Heierkatalog - Cornelia Heier

Transcrição

Heierkatalog - Cornelia Heier
AUSWAHL IN BILD UND TEXT
Prolog
S 6 - 8
Hirondelle Interims Atelier
S 9 - 15
Metaphorik eines emotionalen Zustands
S 16 - 20
Signalement
S 21
Hope
S 22 - 35
Das Zimmer der Dolores
S 36 - 38
Partition
S 39 - 40
Das Zünglein + Das große Vergessen
S 41 - 45
Proust als Metapher - Künstlerinnen Gehirn
S 46
Movement - Spielen und Staunen zwischen den Häusern xqm
S 47 - 48
Fantomas
S 49
Ambulante Handlung Interventionen
S 50 - 56
Produzentensozietät
S 57 - 60
Kiosk Environment
S 61
Zwischenspiel
S 62 - 65
Verteilung im öffentlichen Raum
S 66
StrömungsKombinat
S 67
Mix Bilder
S 68
Das war‘s
Bild Skulptur Objekt Installation Audio
Werke mit dem öffentlichen Raum
Ein Arbeitsschwerpunkt meiner Arbeit ist Kunst mit dem öffentlichen Raum. Ich realisiere
kleine und große, installatorische, objekthafte und skulpturale Werke in Korrelation
bestimmter Umgebungen - Stadt, Land, ...
Jede im öffentlichen Raum realisierte Werkreihe, ob eine Skulptur oder eine bildnerische
Arbeit, folgt dem Hintergrund ausgiebiger Beobachtungen und Reflexionen der jeweiligen
Umgebung.
Manche Arbeiten sind "verlorene" Werke.
Fester Bestandteil meiner künstlerischen Arbeit ist die diskursive Auseinandersetzung, sowie
partizipative Projekte verschiedener Positionen und zwischen interdisziplinär arbeitenden
Künstlern/innen.
Andere Schwerpunkte meiner künstlerischen Arbeit sind Objekte, Collagen, Zeichnungen
Bilder, Performance und Audiocollagen.
Die Werke folgen inhaltlich meiner Auseinandersetzung mit dem menschlichen Sein
(Handlung, Wesenhaftigkeit) z. B. als Auflösungsprozess.
Ein Reflexionsschwerpunkt ist die Infragestellung der Wirklichkeit und der eigenen Existenz.
Es geht also nicht in erster Linie um Formen, Farben oder Dimensionierung,
sondern um Gedanken, Konzepte. Um das Herstellen von Zusammenhängen und die
Auseinandersetzung mit urbaner Umgebung. Skulptur und Raum sind eins. Oben und unten,
vorne und hinten. Eine Frage des Verständnisses, nicht der Betrachtungsoberfläche.
Ein unabhängiger, werkoffener Kunstaspekt mit partizipativer Perspektive...
Mit dem öffentlichen Raum umzugehen meint für mich, einen zärtlichen Umgang mit den
Menschen zu pflegen. Es bedeutet Kommunikation.
Allerdings bin ich auch der Ansicht, dass der öffentliche Raum oft als Transitstrecke benutzt
wird. Das hängt sicher nicht allein mit der architektonischen oder planerischen Erscheinung
zusammen, sondern auch am Nutzer.
„Wer seine Kinder nicht durch den öffentlichen
Raum laufen lässt, ihnen nicht die Möglichkeit
gibt selbstständig Raum zu erleben, zu definieren und ihn zu bespielen, wird sich kaum selbst
in diesem schauend oder spielend bewegen.“
(Hamm 1982, 25;)
Aber genau darum geht es, spielerisch, offenen Auges und mit offenen Sinnen die Umgebung wahrzunehmen. Hierbei spielt es keine Rolle, ob vom Standbild die Rede ist oder vom
Abfallhaufen.
Mir ist der spielerische Umgang mit der Umgebung in Bezug auf meine Arbeiten wichtig.
Mit verschiedenen Methoden (oder Hilfsmitteln) versuche ich, den expliziten Besucher oder
den zufälligen Passanten zur Interaktion mit dem Werk zu bewegen.
Unter öffentlichem Raum verstehe ich die Stadt oder das Land, den simulierten-, den medialen,
den virtuellen Raum.
„ … Indem wir Räume in oftmals höchst komplizierten arbeitsteiligen Prozessen produzieren, produzieren wir
gleichzeitig ihre soziale Bedeutung, und jedes Kind, das lernt, mit dem Raum umzugehen, erlernt gleichzeitig
die Regeln, mit deren Hilfe es die den Räumen anhaftende Symbolik entschlüsseln kann …“
(Hamm 1982, 25;)
Der öffentliche Raum wird beplant, umgebaut, steckt voller Angebote und Verbote, ist angehäuft von Geschichte und Zukunft. Er ist eine logistisch organisierte Zuordnung architektonischer, akustischer, olfaktorischer und optischer Signale, die die Bewegungsabläufe und die
Wahrnehmung jedes Einzelnen beeinflussen.
Er konstituiert sich durch die Schichtigkeit und die gegenseitige Bedingtheit. Eine Stadt, eine
Siedlung, ist von Innen- und Außenraum geprägt - oder, wir werden nass oder wir werden
nicht nass. Die unterschiedlichen Bedingungen verursachen unterschiedliche Verhalten. Erleben ist an diese Differenzierung gebunden.
Hierzu ein paar Beispiele:
Straßen - und Wegführung, Treppe hoch, Treppe runter, links, rechts, geradeaus, nach unten
oder nach oben, Brücke oder Tunnel, im Fortbewegungsmittel oder zu Fuß, drinnen oder
draußen, auf dem Wasser, der Straße oder in der Luft, auf dem Land - womit auch Dörfer
gemeint sind, oder in der Stadt. Dazu kommen klimatische, optische, akustische und Geruchseigenarten.
„ …Die Entstehung des Raums ist ein soziales Phänomen und damit nur aus den gesellschaftlichen
Entwicklungen heraus, das heißt auch als prozesshaftes Phänomen, zu begreifen. Raum wird konstituiert
als Synthese von sozialen Gütern, anderen Menschen und Orten, in Vorstellungen, durch Wahrnehmungen
und Erinnerungen, aber auch im Spacing durch Platzierung (bauen, vermessen, errichten) jener Güter und
Menschen an Orten in Relation zu anderen Gütern und Menschen. Die Konstitution von Raum, Synthese
und Spacing, vollzieht sich im Alltag vielfach in Routinen. Über die repetitiven Handlungen werden räumliche
Strukturen rekursiv reproduziert. Räumliche Strukturen sind in Institutionen eingelagert, die durch relationale
Platzierung und das Wiedererkennen bzw. Reproduzieren dieser Anordnungen repetitiert werden. Räumliche
Strukturen sind eine Variante gesellschaftlicher Strukturen …“
(Martina Löw - Raumsoziologie)
Fester Bestandteil meiner künstlerischen Arbeit ist die diskursive Auseinandersetzung
verschiedener Positionen zwischen interdisziplinär arbeitenden Kreativen.
Interims Atelier "Hirondelle" Erweiterung der Kunstzone
„Hirondelle“, November 2014 in Rödelheim, Westerbachstraße 29.
Das Interims Atelier, eine ambulante
Kunsthandlung im erweiterten Sinn, ist
eine runde, künstlerische Intervention,
ein Gesamtwerk vieler Beteiligter.
Interims Atelier, eine Erweiterung
der Kunstzone, bezieht sich auf die
immobile Atelierarbeit der Künstler in
ihren angestammten Orten und Flächen
und eben der notwendigen Erweiterung
dieses Arbeitsfeldes auf andere Orte
unter Fokussierung dieser anderen Orte.
Eine Unterbrechung des Künstleralltags, ein Ausnahmezustand, eine Zentrierung der
künstlerischen Arbeit und des Austauschs in der eigenen Stadt. Der prozesshafte Moment
und die experimentelle Situation stehen im Mittelpunkt.
In einem Intervall von je einer Woche (7 Tage) werden die Ausstellungen präsentiert. Wie
auf einer Drehbühne wechseln die Ausstellungen ihre Position, bleiben aber im Hintergrund
für den Besucher bestehen.
Beteiligte:
Kerstin Lichtblau, Michael Bloeck, Cornelia F Ch Heier, Petra Pfeuffer, Harald Etzemüller,
Vladmir Combre de Sena, Finn Lauberger, Caroline Geiger, Brigitte Kottwitz, Stefan Beck,
JüOllMan.
Objekte, C.F.Ch.Heier
″Zwischenwelt″, K.Lichtblau
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Hirondelle Ansichten
künstlerische Intervention Lachyoga, B. Kottwitz
Eröffnung durch die Kuratorin P. Pfeuffer
1. öffentliches Abendbrot - Einschwärmung
2. Eröffnung: "Das Zimmer der Dolores", Installation. Cornelia F.Ch. Heier
3. Künstlergespräche mit K. Lichtblau, C. F. Ch. Heier, M. Bloeck
4. öffentliches Abendbrot und Künstlergespräch mit C.F.Ch. Heier
5. Eröffnung: "Zwischenwelt", Malerei & Siebdruck. Kerstin Lichtblau
6. "wild creatures", Siebdruckaktion mit Kerstin Lichtblau
7. Filmabend, Neue Musik, altes Berlin mit Finn Lauberger
8. künstlerische Intervention Lachyoga mit Brigitte Kottwitz. Lachen als gemeinsam erlebte Skulptur
9. öffentliches Abendbrot und Künstlergespräch mit K. Lichtblau
10. Eröffnung: "Thu dich um", interdisziplinäre Poesie. Michael Bloeck
11. Kulturkooperationen, Vermarktungsstrategien. Harald Etzmüller und Vladmir Combre de Sena
12. Alle Fragen, alle Antworten mit Stefan Beck via Skype
13. spontane Aktion - …und wenn die Welten untergehn…
14. Concrete Carpet mit Hans Romanov
15. öffentliches Abendbrot und Künstlergespräch mit M. Bloeck
16. Sound Performance mit JüOllMan
17. “Alpenglühen“ - Südtirol in Text, Bild mit Caroline G.
18. künstlerische Intervention Lachyoga mit Brigitte Kottwitz.
19. FAT - Big Bang mit C. F. CH. Heier, S. Abidi, Reiner Böhm.
Das Zimmer der Dolores, C. Heier
Siebdruckaktion, K. Lichtblau
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Thu dich um, interdisziplinäre Poesie. M. Bloeck
öffentl. Abendbrot
Film: Neue Musik, altes Berlin, F. Lauberger
Thu dich um, M.Bloeck
FAT - Big Bang , Heier, Abidi, Böhm
Alle Fragen, alle Antworten, S. Beck via Skype
Sound Performance mit JüOllMan
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Metaphorik eines emotionalen Zustands
Standort 2012 - 2015
Die Frankfurter Innenstadt ist umrundet von einem Grüngürtel. Es ist laut.
Eine zweispurige Fahrbahn in beide Richtungen, unmittelbar neben einer großen Kreuzung,
an der sich alle Fortbewegungsmöglichkeiten queren.
Der Weg führt in viele Richtungen und damit in besondere städtische Eigenheiten.
Die Lange Straße: staubig, grau, eng, laut und ein bisschen schäbig.
Das Allerheiligentor: Einblick in ein Frankfurter Rotlichtviertel aber auch mit Blick auf die
Mauern des alten jüdischen Friedhofs.
Die Hanauer Landstraße: der Blick in ein altes und doch neues Viertel, das Ostend.
Die Obermain Anlage: der Blick ins Grüne.
Hier findet rege Betriebsamkeit in alle Richtungen statt. Es wird geschlendert, gespielt, Rad
gefahren, gerannt, gelaufen, rumgehangen und ...
Die Friedberger Anlage, die Wege und Gebäude werden hier vielfältig genutzt und benutzt,
z. B. als Verstecke, als Schlafstätten und als öffentliches WC.
Die Anlage ist Transitstrecke und Verweilort, hier werden Geschäfte gemacht und
Liebeserklärungen. Hier ist es poetisch und romantisch kann es sein, es ist aber auch rüde,
dreckig und morbid, es ist belebt in allen
Facetten.
Die skulpturale Aussage wächst mit der
Umgebung, also dem Environment in Zwiesprache der Betrachtung oder dem flüchtigen
Wahrnehmen zusammen.
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Metaphorik eines emotionalen Zustands
Stadtlabor unterwegs - historisches Museum Ffm
Ein partizipatives Ausstellungsprojekt rund um die Frankfurter Wallanlagen 2014
Stadtlabor - unterwegs "park in progress" in der Wallanlage.
4 Termine an der "Metaphorik eines emotionalen Zustands".
Aussaat an der „LIEBE“. Saat Aktion.
LiebesGeschichten I
Es geht nicht nur um Liebesbriefe, die
man erhalten hat und die eventuell in einer
Schublade immer brüchiger werden. Es
geht auch um die selbst geschriebenen, die
nie verschickt wurden oder die man an sich
selbst geschickt hat oder die, von denen man
sich gewünscht hat sie zu erhalten.
LiebesGeschichten II
Die Lesung Nr. II widmet sich den
Liebesbriefen und -geschichten der
Geschichte. Die griechische Mythologie ist
ebenso geeignet, Material zu finden, wie
das französische Rokoko oder der deutsche
“Sturm und Drang“ (die Leiden des jungen
Werther).
LiebesGeschichten III
Die Nr. III steht für Frankfurter
Liebesgeschichten. Wer mit wem und wann.
Aus Literatur, Magazinen und aus der
eigenen Erinnerung.
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Das "Standbild"
Das Ostend – Planung, Umbau, Neubau – Und die Menschen?
Im Rahmen des Ausstellungsprojekts, des historischen Museum, "Stadtlabor unterwegs"
2011, stand die Skulptur „Metaphorik eines emotionalen Zustands“ in Bezug zur Geschichte
des Stadtviertels und zur Geschichte und Gegenwart der Bewohner des Viertels an einem
zentralen Ort, einem Verkehrsknoten im Ostend.
Der Ort
Der Ort, eine "Verkehrsinsel", die als Platz
mit einem besonderen Namen bezeichnet
wird (Ernst - Achilles Platz), ist eine Fußgängerpassage über eine recht unangenehme Straßensituation.
Konstitutiv stellen sich die, positiven wie
negativen, Spannungsverhältnisse von Objekt, Zeit, Raum, Ort und Mensch dar.
Ein Wort, ein Bild, eine Skulptur, die
Metaphorik eines emotionalen Zustandes.
Das bezieht sich hier auf eine Lebensumgebung, die in erster Linie nicht aus Gründen der
Liebe entstanden ist, uns aber ebenso ständig begleitet und unter Umständen auch verwirrt.
Planung, Umbau, Neubau – Und die Menschen?
Im Ostend wird gebohrt, gehämmert, gebuddelt, rangiert.
Die leisen Töne, zwitschernde, quakende, zirpende gibt es auch, zwischen Häusern und Containern. Es sind die unscheinbaren, kleinen, vergessenen Dinge, die ein kurzes Glück, eine
Träumerei, Stille und Kontemplationsmomente ermöglichen.
Poesie des städtischen Details, die Skulptur "Liebe", auf dem Ernst Achilles Platz ist eine
Intervention, zu lächeln ohne ersichtlichen Grund ... ihr Wert liegt im dialogischen Raum.
Die Schönheit ist gemeint, die ohne viele
Worte, unentdeckt, durch Ritzen und
Nischen fließt, alles durchtränkt und sich
verliert.
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Metaphorik eines emotionalen Zustands
Zentrale Interventionen zur Verbildlichung der Skulptur in Bezug auf das wahre, oder die
Ware Leben.
Die Skulptur steht in Bezug zu Situationen, Geschehen und Zuständen.
2009 steht konstitutiv das Spannungsverhältnis von Objekt, Zeit, Raum, Ort
und Mensch im Zentrum des Aufbaus.
In Zusammenhang mit den von mir
gewählten Orten, Nibelungenallee und
Adickesallee steht die Explizierung
des Objekts zu seiner Umgebung im
Mittelpunkt.
Es sind Orte, die kaum zum Flanieren
oder Spazieren genutzt werden.
Die Orte sind keine klassischen Verweilorte, sondern Transitstrecken.
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Liebe 2007
4. Juli 2007, Eröffnung der Ausstellungsreihe "Metaphorik eines emotionalen Zustands".
Standorte
23. August, Grünstreifen der Arnsburger Straße.
Ab 31. August stand die Skulptur auf dem Friedberger Platz.
Ab dem 14. November konnte die Skulptur in der Eschenheimer Anlage betrachtet werden
und ab dem 10. Dezember schloss sich der Kreis auf
dem Parlamentsplatz mit dem finalen Auf- und Abbau.
Zur Arbeit
Aus einem gefetteten, blanken Metall wird nach einigen Monaten verrostetes Metall.
Der Rost verweist auf einen Zeitablauf und auf
Umgebungsverhältnisse: Regen, Urin, Hundekot und
Dreck, wir sehen ein "klassisches" Vanitas Thema.
Die Proportionen sind dem erwachsenen Menschen angelehnt. Die Skulptur ist auch ein
Bild, ein Bild? Eine Verbildlichung. Das ist wie mit dem Gedicht von K. Schwitters, A n n a,
von vorne wie von hinten gleich. Schwer zu verstehen?
Wenn man die fünf Elemente, egal wie, aufstellt, kommt immer das Gleiche raus. Es gibt
kein richtig oder falsch. Nur Nonsens, gegebenenfalls. Aber, der ist nicht gegeben!
Skulptur und Bild
Vielleicht kann von einem zeitgenössischen Stillleben gesprochen werden. Von einer Fliege,
die sich fett auf einem Schinken labt. Von der aufgeweichten Pommestüte rot/weiß mit
Resten. Von der Erinnerung an aufgeschlagene Knie. Von Fremdenhass und Egoismus. Von
Arroganz und Neid. Das bleibt die Frage persönlicher Perspektive.
Skulptur
Metaphorik, die verschiedenen Aufbau- bzw. die verschiedenen Zuordnungen der fünf
Elemente sind vom Wort unabhängig, ein Bild.
Die jeweiligen Flächenveränderungen immanieren das Bild (um das zu sehen, schaut man sehr
lange).
Es gibt Flächen, die Bildflächen.
Die Bildfläche wird von der Umgebung geschluckt, verwischt oder übermalt, aber durch
die Konturen, die Linien der Skulptur auch
exponiert. Ganz ohne klassizistisches Standbein.
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Installationskonzept für das Modell
Die einzelnen Objekte bezeichnen je einen Buchstaben in der Abmessung 187cm, 137cm,
27cm.
Das Modell ist aus dickwandiger Pappe, stabil
gebaut. Die Materialeigenschaften unterstützen den konstitutiven Bestandteil der Arbeit,
nämlich das Entstehen von Blessuren, die
durch die Anordnungsversuche (verschieben,
tragen) entstehen (Metaphorik).
Die Erscheinung der Skulptur ist streng
graphisch.
Fünf Personen wählen sich je einen Buchstaben.
Die Formationen der Skulptur sind situativ bedingt durch das, von jedem erzeugte, Verhältnis (mittels eines Buchstabens) zu seiner Umgebung (Zuschauer, Passanten, Architektur und
der anderen Buchstaben, der Bodenbeschaffenheit oder anderer Begebenheiten).
In welchem Spannungsverhältnis die Arbeit
zu dem jeweiligen Umfeld steht und wie
Passanten das Verhältnis beeinflussen, zeigen
die entstandenen Anordnungen.
Installation
Juni, Rundgang durch die Innenstadt.
September, Rundgang durch Bornheim.
Dezember, Zuordnungen auf der Hauptwache.
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Erweiterung der Kunstzone
Wo Werbebebilderung Platz hat, ist es natürlich Kunst, zu platzieren.
Signalement (Personenbeschreibung)
… ist eine Werkreihe grafischer schwarz-weiß
Porträts (Zeichnungen) bekannter und unbekannter
Persönlichkeiten für den öffentlichen Raum.
Die Auswahl „Signalement“ 2014 reflektiert die
Unterscheidungsleistung, die Menschen tagtäglich
angesichts medial personifizierter Produktvermittlung
erbringen.
Der Portraitzyklus stellt Künstler und Politiker, Idole
und Sternchen, bekannte und unbekannte Personen,
wie z. B. Golda Meir, Pipilotti Rist und Robert Mugave
nebeneinander.
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2014 auf 80 Litfaßsäulen und Werbestellen in U-Bahnstationen, in Frankfurt.
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Litfaßsäulenrundgang...
...im öffentlichen Raum (Westend, Bahnhofsviertel, Sachsenhausen u. Ostend)
Der öffentliche Raum gehört längst nicht mehr nur der Kunst.
„Wer heute durch die Stadt flaniert, wird erfreut den ein oder
anderen Springbrunnen entdecken.
Eher selten sind Skulpturen. Denkmäler von Persönlichkeiten
aus der Politik etwa erscheinen im schnelllebigen Medienzeitalter
gänzlich unzeitgemäß. Oder können Sie sich vorstellen, plötzlich
einem Standbild von Ex-Kanzler Kohl oder Gerhard Schröder
gegenüberzustehen?
Die Lücken zwischen den Gebäuden füllen heute vorwiegend
Werbeanzeigen, die unser Auge mit Angeboten locken.
Die Künstlerin Cornelia Heier hat dagegen an über 90 Litfaßsäulen in Frankfurt Porträts von bekannten und erfundenen
Personen angebracht, u.a. von George Bush, Colin Powell und
Andy Warhol.
Die comicartigen, grafisch äußerst reduzierten Arbeiten reflektieren die zunehmende Standardisierung des medial vermittelten
Bildes. Die Porträts wachsen zu einer einheitlichen Schablone
zusammen, die kaum noch physiognomische Unterschiede
erkennen lässt.
Die Feldbusch, der Papst, Che, Lagerfeld - Cornelia Heier
porträtiert alle mit der gleichen, austauschbaren Maskenhaftigkeit.“ (Hortense Pisano)
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Baustellengänge und Baustellenwände
Signalement (Personenbeschreibung) - sind 100 stark reduzierte grafische schwarz - weiß
Porträt Zeichnungen. Abgebildet sind bekannte Personen, unbekannte Personen und
erfundene Personen. Signalement ist für - und mit dem öffentlichen Raum entwickelt,
Signalement integriert sich optisch in die Umgebung, Signalement ist eine Intervention zur
Wahrnehmung im öffentlichen Raum.
Ausstellungsorte: Bleichstr./Konrad-Adenauer Str. (Baustellengang), Zeil (Baustelle), Große
Eschenheimer Str. (Baustellengang).
Einführung
Die Künstlerin Cornelia Franziska Charlotte Heier und ihre Disziplin, dreidimensionale
Darstellung im öffentlichen Raum. Die Bilder sind doch nicht dreidimensional?
Doch: Wenn man den öffentlichen Raum einbezieht, der nicht nur Bedingung dieser
Ausstellung ist, sondern konstituierendes Element dieser Werke. Interessant finde ich
die Darstellung von Abbildern von Individualität im Zeitalter der Kulturindustrie und
Massenkommunikation. In der Kunstgeschichte entstehen Porträts einhergehend mit der
Antizipation von Individualität. Waren es bis ins Mittelalter Institutionen, die in Persona
dargestellt wurden, ist mit Beginn der bürgerlichen Gesellschaft das Individuum fernab von
Amt und Würden Thema geworden.
Es ist der Einzelne, der etwas bewegen kann, Geschichte schreibt, entdeckt oder entwickelt.
Porträts sind Persönlichkeiten, die in ihrer Individualität dargestellt sind, deren Charaktere
fein und genau beobachtet werden und die ihr Abbild finden. Die Kompetenz eines
Künstlers ist es, das Wesen eines Menschen zu erfassen und nicht das äußere oder äußerliche
zu imitieren. Porträts, die wie Comics aussehen, scheinen ein Widerspruch zu sein. Sie sind
nur möglich, weil die Charakter von Menschen „in dieser schnelllebigen Zeit“ (ironisch)
auf wenige Signifikanten geschrumpft werden. Lebensgeschichten werden in Schlagworte
gepackt und Menschen werden zu Icons oder zu Ikonen:
Who the fuck is Verona Feldbusch? Ein Mensch gewordener Comic gilt als Testimonial für
einen Lifestyle mit allen dazugehörigen Produkten: Individualität ist vorkonfektioniert.
Wie ist es, wenn man im Internet Bücher bestellt? Da geht ein Fenster auf und zeigt einem
weitere Titel, die andere bestellt haben, die dasselbe Buch wie man selbst bestellt haben. Ich
frage: Gehörst du zu den Tätowierten? oder bist du Germanist?
Che Guevara und Sadam verhalten sich zueinander wie Bin Laden und Jesus, Donald und
Gustav (Ganz und Duck, versteht sich).
Lebensstil und Vita sind - noch nicht mal
rastergedruckt, sondern gleich kopiert.
„Sehr ähnlich, wer soll‘s denn sein?“ - (Titel von
Ferry Arle‘s Fernsehportraitshow in den 70ern).
Die Frage stimmt hier sogar wirklich:
Individualität wird im Zeitalter der
Kulturindustrie wieder auf das Zeichenhafte
reduziert. (Dipl.Soz. Kristine Erdmann)
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Signalement
Zeil, Konrad Adenauer Straße und Große Eschenheimer Straße
20
HOPE
Digitalcollage für den öffentlichen und andere Räume.
Hope ist technisch gesehen eine Fotocollage, eine Verknüpfung verschiedener,
ursprünglich nicht zusammenhängender
Fotos. Eine Mischung aus Tagträumen,
Phantasmen, Poemen und die physikalisch
unabwendbare Begleiterscheinung, sobald
Licht strahlt.
Die Collage entsteht aus der Motivstruktur
einzelner Fotos.
Die Arbeiten sind dokumentarische Bilder meiner optischen Auseinandersetzung, nicht
unbedingt der Wirklichkeit.
Hope bezieht sich auf den öffentlichen Umgebungsraum (als Inspirationsquelle), die Collagen sind Spiegelbilder all dessen, was der Mensch sich, meiner Beobachtung nach, zumutet.
Hopeaufbau
Das Motiv ist der Ausschnitt realistischer
Gegebenheiten, eine tote Maus, eine
Landschaft, ein Boot. Das Motiv ist die
Struktur und ist Zeichen. Struktur und
Zeichen repräsentieren eine Metapher der
Wirklichkeit.
Die Struktur ist die Basis der Geschichten.
Die Struktur beinhaltet die
Motivumgebung und ist Informationsgeber
der Motivinhalte (Aufbau, Zugehörigkeit).
Das realistische Motiv, die tote Maus, ist chronometrisch, bezogen auf den tatsächlichen
Hergang und Zusammenhang des Abbildes.
Die Zusammensetzung der Motive ist eine
Geschichte mit zeitlichen und örtlichen
Verschiebungen.
(Struktur + Realität = Strukturrealismus).
Durch die Verknüpfung der Motive
entsteht eine Illusion von etwas, das in der
abgebildeten Form nie als Szenario existent
war, die tote Maus hat sich vervielfacht.
Hope ist eine progressive Werkreihe.
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DAS ZIMMER DER DOLORES
Die Story
Leben hinterlässt Flecken, Staub und Dreck, es beinhaltet Falten, Tränensäcke und Pickel,
verschmierte Schminke, schlecht sitzende Kleidung, Laufmaschen und dicke Bäuche ...
1997 lernte ich einen Menschen kennen, der, so erzählte er
mir, mehrere Mietshäuser im Rhein-Main Gebiet besitzt. Wir
tauschten uns über Mieter aus. Der Mann erzählte mir von
einer Mieterin, die er niemals zu Gesicht bekommen habe.
Telefonisch und per E Mail wurde der Mietvertrag für ein
Zimmer abgeschlossen, die Schlüssel zum Zimmer wurden per
Postweg übersandt. Die Kaution kam als Scheck ebenfalls per
Post und der Mietzins wurde regelmäßig bar eingezahlt.
Die Mieterin habe ihr Zimmer irgendwann gekündigt, per E Mail, die Schlüssel wurden
postalisch zurückgesandt. Der Vermieter erzählte weiter, dass seine Mieterin die Kaution nicht
zurückverlangt habe, das machte ihn stutzig.
Er sei daraufhin in das Zimmer gegangen und fand es so vor, als sei die Frau nur kurz weg.
Kleidungsstücke, Bücher, Essensreste, alle möglichen Dinge hatte die Frau vor Ort gelassen.
Dieser Anblick habe ihn berührt, er sei neugierig geworden und habe angefangen, sich alles
genau anzusehen, immer mit der Furcht, von der Mieterin überrascht zu werden. Sie sei aber
nicht gekommen, an jenem Tag nicht, auch an den vielen folgenden Tagen nicht, an denen er
sich genauestens in dem Zimmer umsah, sogar an der Unterwäsche roch, wie er sagte.
Er habe Handschriftliches gefunden, Tagebucheinträge, manche geschrieben, manche als
Mundabdruck mit Datum. Es sei alles ganz persönlich gewesen und langsam habe er sich
vorgestellt, wie seine Mieterin gelebt haben könnte. Er fing an, nach ihr zu suchen, ihr Name
sei Dolores. Er fand keine Hinweise auf eine Dolores, bis er auf die Idee kam, über das
Internet zu recherchieren, er bekam Antworten und Fragen, aber nicht von Dolores, sondern
von Menschen, bei denen Dolores ebenfalls gelebt hatte und die ebenfalls nach ihr suchten.
Man habe sich dann, unter Vermietern, getroffen und gemeinsam angefangen, das progressive
Dolores Archiv aufzubauen.
Das Archiv stellt mir der Mann zur Verfügung. Nicht nur das, auch die Kontaktadressen, den
Pool, sodass ich, ein - bis zweimal im Jahr einen neuen „Koffer“ von Dolores erhalte.
Die Vorstellung über sie bündelt sich kontinuierlich, es bildet sich aber kein einheitliches Bild.
Die Person bleibt unbekannt trotz größter Nähe.
Vorgehensweise
Investigative Recherche anhand der von ihr hinterlassenen Zeichen.
Dolores entsteht durch den Blick in einen Spiegel. Das Abbild eines Abbildes. Abwesenheit
und ihre Folgen.
Das rekonstruierte Zimmer der Dolores ist ein öffentlich zugängliches Zimmer, vielleicht nur
eine Nische.
22
Das Zimmer der Dolores 2014
Rekonstruktion IV der Wohn- und Lebenssituation im Hirondelle.
Einige handgeschriebene Notizen, ein kurzer Brief (eher eine Tagebuchnotiz), und die
Beschreibung eines Vermieters (Wirtes) eines von Dolores bewohnten Zimmers von Mitte
2013 bildeten die Basis für die Rekonstruktion 2014.
Personenstatus:
Auch der „Koffer 2013“ ergibt kein Bild von dem Menschen Dolores. Lediglich Lebenspassagen können dargestellt werden. „Dolores“ bleibt eine Fremde, eine Verlorene, Unsichtbare,
nicht fassbare Person. Sie hinterlässt Spuren, die auf einen zerrissenen inneren Zustand hinweisen (nach unseren Maßstäben). Ihre Logis waren Notunterkünfte, kleine Zimmer, ohne
jeglichen Komfort. Oder sie begnügte sich damit, geschützte
Orte im Stadtraum zu nutzen.
Nach wie vor bestimmt der „leere Spiegel“ die Situation...
Zuschrift über den Pool „Dolores“ am 07. November 2013
Sehr geehrte Frau Heier,
hiermit erlaube ich mir auf Empfehlung von Herrn Ebenhohl,
Ihnen die folgenden Beschreibungen einer meiner Mieterinnen
zu schicken.
Ende April kontaktierte mich eine Frau per Mail mit der Frage nach einem Zimmer im Haus
13, in Essen (Markscheide 16, Essen- Altendorf).
Ich konnte Ihr eine bescheidene 1 Zimmerwohnung anbieten. Die Dame nannte sich Frau
Dolores M.. Der „Briefwechsel“ war normal und sachlich. Ich schickte Ihr einen Fragebogen,
den Sie mir ausgefüllt zurück sandte. Frau Dolores überwies die von mir geforderte Kaution.
Den Schlüssel schickte ich ihr postlagernd. Am 15. Mai 2013 konnte Frau Dolores die
Wohnung beziehen.
Die Mieten gingen bis einschließlich August pünktlich ein. Im September und Oktober blieb
die Miete aus. Auf Briefe und Mails reagierte Frau Dolores nicht, weshalb ich mich zu einem
persönlichen Besuch entschied.
Die Mieterin war nicht anwesend. Ich öffnete die Wohnungstür mit einem Ersatzschlüssel. Die
Wohnung war bis auf wenige Gegenstände und Müll ausgeräumt.
Eigentlich sah es nicht mal so aus, als wäre sie jemals mit Möbeln bestückt gewesen. Eine
Matratze bildete den Mittelpunkt des Zimmers, wie eine Insel lag sie da. Nicht bezogen,
fleckig. Eine dünne verschossene Decke lag zerknüllt halb auf der Matratze, ein Kissen, nicht
bezogen und stark vergilbt lag am Ende des Bettes. Davor lagen einige Dinge. Umgefallene
Flaschen, Unterwäsche, eine Bürste und ein zerbrochener Handspiegel.
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Ein Pappkarton stand an der Wand und diente wohl als Tisch oder Ablage. Darauf befanden
sich einige Zettel mit Notizen, eine Scheibe verschimmeltes Brot und eine Tasse mit einem
Rest Flüssigkeit (wahrscheinlich Tee), neben der Tasse lag in einer kleinen Schale ein alter
Teebeutel.
Eine weitere Kiste, aus Holzlatten, wurde anscheinend als Kochtisch verwendet. Dort standen
ein Tauchsieder und eine Kanne. Daneben war ein Korb mit angefaultem Obst.
In dem Zimmer standen an der Wand noch 2 Bücher und einige alte Zeitungen, aus dem Jahr
2012 - halb zerrissen.
Es gab keine weiteren Gegenstände. Am Boden lagen noch einige Kleidungsstücke, wie ein
Pullover und eine Strumpfhose, die kaputt war. Ein sehr stark verschmutzter Schuh lag in der
Nähe der Wohnungstür.
In einer Nische im Zimmer war ein Wasseranschluss mit Wasserbecken, über dem ein Spiegel
hing. Der war mit cremiger Farbe beschrieben, oder besser gesagt bemalt. Man schaute
sozusagen in eine Fratze hinein.
An dieser Tür hingen an einem Haken ein Mäntelchen, eine Mütze und eine Stofftasche. Im
Flur der Wohnung hing an der Wand, grob mit Tesa angeheftet, ein Fotomotiv – eine betende
Madonna mit einer Rose im Hintergrund. Die Wohnung roch süßlich und war stark verstaubt.
Der Boden war verschmutzt (Flecken). Das Fenster war verschlossen und mit einem Stoff
halb zugezogen.
Die Wohnung wird mit einem Ölofen beheizt. Die Wohnung verfügt nicht über eine sanitäre
Anlage, dazu muss man in den Flur gehen und sich das Klo mit anderen Bewohnern der Etage
teilen.
Im Briefkasten, der konnte nicht mal verschlossen werden und war aufgebogen, lag der
Wohnungsschlüssel.
Ich habe die wenigen Dinge bis auf die Zeitungen aufgehoben – man hätte es direkt in den
Müll werfen sollen, aber ein Impuls hielt mich zurück. Von diesen wenigen Sachen gingen eine
Geschichte, eine Wehmut und eine tiefe Traurigkeit aus, ich konnte sie einfach nicht entsorgen.
Innerhalb der nächsten Zeit habe ich bei einem Eigentümertreffen diese Geschichte erzählt
und wenige Tage später erhielt ich einen Anruf von Herrn Ebenhohl, der den sogenannten
Pool der Dolores seit einigen Jahren pflegt.
Herr Ebenhohl bat mich, die Reste der Mieterin an Ihn zu schicken. Und es war weniger als
ein Koffer voll.
Herr Ebenhohl erzählte mir in diesem Zusammenhang über den Kontakt mit Ihnen.
Ja, ob es wohl zu einem Ergebnis kommen wird? Ob es eine Erklärung geben kann? Gibt es
diese Person denn wirklich? Was hat die Frau zu einem solchen Leben gebracht? Ist Sie eine
Suchende, ist Sie ein Gewissen? Ist Sie unser Verlust?
Ich zweifle daran, dass eine künstlerische Auswertung oder, wie sie es nennen, eine
Rekonstruktion dazu führt, dieser Frau näher zu kommen, aber eine bessere Idee habe ich
auch nicht. Es kostet ja auch nichts, Ihnen die Dinge im Koffer zu schicken. Ich bleibe an dem
Pool dran und werde mir regelmäßig Neuigkeiten kommen lassen, eventuell wird die Frau ja
doch mal in Person erscheinen.
Vielen Dank, es grüßt Sie P. Erossa.
24
Bestandsliste:
•
1 Matratze – Insel, Individualität, Intimität.
•
1 dünne verschossene Decke – Geborgenheit und genau das Gegenteil, Verlust…
•
1 Kissen – Geborgenheit, Hinweis auf den Geist, Gedanken, Träume…
•
Flaschen – Genuss, Sucht, Flucht…
•
Unterwäsche - Intimität
•
1 Bürste – Hinweis auf Individualität und Verfall…
•
1 Spiegel verschmiert, 1 zerbrochener Handspiegel – Suche, Depression, Eitelkeit, Dialog, Fixpunkt zur Gegenwart. Widerschein der Seele. Indifferenz, Verlorenheit, Suche.
•
1 Pappkarton – Improvisation.
•
Zettel beschrieben – Realität, an der Gegenwart festhalten.
•
1 Scheibe verschimmeltes Brot - Alltag. Vergänglichkeit, Ablehnung.
•
1 Tasse
•
1 kleinen Schale
•
1Teebeutel vertrocknet – Zeit…
•
1 Kiste, aus Holzlatten
•
1 Tauchsieder, 1 Kanne, 1 Korb
•
angefaultes Obst – Vergänglichkeit…
•
Bücher – Ablenkung, Bildung, Fantasie, …
•
alte Zeitungen – Tagesinformation, Bildung …
•
1 Pullover – Intimität der Person, Spiegelbild…
•
1 Strumpfhose, 1 Schuh, 1 Mäntelchen, 1 Mütze, 1Stofftasche
1 Madonna mit einer Rose – Religiosität, Schmerz, Sehnsucht, Dolores…
•
•
Gardinen (Stofffetzen) – Schutz, Einsamkeit…
25
Ansichten Rekonstruktion IV
26
Anonyme Zusendung an den Pool „Dolores“
27. Februar 2013. 7:16h, Bamberg
Winterstimmung. Morgendlicher Gang zur Bahn.
Schaue wie immer durch meinen inneren Tunnel. Den
Ort wechseln. Brauche eine neue Umgebung. Trist und
kalt ist es hier. Misstrauen um mich. „Sieht aus, wie eine,
die keinen Spiegel hat“, höre ich hinter mir sagen. Habe
schlechte Wochen hinter mir.
Habe mich letztes Jahr in Ffm. aufgehalten, werde dort wahrscheinlich wieder hingehen.
Ein Zimmer mieten, habe etwas gespart. Muss mich ausruhen, in einen warmen, trockenen
Raum. Hotel? Pension? Werde mich auf dem Wohnungsmarkt umsehen.
Bin hier in der Gegend seit Dezember, es ist schlimm, erniedrigend wie sich die Menschen
verhalten, wenn sie selbst wenig Auswahl haben oder keine Abwechslung, Zerstreuung.
Jeder versteckt sich vor sich selbst. Kein Blick in den Spiegel. Keine innere Annäherung.
Befremdung vor dem eigenen Selbst.
Hoffe aus dieser nebligen Sicht heraus zu kommen.
Habe mein Bett fotografiert. So habe ich in den letzten Wochen gelebt.
Gez.: eine Wanderin
Korrespondenzen
27
Zustandsbericht 2011
Der Brief
„Sehr geehrte Frau Heier,
als Hausbesitzer, Vermieter und Geländeverwalter bin ich über Umwege auf den
Informationspool „Dolores“ getroffen. Die Beschreibungen der Person haben mich zutiefst
berührt, nicht aus Voyeurismus, falscher Anteilnahme, sondern weil ich auf einem meiner
Grundstücke, übrigens mitten in Frankfurt am Main, auf eine Wohnstätte, ich möchte es
sogar ein Zimmer nennen, gestoßen bin.
Bei einem meiner Rundgänge über ein etwas abseits und in der Nähe der Bahn liegendes
Gelände schaute ich, wie gewöhnlich auch zwischen Sträuchern und Gebüsch nach wilden
Müllhaufen und fand ein, ja, ein Zimmer.
Ein Bett, mit geblümter Decke und dekoriertem Kissenstoff, ein Tischchen und eine Art
Schrank (einige Äste, die miteinander verbunden waren und mit Folie umspannt waren).
Ebenso war eine Nische für Lebensmittel, die in Tüten an Ästen hingen, vorhanden.
Auf einer Kiste lagen verschiedene Kosmetikutensilien. Ich durchsuchte den Schrank und
fand Frauenkleider. Strümpfe, Unterwäsche, Hosen und Röcke. Die Auswahl der Garderobe
war nicht groß, aber kombinierbar und alles passte farblich zueinander. Auch verschiedene
Schuhe fand ich. Größe 39.
Im ersten Moment konnte ich meine Wut und Empörung über die wilde Nutzung meines
Geländes nicht unterdrücken, fast hätte ich alles in einen großen Müllsack gestopft, oder
wenigsten die Polizei gerufen. Aber, etwas hielt mich davon ab. Ich versuchte die Spuren
meiner Untersuchung zu bereinigen. Ich fotografierte das Zimmer mit meinem Mobiltelefon
und ging.
Einige Tage hat mich diese Entdeckung nicht in Ruhe gelassen, so ging ich wieder an den
Ort, in der Hoffnung die dort lebende Person anzutreffen.
Hier entsteht eine große Leere – der Ort war verlassen, außer einigen Kleinigkeiten, darunter
ein Kajalstift und eine Bluse, sowie ein Zustellungsbescheid, auf dem lediglich noch ein
Vorname zu lesen war, war das Zimmer nicht mehr vorhanden.
Dolores stand auf dem Bescheid – auf diesem Wege bin ich übrigens an den Pool geraten.
Über den Namen.
Nun, nach ca. 8 Wochen sende ich Ihnen, verehrte Frau Heier, die Fotos mit der Bitte, diese
dem Archiv der Dolores beizufügen.
Mit herzlichen Grüßen
Otto Jedefahl.“
28
Zustandsbericht 2010
Vor einigen Wochen wurden mir Fotos und einige schriftliche Aufzeichnungen überbracht.
Einer Notiz konnte ich entnehmen, dass die Fotos die Unterkunft einer Frau dokumentieren.
Allem Anschein nach, so geht aus dem Bericht hervor, handelt es sich um eine Frau namens
Dolores. Sie habe Anfang 2010 in der Nähe von Mainz, in einem Vorstadtgebiet, ihre
Unterkunft aufgeschlagen. Spaziergänger meldeten die „wilde“ Wohnstätte den Behörden,
die ihrerseits versuchten, die Person anzutreffen, ohne Erfolg.
Es habe Beschwerden über den üblen Geruch und die Verrohung des Stadtteils gegeben, die
Bürger fanden Unrat und Abfall rund um das Wohnlager.
Eine Bürgerinitiative entschied sich, die Stätte abzubauen. Dazu drangen sie in den kleinen
improvisierten Raum ein. Vorgefunden wurde eine beängstigende Atmosphäre. Ein
Durcheinander von Schlafsack, Kleidungsstücken, Abfällen und eine Stelle, an der die Person
ihre Notdurft verrichtet hatte.
Mit Mundschutz versehen wurden die
Pappkartonreste und Kleidungsfetzen in
Mülltüten gestopft und vernichtet.
Die Bretterbude wurde abgerissen und entsorgt.
Die Person, die Frau, die dort lebte, hat keiner
zu Gesicht bekommen.
Zustandsbericht 2009
Nach dem Brief von 2007 und dem Koffer von
2006 ist Stille eingetreten. Nichts Neues von
Dolores. Ihr Aufenthaltsort ist nicht bekannt
geworden.
Allerdings hat sich vor Kurzem ein Herr bei mir
gemeldet. Er habe zu Anfang diesen Jahres vor
einem Wohnhaus in Esslingen ein Paar Schuhe
gefunden, die, so habe er beobachtet, eine Frau mittleren Alters sorgsam auf das Trottoir
gestellt habe. Diese Frau sei an diesem Tag mehrmals vor dem Paar Schuhe stehen geblieben
und habe sehr nachdenklich gewirkt.
Von dieser Frau sei eine seltsame, für ihn nicht zu beschreibende Ausstrahlung ausgegangen.
Am folgenden Tag, die Schuhe standen genauso wie die Frau sie hingestellt hatte, habe er den
Hausmeister des Gebäudes befragt. Dieser habe erzählt, eine Frau namens Dolores habe ihre
Kammer verlassen, leer sei der Raum, am Türrahmen habe eine Geldnote, ein Schlüssel und
ein Zettel mit den Zeilen, „Leben sie Wohl, vielen Dank für alles“, gesteckt.
Er habe ein Foto von den Schuhen zur Erinnerung an diese Frau geschossen und wolle mir
dieses Bild für das Dolores-Archiv, von dem er erfahren habe, überlassen.
29
Rekonstruktion - III - 2008 im Wagnerraum
Dolores hat sich von März bis Mai 2006 in Hamburg aufgehalten. Dort hat
sie sich ein Zimmer gemietet. Sie hat das Zimmer ohne Möbel, Heizung und
Bad gemietet. Sie hat das Zimmer mit einer Matratze, einem Stuhl und einem
Teppich eingerichtet.
2008 erhielt ich, anonym, ein Paket mit Brief, Fotos und einer Beschreibung
zu Dolores.
Der Bericht
Von Nachbarn konnte ich nichts Relevantes über Dolores erfahren. Sie ist eine stille,
unauffällige Mieterin. Man hört und sieht sie nicht. Gelegentlich kann man riechen, dass sie
kürzlich durch den Korridor gegangen ist, - süßes Parfum.
Ich habe mit ihr telefoniert. Sie hat eine reife, klare Stimme. Sehr charmant im Gesprächsumgang
- man scherzt unwillkürlich, und natürlich, in eine solche Frau, Imagination ist alles, habe
ich mich sofort verliebt. Sie ist gewandt, vertrauensvoll, verbindlich. Sie spricht mit einem
wundervollen Singsang, zuordnen kann man ihr Idiom allerdings nicht - akzentfrei, vielleicht
rollt sie das R, leichtes Lispeln, kein Verwischen der Silben. Ich kann wirklich nicht sagen, aus
welcher Region sie stammt.
Als ich dann die Wohnung betreten habe, nachdem sie mir den Schlüssel geschickt hat, stieg
langsam ein bedrückendes Gefühl in mir hoch. Verlassenheit, Rohheit, Aggression. Das ist
beängstigend und so schwer zu erklären. Dann kommen die Eindrücke, abgestandener Geruch,
Fäulnis. Es ist nicht Verwahrlosung, nein, - es ist lieblich und abstoßend gleichermaßen. Man
erkennt einen Menschen - und sofort ist er wieder verwischt, es macht mich ganz traurig, und
unruhig. Nein, der Spiegel wird blind. Dolores hat kein Gesicht.
Ich übersende ihnen den „Koffer“ in der Hoffnung, dass sie irgendwann ein Gesicht zu
Dolores finden.
Zusammenfassung
Der Beschreibung nach hat Dolores das Zimmer in schlechtem Zustand hinterlassen. Auf
dem Boden liegt ein farbiger Teppich mit Flecken. Neben der Matratze liegt eine bestickte
runde Tischdecke, darauf steht eine Kerze, eine Vase mit vertrockneten Blumen und ein Teller
mit Essensresten, Obst und altes Brot. Das Essen ist vertrocknet und verfault. Auf dem eher
schmutzigen Boden liegt eine Spielkarte, ein Stück Schnürsenkel und ein Häufchen Kleider.
Auf der Matratze liegen ein vergilbtes Laken und eine Wolldecke, die einen Slip halb verdeckt.
An der Wand steht ein Pappkarton. Darauf stapeln sich einige Zeitschriften, eine Packung
Haarfärbemittel, eine Haarbürste mit Haaren, eine Fingernagelfeile und ein Roman. Auf dem
Teppich befinden sich zerknüllte Zettel, eine Tasse, eine Teedose und ein Radiogerät. Am
Bettrand liegen einige Pillen (Medikament) und eine zerbrochene, ausgelaufene Weinflasche.
Über dem Stuhl hängt ein Frottétuch. An dem Fenster hängt eine zerschlissene Gardine. An
der Wand sind zwei Kleiderhaken befestigt, an einem hängt ein Jackett, in dessen Taschen
Krumen sind, eine Taschennaht ist aufgerissen. An dem Anderen hängt eine rötliche
Damenhandtasche, darin befinden sich Mascara, eine Puderdose und ein Taschenrechner. An
der Zimmerwand sind einige Kritzeleien. In dem Papierkorb liegt ein Foto mit der Abbildung
eines Gebäudes. In dem Zimmer riecht es abgestanden und muffig, es ist feucht.
30
Ansichten Rekonstruktion III
31
DAS ZIMMER DER DOLORES REKONSTRUKTION - II Das Zimmer der DOLORES Rekonstruktion II März 2004
Einführung von Cordula Fröhlich
Die Frankfurter Künstlerin Cornelia Heier präsentiert im März 2004 eine Rauminstallation in
der temporären Ausstellungshalle IMPLUS in Obertshausen.
2003 rekonstruierte die Künstlerin in ihrem offenen Interimsatelier in Frankfurt das Zimmer,
von dem ihr 1997 erzählt wurde, erstmalig.
Im vergangenen Jahr soll Dolores in einem teilmöblierten
Zimmer in Düsseldorf gelebt haben.
Auf diesen Lebensabschnitt bezieht sich die Rekonstruktion
in Obertshausen. Neben kleineren Möbeln steht ein
Bett im Mittelpunkt der Installation. Dinge des täglichen
Lebens bzw. sehr persönliche, intime Utensilien eines
Menschen, vermutlich einer Frau namens Dolores, sind
im Raum verteilt. In einer aufwendigen Rekonstruktion,
mit Liebe zum Detail, schafft Cornelia Heier ein Bild der
Unbekannten. Unwillkürlich versucht der Betrachter,
die einzelnen Hinterlassenschaften einer Persönlichkeit,
einem Charakter zuzuordnen. Die Annäherung an die
Rauminstallation erfolgt auf verschiedenen Ebenen.
Schon aus der Ferne, auch als Passant, erhält man durch
das Schaufenster des ehemaligen Plusmarktes Einblick auf
das rekonstruierte Zimmer. Der voyeuristische Aspekt des
Kunstkonzepts von Cornelia Heier wird dadurch betont. Schon in diesem ersten Moment
werden Fragen nach der Person, die das Zimmer bewohnt aufgeworfen. Mit dieser Neugier
des Betrachters spielt die Künstlerin, indem sie zum Beispiel Gegenstände, die gleichzeitig
anziehend und abstoßend wirken können, sorgfältig drapiert. So liegen zum Teil benutzte
Dessous und Kosmetikutensilien im Raum verstreut. Als Blickfang führen diese Objekte zu
den ersten Spekulationen über Dolores. Ist sie eine Prostituierte, eine Geliebte oder wurde sie
vergewaltigt? Ist sie eine eilige Geschäftsfrau, eine Künstlerin oder ein Transvestit. Hat sie die
Wohnung übereilt verlassen oder hat sie nur unbrauchbare Dinge zurückgelassen? Folgt sie
einem Beruf oder einer Berufung? Wird sie von Zwängen oder von Leidenschaft getrieben?
War sie in Zeitnot, auf der Flucht oder wurde sie bedroht, war sie gar eingesperrt?
Hier schließt sich die Frage an, ob sich noch eine weitere Person in diesem Zimmer aufgehalten
hat. Auch dafür gibt es Hinweise: 2 Gläser, benutzte Kondome, ein Liebesbrief, der hinterlassen
und zerrissen wurde (von wem?). Hier geht es nicht nur um die Auseinandersetzung mit einer
Raumsituation, sondern um ein menschliches Verlangen, mit detektivischem Spürsinn eine
unbekannte Person und ihre Lebensgewohnheiten kennenzulernen.
Ein weiterer Aspekt dieser Installation ist das Vanitasthema.
So findet man verfaultes Obst, teilweise leere Trinkgefäße, verschlissene und verschmutze
Laken und Kleidungsstücke. Der Zustand der Verlassenheit ist präsent.
32
Diese Verlassenheit impliziert auch Trauer. Zurückgelassene Tagebuchblätter lassen auf den
ersten Blick vermuten, dass dem Bewohner etwas zugestoßen ist. Waren die Tagebucheinträge
unwichtig, wurden sie weggeworfen und von einem Fremden wieder hervorgeholt? Wurden
sie vergessen?
In welchem körperlichen und geistigen Zustand befand sich Dolores beim Verlassen des
Zimmers?
Fragen über Fragen, die durch das Arrangement der Objekte aufgeworfen werden. Man
versucht sich einer imaginären Person, von der man weiß, dass sie sich Dolores nennt,
anzunähern. Die umliegenden Gegenstände informieren über Charaktereigenschaften und
Seelenzustände, über das Alter und die Herkunft lässt sich nur spekulieren. Ein einzelner Schuh
und eine Sonnenbrille aus den 70er Jahren lassen als Trägerin eine modebewusste 20-jährige
genauso zu, wie eine abgetakelte Fünfzigerin, die Relikte ihrer Jugend zurücklässt. Auch das
Kruzifix spielt eine Rolle, denn es ist bereits in der ersten Rekonstruktion aufgetaucht, und
lässt auf eine religiöse, ev. südeuropäische Herkunft schließen. Hinweise über den Verbleib
von Dolores gibt es aber nicht. Mit der Rekonstruktion III werden wir mehr erfahren.
Bei allen Spekulationen ist aber eines sicher: das Zimmer der Dolores berührt durch die
Konfrontation sehr intimer Hinterlassenschaften. Es weckt Neugierde und man wird
sicherlich auch durch den Geruch, der von einem Parfum und verfaulendem Obst erzeugt
wird, hineingetragen in eine andere Welt, die Welt von Dolores. Es entsteht eine Nähe, die
außergewöhnlich, vielleicht sogar beängstigend ist, da es nicht der sozialen Norm entspricht,
in diese intime Privatsphäre einer fremden Person einzutauchen.
Cornelia Heier beschäftigt sich in ihren Arbeiten gerne mit den unsichtbaren Dingen des
Lebens. Objekte und Menschen, die uns umgeben, aber hinter der Fassade des schönen
Scheins unbemerkt bleiben. „Leben hinterlässt Flecken, Staub und Dreck, es beinhaltet Falten,
Tränensäcke und Pickel, verschmierte Schminke, schlecht sitzende Kleidung, Laufmaschen und
dicke Bäuche“, sagt die Künstlerin. Gerade mit dieser in der Installation gezeigten Intimität,
die jeder kennt, aber keiner einer Öffentlichkeit preisgeben möchte, weckt Cornelia Heier die
Neugierde des Betrachters. Sie blickt im wahrsten Sinne hinter die Fassade eines Mietshauses,
in ein Zimmer, in dem man die Reste einer Maske in Form von Kosmetika und Kleidung
findet. Überbleibsel eines Menschen, der offensichtlich in diesem Raum gelebt hat. Gerade die
Abwesenheit weckt unser Interesse an der Person. Sie bleibt durch ihre Hinterlassenschaften
präsent - sie lebt weiter in unseren Gedanken und unsere Fantasie, Dolores wird zu einer
Ikone.
Bestandsliste Februar 2004
Zimmer ca. 15 m²
1Fenster, 1Bett, 1Stuhl, 1Inri - Foto hängend, 1Flasche Schnaps, 1Flasche Wein,
1Wandspiegel, 1Schminktasche, 1Mascara, 1Lippenstift, 10 falsche Fingernägel, 2 falsche
Wimpern, mehrere Präservative, 2 Gläser, 1Tasse mit Kaffee, 4 Bücher, 1Nachttischlampe,
1Strumpfhalter, Damenstrümpfe, Slips benutzt, Büstenhalter, Tagebuchblätter, 1Birne, 2
Äpfel, 1Bluse, 1Rock, 2 Collagenbilder hängend.
33
Ansichten Rekonstruktion II
34
DAS ZIMMER DER DOLORES REKONSTRUKTION - I - 2003
Zimmer ca. 18 m²
Dolores scheint das Zimmer übereilt verlassen zu haben. Das Zimmer wirkt vernachlässigt,
es ist schmutzig.
Die Bettdecken sind mit verschlissenem,
verschmutztem Satin bezogen.
Die Laken sind zerwühlt, auf der Matratze liegen
Tagebuchblätter und abgebrochene Fingernägel. In
dem Zimmer riecht es abgestanden, eine Birne verfault auf dem Fensterbrett. Dessous liegen
auf dem Boden, über dem Stuhl und im Bett. Ein wenig Schminkzeug und Watte liegen vor
dem Spiegel.
Dolores hat weder Schuhe noch andere Oberbekleidung im Zimmer hinterlassen.
Über ihren Verbleib gibt es keine Notiz.
Das Tagebuchheft ist 2002 datiert, die Tagebuchblätter sind aktuellen Datums.
Bestandsliste Februar 2003
2 Fenster, 1Bett + Bettwäsche, 1Stuhl, 1gekreuzigter Jesus hängend, 1Flasche Schnaps,
1Handspiegel, 1Schminktasche, 1Mascara, 1Lippenstift, 10 falsche Fingernägel,
mehrere benutzte und unbenutzte Präservative, 2 Gläser, 4 Bücher, 1 Nachttischlampe,
1Strumpfhalter, Damenstrümpfe, Slips benutzt, Büstenhalter, Stifte, Tagebuchblätter, 1Birne,
1Bluse, 1Portraitabbildung.
35
Partition#2 Heussenstamm Galerie 2013
Woher kommt das Kunst Werk? Einblick in das Künstlerinnen Gehirn.
Ein performativer Vortrag. Ein gesprochenes und gesungenes Kunstwerk.
Was hat Gertrude Stein damit zu tun?
„Ein Kunstwerk kann man sich ansehen, man kann es auch anfassen (wenn es erlaubt ist),
man kann es umrunden, sich davor, oder
dahinter setzen. Selten sieht man eins von
oben oder unten, weil es fast immer aufsteht
oder anhängt, dann hat es ein hinten, oder
weil es zu groß ist und davor keine Leiter
steht, sodass man hinaufklettern könnte
und von oben auf das Werk schauen
könnte.
Man kann ein Kunstwerk selten essen,
aber es kommt schon mal vor – dann ist es
relativ schnell weg.
Man kann ein Kunstwerk hören, entweder
live oder von einem Tonträger. Wenn man es live hört, ist es auch nach einer bestimmten Zeit
weg. Wenn man sich das Werk über einen Tonträger anhört, bleibt es so lange bis man abstellt
(vielleicht mitten im Werk) oder der Träger futsch ist, oder das Gerät kaputt geht.
Man kann sich den Genuss eines Kunstwerkes aufteilen, immer mal wieder hingehen, immer
mal wieder schauen oder immer mal wieder rein hören.
Heuteabend hat das Kunstwerk eine bestimmte Zeit, etwa 20 Minuten, in der Sie es hören und
sehen können – danach ist es weg, als Einheit weg. Wird zerlegt in 0 und 1.“ (C.H.)
„Was ist die Strömung, die Maschinen macht, die sie knistern macht, was ist die Strömung, die
eine lange Linie bringt und eine notwendige Taille. Was ist diese Strömung. Was ist der Wind,
was ist er.“ Gertrude Stein.
„Damit könnte ich es bewenden lassen, tue ich aber nicht. Je nachdem wie lange man
bereits auf der Welt ist, kommt einem die unmittelbare Umgebung als eine Einheit, etwas
Komplettes, etwas ja, auch Amorphes vor. Durch die eigene Bewegung, durch Sehen, Hören
und Anfassen wird die Umgebung, werden Formen, Farben, Gerüche und Geräusche
differenziert, zugeordnet, zerlegt. Was welche Bedeutung erhält, ist im eigentlichen Sinn gar
nicht vorgegeben – und doch haben wir alle das Ding mit den vier Stöcken und einer Platte
irgendwann als Stuhl akzeptiert. Prima!
Wenn ich den Stuhl zerlege kommen je nach Bauart, acht Vierkanthölzer dabei raus – weiter
zerlegt, könnten Sägespäne oder auch Holzmehl daraus werden – oder ein Gerüst, ein
Weihnachtsbaum, eine Anhäufung von Holz oder eine Analyse des verwendeten Materials
und seiner Bestandteile.“ (C.H.)
36
„Zweifellos kann man im zwanzigsten Jahrhundert wenn es einem gegeben ist zu schreiben
wirklich zu schreiben seinen Lebensunterhalt nicht mit Schreiben verdienen. Irgendjemand hat
gerade vorgeschlagen, dass ich mit dem Schreiben von Zigarettenreklame viel Geld verdienen
könnte. Also fange ich an zu schreiben….“ Gertrude Stein, ohne Komma.
„(Ähnliches wurde auch Andy Warhol vorgeschlagen). Ich hocke hier in dem Gerüst, vor
der Galerie, ich hätte nicht wenig Lust das Gerüst einfach zu zerlegen. Nicht weil es mich
stört – ich finde es ganz schön, sondern weil es sich anbietet und ich dann aus dem Material
etwas anderes zusammenfügen könnte, ein neues Gerüst, das man zerlegen kann und wieder
aufbauen kann, so wie das Gerüst, hier in dem ich sitze, das so konstruiert ist, dass man es
auf- und abbauen kann. Ich gehe jetzt mal über die Straße und schaue mir die Haltestelle an. Das ist
ein Unterstand, mit einem tragenden Gerüst aus Metall, etwas klobig. Die Flächen sind aus
Glas und sollen wahrscheinlich Leichtigkeit, Transparenz im Sinne von „gar nicht vorhanden
sein“ vermitteln. Diese Haltestelle sollte zerlegt werden und an keinem anderen Ort wieder
aufgebaut werden. Ich werde all die Einzelteile später, in Gedanken mitnehmen und daraus
etwas konstruieren. Das können Sie übrigens auch. Der Vorgang der Partitionierung findet
ständig in alle Richtungen statt.“ (C.H.)
„Das ist das Schlimme mit der Zerstreuung. Zerstreuung lenkt das Bewusstsein vom Vergehen
der Zeit ab. Das ist das Schlimme mit jeder Utopie, jedem System, sobald es ein System ist ist
es keine Zerstreuung und deshalb ermöglicht es einem nicht länger vom Vergehen der Zeit
nichts zu Wissen.“ Gertrude Stein.
„Ich erkläre ihnen jetzt nicht und auch später, nicht was das hier für ein Kunstwerk ist, ich
zerlege meine Arbeit nicht vor Publikum! Um mit Martin Honert zu sprechen: “ … nein, nein,
ich erkläre ihnen nichts, sie sehen doch mein Werk ...!“
„Ungeachtet der verschiedenartigen Unternehmungen all derer, die sich auf den Surrealismus
berufen haben und sich noch auf ihn berufen, wird man letztlich doch zugestehen
müssen, dass er nichts so sehr erstrebte, als in intellektueller und moralischer Hinsicht eine
Bewusstseinskrise allgemeinster und schwerwiegendster Art auszulösen; und dass lediglich
die Erreichung oder Nicht-Erreichung dieses Zieles über seinen geschichtlichen Erfolg oder
Misserfolg zu entscheiden hat. Auf intellektuellem Gebiet ging und geht es noch immer darum,
mit allen Mitteln und um jeden Preis die Faktizität der alten Antinomien aufzuzeigen und
bloß zulegen, die man scheinheilig dazu ausersehen hat, jeder ungewöhnlichen Regung des
Menschen vorzubeugen – und sei es bloß dadurch, dass man ihm eine nur dürftige Vorstellung
von seinen Möglichkeiten gegeben hat, indem man ihm die Überzeugung nahm, sich dem
universalen Zwang in nennenswerter Weise entziehen zu können.
Die Vogelscheuche des Todes, die Tingeltangel des Jenseits, der Schiffbruch der noch so
schönen Vernunft im Meer der Gleichgültigkeit, der lastende Vorhang der Zukunft, die Türme
von Babel, die Spiegel des Unbeständigen, die unüberwindbare, hirnbespritzte Mauer des
Geldes, diese allzu erschütternden Bilder der menschlichen Katastrophe sind vielleicht nur
Bilder.“ (André Breton)
37
„Ein Vergleich:
Ich schaue unter die Motorhaube einer alten Landmaschine und sehe einen komplexen
Mittelteil, zu dem Gestänge und Schläuche hin oder weg führen.
Wenn ich mir eine Weile den Motor der Landmaschine angesehen habe, erkenne ich eine
Kurbelwelle, Gas- und Bremsgestänge, Zylinder … - ich kann nachvollziehen wie durch
Schwung- – Zahn- und Wellenräder das Ding ins laufen gebracht wird.
Wenn ich unter die Motorhaube eines zeitgenössischen Wagens schaue, sehe ich einen
Block und erkenne, selbst bei laufendem Motor nicht wie die Kraft, die Bewegung zustande
kommt.
Den Motor der alten Landmaschine, es könnte auch ein alter PKW sein, kann ich mit
einfachen Werkzeugen auseinandernehmen, zerlegen – um im Bild zu bleiben-.
Ja, nein, nicht im Bild, sondern im Kunstwerk, das auch ein Bild sein kann.
Das ich durch Partitionierung meiner Umgebung, meines Lebensumfeldes, zu eben einem
Werk kreiere.
Wenn ich also nichts zu Zerlegen habe, muss ich mich selbst zerlegen – ein spannender
Vorgang wie die Kollegen und Kolleginnen alle wissen.“ (C.H.)
„Schließlich muss jeder der etwas hervorbringt es als
etwas Gegenwärtiges haben, der Schriftsteller kann
eine ganze Menge in dieses Gegenwärtige einbeziehen
und alles gegenwärtig machen aber der Maler kann nur
einbeziehen was er sieht und hat sozusagen nur eine
Oberfläche und das ist eine flache Fläche die er sehen
muss und deshalb muss er sie ob er will oder nicht
sehen. Sie können einbeziehen so viel sie können aber
man muss es sehen können, das sagt Marie Laurencin
und sie sah es und man muss es sehen können.
Es braucht viel Zeit ein Genie zu sein, man muss so
viel herumsitzen und nichts tun, wirklich nichts tun.“
(Gertrude Stein)
„cdefgah, hagfedc, jede Note eine Saite, eine bestimmte Spannung und eine bestimmte
Schwingung.
Jede Taste auf einer Saite, mit einer bestimmten Spannung und einer bestimmten
Schwingung.“ (C.H.)
38
„Das Zünglein“ im North Bound
Material: Pappe/Mischtechnik
Größe: Kleiner als es aussieht.
Untertitel: Information und Desinformation.
Ein Objekt, das sich vordergründig einer ästhetischen
Relevanz entzieht.
Eine Gelegenheit, eine hingeworfene Beiläufigkeit, eine
improvisierte Pappschachtel.
Ein Verweis auf Ansammlungen von ungereimten
Erscheinungen verschiedener Gegenstände und deren
ursprünglicher Bedeutung im Alltag unseres Lebens und
Handelns.
Genauso geht es im „Inneren“ der Schachtel weiter.
Der Monitor, funktional verwendet als das, was er ist, ein
Bildgeber und in diesem Fall auch Tongeber.
Die Bilder mit dem Obertitel „Hope“ beinhalten echte
Verweise (Zeichen) auf Vorhandenes, bzw. tatsächlich
Gewesenes (vollendete Wesenheit der Dinge). Und
entsprechen damit einer Information.
Allerdings stehen die Zusammenhänge der einzelnen
Motive nicht in gewesenem Zusammenhang, sie bilden
eine gegenwärtige, eine anhaltende Wesenheit und
sind eine Desinformation in Bezug auf ihre einzelnen
Herkünfte.
Der zugehörige Ton entspricht den Bildern in beiderlei Inhalten. Information und
Desinformation.
Das Objekt ist das Zünglein an der Waage im übertragenen Sinn.
Korrespondenz
Störungs-Hope 2014
39
Audio Installation „Das große Vergessen“ 2012
Gezeugt, geboren, aufwachsen, altern, sterben, verwesen. Erinnerungen, materielles Gut,
ideelle Schätze, Emotionen, Worte und Werte.
Gelegentlich findet man, ganz nah, im Alltäglichen vermengt, Hinterlassenschaften
Verstorbener wieder - von Briefen bis hin zu Parfüms längst vergessener „Tanten“.
Alte Bekannte kommen vorbei ...
Im eigenen Spiegelbild findet sich Gewissheit – da sieht man sich in die eigenen Augen
und blickt auf sein äußeres Erscheinungsbild seiner selbst. Die Spiegelkontrolle ist eine
Selbstvergewisserung, eine kontinuierliche Erinnerungshilfe.
Die eigene Reflexion in der Pupille (metaphorisch zu verstehen) eines anderen Menschen
löst die Selbstvergessenheit, die Selbstverlorenheit auf.
Wiedergefunden in der Realität nehme ich meine Tätigkeit, das Denken wieder auf. Da war
doch was …, eine Stimme und die dazugehörige Person. Die Erinnerung an die Person
evoziert eine emotionale Erinnerung an das Timbre der Stimme.
Der Auslöser für meine Erinnerung war der Blick auf einen Kassettenrekorder. Kassette,
Hören, Sprache. Mein Gedächtnis gräbt den Sound der Pausentaste eines alten (1983 er)
Diktiergerätes aus – ich hatte es ja gar nicht vergessen! Ich hatte es nur nicht gebraucht.
Ich finde die Kassette wieder, höre sie mir an und habe das Gefühl, etwas Verlorenes,
wiedergefunden zu haben.
Die Stimme, zu Erinnerungszwecken vor ca. 30 Jahren auf Tonband aufgenommen, hat
überlebt.
Die emotionale Sicherheit, die diese Stimme auf mich bewirkt, ist wie der Blick in den
Spiegel, eine Selbstbestätigung meines Seins. Die
Tatsache, dass die Person nicht mehr existiert, ist in
Anhörung der Stimme nicht relevant.
Die Stimme ist Auslöser, Verlorenes und Vergessenes
wieder zu finden.
Sie steht als Metapher für das eigentliche Verlieren
und Vergessen seiner Selbst, in allen Facetten des
menschlichen Daseins und Vergehens – Vanitas – die
Fliege auf dem Aas.
40
Chirurgische Einblicke in mein Künstlergehirn. 3. 2012
Ich geselle mich zu Beuys, Baselitz, Immendorf, Polansky, Stein, Oppenheim, und der Gert,
Valeska selbstverständlich und vielen anderen Künstlern/innen.
Die verwendeten Werkzeuge heute Abend sind: Skalpell, Sondenröhrchen, Weichmacher,
Leuchtstab, Masselöffel, Spanner, Schnabel, Hammer und Geist. Nicht zu Vergessen, die
stimulierenden Substanzen, die ich vorsichtshalber seit dem 29. September, in stetig erhöhender
Dosis zu mir genommen habe.
MACHEN SIE JETZT EINE PAUSE!
Dank meiner außergewöhnlichen Fähigkeit, für Menschen eine seltene Gabe, Hirn und Zunge
zu verbinden, werde ich heute Abend meinen Kopfinhalt vor Ihre Füße kippen.
Klick, klick, wuhhuhu, briiiieeees, te, te, te, te, klick, klick, tik, tik, tik, brrrrr, brrrrr, brrrrr.
SSSSSS, he, he, he, ha, hoooo. Siiit, siehie, siehie, siehie. Tick, tik, tik. - Statuten!
Immer wenn ich für mich alleine bin, hol ich aus meinem Sinn die Zahlen hervor.
1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1 … ------- 20.
SCHLIESSEN SIE DIE AUGEN!
Ich trage zwei blonde, dicke Zöpfe hinter den Ohren. Kaum, dass ich den einen in die Finger
nehme, schwubbs, ist es ein Besen, mit dem ich großflächig die Werkstatt fege. Den anderen?
Habe ich vergessen. – Ab ist der Zopf.
Die immer gleiche Bewegung. Wie mit einer Sense, beidhändig, die Armhaltung versetzt,
schwinge ich den Besen knapp über den Boden. Der Staub wirbelt hoch auf. Alte Bekannte
kamen vorbei.
Die Staubwolke funkelt in den flachen Lichtstrahlen. Schwebt hoch und weit und strudelt
unterschiedlich schnell auf und in alles was hier so ist. Freie Lücken, Schneckenspalten,
Hohlräume, wulstige Gangnischen.
Es wird diesig. Nicht hell, nicht dunkel. Ein Pfeifen setzt sich aus dem Off durch, unmelodisch.
Das Dunkel ist eine Einbildung von rechts nach links. Weg von den Kanälen, hin zu den
Schaltverbindungen. Rötlich, mit zischendem Geräusch vermengt, setzt sich ein Bild fest.
Eine Art riesen Hangar, dessen Dach und Wände sich im Nichts verlieren. Eine kathedralische
Gebäudesituation. Durch Spalten bricht das Licht in viele Farben und von allen Seiten herein.
Der Blick geht von oben und von unten, schräg und waagrecht. Die Kuppel verschluckt die
Schatten.
Winzige Gestalten schlendern und kriechen da herum. Genau betrachtet ist es eine Stadt
von oben gesehen. Eine Stadt bei herbstlichem Wetter. Von Weitem hört man Krähen,
Verkehrsgeräusche mischen sich unter und ein kontinuierliches Rauschen, das nicht von
außerhalb stammt, mischt sich bei. Die Wolken verhindern weiteren Einblick.
Das Rauschen wird zum Dröhnen.
Da steh ich an der See und schaue über sanfte Wellen in den Horizont.
Das Plätschern und Gurgeln über die Steinchen und den Sand, das dunkle Grün, die
Wellenbewegung, hin zu mir und weit weg führend, setzt eine unproportionale Melancholie in
Gang. Bei diesem Anblick laufen mir die Tränen.
Hier will ich bleiben – einfach am Ufer, mit Sicht über das Wasser, hin in die Weite, ins diesige
Nichts. In die Verschwemmung von Wasser und Himmel.
41
Es riecht nach Schlick, alten Algen und Salzwasserpfützen, die abgestanden in der Sonne
verbraken. Möwen ziehen hämisch kichernd vorbei. Einfach Sitzen und die Zeit vergehen
lassen. Es plätschert. Warme feuchte Luft breitet sich aus. Es ist kalt – draußen – und das
mollige Bad ist bereitet. Schaumbad, das ist so hübsch anzusehen. Die kleinen Bläschen
funkeln bunt und platzen mit leisem Pitsch. Der Einstieg ins warme, duftende Wasser ist eine
kitzlige und nur schwer zu ertragende Angelegenheit. Dauert ewig. Die Zehen schmerzen, so
heiß ist das Wasser und der Rest des Körpers kühlt weiter aus. Nach einigen Minuten habe
ich es geschafft, bin bis über die Schultern unter Wasser. Der Hahn tropft, die Wärme umgibt
mich - -----sehr schmeichelnd.
Guter Mond du gehst so stille ... Laa,la,lala,lalalala.
Das Wasser ist längst mit lautstarkem Gefällegeräusch abgelaufen. Die Wanne ist seit Jahren
unbenutzt. Dreck und Einschläge in der Emaille überziehen die Badewanne. Zur Zierde liegt
ein Skelett eines Vögelchens am Rand des Abflusses. Der Kopf ist winzig. Zarte, hauchdünne
Knochenschicht. Zwei verhältnismäßig große Löcher sind zu sehen und ein leicht geöffneter
Schnabel. Die dünnen Beinknöchelchen mit den Klauen sind verdreht. Eine halb volle
Schaumbadflasche steht auf dem Rand.
Da kommt ein Klopfen und Hämmern näher. Ein riesiger Hase biegt um die Ecke. Aufrecht,
mit den Vorderläufen auf den Asphalt schlagend. In Drohgebärde bleibt er stehen.
Nix wie weg von hier!
So adrett geordnet und inszeniert, wie dieses Gebäude, das eigentlich einen Lebenszustand
und eine Lebensposition zeigen soll, ist langweilig. Eine Rekonstruktion, deren Feinheit
lediglich im Unbekannten für manche liegt. Das ist Effekthascherei und es entspricht nicht
dem Original. Das ist ein flüchtiger Gedanke zur Documenta 2012.
Meine physiognomischen Eigenschaften erlauben einen gezielten Einblick in die „Schaltkreise“
und hormongesteuerten Eigenschaften meines Groß- und Kleinhirns. Sie können mir durch
die Ohren mitten in den Kern hören, das ist einzigartig.
Meine Sehkraft ist wie die Vergrößerung eines Spezialmikroskops. Das hängt nicht mit meiner
Dioptrie zusammen, sondern mit meiner Imagination. Ähnlich verhält es sich übrigens mit
meinem Tastsinn und meinem Riech- und Hörsinn.
Aber ich bleibe zunächst beim Sehen. Hier habe ich ein Beispiel.
Kürzlich hatte ich eine kleine Verletzung am Knie. Eine Schürfwunde. Nach einigen Tagen
hatte sich eine Kruste über der Verletzung gebildet, die ich, mit den Fingerspitzen befühlt, als
uneben, holprig und borstig empfunden habe.
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Das Bild dazu: eine dörrige Tonerden-Landschaft. Aus den Spannungsrissen der Erde kragten
Stängel hervor. Was ich fühlte, wollte ich auch sehend überprüfen. Kann es sein, dass ich eine
solche Landschaft auf meinem Knie vorfinden würde?
Bei gestrecktem Bein, der Abstand von den Augen zum Knie beträgt etwas mehr als einen
Meter, konnte ich nichts Außergewöhnliches sehen. Also winkelte ich das Bein an und war so
mit meinen Augen etwa zwei Zentimeter von der Krustenoberfläche entfernt. Und, tatsächlich
sah ich einen etwa 1 Cent großen Krustenkreis, der uneben war.
Allerdings sah ich synchron, als übergeordnete Sichtfläche, eine Vergrößerung, die meinem
Fühlereignis sehr nah kam. Natürlich sah ich keine Landschaft, sondern eine braunrot
verdickte und vertrocknete Blutkruste, die viele kleine Risse hatte, aus denen Haarstoppeln
wuchsen. Meine Beobachtung hab ich dann, mithilfe einer Lupe, verifiziert.
Ich sehe, trotz einer gemessenen Sehschwäche von ca. 2-3 Dioptrien und einer
Hornhautverkrümmung, vergrößert und darüber hinaus sehe ich mehr als überhaupt
vorhanden ist.
Dementsprechend bleibt mir eine Erlebniserinnerung, die extrem detailreich ist und mir für
meine Arbeit einen immer größer werdenden Fundus anlegt. Jaaa, der wird angelegt, das tue
ich nicht aktiv.
Das entsteht durch die Fähigkeiten meines Gehirns, das seine Füllkapazität nach ca. fünfzig
Jahren bestand, noch immer nicht erreicht hat. Leider habe ich noch nicht gelernt all die
Inhalte, die mir da zur Verfügung stehen, zu verwenden.
Ich laufe mir selbst immer ein bisschen hinterher. Komischerweise bin ich schneller als andere,
vielleicht nutze ich ja doch mehr.
Hauptsächlich Zahlenkombinationen, und Farbbeutel lasse ich ungern liegen.
Das mit den Zahlen ist sehr abstrakt. Nicht das Rechnen meine ich, sondern die Zahl
als Mengen- und Kombinationsangabe, als vergleichende Größe und Proportion. Als
Einschlafhilfe und Beruhigungsmittel sind Zahlen, man sollte sich auf eine Zahl beschränken,
ungemein nützlich.
Neurotisch, hochempfindlich sind auch viele andere meiner Empfindungen und
Wahrnehmungen.
Nein, ich rede nicht von Angst, sondern von einer eselsgleichen Vorsicht vor möglichen
Unwägbarkeiten. Und einer Aufmerksamkeit, die einer Schlange gleicht, diese Tiere spüren
Vibrationen über viele, viele Kilometer entfernt. Allerdings kann man das auch Empathie
nennen.
Ich werde Ihnen noch mehr Bröckchen zur Interpretation und oder Analyse vorwerfen. Bitte
Sie aber, mir später keine "guten" Ratschläge zu erteilen! Sie malen ja auch nicht in ein Bild
hinein, das in einer Ausstellung hängt.
Ein Wald ist ein Wald und keine Spielwiese für Kunst. Oder denken Sie, dass Tiere sich einem
Kunstwerk hingeben, es befühlen, betrachten, aufsaugen und mit in ihren Bau nehmen wollen?
Was könnte so ein Tier wohl bezahlen?
Glücklicherweise brauche ich mich nicht an wissenschaftliche Termini oder die Richtigkeit
meiner Aussagen zu kümmern.
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Ich stelle mir mein Gehirn bildlich, als Wurmansammlung vor, oder als eine vierdimensionale
Struktur. Die netzartig aus einzelnen, hauchdünnen, wahnsinnig vielen Fäden besteht, die sich
an manchen Stellen miteinander verbinden. Relaisstationen bilden. Ein komplexes Gebilde
mit Freiräumen. Da knallen manchmal, wenn zu viel Input an eine Verbinderstelle kommt,
die Verteiler durch. Ein Funke, ein Zucken, helles Licht, ein Blitz, und dann herrscht mal
kurz Ruhe. Manchmal verursacht durch äußere Impulse. Meist aber verwende ich diese
Empfindlichkeit als Antreiber für meine Arbeit.
Es ist keine Verstopfung, sondern eine zu intensive Reibung der zu nahe aneinander liegenden
Transportfäden. Da schlackert ein Fadenende rum, bis er sich rekonvalesziert hat. Oder ein
anderer Faden die Aufgabe übernimmt. Ob Rot Rot ist, spielt keine Rolle, sofern ich mir sicher
bin, dass ich das Rot, das ich meine, benutze.
Der Mond geht auf - groß und hell als wär's in Schottland - eine Kuppel wölbt sich langsam
am Horizont empor. Enten quaken die Sonne herbei. Dunkel wird es nie. Nur die Ahnung
der Dunkelheit verkehrt den Sinn. Ein Bach murmelt, als wär's ein Kanal, was die Dunkelheit
noch heller werden lässt - Elektrogeräte summen im Off.
Ein Stierkämpfer erscheint vor einem Bahnsignal - er wedelt mit dem roten Tuch - er zielt,
doch trifft er die Hochspannungsleitung nur am Rand. Des Matadoren Augen leuchten kurz
und feurig auf - es ist zu hell. Arabische Frauenstimmen tauchen - Auf und Ab - Bäume
wiegen sich in alten Tanzpalästen - nicht zum Walzer - Enten quaken.
Der kühle Hauch des Tages zieht durch stille Räume - Ein Bewusstsein scheint zu erlöschen,
schon hört man ein Neues raunen - Bilder huschen durchs Gedächtnis - Enten quaken am
Steg. Schiffchen schaukeln auf dem See. Die kleine östliche See murmelt sachte vom Bernstein
- Anekdoten, Fetzen. Die Gischt legt sich rasch darüber - Orkane wehen übers Land - Krähen
rufen am Abend wie am Morgen - sie erzählen turbulente Geschichten - Gestalten tanzen
am Rocksaum - Eitelkeiten verwischen am Strand - Ein längst Verstorbener schaut vorbei
und wünscht sich von Zeit zu Zeit sein Leben wieder - Ein Synthi wimmert - kein Rhythmus,
eher ein Zustand macht sich breit, Gespenster gehen um am Küchenbord - aber das Rascheln
und Kratzen sind die Mäuse, die über Winter ins Warme flüchten. Die Flüsse steigen an Schneeschmelze über Land - glockenhelles Lachen - Mond und Sonne treffen sich, mancher
Strahl biegt an einer Ecke ab, durchstreift unbekannte Gassen - vielleicht mit rotem Band?
Signale zappeln durchs Gestrüpp - Wolken ziehen vorüber - Menschen verstummen - Bilder
über Bilder - Naturkatastrophen präsentieren sich harmlos.
Die Kuppel wurde zum silbernen Ball am Himmel - Meersalz, Algenduft und tote Fische die Sicht ist gut - so gut es eben geht. Afrika kann man hören und von Formen träumen, die
keinen Kompromiss eingehen. Der Tag ist freundlich - Wie kann das sein?
Hohe Wellen verschlingen Felsen mit Lust, die sie nicht kennen und nicht haben. Der Mensch
weint und lacht am eigenen Grab - Die Sonne schiebt sich dazwischen und alles ist weg.
Das Wesen liegt im Individuum, nicht in der Empfehlung einer Wesenhaftigkeit.
Ich erinnere an Cervantes, Don Quichotte und an Grimmelshausen „Simplicissimus“. Weder
ein Ritterroman noch eine Abenteuergeschichte.
Wir überhöhen unser Dasein, unser Handeln bis ins Groteske, allen Ernstes.
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Ein Bruchteil ...
45
MOVEMENT spielen und staunen zwischen den Häusern x-qm 2011
Objekt und Bewegungsinstallation zum Projekt x-qm "wem gehört der Raum zwischen den
Häusern" auf dem Friedrich-Stoltze-Platz.
Auf dem Friedrich-Stolze-Platz wurden "Hickelhäuschen"
aufgemalt.
In der Spiele - Infobude konnten weitere Spiele, Accessoires,
wie Haushaltsgummi oder Kreide und Steinchen abgeholt
werden. Kurze Spiele-Erläuterungen für "Neulinge" lagen
ebenfalls in der Bude vor. So konnten Passanten aus einer
Laune heraus Hickelhäuschen, Gummitwist, Verstecken oder
anderes spielen.
Diese „kleinen“ Spiele, die
ich in ihrer Einfachheit der
Theorie des japanischen
Wabisabi assoziiere, stehen
als Aufforderung und Hinweis, unmittelbare Freude zu
leben und stehen als Metapher für Kommunikation und die
Einfachheit des Seins . . .
46
L‘ amis du Fantomas 2011
Das ist eine Straße hinter dem Römerberg, die Buchgasse, sie führt auf die Leonhardskirche
zu.
In der Buchgasse fanden Bauarbeiten statt. Um die Baustelle zu schützen, wurde eine
Holzwand aufgebaut.
Diese Wand ist charakteristisch und einzig zu
dem Zweck des Schutzes da. Und für Künstler,
die den öffentlichen Raum als Angebot sehen
und spielend verwenden.
L'amis du Fantomas ist ein Gelegenheitswerk,
das je nach Lichteinfall deutlich oder
undeutlich hervortritt.
L'amis du Fantomas ist ein "verlorenes"
Werk.
Oneway mit verschiedenen Erscheinungsformen: Objekt (Environment) und dessen Schatten
(gelegentliches Abbild).
L'amis du Fantomas ist nur kurze Zeit sichtbar und vorhanden.
Urbane Kunstspielerei
"L'amis du Fantomas" ist eine Arbeitsreihe im und mit dem öffentlichen Raum. Kleine,
temporäre Arbeiten für städtische Nischen, für leere Wände und kahle Mauern.
Die Dauer der Ausstellungen ist nicht vorhersehbar.
Was mit den Werken geschieht, sind sie vom Ort
verschwunden, ist ebenfalls unbekannt ...
Die Erscheinungsweise der Werke konzentriert sich
umgebungsabhängig am Ort.
47
Fantomasi 2008
Gesichter im Vorbeigehen, Blicke die einen kurz streifen, Münder, die man im Vorübergehen
erhascht, Kleinigkeiten des kurzen Augenblicks. Ob man sie je wieder sieht, oder gar wieder
erkennt?
Fünf Stationen, eine Position im öffentlichen Raum Frankfurt, unter dem Titel:
“L’Amis du Fantomas”.
Wann: ab 15. April 2008. Dauer, unbekannt.
Wo:
Braubachstraße graues Tor
Holzgraben/ Ecke Zeilpassage
Holzgraben Nr. 8
Holzgraben
Holzgraben Nr. 5
Verlorenes Werk
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WOW 2010 oder, das fehlende Kunstwerk
Ein Laut der Begeisterung, der Zustimmung und Sprachlosigkeit. WOW klingt positiv und
ist eine hübsche Buchstabenkombination. Lautsprachliches Bild. Ohne Konsequenz und
ohne Zynismus. International verständlich durch die Prononcierung, sprechen Sie WOW mal
hessisch aus. Wie gemacht für den Stadtraum.
Anekdote der künstlerischen Arbeit:
... mit dickem Kreidestrich verrichte ich
mitten im Stadtraum eine Subversion und,
wie ich erhofft habe, werde ich von
Stadtpolizisten an meiner Handlung gehindert, sehr freundlich aber bestimmt. Kreide
hin, Kreide her.
Eine gelungene Arbeit, bei der nichts fehlt,
außer am Ende das Kunstwerk, ich musste
es entfernen. Perfekt!
Ambulante Handlung 2009
Interventionen oder ambulante Handlung
Stehen fertig Backmischungen oder Fertiggerichte
nicht schon seit Längerem auf fragwürdigem Boden?
Mal auf die Kunst übertragen, die bildende, müsste
doch eigentlich jeder Künstler von der Fertigmischung
Abstand nehmen.
Vorkonfektioniert steht es sich doch eher wacklig, bzw. zwackt der eine und andere Abnäher
an der falschen Stelle. Eine Vernormung in der bildenden Kunst, thematisch wie formal, ist
wie Backtriebmittel, es führt zu Blähungen und Unwohlsein.
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Die Produzentensozietät
Die Produzentensozietät ist eine Künstlerinnengruppe, 2005 gegründet von C. F. Ch. Heier
und S. Abidi.
Zwei - dreimal im Jahr zeigen wir und die von uns eingeladenen „varianten Genossen“, in
einem offenen und einsehbaren Prozess, unsere Arbeiten und Arbeitsmethoden. Die
Aktionen sind temporär.
Tischgesellschaft zu Gast in der Heussenstamm Galerie 2014
"Bleiben wir doch auf dem Teppich" Essen und Kunst
Speise: Gormeh Sabsi und Hadouch – persisch, marokkanisch in 3 Szenen.
1.Szene
Vorspeise: Kräuter, Nüsse, Oliven, Pasten, Joghurtsauce, Rosen, Fladenbrot Minzetee aus Samowar. Schüsseln und Schalen. Mit dem Brot nimmt man die Saucen auf, Löffelchen für
Kräuter und Oliven, Servietten.
Zwischenszene 1
Der Tisch wird abgedeckt. Über den Tisch wird zur allgemeinen Unterhaltung ein Streifen
Papier, thematisch beschriftet ausgerollt.
2.Szene
Hauptspeise: Gormeh Sabsi (Lammfleisch mit Kräutern) und Hadouch (Gemüse-Topf) mit
persischem Reis. Tee, leichtes Bier und Wein. Teller,
Besteck, Gläser (einfache Wassergläser), Vorlegeplatten
für den Reis, 2 Töpfe.
Zwischenszene 2
Der Tisch wird abgedeckt. Persische, klassische Musik
von Kassette (Ghettoblaster). Polaroid 10 Fotos der
Szenen.
3.Szene
Nachspeise: marokkanisches Gebäck und Tee.
Filzstifte und Papier.
Ausklang.
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Die Produzentensozietät im Projekt x-qm 2011
Anlagen-Boutique im Untergrund
Zittriges Licht, Aroma von Urin, einige Graffiti, Werbeplakate, Hall, schnelle Schritte, surrendes Geräusch von Rolltreppen, einige leer stehende Läden, Hinweisschilder. Eine Unterführung, mitten in der Stadt. Hier hält man sich nicht auf! Doch!! Um genau zu sein, hat sich die
Produzentensozietät 7 Tage im Untergrund aufgehalten. Jeder konnte kommen und darüber
staunen.
Ventilierung und Irrlichterei der Produzentensozietät
Programm:
Ortseinfühlung: Betrachtung und Dokumentation eines
Tages in der Unterführung. (8 Stunden sind kein Tag).
Konkretisierung: situationistische Choreografie.
(grafische Darstellung von Untergrundbewegungen originaler und fiktiver Spuren).
Kartenspiel, Kaffee und Kuchen. Sieht man im Untergrund besser?
Verwerfung: situationistische Interventionen mit Nadel
und Faden.
Seemannsgarn, langes Fädchen, faules Mädchen, der rote
Faden hängt am Haken, Restgarn knüpfen.
Entwirrung, Auflösung und Fragestellung.
Zwischenspiel: 90 Minuten Plätzchen. Ein urbanes Spiel mit dem Spiel.
Ortsausgang: Abrechnung: 1+2+3+4= >oder<10.
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Zu Gast im Künstlerkreis Kelkheim - Märchen
Collage aus den Tiefen der Erinnerung
Titel: Mähähä, Mähähä, ich bin so satt, ich
mag kein Blatt...
Performance zur Eröffnung
Die Produzentensozietät zu Gast im Yachtklub Frankfurt 2010
Titel: Qué será …Urbs phonie - Eine auditiv-visuelle Installation mit variantem Genossen.
Urbs phonie – bedeutet bei dieser Installation, akustische Eigenarten der Stadt und der
unmittelbaren Umgebung des Yachtklubs in
einer auditiv-visuellen Verschmelzung (Ton,
Lichtbild, Musik, Bootsfahrt mit Schiffen)
zu arrangieren.
Material: Plattenspieler (Dj-Anlage), Laptop, Beamer, Projektionsfläche, Gummiboot, Paddel, Papierschiffchen.
Dauer: 2 - max.3 Stunden.
Sanfter Ausklang.
Auf dem Main ist uns eine seltsame Gestalt
erschienen, weiß und schaumig sah die Gestalt aus, mit riesiger Flosse.
Kunst schafft neue Dimensionen, macht
Unsichtbares sichtbar, hier ist der Beweis,
die Mär vom Wal im Main ist wahr.
52
Überraschung im Vorübergehen - 2008
Interventionistisches Kunstprojekt im Wagnerraum. Dieser kleine Laden ist etwas Besonderes.
Jahrzehnte wurde er von einem "Unsichtbaren" künstlerisch genutzt.
In diesem Kunstkarton war die "Hölle" los. 25 Jahre, etwa alle 6 Wochen gab es einen Umbau.
Eine neue Raumsituation war zu sehen.
Seit etwa 2 Jahren wird der Raum nicht mehr so rege bespielt. Vier Wochen lang haben wir
das geändert.
Die Entwicklung neuer Arbeiten unter öffentlichen Bedingungen steht im Zentrum unseres
Projektes. Nicht das einzelne Werk, sondern die interventionistische Situation, die Gesamtheit
des Projektes ist das Werk. Wir konstruieren transitorische Bedingungen.
Einführung
Auf unser hochkomplexes Werk verweisen wir mit zwei
Miniaturen, und merken mit einem Zitat von Samuel
Beckett aus „Das Gleiche noch mal anders“ an:
"Glücklicherweise geht es nicht darum zu sagen, was
noch nicht gesagt worden ist, sondern wieder zusagen,
und zwar so oft wie möglich, auf möglichst engem
Raum, was schon gesagt worden ist. Sonst verwirrt man
die Amateure ...
Also, das Gleiche noch mal anders, weil dasselbe niemals zweimal passiert."
53
Variante Genossen der Produzentensozietät im Wagnerraum
54
Frankfurter Kunstorte Friedberger Platz
"Verehrte Gäste, treten sie bitte nicht an die Wände, verschmieren sie bitte nicht die Scheiben und achten sie beim Eintreten auf
die fünf Stufen! - Vorsicht!
Guten Abend, sie befinden sich in einem Produzentensozietätsraum, das ist so was wie ein Labor oder der OP Saal im Krankenhaus. Bzw. äh, wie sagt man? Ach ja, der Ausstellungsraum.
Situationsbedingt haben wir es hier mit einem Umgebungsraum
bzw. mit einem transitorischen Raum zu tun ..."
55
90 Minuten Plätzchen
Beitrag der varianten Genossin Pa. Sch. Moh.
Heute ist Kaiserwetter in Frankfurt. Ich warte auf der Verkehrsinsel am Park auf grünes Licht.
Ein vielgliedriges Autoschlangentier braust an mir vorbei und aus dem Park auf der anderen
Straßenseite lockt der kunterbunte neue Spielplatz. Ein sonnengeflecktes Nachmittagsgrün
am Weg zu den Hauptumschlagplätzen von Ware gegen Geld. Ach, verweile doch hier.
Etwas weiter entfernt, auf der Wiese, sehe ich einen Fleck, der da nicht hingehört, so
als wenn sich der Pointillist vertupft hätte, als er den Spielplatz gemalt hat. Endlich
Ampelgrün, weiterschlendern und nachschaun. Neugier überkommt mich. Niederfrequente
Fußballschallwellen dringen aus einem Fernseherchen, der auf dem Rasen steht, dort, wo sich
die Wege kreuzen. Umgelegte Bierkästen und der Flimmerkasten und sonst keine Fußballseele
da. Einpaar unschlüssige Minuten lasse ich noch vergehen, bevor ich mich niederlasse. Es ist
WM und ich schaue Fußball.
„Na, sie ham es sich aber gemütlich gemacht, junge Frau, wie viel stehts denn?“ Ein in
explodierende Farbe gekleideter älterer Herr steht neben mir. „Nehmnse Platz, mein Herr
und schaunse selber“. Sein Hund leckt mir die nackte Fußsohle. Wir schauen nun gemeinsam
mit Tunnelblick auf das Geschehen. Eine Mutter ruft ihre Kinder zurück: “Nein, nicht dahin
gehen“! Anton Kirchner lächelt milde von seinem grünspanigen Denkmalsockel herunter.
Denk mal. Da fährt eine Brise durch die Platanenbaumkronen hoch über uns und ein
Blätterrauschen ist vernehmbar in der Sekunde, in der die Stadt schweigt, weil das Schlangentier
an der Ampel ruht und der Reporter gerade mal nichts sagt.
90 Minuten Plätzchen steht auf dem Pappsitzkissen. Einige von der Gesellschaft vergessene
Mitbürger von der Trinkhalle am Parkrand prosten uns mit Flaschenbier zu. Kinder vom
Spielplatz stehen plötzlich da und gucken. „Wer spielt denn?“ Ich bin ja hier der Gastgeber,
sozusagen der Pionier dieses Örtchens – war ja der Erste, der sich getraut hat, auf dem
Plätzchen zu sitzen. Ich lächle also ein ermunterndes Lächeln und die Kinder lassen sich
nieder. Sandige Sandalen neben mir. Ein Pärchen diskutiert hinter uns den Spielstand, eine
Dame mit Hündchen geht derweil kopfschüttelnd vorbei und dreht sich dann doch einige
Male um. Der Verkehrslärm weicht zurück, wird zum niederfrequenten Stadtrauschen um die
kleine Gemeinschaft, dieses Inselchen herum.
Schlusspfiff. Die Kinder rennen zum Spielplatz zurück, der Mann in explodierenden Farben
und ich erheben uns träge. Wo wollte ich eigentlich noch mal hin?
Nachtrag: Letzte Nacht hatte ich einen Albtraum, ich war wieder am 90 Minuten Plätzchen,
und diesmal stand auch eine Würstchenbude da und ein Caipistand. Fahnen wehen, es ist
geflaggt. Pa.
56
Kiosk - Environment 2000
Der Kiosk ist als semi-transparente Installation im öffentlichen Raum entwickelt.
Der Kioskkörper besteht aus transparentem Plexiglas - die Wandung ist silhouettenscheinig
- die Transparenz lässt die Verschmelzung des äußeren Erscheinens - Körperoberfläche - mit
dem Inhalt - Aktivität - geschehen.
Die Umgebung - beteiligt wie unbeteiligt - ist ein unausweichlicher Bestandteil des Kiosks.
Besucher und Passanten sehen einander von innen nach außen ebenso wie von außen
nach innen und integrieren sich so mit der Raumskulptur. Der Raum mit Inhalt tritt
metamorphisch in Erscheinung.
Es ist ein Versuch meine Idee der Komplexität von äußerer und innerer Eigenschaft
einer skulptural - räumlichen Arbeit im/mit
dem öffentlichen Raum wiederzugeben.
Dieser Raum ist eine Skulptur, er ist mobil
und im Public Space erlebbar.
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Einführung Transkription
“... und nicht nur Hopes geschaffen hat, sie hat auch ein Projekt in Gang gesetzt, das
Aktionsfläche für weitere Künstler ist, in den nächsten Wochen.
Heute feiern wir die Eröffnung des Kiosk Environments. Der Kiosk wird in den nächsten
Wochen durch Frankfurt wandern.
Um es vorwegzunehmen - ich erkläre jetzt nicht, was dieser Kiosk zu bedeuten hat, ich werde
jetzt keine Gebrauchsanweisung zur Rezeption geben.
Wenn ich mich dem Begriff Kiosk systematisch nähere, betrachte ich zunächst den Begriff
Kiosk und die Bedeutung Kiosk, die eine alltagspraktische Funktion hat, was Cornelia sehr
schön in ihren Einladungen erklärt, was ein Kiosk eigentlich für eine Funktion hat, was er
leistet. Das spontane Einkaufen, wenn man was vergessen hat, spontanen Gelüsten nachgeben,
wenn man tagsüber etwas vergessen hat, abends kann man diese Dinge noch schnell am Kiosk
kaufen.
Nicht in allen Städten gibt es Kioske. Z. B. in Wuppertal gibt es keine Kioske, und da vermisst
man Kioske ganz furchtbar, wenn einem da abends um 9h einfällt, dass man noch ein Bier
trinken möchte oder noch etwas zu besorgen hat, muss man an eine Nachttankstelle mit dem
Auto und merkt, es ist ein struktureller Mangel keinen Kiosk zu haben.
Als ich wieder in Frankfurt war viel mir auf, dass in Stadtteilen wie Bornheim, Nordend oder
auch Bockenheim, Kioske eine Zäsur sind in der Architektur. Wir haben klassischerweise
einen Block, eine Ecke, einen Kiosk, eine Querstraße, einen Block, eine Ecke, einen Kiosk
und wieder eine Querstraße - so schön ist es in Frankfurt.
... und wenn ich mir vorstelle, dass dieser Kiosk durch Frankfurt wandert und ein
Gedankenexperiment mache - wenn wir uns sehr, sehr langsam durch Frankfurt bewegten
- dann würden wir auch diesem Kiosk in regelmäßigen Abständen begegnen wir müssten langsamer sein, als er auf- und abgebaut wird.
Woher kommt das Wort Kiosk? - Es hört sich nicht besonders hessisch an, Hessen sagen
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auch ab einer bestimmten Promillegrenze, Waasserhäussche oder Trinkhalle, Kiosk muss eben
deutlich ausgesprochen werden.
Kiosk wurde im 18. Jh. Aus dem französischen Kiosque entlehnt und bedeutet offener
Gartenpavillon. Ursprünglich stammt das Wort aus dem türkischen Kösk, Cornelia Heier sagt,
eigentlich aus dem persischen Kušk. Die moderne Bedeutung erfährt der Kiosk im 19 Jh., das
war die Zeit, in der die Kioske in der Stadt Einzug fanden.
Also, ein Kiosk ist ein Gartenpavillon. Wenn ich mir jetzt genau angucke, was ist das hier für
ein Ding und was macht dieses Kiosk Environment eigentlich aus, dann merke ich schon an
dem Namen, das ist keine Trinkhalle und kein Wasserhäuschen, das ist ein Kioskenvironment
- das ist ein Zungenbrecher.
Wir sehen einen fliegenden Leichtbau aus Kunststoff - ein Leichtbaupavillon in Anlehnung
an einen Gartenpavillon, dieser Leichtbaupavillon hat ein Fenster, was für Kioske typisch ist,
in einem Kiosk dient dieses Fenster der Warenausgabe - hier können ebenfalls Waren aus
dem Fenster ausgegeben werden, im Unterschied zu unserer bisherigen Kioskerfahrung fehlt
aber ein Hinweis auf diese Ware. Normalerweise hängen Schilder und Plakate von Coca-Cola,
Henningerbier etc. Also wir sehen, aha - der Kiosk ist kein Kiosk.
Ein Indikator für Autonomie von Kunstwerken ist, dass sie sich vermitteln, auch wenn sie aus
der Rahmung Kunst herausgenommen werden.
Ein Beispiel, ein Bild von Jackson Pollock - mit den Farbklecksen, wenn es nicht im Museum
hängt, sonder in einer Druckerei auf einer Druckmaschine liegt und wir hinschauen, wissen
wir es ist kein Papier mit zufälligen Farbklecksen, sondern ein Kunstwerk und so ähnlich
verhält es sich mit diesem Kiosk, er steht nicht in einem Museum, sondern in einem Stadtteil
wo wir in einem Radius von so 5 min. Fußweg viele Kioske finden und trotzdem wissen wir
sofort es sieht aus wie ein Kiosk, aber es ist ein Kioskenvironment.
Also, normalerweise werden bei Eröffnungen andere Kunstwerke herangezogen - das möchte
ich nicht tun, dennoch fällt mir ein Bild ein, das ich zitieren möchte - es ist von Magritte - die
Pfeife - das er gemalt hat.
Das Bild einer braunen Pfeife und unten drunter steht - çeci n’est pas une pipe - dies ist keine
Pfeife - es ist eine gemalte Pfeife und das Bild trägt den Titel - das ist keine Pfeife.
Und wenn wir in der Kunstgeschichte zurückdenken haben Bilder meist einen Titel, der auf
das verweist, was sie abbilden - z. B. der Mann mit dem Goldhelm, die Frau des Kardinals,
Sehnsucht im Abendrot - man sieht an dem Bild, das es keine Pfeife ist, man kann auch keinen
Tabak daraus rauchen, so ähnlich ist es mit diesem Kiosk - dies ist kein Kiosk, sondern ein
Kioskenvironment.
Es ist kein Häuschen, sondern ein Plastikhäuschen, es ist auch eine Plastik - es ist keine
Trinkhalle, sondern eine Sehhalle, und zwar sehen mit - h - und das Fenster dient nicht zum
Abverkauf von Kunstwerken, sondern der Inszenierung vom Abverkauf von Kunst - es hat
also etwas mit der Wahrnehmung eines Kiosks zu tun und weniger mit der Funktion und auch
das Licht sagt mir ganz klar, das ist nicht das Licht eines Kiosks - keine Bonbonillumination,
es ist das Licht eines Environments." (Dipl. Soz. Kristine Erdmann)
59
Ein Experiment mit Weingummifarben und Weingummigeruch
Galerie Simon Dach Str. Berlin bei Ebner und Stein.
Zwischenspiel
60
ZWISCHENSPIEL OT
61
Verteilung im öffentlichen Raum Dresden 1999
Verteilerkasten – Zeichen
Exposé
Zeichen sind visuelle und akustische Hilfsmittel der Orientierung. Wir
reagieren auf Zeichen ihrem Symbolgehalt entsprechend.
Ein Apfel ist Zeichen für einen Apfel, für eine Jahreszeit oder eine Region,
er kann Zeichen für die biblische Geschichte sein wie für ein Märchen
oder Helden. Eine Verpackung ist Zeichen für eine Verpackung und trägt
Zeichen für ihren Inhalt, sie kann auch Zeichen für Verpackungsmüll, somit
Umweltverschmutzung sein. Zeichen können vom Inhalt different sein und
in die Irre leiten.
Beim Überqueren einer Straße reagieren wir auf visuelle Zeichen kombiniert mit akustischen
Zeichen (Ampel, Fahrzeuggeräusche, Zebrastreifen).
Die allgemeine Verkehrsordnung wird uns anhand von Verkehrszeichen verdeutlicht. In
Geschäften reagieren wir auf Markenzeichen oder Sonderangebotszeichen (Ausrufezeichen,
Sparschwein, etc.).
Der öffentliche Raum ist gespickt mit Zeichen, die für uns eine aktuelle, unmittelbare
Relevanz besitzen, aber auch mit Zeichen, die wir kaum wahrnehmen, weil sie keinen
erkennbaren Nutzen versprechen. Zu diesen Zeichen, die ihre Relevanz verbergen, sie aber
dennoch haben, gehören Verteilerkästen.
Die Verknüpfung der Zeichen, unsere Seh- und Kombinationsgewohnheit, gewährleistet
das richtige Zuordnen.
V-I
Betrachtung des städtischen und öffentlichen Raumes in Bezug zur optischen
Erscheinung von Verteilerkästen
Eine Stadt ist optisch durch ihre Architektur, Verkehrsadern und Plätze geprägt. Die
Proportion dieser Elemente zeigt die städtische Struktur und damit ihre Entwicklung und
Geschichte. Das Gesamtbild entsteht durch die Proportion dieser Elemente. Der städtische
Progress unterliegt vielen Veränderungen z. B. Wachstum und Schrumpfung, Aufbau und
Abriss, die eine Optimierung und Funktionalisierung zum Ziel haben. Das Verhältnis
von Wirtschaftlichkeit und Wohnlichkeit der geplanten Veränderungen muss sensibel und
stimmig bedacht sein.
Das urbane System besteht im Vernetzen und Verknüpfen aller Aspekte.
Ein Bereich ist die Energie, also Stromversorgung. Um diese flächendeckend zu
gewährleisten, müssen Kabel und Rohre verlegt sein - diese teilen und verzweigen sich. Ihr
Aufbau ist in Weichen und Knotenpunkte systematisiert und kategorisiert. Die Komplexität
des Systems manifestiert sich im Funktionieren des städtischen Apparates.
Einige der Knotenpunkte sind optisch in Form von Verteilerkästen erkennbar. Sie gehören
zum ästhetisch reizlosen Detail einer Stadt, sind gestalterisch kreative Unterlassungen.
Jeder andere erdenkliche Platz einer Stadt bzw. ein Detail, das solchermaßen omnipräsent ist,
wurde designet. Um diese "Verpackung" wird gekämpft, sie wird empfohlen, eingefordert
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und verordnet. Die Ergebnisse sind nicht selten peinlich.
Die visuelle Reizlosigkeit des Verteilerkastens hat dennoch System, sie sind nicht als
kulturelle Pralinés des städtebaulichen Konzepts erdacht, sondern als Protektoren ihres
Inhalts.
Spezifizierung Verteilerkasten
Verteilerkästen - oder wie im Fachjargon üblich nur "Verteiler" genannt, dienen
der Verteilung von Elektroenergie in öffentlichen Stromversorgungsnetzen, in
Industriekomplexen und Bahnstromnetzen.
Sie werden in Netzen der Stadtbeleuchtung, Straßenbeleuchtung und zur Übertragung
von Informationen sowie Signalen in drahtgebundenen Kommunikationsnetzen der
Telekommunikation oder der Verkehrssteuerung eingesetzt.
Die Zentren, d. h. die Schaltanlagen und Kabelweichen sowohl für den öffentlichen als
auch für den privaten Raum, werden an leicht zugänglichen Orten im öffentlichen Raum
platziert, um eine unkomplizierte und reibungslose Wartung zu gewährleisten. Gruppen
von Verteilerkästen weisen auf eine Konzentration von Stromschaltanlagen hin. Die Kästen
bzw. die Weichen befinden sich an Straßenrändern, Verkehrsinseln, auf Wiesen oder nah an
Häusern. Verteiler sind Protektoren.
Die Gestaltung des Verteilers folgt der Funktion
Verteilerkästen sind unerlässlich in einer Stadt oder Gemeinde, sie sind allgegenwärtig und
doch nicht in das programmatisch gestaltete Gesamtbild einer Stadt integriert. Man kann
die Verteiler als ästhetische Kontrapunkte ansehen, deren Design die Funktion nicht optisch
aufnimmt, sondern eher verbirgt und doch auf sie dahingehend gerichtet ist, den Inhalt
möglichst zu schützen und in diesem Sinn unauffällig zu sein.
Dennoch besetzt der Verteiler in gleicher Vehemenz wie andere städtische “Kleinodien” eine
ästhetische Stellung im öffentlichen Raum.
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Verteilung
Auf dem Verteilerkörper befinden sich spezifische Merkmale die den Inhalt
kommunizieren, ebenso wie unspezifische Zeichen und Graffitis, die Kommunikation
bedeuten. Der Inhalt und der Körper sind Kommunikationsträger, mithin ist der Verteilerkasten ein Synonym für Kommunikation.
In diesem Sinn steht die Kolonie als Animation zur Verteilung von Gedanken im
öffentlichen Raum.
V - II
Gedanken, Semiotik
Gedanken
Verteilen, abgeben, Gestrüpp, Nerven, Leitungen, Verbindungen, Vernetzung, Kommunikation, Mitteilung, Austausch, Übertragung, Zeichen, Ikon, Symbol, Sprache, Verständnis,
Assoziation, Verknüpfung, Erfahrung.
Kein Zeichen kann alleinstehend ein Zeichen sein. Was bedeutet, dass jedes Zeichen erst
zum Zeichen wird und kommuniziert, wenn es entweder ein Ikon, ein Index oder ein
Symbol ist.
Was sind Symbole, Zeichen und Ikons? Wie funktionieren sie, was lösen sie aus, was sind
die Unterschiede, wie bauen sie aufeinander auf?
Semiotik
Ein Ikon ist ein Zeichen, dessen zeichenkonstitutive Beschaffenheit eine Erstheit ist. D.h. die
Erkennbarkeit des Ikons ist von seinem feststehenden, bestimmten Zeichen abhängig. Dies aber unabhängig
vom Objekt, das Ikon kann in einer existenziellen Beziehung zu einem Objekt stehen, ohne dass das
Objekt existent ist. Beispiel: Das Bild eines Dreiecks in Gedanken ist eine Repräsentation von allem,
was ihm auch immer ähneln mag, und zwar deswegen, weil es die Qualität der Dreieckigkeit besitzt. Was
bedeutet, dass ein Ikon in der Phantasie existieren kann.
Ein Index ist ein Zeichen, dessen zeichenkonstitutive Beschaffenheit in einer Zweitheit oder einer
existenziellen Relation zu seinem Objekt liegt. Ein Index ist als Index nur zu bezeichnen, wenn sein
Objekt und er selbst individuelle Existenz besitzen. Beispiel: Ein deutender Finger ist ein Index. Das
indizierte Objekt muss tatsächlich vorhanden sein. Wichtig zu beachten ist, dass Indices unterteilt, sind in
jene, die als Zeichen nur auf eine Weise wirken und jene, die als Zeichen desselben Objekts in zwei Weisen
wirken. Aus der letzteren Gruppe sind besonders jene Indices wichtig, mit denen Ikons verbunden sind. (So
ist ein Wetterhahn nicht nur ein Zeichen des Windes, weil der Wind tatsächlich auf ihn wirkt, sondern er
ist außerdem dem Wind ähnlich in Bezug auf die Richtung, die dieser einnimmt).
Ein Symbol ist ein Zeichen, dessen zeichenkonstitutive Beschaffenheit ausschließlich in der Tatsache besteht,
dass es so interpretiert wird. Dies ist eine Gewissheit, die auf einem Gesetz beruht. Jedes Wort ist Symbol
und dies ist es, weil es unendlich wiederholbar ist, ohne seinen Sinn zu verändern. Ein Symbol ist also ein
allgemeines Zeichen, und als solches hat es die Seinsweise einer Gesetzmäßigkeit.
Charles S. Peirce / Phänomen und Logik der Zeichen
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Anwendung
Der Kasten ist die Verpackung
Sein Ikon (roter Blitz) vermittelt den Inhalt.
Sein Index (I. d. Nummer) beinhaltet Funktion, Standort und
Bautyp.
Analyse:
Der Index verweist auf den Inhalt, der Inhalt ist existenziell, der Index ist der Inhalt. Ikon und
Index transportieren Bedeutung unabhängig von dem Trägermaterial oder der Form.
Durch die Verschmelzung von Zeichen und Träger wird die Funktion und der Inhalt des
Verteilerkastens impliziert.
Der Verteilerkasten symbolisiert die Symbiose aus Ikon und Index.
Installation - Die Verteilung
Der Kasten bleibt real existierend und unberührt an seinem Standort, nur die I. d. Nummer
wird in freier Formatierung übernommen, und als Kennziffer andern Orts präsentiert.
Die Kennziffer ist Ikon für die I. d. Nummer, welche für den Inhalt, den Standort, den Bautyp
und die Verteilung des Stromes steht.
Die Kennziffer verweist mithilfe eines Stadtplanes und einer schematischen Standortdarstellung
auf die existierenden Verteilerkästen.
Die Verteilung findet durch einen Kreisverweis der Kennziffer zum eigentlichen Träger der
kompletten Information statt.
Behauptung: Denken wird mittels Zeichen vollzogen. Jedes Symbol ist ursprünglich entweder
eine Vorstellung der bezeichneten Idee oder eine Erinnerung eines einzelnen Vorkommnisses,
einer einzelnen Person oder eines einzelnen Dings und mit dessen Bedeutung verbunden.
So verstanden verbinden sich die Zeichen durch den dynamischen Prozess zum fixierten Ziel.
Werden die bezeichneten Wege verfolgt, schärfen sich peu a peu die Sinne auf das Erkennen
des Ziels. Die Nummer nimmt somit in der Assoziationsgeschwindigkeit des Suchenden
Körper an. Die Verknüpfung von Nummer und Objekt beginnt. Gleichzeitig verknüpfen sich
die Erfahrungen im öffentlichen Raum. Ein aktiver Prozess findet statt, der ein physisches
wie psychisches Erleben bedingt. Dieser Prozess bedeutet Bewegung und Wahrnehmung im
Raum, in Proportionen und gegenseitigen Verhältnissen, er ist räumlich, perspektivisch und
dimensional.
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Das Strömungskombinat 98 ...
...ist ein Künstlerlabel, das im August 1998 in Dresden, anlässlich der Ausstellung “
streetlevel” (an einem sonnigen Nachmittag) von Cornelia Heier - Ffm und MV Stein - DD
gegründet wurde.
Unter diesem Label wird die Raumfahrt im Alltag, in Fokussierung von Alltäglichkeiten
untersucht.
Die Ergebnisse werden in verschiedenen
Raumsituationen - nicht ortsgebunden - gezeigt.
Präsentiert werden Beiträge in Wort, Bild und Klang.
Die Installation
Das Forum für die thematische Bearbeitung ist ein
Gebäude der ehemaligen Dresdner Verkehrsbetriebe.
Projekt “ Raumfahrt im Alltag “ eine in Bewegung
befindliche, visuelle und akustische Installation. Eine Raumnutzungsdefinition findet statt
für die Themen, Lichtbild, Film und Vortrag und Verköstigung. Die Installation bildet sich
durch Beiträge von Personen verschiedener Fachbereiche (Film, Komik, Architektur, Musik,
Wissenschaft, Bildkunst).
Vier Innenräume werden ihrer Entsprechung nach erheblich umgebaut, farblich nuanciert
und ausgeleuchtet. Die Installationsmetaphorik bietet jetzt an, durch die Beiträge
konkretisiert zu werden.
Kurzbeschreibung der Ton und Bild Installationen
Manfred Lauffer, super 8 Filme Gründerzeithauseingang auf der Pfotenhauerstraße. Die Aufnahmen
beleuchten den Zustand und die dekorative Vielfalt. Auge, Vortrag über Superhelden in der Comic
Welt. Der Vortrag durchleuchtet die Stellung von Supercomichelden. Tobias Schmid, „Stramm“ eine
Performance, die sich mit Geschwindigkeit von Bewegung in Realzeit auseinandersetzt und damit ein
alltägliches, individuelles Erleben zum Thema hat. B64 Raststätte, eine Performance, die den Teilnehmer
benutzt. b64 existiert als Jour fix seit 10 Monaten jeden Mittwoch in Frankfurt. Tim Edler, Kunst und
Technik Vortrag über virtuelle Räume. Dia Vortrag über ein Berliner Projekt, Spree Bad, Museumsinsel,
Urbanisierung für Menschen. Pfelder, musikalischer Beitrag. Matusch, musikalischer Beitrag.
Vollbrecht, vinylieren - M.f.j.L. + Interview mit den teilnehmenden Künstlern von street level.
Remco, Tappo Kontakt dj Niederlande - chinesische Wandbehandlung. Rene Römert, Betonskulptur.
Prof. Funk, Strömungsverläufe im menschlichen Körper. Dia + Vortrag über alles, was im menschlichen
Körper fließt, sich verteilt und dies ganz alltäglich ist, ohne dass wir davon wissen. Cornelia
Heier, Installation Smog setzt sich mit der Luftverschmutzung und deren Messung auseinander.
Luftverschmutzung ist eine Alltäglichkeit, der wir uns aussetzen und die wir produzieren in unserem
Raum und diese durch Bewegung weiter führen. Drum Force, Percussion in vier Räumen, Premiere.
M. V. Stein/Heier, Sensation du Froid - ein Kältekabinett zelebrierte Kälte im Raum. t.a.g., slabamba:
Dia Vortrag. Bestätigungsinstitut, ein alltäglicher Akt: Wirklichkeit entsteht durch Wiederholung und
Bestätigung. In einer fortgeschrittenen bürokratisierten Gesellschaft regiert der formalisierte Akt.
Identität wird entlang millionenfach wiederholter, vorgegebener Muster konstruiert. Alles, was nicht
schon durch dieses System der formalisierten Akte erfasst ist, fällt weg, als würde es nicht existieren, als
sei es nicht relevant für gesellschaftliche Zusammenhänge. Oder es wird in einen Bereich der Privatheit
verwiesen - einen Raum der angeblichen Freiheit vom Staat, den es in dieser Form gar nicht geben kann.
Klang K - Pelle, elektronische Klangskulptur in simultaner Entstehung. dj Rolle, AbschlussStrömung.
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MIX
Spielerei
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Das war‘s, es hätten mehr Beispiele sein können... natürlich auch viel weniger...
IN EINIGER ZEIT WERDEN SIE EINFACH NOCH MEHR SEHEN KÖNNEN.
In der Zwischenzeit besuchen Sie meine Ausstellungen, meine Projekte und kommen Sie
mich in meinem Atelier besuchen... C. F. Ch. Heier
Mit freundlicher Unterstützung durch das Kulturamt und das Grünflächenamt der
Stadt Frankfurt und Fam. Reitzlein, Fritz deutschlanD e.V., Dr. H. Gundermann,
Fa. Ströer, Fa. Röhm, HfbK Dresden, I. Dudek, Fa. Florschütz, Fa. Steinschlag,
R. Rheinboldt, St. Hildebrand, Schweizer National Versicherung, Drewag,
Fa. Martincolor und vielen anderen Freunden...
Besonderer Dank an: Parwin Sch. M.
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