Siegerland - Motorroller-Info
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Siegerland - Motorroller-Info
DEUTSCHLAND: SIEGERLAND Eisenzeit Über 2.600 Jahre lang wurde im Siegerland Eisen gewonnen. Nicht nur in Museen finden sich heute noch Spuren der Eisenzeit. Matze Hepper berichtet. Grüne Welle: Früh am Morgen, wenn die Sonne aufgeht und der Dunst das Land bedeckt, herrscht noch wenig Verkehr auf den Nebenstraßen, wie hier bei Rüppershausen. 28 REISE MOTORRAD 2003/6 Fotos: Christian Klos REISE MOTORRAD 2003/6 29 DEUTSCHLAND: SIEGERLAND N Noch vor unserer Abfahrt meint Anja, die Marketingfrau von REISE MOTORRAD: „Vergesst ja nicht eure Regenkombis!“ Dass sie sich den Satz hätte sparen können, war Christian und mir schon vorher klar. Denn in der Münchener Redaktion wird Anjas Heimat gerne als Schlechtwettergebiet verspöttelt. Siegerland – Regenwald. Wenn anderswo strahlender Sonnenschein herrscht, gießt es im Siegerland wie aus Kübeln. Anjas Empfehlung folgend, bepacken wir also unsere Motorräder, Triumph Tiger und Kawasaki Z 1000. Die Autobahnkilometer sind fix heruntergespult und siehe da: In diesem Jahrhundertsommer steht nicht nur Deutschland Kopf, sondern auch die äußerste Ecke Westfalens – es herrscht eitel Sonnenschein. Mit Einheimischen unterwegs: Pepe weiß zu jedem Ort einen Schwank aus alten Zeiten zu erzählen (oben). Traumland Siegerland – zumindest für Motorradfahrer Auch Museen erzählen von 2.600 Jahren Eisenproduktion, wie hier im Oberen Schloss zu Siegen (unten). 30 REISE MOTORRAD 2003/6 Rasch fädeln wir uns durch die Siegener Rush-Hour auf die Spur nach Netphen ein. Wenig später erreichen wir das Örtchen Deuz, in dem Pepe, Anjas Bruder, wohnt. Der fährt auch Motorrad und zeigt uns auf seiner Cagiva Gran Canyon am nächsten Tag nicht nur die schönsten Strecken seiner Heimat, sondern auch die interessantesten Sehenswürdigkeiten. Auf meine Frage, was denn für die Gegend typisch sei, meint Pepe einfach nur: „Wald, viel Wald, Sägewerke, Holztransporter, Eisen und Schwerindustrie.“ Na toll! Im Verein mit dem regnerischen Wetter erfüllt das Siegerland dann ja praktisch alle Anforderungen, die an eine beliebte Motorradgegend so gestellt werden. Beliebt? Ja, beliebt ist das Siegerland dennoch, insbesondere bei den Reisemotorradlern aus dem Ruhrpott. Der Rest des Abends gehört dem gründlichen Studium der Landkarte. Denn diesem, zunächst doch überraschendem Umstand gilt es, auf den Grund zu gehen. Und plötzlich sieht alles ganz anders aus. Das Geflecht der gelb eingezeichneten Straßen erweist sich als wahre Schatzkiste – prall gefüllt mit grün markierten, landschaftlich besonders schönen Strecken. Hinzu kommt noch der in fetten Lettern über der ganzen Region prangende Schriftzug „Rothaargebirge“. Höhenzüge bis an die 800 Meter-Marke begründen zusammen mit den tiefen Taleinschnitten der Lahn, Sieg und Eder den sehr kurvigen Straßenverlauf. Worin sich denn auch die Liebe der Pott-Biker zum Siegerland erklärt. Am nächsten Morgen treibt uns Fotograf Christian früh aus den Betten. Denn dann, wenn die Sonne gerade aufgeht und der Dunst noch über den feuchten Wiesen steht, ist die Chance auf stimmungsvolle Bilder groß. Gleich nach der Abfahrt steht auch schon die Dann holzte man auch Eichen und Birken ab. Zum Schluss musste Holzkohle importiert werden. Aber woher? Denn Holz war damals überall ein begehrter Brennstoff und dementsprechend knapp. Die Eisenproduktion kam 100 Jahre nach Christi Geburt zum Erliegen – das Siegerland war kahl. Rund 800 Jahre dauerte es, bis der Wald nachgewachsen war und mit der Eisenproduktion wieder begonnen wurde. Saftige Wiesen erstrecken sich im Lahntal, links und rechts des noch jungen, blau schimmernden Flusses. Kühe und Pferde finden hier noch genug frisches Futter. Und das ist selten in diesem Sommer. Anderswo ist das Gras verbrannt und die Bauern füttern ihr Vieh schon längst mit dem Heu vom Frühjahr. Wälerste Sehenswürdigkeit an: der Meiler von Bruno Wagener. Der Walpersdorfer Köhler erzeugt hier nach alter Väter Sitte aus Buchenholz Holzkohle – der heutige Grundstock für heimische Grillabende in lauen Sommernächten. Holzkohle, deren Brennwert um ein Vielfaches höher liegt als der von normalem Holz, war schon früher nötig. Denn das Siegerland blickt auf über 2.600 Jahre Eisengewinnung zurück. Die großen Erzvorkommen wurden zunächst über Tage, später unter Tage abgebaut, mit Holzkohle geschmolzen und zu Werkzeug und Waffen verarbeitet. Die bis dahin gebräuchliche Bronze war um ein Vielfaches weicher als Eisen. Das neue Material fand reißenden Absatz und ließ die Produktion des „heißen Eisens“ sprunghaft ansteigen. Doch um eine Tonne Eisen zu gewinnen, waren rund 27 Tonnen Holzkohle nötig. Dafür wiederum brauchte es rund 100 Tonnen Buchenholz. In nur wenigen Jahrhunderten verschwanden riesige Wälder mit altem Baumbestand. Muh... die neue Kawa! Sachkundige Beobachter am Straßenrand freuen sich über etwas Abwechslung (oben). Schatzkästchen Siegerland – Kleinode überall Liebevoll renoviert: das Wasserschloss bei Oberhundem (rechts) und der Ortskern von Freudenberg (unten). der und Wiesen tauchen das Siegerland in intensive Grüntöne. Dazwischen liegen weißgraue Flecken, die Ortschaften der Region mit weiß getünchten Fachwerkhäusern, grauen Schieferdächern oder ganzen Schieferverkleidungen. Wie in Bad Laasphe mit seinem Schloss, eine der ehemaligen Residenzen der Grafschaft Sayn-Wittgenstein und Namensgeber für die eine Hälfte des heutigen Landkreises SiegenWittgenstein. Aber zurück zu blau, grün, weiß und grau. Vier Farben, die eher zu den kühlen Vertretern der bunten Palette gehören. So kommt Christian die orange-farbene Kawasaki beim Fotografieren gerade recht. Über Richstein gelangen wir ins Edertal nach Schwarzenau und dann nach Bad Berleburg. Nach dem Ende der Ferienzeit Ende REISE MOTORRAD 2003/6 31 DEUTSCHLAND: SIEGERLAND August werden Straßen gerne erneuert und so reiht sich Baustelle an Baustelle. Mal gibt es hier ein bisschen Schotter und mal da eine neue Bitumenflickerei. Gut, dass sich Pepe hier auskennt und so umfahren wir die größten Staustellen, um dem Schloss und den schön hergerichteten Häusern einen Besuch abzustatten. Von Bad Berleburg aus folgen wir noch ein Stück dem lieblichen Edertal und erklimmen dann die nördlich gelegenen Höhenzüge, die bereits zum Sauerland gehören. Am RheinWeser-Turm, der seinen Namen der Wasserscheide dieser beiden Flüsse verdankt, ist Pause angesagt. Nicht nur wir schlürfen hier unseren Cappuccino, sondern gleich eine ganze Reihe anderer Biker, die nicht nur um die schönen Straßen rings um den Turm wissen, sondern auch um die herrliche Aussicht, die man von hier oben genießt. Über kleine Straßen führt uns der Weg dann nach Müsen wieder zurück auf die Spur des Eisens. Nachdem der Wald endlich nachgewachsen war und die Wogen der Völkerwanderung sich geglättet hatten, besiedelten Franken die Region. Die Eisenproduktion erreichte wieder neue Höhen und der Wald schwand zunehmend. Kurz bevor ein erneuter Kollaps drohte, 32 REISE MOTORRAD 2003/6 Land der Ursprünge: Nur wenige Kilometer trennen die Quellen von Sieg, Lahn und Eder (oben). Tiefer gelegt: Im trockenen Sommer schwinden die Wassermassen des Biggesees dahin (unten). besann man sich eines Besseren. Nachhaltigkeit war das Schlagwort – man entnahm der Natur nur so viel, wie wieder nachwachsen konnte. Der „Hauberg“ entstand. So ein „Hauberg“ bestand aus 20 Parzellen, von denen nur jeweils eine pro Jahr zur Abholzung freigegeben wurde. Diese Ordnung prägte für die nächsten 1.000 Jahre das Siegerland bis tief hinein ins 19. Jahrhundert. Als die Eisenbahn mit der Steinkohle eine neue Energie ins Land brachte, lagen die „Hauberge“ brach. Und so sind heute wieder 70 Prozent des Siegerlandes mit Wald bedeckt. Altenberg, eine frisch ausgegrabene mittelalterliche Bergbausiedlung liegt inmitten zahlreicher Stollen, die teilweise sogar besichtigt werden können. Der Biggesee bietet mit seinem sehr niedrigen Wasserstand einen ungewöhnlichen Anblick. Die Bootsanleger finden sich jetzt tief unten an der Steilwand des Ufers, die Badegäste dagegen auf den Liegewiesen in scheinbar luftigen Höhen. Uns zieht es hinunter nach Attendorn und am besten noch tiefer in die berühmte Attahöhle. Doch ein Einblick in die bizarre Unterwelt bleibt uns verwehrt, denn die hat bereits geschlossen. Dafür ist der Ausblick von der Schnellenburg, auf die uns Pepe dafür zur Kaffeepause führt, umso schöner. Am nächsten Tag wird ohne unseren ortskundigen Pepe gefahren, dafür nach von ihm eingezeichneter Tour auf der Karte. Zuerst steht natürlich „Lützel“, die örtliche „Rennstrecke“, auf dem Plan. Aufgrund zahlreicher, mitunter auch schwerer Unfälle, ziert die gut ausgebaute und kurvenreiche Strecke ein Geschwindigkeitslimit von 70 Stundenkilometern. Im großen Bogen geht es von Erndte- Stoßzahn aus Stein: Der hoch aufragende „Druidenstein“ war einst Schauplatz heidnischer Rituale (oben). Malerisches Siegerland – hier fand Rubens Inspiration Burg Schnellenberg: Immer gut für eine Kaffeepause mit toller Aussicht über Attendorn und die unendlichen Hügel des „Regenwaldes“ (links). brück über Feudingen ins Banfe-Tal. Jetzt am frühen Morgen sind die Nebenstrecken kaum befahren und wir lassen es so richtig laufen. Bei Hainchen überrascht uns fast eine Haarnadelkurve. Fußrasten kratzen, Ständer schrubben, aber alles halb so wild. Über Burbach gelangen wir nach Daaden und über eine weitere spaßige Strecke zum Druidenstein bei Offhausen. Mächtig wie ein Stoßzahn ragt der aus achteckigen Basaltblöcken bestehende Felssporn in die Höhe. Um zukünftig heidnischen Bräuchen Einhalt zu gebieten, schlug man im Mittelalter kurzerhand eine Nische hinein, setzte eine Marienstatue ein und pflanzte auf die Spitze ein Kreuz. Wir drehen noch eine Runde über Wissen, nehmen die schönen Kurven bei Holpe mit – auch wenn sie eigentlich schon zum Bergischen Land gehören – und kehren bei Morsbach wieder zurück ins Siegerland, um dem Wasserschloss Crottorf einen Besuch abzustatten. Dass heute aber geschlossen ist, stört uns wenig, denn die Strecke bis Freudenberg gehört zu den absoluten Sahnestückchen für Motorradfahrer. Freudenberg selbst ist fest in der Hand meist holländischer Touristen. Und dies hat Tradition. Bereits im frühen 15. Jahrhundert erwarben die Nachfahren des Siegener Grafen Otto Besitzungen in den Niederlanden. Eine Verbindung, die bis heute existiert, da aus ihr das niederländische Königshaus hervorging. Von diesen und vielen anderen wissenswerten Begebenheiten, auch vom Bergbau und vom heißen Eisen, erzählt das SiegerlandMuseum im Oberen Schloss in Siegen. Sogar Ölgemälde von Peter Paul Rubens, dem berühmtesten Sohn der Stadt, sind dort zu sehen. Und der war bekanntlich auch ein Freund von Kurven… REISE MOTORRAD 2003/6 33