Siegerland - Motorroller-Info

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Siegerland - Motorroller-Info
DEUTSCHLAND: SIEGERLAND
Eisenzeit
Über 2.600 Jahre lang wurde im Siegerland Eisen gewonnen. Nicht nur in Museen
finden sich heute noch Spuren der Eisenzeit. Matze Hepper berichtet.
Grüne Welle: Früh am Morgen, wenn die Sonne aufgeht
und der Dunst das Land bedeckt, herrscht noch wenig Verkehr
auf den Nebenstraßen, wie hier bei Rüppershausen.
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Fotos: Christian Klos
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DEUTSCHLAND: SIEGERLAND
N
Noch vor unserer Abfahrt meint Anja, die
Marketingfrau von REISE MOTORRAD: „Vergesst ja nicht eure Regenkombis!“ Dass sie sich
den Satz hätte sparen können, war Christian
und mir schon vorher klar. Denn in der Münchener Redaktion wird Anjas Heimat gerne als
Schlechtwettergebiet verspöttelt. Siegerland –
Regenwald. Wenn anderswo strahlender Sonnenschein herrscht, gießt es im Siegerland wie
aus Kübeln.
Anjas Empfehlung folgend, bepacken wir
also unsere Motorräder, Triumph Tiger und
Kawasaki Z 1000. Die Autobahnkilometer sind
fix heruntergespult und siehe da: In diesem
Jahrhundertsommer steht nicht nur Deutschland Kopf, sondern auch die äußerste Ecke
Westfalens – es herrscht eitel Sonnenschein.
Mit Einheimischen
unterwegs: Pepe
weiß zu jedem Ort
einen Schwank aus
alten Zeiten zu
erzählen (oben).
Traumland
Siegerland –
zumindest
für Motorradfahrer
Auch Museen erzählen von 2.600 Jahren Eisenproduktion,
wie hier im Oberen
Schloss zu Siegen
(unten).
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Rasch fädeln wir uns durch die Siegener
Rush-Hour auf die Spur nach Netphen ein.
Wenig später erreichen wir das Örtchen Deuz,
in dem Pepe, Anjas Bruder, wohnt. Der fährt
auch Motorrad und zeigt uns auf seiner
Cagiva Gran Canyon am nächsten Tag nicht
nur die schönsten Strecken seiner Heimat, sondern auch die interessantesten Sehenswürdigkeiten. Auf meine Frage, was denn für die
Gegend typisch sei, meint Pepe einfach nur:
„Wald, viel Wald, Sägewerke, Holztransporter,
Eisen und Schwerindustrie.“ Na toll! Im
Verein mit dem regnerischen Wetter erfüllt das
Siegerland dann ja praktisch alle Anforderungen, die an eine beliebte Motorradgegend so
gestellt werden.
Beliebt? Ja, beliebt ist das Siegerland dennoch, insbesondere bei den Reisemotorradlern
aus dem Ruhrpott. Der Rest des Abends gehört dem gründlichen Studium der Landkarte.
Denn diesem, zunächst doch überraschendem
Umstand gilt es, auf den Grund zu gehen. Und
plötzlich sieht alles ganz anders aus. Das Geflecht der gelb eingezeichneten Straßen erweist
sich als wahre Schatzkiste – prall gefüllt mit
grün markierten, landschaftlich besonders
schönen Strecken. Hinzu kommt noch der in
fetten Lettern über der ganzen Region prangende Schriftzug „Rothaargebirge“. Höhenzüge bis an die 800 Meter-Marke begründen
zusammen mit den tiefen Taleinschnitten der
Lahn, Sieg und Eder den sehr kurvigen
Straßenverlauf. Worin sich denn auch die
Liebe der Pott-Biker zum Siegerland erklärt.
Am nächsten Morgen treibt uns Fotograf
Christian früh aus den Betten. Denn dann,
wenn die Sonne gerade aufgeht und der Dunst
noch über den feuchten Wiesen steht, ist die
Chance auf stimmungsvolle Bilder groß.
Gleich nach der Abfahrt steht auch schon die
Dann holzte man auch Eichen und Birken ab.
Zum Schluss musste Holzkohle importiert
werden. Aber woher? Denn Holz war damals
überall ein begehrter Brennstoff und dementsprechend knapp. Die Eisenproduktion kam
100 Jahre nach Christi Geburt zum Erliegen –
das Siegerland war kahl. Rund 800 Jahre
dauerte es, bis der Wald nachgewachsen war
und mit der Eisenproduktion wieder begonnen
wurde.
Saftige Wiesen erstrecken sich im Lahntal,
links und rechts des noch jungen, blau schimmernden Flusses. Kühe und Pferde finden hier
noch genug frisches Futter. Und das ist selten
in diesem Sommer. Anderswo ist das Gras
verbrannt und die Bauern füttern ihr Vieh
schon längst mit dem Heu vom Frühjahr. Wälerste Sehenswürdigkeit an: der Meiler von
Bruno Wagener. Der Walpersdorfer Köhler erzeugt hier nach alter Väter Sitte aus Buchenholz Holzkohle – der heutige Grundstock für
heimische Grillabende in lauen Sommernächten. Holzkohle, deren Brennwert um ein Vielfaches höher liegt als der von normalem Holz,
war schon früher nötig. Denn das Siegerland
blickt auf über 2.600 Jahre Eisengewinnung
zurück. Die großen Erzvorkommen wurden
zunächst über Tage, später unter Tage abgebaut, mit Holzkohle geschmolzen und zu
Werkzeug und Waffen verarbeitet. Die bis
dahin gebräuchliche Bronze war um ein Vielfaches weicher als Eisen. Das neue Material
fand reißenden Absatz und ließ die Produktion
des „heißen Eisens“ sprunghaft ansteigen.
Doch um eine Tonne Eisen zu gewinnen, waren
rund 27 Tonnen Holzkohle nötig. Dafür wiederum brauchte es rund 100 Tonnen Buchenholz. In nur wenigen Jahrhunderten verschwanden riesige Wälder mit altem Baumbestand.
Muh... die neue
Kawa! Sachkundige
Beobachter am
Straßenrand freuen
sich über etwas Abwechslung (oben).
Schatzkästchen
Siegerland –
Kleinode
überall
Liebevoll renoviert:
das Wasserschloss
bei Oberhundem
(rechts) und der
Ortskern von Freudenberg (unten).
der und Wiesen tauchen das Siegerland in
intensive Grüntöne. Dazwischen liegen weißgraue Flecken, die Ortschaften der Region mit
weiß getünchten Fachwerkhäusern, grauen
Schieferdächern oder ganzen Schieferverkleidungen. Wie in Bad Laasphe mit seinem Schloss,
eine der ehemaligen Residenzen der Grafschaft
Sayn-Wittgenstein und Namensgeber für die
eine Hälfte des heutigen Landkreises SiegenWittgenstein. Aber zurück zu blau, grün, weiß
und grau. Vier Farben, die eher zu den kühlen
Vertretern der bunten Palette gehören. So
kommt Christian die orange-farbene Kawasaki beim Fotografieren gerade recht.
Über Richstein gelangen wir ins Edertal
nach Schwarzenau und dann nach Bad Berleburg. Nach dem Ende der Ferienzeit Ende
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August werden Straßen gerne erneuert und so
reiht sich Baustelle an Baustelle. Mal gibt es
hier ein bisschen Schotter und mal da eine
neue Bitumenflickerei. Gut, dass sich Pepe
hier auskennt und so umfahren wir die größten Staustellen, um dem Schloss und den
schön hergerichteten Häusern einen Besuch
abzustatten.
Von Bad Berleburg aus folgen wir noch ein
Stück dem lieblichen Edertal und erklimmen
dann die nördlich gelegenen Höhenzüge, die
bereits zum Sauerland gehören. Am RheinWeser-Turm, der seinen Namen der Wasserscheide dieser beiden Flüsse verdankt, ist
Pause angesagt. Nicht nur wir schlürfen hier
unseren Cappuccino, sondern gleich eine ganze
Reihe anderer Biker, die nicht nur um die
schönen Straßen rings um den Turm wissen,
sondern auch um die herrliche Aussicht, die
man von hier oben genießt. Über kleine
Straßen führt uns der Weg dann nach Müsen
wieder zurück auf die Spur des Eisens.
Nachdem der Wald endlich nachgewachsen
war und die Wogen der Völkerwanderung
sich geglättet hatten, besiedelten Franken die
Region. Die Eisenproduktion erreichte wieder
neue Höhen und der Wald schwand zunehmend. Kurz bevor ein erneuter Kollaps drohte,
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Land der Ursprünge:
Nur wenige Kilometer trennen die Quellen von Sieg, Lahn
und Eder (oben).
Tiefer gelegt: Im
trockenen Sommer
schwinden die Wassermassen des Biggesees dahin (unten).
besann man sich eines Besseren. Nachhaltigkeit war das Schlagwort – man entnahm der
Natur nur so viel, wie wieder nachwachsen
konnte. Der „Hauberg“ entstand. So ein
„Hauberg“ bestand aus 20 Parzellen, von
denen nur jeweils eine pro Jahr zur Abholzung
freigegeben wurde. Diese Ordnung prägte für
die nächsten 1.000 Jahre das Siegerland bis tief
hinein ins 19. Jahrhundert. Als die Eisenbahn
mit der Steinkohle eine neue Energie ins Land
brachte, lagen die „Hauberge“ brach. Und so
sind heute wieder 70 Prozent des Siegerlandes
mit Wald bedeckt. Altenberg, eine frisch ausgegrabene mittelalterliche Bergbausiedlung
liegt inmitten zahlreicher Stollen, die teilweise
sogar besichtigt werden können.
Der Biggesee bietet mit seinem sehr niedrigen Wasserstand einen ungewöhnlichen
Anblick. Die Bootsanleger finden sich jetzt
tief unten an der Steilwand des Ufers, die
Badegäste dagegen auf den Liegewiesen in
scheinbar luftigen Höhen. Uns zieht es hinunter nach Attendorn und am besten noch tiefer
in die berühmte Attahöhle. Doch ein Einblick
in die bizarre Unterwelt bleibt uns verwehrt,
denn die hat bereits geschlossen. Dafür ist
der Ausblick von der Schnellenburg, auf die
uns Pepe dafür zur Kaffeepause führt, umso
schöner.
Am nächsten Tag wird ohne unseren ortskundigen Pepe gefahren, dafür nach von ihm
eingezeichneter Tour auf der Karte. Zuerst
steht natürlich „Lützel“, die örtliche „Rennstrecke“, auf dem Plan. Aufgrund zahlreicher,
mitunter auch schwerer Unfälle, ziert die gut
ausgebaute und kurvenreiche Strecke ein
Geschwindigkeitslimit von 70 Stundenkilometern. Im großen Bogen geht es von Erndte-
Stoßzahn aus Stein:
Der hoch aufragende
„Druidenstein“ war
einst Schauplatz
heidnischer Rituale
(oben).
Malerisches
Siegerland –
hier fand
Rubens
Inspiration
Burg Schnellenberg:
Immer gut für eine
Kaffeepause mit
toller Aussicht über
Attendorn und die
unendlichen Hügel
des „Regenwaldes“
(links).
brück über Feudingen ins Banfe-Tal. Jetzt am
frühen Morgen sind die Nebenstrecken kaum
befahren und wir lassen es so richtig laufen.
Bei Hainchen überrascht uns fast eine Haarnadelkurve. Fußrasten kratzen, Ständer
schrubben, aber alles halb so wild. Über Burbach gelangen wir nach Daaden und über eine
weitere spaßige Strecke zum Druidenstein bei
Offhausen. Mächtig wie ein Stoßzahn ragt der
aus achteckigen Basaltblöcken bestehende
Felssporn in die Höhe. Um zukünftig heidnischen Bräuchen Einhalt zu gebieten, schlug
man im Mittelalter kurzerhand eine Nische
hinein, setzte eine Marienstatue ein und
pflanzte auf die Spitze ein Kreuz.
Wir drehen noch eine Runde über Wissen,
nehmen die schönen Kurven bei Holpe mit –
auch wenn sie eigentlich schon zum Bergischen
Land gehören – und kehren bei Morsbach
wieder zurück ins Siegerland, um dem Wasserschloss Crottorf einen Besuch abzustatten.
Dass heute aber geschlossen ist, stört uns
wenig, denn die Strecke bis Freudenberg
gehört zu den absoluten Sahnestückchen für
Motorradfahrer. Freudenberg selbst ist fest in
der Hand meist holländischer Touristen. Und
dies hat Tradition. Bereits im frühen 15. Jahrhundert erwarben die Nachfahren des Siegener
Grafen Otto Besitzungen in den Niederlanden.
Eine Verbindung, die bis heute existiert, da
aus ihr das niederländische Königshaus hervorging.
Von diesen und vielen anderen wissenswerten Begebenheiten, auch vom Bergbau und
vom heißen Eisen, erzählt das SiegerlandMuseum im Oberen Schloss in Siegen. Sogar
Ölgemälde von Peter Paul Rubens, dem
berühmtesten Sohn der Stadt, sind dort zu
sehen. Und der war bekanntlich auch ein
Freund von Kurven…
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