln, auch wenn sie aus der Rahmung Kunst herausgenommen werden. Ein Beispiel, ein Bild von Jackson Pollock - mit den Farbklecksen, wenn es nicht im Museum hängt, sonder in einer Druckerei auf einer Druckmaschine liegt und wir hinschauen, wissen wir es ist kein Papier mit zufälligen Farbklecksen, sondern ein Kunstwerk und so ähnlich verhält es sich mit diesem Kiosk, er steht nicht in einem Museum, sondern in einem Stadtteil wo wir in einem Radius von so 5 min. Fußweg viele Kioske finden und trotzdem wissen wir sofort es sieht aus wie ein Kiosk, aber es ist ein Kioskenvironment. Also, normalerweise werden bei Eröffnungen andere Kunstwerke herangezogen - das möchte ich nicht tun, dennoch fällt mir ein Bild ein, das ich zitieren möchte - es ist von Magritte - die Pfeife - das er gemalt hat. Das Bild einer braunen Pfeife und unten drunter steht - çeci n’est pas une pipe - dies ist keine Pfeife - es ist eine gemalte Pfeife und das Bild trägt den Titel - das ist keine Pfeife. Und wenn wir in der Kunstgeschichte zurückdenken haben Bilder meist einen Titel, der auf das verweist, was sie abbilden - z. B. der Mann mit dem Goldhelm, die Frau des Kardinals, Sehnsucht im Abendrot - man sieht an dem Bild, das es keine Pfeife ist, man kann auch keinen Tabak daraus rauchen, so ähnlich ist es mit diesem Kiosk - dies ist kein Kiosk, sondern ein Kioskenvironment. Es ist kein Häuschen, sondern ein Plastikhäuschen, es ist auch eine Plastik - es ist keine Trinkhalle, sondern eine Sehhalle, und zwar sehen mit - h - und das Fenster dient nicht zum Abverkauf von Kunstwerken, sondern der Inszenierung vom Abverkauf von Kunst - es hat also etwas mit der Wahrnehmung eines Kiosks zu tun und weniger mit der Funktion und auch das Licht sagt mir ganz klar, das ist nicht das Licht eines Kiosks - keine Bonbonillumination, es ist das Licht eines Environments." (Dipl. Soz. Kristine Erdmann) 59 Ein Experiment mit Weingummifarben und Weingummigeruch Galerie Simon Dach Str. Berlin bei Ebner und Stein. Zwischenspiel 60 ZWISCHENSPIEL OT 61 Verteilung im öffentlichen Raum Dresden 1999 Verteilerkasten – Zeichen Exposé Zeichen sind visuelle und akustische Hilfsmittel der Orientierung. Wir reagieren auf Zeichen ihrem Symbolgehalt entsprechend. Ein Apfel ist Zeichen für einen Apfel, für eine Jahreszeit oder eine Region, er kann Zeichen für die biblische Geschichte sein wie für ein Märchen oder Helden. Eine Verpackung ist Zeichen für eine Verpackung und trägt Zeichen für ihren Inhalt, sie kann auch Zeichen für Verpackungsmüll, somit Umweltverschmutzung sein. Zeichen können vom Inhalt different sein und in die Irre leiten. Beim Überqueren einer Straße reagieren wir auf visuelle Zeichen kombiniert mit akustischen Zeichen (Ampel, Fahrzeuggeräusche, Zebrastreifen). Die allgemeine Verkehrsordnung wird uns anhand von Verkehrszeichen verdeutlicht. In Geschäften reagieren wir auf Markenzeichen oder Sonderangebotszeichen (Ausrufezeichen, Sparschwein, etc.). Der öffentliche Raum ist gespickt mit Zeichen, die für uns eine aktuelle, unmittelbare Relevanz besitzen, aber auch mit Zeichen, die wir kaum wahrnehmen, weil sie keinen erkennbaren Nutzen versprechen. Zu diesen Zeichen, die ihre Relevanz verbergen, sie aber dennoch haben, gehören Verteilerkästen. Die Verknüpfung der Zeichen, unsere Seh- und Kombinationsgewohnheit, gewährleistet das richtige Zuordnen. V-I Betrachtung des städtischen und öffentlichen Raumes in Bezug zur optischen Erscheinung von Verteilerkästen Eine Stadt ist optisch durch ihre Architektur, Verkehrsadern und Plätze geprägt. Die Proportion dieser Elemente zeigt die städtische Struktur und damit ihre Entwicklung und Geschichte. Das Gesamtbild entsteht durch die Proportion dieser Elemente. Der städtische Progress unterliegt vielen Veränderungen z. B. Wachstum und Schrumpfung, Aufbau und Abriss, die eine Optimierung und Funktionalisierung zum Ziel haben. Das Verhältnis von Wirtschaftlichkeit und Wohnlichkeit der geplanten Veränderungen muss sensibel und stimmig bedacht sein. Das urbane System besteht im Vernetzen und Verknüpfen aller Aspekte. Ein Bereich ist die Energie, also Stromversorgung. Um diese flächendeckend zu gewährleisten, müssen Kabel und Rohre verlegt sein - diese teilen und verzweigen sich. Ihr Aufbau ist in Weichen und Knotenpunkte systematisiert und kategorisiert. Die Komplexität des Systems manifestiert sich im Funktionieren des städtischen Apparates. Einige der Knotenpunkte sind optisch in Form von Verteilerkästen erkennbar. Sie gehören zum ästhetisch reizlosen Detail einer Stadt, sind gestalterisch kreative Unterlassungen. Jeder andere erdenkliche Platz einer Stadt bzw. ein Detail, das solchermaßen omnipräsent ist, wurde designet. Um diese "Verpackung" wird gekämpft, sie wird empfohlen, eingefordert 62 und verordnet. Die Ergebnisse sind nicht selten peinlich. Die visuelle Reizlosigkeit des Verteilerkastens hat dennoch System, sie sind nicht als kulturelle Pralinés des städtebaulichen Konzepts erdacht, sondern als Protektoren ihres Inhalts. Spezifizierung Verteilerkasten Verteilerkästen - oder wie im Fachjargon üblich nur "Verteiler" genannt, dienen der Verteilung von Elektroenergie in öffentlichen Stromversorgungsnetzen, in Industriekomplexen und Bahnstromnetzen. Sie werden in Netzen der Stadtbeleuchtung, Straßenbeleuchtung und zur Übertragung von Informationen sowie Signalen in drahtgebundenen Kommunikationsnetzen der Telekommunikation oder der Verkehrssteuerung eingesetzt. Die Zentren, d. h. die Schaltanlagen und Kabelweichen sowohl für den öffentlichen als auch für den privaten Raum, werden an leicht zugänglichen Orten im öffentlichen Raum platziert, um eine unkomplizierte und reibungslose Wartung zu gewährleisten. Gruppen von Verteilerkästen weisen auf eine Konzentration von Stromschaltanlagen hin. Die Kästen bzw. die Weichen befinden sich an Straßenrändern, Verkehrsinseln, auf Wiesen oder nah an Häusern. Verteiler sind Protektoren. Die Gestaltung des Verteilers folgt der Funktion Verteilerkästen sind unerlässlich in einer Stadt oder Gemeinde, sie sind allgegenwärtig und doch nicht in das programmatisch gestaltete Gesamtbild einer Stadt integriert. Man kann die Verteiler als ästhetische Kontrapunkte ansehen, deren Design die Funktion nicht optisch aufnimmt, sondern eher verbirgt und doch auf sie dahingehend gerichtet ist, den Inhalt möglichst zu schützen und in diesem Sinn unauffällig zu sein. Dennoch besetzt der Verteiler in gleicher Vehemenz wie andere städtische “Kleinodien” eine ästhetische Stellung im öffentlichen Raum. 63 Verteilung Auf dem Verteilerkörper befinden sich spezifische Merkmale die den Inhalt kommunizieren, ebenso wie unspezifische Zeichen und Graffitis, die Kommunikation bedeuten. Der Inhalt und der Körper sind Kommunikationsträger, mithin ist der Verteilerkasten ein Synonym für Kommunikation. In diesem Sinn steht die Kolonie als Animation zur Verteilung von Gedanken im öffentlichen Raum. V - II Gedanken, Semiotik Gedanken Verteilen, abgeben, Gestrüpp, Nerven, Leitungen, Verbindungen, Vernetzung, Kommunikation, Mitteilung, Austausch, Übertragung, Zeichen, Ikon, Symbol, Sprache, Verständnis, Assoziation, Verknüpfung, Erfahrung. Kein Zeichen kann alleinstehend ein Zeichen sein. Was bedeutet, dass jedes Zeichen erst zum Zeichen wird und kommuniziert, wenn es entweder ein Ikon, ein Index oder ein Symbol ist. Was sind Symbole, Zeichen und Ikons? Wie funktionieren sie, was lösen sie aus, was sind die Unterschiede, wie bauen sie aufeinander auf? Semiotik Ein Ikon ist ein Zeichen, dessen zeichenkonstitutive Beschaffenheit eine Erstheit ist. D.h. die Erkennbarkeit des Ikons ist von seinem feststehenden, bestimmten Zeichen abhängig. Dies aber unabhängig vom Objekt, das Ikon kann in einer existenziellen Beziehung zu einem Objekt stehen, ohne dass das Objekt existent ist. Beispiel: Das Bild eines Dreiecks in Gedanken ist eine Repräsentation von allem, was ihm auch immer ähneln mag, und zwar deswegen, weil es die Qualität der Dreieckigkeit besitzt. Was bedeutet, dass ein Ikon in der Phantasie existieren kann. Ein Index ist ein Zeichen, dessen zeichenkonstitutive Beschaffenheit in einer Zweitheit oder einer existenziellen Relation zu seinem Objekt liegt. Ein Index ist als Index nur zu bezeichnen, wenn sein Objekt und er selbst individuelle Existenz besitzen. Beispiel: Ein deutender Finger ist ein Index. Das indizierte Objekt muss tatsächlich vorhanden sein. Wichtig zu beachten ist, dass Indices unterteilt, sind in jene, die als Zeichen nur auf eine Weise wirken und jene, die als Zeichen desselben Objekts in zwei Weisen wirken. Aus der letzteren Gruppe sind besonders jene Indices wichtig, mit denen Ikons verbunden sind. (So ist ein Wetterhahn nicht nur ein Zeichen des Windes, weil der Wind tatsächlich auf ihn wirkt, sondern er ist außerdem dem Wind ähnlich in Bezug auf die Richtung, die dieser einnimmt). Ein Symbol ist ein Zeichen, dessen zeichenkonstitutive Beschaffenheit ausschließlich in der Tatsache besteht, dass es so interpretiert wird. Dies ist eine Gewissheit, die auf einem Gesetz beruht. Jedes Wort ist Symbol und dies ist es, weil es unendlich wiederholbar ist, ohne seinen Sinn zu verändern. Ein Symbol ist also ein allgemeines Zeichen, und als solches hat es die Seinsweise einer Gesetzmäßigkeit. Charles S. Peirce / Phänomen und Logik der Zeichen 64 Anwendung Der Kasten ist die Verpackung Sein Ikon (roter Blitz) vermittelt den Inhalt. Sein Index (I. d. Nummer) beinhaltet Funktion, Standort und Bautyp. Analyse: Der Index verweist auf den Inhalt, der Inhalt ist existenziell, der Index ist der Inhalt. Ikon und Index transportieren Bedeutung unabhängig von dem Trägermaterial oder der Form. Durch die Verschmelzung von Zeichen und Träger wird die Funktion und der Inhalt des Verteilerkastens impliziert. Der Verteilerkasten symbolisiert die Symbiose aus Ikon und Index. Installation - Die Verteilung Der Kasten bleibt real existierend und unberührt an seinem Standort, nur die I. d. Nummer wird in freier Formatierung übernommen, und als Kennziffer andern Orts präsentiert. Die Kennziffer ist Ikon für die I. d. Nummer, welche für den Inhalt, den Standort, den Bautyp und die Verteilung des Stromes steht. Die Kennziffer verweist mithilfe eines Stadtplanes und einer schematischen Standortdarstellung auf die existierenden Verteilerkästen. Die Verteilung findet durch einen Kreisverweis der Kennziffer zum eigentlichen Träger der kompletten Information statt. Behauptung: Denken wird mittels Zeichen vollzogen. Jedes Symbol ist ursprünglich entweder eine Vorstellung der bezeichneten Idee oder eine Erinnerung eines einzelnen Vorkommnisses, einer einzelnen Person oder eines einzelnen Dings und mit dessen Bedeutung verbunden. So verstanden verbinden sich die Zeichen durch den dynamischen Prozess zum fixierten Ziel. Werden die bezeichneten Wege verfolgt, schärfen sich peu a peu die Sinne auf das Erkennen des Ziels. Die Nummer nimmt somit in der Assoziationsgeschwindigkeit des Suchenden Körper an. Die Verknüpfung von Nummer und Objekt beginnt. Gleichzeitig verknüpfen sich die Erfahrungen im öffentlichen Raum. Ein aktiver Prozess findet statt, der ein physisches wie psychisches Erleben bedingt. Dieser Prozess bedeutet Bewegung und Wahrnehmung im Raum, in Proportionen und gegenseitigen Verhältnissen, er ist räumlich, perspektivisch und dimensional. 65 Das Strömungskombinat 98 ... ...ist ein Künstlerlabel, das im August 1998 in Dresden, anlässlich der Ausstellung “ streetlevel” (an einem sonnigen Nachmittag) von Cornelia Heier - Ffm und MV Stein - DD gegründet wurde. Unter diesem Label wird die Raumfahrt im Alltag, in Fokussierung von Alltäglichkeiten untersucht. Die Ergebnisse werden in verschiedenen Raumsituationen - nicht ortsgebunden - gezeigt. Präsentiert werden Beiträge in Wort, Bild und Klang. Die Installation Das Forum für die thematische Bearbeitung ist ein Gebäude der ehemaligen Dresdner Verkehrsbetriebe. Projekt “ Raumfahrt im Alltag “ eine in Bewegung befindliche, visuelle und akustische Installation. Eine Raumnutzungsdefinition findet statt für die Themen, Lichtbild, Film und Vortrag und Verköstigung. Die Installation bildet sich durch Beiträge von Personen verschiedener Fachbereiche (Film, Komik, Architektur, Musik, Wissenschaft, Bildkunst). Vier Innenräume werden ihrer Entsprechung nach erheblich umgebaut, farblich nuanciert und ausgeleuchtet. Die Installationsmetaphorik bietet jetzt an, durch die Beiträge konkretisiert zu werden. Kurzbeschreibung der Ton und Bild Installationen Manfred Lauffer, super 8 Filme Gründerzeithauseingang auf der Pfotenhauerstraße. Die Aufnahmen beleuchten den Zustand und die dekorative Vielfalt. Auge, Vortrag über Superhelden in der Comic Welt. Der Vortrag durchleuchtet die Stellung von Supercomichelden. Tobias Schmid, „Stramm“ eine Performance, die sich mit Geschwindigkeit von Bewegung in Realzeit auseinandersetzt und damit ein alltägliches, individuelles Erleben zum Thema hat. B64 Raststätte, eine Performance, die den Teilnehmer benutzt. b64 existiert als Jour fix seit 10 Monaten jeden Mittwoch in Frankfurt. Tim Edler, Kunst und Technik Vortrag über virtuelle Räume. Dia Vortrag über ein Berliner Projekt, Spree Bad, Museumsinsel, Urbanisierung für Menschen. Pfelder, musikalischer Beitrag. Matusch, musikalischer Beitrag. Vollbrecht, vinylieren - M.f.j.L. + Interview mit den teilnehmenden Künstlern von street level. Remco, Tappo Kontakt dj Niederlande - chinesische Wandbehandlung. Rene Römert, Betonskulptur. Prof. Funk, Strömungsverläufe im menschlichen Körper. Dia + Vortrag über alles, was im menschlichen Körper fließt, sich verteilt und dies ganz alltäglich ist, ohne dass wir davon wissen. Cornelia Heier, Installation Smog setzt sich mit der Luftverschmutzung und deren Messung auseinander. Luftverschmutzung ist eine Alltäglichkeit, der wir uns aussetzen und die wir produzieren in unserem Raum und diese durch Bewegung weiter führen. Drum Force, Percussion in vier Räumen, Premiere. M. V. Stein/Heier, Sensation du Froid - ein Kältekabinett zelebrierte Kälte im Raum. t.a.g., slabamba: Dia Vortrag. Bestätigungsinstitut, ein alltäglicher Akt: Wirklichkeit entsteht durch Wiederholung und Bestätigung. In einer fortgeschrittenen bürokratisierten Gesellschaft regiert der formalisierte Akt. Identität wird entlang millionenfach wiederholter, vorgegebener Muster konstruiert. Alles, was nicht schon durch dieses System der formalisierten Akte erfasst ist, fällt weg, als würde es nicht existieren, als sei es nicht relevant für gesellschaftliche Zusammenhänge. Oder es wird in einen Bereich der Privatheit verwiesen - einen Raum der angeblichen Freiheit vom Staat, den es in dieser Form gar nicht geben kann. Klang K - Pelle, elektronische Klangskulptur in simultaner Entstehung. dj Rolle, AbschlussStrömung. 66 MIX Spielerei 67 Das war‘s, es hätten mehr Beispiele sein können... natürlich auch viel weniger... IN EINIGER ZEIT WERDEN SIE EINFACH NOCH MEHR SEHEN KÖNNEN. In der Zwischenzeit besuchen Sie meine Ausstellungen, meine Projekte und kommen Sie mich in meinem Atelier besuchen... C. F. Ch. Heier Mit freundlicher Unterstützung durch das Kulturamt und das Grünflächenamt der Stadt Frankfurt und Fam. Reitzlein, Fritz deutschlanD e.V., Dr. H. Gundermann, Fa. Ströer, Fa. Röhm, HfbK Dresden, I. Dudek, Fa. Florschütz, Fa. Steinschlag, R. Rheinboldt, St. Hildebrand, Schweizer National Versicherung, Drewag, Fa. Martincolor und vielen anderen Freunden... Besonderer Dank an: Parwin Sch. M. 68