Kapitel 3 Minkowski-Raum
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Kapitel 3 Minkowski-Raum
Kapitel 3 Minkowski-Raum Die Galilei-Transformation lässt zeitliche Abstände und Längen unverändert. Als Länge wird dabei der räumliche Abstand zwischen zwei gleichzeitigen Ereignissen verstanden. Solche Ereignisse sind Beispielsweise die Positionsbestimmungen der beiden Enden eines Stabes. Die Feststellung, dass zwei Ereignisse gleichzeitig sind, ist nach der Galilei-Transformation in jedem Koordinatensystem gültig, da diese die Zeit unverändert lässt. In der klassischen Mechanik kann man daher zur Beschreibung von Raum und Zeit zwei getrennte Vektorräume verwenden, einen dreidimensionalen für den Raum und einen eindimensionalen für die Zeit. Für beide Räume wird eine euklidische Metrik verwendet (im Fall des eindimensionalen Zahlenraums für die Zeit schlicht der Betrag). Die Lorentz-Transformation mischt räumliche und zeitliche Koordinaten in einer Weise, dass es nicht mehr sinnvoll ist, Zeit und Raum getrennt zu behandeln. Stattdessen werden Raum und Zeit zur sogenannten Raumzeit zusammengefasst, die durch einen vierdimensionalen Vektorraum, den Minkowski-Raum beschrieben wird. 3.1 Raumzeitlicher Abstand Da bei der Lorentz-Transformation (2.22) weder zeitliche noch räumliche Abstände unverändert bleiben (siehe Zeit-Dilation und Längenkontraktion), muss ein anderes Abstandsmaß als die Euklidische Metrik eingeführt werden. Dazu verwendet man die Größe s2 = c2 t2 − x2 − y 2 − z 2 , (3.1) die man als Quadrat des raumzeitlichen Abstandes bezeichnen. Man sieht leicht, dass diese Grösse invariant unter Lorentz-Transformationen ist, denn in einem 21 Abbildung 3.1: Minkowski-Diagramm für zwei längs der gemeinsamen x-x0 -Achse gegeneinander bewegte Bezugssysteme. bewegten System K’ gilt s02 = c2 t02 − x02 − y 02 − z 02 2 = c2 γt − γxv/c2 − (γx − γvt)2 − y 2 − z 2 = γ 2 1 − v 2 /c2 c2 t2 − γ 2 1 − v 2 /c2 x2 − y 2 − z 2 = c2 t2 − x2 − y 2 − z 2 . (3.2) Wir haben hier bereit vorweggenommen, was erst weiter unten gezeigt wird, dass nämlich die y- und z-Koordinaten bei einer Lorentz-Transformation unverändert bleiben solange die Relativbewegung der Koordinatensysteme längs der gemeinsamen x-x0 -Achse stattfindet. Das Quadrat des raumzeitlichen Abstands als Abstandsmaß wird auch als Minkowski-Metrik bezeichnet. Hierbei handelt es sich nicht um eine Metrik im mathematischen Sinne, da die Minkowski-Metrik die Dreiecksungleichung nicht erfüllt und auch nicht positiv definit ist. 3.2 Minkowski-Diagramm Die vierdimensionale Raumzeit lässt sich in einem Diagramm kaum anschaulich darstellen. Da die Lorentz-Transformation (wie noch zu zeigen ist) aber bei geschickter Achsenwahl zwei der drei räumlichen Koordinaten unverändert lässt, kann man wesentliche Gesichtspunkte bereits an einem zweidimensionalen Schnitt durch die Raumzeit darstellen. Dazu trägt man die Koordinatenachsen ct und x 22 des Bezugssystems K sowie die Achsen ct0 und x0 des dagegen bewegten Systems K’ in einem einzigen Diagramm auf, dem sogenannten Minkowski-Diagramm (Abb. 3.1). Durch die Multiplikation der Zeitachse mit der Lichtgeschwindigkeit wird die Darstellung unabhängig von der Wahl der Einheiten: eine Bewegung mit Lichtgeschwindigkeit entspricht jetzt immer der Winkelhalbierenden zwischen den Koordinatenachsen. Zur Vereinfachung der Schreibweise drücken wir die Relativgeschwindigkeit der Bezugssysteme im Folgenden häufig durch die dimensionslose Geschwindigkeit v (3.3) β= c aus, die Werte zwischen -1 und +1 annehmen kann. Die Lorentz-Transformation zwischen den Koordinaten (ct, x) und (ct0 , x0 ) bekommt jetzt eine besonders einfache und symmetrische Form: ct0 = γ (ct − βx) und x0 = γ (x − βct) . (3.4) Alle Punkte, die im Minkowski-Diagramm (Abb. 3.1) auf der x0 -Achse liegen, für die also ct0 = 0 gilt, müssen die Bedingung ct = βx erfüllen, das heißt die dimensionslose Geschwindigkeit β gibt die Steigung der x0 -Achse gegenüber der x-Achse an. Diese Steigung kann höchstens den Wert 1 annehmen, also maximal 45◦ betragen. Allgemein gilt, dass alle Ereignisse, die auf einer Geraden parallel zur x0 -Achse liegen, einem Beobachter in K’ als gleichzeitig erscheinen. Einem Beobachter in K erscheinen entsprechend solche Ereignisse gleichzeitig, die auf einer Parallelen zur x-Achse liegen. Als Ereignis bezeichnen wir speziell im Rahmen dieser zweidimensionalen Betrachtung jedes Paar (ct, x), das eine zeitliche und eine räumliche Koordinate enthält. Aufgrund der Symmetrie der Gleichungen (3.4) bezüglich einer Vertauschung der Koordinaten ct und x beziehungsweise ct0 und x0 schließen wir, dass auch die Steigung der ct0 -Achse gegenüber der ct-Achse durch β gegeben ist. Das Aussenden eines Lichtstrahls aus dem Ursprung des Koordinatensystems wird in Abbildung 3.1 als Ereignis A bezeichnet. Das Eintreffen des Lichtstrahls am Ort x = 5 zum Zeitpunkt ct = 5 wird als Ereignis B bezeichnet. Ein Beobachter im Bezugssystem K stellt also fest, dass sich das Licht mit der dimensionslosen Geschwindigkeit 1, also mit der Lichtgeschwindigkeit c ausbreitet. Ein Beobachter im System K’ ordnet dem Ereignis B die Koordinaten x0 = 4 und ct0 = 4 zu (betrachte die unterbrochenen blauen Linien in Abbildung 3.1) und stellt für die Ausbreitung des Lichts daher die gleiche Geschwindigkeit fest. 3.3 Gleichzeitigkeit Zwei Ereignisse im Bezugssystem K sind genau dann gleichzeitig, wenn ihre Zeitkoordinaten ct gleich sind (wenn Sie also im Minkowski-Diagramm 3.1 auf einer Parallelen zur x-Achse liegen. Diese Ereignisse werden nach Gleichung (3.4) im 23 System K’ unterschiedliche ct0 -Koordinaten besitzen, außer in dem trivialen Fall identischer Ereignisse, bei denen auch die Ortskoordinaten x im System K gleich sind. Umgekehrt können zwei Ereignisse, die in K nicht gleichzeitig sind, unter Umständen im System K’ gleichzeitig sein. Ein Beispiel dafür sind die Ereignisse A und C in Abbildung 3.1. Wir betrachten jetzt ein beliebiges Ereignis E, das zwischen der Winkelhalbierenden und der x-Achse liegt. Da E nicht auf der x-Achse liegen soll, folgt es im System K zeitlich auf Ereignis A. Sicher finden wir eine passende Steigung 0 < β < 1 für die x00 -Achse eines Bezugssystems K”, derart dass A und E auf der x00 -Achse liegen, so dass A und E in K” gleichzeitig sind. Hätten wir die Steigung β geringfügig größer gewählt, ohne β = 1 zu erreichen, läge E sogar unterhalb der x00 -Achse. In diesem Fall würde Ereignis E dem Ereignis A zeitlich vorangehen. Daraus folgt, dass weder A die Ursache von E noch E die Ursache von A sein kann, andernfalls gäbe es ein Bezugssystem, in dem die Wirkung zeitlich vor der Ursache liegt. Wegen der Lage von E gilt ct < x, so dass das Quadrat des raumzeitlichen Abstands zwischen A und E im Bezugssystem K (und aufgrund der Invarianz von s2 unter Lorentz-Transformationen auch in allen anderen Bezugssystemen) negativ ist. Man bezeichnet raumzeitliche Abstände mit s2 < 0 auch als raumartig. Alle Ereignisse im Gebiet zwischen Winkelhalbierender und x-Achse (und in den Gebieten, die durch Spiegelung an der x- oder ct-Achse daraus hervorgehen) haben einen raumartigen Abstand zum Ereignis A im Koordinatenursprung. Der Abstand zu Ereignissen auf den Winkelhalbierenden (zum Beispiel zu Ereignis B in Abbildung 3.1) wird als lichtartig bezeichnet, in diesem Fall ist der raumzeitliche Abstand gleich Null. Ist dagegen s2 > 0, was für alle übrigen Ereignisse zutrifft, wird der raumzeitige Abstand als zeitartig bezeichnet. In diesem Fall findet sich kein bewegtes Koordinatensystem K’, in dem A und E gleichzeitig wären, denn dazu müsste die x0 -Achse eine Steigung von größer als eins besitzen, was bedeutet, dass die Relativgeschwindigkeit größer als die Lichtgeschwindigkeit wäre. Ereignisse mit zeitartigen Abständen besitzen in allen Bezugssystemen die gleiche zeitliche Reihenfolge und können daher in einer Ursache-Wirkung-Beziehung stehen. 3.4 Zusammenfassung Die Lorentz-Transformation lässt zeitliche und räumliche Abstände nicht unverändert. Daher fasst man Zeit und Raum zu einer vierdimensionalen Raumzeit, dem Minkowski-Raum zusammen. Um eine möglichst symmetrische Behandlung von zeitlichen und räumlichen Koordinaten zu ermöglichen, multipliziert man die Zeit mit der Lichtgeschwindigkeit und erhält so die Koordinaten ct, x, y und z, die alle die Dimension einer Länge haben. Die Lorentz-Transformation bekommt dann die bezüglich ct und x besonders symmetrische Form ct0 = γ (ct − βx) , x0 = γ (x − βct) , 24 y0 = y , und z 0 = z , (3.5) wobei β = v/c die dimensionslose Relativgeschwindigkeit der Bezugssysteme K und K’ ist. Als Abstandsmaß wird das Quadrat des raumzeitlichen Abstands, s2 = c2 t2 − x2 − y 2 − z 2 , (3.6) auch Minkowski-Metrik genannt, eingeführt, das invariant unter LorentzTransformationen ist. Ist s2 für zwei Ereignisse negativ, wird der raumzeitliche Abstand zwischen beiden raumartig genannt. Keines der beiden Ereignise kann dann die Ursache des anderen sein. Ist dagegen s2 für zwei Ereignisse positiv, wird der raumzeitliche Abstand zwischen beiden zeitartig genannt. Die zeitliche Reihenfolge dieser Ereignisse ist dann in allen Bezugssystemen die gleiche und die Ereignisse können in einer Ursache-Wirkung-Beziehung stehen. 25