Das ehrenwerte Ziel - Hans
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Das ehrenwerte Ziel - Hans
Das ehrenwerte Ziel Hans-Ernst Raack Widmung Meiner Familie, meinen Freunden und allen Menschen mit aufrechtem Gang. Spanisches Sprichwort: „El mundo es de los valientes y de los cobardes no hay nada escrito.“ (Die Welt ist für die Tapferen, und von den Feiglingen gibt es nichts zu berichten.) Personen: Alexander – Alex – Rat, selbstbewußt, fähig, Schreiner Karin Rat geb. Klees, weißblond, moralisch, Lebensangst Brigitte Volb, Freundin, Rechtsanwältin, blond, schlank Tochter Diana, blond, hübsch, eigenwillig, selbständig Sohn Richard, intelligent, ruhig, zurückhaltend Vater, `44 in Rußland gefallen Mutter, Anna, tüchtig, robust, als Sohn erzogen Schwester Christina, gutmütig, mit `ner Menge Kinder Schwager Ernst, arbeitet Tag und Nacht Schwester Gerlinde unverheiratet, hübsch, nett, Lesbe Großvater Karl, konnte viel und hat nie aufgegeben Helge, Freund beim Bund George, Bauleiterfreund William Harris, Agent Neumann, Bankprokurist Fox, Halbstarkenanführer Max Scheller, Rechtsanwalt Gerd, junger Mann im rechten Verein Peter, Kraftstation in Saudi-Armee-Stadt Richard, Termin-Planer in Hamburg-Saudi Kudell, Elektriker-Ing in Saudi Otto, Baukaufmann in Dubai Jochen } Heinz } } Freunde in Frankfurt Peter } Dresse, Oberbauleiter in Abuja Zosel, Klima- und Lüftungsingenieur in Abuja Keller, Baukaufmann, Abuja Konrad, Küchenmonteur, Abuja Hannes, Einschaler, Abuja Fritz, Fachbauleiter, Abuja Max, Strabag-Mann, Werkstattleiter Schütz, freiberuflicher alter Bauleiter Schach, Boss in Hamburg Nolz, Projektprokurist, HH Christian, Projektleiter, HH Lusche, Sachbearbeiter, HH Der Autor mit 33, als er anfing über den Sinn des Lebens nachzudenken. Das Ehrenwerte Ziel Der Mann trat lässig durch die Eingangstür des kleinen, gemütlichen Restaurants. Er streifte mit kaum merklichen Bewegungen den braunen Nappaleder-Mantel von den breiten Schultern und hängte ihn an die Garderobe. Sein kurzer Rundblick schien jede Einzelheit zu bemerken. Sie saß an ihrem gewohnten Fensterplatz und hatte beim Geräusch der Tür neugierig aufgesehen. Es war später Nachmittag; die Hälfte der Tische war besetzt, und plötzlich wußte sie mit untrüglicher Sicherheit, noch bevor er sich in Bewegung setzte: Er kam zu ihr. Mit wenigen, geschmeidigen Schritten stand er an ihrem Tisch. Er verbeugte sich leicht, sah sie direkt an und fragte: „Ich würde mich gerne mit Ihnen unterhalten, sind Sie interessiert?“ Sie nickte mechanisch. Das darf doch nicht wahr sein – dachte sie – so etwas kann mir doch nicht passieren. Vom ersten Blick bis zum sonoren Timbre seiner Stimme umfing sie eine wohlige Mattigkeit, die sich langsam verstärkend zu einem inneren Glühen wandelte. Nimm dich zusammen – schalt sie sich in Gedanken -, gleich wirst du rot wie eine dumme Göre. Liebe auf den ersten Blick? Seelenwanderung? Unbewußte Körpersignale, die nur der ideale Partner versteht? Schicksal? Das jähe Gefühl der süßen Vertrautheit, die sonst nur jahrelanges Zusammenleben in großer Zuneigung ergibt, ließ ihre übliche kühle, überlegene Gelassenheit ins Wanken geraten. Wie stets, wenn es galt, eine verzwickte Lage überschaubar zu machen, begann sie die Fakten aufzugliedern. Der Fremde war etwa vierzig, dunkelblond, um die 1,80 Meter, schlank trotz der breiten Schultern, lässig und selbstsicher in seinen Bewegungen, hatte eine angenehme Stimme. Das Gesicht männlich markant mit Lachfältchen in den Augenwinkeln. Die Hände – warum sind sie für eine Frau so wichtig? – waren groß, schön in der Form und gepflegt; kein Ring – aber was hat das schon zu bedeuten? Mit einer gemurmelten Entschuldigung stand er auf und beugte sich über den Nebentisch. Seine Hose spannte sich über einen kleinen, runden Sexy-Po. Sie preßte ihre Knie zusammen um die aufsteigende Erregung gefangenzuhalten. Mit der Tischkerze vom Nebentisch in der Hand setzte er sich wieder, zauberte ein Streichholz irgendwoher und zündete sie an. Er sah sie heiter lächelnd an und sagte in normalen Plauderton: „Zu einer schönen Frau paßt nur Kerzenlicht.“ Du verflixter Kerl – dachte sie – welche Frau hört sowas nicht gern? Noch ein wenig mehr in diesem Stil und nach dem ersten Antippen bin ich bereit mich in sein Bett zu legen. Laut sagte sie: „Danke – und wie wirkt sich Kerzenlicht bei Männern aus?“ „Leider nur indirekt – nach meinen bescheidenen Erfahrungen“, meinte er geheimnisvoll. Aha – dachte sie amüsiert – schon wirft er die Angel aus. Laut gab sie sich interessiert: „ Die bescheidenen Erfahrungen glaube ich zwar nicht ganz – aber wieso indirekt?“ Er legte den Zeigefinger an seine Lippen, dachte einen Moment nach und entgegnete dann versonnen: „ Ein Mann muß nunmal hinaus ins feindliche Leben und sich mit nackten Tatsachen herumschlagen. Eine Frau hingegen lebt mehr in der Phantasie und ersinnt sich ihre eigene Wirklichkeit. Darin sehen wir Männer manchmal besser aus als wir sind.“ „Von einer solchen Theorie habe ich noch nie etwas gehört“ – meinte sie skeptisch. „Woher kommt sie?“ „Ist mir auch gerade erst eingefallen“, gab er lächelnd zu, „und als Beweis möchte ich die lebenslangen Umerziehungs- versuche so mancher Ehefrauen anführen.“ „Na“, parierte sie immer noch skeptisch, „ich glaube eher, wir Frauen nehmen die Fehler und Schwächen der Männer notgedrungen in Kauf und versuchen das Beste daraus zu machen.“ „Aha“, grinste er schalkhaft, „nach der Devise: Leute kauft Land – Gott macht nicht mehr.“ Er wandte sich an den herantretenden Kellner, der interessiert gelauscht hatte: „Was können Sie mir empfehlen – nicht viel, aber gut gewürzt?“ „Unseren pikanten Reistopf“, schlug er vor. „Ist gekauft – davor einen Weinbrand, griechisch oder spanisch, und nachher eine Kanne Kaffee bitte.“ Nun sah er sie wieder mit seinem direkten Blick an, den sie jedesmal bis in die Zehenspitzen hinein spürte. „Ehe ich es vergesse. Ich bin auf Alexander getauft, gute Freunde nennen mich Alex. Und Sie?“ „Brigitte.“ Sie atmete erleichtert auf, weil er auf das plump-vertrauliche DU verzichtet hatte. Und doch war sie etwas verwirrt über das irgendwie doch nette Vornamen Angebot. Dies alles ergab eine recht ungewöhnliche Mischung von Liebenswürdigkeit und vornehmer Distanz. Welches Thema könnte ihn wohl interessieren – dachte sie verzweifelt – ohne mich als Hausmütterchen oder Emanze erscheinen zu lassen? Er scheint einfach zu perfekt. Langsam anpirschen – entschied sie sich. „Ihr Pullover gefällt mir. Das wäre ein passendes Geschenk für meinen Bruder, können sie mir sagen, wo man sowas bekommt?“ – fragte sie. „Der Weg zu Einkauf wird leider etwas weit sein,“ grinste er, „ich habe ihn in Kaschmir gekauft.“ „Waren Sie dort im Urlaub?“ - fragte sie nun dankbar. Denn über Urlaub, Arbeit, Hobby und Krankheiten können Menschen stundenlang reden. Politik und Religion sollten in einem solchen Stadium der Bekanntschaft gemieden werden. Entweder man stimmt miteinander überein, dann gibt es nichts zu reden. Oder man tut es nicht und versucht sich gegenseitig zu überzeugen – das artet dann fast immer in Streit aus. „Teils – teils“, erwiderte er. Sein Brandy kam, er kostete und schaute sie fragend an: „Möchten Sie auch mal probieren? Das ist alter spanischer Brandy – sehr gesund nach dem Essen.“ Sie nickte und dachte: Schau an, wie raffiniert. Er lädt mich nicht zum Trinken ein sondern zum Kosten. Und gesund soll er auch noch sein. Er wandte sich wieder dem Kellner zu: „Por favor, camarero, un Brandy negro mas.“ „Si senor“ – grinste dieser über beide Backen und eilte zur Theke. Ist er ein Angeber? – dachte sie enttäuscht. Er schaute sie prüfend an und sagte, als hätte er ihre Stimmung erfaßt: „Ich kann mich mal gerade so ver-ständigen. Aber mich kostet es nichts, und ihn macht es glücklich, in der Fremde in seiner Muttersprache angeredet zu werden.“ „Woher wußten Sie, daß er Spanier ist, denn er sieht doch gar nicht südländisch aus?“ „Er hat auch Metaxa über der Theke stehen – aber er hat den spanischen Brandy ge- bracht und dazu noch negro, den besonders alten.“ Aufmerksam und einfühlig – dachte sie – ich bin verloren. Sein pikanter Reistopf wurde serviert, reichlich garniert mit zusätzlichen Gewürzschälchen. Er grinste heiter über ihre Verwunderung. „Es lohnt sich meistens zu anderen Menschen nett zu sein.“ Er kostete, verdrehte verzückt die Augen und warf dem Kellner ein „muy bien“ zu. Dieser drehte sich lächelnd um und verschwand in der Küche. „Jetzt gibt er meine Zufriedenheit weiter und alle sind happy“ – meinte er überzeugt. „Es ist als ob man einen Stein in einen See wirft, und die Wellen pflanzen sich kreisförmig fort. Nehmen Sie zum Beispiel das Trinkgeld-Geben. Das ist auch so eine Kunst für sich.“ „Weshalb Alexander?“ fragte sie, durch den Brandy kühn geworden, den neuen Namen probeweise benutzend. „Na ja“, meinte er, widerstrebend die Gabel ablegend, „die meisten geben entweder zuwenig oder sie protzen.“ Er hob den Zeigefinger wie ein Lehrer und fragte: „Meine liebe Gitte, wenn Sie jeden Tag eine Mark sparen, haben Sie am Ende des Jahres 365 Märker und in zehn Jahren 3.650 Mark. Und in hundert Jahren – aber das ist ja Unsinn, solange kann ja niemand sparen. Wenn Sie jeden Tag eine Mark Trinkgeld geben, leben Sie leichter und angenehmer – glauben Sie mir.“ Er nahm seine Gabel wieder auf und aß genüßlich weiter. Sie stand auf, und als er sie fragend anblickte, beruhigte sie ihn lächelnd: „Bin gleich wieder da.“ Wie in Trance ging sie in den Flur zum Telefon, rief ihre Kanzlei an und gab das Codewort für „heute nicht mehr erreichbar“ durch. Sie beachtete die aufgeregte Stimme ihrer Sekretärin nicht und legte auf. Ich habe einen Zipfel vom Mantel des Glücks in meinen Händen – und ließ die Redewendungen ihres Vaters in ihren Gedanken kreisen: Wenn sich dir eine Chance bietet, beruflich oder privat, erkenne und nutze sie; denn das Bedauern über eine verpaßte Chance begleitet dich lange, mitunter ein Leben lang. Mit beschwingtem Schritt ging sie zurück zu ihrem Platz – zu allen Schandtaten bereit. Sie setzte sich, lehnte sich locker in die Polster zurück, den Oberkörper seitlich etwas vorgeschoben – um ihre kleinen Brüste besser zur Geltung zu bringen. Der Reistopftiegel war abgeräumt und er rührte versonnen lächelnd in seiner Kaffeetasse. „Glauben Sie an Schicksal, Re-Inkarnation, ein Leben nach dem Tod und ähnliche Esoterik?“ – fragte er sie. „Glauben Sie daran?“ fragte sie zurück, um Zeit zu gewinnen. „Das ist unfair, eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten.“ Sich einen sichtbaren Ruck gebend, sagte er ernst, beinahe feierlich: „Ich will es erklären: Als ich hereinkam – und das war ein purer Zufall – und Sie im Schatten des Gegenlichtes sitzen sah, waren Sie mir seltsam vertraut und ich kam wie von selbst zu Ihnen.“ Ist das seine große Masche – fragte ihr trainierter Verstand, aber ihr Herz hüpfte, schlug Purzelbäume und ließ sich nicht mehr bremsen. Sie sah sich nach dem Kellner um – der versteckte hastig seine rechte Hand hinter dem Rücken. Sie hob in schweigender Bestellung ihr leeres Brandy-Glas und sagte dabei leise, mehr zu sich selbst: „was macht der Kellner für komische Verrenkungen, so kenne ich ihn gar nicht.“ Alexander, ebenso in verschwörerischem Tonfall: „Können Sie schweigen?“ „Natürlich“, sagte sie interessiert. „Ich auch“, grinste er schalkhaft. Ihr perlender Lachanfall sprengte alle aufgestauten Spannungen und ließ sie gelöst und seltsam glücklich tief Atem holen. „Ich komme schon jahrelang regelmäßig zum Essen her“, sagte sie verwundert, „noch nie hat jemand hier so laut gelacht – und komischerweise: es macht mir gar nichts aus.“ „Weshalb sollte es auch?“ entgegnete er, „wir sind ja allein.“ Tatsächlich – sie hatte nicht bemerkt, daß alle anderen Gäste gegangen waren. „Was war mit dem Kellner, bitte?“ bettelte sie. Er sah sie einen Moment lang prüfend an, um die Spannung zu erhöhen, zwinkerte dann lustig mit dem linken Auge und sagte: „Er hat mir das Viktoria-Zeichen gemacht.“ Als sie ihn verständnislos anschaute, fuhr er fort: „Er meinte, ich hätte Chancen bei Ihnen.“ „Männer!“ – lachte sie – und dann, ihr Herz in beide Hände nehmend: „Ein Menschenkenner wie mir scheint.“ Nun nahm er mit seiner linken ihre rechte Hand, zog sie zu sich heran, drehte sie um, betrachtete die Handinnenfläche und fuhr mit seinem rechten Zeigefinger sachte die Hand- linien nach. „Sehr interessant“ – resümierte er nachdenklich, während bei der ersten Berührung und der zärtlichen Intensität ein Wonneschauer nach dem anderen ihren Rücken herunterlief. Ich bekomme noch hier am Tisch einen Orgasmus – dachte sie; aber um nichts in der Welt hätte sie ihm Einhalt geboten. „Verstehen Sie was von der Handlesekunst?“ fragte sie leise, um den zärtlichen Zauber dieser Stimmung nicht zu unterbrechen. „Leider nicht genug“, sagte er bedauernd, „es gibt so viele Dinge, die ich gerne wissen und können möchte. Aber leider, leider: Man lebt nur so kurze Zeit und ist so lange tot.“ Mit einer Handbewegung tat er das Thema ab: „Lassen wir uns nicht in einer morbiden Stimmung versinken. Hauptsache man nützt die Zeit, die man hat, richtig. Und ich bin sehr froh über unser Zusammentreffen. Die Frage ist nur: Was machen wir jetzt? Ich würde unsere Bekanntschaft gern vertiefen. Ungebunden bin ich auch.“ Gott sei Dank – dachte sie – und hoffentlich. „Aber eine Frau wie Sie: Schön, intelligent, gepflegt, mit aufreizender Figur und in den besten Jahren – eine solche Frau hat doch bestimmt Verpflichtungen, eine feste Bindung oder dergleichen. Alles andere wäre ja wohl unnormal.“ Er sah sie fragend an. „Schmeichler“ – schalt sie, „der Honig ist wohl etwas dick aufgetragen. Aber ich habe einen achtzehnjährigen Sohn, der in zwei Stunden sein Essen erwartet. Ansonsten ist nichts weiter.“ Er hob erstaunt die Augenbrauen: „Einen achtzehnjährigen Sohn? Ist er unehelich?“ Und auf ihr entrüstetes „natürlich nicht“ fragte er: „Seit wann kann man in Deutschland mit zwölf Jahren heiraten?“ Sie drohte ihm scherzhaft mit dem Finger zu seinem hinterhältigem Kompliment. „Ich bin ein richtiger Kultur-Muffel. Total unmusikalisch, überhaupt nicht vielseitig zu gebrauchen“, meinte er, sah auf seine Uhr und befahl nun: „Und nun rufen Sie Ihren Sohn an, er soll sich selbst was brutzeln. Und wir zwei beiden Hübschen gehen ganz profan ins Kino – da spielt ein klasse Western – hinterher dürfen Sie dann bestimmen. Er rief nach dem Kellner, bezahlte für beide und auf ihren Protest hin meinte er abweisend: „In dieser Beziehung bin ich eben ein wenig altmodisch.“ Daraufhin half er ihr in den Mantel, rief dem Kellner ein „Adios“ zu und zog sie in den Flur. Noch ganz benommen von seinem Tempo tappte sie hinterher. Bei der Eingangstür drehte er sich um und sagte: „La belle de jour, eigentlich könnten wir uns duzen.“ Er zog sie mit unwiderstehlicher Kraft in seine Arme und küßte sie stürmisch. Mit weichen Knien klammerte sie sich an ihn und versuchte ein wenig Ordnung in ihre Gedanken zu bringen. Dauernd überrascht er mich aufs Neue – dachte sie entzückt, während sie mit Eifer versuchte, seine leidenschaftlichen Küsse zu erwidern. „Fortsetzung folgt“, sagte er lachend, „jetzt erst mal telefonieren.“ Sie wählte und lauschte dem fernen Läuten. „Hallo Ralf!“ – sagte sie immer noch atemlos, „ich komme etwas später. Mach dir eine Mafia-Torte heiß und warte nicht auf mich.“ „O.k.“ – tönte es zurück, „geh mir nicht verloren, Mama!“ „Alles klar“, sagte sie, „wir können.“ „Du scheinst ein gutes Partner-Verhältnis mit deinem Sohn zu haben“ – meinte er, indem er die Tür aufhielt. Sie traten in den naßkalten Frankfurter Herbstabend hinaus und begaben sich in Richtung Hauptwache. „Ja“, sagte sie nachdenklich, „ich bin ganz zufrieden. Aber Probleme gibt es trotzdem.“ „Erzähle“, forderte er sie auf, nahm ihre Hand in seine und steckte beide in die Manteltasche. „Mein Mann ist vor drei Jahren gestorben. Herzinfarkt – immer auf der Jagd nach dem Erfolg. Mein Sohn macht nächstes Jahr sein Abitur. Er will in Berlin studieren, um nicht zum ‚Bund‘ zu müssen. Er ist extrem links eingestellt, und das ist eigentlich der einzige Streitpunkt zwischen uns. Eigentlich ist er Pazifist – und daran bin ich zum Teil selber schuld. Aber nun driftet er immer weiter in die linke Ecke ab.“ „Das wächst sich raus“ – beruhigte er sie, „wer mit zwanzig kein Kommunist ist, hat kein Herz. Und wer mit dreißig noch Kommunist ist, hat keinen Verstand.“ „Hast du noch mehr solche Sprüche auf Lager?“ – fragte sie, „den jedenfalls muß ich mir für Ralf merken.“ Beim Kino angelangt, schlug er vor: „Ich besorge die Karten, Gitta – und du könntest an der Theke noch etwas zum Anwärmen bestellen.“ Im Kino-Foyer standen ein paar Grüppchen Jugendliche, die sich unterhielten – Cola-Dosen in der Hand und Zigarretten lässig im Mundwinkel. Die Theke in der rechten Ecke war mit der MahagoniPlatte und den teppichbespannten Front-Kassetten überraschend geschmackvoll gestaltet. Gitta hielt in der Hand ein Glas und ließ mit eisigem Gesicht die Ansichten eines Skinheads zu Gott und der Welt über sich ergehen. Alexander trat zu ihr, nahm das Glas aus ihrer Hand und sagte zu dem Kahlköpfigen: „Verzieh dich Kleiner, du stinkst wie eine tote Ratte.“ Dieser starrte Alexander mit offenen Mund an. „Wa – wa?“ – stammelte er. Darauf Alexander, an ihn herantretend und mit starrem Blick in die Augen sehend: „Wenn du hier noch länger die Luft verpestest, hau´ ich dir auf den kahlen Kopf, daß deine Socken platzen.“ Der Skinhead wich langsam zurück, sichtlich an sich und der Welt verzweifelt, hob seine halbleere Whiskey-Flasche und nahm einen tiefen Zug, ehe er sich umdrehte und mit rollendem Gang zum Ausgang stapfte. Dabei grollte er brummelnd: „Hab doch gar keine Socken an.“ „Prost“, sagte Alexander, nahm einen kleinen Schluck und beäugte Brigitte, die mit ihrem Glas in der Hand vor unterdrücktem Lachen bebte. Hinter der Theke stand ein älterer, hagerer Herr mit Brille und fassungslosen Gesichtsausdruck. „Darf ich Ihnen einen ausgeben?“ – fragte er das Paar, das so offensichtlich nicht zu seinem Westernprogramm zu passen schien. „Falls Sie etwas Besseres haben als das hier“, erwiderte Alex, indem er sein Glas hochhielt. Der Hagere bückte sich, stellte eine Flasche ohne Etikett auf die Theke und füllte zwei neue Gläser. „Ich darf leider nicht“, sagte er entschuldigend und sah den beiden gequält zu, als sie genüßlich kosteten. Alexander hob verwundert eine Augenbraue. „Was ist denn das für ein Göttertrank?“ - fragte er andächtig. „Eigene Produktion von meinem Schwiegervater in Südfrankreich“, erwiderte der Hagere. „Wie unsere Schwaben“, lachte Alexander, „die besten Sachen saufen sie selber.“ „Ich hatte schon den größten Krawall befürchtet“, seufzte der Hagere, „diese Typen sind eine wahre Landplage.“ „Ja, wir tragen eine schwere Last“, sagte Alexander gedankenvoll. Brigitte, die ihn nun schon besser kannte, sah ihn an. „Wie meinst du das?“ - fragte sie. „Na – unsere unfähigen Politiker natürlich. Niemand gibt unserer Jugend Sinn und Ziel, von Idealen ganz zu schweigen. Das ist eine Verschwendung ersten Ranges; denn sich zu der eigenen Überzeugung zu bekennen, schon äußerlich wie diese Typen, ist doch ein positiver Wert.“ „So habe ich die Sache noch gar nicht betrachtet“, staunte der Hagere. „Jedes Ding hat meistens zwei Seiten“, sagte Alexander spöttisch, „und manchmal noch mehr.“ Nach flüchtigem Bezahlen schlenderten Alexander und Gitta langsam in den Kinoraum, suchten sich einen Platz in der Mitte der letzten Reihe und sahen einander lächelnd an. Die Lampen wurden langsam dunkler. Als Alexander sich langsam zu ihr neigte, kam sie ihm eifrig entgegen. Zum ersten Mal küßten sie sich nun langsam, gründlich und besonders zärtlich – den anderen mit Lippen und Zunge erforschend, auf Reaktionen reagierend. Sie spürte seine linke Hand auf der Haut ihrer rechten Brust und fragte sich benommen: Wie geht denn das – wo ist denn mein BH? Seine rechte Hand massierte weiterhin ihren Nacken, seine Lippen lösten sich von den ihren, glitten am Hals tiefer über den Brustansatz – seine Zunge umkreiste die Spitze; er saugte sanft. Sofort wurde die Knospe fast schmerzhaft hart und sandte Schauer der Erregung durch ihren ganzen Körper. Mit dem letzten Rest von Vernunft drückte sie seinen Kopf hoch, küßte ihn sanft auf sein Ohr und murmelte seufzend: „Nicht hier, bitte nicht hier.“ Er drehte sein Gesicht ihr zu, rieb seine Nase an der ihren, grinste jungenhaft und murmelte eben so leise: „Das war doch nur eine Versuchs-Attacke. Aber ich glaube, ich habe heute einen Haupttreffer gezogen. Du bist leidenschaftlich und schmeckst wundervoll.“ „Bist du ein Kannibale?“ – fragte sie leise kichernd – von der Vorstellung überwältigt: Beide nackt auf einem großen Fell vor einem lodernden Kamin – und er überall an ihr herumknabbernd. Er lehnte sich bequem zurück. Seine rechte Hand legte sich über ihre rechte Schulter und glitt tiefer in ihre offene Bluse; umfaßte ihre rechte Brust. Seine Finger begannen sanft über ihre Haut zu gleiten. Nachdenklich meinte er: „Schmecken und riechen ist fast dasselbe. Wenn du jemand nicht riechen kannst, dann ist tatsächlich sein Körpergeruch daran schuld – und dann schmeckt er auch nicht.“ Er beugte sich zu ihr, küßte sie zärtlich auf die Schläfe und fragte sie neckend: „Und wie rieche ich für dich?“ Sie zog seine linke Hand herüber, küßte die Innenfläche und sagte ernsthaft: „Du riechst für mich so schön nach Mann.“ Er hob ihr Kinn, küßte sie sanft auf die Lippen und murmelte dabei leise: „Das ist ja das schönste Kompliment, das ich je hörte.“ Seine Hand fuhr langsam unter ihren Rock und auf der Innenseite ihres Oberschenkels nach oben. Ihre Beine öffneten sich fast automatisch. Seine Finger fanden den Venushügel, drückten sanft dagegen, glitten tiefer und drückten wieder sanft zu. Ihr gesamter Körper explodierte in einem zuckenden Orgasmus, verebbte in langsamen Wellen und steigerte sich wieder zu zuckenden Stößen – immer begleitet von dem sanften Druck der streichelnden Finger. Wieder und immer wieder. Wie kann ein Mann mit solch eisenharten Muskeln so zärtlich sein? – dachte sie wie entrückt mit geschlossenen Augen. Sie zog seinen Kopf herunter. „Küß mich“ – stammelte sie mit zuckenden Lippen und vergrub sich in seinen Mund. Langsam, nach einer scheinbaren Ewigkeit, verlor sich das ekstatische Pulsen. Seine Lippen lösten sich von ihrem wundgeküßten Mund und in einem herrlichen Nachspiel streichelten seine Hände weiter ihre rechte Brust und die Innenseite ihrer Schenkel. Ihre Hand glitt in seinen Schoß, fand seine Erregung und zerrte auffordernd am Stoff seiner Hose. Er zog den Reißverschluß herunter und führte ihre Hand. Warm und hart lag der Schaft in ihrer Hand. Die Proportionen entsprechen dem Format – dachte sie erfreut und begann ihn sanft zu massieren. „Möchtest du richtig?“ hauchte sie fragend und war bereit sich zu einem Ritt auf seinen Schoß zu setzen. „Das machen wir später mit Stil“ – entgegnete er – heiser vor Erregung, „jetzt nur ein bischen Petting zur Einstimmung.“ Wenn das bei mir nur Petting war, dachte sie glücklich, dann steht mir ja noch allerhand bevor. Wie die meisten Frauen war auch sie nach dieser Art Entspannung zum Plaudern aufgelegt. „Ich habe es noch nie im Kino gemacht – und das hier“ – sie verstärkte ihren Griff – „auch noch nie.“ „Alles passiert irgendwann zum ersten Mal“, preßte er hervor. Sein Glied begann in ihrer Hand zu zucken, als wäre es lebendig geworden. Erregung stieg wieder in ihr hoch, als sie sich ausmalte, wie sich das in ihr anfühlen würde. Mit kleinen unverbindlichen Streicheleinheiten und zufriedenem Geplauder ging der Film zu Ende. Als das Licht anging, sagte er lächelnd: „Den Film muß ich mir noch mal ansehen.“ „Mann – oh Mann!“ – sagte ein junges Mädchen in Jeans, Pullover und mit langen, schwarzen Haaren, das ein paar Meter weiter gesessen hatte. Es sah die beiden bewundernd an, maß ihren schmalen, jugendlichen Begleiter halb zweifelnd, halb verächtlich und produzierte eine Kaugummiblase von beachtlicher Größe. Im Kino-Foyer blieb Alexander stehen, drehte Brigitte zur Spiegelwand hin: „Schau mal – das hübsche Paar dort; irgendwie kommen die mir bekannt vor.“ Er schnippte mit den Fingern und meinte weiter: „Jetzt weiß ich es. Vor ein paar Stunden waren es noch Einzeller. Jetzt sind es Paarzeller und die Zufriedenheit strahlt aus jeder Pore.“ Sie lehnte den Kopf an seine Brust – er war fast einen Kopf größer – und begriff den Sinn der Worte: Vor Glück weinen! Ein Kloß saß in ihrer Kehle und machte eine Antwort unmöglich. Er schob sie auf Armeslänge von sich, verbeugte sich leicht und sagte lächelnd: „Meine Teure, ich hoffe, mein Programm sagt ihnen zu. Ab jetzt lege ich mein Schicksal in Ihre Hände.“ Sie knickste und erwiderte feierlich: „Mein Herr, Ihr Programm war überwältigend. Ich werde mich sehr bemühen, Gleiches mit Gleichem zu vergelten.“ Beschwingten Schrittes eilten sie hinaus – von den meist jugendlichen Kinobesuchern im Foyer mit teils verständnislosen, teils sehnsüchtigen Blicken verfolgt. Eine halbe Stunde später saßen sie in einer Kneipe auf der hintersten Polster-Eckbank. Vor ihnen dampfte ein heißer Äppelwoi mit Zimtstange. Er kramte in seiner Tasche und legte eine Münze auf den Tisch; „Zahl oder Kanne?“ fragte er sie. Wieder einer von seinen Scherzen – dachte sie gespannt. „Erkläre“ – verlangte sie, „die Münze und weshalb!“ „Kurz und klar so“, lobte er sie, „dies ist eine Münze aus Arabien, und wer gewinnt, erzählt zuerst ein paar Schwänke aus seinem Leben.“ „Ich möchte die Zahl“ - wünschte sie. „Aha, das Symbol für Saufen soll ich erhalten“, grinste er. „Was für eine Kanne?“ – fragte sie, die Münze betrachtend. „Eine Kaffeekanne“, entgegnete er trocken. „In einer Männerwelt ist ein Symbol des Haushalts auf einer Münze?“ – fragte sie erstaunt. „In Arabien“, erklärte er, „ist Kaffeerösten, -zubereiten und -trinken jeweils eine Zeremonie. Normalerweise bietet man nur einem guten Freund Kaffee an.“ Er schnippte die Münze auf den Tisch. Oben lag die Seite mit der Kanne. „Tja“, seufzte er, „wo soll ich anfangen?“ „Ganz vorn“, verlangte sie, „und daß du nicht allzu vielseitig brauchbar bist, glaube ich auch nicht.“ „Du bist aber eine aufmerksame Merkerin“, sagte er erstaunt, sich seiner Worte vom Nachmittag erinnernd – und fuhr fort: „Da du ein derart exzellentes Gedächnis hast, werde ich mir nicht erlauben zu flunkern.“ „Das muß die Grundlage unserer Beziehung sein“, sagte sie ernst. Und etwas locker meinte sie: „Wer die Wahrheit sagt, kann sich übrigens ein schlechtes Gewissen leisten.“ Ernst erwiderte er: „Auf eines kannst du dich verlassen: Zwar sage ich nicht immer alles, was ich denke. Aber was ich sage, denke ich auch.“ Sie nickte versonnen, seine Worte überdenkend; ein Mann mit Grundsätzen hat immer Format – sagte sie sich. Sie versuchte, seinen Erzählungen eine bestimmte Richtung zu geben: „Bitte – erzähle mir mehr von deinen Ansichten und Grundsätze. Daß du für mich körperlich gewaltig aufregend und anziehend bist, hast du ja bereits gemerkt. Nichts möchte ich lieber, als mit dir ins Bett steigen.“ Sie trank hastig einen Schluck um ihre roten Wangen zu kaschieren und fuhr fort: „Aber ich möchte mich darauf einstellen, ob das eine normale Affäre wird und ich einfach abwarte, bis dieser Anfall vorbei ist. Oder eine dauerhafte Beziehung daraus wird.“ „O.k.“, neckte er sie lächelnd, „dann werde ich dir mal meine Sonnenseite vorzeigen. Ich bin im Herbst 1941 geboren. Ein deutsches Schicksalsjahr, Stalin wollte ganz Deutschland überrennen, nachdem Deutschland, Frankreich und England nach dem Muster des 1.Weltkrieges abgekämpft waren. Der schnelle und überwältigende Erfolg der deutschen Wehrmacht im Westen gegen Frankreich machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Der deutsche Generalstab hatte die Gefahr erkannt, Stalins Mißtrauen gegen alles und jeden wurde durch gefälschte ArmeePutschpläne ins Maßlose gesteigert. Stalin ließ 24.000 seiner besten Offiziere und Generäle erschießen, damit hatte er seine eigene Armee enthauptet. Und die deutsche Wehrmacht stieß bei ihrem Angriff direkt in die Angriffsformationen der roten Armee. Anders lassen sich die ersten, grandiosen Schlachtensiege gegen einen weit überlegenen Gegner nicht erklären. In meinen ersten beiden Lebensjahren ging es noch an allen Fronten vorwärts. Mein Vater fiel in einer der letzten Kurlandschlachten – ich kenne ihn also kaum. Wir lebten in einer kleinen Stadt in Brandenburg – ich bin also ein echter Preusse. Mein Großvater war dort ein kleiner König, ihm gehörten ein Sägewerk, die Schmiede, die Autowerkstatt, die Tischlerei und noch ein bischen mehr. Er war ein toller Kerl, hatte alles fest im Griff. Ab 1948 kann ich mich gut erinnern – in der Zeit davor gibt es ein paar Lücken. Mein Großvater – damals sechzig Jahre alt – seine Frau zehn Jahre älter. Sie hatte einen Haufen Geld mitgebracht – und trotz seines Alters ging er mindestens einmal in der Woche fremd. Die Weiber liefen ihm förmlich nach.“ Sie unterbrach ihn, maliziös lächelnd. „Wir müssen uns bei Gelegenheit mal über Vererbungslehre unterhalten – ist ein interessantes Thema.“ Er machte eine abwehrende Handbewegung. „Ich bewundere ihn, und dennoch ist er für mich ein abschreckendes Beispiel. Und deshalb bin ich zum Teil so, wie ich bin. Sonst würde ich nicht so weit ausholen.“ Er legt seine Wurzeln vor mir frei – dachte sie beeindruckt, signalisierte zur Theke „zwei neue Heisse“ und trank den Rest ihres Glases in kleinen Schlucken. „Mein Großvater“, fuhr er mehr nach innen gekehrt fort, „arbeitete immer wie ein Pferd. Manchmal zwanzig Stunden am Tag. Nach dem ersten Weltkrieg hatte er einen Betrieb mit zwanzig Mann. Dann kam die Inflation und alles war futsch. Als der zweite große Krieg zu Ende war, hatte er ungefähr 180 Mann beschäftigt. Alle unsere Berliner Verwandten steckten ihre Füße unter unseren Tisch und waren froh, einen Platz zu haben, auf den keine Bomben fielen. Vom Kriegsende bekam ich wenig mit. Ein paar Flüchtlingstrecks kamen durch, denen, soweit ich mich erinnere, von allen nach besten Kräften geholfen wurde. Von den Russen sah ich fast nichts. Zu den Kindern waren die jedenfalls recht nett – zu den Frauen weniger. Ich hörte später von ein paar sehr scheußlichen Sachen. Und dann waren unsere Betriebe natürlich auch futsch – enteignet mit der Begründung, mein Großvater würde zuviel Lohn zahlen. Da staunst du, was?“ – fragte er, als er ihren ungläubigen Gesichtsausdruck sah. Die staatlichen Betriebe in der Ostzone zahlten damals 50 Pfennig in der Stunde, und mein Großvater 60 – weil er der Meinung war, mit weniger könne man eine Familie nicht vernünftig ernähren. Nur der Grund ist kurios, enteignet hätten die sowieso. Na und dann nahmen wir mit nichts in der Tasche ganz fix die Kurve. Damit begann der Ernst des Lebens, und ein warnendes Beispiel hatte ich auch vor Augen. Von Großvaters gesamter Arbeit blieb nichts. Jeder klammerte sich damals an seine Scholle und hoffte auf bessere Zeiten. Später las ich dann von Adenauers berühmten Ausspruch, daß für ihn hinter Hannover die asiatische Steppe beginnt. Nun aber mal eine kleine Pause zum Anfeuchten – die Kehle wird vom vielen Reden ganz trocken“ – er nahm einen Schluck und fuhr fort. „Und einen Kuß zum anfeuern – als Belohnung, weil ich so brav bin.“ Der Kuß war zart und innig, mit viel Gefühl. „Der Rest ist schnell erzählt“, ging es weiter, „Schule in West-Berlin, Lehre als Tischler in Hamburg, ein paar Jahre als Geselle auf der Walze mit einem 500er BMW in ganz Deutschland und in der Schweiz.“ Er sah ihren fragenden Gesichtsausdruck und deutete ihn richtig. „Auf der Walze bedeutet, als Handwerksgeselle herumziehen und überall mal ein paar Monate arbeiten, um Erfahrung zu sammeln und das Land kennen zu lernen. Aus dieser Zeit kann ich dir noch Jahre lang die seltsamsten Erlebnisse erzählen.“ Sie schwieg, beglückt über diesen versteckten Hinweis, und er fuhr fort in seiner Erzählung: „Dann geheiratet, zwei Kinder bekommen, weil es sich nunmal so gehört – und damit war ich wohl in die Falle getappt. Arbeite und bete, damit andere von deiner Arbeit leben können. Die ersten Ehejahre sind wohl immer schön, waren es auch bei mir. Nicht wegen des geregelten Geschlechtsverkehrs“, fügte er hinzu, als er ihr Lächeln sah. „Da kommt so vieles zusammen; man ist nunmal eine wirkliche Gemeinschaft. Kinder kommen, man sammelt Erfahrungen – ist immer noch idealistisch. Wählt links, wenn man nichts hat – wählt rechts, wenn man was hat oder dumm ist und wählt patriotisch, wenn man denken gelernt hat. Dann versucht man vorwärts zu kommen. Die Meisterprüfung ist die erste Sprosse auf der Leiter, die Meisterstelle die nächste. Ein Job als Innenarchitekt brachte dann die Wende. Zwar habe ich kein Studium hinter mir – aber ich kann recht gut zeichnen und habe einen sicheren Geschmack – den Rest habe ich mir angelesen. Außerdem wirkt sich mein handwerklicher Hintergrund sehr positiv aus.“ Er unterbrach kurz und sah sie an. „Warst du auch bei der Bundeswehr? Ich frage wegen Ralf“ – warf sie ein. „Ja“, gab er zur Antwort, „das ist auch so ein Ding. Da zeigte sich zum ersten Mal mein Rebellengeist. Als ich gemustert wurde, war ich Mitglied im deutschen Motorsportbund und im Judo-Club – also sportlich gut durchtrainiert. So wollte ich also zu den Fallschirmjägern. Sagte doch dieser Schreibtisch-Hengst zu mir, ich solle den Mund halten, das würden andere bestimmen. Also, daß andere über mich bestimmen – da gehe ich doch glatt die Wände hoch. Erzähle ich also dem Typ ziemlich lautstark, daß mein Vater in Rußland gefallen sei, und ich der einzige Sohn bin. Und falls ich nicht zu den Fallschirmjägern käme, könne er mich am Hobel blasen. Immerhin besagte das Gesetz, daß ich nicht zum Bund brauchte, wenn ich nicht wolle – wegen dieser familiären Situation. Mitten in meinem Vortrag kam ein Offizier hinzu, hörte sich die Sache an und forderte mich dann für das Luftlande-Batallion 252 an. Der Haufen war in Ordnung – habe ich nie bereut. Einmal warfen wir einen Offizier aus dem Hubschrauber in einen See aus zwanzig Metern Höhe – natürlich ohne Fallschirm. Als er sich beim Oberst beschweren wollte, fragte der ihn nur, ob er seine Leute nicht im Griff hätte. Ende der Fahnenstange.“ „Weshalb war der Job als Innenarchitekt eine Wende für dich?“ „Nun, ich bin der Meinung“, antwortete er auf die Frage, „daß im Leben gewisse Grundmuster die Richtung angeben. Es kommt nur darauf an, die Gesetz-mäßigkeiten zu erkennen. Beispiel: Die Menschen im Norden müssen im Sommer für den Winter planen und arbeiten; sonst werden sie hungern und frieren und eventuell nicht überleben. Das wird über zig Generationen über die Gene weitervererbt. Im Süden ist es dagegen immer warm und irgendwas wächst auch immer. Deshalb werden die Menschen im Norden denen im Süden im Planen und Organisieren immer überlegen sein – naturbedingt. Und so prägen auch ein Beruf und die Erfahrungen einen Menschen. Durch diesen Job jedenfalls begann ich, hinter die sichtbaren Fakten zu sehen und sonst als selbstverständliche Dinge zu hinterfragen.“ Der Großvater als Offizier im ersten Weltkrieg Ich wußte es – dachte sie befriedigt – ich habe ein Nugget gefunden. „Den Rest erzähle ich dir morgen, heute habe ich genug geredet. Einverstanden?“ „Ich habe schon verstanden“, sagte sie, ihn scherzhaft wie ein Vamp von unten ansehend, „und ich bin sehr einverstanden.“ Zwei Stunden später lag sie starr vor Schreck auf seinem Hotelbett, schämte sich entsetzlich und verfluchte ihren Körper. Erst ihr Entzücken und das heiße Begehren – als sie seinen athletischen, gut proportionierten Körper zum ersten Mal nackt sah. Dann die aufsteigenden Wellen der Lust bei seinem zärtlichen Vorspiel und schließlich der Himmel voller Seligkeit, als der Rausch der Ekstase alle Hemmungen fortspülte. Und nun dieser jähe Sturz! Ihr Herz hämmerte, und sie hielt ihre Augen krampfhaft geschlossen. Trotz ihrer Panik hatte sie doch seine Bewegungen genau registriert. Er lag neben ihr – den Ellbogen aufgestützt – und betrachtete sie im Halbdunkel des Lichts der mit ihrem Unterrock abgedeckten Stehlampe. Seine linke Hand begann mit kreisenden Bewegungen ihren Körper zu streicheln. Ja – ihr Körper – der reagierte zitternd, und gegen ihren Willen entrang sich ihrer Kehle ein tiefes Schluchzen. Ich will weder Mitleid noch Trost – dachte sie trotzig und in neuer Panik: Oh Gott – wie überstehe ich nur den Abgang? Langsam drang seine Stimme in Ihr Bewußtsein, verständnisvoll und überzeugend: „Ohne Zweifel, meine Geliebte – wir sind ein ideales Paar. Einen solchen Super-Orgasmus wie bei dir habe ich selten erlebt. Nur wenigen Frauen passiert das und auch nicht jedes Mal. Und bei uns klappt es dann auf Anhieb – direkt beim ersten Mal. Normalerweise muß man sich erst ein paar Mal einstimmen, aber wir zogen uns wie Magneten an und beim Zusammentreffen explodierten wir.“ Staunend ließ sie seine Worte in ihr gepeinigtes Bewußtsein sickern. Zögernd schlug sie die Augen auf. Sein Gesicht war zärtlich prüfend über sie gebeugt. Er weiß und versteht – dachte sie ungläubig. Sie setzte sich auf, deutete auf den riesigen Fleck auf dem Bettlaken und fragte – noch halb benommen: „Bin ich so dumm?“ Das erste Blockhaus im Hochsauerland Und immer noch zweifelnd: „Du mußt mich überzeugen. Ich dachte, die Kontrolle über meine Blase verloren zu haben.“ Er flüsterte, zärtlich überredend: „Manche Frauen verlieren bei einem ganz besonders intensiven Orgasmus eine große Menge farb- und geschmackloser Flüssigkeit. Ich fragte schon ein paar Ärzte danach – aber keiner konnte es bislang erklären. Ein japanischer Frauenarzt beschrieb diesen Vorgang in einem Buch – aber auch er konnte keine Erklärung geben über das Wieso, Woraus und Woher. Was meinst du, wie erschrocken ich beim ersten Mal war?“ Sie glaubte ihm. Nur zu gern wollte sie ihm glauben. Vor Erleichterung sank sie schlaff, wie hingegossen, auf das Bett zurück. Träumerisch fragte sie ihn: „Was meinst du, ob es heute noch einmal klappt?“ Sommer 1944, Brandenburg Alexander, barfuß und in kurzer Hose, watschelte rund, rosig und sauber geschrubbt über den Hof zu den Kaninchenboxen. Aus dem Korb nahm er die aussortierten kleinen Möhren und steckte sie durch das Drahtgitter. Gespannt sah er zu, wie der Nagezahn des Kaninchens die Möhre zerkleinerte. Er hörte Schritte hinter sich und drehte sich um. Ein großer, schlanker Mann mit hagerem Gesicht kam auf ihn zu. Die Uniform, die er trug, war Alexander vertraut. Die Männer aus dem Ort, die so angezogen waren, kamen immer nur für kurze Zeit, und jedes Mal war große Aufregung. Die Frauen liefen von Haus zu Haus und erzählten die neu gehörten Geschichten weiter. Der Mann setzte sich auf die Bank neben die Kaninchenställe und fragte: „Wie heißt du denn, kleiner Mann?“ „Ich heiße Alexander, aber meine Mutter ruft mich immer Alex.“ „Und wo ist deine Mutter“, fragte der Mann weiter, lehnte sich an die warme Bruchsteinmauer und genoß sichtlich die letzten warmen Strahlen der Abendsonne. Dieser junge Gefreite wurde 1939 eingezogen und fiel als Unteroffizier mit 25 Jahren in Lettland (Kurland) im August 1944. Die Fragerei ärgerte Alexander. Aber der Mann gefiel ihm, und so sagte er: „Ach – irgendwo, die ist immer unterwegs.“ „Und, gefällt dir das, so allein zu sein?“ „Ich spiele dann mit meiner Schwester“, gab Alexander zur Antwort, drehte sich um und fütterte die Kaninchen weiter. Plötzlich ein Brummen wie von weit her. Der Mann hatte sich wachsam lauschend aufgesetzt. Das Brummen steigerte sich zu einem Dröhnen – dann setzte tackendes Geknatter ein. „Mein Gott“, sagte der Mann, „jetzt sogar hier.“ Alexander rannte, so schnell ihn seine Beine trugen, zum Hoftor, blieb am Torpfeiler stehen und schrie über die Straße: „Tissaria, komm schnell rein – Engländer, die Saubande schießt dich tot.“ Gegenüber war ein großer Obstgarten und eine ganze Anzahl Kinder im Schulalter kamen gerade aus der Gartentür und liefen zu den Verschiedenen Häusern. Der Mann neben Alexander sah mit zusammengekniffenen Augen in den Himmel. „Die good-fellowsportsman machen Jagt auf Zivilisten – die schießen wenigstens nicht zurück“, knirschte er verächtlich. Aus der Gartentür trat als letzte eine blonde, schlanke Frau mit einem langzöpfigen Mädchen an der Hand. Sie rannten über die Straße. Die Frau stutzte, ließ die Kleine los, lief schneller und fiel dem Mann neben Alexander in die Arme. „Ich habe dich erst übermorgen erwartet“, rief sie überglücklich. „Ich führte einen Kurierauftrag aus und kam mit dem Flugzeug. Glück gehabt“ – lachte er. Das Dröhnen war verklungen. Der Mann sah das Mädchen an und zog scherzhaft an einem ihrer langen, braunen Zöpfe. „Hallo, Christa-Maria, bald kannst du als Rapunzel gehen“, sagte er lächelnd zu ihr. Sie sah ihn zaghaft an und sagte: „Guten Tag, Papa.“ Alexander begriff nicht allzuviel, dachte aber zufrieden: Jetzt haben wir einen Vater. Die aus vielen Erzählungen nebelhaft bekannte Gestalt war Wirklichkeit geworden. Sie gingen ins Haus. Ihre Mutter begann das Abendbrot zu bereiten. Die Kinder spielten mit der Ritterburg und den Bleisoldaten. Der Vater setzte sich auf die gepolsterte Eckbank, sah ab und zu aus den Fenster und unterhielt sich mit seiner Frau, die er seit fast einem Jahr nicht gesehen hatte. „So wie eben gerade ist es sehr selten hier“, sagte sie in dem Bemühen, ihren Mann nicht auch noch mit ihren Sorgen zu belasten, „ich helfe meinem Vater seine Betriebe zu führen. Deine Brüder versorgen uns mit Lebensmitteln, falls es mal eng wird.“ Er kam aus einer Bauernsippe. Fünf seiner Brüder besaßen eigene Höfe, und er hatte diese reiche Erbin geheiratet. Mal sehen, was davon übrigbleibt, dachte er gleichgültig. „Ich bin immer noch als Kurier unterwegs“, erzählte er ihr, „bin deshalb nie in vorderster Frontlinie. Aber brenzlig ist es oft genug.“ Bitter fuhr er fort: „Alles, was wir erkämpft haben, wird aus Dummheit oder mit Absicht – wer weiß – verspielt.“ „Wie meinst du das?“ – fragte sie forschend. „Vor drei Wochen war ich zwischen zwei Stabsquartieren unterwegs“, sagte er erinnerungsschwer. „Ich übernachtete in einer Bauernkate. Nur ein alter Großvater und eine junge Frau wohnten dort. In einem Nebenraum bekam ich ein Strohlager. Aber das Stroh räumte ich vorsichtshalber in eine andere Ecke. Irgendwann nach Mitternacht fiel aus einer unsichtbaren Luke über meinem ursprünglichen Lager ein großer Felsbrocken. Geistesgegenwärtig jagte ich ein paar Kugeln durch die Luke, und der Alte kam tot seinem Stein hinterher. Als ich hinauswollte, fiel mich die Frau mit einem Messer an. Ich fesselte sie und übergab sie dem nächsten Posten an der Straße. Nach kurzem Verhör erschoß sie der Offizier sofort. Und diese Leute begrüßen uns kurz zuvor auf dem Vormarsch mit Brot und Salz und als Befreier. Aber man kann ein Volk, das fähig ist, einen T-34 zu bauen, nicht als Untermenschen behandeln“, meinte er abschließend. Sie fragte ihn: „Bist du auch der Meinung, daß es ein Fehler war, Rußland anzugreifen?“ Worauf er entgegnete: „Wer kann das schon sagen? In ein paar Monaten wäre Stalin wahrscheinlich über uns hergefallen, die werden in unser Feuer gejagt, wie Schlachtvieh, bei denen zählt ein Menschenleben nichts. Die Russen stecken in der gleichen Falle wie wir. Du tust jeden Tag mehr als deine Pflicht, um zu überleben – und doch weißt du, daß du das falsche tust. Sie verlieren weit mehr Soldaten als wir, und dennoch werden wir immer weniger und sie immer mehr. Bereite dich darauf vor, daß wir den Krieg verlieren.“ Taima – Saudi Arabien, auf diesem Berg hat ein Engländer ein Jahr lang Ausschau nach Rommels Soldaten gehalten. Alexander verstand von alledem nichts. Aber er vergaß die Worte nicht und dachte später oft darüber nach. Sein Vater blieb drei Wochen bei ihnen, besuchte mit ihm seine Brüder, ging mit ihnen im Wald Beeren und Pilze sammeln, fuhr eines Tages wieder fort und kehrte nie zurück. Gefallen im Herbst 1944 in einer der Kurlandschlachten. Alexander wurde drei, als sie in die nahe Kreisstadt zum Großvater zogen. Das Leben war aufregend, und bald hatte er den schlanken, gutaussehenden Mann in Uniform vergessen. Seine Schwester spielte immer seltener mit ihm. Er wurde schlank und drahtig, konnte rennen wie ein Wiesel und kein Baum war ihm zu hoch. Seine Mutter war den ganzen Tag über im Büro. Der dröhnenden Stimme des Großvaters ging er nach Möglichkeit aus dem Weg. Er durchstreifte die Betriebe, die einmal ihm gehören sollten, erbettelte sich in der Schmiede ein „Tomahawk“ und in der Tischlerei ein Holzschwert – spielte Trapper, Indianer oder Ritter – je nach Lust und Laune. Ab und an, wenn seine Mutter geschäftlich verreisen mußte, wurde er bei der Oma, drei Querstraßen weiter, abgeladen und – sie wurde bald der liebste Mensch für ihn. Manchmal setzte sich die Oma auf ihr Fahrrad und besuchte ihre Söhne. Angebote, bei einem von ihnen zu wohnen, lehnte sie ab. Eine Schwiegermutter im Haus taugt nichts – das war ihr einziger Kommentar. Alexander kam in die Schule, wurde respektvoll behandelt und lernte leicht. Die Mutter und der Großvater machten immer öfter eine sorgenvolle Miene. Eines Tages wurde er in der ersten großen Pause vom Lehrer nach Hause geschickt. Nein, nein, kein Unglück – beruhigte ihn der Lehrer – aber er sei ja ein Freund der Familie und wüßte daher, daß seine Mutter jetzt alle brauchte. Er solle noch ein wenig beim Tor warten, seine Schwester käme auch gleich. Es war ein schöner Sommertag. Da Raten nichts einbrachte, schlenderten sie gemütlich heim. Ihr Haus stand neben den Betriebsgebäuden. Es war außergewöhnlich ruhig. Keine Maschine lärmte. Die Arbeiter saßen in Gruppen im Hof und schwiegen wie betäubt. Großvater war enteignet – sein Vermögen beschlagnahmt, die Betriebe und Büros versiegelt. Unter diesem Wald liegt dieser junge deutsche Soldat auf einem Soldatenfriedhof: Nach Ende des Krieges wurde den Letten befohlen, die Gräber platt zu machen und darüber Bäume zu pflanzen – sie weigerten sich – daraufhin wurde jeder dritte aussortiert und nach Sibirien transportiert – keiner kehrte zurück. Nach Beendigung der russischen Besatzung wurden von den lettischen SS-Veteranen am Waldrand zwei weiße Holzkreuze aufgestellt, eines für die deutschen und eines für die lettischen Soldaten. Dieses Kreuz steht für die gefallenen deutschen Soldaten und dieser Wald über dem Soldatenfriedhof ist unberührt. Niemand von der lettischen Bevölkerung hat ihn je betreten, keine Pilze oder Beeren gesammelt und auch kein Holz geschlagen. Lettische SS-Offiziere haben kurz vor Kriegsende in Kenntnis des asiatisch – barbarischen Charakters ihrer Feinde alle Soldatenfriedhöfe kartographisch vermessen und die Namen der Gefallenen notiert. Diese Unterlagen wurden versteckt und sind jetzt wieder zugänglich durch das Büro der SS-Veteranen in der Altstadt von Riga. 30.000 deutsche Soldaten der Wehrmacht und die SS-Division „Das Reich“ mit der lettischen Freiwilligen Division schlugen die vergewaltigenden und mordenden Horden der roten Armee in sieben Abwehrschlachten zurück. Sie kämpften noch, als Berlin schon gefallen war und ermöglichten damit die Flucht von mehr als drei Millionen Ostpreußen über die Ostsee durch die deutsche Kriegsmarine. Einmalig in der Geschichte! Das Schlachtfeld von 1944 – Heute. Der Großvater war rechtzeitig gewarnt worden und befand sich daher seit gestern abend in West-Berlin; zwar beinahe ohne Geld, aber heil und gesund. Alexander war praktisch veranlagt. „Was machen wir jetzt?“ – fragte er, „bleiben wir hier, hauen wir auch in den Westen ab, oder ziehen wir zu Onkel Paul?“ Dieser Onkel Paul war ihm nämlich der liebste Onkel – mit einem gut geführten Hof, einem schönen Haus am Waldrand und dem herrlichen großen Obstgarten. „Ich weiß es noch nicht“, sagte seine Mutter, „ich weiß nur, daß wir niemals und nirgendwo betteln. Bietet man uns Hilfe an, werden wir weitersehen. Falls nicht, suchen wir uns einen eigenen Weg.“ „Wir haben doch ein paar Verwandte in West-Berlin wohnen“, stellte Alexander fest, „die können uns doch sicherlich weiterhelfen.“ „Warten wir erst mal ab“, gab Mutter zur Antwort, „ich möchte sie nicht beschämen, indem ich mir faule Ausreden anhöre.“ Eine Woche später ging es auf Kundschafter-Reise nach WestBerlin. Die Verwandten waren bereit, mit Rat und Tat zu helfen. Der Großvater hatte schon eine Villen-Wohnung bezogen und plante bereits wieder neue Projekte. Die Kinder begleiteten ihre Mutter, als sie den Flüchtlings-Antrag stellte. Der wurde nach einer Woche abgelehnt mit der Begründung, für Leib und Leben bestünde keine Gefahr. Die Mutter war kreidebleich, als sie mit dem Ablehnungsbescheid in die Wohnung kam. „Wenn das Demokratie sein soll“, sagte sie, „dann kann ich auf Demokratie verzichten.“ Auch der Großvater schimpfte verbittert: „1943 gewann ich noch einen Prozeß gegen die NSDAP; aber gegen solche Verordnungen haben Rechtsmittel im Augenblick wohl keine Chance.“ Sie fuhren zurück. Das Leben ging weiter, in der Schule änderte sich nichts. Alexander lernte weiterhin leicht. Seine Freunde blieben ständig dieselben – ein Wesenszug, der sich bei Alexander später noch stärker ausprägen sollte. Sie sammelten Pilze und Beeren, fuhren nach Berlin und verkauften das Gesammelte auf den Märkten. Die Mutter besorgte sich irgendwie einen LKW und eröffnete ein Fuhrgeschäft, was hauptsächlich aus dem Abfahren von Holz aus dem Wald bestand. „Die kleinen Unternehmer läßt man noch in Ruhe“, meinte sie. Einen Automechaniker stellte sie als Fahrer ein, auf der Basis einer Gewinn-beteiligung. Nach einigen Monaten merkten die Kinder, daß die Beteiligung weiter reichte als ursprünglich geplant. Er war aus Schlesien, sehr wortkarg. Als Mechaniker sehr geschickt und im Großen und Ganzen annehmbar – wenn man den Männermangel bedachte. Die Flüchtlingsvorschriften in Berlin wurden geändert. Die Möbel kamen zu Verwandten in der Hoffnung eines vereinten Deutschland. Zum zweiten Mal fuhr die Familie nach West-Berlin. Sie mieteten ein kleines Haus mit großem Garten. Das neue Familienmitglied fand Arbeit und ernährte die Familie. Der Großvater hatte eine Brutmaschine gebaut und betrieb eine Hühnerfarm in einer ehemaligen Gärtnerei. Alexander fuhr nachmittags mit dem Fahrrad die Kunden ab und verteilte Eier und gerupfte Hähnchen. Andauernd hatte er eine Verabredung. Ohne eigene Anstrengung erhielt er von den Mädchen Einladungen ins Kino, zum Geburtstag, zu Fahrrad-Touren und ähnlichen Unternehmungen. Die Mädchen wollten geküßt werden. Alexander wußte zwar nicht warum – aber er tat ihnen den Ge-fallen. Auf diesem Gebiet war er ein Spätentwickler. Frankfurt Alexander sah den riesigen Metallvögeln zu, wie sie langsam hereinschwebten und donnernd zur Landung ansetzten, ausrollten und an den Terminals anlegten. Andere stiegen auf und verschwanden als kleiner Punkt in der Ferne. Eine Hand legte sich leicht an seinen Nacken. Er sah hoch – Brigitte neigte sich zu ihm herunter und küßte ihn. Ihre Zunge teilte seine Lippen und erzeugte ein prickelndes Gefühl in seinen Lenden. Sie löste sich und setzte sich neben ihn. „Das ist schon ein seltsamer Platz als Verabredung für zwei Frischverliebte“, meinte sie. „Hattest du Angst, ich würde dich sofort vergewaltigen?“ „Sind wir das – frisch verliebt?“ – fragte er sie suchend – und auf ihre Frage eingehend: „Du brauchst dir keinen Zwang anzulegen. Mich stört es nicht und allenfalls kann es uns passieren, daß wir uns morgen in der Bild-Zeitung wiederfinden.“ Auf Anhieb leicht erschrocken über diese Vorstellung sah sie ihn an, lächelte amüsiert und fragte weiter: „Was hast du denn da in der Hosentasche? Oder freut es dich so sehr mich zu sehen?“ „Touche“, grinste er, „und wie hast du geschlafen, mein Engel?“ „Traum-haft“, sagte sie zufrieden. Sie hatten mitten in der Nacht zwei Stunden geschlummert, waren ineinander verschlungen aufgewacht, hatten geduscht und in einer Bar gefrühstückt – in einer Weltstadt kann man das. Danach waren sie für ein paar hitzige Runden ins Hotelbett zurückgekehrt. Morgens um sieben hatte sie mit der Gelassenheit einer Grande-Dame beim Portier ein Taxi bestellt und ihm befohlen, im Bett zu bleiben, sich nicht weiter um sie zu kümmern. „Mein Sohn wird gegen acht Uhr aufstehen“, war ihre vorhergegangene Begründung, „ich kann ihm nicht alle Illusionen über seine Mutter rauben. Außerdem muß ich wirklich mal ein paar Stunden schlafen.“ Sie plinkerte neckisch mit einem Auge. „Wenn ich hierbleibe, wird aus dem Schlaf mit Sicherheit nichts.“ „Sehr vernünftig“, lobte Alexander, „man soll nichts übertreiben.“ „Angeber“, neckte sie ihn daraufhin. Ernst werdend setzte sie sich auf den Rand des Bettes, legte ihren Kopf an seine Brust und flüsterte: „Ich schwöre dir: Noch nie zuvor habe ich so geliebt; weder gefühlsmäßig noch rein körperlich. Und noch nie war ich so glücklich.“ Das Telefon summte, ihr Taxi war da. Sie stand auf, warf ihm noch einen Blick zu und verließ fast fluchtartig den Raum. Er nickte rasch ein; und als er wieder erwachte, fand er ihre Visitenkarte auf dem Schreibtisch. Sieh an, die Dame ist vorsichtig, trotz allem. Es war die Geschäftsadresse: Dr. Brigitte Volp, Wirtschaftsberaterin – Büroadresse und Bürozeiten. Er war sicher, daß das Fehlen einer privaten Telefonnummer kein Versehen war. Er duschte, frühstückte erneut und diesmal ausgiebig und rief die Nummer auf der Visitenkarte an – im Telefonbuch war kein privater Anschluß unter ihrem Namen verzeichnet. „Kann ich bitte Frau Dr. Volp sprechen?“ Eine Frauenstimme, tüchtig und geschäftsmäßig, reagierte routineartig mit: „Wie ist Ihr Name bitte – und in welcher Angelegenheit rufen Sie an?“ „Mein Name ist Alexander und es ist privat.“ „Frau Doktor ist im Moment nicht erreichbar. Kann ich etwas bestellen?“ Gut abgeschirmt – dachte er aner-kennend. „Sagen Sie ihr bitte meinen Namen und einen ‚Guten Morgen’, und ich würde sie gern am späten Nachmittag auf der Flughafenterrasse treffen.“ Die Stimme am Telefon klang jetzt erstaunt und interessiert. „Ich habe es notiert und werde es ausrichten.“ Alexander besorgte ein paar Einkäufe, durchstöberte einen Buchladen nach interessanten Neuerscheinungen, besuchte die Frankfurter Rundschau und gab eine Anzeige auf. Durch den Duft verführt, aß er am Hauptbahnhof eine Portion gebratener Pilze mit Zwiebeln und fuhr dann mit der S-Bahn zum Flughafen. Vor zwei Monaten war in der Abflughalle eine Bombe explodiert, und jetzt hatte es fast den Anschein, als würden mehr Polizisten als Fluggäste die Halle bevölkern. Kurz darauf kam es zu dem eingangs erwähnten Zusammentreffen. Sie sahen sich jetzt beide zärtlich lächelnd an – in Gedanken an die noch nicht lange zurückliegenden gemeinsamen Stunden. „Ich sitze gern hier“, sagte er, „und denke an all die exotischen Orte, zu denen diese Maschinen unterwegs sind.“ „Es gibt auch andere Ziele“, entgegnete sie, „kalt, nüchtern und häßlich.“ „Das liebe ich so an dir“, grinste er, „mich mit einem Ruck in die Wirklichkeit zurückstoßen.“ Woraufhin sie sarkastisch lächelte. „Von träumen wird die Welt nicht besser, und essen kann man sie auch nicht.“ „Doch!“ – widersprach er ernst. „Träume verändern sehr wohl die Welt. Wer keinen Mut zum Träumen hat, hat auch keine Kraft zum Kämpfen, und wenn du nicht mehr träumst, beginnst du langsam zu sterben.“ Sie sah ihn überrascht an. „Sprich weiter“, forderte sie ihn auf, „du sagst schöne Sachen – über die man nachdenken muß.“ „Kannst du dir vorstellen, nicht mehr in dieser Stadt zu leben, sondern im Süden, beispielsweise in Spanien?“ – fragte er. „Später im Rentenalter oder schon jetzt?“ – kreiste sie die Frage ein. „In naher Zukunft meine ich – etwa in einigen Monaten. Ich will es dir erklären.“ Er zog eine lange, dünne Zigarre aus einer Schachtel, zündete sie sich an und blies einen Rauchring in die Luft. Sie hatte ihn noch nicht rauchen gesehen, aber es gefiel ihr. Der Rauch roch würzig und angenehm. „Dieses unser Land“, er betonte diese ersten Worte spöttisch, entwickelt sich nicht zum Positiven – sondern, wie ich meine, sehr negativ. Daran will ich weder teilhaben, noch die Dinge über mich ergehen lassen. Ich habe nur ein Leben und will gemäß meiner Natur und meinen Neigungen leben. Wer das nicht tut, bekommt früher oder später doch nur ein Magengeschwür oder Schlim-meres wie Krebs oder sonstige scheußliche Plagen.“ „Glaubst du daran, daß auf diese Weise Krebs entstehen kann?“ – fragte sie erstaunt. „Natürlich – Krebs ist die Trauer der Zellen, weil der Mensch nicht natürlich lebt – so, wie er es tun sollte. Er übt den falschen Beruf aus, läßt sich von Vorgesetzten herumschubsen, kränken, schlecht behandeln und so weiter. Wie sonst wären die überraschenden Heilungen in manchen hoff-nungslosen Fällen wohl erklärbar, nachdem Menschen von ihrem bevor-stehenden Krebstod erfuhren und daraufhin ihr Leben radikal änderten? Ich glaube, daß diese Theorie in gewissen Kreisen durchaus bekannt ist. Nur wird sie totgeschwiegen, weil sich sonst viel mehr Menschen sehr viel stärker empören würden. Natürlich spielt die Nahrung auch eine ganz entscheidende Rolle mit, und die ist ja rundum vergiftet. In diesem, unserem Land stinkt es doch an allen Ecken und Kanten. Die Krebsrate in der ehemaligen DDR war ein Staatsgeheimnis – warum wohl? Die da drüben lebten noch sehr viel stärker gegen jede menschliche Natur. Druck von oben erzeugt nur bei Sklaven Eifer. Ein normaler Mensch versucht dem Druck auszuweichen oder leistet Widerstand. Auf Dauer kann man Menschen nicht befehlen, was sie zu denken haben.“ Brigitte unterbrach ihn mit einer Handbewegung. „Ich bin ganz konfus. Vieles, was du sagst, hört sich sehr vernünftig an. So glaube ich beispielsweise auch, daß, wenn alle Bürger definitiv wüßten, wie es mit der Steuergerechtigkeit wirklich aussieht, uns vielleicht gar eine Revolution bevorstehen könnte. Bist du nun eigentlich links oder rechts eingestellt – ich komme da mittlerweile nicht mehr ganz klar.“ „Nun, ich glaube, ich bin so etwas wie der seltsame Fall eines linken Patrioten“, lächelte er. Und sie lachte: „Ich wußte ja gleich, daß du eine seltene Ausgabe der Spezies Mensch bist – sozusagen ein Prachtexemplar.“ „Danke sehr, auch ein Mann hört sowas gern.“ „Ich weiß“, sagte sie, „Streicheleinheiten gehören zum seelischem Gleichgewicht.“ „Es wird dunkel, und ich habe Hunger. Was hältst du von einem kräftigem Steak?“ „Nicht schlecht – aber dazu möchte ich dich zu mir einladen. Ich bin ja kein Blaustrumpf, sondern kann auch kochen. Und welche Frau führt ihre Kochkünste nicht dem Mann vor, den sie liebt?“ Er sah sie überrascht an. Sie meint es ernst – dachte er – so bald schon. „Und dein Sohn?“ – fragte er – „ist das nicht ein bischen früh?“ „Der fährt über das Wochenende weg. Seit einer Stunde dürfte er bereits unterwegs sein. Und wenn mich was oder wer brennend interessiert, werde ich eben aktiv“, lächelte sie. „Ich freue mich“, sagte Alexander aufrichtig und fuhr fort. „Aber ich muß mir noch eine Zahnbürste besorgen.“ „Kein Problem“, gestand sie, „mein Gästezimmer ist komplett eingerichtet und ausgestattet“. Als er sie fragend ansah, fuhr sie rasch fort: „Aber seit über einem Jahr nicht mehr benutzt. Zwar habe ich es mal versucht – aber es war ein Reinfall. Man wird halt wählerisch mit den Jahren.“ „Geschah dir recht“, sagte er schadenfroh, „Warum hast du nicht auf mich gewartet?“ „Ich dachte, es sei Liebe“, verteidigte sie sich, „aber er war ein Blender und dann...“. Sie brach ab, über sich selbst wütend geworden. Alexander grinste sie fröhlich an: „Dann stimmen wir also darin auch überein. Es gibt in der Welt so viele nette und interessante Menschen – warum sich also mit Kroppzeug abgeben?“ Mit einem Schlag überfiel sie das Gefühl einer fiebrigen Erwartung. Sie stand auf, nahm seine Hand und zog ihn wortlos zum Ausgang. Ihr Auto, mit Stern in sportlicher Ausführung, roch innen angenehm nach Leder und teurem Parfüm. Sie war eine rasante, aber sichere Fahrerin. „Ich wohne etwas außerhalb im Taunus“, erklärte sie, „es ist aber nicht weit.“ „Als Geselle arbeitete ich mal fast zwei Jahre lang in Kelkheim“, erzählte er, „das war so um 1960. Wir waren eine Clique von ungefähr zehn Mann und kamen aus allen Teilen Deutschlands hierher, um in der Stadt der Möbel hinzu zu lernen. Sonntags sind wir manchmal mit ein paar Mädchen den Feldberg hoch gewandert. Auf dem Rückweg verstreuten sich dann die Paare und trudelten nach und nach wieder in der roten Mühle ein.“ „Das kann ich mir gut vorstellen“, sagte sie leicht entrüstet, „daß du damals so manches Mädchenherz gebrochen hast.“ „aber ich kann mich nicht entsinnen, daß mir jemals eine ernsthaft böse war, obwohl ich schon ein paar gemeine Tricks auf Lager hatte.“ „Erzähle“, forderte sie ihn gespannt auf. „Gut – damals hatte ich meine 500-BMW“, fuhr er versonnen fort. „Diese Typen hatten noch keine Sitzbank, sondern zwei gefederte Einzelsitze. Aus dem Beifahrersitz hinten hatte ich die Federn ausgebaut. Und wenn ich ab und zu ein Mädchen zur Spazierfahrt einlud, ging es natürlich mit Vorliebe über Feld- und Waldwege. Was meinst du, wie die vielen, kleinen Erschütterungen, ungeschützt auf den Achtersteven meiner Beifahrerin übertragen, auf diese gewirkt haben? Hielt ich dann irgendwann auf einem lauschigen Platz an, wurde ich fast vergewaltigt.“ „Du bist ja ein Wüstling“, meinte sie leicht entsetzt. „Aber nein doch – die Mädchen waren richtig happy und dankbar. Manche hatten zum ersten Mal einen richtigen Orgasmus.“ Der Wagen hielt vor einer Garage. Brigitte betätigte einen Schalter, und das ornamentverzierte, schmiedeeiserne Tor schwang auf. Sie fuhr hinein, stoppte und stellte den Motor ab. „Willkommen daheim“, sagte sie weich. Er beugte sich hinüber, küßte sie und sagte nur: „Danke, mein Herz.“ Sie stiegen aus und das Garagentor schloß sich wieder. Durch eine Nebentür traten sie auf ein parkähnliches Grundstück mit großen, alten Bäumen. Alexander blieb unwillkürlich stehen. In ungefähr 200 Meter Entfernung erhob sich ein vom Mondlicht übergossenes Schloß in Miniatur-Format – mit Erkern, Giebeln, Kuppeln und zierlichen Balkonen – wie aus dem Märchenbuch herausgelöst. „Ha“, rief Alexander, „jetzt weiß ich Bescheid: Du bist Dornröschen!“ Sie lächelte geheimnisvoll: „Und wann werde ich wachgeküßt?“ „Diesmal verlangt der Prinz seine Belohnung vorher, mein Bauch knurrt wie ein Rudel Wölfe.“ Sie lachte und hakte sich bei ihm ein. So schritten sie, den Zauber des Mondlichts genießend, langsam zum Haus. Rückblende Die achte Klasse der ‚Oberschule des praktischen Zweiges‘ aus Berlin-Neukölln saß im Reisebus mit Ziel Altenau im Harz und sang „Märkische Heide, märkischer Sand“. Alexander und Regina saßen ganz hinten in der letzten Reihe und übergaben sich abwechselnd in eine Tüte. Bei langen Busfahrten wurde ihm regelmäßig sterbenselend. Mehr tot als lebendig kletterten die beiden in Altenau aus dem Bus und erholten sich mit festem Boden unter den Füßen in der frischen Winterluft. Das Gepäck und die Skier wurden abgeladen und in die Jugendherberge transportiert. Alexander war ein guter Sportler und erreichte ohne Mühe in jeder Disziplin gute Leistungen – ohne den Ehrgeiz zu haben, ganz an der Spitze zu stehen. Wahrscheinlich war er deshalb bei allen recht beliebt. Zum Entsetzen seines Klassenlehrers fuhr er am nächsten Tag, im Slalom den Bäumen ausweichend, einen bewaldeten Abhang hinunter. Natürlich um den Mädchen zu imponieren. Es war ein herrlicher Urlaub: Wanderungen bis zur Torfhütte, mit Blick auf den Brocken; Museumsbesuche in Goslar, gegenseitige Streiche und... die ersten Flirtversuche. Ihre Klasse war gemischt und bestand etwa zur Hälfte aus Mädchen und Jungs. Wobei die Mädchen schon sehr entwickelt und den Jungen weit voraus waren. Alexander hatte sich ein paar Bücher über Liebestechniken besorgt und wollte es jetzt endlich wissen. Gründlich und zielstrebig wie immer, wenn ihm etwas am Herzen lag, hatte er sich in die Beschreibungen vertieft. Regina hatte er, seit ihrer gemeinsamen Leidenszeit im Bus, als Flirt-Objekt erkoren. Er entschied, daß sie mit ihren langen, blonden Haaren und ihrem beachtlich gefüllten Pullover als Forschungsobjekt sehr geeignet war. Die Jungen saßen in Schlafanzügen auf ihren Etagenbetten und beratschlag-ten die Pläne für den kommenden Tag. Einer nach dem anderen kuschelte sich unter die Decke und schlief ein. Alexander blickte immer öfter auf das Zifferblatt seiner Uhr. Um zwölf war er mit Regina in der Wäschekammer verabredet. Endlich war es soweit. Er stieg vorsichtig aus dem Bett, öffnete leise die Tür und schlich den Flur entlang. Ehe er in den Gang zur Wäschekammer ein-biegen konnte, schwang hinter ihm eine Tür auf und eine spöttische Stimme sagte halblaut: „Junger Mann, wo soll es denn hingehen?“ Er stand stocksteif vor Schreck – langsam drehte er sich um und sah Frau von Haiden, die Leiterin der Mädchengruppe. Sie trug einen dunkelroten Bade-mantel und ihr schwarzes Haar hing lang und offen über ihre Schulter. Wie aufgesteckte Haare doch verändern können – dachte er benommen und suchte fieberhaft nach einer Ausrede. „Ich wollte zur Toilette“, stammelte er. Sie grinste, faßte ihn bei den Schultern und schob ihn in ihr Zimmer. „Setz dich“, befahl sie und drücke ihn in einen Sessel. „Ich beobachte dich schon seit Tagen. Du rennst rum wie ein brünstiger Hirsch. Mit welchem von den Mädels wolltest du denn vögeln?“ Er zuckte bei ihren barschen Worten zusammen. „Aber nein, das verstehen Sie miß.“ „Papperlapapp“, unterbrach sie ihn, beugte sich zu ihm hinunter und sagte: „Sieh mir in die Augen!“ Ihr Bademantel klaffte auseinander und er konnte seinen Blick nicht von ihren vollen, birnenförmigen Brüsten wenden, die dicht vor seinen Augen sanft bewegten. Die Spitzen waren groß und hart mit riesigen, braunen Höfen. Die Hose seines Schlafanzugs spannte plötzlich wie ein Zirkuszelt. „Was ist denn das?“ – fragte sie heiser und umfaßte den Schaft mit drei Fingern. „Nicht schlecht – der Hecht“, sagte sie anerkennend. „War er schon mal so richtig bei einem Mädchen drin?“ Stumm und verlegen schüttelte Alexander den Kopf. „Eine Jungfrau sollte es beim ersten Mal unbedingt mit einem erfahrenen Partner zu tun haben – und für männliche Jungfrauen gilt dies ebenso.“ Sie richtete sich auf, öffnete den Bademantel und ließ ihn herabgleiten. Der Anblick der nackten, reifen Frau so dicht vor ihm ließ ihn stöhnend Luft holen. Ein animalischer Duft stieg in seine Nase. Er bedachte kurz sein theoretisches Wissen aus den Büchern, rutschte nach vorn über die Sesselkante auf die Knie, umfaßte ihre Oberschenkel und versenkte seine Nase in dem Kräuselhaar vor ihm. Sie spreizte die Beine um ihm den Zugang zu erleichtern und stieß seufzend hervor: „Das ist schon mal eine gute Idee.“ Die Lektionen dauerten bis zum frühen Morgen. Mit den Worten „Jetzt aber marsch zurück!“ warf sie ihn ermattet aus dem Bett. „Darf ich wieder-kommen?“ – fragte er eifrig – für ihn hatte sich eine neue Wunderwelt aufgetan. Erfüllt sah sie ihn lächelnd an: „Ich weiß, daß du schweigen kannst. Sonst wäre das hier nicht passiert. Ich habe nämlich Regina erwischt und auf dich gewartet.“ Sie lächelte schwach über seine Verblüffung. „Und nun geh – wenn du vorsichtig bist, ist meine Tür nach Mitternacht immer für dich offen.“ Verschlafen traf er nach dem Essen eine geknickte Regina. „Die Haiden hat mich erwischt und ins Bett gejagt“, wollte sie sich entschuldigen, „aber komischerweise ist das angekündigte Donnerwetter ausgeblieben. “Sie holten ihre Skier und nahmen eine Loipe ins nächste Tal. Dort war eine Wildfütter-Station mit einer Vorratshütte, und Alexander hatte sich noch vor dem Frühstück beim Hausmeister erkundigt, wann er dort wohl den Förster antreffen würde. Als sie über den leichten Abhang hinunter glitten, sahen sie den Förster schon beim Austeilen des Wildfutters. Sie hielten bei ihm an, grüßten und sahen ihm zu, wie er Heu in zwei Raufen füllte und aus dem Sack Kastanien und Eicheln auf dem Boden verteilte. Als er fertig war, steckte er sich eine gebogene Pfeife an, betrachtete seine beiden Zuschauer abschätzend und fragte: „Na, wo kommt ihr denn her?“ Alexander hatte schon seit geraumer Zeit eine Idee hin und hergewälzt. „Wir sind aus Berlin und bleiben noch zehn Tage. Später sollen wir einen Aufsatz über unseren Schulausflug schreiben“, und nach einer Pause: „Ich möchte Ihnen ein Abkommen vorschlagen. Wir übernehmen für den Rest unseres Hierseins die Wildfütterung, und dafür lassen Sie uns die Hütte zur Wildbeobachtung benutzen – o.k.?“ Der alte Förster paffte nachdenklich an seiner Pfeife, grinste verschmitzt und meinte dann bedächtig: „Ihr Berliner seid schon eine besondere Sorte. Ich bin einverstanden – aber denkt daran: Alle paar Tage komme ich kontrollieren.“ Sie bedankten sich und ließen sich noch einmal die Fütterung erläutern. Der Rest des Urlaubes wurde für Alexander eine Strapaze: Die Hütte war mit einem Verrosteten Kanonenofen bestückt, der den Raum im Nu mit molliger Wärme erfüllte. Täglich gab Alexander im duftenden Heu an Regina – zu deren Entzücken – seine nächtlichen Erfahrungen weiter. Wieder in Berlin, begannen die Probleme. Sein Klassenlehrer riet ihm, das Abitur zu machen und zu studieren. „Von seinen Anlagen her kein Problem“, sagte er zu Alexanders Mutter, und die war stolz und ratlos zugleich: Lange Jahre kein Verdienst – und dann die Kosten! Alexander erhielt die erste ‚System-Lehre‘: In der DDR hätte er nicht studieren können, weil er kein Arbeiter- und Bauernkind war. Hier im Westen ging es auch nicht, weil das Geld dazu fehlte. „Jetzt fahre ich erst einmal mit den Pfadfindern an die Ostsee und überlege mir alles gründlich“, beruhigte er seine Mutter. Er war mit guten Noten in die neunte Klasse versetzt worden. Fast alle Freunde bereiteten sich auf eine Lehre vor, und er hatte die Schule gründlich satt; er wollte unabhängig sein. Mit dem Mann seiner Mutter fand er keine Basis. Der las nie ein Buch. Man konnte nie mit ihm reden. Eine kleine Schwester war noch als Nachzügler eingetroffen. Sie waren 24 Falken und gehörten zur Sippe der ‚Schwarzen Eber‘, mußten ein Zeltlager mit acht Zwölf-Mann-Zelten aufbauen und nach den großen Ferien wieder abbauen. Dafür konnten sie den ganzen Sommer über bleiben. Alle zwei Wochen wurden die sechs anderen Zelte neu belegt. Und jedes Mal mit Mädchen zwischen zwölf und achtzehn Jahren. Die Jungen erlebten den Himmel auf Erden. Sie wurden von vorn bis hinten bedient und gewährten gnädig Verabredungen. Nach dem Zapfenstreich belebten sich die Dünen und Sandburgen mit Gekicher, Gelächter und manchmal auch mit wollüstigem Stöhnen. Die Betreuerinnen der Mädchen versuchten redlich ihre Pflicht zu tun - aber leichter hätten sie einen Sack voller Flöhe hüten können. In diesen herrlichen, sonnendurchglühten Wochen lief Alexander ein paar Mal mit einem gleichaltrigen, gutentwickelten, beinahe weißblonden Mädchen herum. Sie war jedoch scheu, und Alexander mied wiederum die Anstrengung einer Verführung – bei den vielen anderen Angeboten. Sie tauschten Adressen aus, und er vergaß sie. Sieben Jahre später sollte er sie heiraten. Alexander war sehr aktiv. Er organisierte Wanderungen und Wettbewerbe, stellte einen Holztrupp auf, der den nötigen Nachschub für ihr Lagerfeuer besorgte – und erzählte nachts Gespenstergeschichten, daß die anderen mit den Zähnen klapperten und Alpträume bekamen. Sein Schicksal nahte gegen Ferienende. Mit dem letzten Wechsel kam eine Betreuerin, die alle Blicke auf sich zog. Gut 180 Zentimeter groß – mit langem, blondem Haar – kräftig, muskulös und mit gewaltigen Brüsten sowie einem ausladenden Hinterteil. Wie das Bild einer Walküre aus der germanischen Sagenwelt. Sein Starren war wohl besonders intensiv. „Mach den Mund zu – oder willst du Fliegen fangen?“ – fuhr sie ihn an. „Verzeihen Sie, aber Sie sind wunderschön.“ Seine offenkundige und ehr- liche Bewunderung stimmte sie milde, und sie ließ sich von ihm das Lager und die Umgebung erläutern. Irene war Innenarchitektin – ihr Bruder besaß eine kleine exklusive Tischlerei in Hamburg. Sie war 35, schon zwei Mal geschieden und lebte wie ein Mann. „Ich finde keinen passenden Partner“, klagte sie, „wenn er klug und kultiviert ist, ist mit ihm im Bett nichts los – und genügt er mir körperlich, dann ist er strohdumm.“ Sie erzählte von ihrem Beruf – von der Bedeutung des Geschmacks in der Kultur – von Holz, von der Gestaltung, vom goldenen Schnitt. Alexander wälzte sich in dieser Nacht ruhelos auf seinem Strohlager. Er brannte innerlich lichterloh. Konnte er hoffen diese außergewöhnliche Frau zu erobern? Er schmiedete Pläne und verwarf sie wieder. Am nächsten Tag verfolgte er sie mit seinen Blicken – suchte ihre Nähe, war glücklich und unglücklich zugleich. Sie war eine erfahrene Frau und erkannte seine Gemütslage. Als die Sonne unterging, nahm sie seine Hand, wanderte mit ihm in die Dünen, und mit den Worten „Liebe ist ein Geschenk, das man nie zurückweisen sollte“ zog sie ihn in den warmen Sand. Anfangs wollte sie ihn führen – aber nach einer Weile seufzte sie glücklich und ließ ihn gewähren. „Beachtlich für dein Alter“ – lobte sie ihn auf dem Rückweg. Alexander war wunschlos glücklich und dachte nur mit Schrecken an die wenigen Tage, die ihnen noch blieben. Gemäß ihrer Natur begrüßte Irene ihn am nächsten Morgen im Frühstücks-kreis völlig unbefangen mit: „Hast du gut geschlafen, Liebster?“ Alexander wurde feuerrot. Eine andere Betreuerin, verknöchert und nahe der Rente, sagte entrüstet: „Aber meine Liebe ...“, woraufhin Irene sie mit einer verächtlichen Geste unterbrach: „Nonsens – wir Frauen werden unter sech-zehn vom Gesetz geschützt und über sechzig von der Natur – aber die Männer sind Freiwild. Ein talentierter jugendlicher Liebhaber ist die reinste Wonne.“ Ihr kriegerischer Blick schweifte in die Runde. „Und damit beenden wir das Thema – oder hat noch jemand etwas zu sagen?“ Die anderen Jungs waren stumm vor Neid – und die Mädchen vor Bewunderung. Alexander reichte ihr ein Tablett mit Kaffee, Brot, Wurst und Marmelade. Sie ließ sich neben ihm nieder, balancierte das Tablett auf den Knien und bedankte sich mit einem Kuß. Das Lager hatte die nächsten Tage ausreichend Gesprächsstoff. Er fragte sich später oft, wie viele Mädchen-schicksale wohl an diesem Morgen beeinflußt worden waren. Seine Phantasie ging auf den Wogen der Liebe spazieren. Er nannte sie den ‚fleischgewordenen goldenen Schnitt‘ – sie müßte eigentlich Sirene heißen, da kein Mann, der sie sieht, sich ihrem Zauber entziehen kann. Sie lachte über seinen Unsinn – aber in Wahrheit hungerte sie nach ehrlichen Kompli-menten. Er schnitzte ihre Figur aus einem Stück Treibholz – überraschend ähnlich. Sie bedankte sich erfreut und nachdenklich. Am nächsten Wochenende kam ihr Bruder Horst; von gleicher Statur wie Irene – ruhig und bedächtig. Alexander fand ihn sofort sympathisch. Sich unterhaltend wanderten sie am Strand entlang – an Hohwacht vorbei bis Behrendorf und zurück. Die Zeit verging wie im Flug. „Bevor du nach Hause fährst, komm bei mir in Hamburg vorbei“, lud Horst ihn ein. Er sagte zu, und zwei Wochen später unterschrieb er einen Lehrver-trag als Tischler-Lehrling. Die Geschwister hatten zueinander ein harmonisches Verhältnis. Auf seine Bedenken hinsichtlich des Altersunterschiedes erwiderte sie: „Ich werde meine Beziehung zu Alexander rechtzeitig beenden. Aber es ist zu herrlich, um es nicht auszukosten.“ Er lernte Hobeln, Sägen, Furnieren, Holzbindungen und Intarsien schneiden, zeichnen und konstruktives Denken – er erledigte kleine Aufträge nebenbei und besuchte ab und zu Irene. Aber nur auf Einladung, da sie viel unterwegs war und er sich auf keinen Fall aufdrängen wollte. Der betrieb lag in Bergedorf, und oft wanderte er durch den Sachsenwald. Er suchte die Landungsbrücken auf und ließ sich von den alten Seeleuten aus fernen Ländern erzählen. „Das Muster des Schicksals“, sagte ihm ein alter Fahrensmann, „wird niemand enträtseln. Ich hatte einen Schulfreund, der fuhr über dreißig Jahre zur See. Zwölf Schiffe, auf denen er fuhr, sanken. Keiner wollte ihn mehr anheuern. Vor drei Jahren fiel er nicht weit von hier ins Hafenbecken und ertrank.“ Auch wenn ihn die Seebären manchmal auf den Arm nahmen; es war immer interessant und lustig. Alexander hatte seine endgültige Größe von 178 Zentimetern erreicht. Seine Schultern waren breit und überall hatte er kräftige Muskeln entwickelt. Irene nannte ihn manchmal verträumt ‚ihren Adonis‘. Die Kurtisanen an den Landungsbrücken wetteten, welche ihn wohl als erste herumbekäme. Alle Angebote lehnte er freundlich lächelnd ab und keine war ihm böse. Einer ganz besonders hartnäckigen zeigte er ein Photo von Irene, und sie meinte respektvoll: „Der wäre ich an deiner Stell auch treu – die kann dich glatt mit einer ihrer Titten k.o. hauen.“ Seine Gesellenprüfung hatte er mit Glanz bestanden. Der Tag der feierlichen Lossprechung war in zwei Wochen. Er bekam schon jetzt Gesellenlohn, obwohl sein Lehrvertrag noch lief. Irene wollte er fragen, ob sie zusammen ziehen würden. Schon jetzt könne er einen Teil der Kosten übernehmen, und in ein paar Jahren würde er seine Meisterprüfung ablegen. Die Zukunft sah rosig aus. Seine Mutter würde zur Feier kommen. Zusammen mit seiner Schwester, die er sehr liebte. Die Feier verlief harmonisch. Zwei Reihen weiter sah er überrascht einen frisch gebackenen Gesellen der Fein-mechanikerInnung, in dem er einen Schulkameraden aus Berlin erkannte. Solche Zufälle sollten ihm künftig noch oft passieren. * Seine Mutter fuhr mit seiner Schwester weiter nach Westfalen. Sie wollte wieder arbeiten und die Leitung eines Kinderheims übernehmen. Irene lud ihn zu einer Fahrt nach Helgoland ein. Sie war in dieser Nacht besonders zärtlich und wich jeder Andeutung über die Zukunft aus. „Über ernste Dinge werde ich nie im Bett mit dir reden“, neckte sie ihn, „da kannst du mich zu allem überreden.“ Es war ein schöner Sommertag. Sie saßen an Deck und genossen die frische Brise und das Spiel der Nordsee-Wellen. Irene nahm seine Hand und sagte weich: „Wir kennen uns nun schon fast drei Jahre und ich habe die Zeit sehr genossen.“ Er sah sie sehr überrascht an, eine dumpfe Ahnung überfiel ihn. „Bist du nicht mehr glücklich mit mir?“ – fragte er ungläubig. Viele kleine Anzeichen aus der letzten Zeit verdichteten sich nun zur Gewißheit. Das ist ein Abschied – dachte er verzweifelt – warum nur, warum? Sie fuhr weich und zärtlich fort: „Ich bin immer noch glücklich – aber auch zwanzig Jahre älter als du. Nur wenige Frauen erleben solche Erfüllung wie ich. Und die Erinnerung will ich bewahren ohne dunkle Flecken.“ „Was meinst du damit?“ – fragte er, von der Bestimmtheit ihrer Entscheidung gelähmt. "„Ich erkenne, wie dich schon jetzt andere Frauen ansehen. In zehn Jahren bin ich fast fünfzig und es würde mir das Herz brechen.“ „Du wirfst mich einfach raus aus deinem Leben“, warf er ihr bitter vor. Sie lächelte nachsichtig: „Dir stehen alle Wege offen und mir nur wenige.“ „Was hast du jetzt vor?“ – fragte er argwöhnisch. „Auf der letzten Möbelmesse in Kopenhagen lernte ich einen Norweger kennen. Er hat mich eingeladen. Für mich ist er einer der letzten Wikinger. Falls er nicht gerade impotent ist, werde ich ihn heiraten.“ Er war halbwegs erleichtert, denn beinahe hätte er sie schon als alte, einsame Frau gesehen. Unsinn - sagte er sich, sie ist immer noch eine schöne und attraktive Frau. Und dann erkannte er ihren Beweis in seinen Gedanken: ‚Immer noch‘, hatte er automatisch gedacht. Die Natur ließ sich nicht überlisten. Beide hingen ihren Erinnerungen nach, warfen sich verstohlene Blicke zu und küßten sich schließlich zärtlich, wie befreit. Die Lösung war akzeptiert. Sie würden als Freunde scheiden. Was will man mehr? Seine Abenteuerlust brach sich Bahn. Hamburg war ihm verleidet – zu viele Erinnerungen. Er sparte ein paar Monate, in denen er sich mit Überstunden ablenkte, kaufte sich eine gebrauchte 500-er BMW. Sein Bündel packend, wunderte er sich, wieviel sich in den vergangenen Jahren angesammelt hatte. Einem bekümmerten, aber verständnisvollen Horst und den anderen Gesellen sagte er Lebewohl. Bei den anderen Gesellen, die auf der Walze gewesen waren, hatte er Tips eingesammelt. Aber die meisten Anregungen konnte er nicht gebrauchen. Die Zeiten hatten sich seit damals geändert. Die einzigen Handwerker, die den alten Brauch noch hochhielten, waren die Zimmerleute. Aber die gingen nur zu Fuß, und das war Alexander dann doch zu mühsam. Der beste Dreh waren immer noch mittlere Hotels. Die großen Hotels hatten eigene Haus-schreiner. Aber bei den mittleren Hotels konnte er einige Wochen mit Reparaturen verbringen und einen guten Stundenlohn verlangen – und er hatte auch gleich ein Zimmer mit Verpflegung. Die Zimmermädchen und Kellnerinnen waren fast ausnahmslos neugierig wie es um seine horizontalen Fähigkeiten bestellt war. Innerhalb eines Jahres arbeitete er sich quer durch Deutschland, bis er eines Tages in München landete. Frankfurt Brigitte schloß die Haustür auf, und Alexander trat hinter ihr durch einen kleinen Windfang mit Garderobe in eine große Halle. Ein großer Kamin mit Kupferschürze beherrschte die linke Wand. Die Decke wurde durch mächtige Balken sowie Zwischenfelder mit Brettvertäfelung gebildet. Gegenüber schwang sich eine aufgesattelte Treppe in einem 90°- Bogen zur ersten Etage empor. Daneben führten zwei Rundbogentüren mit aufgedoppelten Faltprofilen zu weiteren Räumen. Die rechte Wand wurde von einem Einbauschrank gebildet – die Türen in halber Höhe geteilt und in der oberen Hälfte in Glas gehalten, durch welches man Gläser und Zinngefäße sehen konnte. Durch die beiden bleiverglasten Fenster in der Eingangspforte fiel das Mondlicht und zauberte einen silbernen Schimmer auf den großen Orient-teppich, der den Fußboden in der Halle fast völlig bedeckte. Brigitte hatte nur eine Stehlampe eingeschaltet. Das Eichenholz der Einrichtung war in einem warmen Braunton gebeizt. Sie deutete auf die Türen: „Dort geht es zur Bibliothek und zur Küche, oben sind die Schlafzimmer und Bäder.“ Brigitte sah ihn an, auf einen Kommentar wartend. „Das gefällt mir – solide, zeitlos und urgemütlich“, er nickte beifällig, „hier kann man sich wohl fühlen.“ „Ja, ich liebe mein Haus. Hier bin ich aufgewachsen.“ Die Halle war nur mit fünf großen, bequemen Sesseln rund um den Kamin möbliert. Neben jedem Sessel stand ein kleiner Beistelltisch. „Sieh dich ruhig um, Alex“, sagte sie, „ich werde erstmal in der Küche zu Werke gehen.“ Er öffnete die Tür zur Bibliothek und fand den Lichtschalter. Alle Wände wurden von Regalen beherrscht. Ohne jedes System standen und lagen Bücher jeder Größe – seltene Gesteinsbrocken, Pokale, Flaschen, geschnitzte Figuren und vieles mehr. Eine wundervolle, beeindruckende Unordnung. Er löschte das Licht und zog leise die Tür zu, als fürchtete er, jemanden zu stören. Die Küche war modern und mit der großen, gepolsterten Eßecke sehr gemütlich. Brigitte war am Herd emsig beschäftigt. Er trat hinter sie, küßte sie in den Nacken, und während er mit der rechten Hand zwischen ihre Beine griff, flüsterte er ihr ins Ohr: „Was hältst du von einem Quicky? Ich habe wahnsinnige Lust auf dich.“ Sie lehnte sich gegen ihn: „Danke, gleichfalls, aber erst die Pflicht und dann das Vergnügen.“ „Weib“, drohte er, „wenn du dich mir verweigerst, werde ich dich verlassen.“ Er wandte sich zur Tür. „In Ordnung, hier störst du nur. Aber in zehn Minuten wird gegessen, verstanden?“ – gab sie im gleichen Ton zurück. Beide lachten und er ging, um das Obergeschoß zu inspizieren. Die obere Etage bestand aus drei Zimmern und drei Bädern – alle gleich mit Wanne, Dusche, WC, Bidet und Waschbecken und einem Frisiertisch aus italienischem Marmor integriert und die ganze Wand mit Spiegelglas belegt. Ihr Schlafzimmer daneben in grün und gold und einem breiten Bett im Kolonialstil mit Baldachin entsprach ihrem Wesen: Weiblich und sicher im Geschmack. Er nahm die Felldecke vom Bett und warf noch einen Blick in die anderen Räume. Das Gästezimmer: Typisch Junge – Poster an den Wänden, Turnschuhe, Boxhandschuhe, Tennisschläger und ein paar Cow-boystiefel lagen im Raum verstreut. Er ging hinunter in die Halle, legte die Felldecke über einen Sessel, schich-tete Holz im Kamin auf, prüfte, ob die Platte geöffnet war und zündete den Stoß geschickt an. Dann stellte er das Fanggitter davor und ging zur Küche. „Na – was treibt dich her? Hast du Hunger oder Sehnsucht?“ – fragte sie schalkhaft, „dein Hunger muß noch etwas warten – das Fleisch ist noch nicht gar. Aber bis dahin könnten wir uns die Zeit schon ein wenig vertreiben. Sie legte ihm die Arme um den Hals und küßte ihn intensiv und ausdauernd. Er hob sie hoch, trug sie zu dem schweren, eichenen Küchentisch und legte sie auf die Platte. Hier küßte er sie weiter und seine linke Hand fuhr unter ihren Slip. Sie drückte ihn zurück und keuchte: „Was hast du Verrückter Kerl nun schon wieder vor? Also, ich habe noch nie auf einem Tisch...“ Er grinste: „Dann wird es aber mal Zeit dazu – und feucht bist du auch schon. So wirst du wenigstens immer an mich denken, wenn du hier an diesem Tisch sitzt.“ Sie hob ihren Hintern an, als er begann, den Slip abzustreifen. Er schlug ihren Rock hoch, beugte sich hinunter, und seine Zunge umkreiste ihren Nabel, während er gleichzeitig aus seiner Hose stieg. „Na - wenn schon, dann aber richtig“, stöhnte sie, umfaßte seinen Kopf mit beiden Händen und drückte ihn an ihren Schoß. Zwei Stunden später: Sie hatten gegessen, zusammen gebadet und lagen nun auf der Felldecke vor dem lodernden Kamin, der eine wohlige Wärme ausstrahlte. Sie unterhielten sich, tranken ab und zu einen Schluck Brandy, küßten sich und streichelten sich gegenseitig, bis die Erregung wieder in ihnen aufloderte. Um Mitternacht stand sie auf und ging in die Küche. Er sah ihr nach. Auch ohne Kleidung bewegte sie sich selbstsicher und völlig natürlich – was nur wenige Frauen können. Mit Kaffee, Zucker und Tassen kam sie zurück. „Gitta“, sagte er nachdenklich, „bevor wir uns intensiver miteinander beschäftigen...“ Sie unterbrach ihn hoffnungsvoll: „Geht das denn – noch intensiver?“ „Keine Scherze, bitte, ich habe dir etwas wichtiges zu sagen.“ Nach einer kleinen Pause fuhr er fort: „Wenn wir so weiter machen, uns gegenseitig offenbaren, körperlich aneinander gewöhnen, geraten wir in eine feste gefühlsmäßige Bindung. Ich werde mich bestimmt unsterblich in dich verlieben.“ Ihre Augen glänzten: „Du kannst mich allenfalls noch einholen – schon jetzt bist du mein Schicksal. Es hat mich wie ein Blitzschlag getrof-fen.“ „Mich auch“, gestand er, „aber dennoch muß ich dir sagen, daß es gefährlich werden und dir Kummer und Sorgen bereiten kann. Aber was auch geschieht – es ist bereits zu spät für uns beide“, fügte er resigniert hinzu. Er hatte sich an einen Sessel gelehnt und starrte in die Flammen. Sie rutschte zu ihm herüber und legte den Kopf an seinen Schoß, nahm seine Hand und legte sie auf ihre Brust. „Erzähle!“ – forderte sie ihn auf. „Ich beginne wohl am besten ganz von vorne. Beziehungsweise dort, wo ich gestern aufgehört habe. Also, ein paar Jahre arbeitete ich als Innenarchitekt in München. Die Firma war gut, weniger aber das Gehalt. Bei denen konnte man in Schönheit sterben. Die standen auf dem Standpunkt, daß es eine Ehre sei, für sie zu arbeiten. Eine Zeit lang machte ich das mit. Man konnte viel lernen – die oberen Hundert von den sprichwörtlich Zehntausend hatten sie als Kunden. Meist war ich als Montageleiter unterwegs, was immer einen Haufen Spesen ergab. In dieser Zeit heiratete ich; zwei Kinder kamen und ich begann, als Möbelver-treter zu arbeiten. Im Handel verdient man nun mal am besten. Zwischendurch machte ich die Meisterprüfung, aber das war auch nicht das Wahre. Zwar mehr Verantwortung, aber nicht mehr Geld. Und ein eigener Betrieb? Zwanzig Jahre lang, Tag für Tag, fünfzehn Stunden arbeiten und dann noch jede Mark mehrmals umdrehen – nein danke, mit Arbeit kommst du in diesem Land nicht weit. Mein Schwager ist selbständig, er arbeitet wie ein Pferd. Von jeder verdienten Mark behält er rund dreißig Pfennig übrig. Nicht vom Umsatz wohlgemerkt, sondern von seinem Rohgewinn. 1975 gab es eine Möbel-Absatzkrise. Beinahe alle Vertreter arbeiteten mit Minus. Ich machte noch elf Prozent Plus. Jeder wurde einzeln bearbeitet, Kosten müßten gesenkt, der Umsatz mit aller Macht wieder hochgetrieben werden – nach der Devise: Entweder ändern sich die Zahlen, werte Herren, oder die Gesichter! Ich hatte keine Lust, dieses Spielchen mitzumachen, besann mich auf meine Fähigkeiten als Montageleiter und ging als Fachbau-leiter nach Arabien.“ „Du sprichst überhaupt nicht über deine Frau“, unterbrach sie ihn. „Das werde ich auch in Zukunft nicht tun“, entgegnete er, „ich liebe sie sehr – aber wir entwickelten uns in verschieden Richtungen weiter. Eines Tages war keine Liebe mehr vorhanden. Ich werde auch weiterhin für sie sorgen, so gut ich kann – immerhin haben wir zwanzig Jahre gut zusammen gelebt“ – er schwieg nachdenklich, „mehr kann man dazu nicht sagen.“ Prima so, er beschuldigt sie nicht – dachte Brigitte zufrieden – er ist wirklich jede Anstrengung wert. „Ich baute auch ein Haus. In einer schönen Gegend. Mit eigenen Händen. Auch die Baupläne zeichnete ich selbst. Nicht wenige Leute blieben vor diesem Haus stehen und bewunderten es. Aber auch das wurde mir systematisch verleidet. Erst hatten wir prima Quellwasser aus den Bergen. Dann wurden wir dem Wasserverband ange-schlossen. Seit dem lief das Quellwasser in den Bach und unser Leitungswasser schmeckte nach Chlor – und dafür mußten wir dann auch noch bezahlen. Eine Nachtspeicherheizung hatte ich eingebaut, und an Stromkosten fielen monatlich 250 Mark an. Nach fünf Jahren hatte der MagawattClan die Strompreise derart erhöht, daß nun 500 Mark im Monat zu zahlen waren. Und nichts kannst du dagegen tun. 100.000 Mark Schulden hatte ich mir für das Haus aufgeladen, während der BankSachverständige es in seinem Gut- achten mit 400.000 Mark bewertete. Bald wurden auch die Zinsen erhöht, und ich arbeitete nur noch für die anderen. Damals begann ich, kritische Autoren zu lesen, wie beispielsweise ‚Der betrogene Bürger‘ von Professor Freytag. Eine Unmenge von Parasiten mästen sich am Steuerzahler. Wir Deutschen sind viel zu geduldig, was schon beim politischen System beginnt.“ Brigitte unterbrach ihn: „Aber wir haben doch eine Demokratie und freie Wahlen.“ „Natürlich – aber wer wird gewählt, und wie wird das bewirkt? Der Teufel steckt doch immer im Detail“, gab er selbst die Antwort: „Die Parlamente spiegeln ja in keiner Weise einen Querschnitt der Bevölkerung wider. Vorwiegend werden doch Beamte als Volksvertreter gewählt. Weil die eine totale Arbeitsplatzgarantie besitzen und sich ohne jedes Risiko als Kandidat zur Verfügung stellen können. In den Beamtengesetzen ist so eine Beurlaubung förmlich vorgesehen – weil die Gesetzesmacher eben schon Beamte waren und sich so ihre eigene Lobby zurechtzimmerten. Ein freier Unternehmer hingegen kann es sich doch gewöhnlich auch bei noch so großem politischen Engagement nicht leisten, jahrelang seinen Betrieb zu vernachlässigen – und auch Arbeitnehmer besitzen keine annähernde Garantie wie die Beamtenschaft. Allein aus diesem Kuriosum der Zu-sammensetzung heraus ergibt sich doch zwangsläufig, daß die so genannten Volksvertreter in keiner Weise das Volk vertreten, sondern vordergründig ihre ganz persönlichen Interessen. Und dieses politische System und die daraus erwachsenen Mißstände wurden ja schließlich von den Amerikanern eingeführt.“ „Aber von den Nachkriegs-Diktaten sind wir mittlerweile doch schon lange befreit“, wandte Brigitte ein. „Ja – in den public-relations sind die Amis fast so gut wie Göbbels es war“, erwiderte Alexander spöttisch. „Weshalb befreien die denn nicht die Menschen in den Diktaturen, die sie unter ihrem Daumen halten? Der zweite Weltkrieg war für die Siegermächte ein gigantischer Raubzug – nur die Engländer wurden beschissen. Churchill war der Totengräber des britischen Empire. Aber auch dieses Muster ist noch nicht völlig klar erkennbar. Nach und nach kommen aus einem Berg aus Lügen immer mehr Wahrheiten zum Vorschein. Zunächst wird die Geschichte einmal vom Sieger geschrieben. Dagegen kann ein Einzelner nur wenig tun. Ihm bleibt nur, sich immer wieder zu informieren. Wem nützt das? Und wie kann er sich verweigern, wenn etwas gegen seine Interessen gerichtet ist? Doch nun zu meiner Warnung: Seit einigen Jahren läuft irgend etwas gegen mich. Ich erhalte zu viele Absagen rundum und bin angeblich trotz eines hohen Einkommens nicht kreditwürdig. Die Spur ist vage und führt nach Frankfurt – deshalb bin ich hier. Ich habe ein paar gute Freunde und ein paar dicke Feinde – aber wohl keine Todfeinde. Eine enge Bindung zu mir könnte also automatisch zu ähnlichen Problemen bei dir führen.“ Sie gähnte: „Mich wirst du so schnell nicht mehr los. Komm, wir gehen ins Bett.“ Sie ließen alles stehen und liegen und stiegen engumschlungen die Treppe hoch. Brigitte öffnete die Schlafzimmertür: „Das ist eine Premiere. Nach dem Tod meines Mannes richtete ich das Zimmer neu ein, und seitdem hat hier kein Mann mehr geschlafen.“ „In einem Bett muß man ja nicht unbedingt schlafen“, stellte er richtig. „Ich heute schon“, gähnte sie erneut. Eine halbe Stunde später japste sie: „Jetzt hast du mich wieder richtig munter gemacht.“ Zufrieden murmelte er: „War eben ein typischer Fall von Denkste.“ Am folgenden Morgen, es war Samstag, schliefen sie recht lange, duschten zusammen und frühstückten ausgiebig. „Nun, was hast du denn in naher Zukunft vor?“ – ermunterte ihn Brigitte. „Du erwähntest gestern etwas vom Süden. Ich würde gern an deiner Zukunft teilhaben – aber natürlich muß ich wissen, ob es für mich akzeptabel ist.“ Er füllte seine Kaffeetasse erneut, fügte zwei Löffel Zucker hinzu und rührte nachdenklich um. „Aus drei Gründen ging ich als Bauleiter ins Ausland: Erstens aus Abenteuerlust, zweitens wegen des größeren Verdienstes und drittens, dies ist wohl der wichtigste Grund überhaupt gewesen: der größere Spielraum, keine einengenden Vorschriften, Helfer werden problemlos eingestellt und erforderlichenfalls auch wieder gefeuert. Man ist auf sich selbst gestellt und muß seine Probleme auch selber lösen. Kurz -–seine Erfolgserlebnisse hat man so ziemlich täglich. Ein Mittelding gibt es nicht, lediglich ein Entweder oder ein Oder. Die Persönlichkeit kann sich frei entfalten. Hier zu Lande darfst du doch rein gar nichts, weil alles verboten ist, was man nicht ausdrücklich erlaubt hat. Gleichgültig, was immer du auch tust, täglich übertrittst du Gesetze und Verordnungen, von denen du überhaupt keine Ahnung hast. Selbst das riesige Beamtenheer hat im Gesetzes-Dschungel keinen Durch-blick mehr. So sieh dir doch mal die deutschen Steuergesetze an – darin sind wir weltweit Spitzenreiter. Welcher Finanzbeamte hat denn da überhaupt noch eine Chance zum Durchblick? Wir Deutschen sind doch ganz zwangsläufig ohne jede böse Absicht ein Volk von Gesetzesbrechern nach dem Motto: Wo kein Kläger, da kein Richter. Selbst die Beamten handeln allgemein nach dem Grundsatz: Gesetze sind dazu da, daß sie umgangen werden. Ein anderes persönliches Beispiel: Mein Grundstück war etwa 3.000 Quadratmeter groß, eine Lage im Dorf. Nicht mal einen CampingWagen durfte ich darauf abstellen. Bevor du ein Haus bauen darfst, mußt du Zigtausende ausgeben, um alle möglichen Vorschriften zu erfüllen. Bei uns hat sich eine unvorstellbare Überbürokratisierung breit gemacht. Das ist inhuman und freiheitsfeindlich. Die Bürokraten spielen sich auf, als wären sie die neuen Feudalherren – und machen sich nicht klar, daß sie ja ausschließlich von unseren Steuern leben. Im Süden nimmt man alles nicht so genau – wir sind in allem viel zu ver-bissen. Mir hat mal ein Italiener gesagt: „Ihr Deutschen befolgt sogar die dummen Gesetze – wir nicht einmal die Guten.“ Ich möchte einfach nur nach meinen Neigungen leben und nicht mehr, um den Bürokraten eine Existensberechtigung zu geben; als Fachbauleiter, Innenarchitekt oder Handwerker. Eine gute Leistung erzeugt Zufriedenheit. Worauf kann ein Fabrikarbeiter schon stolz sein, der jeden Tag dasselbe tut? Geld ist für mich lediglich ein Mittel zum Zweck – so wie ein Auto ein Mittel zur Fortbewegung ist und nicht nach typisch deutscher Manier ein Schmuckstück, das man besser und liebevoller hegt und pflegt als eine Frau. Ab einer gewissen Menge wird Besitz allerdings zur Last. Er bringt Ver-pflichtungen und man könnte ihn ja auch klauen. Und wenn du jeden Tag Kaviar ißt, wird er dir bald nicht mehr schmecken. Die spanische Mentalität gefällt mir sehr. In Andalusien an der Küste leben viele Deutsche, Engländer, andere Nordeuropäer und Araber, und man kann gut mit und von ihnen leben. Ich habe mir auch Italien und Griechenland angesehen – aber das größte Vergnügen der Leute dort ist, andere übers Ohr zu hauen.“ „Du bist ja ein Aussteiger“, staunte Brigitte. „Eigentlich nicht – eher ein Umsteiger“, lächelte Alexander. „Mein Leben soll Sinn haben. Ich will mich nicht in eine wesensfremde Form pressen lassen. Was hältst du von einem Spaziergang?“ – wechselte er das Thema. „In Ordnung, ich muß sowieso noch ein paar Kleinigkeiten einkaufen. Aber sag mir bitte noch eines: Wenn du ohnehin nicht hier in Deutschland bleiben willst, weshalb dann diese Nachforschungen?“ Daraufhin sagte Alexander grimmig: „Mir hat noch niemand etwas gutes oder schlechtes getan, ohne es voll zurück zu bekommen.“ Brigitte sah ihn seltsam an. „Das ist ja ein beängstigender Zug an dir.“ „Eigentlich nur folgerichtig, finde ich.“ Alexander zündete sich eine seiner seltenen Zigarren an. Dadurch kam ein männlicher Akzent in die Küche – es gefiel ihr. „Nach meiner Meinung“, sagte er, „kann man nicht als Lamm herumlaufen, solange es noch Wölfe gibt. Man kann zwar die Hand zur Zusammenarbeit ausstrecken, darf aber nie das Schwert verrosten lassen.“ Er blies einen Rauchring in die Luft. „Du weißt jetzt fast alles von mir. Bis meine Zigarre zu Ende geraucht ist, würde ich nun gerne etwas über dich erfahren. Das Sehen und Fühlen war ja Superklasse – aber neugierig bin ich trotzdem noch.“ „Danke“, lächelte sie, „von mir gibt es nichts aufregendes zu erzählen. Wir sind eine alte Frankfurter Familie. Mein Vater war Professor, ich studierte Jura, im Bekanntenkreis heiratete ich. Die große Liebe war es nicht, aber es lebte sich sehr angenehm. Mein Mann war sechs Jahre älter, auch Anwalt und auf Steuerrecht spezialisiert. Sein Tod kam überraschend, aber er hatte gute Mitarbeiter in seiner Kanzlei. Ich ließ alles weiter laufen und sehe nur ab und zu nach dem Rechten. Eigentlich wollte ich mit Ralf nach Berlin ziehen, damit der Junge nicht so allein ist.“ „Mach das bloß nicht!“ – sagte er entrüstet, „ein Junge muß selbständig werden. Du kannst ihn doch nicht sein ganzes Leben lang behüten.“ „Aber ich mache mir Sorgen, wenn es soweit ist“, wandte sie ein. „Es würde ihm lästig sein“, behauptete Alexander, „denk an das Sprichwort: Willst du bei anderen was gelten, dann mach dich selten. Du mußt deinem Sohn die Chance zur Bewährung geben.“ Er blies noch einen Ring, legte die halbe Zigarre in den Ascher und stand auf. „So, wir können – die andere Hälfte schmeckt doch nicht.“ Brigitte nahm Einkaufskorb und Regenschirm, und sie traten in den herbstlichen Sonnenschein. „Guten Morgen!“ – rief eine Stimme. Brigitte erwiderte den Gruß und zog Alexander zum Nachbargrundstück. Hinter dem Zaun stand eine ältere Dame mit weißem Haar, auf einen Stock gestützt. Fragend hob sie die Augenbrauen. „Hast du endlich einen neuen Mann gefunden, Kind? Sehr stattlich – er paßt zu dir.“ Brigitte antwortete lachend: „Nicht nur äußerlich, als Liebhaber ist er einfach himmlisch.“ „He“, protestierte Alexander, „ich hab nichts dagegen, wenn du meinen Ruhm verbreitest, aber das geht wohl doch zu weit.“ Beide lachten über sein verlegenes Gesicht. Brigitte rief, ihn schon wieder weiter ziehend: „Wir kommen am Nachmittag mal auf eine Tasse Kaffee rüber.“ Neugierige Blicke aus den anderen Häusern begleiteten ihre Einkaufstour. „Wer ist die alte Dame?“ – fragte Alexander unterwegs. Sie gehört fast zur Familie, ist eine bekannte Schriftstellerin und machte früher oft den Baby-sitter für Ralf.“ Sie kamen an einem Gewürzladen vorbei. Alexander hatte eine Idee und ging hinein. „Riech mal“, forderte er Brigitte auf, die ihm gefolgt war, „in dem Duft ahnst du den Orient, die Ferne und das Abenteuer. In Arabien ging ich oft nur wegen der Gewürzstände in den Souk.“ Und an die Verkäuferin gewandt: „Haben Sie Zumak?“ – und als diese überlegte: „Es wächst in Jordanien, ist ein dunkelrotes Pulver.“ Sie kramte zwei Plastikbeutel aus einem Karton. „Tatsächlich“, freute sie sich, „ich habe es mal für einen Libanesen bestellt, aber er kam nicht wieder.“ Alexander lachte. „Von dieser Seite lernte ich die Libanesen auch kennen.“ Er bezahlte und steckte die beiden Beutel ein. „Jetzt brauchen wir nur noch Zwiebeln, ein Hähnchen und französisches Stangenbrot – dann werde ich heute mal kochen.“ Brigitte sah ihn überrascht an. „Das kannst du auch?“ „Ich habe noch eine Menge verborgener Qualitäten“, lachte er, „wenn man muß, lernt man alles. Ich war mal in einer kleinen Oase in Saudi-Arabien. Wir wohnten in Containern, und der nächste Supermark war 260 Kilometer weit entfernt. Die arabischen Gerichte sind ganz einfach zu bereiten. Weil dort niemand gern arbeitet, aber trotzdem ausgezeichnet kocht.“ Den restlichen Einkauf bewältigten sie knapp, bevor die Läden schlossen. Stangenbrot war nicht mehr zu bekommen – dafür nahmen sie Zwiebelbrot. „Schmeckt mir noch besser“, behauptete Alexander. Heiter gestimmt, schlenderten sie langsam nach Hause. Er packte in der Küche die Einkäufe aus. „Jetzt kann ich dich hier nicht gebrauchen“, bestimmte er, „geh bitte nach oben und wärme unser Bett an. Ich komme gleich nach, und während unser Hähnchen gart, können wir ausgiebig Siesta machen.“ „Der Vorschlag klingt nicht schlecht, falls du nicht Schlafen mit Siesta meinst.“ Alexander zwinkerte und sagte: „Das, mein Herz, liegt ganz bei dir.“ Er schälte ein Pfund Zwiebeln und schnitt sie in Scheiben, zerteilte das Hähnchen, goß Speiseöl in einen Tiegel, verteilte die Hähnchenteile und die Zwiebeln darin, würzte mit Pfeffer, Paprika und reichlich Zumak und schob alles in den vorgeheizten Backofen. Leise vor sich hin pfeifend, trat er voller Vorfreude in die Halle und blieb erstaunt stehen. Brigitte hatte den Kamin angezündet und breitete gerade die Felldecke davor aus. Schelmisch lächelte sie: „Mir gefällt es hier am besten.“ Sie sanken auf das Fell und küßten sich lange und intensiv. Er schob ihren Pullover hoch, löste den BH und saugte sanft an den harten Spitzen ihrer Brüste. „Deine Antennen sind ja schon ausgefahren“, schmunzelte er. Sie öffnete seinen Gürtel, zog den Reißverschluß herunter und streichelte über Die Wölbung seiner Unterhose. „Wie ein Pfadfinder“, kicherte sie, „immer bereit zu einer guten Tat.“ Seine Stimme wurde dunkel vor Erregung: „Eher wie ein Partisan – du weißt nie, kommt er von vorn oder von hinten.“ Unter Gelächter, Küssen und Seufzen zogen sie sich gegenseitig aus. „Ich liebe es, von dir entblättert zu werden“, stöhnte sie, drückte ihn zurück und flüsterte sanft: „Bleib still liegen – heute werde ich dich verwöhnen.“ Seine Reaktionen kannte sie schon gut, und während sie ihn streichelte und mit ihren Lippen und Zunge seinen Körper erforschte, vertiefte sich ihr Wissen, bis es schließlich keine Geheimnisse mehr gab und sie sich vor Erregung nicht mehr zurückhalten konnte. Langsam, jeden Zentimeter auskostend, senkte sie sich auf ihn herunter und näherte sich lustvoll, in gleichmäßigen Bewegungen ihrem ersten Orgasmus. Als die Höhepunkte dichter aufeinander folgten, wurde ihr Gesicht leer, wie nach innen gekehrt. Kleine laute ausstoßend, sank sie auf ihn herab. Mit den Wellen ihrer zitternden Ekstase wurde sein Unterleib stoßweise mit einer warmen Flüssigkeit überspült. Ihr Kopf lag mit geschlossenen Augen auf seiner Brust. Sie schob ihre Hand nach unten zwischen ihre Körper, führte sie an ihre Lippen, roch und kostete dann mit ihrer Zunge, seufzte tief und murmelte glücklich: „Jetzt hab ich es bewußt erlebt. Tatsächlich ohne Geruch und Geschmack, völlig neutral. Vierzig Jahre alt mußte ich werden, um das zu erleben.“ Er bewegte sich leicht, sie umklammerte ihn. „Bleib in mir“, flehte sie, „ich will es bis zur Neige auskosten.“ Er hatte nach seinem Glas gegriffen, trank in kleinen Schlücken und streichelte dabei mit der linken Hand ihren Rücken. „Laß dir Zeit“, murmelte er, „nur du bist wichtig.“ Sie schlug langsam die Augen auf. „Und deine Gefühle?“, fragte sie. „Ach“, erwiderte er gleichgültig, „das geht wie von selbst. Ich konzentriere mich vollkommen auf dich, und dann ist dein Höhepunkt für mich automatisch der Auslöser.“ Ihre Augen weiteten sich überrascht. „Das ist die Lösung!“ – rief sie, „Gefühle kann man mittlerweile als ganz schwache elektrische Ströme messen, und wenn du deine Gefühle auf mich bündelst, wirke ich wie ein Verstärker.“ Er grinste: „Jetzt redest du wie ein Techniker, und zur Strafe geht es nun unter die Dusche. Das Essen ist auch gleich fertig“, fügte er mit einem Blick auf seine Uhr hinzu, rollte sie trotz ihres Protestes von sich herunter und stand auf. Kurze Zeit später saß sie erwartungsvoll am Tisch. Er hatte gedeckt und Brot geschnitten. Nun öffnete er die Klappe des Backofens – zog den Tiegel heraus und probierte mit der Gabel das Fleisch. Sofort erfüllte ein würziger Geruch den Raum. „Das riecht ja prima“, rief Brigitte. Alexander stellte den Tiegel auf den Tisch – mit einer Ecke auf ein Frühstücks-Brettchen und die andere Seite hoch haltend, damit sich das Fett an einer Stelle sammelte. Mit einer durchbrochenen Kelle hob er Hähnchen und Zwiebeln einen Moment hoch, ließ den Saft abtropfen und teilte alles in zwei Portionen. „Ist es dir angebrannt?“, fragte sie besorgt, „aber es riecht gar nicht danach“ – wunderte sie sich. „Nein, nein“, beruhigte er sie, „das schwarze dazwischen ist das Zumak. Sieht zwar etwas komisch aus, aber du kannst es beruhigt essen. Es hat nur die Farbe gewechselt.“ Sie probierte. „Es schmeckt fremd.“ Sie kaute genüßlich. „Aber ausgezeichnet.“ Sie tranken einen trockenen Frankenwein dazu. „Und es macht wirklich wenig Arbeit. Ich verstehe die Frauen nicht, die sich von ihrer Kocherei versklaven lassen. Zwei Stunden stehen sie am Herd. Ihre Familie putzt alles in zehn Minuten weg, rülpst, trollt sich und überläßt ihr dann noch den Abwasch.“ Brigitte prustete vor Lachen: „Du drückst dich immer so bildhaft aus.“ „Das war eben ein Vorschlag zur Arbeitsteilung“, grinste er. Sie lachte immer noch. „Gut, ich übernehme den Abwasch.“ „Weshalb bist du eigentlich auf den Staat so sauer?“ – fragte sie, „nur weil du dich persönlich eingeengt fühlst?“ „Da kommt im Laufe der Zeit eine Menge zusammen. Aber mein Ärger ist hauptsächlich grundsätzlicher Art. Weshalb galt der preußische Staat in ganz Europa als Vorbild? In des Reiches Streusand-Büchse war kein natürlicher Reichtum. Es war die Idee ‚Alle Kraft für die Gemeinschaft‘ – aber jeder konnte seinen Platz nach persönlicher Neigung und Leistung finden. Jeder Bürger konnte nach seiner eigenen Fasson glücklich werden. Was jetzt Recht heißt, und was der Staat unter einer Flut von Gesetzen verbirgt, sind Mittel und Maßnahmen zur Beruhigung seiner Menschen-massen, und nicht, was er selber achtet und einhält. Du brauchst nur mal an einige Beispiele zu denken, wie an die Bestechungsskandale in letzter Zeit, oder an die Minirenten – niemand kann davon leben. Der Rest muß beim Sozialamt beantragt werden. Warum nicht eine ausreichende Grundrente? Aber dann behielte der Mensch ja seine Würde und könnte nicht mehr so herum geschubst werden. Oder nehmen wir mal einen der dummen Beruhigungsversuche. Als damals die Terrorismuswellen aufkamen und man dieser neuen Gewalt machtlos gegenüber stand, mußte man die Bevölkerung irgendwie beruhigen – denn die nächste Wahl würde ja bestimmt kommen. Was tat man – man verschärfte die Waffengesetze und machte dem unbescholtenen Bürger einen regulären Waffenerwerb so gut wie unmöglich. Als hätte jemals ein Terrorist seine Tatwaffe schon mal normal in einem Waffengeschäft gekauft. Aber dem Bürger war Sand in die Augen gestreut – hintenrum ein weiteres Stück Entmündigung vollzogen. Nach meiner Meinung besitzt ein Mensch die größte mögliche Freiheit, wenn er seine Waffe offen tragen kann.“ Sie sah ihn seltsam an und sagte: „Eines Tages wird man dich einsperren und den Zellenschlüssel wegwerfen.“ Er lachte und erwiderte: „Jetzt habe ich ja dich – du wirst mich schon wieder rausholen.“ In späteren Jahren lächelte er manchmal in Erinnerung an diese prophetischen Worte. Er hielt ihr den abgenagten HähnchenBrustknochen hin und sagte: „Zieh mal, wer das größere Ende behält, darf sich was wünschen.“ Sie verlor und fragte: „Was hast du dir gewünscht?“ „Das darf man nicht sagen, sonst geht der Wunsch nicht in Erfüllung – und du?“ „Ich habe nur einen Wunsch: Wir bleiben zusammen.“ „Wir müssen öfter miteinander wetten. Wie jetzt, wünschen wir uns jeweils dasselbe, und da immer einer gewinnt, überlisten wir so das Schicksal.“ Sie blickte ihn mit feuchten Augen an, wischte sich die Hände an der Serviette ab, kam um den Tisch, setzte sich auf seinen Schoß und küßte ihn stürmisch und intensiv. „Ich liebe dich“, flüsterte sie nach einer Weile. „Fühl mal, wie ich dich liebe“, neckte er sie und führte ihre Hand. „Tatsächlich“, staunte sie, „du kannst ja schon wieder – aber wir haben ja noch den ganzen Abend vor uns. Jetzt wollen wir erstmal unseren Kaffee-Besuch absolvieren. Sie heißt Frau Haferkamp, und man kann sich sehr gescheit mit ihr unterhalten.“ Er schüttete die Knochen in den Abfallbehälter und stellte das Geschirr zusammen auf die Spüle. „Jetzt werde ich mir ein Glas Brandy und eine Zigarre genehmigen. So ist die Welt in Ordnung: Mir geht es gut, und meine Frau hat Arbeit.“ Sie lachte: „Das ‚meine Frau‘ klingt ja ganz gut, ist aber juristisch nicht ganz in Ordnung.“ Übertrieben kummervoll erwiderte er: „Warum muß ich eine intelligente, selbstständige Frau lieben? Ein unterwürfiges Dummerchen aus Asien kann man nach Gebrauch in die Ecke stellen.“ Er verzog sich in einen Kaminsessel. Durch die Tür rief sie ihm zu. „Wäre dir so eine lieber?“ „Gott bewahre!“ – rief er zurück, „ein Kollege hat so eine. Die hat ihn wegen jeder minimalen Kleinigkeit um Erlaubnis gefragt. Nach einem halben Jahr ging er fast die Wände hoch.“ Nach ein paar Minuten kam sie aus der Küche, setzte sich zu ihm und schenkte sich auch ein Glas ein. „Was, schon fertig?“ – fragte er verblüfft. „Spülmaschine“, antwortete sie verschmitzt. Die Haustür des Bungalows wirkte mit ihrem Eichenrahmen und den aufgesetzten Kassetten sehr massiv. Auf einem einfachen Messingschild stand ebenso schlicht der Name ‚Haferkamp‘. Diese wandte sich an die junge Frau: „Du kannst jetzt Kaffee kochen, Renate – und den Kuchen bringen.“ Auf einer hochlehnigen Sitzgruppe nahmen sie Platz. Der Raum war modern eingerichtet – Bücherregale und ein Flügel dominierten. Die Wand zum Garten wurde von einem großen Fenster gebildet. „Renate ist Studentin und hilft mir ein paar Stunden am Tag. Dafür wohnt sie hier und verdient noch ein wenig, „ erklärte Frau Haferkamp. „Und wie ist das mit euch beiden? Ist die Sache ernst?“ Alexander fand, daß sie die Sache gar nichts anginge und überließ Brigitte die Antwort. „Wir kennen uns erst zwei Tage. Aber wir passen wie Topf und Deckel“, lachte Brigitte. „Ihr legt aber ein Tempo vor“, staunte die alte Dame. Sie wandte sich an Alexander: „Ich entschuldige mich für meine Neugier – aber so bin ich nunmal.“ Ihre Offenheit machte sie sympathisch. „Fragen können Sie immer“, meinte Alexander. „Aha“, schmunzelte Frau Haferkamp, „aber ob ich eine Antwort bekomme, bleibt dahingestellt, wie?“ „Das werden Sie dann schon merken“, grinste Alexander, „es gibt Politiker, die können stundenlang reden, ohne etwas zu sagen. Die müssen dann nur ein gutes Gedächnis haben, denn ein schlechtes Gedächnis kann sich nur einer leisten, der die Wahrheit sagt.“ Worauf Frau Haferkamp den Seitenhieb verstärkte mit der Bemerkung: „Aber nur tapfere und selbstsichere Menschen wie Sie“, sie sah Alexander freundlich an, „sagen die Wahrheit. Und auch nur die bekommen dann auch, was sie wollen.“ Ihr Blick wechselte zu Brigitte und die meinte: „Nicht immer, aber meistens.“ „Sie sind so herrlich braun“, plauderte die alte Dame, nun wieder zu Alexander blickend, weiter, „wo muß man dafür hinfahren?“ Alexander war amüsiert über das geschickte Verhör und antwortete: „Nun, ein paar Jahre Arabien, zwei Jahre Afrika und ein Jahr Spanien. Aber nicht als Tourist. Mir hat niemand was vererbt – ich muß arbeiten.“ Renate kam mit einem Tablett herein und verteilte Teller, Tassen und Bestecke. „Das interessiert mich auch, ich bin gleich wieder mit dem Kaffee hier“, und im gleichen Atemzug, „ist das nicht schrecklich, was jetzt in Südafrika passiert ist?“ Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Entweder christlich oder links – dachte Alexander – auf jeden Fall aber ungenügend informiert. Sie kam zurück, schwer beladen mit Kaffeekanne und Kuchentablett, schenkte Kaffee ein und verteilte Kuchenstücke. „Schwarzwälder Kirschtorte“ – hofierte Alexander erfreut, „eine Kalorienbombe zwar – aber da kann man ja nicht widerstehen.“ Er nahm sich zwei Stücke Würfelzucker, goß Milch ein und rührte um. Eine große Blase bildete sich in seiner Tasse. „Seht mal“, er deutete auf die Tasse, „heute bekomme ich noch einen dicken Kuß.“ Brigitte knuffte ihn liebevoll in die Seite: „Dann werde ich dich mal nicht aus den Augen lassen, sonst kommt mir noch eine andere zuvor.“ Die anderen beiden lächelten. Alexander kostete den Kuchen. „Schmeckt prima“, lobte er, „und damit zu meiner Meinung über Afrika: Keine Ideologie, sondern das, was ich sah und hörte. Zuvor noch eine kurze Feststellung: Das größte Unrecht ist das, welches in der Form des Rechts geschieht. Gut, die Neger sind also kein einheitliches Volk, sondern noch unterschiedlicher als die Europäer. Nigeria beispielsweise ist ein einziges großes Drecksloch. In meinen zwei Jahren dort traf ich nur drei oder vier Einheimische, mit denen ich mich an einen Tisch setzen würde. Am schlechtesten zu ertragen sind Neger auf hohen Posten – bauernschlau – aber sonst dumm wie Bohnenstroh und arrogant.“ Renate unterbrach ihn: „Sie wurden eben jahrhundertelang von Weißen unterdrückt und als Sklaven verschleppt und verkauft.“ „Klarer Fall von Fehlinformation. Das Innere von Nigeria hatte vor hundert Jahren kein weißer Mann betreten. Westafrika war das Grab des weißen Mannes. Es gab nur ein paar Stützpunkte an der Küste, und die Sklaven wurden von anderen Negern gefangen und bei den Schiffen abgeliefert. Aber auch nur, weil sie zu blöd waren, selber Schiffe zu bauen. Kamerun und Togo sind sauber und die Menschen sind freundlich. Wahr-scheinlich, weil dort erst Deutsche und dann Franzosen waren. Diese kulturelle Mischung scheint dort ganz gelungen. In ganz Afrika existiert keine wirklich funktioniernde Demokratie. Die Südafrikaner wären ganz schön bescheuert, wenn sie die Macht den Negern übergeben würden. Nach einem halben Jahr würde vermutlich kaum mehr was funktionieren. Allerdings müssen die Buren die Neger jetzt in gewissen Bereichen mitreden lassen. Früher waren sie eben nicht konsequent genug und zu faul. Die Amis hingegen rotteten ihre Ureinwohner, die Indianer, aus und erledigten ihre Arbeit selber.“ „Damit bin ich nicht einverstanden!“ – sagte Renate kriegerisch. „Es ist nicht christlich, die Neger als Menschen zweiter Klasse zu behandeln.“ Alexander trank seinen Kaffee und fuhr fort: „In der Bibel wird Skaverei nicht verdammt. Paulus befahl dem entflohenen Sklaven Onesimus, zu seinem Herrn zurückzukehren. Womit er wohl meinte, der Skave solle auf soziale Gerechtigkeit im Jenseits warten. Selbst Voltaire war der Meinung, die Sklaverei sei so alt wie der Krieg und der Krieg so alt wie die Menschheit. In unserem Selbstverständnis ist nichts so verächtlich wie die Sklaverei. Weshalb spielen alle Jungs Indianer – aber nie Neger? Ihren Humanismus in Ehren – aber gute Menschen richten manchmal ein fürchterliches Unheil an.“ Alexander nahm sich noch ein Stück Kuchen und ließ sich Kaffee nach-füllen, mampfte zufrieden und trank noch eine dritte Tasse. Renate hatte es die Sprache verschlagen. Sie suchte krampfhaft nach Argumenten. Frau Haferkamp nickte nachdenklich, und Brigitte blickte Alexander liebevoll an und meinte: „Wie immer bei solchen kontroversen Auseinandersetzungen wird es wohl auch hier so sein, daß die Wahrheit irgendwo in der Mitte zwischen beiden Streithähnen liegt.“ Alexander nickte leicht zustimmend und wollte Renate noch etwas zum Nachdenken geben: „Es ist immer leicht, als Unbeteiligter aus der Ferne ein humanes Urteil zu fällen. Wenn man eine bestimmte Situation aber als direkt Beteiligter miterlebt, urteilt man gewöhnlich anders. Ich bin ja auch gegen Scheinmoral und Heuchelei, Verfälschung der Geschichte und ähnliche Dinge. Deshalb drücke ich mich bewußt kraß und provozierend aus. Ein guter Tip ist sicherlich, fertigen Meinungen und auch vielen Informa-tionen zu mißtrauen. Auch ich lese jede Woche treu und brav meinen Spiegel. Selbst im Ausland. Weil die Fakten meistens stimmen. Lügen kann man aber auch durch Weglassen. Dazu ein Beispiel: In einer kleinen Stadt in Nigeria gab es einen Sektenaufstand. Das war irgendwo an der Grenze zu Kamerun. Die Armee rückte an, und es starben gut tausend Menschen. Ich weiß das von unserem Fahrer auf der Baustelle. Einige Tage später stand es in einer nigerianischen Zeitung. Es war aber weder im Spiegel zu lesen, noch im Stern, noch in einer anderen deutschen Zeitung. In Südafrika hingegen werden drei Polizistenmörder hingerichtet. Darüber berichtet dann sogar das Fernsehen, und unser Bundeskanzler sendet ein Protest-Telegramm. Bei allen Dingen sollte man immer wieder kritisch prüfen, wem diese mittelbar und unmittelbar nützen. Kurzfristig grausame Maßnahmen können sich langfristig human auswirken - und umgekehrt natürlich. Vieles sieht anders aus, wenn man den Dingen auf den Grund geht und die Folgen bedenkt.“ Renate räumte den Tisch ab und meinte: „Sie sind ein ganz gefährlicher Mann – denn einige meiner Überzeugungen brachten Sie ins Wanken.“ Alexander entgegnete ernst: „Ich würde mich freuen, wenn ich Ihnen Anstoß zu selbständigem und kritischem Denken liefern konnte.“ Die alte Dame fragte: „Könnt ihr beiden noch ein bischen bleiben? Ein interessantes Gespräch ist immer ein ganz besonderes Vergnügen für mich.“ Der Nachmittag war noch jung. Sie blickten sich an und nickten. Frau Haferkamp erhob sich und setzte sich an den Flügel. „Jetzt werde ich euch zur Entspannung etwas vorspielen.“ Sie blickte Alexander fragend an: „Als Hauptgast dürfen Sie bestimmen.“ „Wagner oder Beethoven“, bat er. Renate kam herein und erkundigte sich nach den Getränken. Alexander und Brigitte blieben beim Brandy, Frau Haferkamp entschied sich für einen Sherry. Dann griff sie in die Tasten und erwies sich als ausgezeichnete Interpretin. Alexander war nicht musikalisch, konnte aber Musik beurteilen. Er lehnte sich zurück, zog eine Zigarre hervor und hob sie fragend hoch. Die alte Dame nickte lächelnd, und er begann, Rauchringe zu produzieren. Er fühlte sich wohl: Angenehme Gesellschaft – satt und zufrieden und die Aussicht auf eine leidenschaftliche Nacht mit einer schönen, phantasie-vollen Geliebten. Schön vorsichtig – dachte er – nichts kann der Mensch schlechter ertragen als eine Reihe von besonders guten Tagen. Frau Haferkamp setzte sich wieder in ihren bequemen Sessel und wandte sich an Alexander: „Sie sind ja hautnah mit vielen Sorten Menschen zusammen gekommen. Was halten Sie von unserem Ausländerproblem?“ „Solche Themen werden üblicherweise auch sehr emotional behandelt“, erwiderte Alexander nachdenklich. „Zur sachlichen Abhandlung muß man das Problem auf die Wurzeln reduzieren. Erst mal ist es nicht nur unser Problem. In England, Frankreich und einigen anderen Ländern ist es kaum anders. Da machen sich die meisten Menschen wohl ein falsches Bild, beispielsweise von den Türken. Denn wer aus der Türkei hierher kommt, um zu arbeiten, ist meist anatolischer Bauer und vielfach auch noch Analphabet. Ein gebildeter kultivierter Türke bleibt gewöhnlich zu Hause, hat Beziehungen und eine gesicherte Position. Es ist vielfach eine Frage der Menge. Ein paar sind exotisch und werden geduldet. Aber zu viele schaffen Nachteile für die eigene Bevölkerung, nehmen Arbeitsplätze weg, besetzen billigen Wohnraum und bringen das Schulsystem durcheinander. Und wenn die dann noch überwiegend aus einer bestimmte Bevölkerungsgruppe kommen, wie der ungebildete Arbeiter oder Bauer – dann verfälschen sie leicht das Bild über ihr Volk. Außerdem sind sie Mohammedaner, und ein anderer Glaube ist immer ein spürbarer Fremdkörper.“ „Aber wir haben sie doch gewollt und geholt!“ Wieder war es Renate, die ein Gefühlsargument ins Spiel brachte. „Deshalb können wir sie doch jetzt nicht einfach wieder rauswerfen.“ Alexander grinste spöttisch: „Wer rief sie denn? Bestimmt nicht die Menschen, die jetzt Nachteile haben. Meiner Meinung wurden die Ausländer geholt, um die Gewerkschaften unter Druck zu setzen nach dem Motto: Wenn ihr mit euren Forderungen nicht maßvoll seid, holen wir noch mehr und verhandeln mit euch gar nicht mehr! Aber das wahre Problem kommt wohl erst noch. Das sind nämlich die Kinder – eine wahre Zeitbombe. In Spanien konnte ich mit einigen spre-chen, die in Deutschland als Gastarbeiterkinder aufgewachsen waren, die Eltern sind dann wieder zurück. Anfangs konnte sie nur mit Mühe ihre eigene Sprache sprechen. Nirgends fühlen sie sich so richtig zu Hause. Dabei gehört Spanien zu Europa und ist ein altes Kulturland.“ „Aber das ist doch ein Argument für ihre Eingliederung“, warf die alte Dame ein. „Wie viele wollen Sie denn eingliedern? Bis jeder zweite ein Ausländer ist? Das führt uns zu der berühmten Frage: Volk ohne Raum? Wie viel Platz braucht ein Mensch? Je mehr Menschen auf einem Haufen leben, um so komplizierter wird das Zusammenleben und um so weniger Freiraum verbleibt dem Einzelnen. Lemminge stürzen sich bei Über-bevölkerung ins Meer. Sperrt man Ratten in Massen in zu kleine Käfige, werde sie unfruchtbar und zerfleischen sich gegenseitig.“ Brigitte saß zurückgelehnt neben ihm auf der Couch und hatte die Augen halb geschlossen. Alexander legte seine rechte Hand kurz oberhalb ihres Knies auf ihren Oberschenkel und drückte mit seinen Fingern seitlich zu. Mit einem Quietschen fuhr sie auf. „Ich dachte schon, du bist einge-schlafen“, sagte er und lachte über ihre entrüstete Miene. „Aber nein – ich habe nachgedacht.“ „Das kann nie schaden“, spottete er, „und mit welchem Ergebnis?“ „Ich frage mich, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen dem Zusammenleben in der heutigen Enge und dem Rückgang der Geburten.“ „Der Aspekt ist interessant“, gab Alexander zu, „aber ich denke, die Über-bevölkerung in der dritten Welt wird hauptsächlich durch den Zwang zur Alterssicherung verursacht. Und das sind dort nun mal die Kinder. Würden diese Staaten Altersrenten Zahlen, hätten sie wohl bald keine Überbevölkerung mehr. Aber du meinst sicher die Sage vom Volksunterbe-wußtsein – oder?“ „Mein Vater hat daran wissenschaftlich gearbeitet – so sehr war er davon überzeugt“, sagte Brigitte. Die alte Dame warf nachdenklich ein: „ich unterhielt mich öfter mit deinem Vater darüber, und die Theorie hat viel für sich.“ Renate war neugierig geworden. „Erzählen Sie bitte – ich kann mir nichts darunter vorstellen.“ Brigitte dachte kurz nach, nippte an ihrem Glas und führte aus: „Mein Vater glaubte, daß ein Volk ein kollektives Unterbewußtsein besitzt, das sich aus vielen Informationen und Fakten bildet. Und die Massen würden aufgrund dieses unbewußten Wissens handeln. Falls man dieses Muster herausfinden könnte, würde man imstande sein, Manipulation und Verführung der Massen zu verhindern oder die demokratischen Verhältnisse zu bessern. Beispielsweise durch die Verbesserung der Wahl-Beurteilung durch die Wähler. Die Wahlergebnisse würden objektiver ausfallen, weil die WahlVerblendung der Wähler aufgedeckt werden könnte. Womit viele Wähler nicht mehr SPD wählen würden, weil die ja die Arbeiterpartei sein will, aber oft gegen diese Ausrichtung handelt. Aber auch nicht die CDU, weil die sich ja christlich nennt, aber sehr oft völlig unchristlich handelt. Diese Fehlerliste könnte man noch lange fortsetzen. Mein Vater hielt eine Art von Strichliste für optimal, in der jeder Wähler abhakt, welche Partei für ihn persönlich etwas getan hat – und dementsprechend dann wählt.“ „Richtig“, warf Alexander ein, „aber nur, wenn klar zu unterscheiden wäre zwischen scheinheiligen oder hinterlistigen Wahlgeschenken und wirklich positiven Handlungen.“ „Da könnte ich mich anschließen“, meinte Renate, „die Informationen müßten umfassend und die Bildung hoch sein – dann würde sich mancher Politiker wundern.“ Die alte Dame fragte in die Runde: „Stört es euch, wenn ich mir mal kurz die Nachrichten einschalte? Ich möchte gern die Auseinandersetzung über Faßbinders Theaterstück verfolgen.“ „Würde ich auch gern sehen“, schloß sich Alexander an, „der Hintergrund ist auch ein Lehrstück über das kollektive Unterbewußtsein. Aber reden wir nachher darüber.“ Sie sahen schweigend die Nachrichten. Danach wurde der Fernseher wieder abgestellt. Renate stand auf und sagte: „Ich mache schnell noch einen kleinen Imbiß. Das wird bestimmt noch eine anregende Diskussion.“ Frau Haferkamp sagte: „Abends gibt es bei uns immer Tee. Sie können aber auch Bier oder Wein haben.“ „Tee ist schon recht. Aber wir werden Renate etwas helfen. Sie möchte ja wohl nicht ausgeschlossen sein.“ Er ging in die Küche, und Brigitte folgte ihm. Als er das gut sortierte Tee-Regal sah, verkündete er: „Den Tee könnt ihr mir überlassen.“ Er setzte Wasser auf, hängte den Teefilter in die Kanne und fischte sich aus dem reichhaltigen Angebot seine Lieblingssorte heraus: Schwarzen Tee mit Wildkirsche. Die beiden Frauen belegten Brote mit Käse, Schinken und Salami. Er nahm einen vollen Teller und brachte ihn ins Wohnzimmer. „Vertragen Sie schwarzen Tee am Abend?“ – fragte er Frau Haferkamp und als sie bejahte: „Wie möchten Sie ihn?“ „Anregend – bitte.“ Er ging wieder in die Küche, maß den Tee ab, goß das kochende Wasser darüber und ließ ihn fünf Minuten ziehen. Dann saßen sie wieder alle um den Tisch, kosteten den Tee, nickten anerkennend und stärkten sich erst mal an den Broten. Renate hatte eine Kassette mit klassischer Musik eingelegt und eröffnete den Meinungsaustausch. Rückblende „Morgen Helge, wie geht’s?“ Der junge Mann, 170 Zentimeter groß, strohblond und drahtig, drehte sich um. „Morgen Alex, wie soll’s schon gehen? 83 Zentimeter und der Rest von heute.“ Sie schlenderten zum Kasino, um in Ruhe zu frühstücken. Ein paar Tage hatten sie Gammeldienst. „Mal sehen, was der Alte sich wieder ausdenkt“, unkte Alex. Sie sahen sich beide an und grinsten in Gedanken an ihren letzten Streich. Ganz zu Anfang hatte Hauptmann Gerke ihnen klar gemacht, wo es lang ging: „Ihr seid hier, Männer, um Kämpfer zu werden. Ihr werdet Muskeln spüren, von denen ihr bisher keine Ahnung hattet, usw...“. Was für ein Angeber – dachte Alexander. Er war sportlich mit ausgeprägten Muskeln; hatte ein paar Geländerennen mit seiner BMW gewonnen, besaß den braunen Judo-Gürtel und hatte eigentlich vor nichts Respekt. Tatsächlich lernte er auch noch ein paar unbekannte Muskeln kennen. Waffen hatten ihn schon immer interessiert, und so machte ihm die ganze Sache Spaß. Nach der Grundausbildung zeigten sich erst richtig die entsprechenden Talente. Dauernd testete Hauptmann Gerke die Erhöhung der Leistungsbereitschaft. Eines Tages gab er bekannt: „In zwei Wochen nimmt unser bester Zug an einer Sturmboot-Prüfung der Pioniere teil. Mal sehen, auf welchen Platz unsere Mannschaft landet.“ Das gesamte Bataillon rannte, hüpfte und quälte sich freiwillig. Alex gewann mit seinem Zug. Er war Zugführer infolge einer außergewöhnlichen Eigenschaft: Niemals verfranzte er sich. Er brauchte nur Karte und Kompaß, um sich seinen Standort und das Ziel einmal fest einzuprägen – er konnte in dunkler Nacht los gehen und kam an. Die Aufgabe bestand aus einer Rhein-Überquerung mit Sturmbooten. Die Boote mußten aus einer Deckung heraus ans Ufer gebracht werden. Dann war der Fluß zu überqueren, und drüben kam es darauf an, das Boot zu verlassen und schnell eine Deckung zu finden. Die Prüfungsoffiziere be-saßen einen guten Überblick von einer Felskanzel aus. Alexander hatte die Stelle der Überquerung herausgefunden. In der Schreibstube wurden die Transportbefehle ausgefertigt, für Alex war es ein Leichtes, den genauen Übungsort heraus zu finden. Die Sturmboote mußten verladen und die Lastwagen bereit gestellt werden. Die Schreibstuben-Bullen waren meist gelangweilt, geschwätzig und angeberisch und sehr dankbar, wenn sie von einem Elite-Krieger wie den Fallschirmjägern ernst genommen wurden. Alex fuhr ein paar Tage vor der Übung zur Ortsbesich-tigung. Er betrachtete sich die Ufer an beiden Seiten und wußte, was zu tun war. Die Boote durften nur seitlich im Abstand zu Wasser gelassen werden – wegen des angenommenen feindlichen Feuers. Vom Parkplatz der Boote aus gab es nur einen leichten und idealen Zugang. Beim Startkommando dirigierte Alexander sein Boot sofort zur richtigen Stelle, die anderen mußten seitlich ausfächern. Mit fast zwei Minuten Vorsprung konnten sie ihr Boot ins Wasser werfen. Fast wäre ihr Vorteil dahin gewesen, da der Motor erst nicht anspringen wollte. Sie hatten alles eingehend durchgesprochen. Alexander saß am Steuer und jagte das Sturmboot mit Höchstgeschwindigkeit und kurzen Schlenkern auf den Markierungspunkt am Ufer zu. Rechts und links am Bootsrand, dicht hintereinander, saßen sprungbereit seine Kameraden, um beim Auflaufen am Ufer heraus zu springen und einen beherrschenden Hügel hundert Meter weiter zu besetzen. Hinter dem Hügel gab es eine alte Vorratshütte aus Felssteinen. Weit und breit gab es keinen besseren Platz. Aber der Mensch denkt, und Gott lenkt. Alex hatte nicht unter Wasser sehen können. Direkt am Ufer unter der Wasserlinie befand sich ein großer, langgestreckter Felsblock. Badeausflug am arbeitsfreien Freitag in Abu Dhabi. In voller Fahrt krachten sie dagegen, alle, außer Alexander am Steuer, wurden in Fahrtrichtung seitlich rechts und links hinaus geschleudert. Sie waren ja ohnehin bereit gewesen, hinaus zu springen. Als Fallschirm-springer hatten sie keine Probleme mit der Landung und dem Abrollen. Das Boot war noch ein wenig weiter gerutscht und lag nun fest zwischen Strand und Felsen. Alex sah den eingedrückten Bootsboden aus den Augenwinkeln und sprintete hinter den anderen her. Sie erreichten den Hügel und schossen eine Leuchtpatrone ab. Alexander trug zur Kontrolle die Zeit ein und sagte: „Feuer frei, Jungs.“ Alle zündeten sich Zigarretten an und harrten zuver-sichtlich der Dinge, die da kommen sollten. Sie rechneten mit zwei bis drei Stunden, bis die Wertung vorliegen würde. Alexander kannte seine Pappenheimer, hatte am Tag zuvor gesammelt und hinter der Hütte pro Nase zwei Flaschen Bier versteckt. Diese Kleinigkeiten sind’s, aus denen Legenden entstehen. Als er in späteren Jahren ab und zu einen aus dem Zug wiedertraf, hatte jeder diesen Biervorrat jeweils am besten in Erinnerung behalten. Nach zwei Stunden kam Hauptmann Gerke und strahlte: „Also, ihr seid die Nummer Eins. Am schnellsten über den Fluß, die beste Deckung habt ihr auch - aber am allergrößten war eure Landung am Ufer. Meine Kollegen von der Jury waren enorm beeindruckt. Ihr seid ja wie die Kastenteufel aus dem Boot an Land gehüpft.“ Alle grinsten vor Freude. „Jetzt schnappt euch euren Kahn und bringt ihn wieder rüber zu den Trailern.“ Alexander mußte jetzt notgedrungen ihre Havarie berichten. Das Gelächter und die Schadenfreude bei den Pionieren war groß. Dennoch wurde die Auszeichnung nicht zurück genommen – der Felsen war ‚höhere Gewalt‘. Am meisten Spaß bereitete das Überlebens-Training. Alexander und Helge waren ein paar Wochen zuvor mit dem Fallschirm abgesetzt worden. Fall-schirm zusammen legen und beim nächsten Kontrollposten abgeben. Ein Fallschirm kostet viele Steuermärker. Und dann in drei Tagen 200 Kilo-meter zurück zur Kaserne. Als Hilfsmittel nur ein Messer. Fahren per Anhalter war nicht gestattet. Regenwürmer und Schnecken, um den Hunger zu stillen, waren nicht Alexanders Fall. So realistisch brauchte das Training ja auch nicht zu sein. Gleich am ersten Nachmittag trafen sie es richtig. Sie klopften bei einem Almbauern an, und als der ihre Schwingen auf den Ärmeln erblickte, war er ganz aus dem Häuschen. Mit Schmeling war er über Kreta abgesprungen und später in Tunis nach einer mörderischen Schlacht gegen eine erdrückende Übermacht in amerikanische Gefangenschaft geraten. Zwei Tage lang unterhielt er die beiden mit Witzen und Geschichten aus großdeutscher Zeit, was Küche und Keller zu bieten hatten und fuhr sie am dritten Abend zur Kaserne, setzte sie einige hundert Meter vorher ab und lud sie ein, mal wieder zu kommen. Hauptmann Gerke musterte die beiden prüfend und fragte, an welchem weichen Busen sie sich die letzten Tage herum gedrückt hätten. Sie erzählten eine wilde Story mit unglaublichen Strapazen und er glaubte ihnen kein Wort. Alexander und Helge hatten ihr Frühstück beendet und rauchten in Ruhe eine Zigarette, erzählten sich die neuesten Witze und überlegten sich einige Argumente für die nächste Diskussion. Auch das war immer interessant, lag aber nur an ihrem Alten. Der verstand, Zusammenhänge plastisch darzu-stellen und kannte auch kein Tabu. Sein ständiger Spruch war: „Die Zukunft gehört dem Einzelkämpfer, und auch der Geist muß geschult sein. Es darf nicht wieder geschehen, daß selbst Offiziere einem dialektisch geschulten, kommunistischen Spezialisten fast hilflos gegenüber stehen.“ Helge und Alexander übernahmen wechselseitig die Position des Westens und des Ostens – sie konnten sich damit gut vorbereiten und später andere in Verlegenheit bringen. Hauptmann Gerke war ein unbarmherziger Schiedsrichter. Diesmal hatte der Alte wieder eine Überraschung für sie: „Ich habe mit den Amis eine Vereinbarung. Die haben auch ein bischen Training nötig. Wir werden ihre Raketenstellung mit Kommandos angreifen. Der amerikanische Oberst und ich legen die Stellung und die Woche fest. Diese bestimmte Raketenstellung müssen wir also an einem der einge-grenzten Tage zu erobern versuchen. Nun meine Warnung: Nur die Offiziere besitzen scharfe Munition. Die Gis sind zu zwanzig Prozent Analphabeten und lesen nur Comics wegen der Bilder. Es gibt keine Garantie, daß nicht doch einer versucht, euch eine blaue Bohne in den Hintern zu jagen. Sie sind wegen Vietnam mächtig frustriert. Bei denen macht das Gerücht die Runde, wir würden sie auslachen, weil sie nicht mit 250.000 Vietcong fertig würden, wobei wir damals im Rücken der Ostfront 300.000 Partisanen hatten, und der Gegner vor der Hauptkampflinie auch noch zahlenmäßig ein paar mal überlegen war.“ Anschließend lief eine Diskussion, in der Helge die Position des Ostens übernahm. Er begann mit einem allgemeinen Angriff auf Amerika: „Amerika ist auf Gewalt und Mord gegründet. Die Lüge beginnt schon bei der Verfassung, wo steht: Wir sind das Volk von Amerika. Dabei wurde diese Verfassung nicht vom Volk, sondern von ein paar besitzenden Bürgern entworfen, und die zementierten erst mal ihre eigenen Interessen. An den nachfolgenden Wahlen durften sich dann nur je nach Staat zwischen vier und zehn Prozent der Bevölkerung beteiligen – also im wesentlichen nur, wer Grundbesitz und Vermögen hatte. Und wie ist es heute dort? Drei Prozent der Amerikaner verfügen über achtzig Prozent des Eigentums und des Produktionsapparates. Und dann die angeblich so demokratischen Wahlen. Die Wahlbeteiligung an den Präsidenten-Wahlen beträgt selten mehr als fünfzig Prozent. Wenn also dreißig Prozent der Amerikaner den Präsidenten wählen, dann hat er die Mehrheit. Bezeichnend für die Moral der Amerikaner ist, daß der Sprecher einer Handelskammer öffentlich erklären kann: Profit sollte den Rang haben von so geheiligten Begriffen wie Heim und Mutter. Welche der großen Parteien man auch wählt – immer wählt man die Draht-zieher der Geld-Oligarchie. Für die Massen existieren die Aufstiegs-illusionen wie ‚vom Tellerwäscher zum Millionär‘. Aber dies ist nur ein Ventil. Dadurch verpulvert sich die revolutionäre Kraft, die nach einem Platz an der Sonne drängt, im Kampf der Kleinen gegeneinander. Wenn zwei sich streiten, freut sich nun mal der Dritte – oder einfacher: Teile und herrsche!“ Alexander übernahm die Gegenposition: „Die Fakten an sich sind nicht zu bestreiten – nur die Schlußfolgerungen stimmen nicht. Die kleinen hungrigen Jungs aus den Slums bringen die Welt vorwärts. Nehmen wir als Beispiel den Sport. Wettbewerb bringt Leistung. West- und Ostdeutschland zusammen erringen bei den olympischen Spielen meist mehr Medaillen als Amerika oder Rußland – weil von den beiden deutschen Teilstaaten jeder besser sein will als der andere. In Frankreich steht der Lebensgenuß an erster Stelle. Deshalb werden die Franzosen nie eine herausragende Sportnation sein. Für Spitzenleistungen muß man sich nämlich quälen. Im Grunde läßt sich dies alles auf die gegebenen Voraussetzungen zurück führen. In Amerika hat man eben die Möglichkeit, sich selbständig zu machen und reich zu werden – was im Osten nicht möglich ist. Das Wolfsverhalten der amerikanischen Unternehmen gegenüber ihren abhängigen Arbeitern finde ich auch nicht gut. Kein Kündigungsschutz, erbärmliche Renten usw. Aber dagegen wirkt hier bei uns in Westeuropa unsere christlich-humanistische Tradition. Diese Unterschiede zeigten sich selbst im letzten Krieg – Beispiel: Die Stadt und das Kloster Monte Cassino in Italien war ein geographischer Sperriegel gegen die vorrückenden Amerikaner und wurden von der deutschen Armee entsprechend als Verteidigungsstellung ausgebaut. Anstatt aber die Stellung zu umgehen, verarbeiteten die Amerikaner mit ihren Bomberflotten Stadt und Kloster zu Kleinholz. Die unersetzlichen Kunstschätze des Klosters wurden von deutschen Soldaten rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Ein Beispiel von Moral: Bei Kriegsbeginn mit Japan wurden in Amerika alle Japaner interniert. Gleichgültig, wie lange sie schon amerikanische Staatsbürger waren. Ihr Vermögen wurde beschlagnahmt. Die jungen Männer durften sich als Soldaten gegen Deutschland melden. Diese amerikanisch-japanischen Freiwilligen bildeten ein gesondertes Bataillon und stürmten, in der Hoffnung auf Erleichterung für ihre internierten Familien, unter fürchterlichem Blutzoll die Gustav-Stellung in Oberitalien. Die Versprechungen ihnen gegenüber wurden nie erfüllt. Damit will ich nur eins sagen: Die Amerikaner sind für uns kein leuchtendes Vorbild, aber das kleinere Übel. Wir dürfen uns auch keine Illusionen darüber machen, daß irgendeiner unserer Verbündeten uns in der Frage der Neu-Vereinugung helfen würde. Den meisten sind wir jetzt schon wieder zu stark. Achte auf deine eigenen Interessen – als Einzelner wie als Volk. Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott. Das wirklich positive an Amerika ist in den kleinen Gemeinden zu suchen. Die Nachbarn leben intensiv miteinander und helfen sich gegenseitig oft vorbildlich. Jetzt möchte ich aber eine interessante Frage in die Diskussion einbringen: Die Russen sind eine Nation von Schachspielern, die Amerikaner dagegen sind Pokerspieler. Ist das Zufall oder Ausdruck des Volkscharakters?“ Hauptmann Gerke griff ein: „Dazu müssen wir erst einmal definieren, wodurch die beiden Spiele sich unterscheiden.“ So ging es dann lustig weiter. Wobei auch noch manche interessante Ansicht zum Ausdruck gebracht wurde, wie etwa die von Helge: Mit Geld muß man etwas nützliches tun – oder eine von Alexander, die da lautete: Kein Mann gibt freiwillig her, was er hat – alles andere ist Quatsch. Hauptmann Gerke schärfte ihnen zum Schluß für den bevorstehenden ‚Kampf‘ noch ein, unbedingt nach der Regel zu handeln, die Absichten des Gegners gründlich zu analysieren: Was ist das Ziel des Gegners – wie sein Charakter – was kann er tun? Eine Woche später war es dann soweit. Alexander lag mit Feldstecher und Skizzenblock zwischen zwei Tannen und sah von einem Hügel zu dem eingezäunten Areal der Raketenstellung hinüber. Die Abdeckungen der Raketen waren schräg in den Hang eingelassen und sahen aus wie vergrößerte Kanaldeckel. Ein langgestreckter Steinbau für Autos, Geräte und Vorräte begrenzte die ‚Kanaldeckel‘ nach links. Am rechten Ende befanden sich zwei versetzt angeordnete, viereckige Bauten. Nach dem regen Verkehr zu schließen waren in dem ersten die Küche und das Kasino untergebracht, während in dem hinterem die Schlaf-räume sein mußten. Zwei Doppelstreifen mit je einem Schäferhund umrundeten das Gelände pünktlich jede halbe Stunde. Sie trafen sich am Tor und am hinteren Ende der Kanaldeckel. Alexander stoppte die Zeit und trug sie in der Skizze ein. Das Schema änderte sich auch nach der zehnten Runde nicht. Und dabei wissen die doch, daß wir es diese Woche versuchen werden, dachte er und schüttelte den Kopf. Er hatte die vier Außenposten im Wald außerhalb der Umzäunung gesehen und ihre Positionen und die Ablösezeiten eingetragen. Als es dunkel wurde, löste ihn Helge ab. Er hatte ein Nachtglas mit Restlichtverstärker dabei. Sie lösten sich jeweils im VierstundenRhythmus ab und benutzten getrennte Aufzeichnungen, um sie dann am Ende zu vergleichen. Am nächsten Tag besprachen sie ihren Plan mit Hauptmann Gerke. Dieser gluckste vor Vergnügen: „Die Amis denken natürlich an Narkosepatronen, Blendgranaten, Tränengas und Nebeltöpfe – die werden Augen machen.“ Er versprach, die präparierten Sprengladungen zu besorgen und legte ihnen nochmals ans Herz, bei der Überwältigung der Wachposten aufzupassen: „Einem Neger könnt ihr drei Mal auf den Kopf hauen – der blinzelt bloß. Bei einem Weißen genügt ein Schlag und der ist hin.“ Alexander rief den Zug zusammen und erläuterte den Plan. Alle waren begeistert, steuerten noch ein paar Verbesserungsvorschläge bei und trainierten den Rest des Tages. Abends zogen alle los, um nach einer heißen Schäferhündin zu suchen. Sie fanden sogar zwei und gewöhnten sie daran, Schokolade zu mögen. Was jedoch keine Anstrengung bereitete, denn die beiden Hundedamen hatten einen Heißhunger darauf. „Typisch Weiber“, meinte Helge, „halte ihnen was Süßes vor die Nase, und sie können nicht widerstehen.“ Den kommenden Vormittag verbummelten sie. Gegen Mittag kamen ihre Spezial-Sprengsätze, und einen probierten sie aus. Nach dem Mittagessen wurde gepackt. Sie wollte für alle Fälle beide Hündinnen mitnehmen. Dann ging es auf Umwegen mit Privatwagen zum Zielort, um eventuelle Späher zu täuschen. Etwa eine Stunde vor Beginn der Dämmerung kamen sie auf ihrem Beobachtungshügel an, und Alex zeigte seinen Kameraden die einzelnen Positionen. Als es dunkel wurde, hatten sich die anderen alles eingeprägt, und das Nachtsichtgerät ging von Hand zu Hand. Angreifen wollten sie erst im Morgengrauen, wenn die Nebel stiegen. „Ihr müßt davon ausgehen“, warnte sie Alex, „daß die ebenfalls mit Nachtsichtgeräten ausgerüstet sind – und zwar jeder Posten.“ Keiner wollte schlafen. Sie stellten zwei Mann als Wache auf, und die Wachen wurden jede Stunde abgelöst. Die Zeit verging mit leise erzählten Geschichten, und auf einmal war es soweit. Als Alex das Kommando gab, wußte jeder, was er zu tun hatte. Pro Außenposten waren zwei Mann zur Ausschaltung einge-teilt. Alex und Helge hatte Alfred mitgenommen. Der Hellste war er zwar nicht – aber bärenstark. Alfred sollte ihnen die Rucksäcke über den Zaun werfen und bei der Rückkehr die Sprungstäbe bereit halten. Daß Alex Alfred dafür einteilte, brachte ihm dessen lebenslange Freundschaft ein. Die restlichen fünf Mann stellte die strategische Reserve dar und sollten sich an der rechten Zaunseite postieren, um, falls etwas schief gehen sollte, mit genügend Lärm für Ablenkung zu sorgen. Später taten die acht Mann ihre Überwältigungs-Aktion mit lässiger Hand-bewegung als Kleinigkeit ab. Einer der Posten schlief. Er war gefesselt und geknebelt, bevor er richtig wach werden konnte. Der zweite Posten gurgelte wegen der Morgenkühle kräftig mit Whiskey, verschluckte sich und wäre fast erstickt, als er angegriffen wurde. Der dritte saß mit heruntergelassener Hose am Waldrand und drückte mit aller Macht. „Es stank bestialisch“, erzählte Roland, „ich hab ihn erst mal in seinen Haufen gedrückt, vor Schreck verschlug es ihm die Sprache.“ Nur der letzte beobachtete aufmerksam die Umgebung mit einem Nachtsichtgerät, rauchte aber wie ein Schlot und konnte auch keinen Warnschrei ausstoßen. Alle hatten Trillerpfeifen und Leuchtpistolen dabei. Sie wurden sorgfältig geknebelt und an den nächsten Baum gebunden. Die Ablösung würde sie in einer halben Stunde finden. Die acht sollten eine halbe Stunde warten und dann den Rückzug antreten. Die vier am Tor hielten die beiden Hundedamen kurz und ließen sie hin und wieder etwas Schokolade naschen. Plötzlich kamen von beiden Seiten des Tores die beiden Doppelstreifen in Sicht. Die vier Mann trafen sich am Tor und unterhielten sich leise. Es war fast windstill – aber die Hundenase ist um ein Vielfaches empfindlicher als eine Menschennase. Gerd nahm einen Doppelriegel Schokolade, ließ eine Hündin daran riechen und warf ihn dann zum Tor. Er ließ die Hündin los, und diese rannte japsend los, mit der Nase am Boden. Sofort war am Tor die Hölle los. Die beiden Hunde stießen ein winselndes Heulen aus, sprangen am Tor hoch und versuchten, am Maschendraht hochzuklettern. Die Posten riefen aufgeregt durcheinander, schalteten ihre Taschenlampen ein und leuchteten die Gegend ab. Sie entdeckten die Hündin, welche die Schokolade bereits verschlungen hatte, sich die Lefzen leckte und nach mehr schnupperte. Dabei wedelte sie verächtlich mit ihrem Hinterteil vor den Nasen der beiden Rüden hin und her, völlig unbeeindruckt von deren Getobe. Ein fragender Ruf erscholl vom Kasino her. Die Posten am Tor antworteten lachend mit Erklärungen. Das ganze Intermezzo dauerte fast zehn Minuten, bis die Posten wieder ihre Runden aufnahmen, ihre Hunde mühsam mit sich zerrend. Die Hundedame kam wieder hinter den Holzstoß getrottet, nach mehr Schokolade bettelnd. Die vier Mann hatten ihre Aufgabe erfüllt, leinten die Hündinnen an und machten sich auf den Rückweg. Alex, Helge und Alfred gelangten ohne Schwierigkeiten an die hintere Ecke des Zaunes – in etwa zwanzig Meter Entfernung lag der erste Raketen-schachtdeckel. Als die Hunde anfingen zu toben, nahmen sie kurz Anlauf und schwangen sich mit ihren Sprungstäben über den drei Meter hohen Zaun. Der Mond war als schwache Sichel hinter den Wolken und dem auf-steigenden Nebel kaum zu sehen, aber ihre Augen hatten sich gut an die Dunkelheit gewöhnt. Alfred warf die beiden Rucksäcke über den Zaun. Alex und Helge fingen je einen auf und rannten sofort los. Mit der linken Hand den Rucksack haltend, mit der rechten eine Sprengladung nach der anderen auf die Deckel klatschend, rannten die beiden die Reihe der Kanaldeckel ab. Die Magnethalterung löste beim Kontakt gleichzeitig die Zündung aus. Drei Minuten hatten sie Zeit. Nach zwei Minuten waren sie fertig und liefen zum Zaun. Alfred hielt ihnen die Sprungstäbe hin, und nach kurzem Anlauf waren sie hinüber – gerade rechtzeitig. Die erste präparierte Sprengladung brannte ab, bis auf ein kleines Zischen unbemerkbar. Die Ladung bestand aus einen Zünder und Buttersäure. Noch Wochen später weigerten sich Techniker, in die stinkenden Raketenschächte zu klettern. Eine halbe Stunde später war der Zug vollzählig in aufgekratzter Stimmung auf dem Heimweg. Roland hatte in seinem Bericht ein kleines Detail ausgelassen – nämlich, als er dem Ami, als er ihn mit heruntergelassener Hose erwischte, erst mal kräftig in die Eier getreten hatte. Das war seine private Rache, weil seine Verlobte ihn vor drei Monaten verlassen hatte, und einem heimkehrenden GI über den großen Teich gefolgt war. Jahre später hatte er sie dann wieder getroffen. Sie war geschieden und besuchte ihre Eltern. „Hätte ich mich bloß vorher informiert“, jammerte sie ihm vor, „Bill nahm mich mit in seine Heimat, ein gottverlassenes Nest in Texas. Nichts als Staub und Wind – dagegen ist Ostfriesland hinterm Deich direkt die große Welt.“ Geschah ihr recht – dachte Roland später schadenfroh, erst die Dose hinhalten und dann hinterher jaulen. Die Amerikaner wollten natürlich Revanche, und diesmal war ein anderer Zug dran. Die Amis boten alles auf, was mit moderner Technik machbar war. Infrarot-Überwachung des gesamten Geländes, Wärmesensoren, die die Körperwärme sich anschleichender Gegner erfaßten; meist waren es Hasen oder Rehe, aber die Übungen hielten die Posten munter. Distanzradar, mit dem selbst Messer und Pistolen erfaßbar waren – und noch ein paar Spielereien mehr. Der Erfolg der ersten Aktion hatte sich herumgesprochen, und wo Ruhm zu ernten war, durfte natürlich ein Offizier nicht fehlen. Leutnant Haferkamp teilte seine Leute in vier Ablenkungstrupps ein, die als Waldarbeiter, Pilzsucher und Elektriker an der nahen Hochspannungstrasse die Amerikaner in Atem hielten. Haferkamp spazierte mit zwei Leuten und gefälschten Papieren in die Raketenstellung und zeigte einen Auftrag zur Überprüfung der Raketenschächte vor. Als sie nach sechs Stunden abzogen, hatten sie in jedem Schacht eine Rauchbombe zurückgelassen und im Kasino drei Tränengasgranaten versteckt, die dann beim Abendessen alle gleichzeitig über Funk gezündet wurden. Weitere Vorschläge zu ähnlichen Tests stießen auf wenig Gegenliebe. Ein Gerücht aus gut unterrichteter Quelle besagte, die Verbündeten wollten mit den deutschen Fallschirm-jägern nichts mehr zu tun haben. Die hatten zu viele hoffnungsvolle Karrieren gestoppt. Alex saß mit Helge im Kasino, nuckelte an seinem dritten Bier und langweilte sich. „Wollen wir den Sani ärgern?“ – fragte er Helge. Als der nur nickte, rief er dem gerade Eintretenden zu: „Hallo Ralf, setz dich zu uns!“ Der krausköpfige, zierliche Sani setzte sich eifrig in ihre Richtung in Bewegung. Keiner mochte sonst mit ihm zu tun haben – er war ein fanatischer evangelischer Christ. Eine seltene Sache, denn die Protestanten sind meist sehr laue Christen. Dieser war ein Waisenkind und als Baby ausgesetzt worden. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er in Waisen-häusern. Deshalb hatte er die Kirche als seine Familie erkoren. Alex wollte weder bekehrt werden, noch Ralf von seinem Glauben abbrin-gen – aber dieser Fanatismus interessierte ihn. Wenn er mit Ralf debattierte, bekam er eine Ahnung davon, wozu Fanatiker fähig sind. Am meisten konnte man ihn auf die Palme bringen, wenn man die Zeugen Jehovas lobte – die hätte er am liebsten auf glühenden Kohlen gebraten. Helges Tante war Mitglied und hatte die beiden in den Kaisersaal mitgeschleppt. Alex war beeindruckt von der Disziplin und der Gläubigkeit der Versammelten, doch langweilte er sich tödlich. Er war neugierig gewesen – ein zweites Mal würde ihn niemand mehr zu einer solchen Versammlung bringen. Zwar vermied er es, andere Menschen zu verletzen – aber sein gesunder Egoismus ließ ihn derartige Situationen vermeiden. Damals drängelte er sich durch die Gemeinde und wartete das Ende der Veranstaltung in der nächsten Kneipe ab. „Ralf, hock dich nieder!“, befahl Alex, „ich weiß einen neuen Witz: Kommt ein alter Sünder ans Himmelstor und klopft bescheiden an. Petrus öffnet das Tor und fragt nach dem Namen. Peter Krüger, aha. Petrus blättert in einem großen Buch. Hier ist alles vermerkt. Raufbold, Säufer, hinter allen Röcken her – und arbeitsscheu auch noch. Peter Krüger zieht den Kopf immer tiefer zwischen die Schultern. Petrus zeigt mit dem Daumen hinter sich. Na, dann mach mal, daß du reinkommst. Peter Krüger rennt fast im Laufschritt in den Himmel. Darf ich wirklich? - fragt er ungläubig. Worauf Petrus erwidert: Hast du gedacht, wir haben hier ein Punktesystem wie ihr in Flensburg? Peter Krüger sieht sich im Himmel um und fragt Petrus: Was ist denn mit dem Mann dort los? Weshalb schlägt der seinen Kopf denn dauernd gegen die Mauer? – Der war auf Erden ein braver Mann, grinst Petrus. Hat nicht getrunken, nicht geraucht, seine Frau nicht betrogen, von früh bis spät gearbeitet und auch geglaubt, wir hätten ein Punktesystem.“ Alle lachten, und Ralf lächelte gequält. „Du bist doch gebildet, Ralf“, fing Alex an, „über der Erde sollen sich Magnetbahnen ziehen, an denen sich zum Beispiel die Zugvögel orientieren. Und an den Kreuzungspunkten dieser Bahnen sind die großen Kathedralen und Klöster errichtet worden. Deshalb hat man dort das Gefühl der Ruhe und des Friedens. Was meinst du – ist da was dran?“ „Mußt du immer versuchen, Gottes Wunder auf natürliche Art und Weise zu erklären?“ „Ach“, sagte Alex, „gegen den alten Herren habe ich ja nichts, nur seine irdischen Stellvertreter kann ich für gewöhnlich nicht leiden. Ist doch eine alte Jacke: Wer Tabus aufrichtet, will Macht. Die zehn Gebote sind eigentlich auch Verbote. Sie zeugen von einer genauen Kenntnis der menschlichen Natur. Denn was verbieten sie? Genau das, was unserer Natur und unserem Instinkt entspricht. Also sind es Verbote wider die Natur des Menschen – wenn man aber einem Menschen etwas verbietet, was er gerne möchte, erzeugt man in ihm ein schlechtes Gewissen. Und ein schlechtes Gewissen stellt wirksame Ketten dar zwecks Domestizierung. Vor allem der Sex, in der biblischen Epoche gab es keine Liebesfeindlichkeit. Nimm nur mal den Kreuzzug gegen die Ketzer. Die Kirche erzeugte die Illusion, es ginge ihr um das Seelenheil der Abge-fallenen. In Wahrheit ging es aber um die Macht. Die Ausrottung der Kirchenabtrünnigen wurde als notwendig und gottgefällig ausgegeben. Und gleichzeitig wurde Nächstenliebe gepredigt. Bei der Hugenottenverfolgung fragte ein Hauptmann seinen Bischof: Was sollen wir mit den Mischehen machen? Der antwortete: Tötet sie alle, Gott wird sie sortieren. Und jetzt aber keine Bibelsprüche zur Antwort. „Grundsätzlich“, erwiderte Ralf, „glaube ich, daß die Kirche Gottes Antwort und Waffe gegen das Böse in der Welt ist, und die Reformation ist wieder die Antwort auf den Machtmißbrauch der katholischen Kirche.“ „Dann meinst du also, Gott duldet das Böse, aber nicht für immer.“ Innerhalb kurzer Zeit hatte sich um ihren Tisch ein Kreis gebildet, und die Argumente flogen hin und her. Es wurde noch ein interessanter und lustiger Abend. Besuch, Nachforschungen, Überfall Alexander wachte auf und dachte darüber nach, wo er sich befand. Alles war ruhig. Draußen war es schon hell – gedämpft war ab und zu ein Auto zu hören. Richtig, das Wochenende mit Brigitte, gestern nachmittag ihr Abschied. „Vergiß mich nicht“, hatte sie leise gesagt, „und ruf mich bald an.“ „In ein paar Tagen muß ich ein, zwei Besuche machen, und du kennst ja mein Hotel. Dort bleibe ich vorerst wohnen.“ Er dehnte und reckte sich schläfrig. Eigentlich hatte er keinen Grund aufzu-stehen. Aber auch keine Lust, weiter zu schlafen. Er schlug die Decke zurück und ging unter die Dusche. Erst heiß und dann das Gesicht kalt abschrecken – als Gegenmittel für seine Augenränder. Wenn er nur ver-schwitzt war, duschte er ohne Seife, um nicht seinen biologischen Haut-schutz mit abzuwaschen. Er stellte das Radio an, putzte seine Zähne, rasierte sich, machte ein paar Übungen nach dem chinesischen Schattenboxen für die Gelenkigkeit – und zwei Minuten Isometrik für die Muskeln. Das ganze war wie ein Ritual, von dem er nie abwich. Er hatte sich die Reihenfolge bei seiner ersten Bauleitung in SaudiArabien angewöhnt – seit er gesehen hatte, wie manche Monteure nach einigen Wochen total verwilderten. Morgens kamen sie in die Camp-Kantine – ungewaschen, ungekämmt – und stanken drei Meter gegen den Wind. Alexander ging nach unten frühstücken und überlegte sein Tagesprogramm. Abends wollte er einen Bauleiterkollegen in Wiesbaden besuchen und mit ihm ein wenig über alte Zeiten und ihre vergangenen Erlebnisse in Nigeria plauschen. Vorher mußte er die Adresse eines Mannes herausbekommen. Sie stand nicht im Telefonbuch – aber er kannte den Namen und seinen Arbeitsplatz, und das Gesicht würde er auch nicht vergessen. Immerhin ging es um einen Scheck von 300.000 Mark. Er hatte das Geld schon sicher geglaubt, und dann war es ihm entwunden worden. Dabei hatte er sich in Geduld gefaßt und versucht, das Geheimnis langsam und methodisch zu lüften. Aber überall war er gegen eine Wand gelaufen. Das war jetzt über drei Jahre her – hoffentlich waren die Spuren noch nicht vollständig verwischt. Alexander nahm die S-Bahn, zog vorher eine Tageskarte und kaufte eine Zeitung. Am Hauptbahnhof stieg er um und fuhr zur Hauptwache. Er fühlte sich nicht zum Detektiv berufen, und zu einer zeitraubenden Verfolgung verspürte er keine Lust. Erst mal den direkten Weg versuchen – dachte er – mal sehen, wie er reagiert. Er ging an dem Café vorbei in Richtung Bank und schaute gewohnheitsmäßig durch die Scheibe, um die Inneneinrichtung einzuschätzen. Am Ecktisch sah er die beiden Männer, und in seinem Gesicht rührte sich kein Muskel. Unter Streß wurde er immer ruhig und gelassen. Den Bankangestellte hatte er sofort erkannt – und auch den anderen Mann. Die beiden waren in ein angeregtes Gespräch vertieft. Alexanders Gesicht lag im Schatten, und die letzten Jahre hatten ihn doch verändert. Er ging vorbei, ohne im Schritt zu stocken, trat an einen Obststand, kaufte ein Pfund Äpfel, aß langsam einen nach dem anderen und behielt den Eingang des Cafés im Auge. Der Finger des Schicksals hatte ihn berührt. Diesen Mann mit dem hageren Gesicht hatte er im D-Zug von Hamburg nach Frankfurt getroffen – zwei Monate, bevor die Scheckgeschichte passiert war. Alex reiste in Zug immer erster Klasse. Der Mann war irgendwo, wahrscheinlich in Hannover zugestiegen – beide hatten gegrüßt, und ein Gespräch hatte sich entwickelt. Der andere hatte sich als kanadischer Professor für Geschichte vorgestellt, der nach einem Kongreß in England nun Europa bereiste. Sie sprachen Englisch und kamen auf das Nahostproblem. Alex kannte inzwischen die Araber gut, und mit ein paar Ausnahmen konnte er sie gut leiden. Besonders die Beduinen-Mentalität sagte ihm zu. Da auch er seine Heimat verloren hatte, teilte er den Standpunkt der Palästinenser. Er hatte viele von ihnen kennen gelernt und fand sie tüchtig und angenehm. Alexander sagte unverblümt seine Meinung. Dadurch widerfuhren ihm zwar oft Nachteile – aber er haßte Arschkriecher und faule Kompromisse. Seine ständige Ermahnung an seine Kinder war: Es gibt schon viel zu viele Menschen mit krummen Rücken. Er erinnerte sich an den entscheidenden Dialog. Alex: Die Israelis machen einen entscheidenden Fehler, indem sie den Palästinensern die Selbstbestimmung als Volk verweigern. Wer will schon im eigenen Land einen fremden Herrn über sich haben? Der Professor verließ zwei Mal das Zugabteil, erinnerte sich Alex. Jetzt zweifelte er nicht mehr daran, daß ihm eine Menge Fehlschläge weniger passiert wären, wenn er damals den Professor aus dem Zug geworfen hätte. Ein paar Meter weiter saßen Jugendliche auf Blumenkübeln aus Beton, tranken Bier und unterhielten sich lärmend. Alex beobachtete sie aus den Augenwinkeln, bis er den Anführer herausgefunden hatte. Er trat zu ihm und sagte: „Bist du an einem geschäftlichen Vorschlag interessiert?“ Der machte ein skeptisches Gesicht. „Laß mal hören, dann sehen wir weiter.“ Gut, dachte Alex, bei zu schneller Bereitwilligkeit wäre er kaum brauchbar gewesen. „In dem Café dort drüben sitzen zwei Männer. Für ihre Adressen gibt es hundert Mark. Könnt ihr das schaffen?“ – reizte er ihn zusätzlich. „Pro Adresse hundert Mark, und die Sache ist geritzt, forderte der Junge, „und einen Fünfziger auf die Hand.“ „Ist o.k., komm mit – ich zeige sie dir.“ Alex zog unauffällig einen Fünfziger aus der Tasche. Sie bekräftigten die Abmachung mit einem Hand-schlag und der Schein wechselte den Besitzer. Sie gingen am Schaufenster des Cafés vorbei. Gerade noch rechtzeitig – der Professor bezahlte bei der Bedienung die Rechnung. Die beiden schlenderten zurück. „Man nennt mich Fox“, sagte der Junge, „weil meine Pläne immer so gut sind. Und wie soll ich dich nennen?“ „Ich warte drüben in der Kinobar. Falls ich nicht da bin, frag nach Monte Christo. Es geht um Vergeltung für erlittenes Unrecht, und da paßt der Name“, kam Alex weiteren Fragen zuvor. Fox zog mit einigen seiner Kameraden los, und die übrigen blieben bei den Motorrädern. Alex sah sich die Kinobilder an, machte eine Runde durch die Unterwelt der Hauptwache, hörte den Straßenmusikanten zu und warf einem eine Mark in seinen Hut. Eine Menge kaputter Typen treibt sich hier herum. Er kaufte an einem Imbißstand einen Kaffee und ein Schinkenbrötchen. „Kannst du sowas für mich spendieren?“, fragte eine Stimme neben ihm, „ich bin total abgebrannt.“ Alexander drehte sich um und sah einen in mittleren Jahren vor sich. Sauber, aber in abgetragenen und zerknautschten Sachen. „Warum sollte ich?“ - fragte er. Er war nicht geizig – manchmal sogar eher freizügig. Aber einem arbeitsscheuen Penner das Leben erleichtern wollte er auch nicht. „Nur so“, erwiderte der Mann, „ich komme gerade aus dem Knast. Hatte im Supermarkt `ne Wurst geklaut, und weil ich keinen festen Wohnsitz hatte, saß ich zwei Monate in U-Haft. Bis der Richter für mich Zeit hatte. Das hat den Steuerzahler pro Tag rund hundert Mark gekostet. Aber in unserer bürokratischen Welt muß alles seinen geordneten Gang gehen.“ Alex fischte ein Fünfmarkstück aus der Tasche und gab es ihm. Der andere nickte dankend und holte sich Kaffee sowie ein Käsebrötchen. „Schinken schmeckt mir zwar besser, aber Käse stopft und hält länger vor.“ Nachdem er das Brötchen verdrückt hatte, wollte er sich mit seiner Geschichte revanchieren. „Runterpurzeln kannst du schnell. Aber sich dann wieder hocharbeiten ist mühsam, und meist hat man auch keine Lust mehr dazu.“ „Erzähl weiter“, forderte Alex ihn auf und holte noch zwei Kaffee. Der Mann hatte, allein schon nach seiner Ausdrucksweise zu schließen, zweifellos schon bessere Tage gesehen. Und Alex liebte Geschichten, die das Leben schreibt. „Ich war selbständig als Fernsehtechniker. Reparierte die Apparate und montierte Antennen. Meine Frau schmiß unseren kleinen Verkaufsladen. Mit Verkauf war aber nicht viel. Wir konnten gerade zu dem Preis einkaufen, wie die großen Kaufhäuser verkauften – doch die bekommen Rabatte, da fällt dir nichts mehr ein. Es ging aber dennoch. Manchen Auftrag machte ich nebenbei, und dabei konnte ich noch so manche grüne Witwe abstauben. Bin zwar nicht hinter den Weibern hergerannt – aber wenn ich ein eindeutiges Angebot bekam, schubste ich sie auch nicht von der Bettkante. Bei uns Männern hat das ja selten mit Gefühlen zu tun. Bei den Weibern dagegen schlägt’s meist direkt in die Zentrale ein. Was soll ich sagen? Lernt doch meine Frau in ihrer Torschlußpanik eines Tages einen jungen Hüpfer kennen – ausgeruht und ohne Sorgen. Der arbeitete immer nur soviel, daß sein Arbeitslosengeld weiter bezahlt wurde. Sie schmeißt mir also den Kram vor die Füße, krallt sich unser Sparbuch und haut ab. Die Scheidung war schweineteuer, obwohl ich mich zuvor mit ihr geeinigt hatte. Sonst hätte sie mir nämlich übers Finanzamt gewaltigen Ärger machen können. Über einige Jahre hinweg mußte ich ihr fast zweitausend Mark pro Monat zahlen. Ging natürlich nicht lange gut. Wenn du alles alleine machen mußt, hast du kaum noch eine Chance – und leben willst du ja schließlich auch noch. Ich brauchte eine Verkäuferin – und die kostete. Jeden Monat mußte ich rund 6.000 Märker heranschleppen, um halbwegs leben zu können. Netto – versteht sich. Eines Tages begann ich, etwas mehr zu saufen als normal. Das merkste anfangs gar nicht. Naja, nicht mehr genügend Aufträge, Gerichtsvollzieher, Pleite. Mich tröstet bloß, daß meine Alte auch angeschmiert ist. Als nämlich kein Kies mehr rollte, kratzte der junge Hüpfer die Kurve. Heute rennt sie jede Woche zum Ball der einsamen Herzen.“ „Und was willst du jetzt machen?“ – fragte Alex. „Ja, sinnierte der andere, „die Lage ist bescheiden. Meine Bude ist weg – die letzten zwei Monate zahlte ja keiner die Miete. Arbeit habe ich auch nicht, und weil ich dem Richter meine Meinung über die U-Haft sagte, wurde in meinem Ausweis offiziell ‚ohne festen Wohnsitz‘ eingetragen. Damit kann ich nun nicht mal mehr Sozialunterstützung beantragen.“ „Ich denke, du hattest bei deiner Festnahme ohnehin keinen Wohnsitz?“ – fragte Alex, dem der Widerspruch aufgefallen war und sich nicht gern verkohlen ließ. „Ich hatte eine Bude ohne Anmeldung“, kam die Antwort. „Daß die Ausweisadresse nicht mehr stimmte, stellten die Bullen rasch fest. Ich kann mich doch nirgendwo anmelden – gleich belästigt mich wieder der Gerichtsvollzieher. Und offiziell arbeiten geht auch nicht – sofort hagelt es Lohnpfändungen. Das hat aber kein Chef gern – und schon biste wieder draußen.“ Alex war neugierig. „Erst mal Kohle besorgen. Dann Stütze beantragen und ein bischen schwarz arbeiten. Denn vom Sozialamt kann man nicht leben“, erläuterte der andere seinen Fahrplan. „Und weshalb mußtest du den Richter wegen der U-Haft anmachen?“ – bohrte Alex weiter. „Na – findest du es richtig, daß Untersuchungshäftlinge unter wesentlich schlechteren Beding-ungen leben müssen als Strafgefangene – obwohl ihre Schuld noch nicht feststeht?“ Alex war verblüfft. „Tatsächlich?“ „Das kannste dir hinter die Ohren schreiben. Und da kommt man schneller rein, als mancher glaubt. Und rauskommen ist gar nicht so leicht. Es heißt zwar, die UHaft solle nicht länger als ein halbes Jahr dauern – aber einige sitzen dort schon seit Jahren. Richtet man einen Schaden von einigen hundert Millionen an, hat man sogar in U-Haft Vorteile. Graf von Galen hat eine Doppelzelle für sich allein – auf der Sonnenseite in der zweiten Etage. Natürlich ohne Sichtblenden vor den Fenstern.“ Alex grinste: „Ein paar Unterschiede müssen schon sein. Immerhin ist er tiefer gefallen als du, denn er residierte ja in anderen Höhen.“ Für Alex wurde es langsam Zeit, seinen Posten in der Kinobar zu beziehen. Er gab dem anderen noch zehn Mark mit der Bemerkung: „Wenn es dir besser geht, gib den Schein an einen weiter, der auch gerade klamm ist“, und schlenderte langsam davon. Alexander nippte gerade an seinem zweiten Brandy, als Fox hereinkam und sich zu ihm setzte. Heute war ein junges Mädchen hinter der Bar. Es stellte ungefragt ein Bier vor Fox auf die Theke. Sie himmelte ihn an, aber Fox beachtete sie nicht. „War einfach“, berichtete er, „er fuhr mit der S-Bahn nach Bad Homburg, wohnt auf dem Monte Bonzio.“ Er schob Alex einen Zettel mit Namen und Adresse zu. „Im Telefonbuch steht er aber nicht – ich habe nachgesehen.“ „Wird eine Geheimnummer haben“, sagte Alex gleichmütig. Der Name stimmte: William Harris! Fox hatte sein Geld korrekt verdient. „Und die andere Adresse?“ – „Dauert noch ein wenig, die beiden anderen sind noch nicht zurück.“ Fox zögerte und fuhr dann, sich einen Ruck gebend, fort. „Das Ganze ist keine Spielerei, nicht wahr? Haben Sie noch mehr Arbeit für uns? Sowas macht Spaß.“ „Mal sehen. Es wäre möglich. Zuvor müßte ich aber mehr über dich wissen. Alter, Beruf, Hobbys, Verbindungen, Vereine, Familie, Vorstrafen beziehungsweise den Bullen schon mal aufgefallen? Was hältst du von den Parteien, welche Probleme ärgern dich, was macht dir Spaß? So in der Richtung. Aber dafür müssen wir uns mehr Zeit nehmen, als ich heute habe. Ich komme öfters hierher, und bis zum nächsten Mal kannst du dir schon mal die Antworten überlegen.“ „O.k. – mache ich.“ Fox war ganz aufgeregt und rutschte auf dem Barhocker herum. „Ist doch aber nicht ungesetzlich, oder?“ Alexander entgegnete nachdenklich: „Wenn wir zusammenarbeiten, erzähle ich dir genug, damit du die Sache beurteilen kannst. Auf jeden Fall ist das Recht auf meiner Seite. Manchmal sind aber Recht und Gesetz nicht identisch.“ Er lenkte ab: „Was ist denn mit der Kleinen hinter der Bar. Sie steht doch auf dich?“ „Ich weiß“, sagte Fox gleichgültig, „sie arbeitet hier jeden zweiten Tag. Während der letzten Vorstellung suchen wir uns immer einen ruhigen Platz und vögeln ein paar Runden. Komisch: Im Kinosaal ist sie richtig wild, bei ihr oder mir zuhause dagegen eher lahm.“ Sicher eine Exhibitionistin – dachte Alex – und laut zu Fox: „Wenn du ihr eine Freude bereiten willst, dann mach mit ihr eine Nummer auf der Autobahnbrücke, mitten am Tag.“ Fox sah ihn ungläubig an, ging hinter die Bar und flüsterte mit dem Mädchen. Sie hatte auf einmal hektische, rote Flecken im Gesicht und krallte ihre Finger in seinen Oberarm. Nach einer Weile kam Fox zurück und sagte leise: „Sie will sich über das Geländer beugen, und ich soll es ihr von hinten besorgen. Ich glaube, von Ihnen kann ich noch `ne Menge lernen.“ „Du mußt nur die richtigen Bücher lesen“, antwortete Alex, und beide brachen in schallendes Gelächter aus. Kurze Zeit später kamen die anderen beiden Späher und brachten die zweite Adresse, sogar mit Telefon-nummer. G.Neumann – den Namen hatte Alex nicht vergessen. Ein mittel-großer, farbloser Beamtentyp, Bankprokurist. Hatte ihm damals die Telexe gezeigt, die Bankbegriffe und Abkürzungen erläutert. Alex hatte nur eines kapiert: Der Scheck von Abdul konnte nicht eingelöst werden – über 300.000 Mark. Die Regierung von Bahrain hatte Abduls Konto beschlag-nahmen lassen. Palastintrigen – Abdul unauffindbar. Seit heute Mittag kreiste nur ein Gedanke durch seinen Kopf: Waren die beiden nur ganz normale Gauner oder steckte mehr dahinter? Mit zwei Gaunern würde er fertig werden. Aber das war nicht sonderlich logisch. Bei Nachforschungen konnten einfache Fälschungen auffliegen. Und falls mehr dahinter steckte, würde er Verbündete brauchen. Erst aber mußte er mehr wissen. Erst mal die Information und den Schock verdauen. Er bestellte für alle noch eine Runde. Dann bezahlte er und nahm die S-Bahn nach Wiesbaden. Er freute sich auf ein Wiedersehen mit George, den er vom ersten Augenblick gut hatte leiden können. Sie hatten sich in Abu-Dhabi kennen gelernt und später in Nigeria wiedergesehen. Er hatte eine zehnjährige, kinder- wie ereignislose Ehe hinter sich. Sein Job füllte ihn aus. Er war Spezialist für Großkücheneinrichtungen. Sein Einsatz im Ausland beschränkte sich immer auf wenige Wochen. Sein dickes Fell befähigte ihn, die Nörgeleien seiner Frau mit stoischer Ruhe zu ertragen. Bis sie ihm eines Tages mal zu viel gemeckert hatte. Er schrie und drohte nicht – packte einfach seinen Koffer und verließ das Haus. Seine Frau konnte das nicht glauben. Sie stand an der Tür und keifte: „Wenn du jetzt gehst, betrittst du nie wieder dieses Haus.“ Worauf er sie nur ruhig angesehen hatte: „Was glaubst du denn, warum ich gehe?“ Und damit war der Zehnjahresirrtum zu Ende. George lebte jetzt wieder mit einer Freundin zusammen. Sie hatte als Krankenschwester gerade Nachtschicht. Es wurde ein langer Abend mit vielen Flaschen und vielen ‚weißt du noch?‘ – ein richtiger Männerabend. Sentimental und nützlich – denn er drängte die Probleme in den Hinter-grund. Als die Gespräche eine philosophische Wendung nahmen, hatten sie schon fast die nötige Bettschwere. „Alex, du hast ja schon beinahe erwachsene Kinder. Wie ist deine Meinung über Erziehung? Meine Freundin will unbedingt noch eigene Kinder, und bevor wir was ansetzen, will ich mit ihr einen gemeinsamen Weg in der Kindererziehung finden. Ihr Wunsch überraschte mich, aber mittlerweile hab ich mich mit der Idee angefreundet. Sie will sich im Alter nicht als unfruchtbarer Acker fühlen. Gute Formulierung, was?“ Alex dachte eine Weile nach. „Erziehung ist wie ein Balanceakt auf dem Drahtseil. Du mußt zwar eine gerade Linie verfolgen, aber auf jedes Schwanken reagieren. Jedes Kind ist anders. Unsere Tochter zum Beispiel klettert auf jeden Baum, ist zu jedem Unsinn aufgelegt – will immer mit dem Kopf durch die Wand. Der Junge hingegen ist vorsichtig, schaut sich erst den Baum an und überlegt, ob er da nicht eventuell herunterfallen könnte. Grundsätzlich würde ich sagen, man soll den Kindern gewisse Grenzen ziehen – ihnen innerhalb dieser aber soviel Freiraum wie möglich lassen.“ „Was meinst du mit Grenzen?“ „Ich meine“, definierte Alex, „ein paar grundsätzliche Regeln, von denen sich vieles ableiten läßt. Beispielsweise hilfsbereit und höflich zu alten Menschen zu sein – sich kein Unrecht gefallen zu lassen – zu wissen, daß die eigene Freiheit bei der des Nachbarn aufhört, und so weiter.“ „Meine Martina glaubt, die antiautoritäre Methode sei die beste“, warf George fragend ein. „Ganz ohne Regeln geht es nicht“, meinte Alex, „Kinder probieren dauernd aus, wie weit sie gehen können. Und wenn die Eltern sich nicht einig sind, oder mal so und mal so entscheiden, dann herrscht im Nu das schönste Durcheinander. Ebenso wichtig sind nachher die Schulen. Meiner Meinung nach sind die Waldorf Schulen bei uns das Beste. Sie haben nur ein Manko: Erziehung zum agressionslosen Verhalten. Solange es auf der Welt aber Neid, Gier und Mißgunst - also eine Wolfsmentalität – gibt, sind diese Kinder durch solche Erziehung benachteiligt.“ „Na, bis dahin läuft noch eine Menge Wasser den Rhein hinunter“, lachte George, „aber wenn überhaupt, wird es langsam Zeit – meine Kinder sollen nicht Opa zu mir sagen.“ Alex schlief auf der Couch und wurde am nächsten Morgen von Kaffeeduft geweckt. Martina war von ihrer Nachtschicht heimgekommen und hantierte in der Küche. Alex schlich sich ins Bad, damit der erste Eindruck von ihm nicht allzu übel ausfiele. Es wurde eine lustige Frühstücksrunde und Alex mußte versprechen, bald wiederzukommen. Er fuhr bis Bad Homburg, sah sich im Bahnhof den Stadtplan an, ging durch die Altstadt, durch den Kurpark und am Spielkasino und dem Tennisplatz vorbei. Es war ein sonniger Altweibersommer, und der Thai-Tempel glänzte golden inmitten der alten Bäume. Auf dem Hügel am Wald wohnte überwiegend die Geldaristokratie von Frankfurt. Ihre Häuser hatten sie in Festungen verwandelt. Wahrscheinlich – dachte Alexander – durchstreifen Detektive die Gegend, um Einbrecher und deren Kundschafter rechtzeitig zu erkennen. Die wirklich wichtigen Dinge im Leben kann man zwar mit Geld nicht kaufen – aber Geld macht doch eine Menge möglich. Alexander las das Schild an der Gartentür: W.H. – kein Name, sondern nur die Initialen. Aber die Straße und die Hausnummer stimmten. Langsam ging er an dem Grundstück vorbei. Das Haus war unscheinbar und dennoch gediegen. Ringsum ein kleiner Zierrasen, schmiedeeiserner Gartenzaun und dahinter mannshohe Büsche. Keine auffällige Alarmanlage auf dem Dach – aber sowas war ohnehin nur für Amateure. Die wirklich effektiven Alarmanlagen melden Eindringlinge lautlos zum nächsten Polizeirevier. So, das mußte erst einmal genügen. Blieb nur noch die Frage, wie und wo Fox den Namen erfahren hatte. Er ging die Parallelstraße zurück und begegnete zum zweiten Mal einem Mann mit dem Gesicht eines englischen Bullterriers. Alex stellte in Gedanken fest: Dies ist die einzige Gerechtigkeit auf Erden, daß die Gesichter wie die dazu gehörenden Menschen werden. Sicher ein ehemaliger Kripo-Mann, der hier seine Pension aufbessert. Und gewiß nicht der einzige. Durch den Park ging er zurück zur Spielbank, las am Eingang auf einer schwarzen Marmortafel die Öffnungszeiten ab und begab sich dann für einige Stunden in die Taunus-Therme. Am Eingang hatte er sich Badetuch, Shampoo und Seife gekauft. Danach besichtigte er zuerst die obere Etage mit den Sonnen, Whirlpools und Bräunungsliegen. An der Bar trank er einen Kaffee, und mit Interesse besah er sich die gutge-wachsenen, nackten Frauen, welche die verschiedenen Serviceeinrichtungen wahrnahmen. Einige Male fing er interessierte Blicke auf. Er seufzte und erkundigte sich nach einem Telefon, ging zum Apparat auf der inneren Galerie und rief Brigitte an. Diesmal wurde er sofort verbunden und hörte gleich ihr erfreutes „Hallo!“ „Selber hallo“, sprach er in die Muschel, „hast du Zeit für mich? Ich vermisse dich sehr.“ „Hoffentlich“, lachte sie, „wo bist du denn?“ „In der Taunus-Therme in Bad Homburg. „Na, dann kann ich mir vorstellen, warum du mich vermißt.“ „Dann würde ich mich an deiner Stelle beeilen – sonst erliege ich womöglich noch der Versuchung.“ „Das darf ich auf keinen Fall zulassen“, kicherte sie, „wo finde ich dich?“ „Im Restaurant oder im Kino, beide sind in der unteren Etage.“ „Ich weiß, war schon mal dort. Bis in einer Stunde. Ich liebe dich.“ Es machte ‚klick‘, und er war glücklich. Er sah über die Brüstung nach unten auf das riesige Schwimmbecken mit seinen Natursteininseln, Wasserfällen und der künstlichen Bepflanzung. Die Innengestaltung hätte man nicht besser hinkriegen können, dachte er, aber die Pflanzen könnten ruhig echt sein. Erst jetzt sah er das Schild: Untere Etage bitte nur in Badehose betreten. Noch mal rausgehen und eine kaufen – das war ihm zu umständlich. Deshalb ging er zur Badeaufsicht und fragte nach den Fundsachen. Vor einigen Tagen hätte er seine Badehose vergessen. Eine ältere Dame zeigte ihm einen Raum – vollgepackt mit Bällen, Ringen, Bademänteln und zwei großen Kisten. Eine voller Bikinis, die andere voll mit Badehosen. Dort suchte er sich eine dunkelblaue in passender Größe heraus; dann bedankte er sich. Nun ging er nochmals in den Duschraum, wo er die Badehose gründlich einseifte und ausspülte. Die restliche Wartezeit vertrieb er sich mit einigen Runden im großen Becken. Brigitte wollte er hier unten erwarten. Eine schöne Frau ist in spärlicher Bekleidung aufregender als vollkommen nackt - dachte er bei sich. Als die Stunde nahezu um war, schwamm er nur noch im hinteren Teil des Beckens nahe dem Restaurant. Sie kam langsam am Rand entlang und sah sich suchend um. Er winkte ihr und schwamm zur Treppe. Sie sah hinreißend aus in ihrem dunkelroten Bikini – mit ihren halblangen, blonden Haaren. Auf der obersten Treppenstufe erwartete sie ihn. „Mein Apoll entsteigt den Wogen“, lachte sie, dann küßte sie ihn heiß und drängend. „Und wo können wir uns richtig begrüßen?“ – flüsterte sie ihm fragend ins Ohr. Er blinzelte ihr zu und sagte: „Komm mit“, nahm sie an der Hand und schlenderte mit ihr in die obere Etage. Am Eingang zum Sauna-bereich zogen sie ihre Badesachen aus und legten sie in eines der Holz-regale. Nur noch mit dem Badetuch versehen (sie hatte auch eines dabei) zog er sie in die Dampfsauna. Diese war kaum besucht, und durch den starken Dampf konnte man kaum einen halben Meter weit sehen. Sie legten ein Badetuch auf die umlaufende Sitzbank und setzten sich darauf. Gedämpftes Gemurmel irgendwo im Raum – sie waren allein, wie auf einer Insel. Sie küßten sich. Ihre Hand streichelte die Innenseite seines Schenkels – sein kleiner Bruder begann sich zu regen. Ihr Atem wurde heftiger. Ohne den Kuß zu unterbrechen, drehte sie sich herum und setzte sich rittlings auf seinen Schoß. Wie selbstverständlich glitt er in sie. Sie bewegte langsam ihren Unterkörper und seufzte lustvoll. Die Spitzen ihrer Brüste rieben sich im Rhythmus ihrer Bewegungen an seiner Hand. Ihr Seufzen wurde zum Stöhnen. Ihre Fingernägel krallten sich in seinen Rücken. Schließlich wurde ihr Körper schlaff und sank in sich zusammen. Langsam wurden beider Atemzüge wieder normal. „Schlaf nicht ein“, neckte er sie. „Noch ein paar Minuten, dann bin ich wieder da. Weißt du noch: Unsere Sonntagmorgen-Gymnastik ? Ich war gleich danach aufgestanden, weil ich zur Toilette mußte. Mir wurde ganz schwindelig – wie betrunken bin ich herumgetorkelt.“ „Ist hier doch beinahe ein idealer Platz“, lächelte er, „sogar eine Dusche ist dabei.“ Sie aßen im Restaurant einen Erbseneintopf, schwitzten in zwei der sieben Saunen, sahen sich im Kinoraum den Film an, schwammen ein paar Runden und saßen am Ende zufrieden noch etwa eine halbe Stunde im Whirlpool. Als sie vor dem Eingang standen, fragte Alexander: „Hast du Lust auf einen Spaziergang? Einen solch schönen Platz findest du in unseren zubetonierten Städten nicht mehr oft.“ „Gern“ – sie hakte sich bei ihm ein, „dabei kannst du mir gleich erzählen, was du gestern getrieben hast.“ Er erzählte von seinem Besuch bei George, erwähnte aber Fox nicht. „Hast du viele solcher Freunde wie George? Deine Arbeitskollegen im Ausland müßten doch eigentlich eine ähnliche Geisteshaltung besitzen, Abenteurer und Individualisten!“ „Die Motive sind so verschieden wie die Menschen. Nur tritt im Ausland der Charakter stärker zutage, wenn man längere Zeit auf einander angewiesen ist. Tags bei der Arbeit und abends im Camp kann sich keiner auf Dauer verstellen, und nach einiger Zeit weiß man schon im voraus, wie jeder reagieren wird. Man kennt jeden Lebenslauf, jeden Witz und jede Schwäche. Viele beginnen zu saufen, andere werden irgendwie seltsam. Du kannst dabei die absonderlichsten Dinge erleben.“ „Ich dachte“, unterbrach ihn Brigitte, „in den strenggläubigen Moslem-staaten gibt es keinen Alkohol?“ „Ist schon richtig. Aber wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Es gab Typen, die konnten ein Wässerchen destillieren – da warst du von den Socken. Was besseres kannst du hier im Laden auch nicht kaufen. Man nannte dieses selbstgebraute Zeug ‚Satiki‘ und das heißt ‚Freund‘. Es wurde natürlich auch viel geschmuggelt. Die Baustellen erhielten laufend Material in Lastwagen oder per Seetransport, und in manchen dieser Container waren vorher Verstecke verabredet worden. Schinken beispielsweise gibt es dort auch nicht, weil Schweinefleisch ver-boten ist, und nach einiger Zeit entwickelt man auf bestimmte Dinge einen wahren Heißhunger. Die religiösen Vorschriften kommen manchen komisch vor – aber sie haben schon ihre Berechtigung. Alkohol bei dieser Hitze ist äußerst schädlich, und im Schweinefleisch gibt es Trichinen. Eine amtliche Kontrolle wie bei uns existiert nicht und würde wohl auch kaum funktionieren. Ich erlebte so viele seltsame Sachen. Die meisten fallen mir aber erst dann wieder ein, wenn ich ein passendes Stichwort höre. Was mich immer wieder ärgerte, war das Verhalten der meisten Deutschen im Ausland. Muß wohl am Volkscharakter liegen. Den Spruch ‚Ich fürchte mehr als Sturm und Wind, Deutsche, die im Ausland sind‘, gibt es schon lange. Sie stolpern tölpelhaft durch die Gegend, stoßen jeden vor den Kopf und machen sich gegenseitig das Leben schwer. Ganz ohne Sinn und Verstand – anstatt zusammen zu halten und sich gegenseitig zu helfen.“ „Das kann ich kaum glauben“, unterbrach ihn Brigitte, „denn es bringt doch nur Nachteile.“ „Rational ist das auch nicht erklärbar“, entgegnete Alex nachdenklich, „ich habe schon oft darüber nachgedacht, bin aber zu keinem Ergebnis gekommen. Ein typisches Beispiel ist folgender Fall: In Dubai saß ich in einem Hotel. Das war bekannt für sein gutes arabisches Essen. Kamen vier Deutsche rein. Im Vertrauen darauf, daß niemand sie versteht, oder auch in purer Gedankenlosigkeit sagte einer: ‚Mal sehen, wie der Schweinefraß hier ist‘. Sie setzten sich neben mich, und ich konnte mich nicht beherrschen und sagte denen meine Meinung. Nach ihrem Benehmen würde jeder Deutsche und auch unser Land beurteilt. Sie waren der Meinung, von den anwesenden Arabern verstünde doch keiner unsere Sprache, und ich solle mich um meinen eigenen Kram kümmern. An einem der Nachbartische erhob sich ein älterer Araber, trat an den Tisch der vier und sagte in fließendem, einwandfreien Deutsch: ‚Meine Herren, wenn Sie sich nicht benehmen können, wäre es besser, das Lokal zu wechseln‘. Sie wechselten das Lokal – du hättest mal ihre Gesichter sehen sollen. Das war ihnen bestimmt eine Lehre. Wir dürfen uns nicht erhaben dünken, nur weil diese Länder nicht unseren technischen Standart haben. Diese Menschen lassen sich nicht hetzen, haben viel Zeit, um über sich und die Welt nachzudenken und abzuwägen, was für sie wichtig und notwendig ist. Schau dagegen bei uns, ob in der Fabrik oder im Büro, auf jeder Stufe der Leiter. Alle sind total gestreßt – mehr Wachstum, mehr Umsatz, mehr Profit. Irgendwo gibt es doch zwangsläufig eine Grenze. Die Menschen können doch nicht unendlich konsumieren und den Konsum unaufhörlich steigern. Kaum ein Mensch bei uns findet die Zeit, über den Sinn seines Tuns nach-zudenken und darüber, wie er lebt und ob sein Leben überhaupt die Qualität hat, die es haben könnte.“ „Aber viele denken doch schon in diese Richtung: Aussteiger, alternative Handwerksbetriebe, Biobauern.“ „Natürlich, die Anfänge existieren; wurde ja auch höchste Zeit. Erst kam die Freßwelle, dann die Konsumwelle – damit war der Nachkriegs-Aufholbedarf erst mal gestillt. Jetzt ist gerade die Qualitätswelle dran und danach kommt die große Ratlosigkeit. Die Kirchen sind verbeamtet – die Menschen laufen zu den Sekten, weil sie dort noch oft die vermißte menschliche Wärme finden.“ „Was meinst du mit Qualitätswelle?“ – fragte Brigitte. „Sieh dich in der Wirtschaft um. Die Firmen, die gute Produkte liefern und einen guten Service bieten, haben gut zu tun. Nimm mich selbst: Mein Schrank ist voll, und ich kaufe mir nur noch etwas, wenn es mich ganz besonders anspricht. Und dann seit Jahren nur beste Qualität, das hält ewig. Viele Frauen gehen dazu über, sich nicht nach der Mode, sondern ihrem Typ entsprechend zu kleiden.“ Inzwischen war es dunkel geworden – sie gingen an Harris Haus vorüber. Dies war der Zweck seiner Übung gewesen. Alex wollte in unverdächtiger Begleitung einen Eindruck bei Dunkelheit gewinnen. Im Erdgeschoß brannte Licht hinter den dichten Vorhängen. Die Garage war geschlossen, und über der Haustür brannte eine Ampelleuchte. Am Vormittag hatte Alexander ein Hinweisschild zu einem Restaurant gesehen. Er fragte einen Spaziergänger danach. Es war nicht mehr weit und erwies sich als überraschend gemütlich und preiswert. Sie aßen eine Kleinigkeit und wanderten dann zurück. Das Haus von Harris war unverändert wie vorhin. Alex prägte sich die Lage der Straßenlaternen und der anderen Lichtquellen ein. Sie kamen an Brigittes Auto an und fuhren los. „Heute abend bin ich zu einer Party eingeladen. Hast du Lust mitzukommen, Alex?“ „Kommt darauf an, Gitta. Auf die Leute und auf die Art der Party.“ „Es ist immer sehr interessant. Ein Studienkollege gibt die Party und lädt immer kontroverse Typen ein. Das ergibt lustige Streitgespräche. Aber immer sehr höflich und nicht aus dem Rahmen fallend.“ „Ist gebongt – kommst du später noch mit zu mir?“ „Was meinst du, warum ich dich abhole? Ich hoffe doch, das vorhin in der Sauna war lediglich die Vor-speise.“ Sie hielten gerade vor einer Ampel. Alex beugte sich rüber zu ihr, küßte sie und fuhr mit seiner rechten Hand unter ihren Rock. Stöhnend zerwühlte sie sein Haar. Hinter ihnen wurde gehupt – die Ampel war grün geworden. Brigitte schubste ihn zurück in seinen Sitz. „Du verrückter Kerl, gleich werde ich alle Hebel verwechseln – aber ich mag es.“ Mitten in der Stadt stoppte sie auf einem Parkstreifen. Er sah sie erstaunt an. „Keine Villa im Grünen?“ – fragte er. „Nein“, lachte sie, „ein Penthaus ganz oben“, und zeigte auf das größte Hochhaus. „Er heißt Horst Weller und liebt es gern zwanglos. Zwar könnte er auch im Grünen wohnen – denn er hat einen Bungalow in Bad Soden geerbt. Aber er ist halt praktisch, will nicht jeden Tag mehrmals den weiten Weg zur Stadt und zurück fahren.“ „Manche haben es gut – erben schon mal eine gute Grundlage. Für die meisten aber gilt: Wer nichts erheiratet und nichts ererbt, der bleibt ein armes Luder, bis er sterbt“, grinste Alex, „aber dafür kennen die auch nicht den Triumph über einen selbst errungenen Erfolg.“ Sie klingelten, die Rufanlage quakte, Brigitte antwortete und der Türsummer ertönte. Mit dem Lift fuhren sie nach oben, wo sie von einem sportlich gekleideten Mann in Empfang genommen wurden. „Ich freue mich, daß ihr kommen konntet. Und Sie sind also der Abenteurer? Wir müssen uns nachher natürlich unterhalten – ich war mal ein halbes Jahr in Kabul, um meine Tochter dort aus dem Gefängnis zu holen.“ „Wie war sie dort hineingeraten?“ Alex war interessiert. „Sie war nach Poona ausgerissen, und auf einmal erhielt ich ein Telegramm von der deutschen Botschaft in Kabul. Aber wir reden nachher weiter.“ Die Lifttür öffnete sich schon wieder. Brigitte nahm Alex beim Arm und stellte ihn einigen Leuten vor. Sie versorgten sich mit ein paar Appetithäppchen und gefüllten Gläsern und gingen aufs Dach. Der Ausblick auf das Lichtermeer von Frankfurt war atemberaubend. Die Scheinwerfer der Autoschlangen krochen durch die Straßen wie Tausendfüßler. Der Lärm drang gedämpft durch die Häuserschluchten zu ihnen hoch. Alex blickte nach oben – kein Stern war zu sehen. „Diese Wohnanlage“, sagte er zu Brigitte, „wird ihn zehn Jahre seines Lebens kosten. Ich sah Frankfurt mal am Tag aus einiger Entfernung durch ein Flugzeugfenster. Die gesamte Stadt lag unter einer Dunstglocke – Smog. Wenn du die Sterne über Arabiens Wüsten oder den Dschungeln von Afrika gesehen hast – und hier siehst du nur ein müdes Flimmern, dann merkst du erst, was der Fortschritt wirklich kostet.“ Sie gingen wieder in das große Wohnzimmer und beteiligten sich an verschiedenen Gesprächen über Politik, Kunst, Skandalen und vielem andern Themen. Alex kam mit einem mittelgroßen, weißhaarigen, älteren Herrn mit scharf geschnittenen Gesichtszügen ins Gespräch. Brigitte hatte sie vorgestellt. Er hieß Max Scheller und war Rechtsanwalt – Strafverteidiger und seit Kriegsende in Frankfurt. „Was treiben Sie so, junger Mann?“ – fragte er Alex. „Ich suche nach dem Sinn des Lebens“, grinste Alex, „und wenn ich damit nicht weiter komme, bin ich Ausbaubauleiter für internationale Spitzenhotels.“ „Da haben Sie sich aber viel vorgenommen. Und Ihr Beruf ist gewiß auch recht interessant.“ „Ich bin zufrieden – man lernt dadurch Land und Leute kennen. Mein erstes Auslandshotel richtete ich in der Schweiz ein, in Chur. Ein Stückchen weiter in den Bergen bei Illanz entspringt der Rhein. Dieses ganze Tal war in früheren Jahrhunderten eine Nord-Süd-Heerstraße. Dort wird noch eine Abart des alten Latein gesprochen, das Rätoromanisch. Das Komische: In den Seitentälern, die vom Haupttal abgehen, spricht man ein altes Deutsch wie in den ersten Bibeln. Die Einheimischen erklärten mir den Sachverhalt folgendermaßen: Als Kaiser Barbarossa dort auf seinem Kreuzzug durchkam, ließ er an jedem Paß eine Wache zurück. Quasi zur Sicherung eines reibungslosen Rückmarsches. Nun ersoff er aber in Kleinasien und das heimkehrende Heer nahm einen anderen Weg über Ungarn. Und seit diesen Zeiten also sitzen diese Kerle dort und verzogen sich in die Seitentäler – samt ihrer Sprache.“ Der alte Herr sah Alex prüfend an, ob der ihn nicht vielleicht auf den Arm genommen habe. Alex fuhr heiter lächelnd fort: „Sie kennen doch die Frankfurter Szene und sehen sicher auch etwas hinter die Kulissen. Weshalb gelingt es ein paar ausländischen Spekulanten, in dieser Stadt ein Riesenvermögen zu ergaunern? Sind die deutschen Geschäftsleute alle Flaschen?“ „Wieso sprechen Sie von Ergaunern?“ „Na, bei Gewinnen von fast hundert Millionen Mark in kürzester Zeit kann man wohl nicht mehr von verdienen reden.“ „Sie meinen die internationale Politmafia?“ – und als Alex nickte, „das ist relativ einfach. Will ein Mitglied dieser Geheimgesellschaft erfolgreich sein, muß er mehr Widerstände überwinden als ein normaler Bürger. Das schärft den kritischen Verstand. Und ein kritischer, wendiger Verstand, über Jahrhunderte hindurch trainiert, muß den satten, zufriedenen Bürgern überlegen sein. Dazu kommt noch enorme gegenseitige Hilfe, Druck, Erpressung und Bestechung – die kennen keinerlei Skrupel gegenüber Ungläubigen.“ „Hier in dieser Stadt gibt es doch eine starke nationale Strömung. Darüber würde ich mich gerne informieren. Zuvor aber hätte ich doch noch einige Bemerkungen zur Religionsfrage loszuwerden: Wenn es einen Gott oder ein jüngstes Gericht gibt, dann wird ein jeder nicht nach den Dingen beurteilt, die engstirnige Priester für Sünden halten – sondern nach seinem Verhalten gegenüber seinen Mitmenschen und ob er wohl seine persönlichen Möglich-keiten ausgeschöpft hat. Das eine bedingt das andere. Mitleid und Hilfe bei Katastrophen sind in Ordnung. Aber permanente Hilfslieferungen an Völker, die keinerlei Anstrengungen unternehmen, ihre Probleme in den Griff zu bekommen, stellen reine Dummheit oder Machtpolitik dar, denn sowas erzeugt Abhängigkeit und Trägheit. Die Fleißigen und die Klugen sollen für die Dummen und Faulen sorgen? Und mit Möglichkeiten ausschöpfen meine ich, daß jeder die Pflicht hat, sein Bestes zu geben und nicht als Parasit zu leben. Ein Handwerker hat gute Arbeit zu leisten, ein Ingenieur hat nützliche Dinge zu konstruieren und nicht irgendwelchen Mist, der lediglich den Umsatz seiner Firma hebt und dabei die Umwelt schädigt. Ein Wissenschaftler sollte für eine bessere Welt forschen und nicht für alternative Vernichtungswaffen. Ein Bauer sollte seine Produktion mit der Natur im Einklang halten. Ein Beamter sollte ein Diener des gesamten Staatsvolkes sein und sich nicht als selbstherrlicher Unterdrücker aufspielen. Ein Richter sollte den Menschen und seine Situation beurteilen und Paragraphen lediglich als Hilfsmittel benutzen. Und Reporter schließlich sollten Fakten berichten und nicht Lügen verbreiten. Die Menschen und die Welt sind leider nicht vollkommen. Aber jeder kann in seinem Bereich ein klein wenig dazu beitragen, die Welt etwas besser und schöner zu gestalten. Das Maß allen Strebens sollten der Mensch und seine Umwelt sein – nicht Macht und Geld. Denn die wirklich wichtigen Dinge im Leben kann man nicht kaufen.“ Der alte Herr sah ihn interessiert an, nickte zustimmend und fuhr dann mit dem zuvor angeschnittenen Thema fort: „Hier gibt es alles mögliche: dumpfe Heldenverehrung, Unverbesserliche, die nicht differenzieren kön-nen, und auch patriotische mit guten Programmen. In welche Richtung: Kosten-Nutzen. Und zwar zum eigenen Nutzen bei ausgewogener Vertei-lung. Nicht nur auf ein paar Taschen.“ Herr Scheller zog eine Visitenkarte aus seiner Blazertasche und gab sie Alex mit den Worten: „Kommen Sie mal vorbei. Ich suche ein paar Adressen heraus, und wenn Sie sich umgesehen haben, unterhalten wir uns ausführlich.“ Einige Verbündete zu finden – dachte Alex, wird wohl nicht schwer sein. Im weiteren Gespräch entdeckten sie auch andere gemeinsame Über-zeugungen, wodurch sie sich rasch näher kamen. Alex sah das Winken des Hausherrn und ging quer durch den Raum zu dessen Gruppe. „Sie sind ja schon ganz schön herumgekommen. Welche Auffassung vertreten Sie zu unserer Entwicklungshilfe?“ – wurde Alex gefragt. Die anderen Umstehenden, ein Mann und zwei Frauen in mittleren Jahren, sahen ihn gespannt an. „Meine Gefühle sind gemischt“, antwortete Alex, „ich muß wohl ein wenig ausholen: Die wirklichen Motive zur Entwicklungshilfe liegen in politischer und wirtschaftlicher Einflußnahme begründet. Eine andere Motivation würden die Empfänger auch kaum verstehen. Dazu ein Beispiel: Die Entwicklungshilfe des früheren Ministers Bahr war an keinerlei Bedingungen geknüpft. Ein klassischer Fall dafür, wie Idealisten Unheil anrichten: Wir geben ihnen Hilfe – sie treten uns dafür vors Schienbein. Wir geben ungeniert weiter, und sie halten uns für Idioten oder vermuten hinter unserer Haltung einen finsteren Grund. Ein Geschäft auf Gegenseitigkeit verstehen sie. Das einzige, was den Entwicklungsländern wirklich hilft, ist die Hilfe zur Selbsthilfe – nicht aber Prestigeobjekte. Natürlich muß eine genaue Kontrolle sein. So mancher Experte vor Ort geht seinen persönlichen Motiven nach und begründet mitunter äußerst trickreich die Fortführung eines Projektes, das eigentlich schon längst sinnlos geworden ist. Dann ist auch die Mentalität der Empfänger zu berücksichtigen. Wird irgendwo ein Notstand ausgerufen, und rollt daraufhin die Hilfe an, merken diese Menschen schnell, daß sie nur laut genug zu schreien brauchen, um ohne Arbeit gefüttert zu werden. Das kann dann sehr schnell zur Gewohnheit werden. Beispiel Äthiopien: Riesige Mengen von Hilfsgütern liefert der Westen. Die kommunistische Militärjunta gibt für ihre Zehnjahresfeier Hunderte von Millionen Mark aus, bestellt in England ganze Flugzeug-ladungen Whiskey und verlangt für die Hilfsgüter auch noch Zoll. Mit einem Großteil davon wird die Armee sogar verpflegt. Die müssen uns doch für total vertrottelt halten.“ „Aber die Hilfsgüter werden doch von den kirchlichen Organisationen verteilt“, warf eine Dame ein. Alex grinste spöttisch. „Die Kirche hat andere Prioritäten. Die Priester vor Ort können die einfachen Menschen mit Nahrungsmitteln beeindrucken und für die Kirche gewinnen. Wer weiß, welche Kuhhändel hinter den Kulissen auf höchster Ebene vereinbart werden mit der Drohung, die Lieferungen zu stoppen.“ Die ersten Gäste brachen langsam auf, und Brigitte löste sich von ein paar Frauen – alle sehr elegant, intelligent und unterkühlt wirkend. Beim Herum-schlendern hatte Alex einige Sätze aufschnappen können – Frauen-befreit-euch-Themen. Brigitte sah ihn fragend an und sagte: „Ich möchte dich ein paar Freundinnen vorstellen. Aber werde bitte nicht gleich aggressiv, wenn sie ihre feministischen Meinungen darlegen.“ „Mit Frauen streite ich nur, wenn ich persönlich angegriffen werde, sonst sind sie doch sehr nützlich.“ „In welcher Beziehung?“ – fragte eine aus der Gruppe, die die letzten Worte mitbekommen hatte. „Also erstens sind Frauen für das Weiterbestehen der Menschheit absolut notwendig – und zweitens für mich persönlich als Lustobjekt.“ Womit er natürlich voll ins Wespennest gestochen hatte. Die Damen um ihn herum schnappten gemeinsam nach Luft. „Aber“, fuhr Alex fort, „das beruht natürlich auf Gegenseitigkeit. Erwählt ein ansehnlichen Weib mich zum Lustobjekt, fühle ich mich geschmeichelt und versuche, den in mich gesetzten Erwartungen gerecht zu werden.“ Er hatte die Damenriege vollkommen aus dem Konzept gebracht – sie wurden abwechselnd blaß und rot und setzten mehrmals zum Reden an. Da aber der Angriff die beste Verteidigung ist, sprach Alex gleich weiter: „Ich möchte ihnen ein Beispiel zum Nachdenken geben, wie Völker ihre eigene soziale Ordnung finden. In Westafrika, ich weiß es von Togo, aber in den Nachbarländern soll es sich ebenso verhalten, gibt es seit langem einen Frauenüberschuß von eins zu drei. Deshalb teilen sich dort auch drei Frauen einen Mann. Die Frauen in diesem Gebiet waren schon immer sehr selbständig. Vor einigen hundert Jahren gab es gefürchtete Amazonenheere. Heute beherrschen die Frauen den gesamten Handel – die Männer haben nicht viel zu sagen. Sie werden unterhalten und haben nur zwei Funktionen: Erzeuger und Beschützer der Kinder zu sein. Arbeiten müssen sie nicht. Von ihren Frauen erhalten sie soviel Geld wie nötig. Manche Europäerin, die dort heiratete, fiel aus allen Wolken, als sie in der Heimat ihres Mannes ankam und dann arbeiten und den Mann unterhalten sollte.“ Brigitte machte ein ungläubiges Gesicht. „Jetzt willst du uns aber verschau-keln?“ „Aber nein.“ Alex lachte über die entrüsteten Gesichter. „Denkt doch an Tibet. Dort herrscht Frauenmangel. Eine Frau hat mehrere Männer, und das funktioniert auch. Die EmmaMasche, pausenlos die Männer anzugreifen, ist auch nicht das Wahre. Wenn man irgendwas will, muß man es sich erkämpfen. Dabei sollte man aber auch bedenken, was man eventuell verlieren könnte. Oder wollt ihr keine Blumen mehr geschenkt bekommen und nicht mehr in den Mantel geholfen – und auch auf die vielen anderen kleinen Aufmerksamkeiten verzichten?“ Er sah fragend in die Runde. Hiermit hatte er nun einen Nebenkriegsschauplatz geschaffen. Das weitere Gespräch drehte sich darum, welche Dinge man für die Gleichberechtigung der Frau aufgeben wolle, könne oder müsse. Kurz nach Mitternacht verab-schiedeten sie sich, und der Gastgeber sagte bedauernd: „Jetzt kam ich immer noch nicht dazu, Ihnen von meinen Erlebnissen in Kabul zu erzählen. Das holen wir aber demnächst mal nach.“ Alexanders Hotel lag in einer ruhigen Gegend, und sein Zimmer befand sich in der zweiten Etage. Der Lift machte einen ziemlichen Lärm – deshalb gingen sie zu Fuß die Treppe hoch. „Mein Sohn wird mich langsam für einen Nachtfalter halten“, lächelte Brigitte. Fast schon wie ein Ehepaar zogen sie sich aus und gingen zusammen unter die Dusche und trockneten sich dann gegenseitig ab. Vom heißen Wasser und der steigenden Erregung rosig glühend, sanken sie engumschlungen auf das breite Bett. Alex war kein besonders ausdauernder Liebhaber – aber er fand immer für jedes Problem eine brauchbare Lösung. Deshalb erlebten die meisten Frauen die Liebe mit ihm als rauschhaften Taumel der Sinne. Brigitte hatte inzwischen gelernt, sich bei ihm völlig gehen zu lassen. Als sie anfing, spitze Schreie auszustoßen, verschloß er ihr mit einen langen Kuß den Mund. Das steigerte ihre Erregung und bewahrte ihren Zimmer-nachbarn einen ruhigen Schlaf. Als die Schauer der Erregung abebbten, fuhr er im Nachspiel mit der Zunge zwischen ihren Brüsten nach unten. Ein Schweißfilm bedeckte ihren ganzen Körper – sie wand sich wohlig. „Du schmeckst salzig“, murmelte er. „Einmal täglich schwitzen soll gesund sein. Ich finde, das hier ist die beste Methode dazu“, lächelte sie ermattet. Nach einer Weile krabbelten sie aus dem Bett, duschten erneut und schliefen anschließend aneinander geschmiegt zufrieden ein. Sie hatte wegen der Party zu Hause Bescheid gesagt, im Büro auf ihrer bequemen Liege schlafen zu wollen. So konnten sie gemeinsam frühstücken. Der Morgen war heiter und sonnig. Sie saßen am Fenster zur Straße und sahen den Menschen zu, wie sie geschäftig ihren jeweiligen Zielen zustrebten. Über den Tisch hinweg sahen sie sich an und lächelten in der Erinnerung an ihr gemeinsames Liebeserlebnis. Beinahe gleichzeitig fragten beide den anderen: „Was hast du heute vor?“ Sie mußten über den Zufall, der eigentlich keiner war, herzlich lachen. „Kurz ins Büro und dann einkaufen. Wenn es klappt, bringe ich meinen Wagen noch zur Inspektion“, fing Brigitte an, „und du?“ „Erst mal zur Zeitung - nach Zuschriften fragen; danach werde ich ein wenig bummeln.“ „Glaubst du, es klappt?“ – fragte sie. „Die Vorteile liegen auf der Hand“, erwiderte er, „aber sicher ist natürlich gar nichts. Mir kommt es manchmal so vor, als ob wir Deutschen lieber auf einen Vorteil verzichten würden, als einem anderen etwas zu gönnen. Bevor ich seinerzeit baute, wollte ich fünf Handwerker suchen, die mit mir zusammen einen Altbau kaufen und modernisieren sollten. Dann hätte jeder eine Eigentumswohnung erhalten – und zwar zum halben Preis. Das war aber einfach nicht machbar. Unmöglich, fünf Mann unter einen Hut zu bekommen. Inzwischen jedoch befindet sich der Mittelstand meiner Idee gegenüber eventuell aufgeschlossen.“ „Aber vielen Handwerksbetrieben geht es doch recht gut. Übertreibst du da nicht ein wenig?“ Alex entgegnete wegwerfend: „Einigen geht es sicherlich gut. Aber viele wissen noch gar nicht, daß sie eigentlich schon pleite sind. Wenn es pro Jahr mehr als 19.000 Pleiten im Mittelstand gibt, bedeutet das die Vernichtung von 200.000 bis 300.000 Arbeitsplätzen. Das wird gar nicht recht registriert. Wackelt aber eine große Firma mit nur einigen tausend Arbeitsplätzen, rennen die Politiker mit Koffer voller Geld an. Großfirmen, die es eigentlich gar nicht nötig hätten, schmeißt man die Subventionen hinterher. Bei uns läuft nun mal vieles verkehrt. Im dritten Reich gab es die Frontbewährung. Hier sollte man die Wirtschaftsbewährung einführen: Alle Beamtenanwärter erst mal ein Jahr lang in der Wirtschaft arbeiten lassen, damit sie begreifen, wie die Steuern verdient werden.“ Sie bestellten sich noch eine Kanne Kaffee, welche sie in gelöster Stimmung tranken. „In zwei Wochen weiß ich mehr. Klappt es nicht, muß ich mir was Neues ausdenken.“ Sie lächelte ihn verliebt an und sagte: „Zwei Wochen mit dir werde ich schon überstehen.“ Er lachte und sagte: „Aber ich werde mich mit den Interessenten meist am Abend treffen müssen. So haben wir gleich eine überschaubare Regelung. Solltest du aber zwischendurch aber mal ganz große Sehnsucht haben: Spät abends bin ich immer hier.“ Ihr Gesicht hellte sich auf. „Top, die Regel gilt.“ Etwas später setzte sie ihn bei der Zeitung ab. Einige Briefe waren eingegangen. Er überflog sie und steckte sie in die Tasche. Ein Anfang – am Wochenende würde er mehr wissen. Alex machte einen Schaufensterbummel und kaufte sich ein Paar Leder-handschuhe. Die Sonne schien, die Luft war mild. Ein paar Straßen-musikanten erzeugten beinahe südländische Atmosphäre. Er zündete sich eine seiner schlanken Zigarren an und genoß den Tag. Zwei Rentner diskutierten über der BILD-Aufmacher „ABGEORDNETE DISKUTIEREN ÜBER HÖHERE DIÄTEN“ – ihre Empörung war einhellig. Alex war zu einem Spaß aufgelegt. Er sagte zu den beiden: „Haben Sie sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, warum das eine Überschrift wert ist? Die könnten ja auch beispielsweise veröffentlichen, wer – sagen wir mal eine runde Summe – pro Tag 50.000 Märker aus seinem Vermögen kassiert, und dann auch noch beschreiben, wie er zu diesem Vermögen gekommen ist.“ Die beiden ratlos dreinschauenden Rentner grinste er dabei an. „Gibt es sowas denn?“ – fragte der eine. „Aber sicher doch. Und weshalb sind Sie nun wirklich gegen die Diätenerhöhung?“ „Ist einfach zuviel“, nuschelte der andere. „Nach meiner Meinung ist das eher viel zu wenig“, widersprach Alex, „ich würde ihnen pro Monat mindestens 30.000 Mark geben, denn dann würden sich auch hochkarätige Leute für den Job interes-sieren. Ein vermurkstes Gesetz, durch unfähige Abgeordnete verabschiedet, kostet mitunter Milliarden. Andererseits müssen aber Beratungsverträge und andere Nebenjobs für Abgeordnete tabu sein, und auf Bestechung muß es bis zu zehn Jahre Knast setzen. Aber so drängen nur Leute mit Beamtenmentalität auf die Abgeordneten-bänke. Und doch wohl keine wirklichen Spitzenleute mit Führungsquali-täten.“ Langsam dämmerte Verständnis in den beiden Gesichtern. Alex schlenderte weiter – sicher, daß die beiden nun hinreichend Gesprächsstoff für den Rest des Tages hatten. Er sah Fox mit einigen seiner Gefährten bei ihren Motor-rädern stehen. „Hallo“, grüßte er und stiftete einen Zehner für eine Runde Bier. Dann zog er Fox etwas abseits und fragte ihn, wie er Harris‘ Namen ermittelt habe. „Im Briefkasten steckte eine Zeitung, doch der Name stand nicht auf dem Aufkleber. Ich hab‘ die Zeitung geklaut und beim Nachbar-haus geklingelt. Gefragt, ob das deren Zeitung sei – und die alte Tante an der Tür wußte natürlich, wie ihr Nachbar heißt.“ „Und weshalb befand sich die Zeitung noch am Nachmittag im Briefkasten?“ „Das hat die Alte mir von ganz allein erzählt, die redete wie ein Wasserfall. Der Harris ging früh aus dem Haus, und die Post kam erst später. Außerdem nimmt der Harris die Post nie in die Finger – dafür hat er einen Butler.“ „Was hat der?“ – fragte Alex ungläubig. „Die Alte sagte ‚Butler‘. Er soll aber alles machen: Rasen pflegen, kochen, putzen. Nur einkaufen geht er nicht. Er ruft im Geschäft an und läßt sich die Sachen ins Haus bringen.“ Leibwächter – dachte Alex, und die Sache mit der Post könnte bedeuten, daß Harris Angst vor einer Briefbombe hat. „Kannst du herausfinden, wie der aussieht?“ „Schon geschehen“, gab Fox leichthin zur Antwort – mit spürbarem Stolz in der Stimme. „Weil die Alte doch das Haus und die Umgebung fast ununterbrochen beobachtet, mußte ich doch so tun als ob – und ich bin dann zurück, um die Zeitung in den Briefkasten zurück zu stecken. Da kam der Butler aus dem Haus. Ich hab ihm das mit der Zeitung erzählt. Er nahm die Zeitung und bedankte sich.“ Also doch ein Leibwächter – dachte Alex. Der schirmt Harris ab und achtet auf Verfolger. Fox darf sich dort nicht mehr sehen lassen. „Beschreib mir diesen angeblichen Butler!“ „Etwa einssiebzig groß, untersetzt, rundes Gesicht, Walroßbart, kaum Hals – der Kopf scheint direkt aus den Schultern zu wachsen, graue Haare, Igelfrisur. Macht einen sturen, beharrlichen Eindruck, breite Handgelenke und Hände wie Bratpfannen.“ Die Beschreibung war gut. Einer von den Typen, die vor Kraft kaum laufen können. „Du bist ja besser als ich dachte“, lobte er Fox und dachte sich dabei, daß ein paar Streicheleinheiten manchmal ganz nützlich und moti-vierend sind. „Und nun zur weiteren Zusammenarbeit. Erleuchte doch mal den Hinter-grund – die wichtigsten Dinge zuerst. Hattest du schon mal mit der Justiz zu tun?“ „Nur mal ein Wochenendkratzer, ansonsten sind wir sauber.“ „Und wo steht ihr politisch – rechts oder links?“ „Weder noch, mit Politik haben wir nichts am Hut“, sagte Fox verächtlich, „ob CDU oder SPD – ist doch Jacke wie Hose. Die einzig Ehrlichen sind doch die Grünen. Die haben zwar `ne Menge Spinner in ihren Reihen, aber keine klebrigen Finger; und sie rutschen nicht auf dem Bauch vor Geldsäcken rum. Manchmal gehen wir zu den Nationalen. Die haben eine dufte Kameradschaft. Aber eintreten in den Verein wollen wir auch nicht. Da herrscht eiserne Disziplin. Wenn da einer mal nicht spurt oder bei einer Aktion keine Lust hat, spricht ein paar Wochen keiner mehr mit ihm. Der wird soo klein mit Hut“, zeigte er mit den Fingern, „und reißt sich künftig dann die Beine aus.“ Ein Weilchen unterhielten sie sich noch so weiter. Fox hatte Schlosser oder Mechaniker werden wollen, aber noch keine Lehrstelle gefunden. Er suchte schon zwei Jahre und verdiente sich das nötige Kleingeld mit Gelegenheits-jobs. Ich verdiente als Lehrling fünfzig Mark im Monat; und damals konnte sich jeder eine Lehrstelle aussuchen, dachte Alex. Dann gingen die Politiker auf Stimmenfang und wollten den Lehrlingen etwas Gutes tun. Heute verdienen sie 500 Mark. Plötzlich kostet ein Lehrling viel Geld und bringt nichts mehr, und dann wundern sich die Idioten, weshalb es keine Lehrstellen mehr gibt. Bald werden Eltern ihren Kindern eine Lehrstelle kaufen müssen. Ein neuer Schwarzmarkt wird sich auftun, und der Spruch vom ‚Lehrgeld bezahlen‘ wird wieder real und zeitgerecht sein. Alex stiftete noch eine Runde Bier und verabschiedete sich für diesen Abend. Er nahm die S-Bahn zum Hauptbahnhof, ging in ein Restaurant, bestellte sich eine Kanne Kaffee und suchte im Stadtplan die Adresse des Bankprokuristen Neumann. Nach der Karte ein ruhiger Vorort. Erst mal die Lage sondieren, dachte er. Dieser Neumann ist sicher das schwächste Glied in der Kette – mit dem richtigen Druck müßte aus dieser Quelle etwas sprudeln. Ein praktischer Mann, den Bahnhof ganz in der Nähe. Alex suchte den richtigen Bahnsteig und wartete auf den Zug. Wenn man Frankfurt nach seinem Hauptbahnhof beurteilt, sind die Deutschen wohl ausgestorben, dachte er. Nach zwanzig Minuten stieg er aus dem Zug und schlenderte durch die stillen Straßen. Zwei- und Dreifamilienhäuser mit gepflegten Vorgärten vermittelten eine Biedermaieridylle. Nummer 26 war ein verschachtelter Bau mit drei Etagen und einer nachgestylten Toreinfahrt. Hier hatte sich wohl ein moderner Architekt ein Denkmal gesetzt. Alex ging durch die Toreinfahrt auf den Hof. Rechts und links waren Garagen angeordnet. Am Ende des Hofes begann eine ungepflegte Wiese mit viel Unkraut und einigen Büschen – in ihrer Naturbelassenheit nicht so recht zu den übrigen ‚typisch deutschen‘ Hausgärten passend. Ein Trampelpfad führte in Schlangenlinien weiter. Wie immer war Alex neugierig. Nach kurzer Zeit endete der Weg in einem Geländeausschnitt – ungefähr vier Meter tief. Unten lief ein Rinnsal aus schwarzer Brühe. Auf beiden Seiten fiel die Böschung steil ab. Über dem ehemaligen Bachlauf lag als Fortsetzung des Bachlaufs des Weges ein Eisenrohr mit mindestens einem Meter Durchmesser. Auf der anderen Seite müßte sich irgendwo ein Bahnhof befinden, dachte Alex. Der Trampelpfad ist eine Abkürzung, und die Metallröhre sicher eine Mutprobe für alle Jungs aus der Umgebung. Die Dämmerung setzte ein. Er ging langsam zurück und überlegte, wo und wie er diesen Neumann wohl abfangen könnte. Ihn erst in seine Wohnung lassen und dann bei ihm klingeln erschien ihm zu riskant. Langsam packte ihn die Erregung. Ich besitze zuviel Phantasie, dachte er, dauernd gehe ich in Gedanken eine geplante Aktion durch und male mir dann aus, was alles schief gehen kann. Sobald es aber losging, war er immer ruhig und gelassen. Er ging am dunklen Hauseingang vorbei. Neben diesem befand sich eine Fahradbox. Alex war fast daran vorbei, als er wie im Unterbewußtsein den Alarm schrillen hörte. Blitzartig sackte er in die Hocke, wobei er überdeutlich, beinahe in Zeitlupe an der Stelle, wo sich gerade eben noch sein Kopf befunden hatte, die Metallkugel eines Totschlägers ein Stück Putz aus der Hauswand fetzen sah. Fast vergessene, eingedrillte Reflexe traten in Aktion. Alex schnellte hoch und hieb mit einem gewaltigen Ruck seinen rechten Ellbogen nach hinten. Er fühlte Rippen bersten und vernahm ein dumpfes Gurgeln. Als er kampfbereit herumfuhr, sank die breite Gestalt langsam in sich zusammen. Hinter ihm schwenkte ein Scheinwerferpaar von der Straße her in die Toreinfahrt. Wenn schon, dann kommt alles zusammen, dachte er ärgerlich. Er packte die Gestalt und zog sie in die hinterste Ecke der Box. Der Wagen fuhr vorbei zu den Garagen. Im seitlichen Licht der Scheinwerfer bestätigte sich sein Verdacht: Der Butler! Das Auto hielt an und eine Tür klappte – ihm blieb nur wenig Zeit. „Weshalb hast du mich angegriffen?“ – fragte er den Mann, den er an der Brust zu sich heranzog, seinen Kopf gegen die Hauswand stoßend. Diesem brachte der kurze Schmerz das Bewußtsein zurück, und Alex wiederholte seine Frage. Unter gurgelndem Stöhnen stieß der Butler hervor: „Drei Mal ist zuviel!“ Danach verstummte er. Schritte näherten sich vom Hof her. Alex drückte dem Butler die Hand auf den Mund. Die Haustür schloß sich, und alles war wieder ruhig. Die Gestalt lag wie ein Bündel Lumpen in der Ecke. Alexanders Verstand arbeitete ruhig und logisch. Eine polizeiliche Untersuchung durfte er nicht riskieren, weil er dann wohl erst mal für ein halbes Jahr in Untersuchungshaft wandern würde. Der nächste heimkehrende Hausbewohner konnte ihn entdecken – Neumann durfte nicht gewarnt werden. Während diese Gedanken in Windeseile durch sein Gehirn rasten, zog er den Butler ins Freie und warf ihn mit einer explosiven Kraftanstrengung über seine Schulter. Er drehte sich suchend um, sah den Totschläger und stieß ihn mit dem Fuß in eine dunkle Ecke. Aufheben war jetzt unmöglich – die Gestalt über seiner Schulter wog mindestens zwei Zentner. Mit schnellen, gleichmäßigen Schritten ging er los und hielt erst an der Metallröhre an. Er ließ den Körper von seiner Schulter gleiten und leerte ihm die Taschen, nahm ihm die Uhr ab und rollte ihn in das ehemalige Bachbett. Schon auf halben Wege war ihm klargeworden, daß er einen Toten trug. Langsam ging er über die Röhre, fand den Bahnhof und fuhr mit der nächsten Bahn zur Stadtmitte. Der Mensch versuche die Götter nicht, dachte er, für heute habe ich mein Glück aufgebraucht. Er sortierte seinen Fund: Eine Brieftasche mit 360 Mark, ein Schlüsselbund, ein Notizbuch und ein Umschlag, der mit ‚Neumann‘ beschriftet war. Alex war allein im Abteil. Er merkte sich die Daten im Ausweis und blätterte das Notizbuch durch: Nur Bemerkungen über Einkäufe und Besorgungen. Er öffnete den Briefumschlag: Ein Blatt mit Namen und Adressen. Alex steckte dieses Blatt, den Schlüsselbund und das Geld ein und warf den Rest aus dem Fenster. Er würde nun ein paar Tage Zeit haben, aber nicht mehr. Rückblende Bochum 1963. Alex stand am Band und schätzte die Entfernung. Sechs bis sieben Minuten, dann würde sein Wagen bei ihm sein. Zeit für eine Zigarette. Einmal im Monat hatten sie sich damals geschrieben. Manchmal verstand sich Alex selber nicht. Einmal war er weitergezogen und hatte sie vergessen – fast ein Jahr lang kaum mehr an sie gedacht. Sie hatte ihn über das Einwohnermeldeamt aufgespürt und eingeladen. Er war überrascht und erfreut gewesen und besuchte sie. Das erste Mal noch unverbindlich – aber beide hatten schon Feuer gefangen. Als der Bund nach ihm rief, wollte er dem Staat das Geld nicht schenken und die beiden heirateten. Die erste Nacht zusammen war ein arge Plackerei gewesen, denn sie war noch unschuldig. Die Hochzeitsreise auf einem HeinkelRoller nach Jugoslawien hatte vier Wochen gedauert. Braungebrannt und buchstäblich mit der letzten Mark waren sie glücklich zurückgekommen – zuversichtlich, alle Probleme des Lebens meistern zu können. Sein Motorrad hatte er verkauft – das wilde Leben war vorbei. Die Autofabrik Opel wurde in Bochum gebaut. Sie suchten Schreiner für die Karosseriekosmetik und zahlten dreihundert pro Monat mehr. Alex mußte nach Preßfehlern suchen und diese bei ungefähr jedem vierten Wagen ausbügeln. Angeblich sollten Schreiner für diese Arbeit am besten geeignet sein. Normalerweise brauchte er etwa fünf Minuten und konnte dann einige Minuten Pause einlegen. War ein Wagen mit vielen Fehlern behaftet, wurde er abgetrieben und brauchte bis zu einer halben Stunde, um an seinen alten Platz zu gelangen. Wurde es zu arg, drückte er mit dem Knie eine große Beule in die Seite, und diese Wagen kamen aufs Reparaturgleis. Alex langweilte sich tödlich. Sein Kollegen kannten keine anderen Interessen als Mädchen, Bier und Fußball. Wenn man denen eine Kugel in den Kopf schießt, dachte er, fliegt sie innen tausendmal als Querschläger hin und her, bis sie das Gehirn findet. Nach zwei Monaten kündigte er und meldete sich zur Meisterprüfung an. Der Meisterkurs lief schon seit einem halben Jahr, und er hatte enorm aufzu-holen. Tagsüber arbeiten – manchmal mit Überstunden, zweimal in der Woche Abendkurse und am Wochenende Hausarbeiten. Für ihn war`s kein Problem, dies alles zu schaffen. Tausende junger, fleißiger Männer strebten nach einem besseren Platz im Leben. Zwei Jahre später hatte Alex dann seine erste Meisterstelle: Abteilungsleiter in einer Möbelfabrik. Sechsundzwanzig Männer und vier Frauen arbeiteten in seiner Abteilung, doch die Frauen bereiteten dreimal soviel Ärger wie die Männer zusammen. Nach längerer Suche hatten sie ein kleines Haus gefunden. Mit Garten, Wiese und Obstbäumen. Ihre Tochter wuchs heran, und ein Sohn hatte sich auch noch eingestellt. Das Gehalt war nicht hoch, aber Alex wurde respektiert, und das Leben war angenehm. Er wollte das gemietete Haus kaufen – mit 20.000 Mark war es preiswert zu haben. Dazu hätte er eine Bürgschaft gebraucht. Sein Chef lehnte ab. Alex begann sich zu langweilen. In der Produktion konnte er nicht höher aufsteigen und zum Betriebsleiter hätte er ein Studium benötigt. Im Verkauf war mehr zu verdienen. Alex konnte gut zeichnen und kalkulieren. Bei einer Einrichtungsfirma fand er einen Job. Sein Chef war nur eine Sprosse auf der Firmenleiter – aber für ihn ein Glücksfall. Oft begleitete er ihn zu Auftragsverhandlungen, weil Alex aus dem Handgelenk kalkulieren konnte. Er plazierte sich bescheiden im Hintergrund und spitzte die Ohren. Seine erste Bauleitung kam zufällig auf ihn zu. Sein Chef drückte ihm eine Fahrkarte in die Hand und sagte: „Ab in die Schweiz nach Arosa. Unser dortiger Bauleiter bekam Streit mit dem Bauherrn und muß die Baustelle verlassen. Zwar ist er im Recht, aber der andere besitzt das Geld.“ Fünfunddreißig Schreiner-Monteure warteten auf seine Anweisungen. Eine Woche lang ging alles gut. Dann verrenkte er sich das Fußgelenk und mußte ins Krankenhaus. Für die Mutter Oberin ließ er eine große Pralinenschachtel und einen riesigen Blumenstrauß bringen, und eine Stunde später befand sich das Krankenhaus fest in deutscher Hand. Seine Bauzeichnungen bedeckten das Bett und stapelten sich im Zimmer. Sein Chef hatte ihm mal auf einer Autofahrt eine Geschichte erzählt: „Kurz nach Kriegsende bin ich raus aus München. Mit einem vollen Ruck-sack zu den Bauern, um uns was zum Futtern einzutauschen. Unterwegs traf ich einen, der besaß lediglich eine Aktentasche. Der fragte mich, ob ich nicht mit ihm mitmachen wollte. Natürlich schlug ich gleich ein – meine Sachen konnte ich immer noch loswerden. Wir kommen also zu einem Bauernhaus, und mein neuer Partner holt aus seiner Aktentasche eine Glühbirne. Die waren damals mehr als selten. Ich sollte also vorne klopfen, die Glühbirne anbieten und dafür mindestens eine Speckseite und zwanzig Eier verlangen. Die Bauersfrau fackelte nicht lange – so happy war sie über die neue Glühbirne. Als ich rauskomme, wartet mein Partner schon auf der Straße. Als ich ihn frage, was nun weiter, macht er seine Aktentasche auf, holt Sandpapier und einen Öllappen heraus und aus der Jackentasche eine verschmutzte Glühbirne. Die solle ich putzen, die hätte eben noch im Stall gehangen. Mit diesem Trick grasten wir allerhand Bauern ab. Und was kann man daraus lernen?“ Er blickte Alexander grinsend an. „Man soll erst denken, bevor man zu arbeiten beginnt“, gab er selbst die Antwort. Und auf dieser Basis verstan-den sich die beiden ausgezeichnet. Zwei Jahre war Alex zufrieden. Dann wurde er langsam unruhig. Das Gehalt war nicht gerade üppig, aber ausreichend. Sich auf die Ochsentour in der Firma hocharbeiten, war nicht sein Fall. Ihm bot sich eine Chance als Fachbauleiter in Arabien. Die Abenteuerlust war dabei sein stärkstes Motiv. Seine Ehe war zur Routine geworden. Noch immer gut und beständig, aber ohne Höhepunkte. Ein Urlaub von der Ehe wird uns beiden gut tun, dachte Alexander und behielt Recht damit. Wie immer informierte er sich auch hier zuvor gründlich. Er bestand auf einem freiberuflichen Bauleitervertrag. Hat die Firma weiterhin Aufträge, und ich bin gut, geben die mir schon einen neuen Vertrag; hat die Firma keine Aufträge, oder mache ich Fehler, fliege ich sowieso, dachte er sich folgerichtig. Der Unterschied bestand aus rund viertausend Mark pro Monat. Dafür hatte die Firma keinen Ärger mit Urlaub, Kündigungsfrist und Sozialabgaben. Alex hatte seine Marktnische gefunden. Mit 10.000 bis 12.000 Mark im Monat konnte man prima leben und auch mal einen Halbjahresurlaub einlegen. Es war der erste Achtstundenflug in seinem Leben. Die Wüste sah vom Flugzeug einsam, kahl und feindlich aus. Später sollte er sie lieben lernen. Mit neugierigen Augen betrachtete er die sagenhafte Welt aus seinen Abenteuerbüchern – heiß und staubig. Taxifahrer bestürmten ihn am Flughafen. Auf einem Zettel hatte er sich in der Firma den Weg zum Camp skizziert und den üblichen Taxipreis notiert. Nach einer halben Stunde hatte er einen Taxifahrer gefunden, der diesen Preis akzeptierte – dabei aber Stein und ein schwor, er würde dabei samt seiner großen Familie verhungern. Begrüßung auf der Baustelle. Der Campmanager zeigte ihm sein Appartement, die Kantine und den Laden und versprach, ihm in den nächsten Tagen auch die nahe Stadt zu zeigen. Der Oberbauleiter erläuterte den Stand der Arbeiten, und wo der Ausbau zu starten habe. Am nächsten Tag nahm Alex sein Handsprechgerät, einen Teleskop-Meterstab, eine Wasserwaage und machte sich an die Kontrolle der Vorarbeiten. Das Ergebnis besprach er mit dem Oberbauleiter. Herr Schneider besah sich deprimiert das Ergebnis und berief eine außerordentliche Baubesprechung ein. „Ich kann nur so gut sein wie meine Mitarbeiter“, begann er, „und der Consulting muß unsere Arbeit abnehmen, sonst gibt es kein Geld. Wie Sie sicher schon alle wissen, ist Herr Rat unser neuer Ausbauleiter. Er hat keine firmeneigenen Leute, sondern beauftragt Subunternehmer, die in den nächs- ten Tagen eintreffen. Wenn die Vorgewerke nicht in Ordnung sind, werden diese Subunternehmer zusätzliche Forderungen stellen, und dies müssen wir dann der Firmenleitung vertreten und begründen. Herr Rat hat eine Reihe von Fehlern entdeckt, die beseitigt werden müssen, bevor die Ausbau-Subunternehmer mit der Arbeit beginnen. In diesem Sinne also, danke.“ Und schon begann der Ärger. War er nun zum arbeiten hierher gekommen, oder um die Arbeit anderer zu kontrollieren? Wir sind hier in Arabien und nicht in Europa, da kann man so pingelig nicht sein, und so weiter und so fort. Alex hörte sich das eine Weile an und hob dann die Hand. Langsam verstummte das erregte Durcheinander. „Ich muß zu Beginn gleich etwas grundsätzliches sagen, dann werden wir uns in Zukunft nicht mehr mißverstehen. Unter Kollegen, die im Ausland gemeinsame Probleme lösen, sollte man sich duzen. Mein Name ist Alexander, und gute Freunde sagen Alex zu mir. Unsere Firma hat diesen Auftrag bekommen, weil wir die bekannte deutsche Qualitätsarbeit leisten - und nicht, weil wir so schöne blaue Augen haben. Von mir wird verlangt, eine gute Arbeit abzuliefern und dabei im Rahmen der Kalkulation zu bleiben. Wir können erkannte Probleme einfach und leise lösen, auch die meisten Fehler ohne großes Aufsehen ausbügeln. Ich kann aber auch alles an die große Glocke hängen. Beim Ausbau kommt alles heraus. Jeder zuvor begangene Fehler wird sichtbar; denn die Ausbaupläne beruhen ja aus Termingründen auf den Architektenplänen und nicht auf den Rohbaumassen. Und zur Pingeligkeit: Falls eine Stahlzarge einen halben Zentimeter aus der Waage ist, werde ich es tolerieren. Aber ich fand welche, die um zwei Zentimeter schief sind – und das geht nicht. Deckenhöhen wurden auch nicht eingehalten, Rohre und Luftkanäle hängen teilweise zu tief.“ „Was macht denn das schon aus, wenn eine abgehängte Decke einige Zentimeter tiefer montiert wird?“ – wendete einer ein. „Im Prinzip nichts“, entgegnete Alex. „Wenn die Decke aber an einem Fensterkämpfer anschließt, oder ein raumhoher Einbauschrank eingeplant ist, kann das eine große Rolle spielen. Nach meinen Erfahrungen sind in den Plänen schon genügend Fehler enthalten, die wir hier auf der Baustelle ausbügeln müssen, weil wir nicht wochenlang warten können, bis die zu Hause eine Lösung finden. Ein Aus-landsbauleiter zeichnet sich dadurch aus, daß er seine Probleme selbst löst.“ Es gab noch eine Menge ‚Wenn‘ und ‚Aber‘, doch am Ende gelobten alle eine gute Zusammenarbeit. Dennoch geriet Alex nacheinander mit allen mal aneinander – das lag in der Natur der Sache. Er leitete die abschließenden Gewerke, und wenn die Vorgewerke nicht gut oder pünktlich hergestellt waren, hatte er das auszubaden. Die Arbeit machte ihm Spaß. Organisieren, Planen, etwas durchsetzen, Probleme lösen – das lag ihm. Seine Subunternehmer machten ihm noch zusätzliche Sorgen. Hardy sollte 15.000 Quadratmeter abgehängte Decken montieren und hatte dazu zwölf Mann mitgebracht. Nach seiner Rechnung würde er die Termine einhalten können. „Hast du auch bedacht“, fragte ihn Alex, „daß ein Monteur in dieser Hitze höchstens fünfzig Prozent seiner üblichen Leistung erbringt?“ Hardy war geschockt – das brachte ihm doch tatsächlich seine gesamte Kalkulation durcheinander. Unbarmherzig fuhr Alex fort: „Du hast einen Vertrag mit Konventionalstrafe unterschrieben. Begeh´ einen Fehler, und dein Häuschen zu Hause ist weg.“ Hardy bekam das große Jammern und war dann drei Tage lang besoffen. Dann fand er die Lösung: Er stellte sechs Somalineger als Helfer ein. Vier davon waren so gut, daß sie bei einfachen Arbeiten einen deutschen Monteur ersetzten. Hardy war happy – seine Kalkulation stimmte wieder. Die Somalis arbeiteten natürlich illegal. Sie waren als Mekkapilger ins Land gekommen und hatten sich dann Arbeit gesucht. Jedes Jahr machte die saudische Polizei groß angelegte Razzien. Sie fing alle ein, die ohne Paß waren und ausländisch aussahen und sperrten sie in große Sammellager. Jeder schwor natürlich Stein und Bein, seinen Paß verloren zu haben. Nach einer Woche angeblicher Nachforschungen wurden sie dann abgeschoben. An die Nachforschungen glaubte Alex nicht. Die Araber waren praktische Leute. Einer hatte zu Alex gesagt: „Wir haben nicht gearbeitet, als wir noch kein Geld hatten. Warum sollten wir jetzt arbeiten?“ Diese Logik fand Alex überzeugend. Mit dem Jeep fuhr Alex rund 500 Kilometer nach Riad, von zehn Last-wagen, die ihm dabei entgegen kamen, waren acht von Mercedes. Die hatten ganze Jahresproduktionen hierher geliefert. Nach drei Stunden stoppte er an einem Rastplatz, bewunderte einen besonders bunt verzierten Laster und sah auf dem Boden der Kabine einen großen Stein liegen. Daneben kochte sich der Fahrer gerade eine Tee und bot Alex auch einen Becher an. Die Frage nach dem Stein ergab als Auskunft ein typisches Ergebnis des Zusammenpralls zweier Kulturen. Ein Araber sitzt nicht auf einem Stuhl, sondern auf seinem Teppich. Deshalb dehnen sich seine Beinmuskeln und –sehnen anders als bei einem Europäer. Die Autos sind aber für Stuhlsitzer konstruiert, und diese Sitz-haltung ist für Araber ebenso unbequem wie für Europäer das Sitzen auf Teppichen mit untergeschlagenen Beinen. Dieser Fahrer setzte sich nun auf seine Art während der Fahrt bequem auf seinen Sitz, wie früher noch auf sein Kamel. Mit dem Stein beschwerte er das Gaspedal. Trotz der Hitze rann es Alex bei der Vorstellung kalt den Rücken hinunter. Da gab es nur eins: Aufpassen und bei Gefahr in die Wüste steuern. Denn bevor solch ein Fahrer seine Beine auseinander gewickelt, den Stein vom Gaspedal gerollt hatte und auf Kupplung und Bremse steigen konnte, war alles zu spät. Durch die flimmernden Hitzeschleier schien das endlose Band der Straße wie lebendig. Wanderdünen wurden mir Rohöl besprüht und so befestigt. Rechts und links der Hügelkuppen lagen jede Menge Autowracks. Bei den Steigungen vor der Kuppe überholten die Araber besonders gern. Es war, als wollten sie mit dem Schicksal wetten: Kommt von vorn einer oder nicht? Und oft genug kam einer – ‚Arabisches Roulette‘. Das Campleben hatte seine Reize. Die Familien blieben unter sich – vermut-lich, um die Junggesellen keiner Versuchung auszusetzen. Für die Männer ohne Frauen war es eine absolut sexlose Zeit. Die Sekretärinnenstellen bei der Bauleitung waren von den ledigen Frauen der Firma hochbegehrt. Ein Mann fand nach einem halben Jahr ohne Frau, Kino und Playboy die reizloseste Bohnenstange zum Verlieben. Abends in der Kantine bearbeitete Alex den Campmanager, einen Berliner: „Hör mal, Atze, zwei meiner Monteure müssen umziehen. Sonst drehen die mir durch.“ „Warum? Ihr Wohncontainer ist doch in Ordnung.“ „Klar, aber ihr Nachbar ließ seine Frau nachkommen, und die Wände sind zu dünn. Die beiden halten das Gejohle jede Nacht nicht mehr aus“, er hörte hinter sich ein Glucksen und drehte sich um. Eine mittelgroße, gutgewachsene Blondine in einem langärmligen Overall unterdrückte mühsam ihr Lachen. Sie setzte sich neben ihn und fragte: „Fahren Sie nachher noch in die Stadt? Ich müßte unbedingt noch einkaufen und suche einen Fahrer.“ „Sie haben ihn gefunden, la belle de jour“ – Alex war begeistert, „aber das wird Gerede geben.“ „Ach“, meinte sie wegwerfend, „geredet wird immer und Ihr schnuckeliges Auto gefällt mir.“ Alex fuhr als einziger auf der Baustelle einen Suzuki-Jeep mit Vierradantrieb. „Und Ihr Mann?“ – fragte Alex, „ich möchte nicht wegen einer Gefälligkeit in eine Prügelei geraten.“ Er grinste und blinzelte mit dem linken Auge. Sie sollte ihn nicht für feige halten - nur für vorsichtig. „Mein Mann ist ein Bleistiftspitzer. Wenn er Ihre Muskeln sieht, wird er vorsichtig sein.“ Sie umspannte mit ihrer linken Hand seinen Oberarm, was ihr zur Hälfte gelang. Erregung durchrieselte ihn. Ich hatte zu lange keine Frau mehr, dachte er. „Mein Mann macht für ein paar Tage Besuche auf anderen Baustellen, und außerdem lasse ich mir keine Vorschriften machen. Er war letztes Jahr allein in Indonesien, wo er sich kreuz und quer durch das Land vögelte. Aha – dachte Alex, sie will sich revanchieren. Also, von mir aus gern. Dammann war acht Kilometer entfernt. Sie stellten den Jeep mitten in der Stadt ab. Dann unternahmen sie einen Schaufensterbummel, kauften im Supermarkt ein und begaben sich anschließend zum Homusessen. Die Supermärkte führten Erzeugnisse aus der ganzen Welt. Alex probierte alles aus. Manchmal mußte er nach dem Kosten eine Dose oder ein Glas weg-werfen – aber oft entdeckte er köstliche Dinge. Zu dem Homus (ein gewürzter Hirsebrei) tranken sie Mangosaft. „Wenn ich nicht allein einkaufen könnte, wäre es manchmal nicht auszuhalten. Mit den anderen Frauen in der Herde mittrotten mag ich nicht. Jahrelang würde ich hier nicht leben können. Eine Frau darf hier nicht Auto fahren – allein herumlaufen ist verpönt und auch gefährlich. Ich sitze den ganzen Tag im Haus. Mein Mann kommt abends abgeschlafft nach Hause – manchmal bin ich in der Stimmung, die Wände hoch zu gehen. Sie fuhren zurück. Eine Nacht in Arabien ist nie völlig dunkel. Die Sterne glitzern wie Diamanten auf schwarzem Samt. Es war Halbmond, und die Sichel lag quer. Ein ungewohntes Bild gegenüber europäischem Blick-winkel. Er fuhr die Küstenstraße entlang. Das Meer glitzerte im Mondlicht. „Ist noch früh“, rief er im Fahrtwind, „wie wär´s mit einem Bad?“ Sie sah ihn an und lachte. Ihre halblangen Haare umschmeichelten ihr Gesicht. Er hielt an, schaltete den Vierradantrieb hinzu und fuhr zum Strand hinunter. Hinter einem Sandhügel stoppte er und schaltete den Motor aus. Sie beugte sich ihm entgegen, und sie küßten sich. „Genau wie ich es wollte“, flüsterte sie und schickte sich an, auszusteigen. „Bleib noch einen Moment“, hielt Alex sie fest, „falls hier Sandvipern waren, sind sie durch das Auto aufgeschreckt und hauen jetzt ab. Lassen wir ihnen dafür Zeit.“ Sie schauderte und sagte: „Immer wieder vergesse ich, wo ich bin.“ Sie küßten sich wieder. Alex schob seine Hand unter ihre weite Bluse – sie hatte keinen Büstenhalter an. Abwechselnd streichelte und knetete er ihre Brüste. Je stärker er drückte, desto heftiger und tiefer stöhnte sie. Die Dame hat es gern brutal, dachte Alex, sprang aus dem Wagen, zog sie in den Sand, fetzte ihre Hose herunter und nahm sie ohne jedes Vorspiel. Vom ersten Stoß an stieß sie spitze Schreie aus, biß ihn in die Schulter und umklammerte ihn mit ihren Beinen wie mit einem Schraubstock. So plötzlich, wie ihr anfänglicher Ausbruch begann, sank sie nach einer Weile ermattet zurück. „Jetzt habe ich genug“, sagte sie, „wir können baden.“ Und damit sprang sie auf und stürzte sich in die Wellen. Sie balgten sich im flachen Wasser und unterbrachen diese Spiele zweimal für eine neue Runde. Es war jedes Mal das gleiche – wie ein Sprint unter Volldampf. Schließlich hatte Alex seinen ärgsten Nachholbedarf befriedigt. Auf der kurzen Ladefläche seines Wagens hatte er eine kleine, verschließ-bare Kiste festgeschraubt, in der er immer Handtücher, Wasser und Kekse mitführte. Sie trockneten sich gegenseitig ab, knabberten Kekse und spülten mit Wasser nach. Danach zogen sie sich an und fuhren langsam zum Camp zurück. Alles war ruhig, die Leute schliefen und erholten sich für den kommenden Tag. Er parkte sein Auto, griff nach ihrer Hand und nahm sie mit auf seine Bude. Die Appartements für alleinstehende Bauleiter waren wie Hotelzimmer konzipiert. Zusätzlich war im Flur ein Küchenblock mit Herd und Kühlschrank eingebaut. Alex stellte die Air-Condition ab und fragte: „Möchtest du `was Kaltes oder soll ich uns einen Tee oder Kaffee kochen? Alkohol besitze ich nicht; denn bei einer Razzia möchte ich nicht ausge-wiesen werden noch ins Gefängnis wandern. Ich brauche das Zeug nicht.“ „Mach bitte einen Kaffee. Der macht kurzfristig munter, und man kann dennoch später gut schlafen.“ Er brühte arabischen Kaffee, indem er den Kaffee mit dem Wasser und dem Zucker ein paarmal aufwallen ließ. „Magst du Hel im Kaffee?“ – fragte er. „Probiert habe ich’s noch nie. Nur davon gehört. Was ist das eigentlich?“ Er zeigte ihr die kleinen Kapseln und erklärte: „Ein Kaffeegewürz, wächst an Sträuchern. Man muß die Kapseln zerdrücken und in den kochenden Kaffee werfen. Nur nicht zu oft oder zu viel. In größeren Mengen wirkt das Zeug wie Opium.“ Sie saßen nebeneinander auf der Schlafcouch, nippten an ihrem Kaffee und lächelten sich an. „Bestimmt haben uns vorhin einige von den Schnepfen beobachtet und kochen nun vor Neid“, kicherte sie. „Meinst du wirklich? Wie heißt du eigentlich?“ – fragte Alex. „Sag Inge zu mir – und natürlich hocken ein paar hinter den Gardinen. Die haben den ganzen Tag nichts anderes zu tun, als über ihre Mitmenschen ihre Zungen zu wetzen. Fast alle würden auch so eine Gelegenheit wahrnehmen, aber sie trauen sich nicht“, meinte sie verächtlich. „Bist du müde oder soll ich noch ein bischen bleiben?"“-– fragte sie sachlich. Statt einer Antwort zog er sich aus und ging unter die Dusche, um das Salz des arabischen Golfes abzuspülen. Sie kam nach und mit dem gegenseitigen Abseifen brachten sie sich wieder in Stimmung. Am Strand hatte sie den gleichen sexuellen Notstand wie er; doch nun auf der ausgeklappten Couch verwöhnte sie ihn langsam, kundig und völlig hemmungslos. In der Folgezeit besuchte sie ihn manchmal nach Mitternacht und verschwand vor dem Morgengrauen wieder. Liebe war es nicht, und sie sprachen auch nie darüber – aber sie konnten sich gut unterhalten, und körperlich war es eine gute Entspannung. Der Bau machte Fortschritte, und immerzu passierte irgendwas. Einmal tobte zwei Tage lang ein Sandsturm, der alle Autoscheiben blind schmirgelte. Aus den offenen Räumen mußten sie den hereingewehten Sand hinausschaufeln. Unter dem Baugelände wurden Kavernen gefunden, die mit Beton ausgefüllt werden mußten. Dafür wurde eine Spezialfirma aus Deutschland eingeflo-gen, die diese unterirdischen Hohlräume aufspürten, anbohrten und dann mit Beton füllten. Das Sportzentrum hatte Keller mit Abflußrohren von einem halben Meter Durchmesser bis nach Al Khobar, circa fünf Kilometer entfernt. Eines Tages kam ein Monteur aufgeregt aus dem Keller und rief, aus den Gullys quelle eine Betonbrühe. Da hatte doch die Spezialfirma die Abflußrohre angebohrt und mit Beton gefüllt. Erich kam aus dem Urlaub zurück – total am Ende. Seine Frau war mit einem anderen durchgebrannt, die Möbel weg, und in der Wohnung hatten sich schon neue Mieter eingerichtet. Sein Konto war vollständig abgeräumt. Ein Jahr harter Arbeit und Entbehrungen hatte er mithin vergebens hinter sich gebracht. Alle kümmerten sich liebevoll um ihn. Jeder kam mit einer lustigen Geschichte, um ihn aufzumuntern. „Erich, kennst du die Geschichte, wie in SaudiArabien das Telefon eingerichtet wurde?“ – fragte Alex, und als dieser ihn gespannt ansah, fuhr er fort: „In Saudi-Arabien hat ja nicht der König das letzte Wort sondern der Rat der Koranwissenschaftler. Und die waren gegen das Telefon, weil es eine westliche, teuflische und verderbliche Neuerung sei. Also ließ der König ein Versuchstelefon installieren. Auf der einen Seite die gläubigen Koran-kundigen und am anderen Ende einen Typen mit angenehmer Stimme, der den Koran durchs Telefon vorlas. Ende der Fahnenstange.“ Ein Kollege übernahm den nächsten Part: „In der ersten Zeit war ich immer verwundert, weil die Autos an der Ampel immer bei Grün anhielten. Dann kapierte ich es aber; die von der anderen Seite fuhren bei Rot einfach durch.“ Alle lachten über die verdrehte Logik. „Wer geht am Freitag mit zum Hackeplatz?“ Das war ein beliebtes Spiel um Neulinge zu schocken. Der Freitag ist in Arabien ‚Sonntag‘, also arbeitsfrei. Um 11.30 Uhr wurden vor der großen Moschee die Hinrichtungen durchgeführt. Trennte der Henker mit einem Schlag den Kopf ab, klatschten die Zuschauer. Benötigte er mehr Hiebe, buhten sie, pfiffen und lachten ihn aus. Mancher Neue, voller Neugier und den harten Mann markierend, wankte mit grünem Gesicht hinter die nächste Hausecke, wenn das Blut zwei Meter weit aus dem Halsstumpf spritzte. Mord, Kindesentführung und Vergewaltigung wurden so bestraft. Alex hatte sechsmal bei Hinrichtungen zugesehen und einmal bei einer Handabtrennung wegen Diebstahl. Das war selten – geklaut wurde fast nie. Bootsbau in Abu Dhabi Alte Dhau mit neuem Sonnendach Karl, dem in Italien ein Auto abhanden gekommen war, hätte am liebsten ein paar Tausend arabische Polizisten quer durch Italien geschickt. Dann wäre halb Italien entvölkert, behauptete er, und die andere Hälfte liefe nur noch mit einer Hand herum. Notwendige Maßnahmen wurden oft mit verblüffend einfachen Mitteln durchführt. An Straßenpunkten, wo langsames Fahren angesagt war, wurden Geschwindigkeitsbrecher gebaut. Einfache, ungefähr zwanzig Zentimeter hohe Wälle quer zur Fahrbahn. Wer dort nicht Schrittempo fuhr, konnte hinterher seine Achsen einzeln zusammensuchen. Welch ein Aufwand dagegen bei uns zu Hause, dachte Alex: Schilder, Radar, Bußgeldbescheide, Gerichtsverfahren! Inges Mann war wieder einmal von einer Reise zurückgekehrt. Er ließ sein Auto immer am Flughafen stehen – im Fünfminutenbereich. Diesmal hatte die Polizei ihm die Schilder abgeschraubt, den Wagen abgeschleppt und in einem Flugsandfeld stehen lassen. Er rannte aufgeregt zur Polizeistation, weil er dachte, sein Wagen sei geklaut. Die Polizisten lachten. Für die Schilder mußte er umgerechnet 180 Mark bezahlen und aus dem Sand bekam er seinen Wagen nur mit einem Abschleppwagen heraus. „Ich bin kuriert“, knurrte er, „bis ich mein Auto wieder hatte, waren drei Stunden vergangen.“ Alex war jeden Freitag unterwegs: An den Strand, zu den nächsten Städten. In Hofuf fand er im Schutt ein altes Kanonenrohr, zwei Meter lang und zwei Zentner schwer. Mit einem Balken als Hebel wuchtete er das verrostete Rohr auf seinen Wagen, auf der Heimfahrt jeden Moment einen Achsenbruch befürchtend. Mit einer leeren Kabeltrommel richtete er die Kanone vor seiner Tür auf die Kantine. Dem Koch erklärte er: „Wenn dein Essen nicht besser wird, geht das Ding los.“ Seine Tochter hatte Konfirmation. Alex flog für drei Tage nach Hause. Seine Frau war abgemagert und befand sich in einer seelischen Krise. Er erkannte erst jetzt, wie sehr sie sich an ihn gelehnt hatte. Diese Entwicklung paßte ihm gar nicht. „Was willst du machen, wenn ich morgen tot umfalle, einen Autounfall habe oder vom Blitz erschlagen werde?“ Saudi-Arabien, bei Al Ula (Sperrgebiet) – die Erbauer und Bewohner der Felsenstadt Petra in Jordanien bauten nach ihrer Vertreibung durch die Römer hier ihre neue Stadt. Ob es wirklich die Nabatäer waren, liegt im Dunkel der Geschichte Saudi-Arabien, Wüstenausflug nach Al Ula von Taima quer durch die Wüste in sieben Stunden. Fotopause bei einer kurzen Rast. Er wollte ein selbständige, selbstbewußte Frau, die die Probleme des Lebens selbst lösen konnte und sich dafür nicht allein auf ihn verließ – und ihn dennoch liebte und bewunderte. Er hatte eine lange Aussprache mit ihr, und sie änderte sich. Später traf sie eigene Entscheidungen und manchmal auch gegen seinen Willen. Wirkten diese sich dann negativ aus, kam es zum Streit – und jedesmal starb ein Stück seiner Liebe. Später fragte sich Alex noch lange und oft, ob eine solche Entwicklung zwangsläufig sei – oder welche Fehler er gemacht hatte. Sein Konto war gut gepolstert. Er kam mit neuem Elan zurück in die Wüste. Die Israelis befreiten in Entebbe mit einer tollkühnen Kommandoaktion ihre Leute. Die Araber waren auf die Amerikaner stinksauer. Am roten Meer befanden sich Radarstationen und Raketenbasen – die wurden von amerikanischen Technikern betreut. Die Israelis mußten über das rote Meer nach Entebbe fliegen – alles andere war Feindesland. Im kritischen Moment fiel die gesamte Radarkette aus, und die Raketen waren blind. Ausländer mußten in Saudi-Arabien einen Führerschein machen. Die Prüfung war einfach: Ein Augentest und ungefähr dreihundert Meter auf gerader Straße fahren. Das Ganze war in einem halben Tag abgehakt. Alex brachte einen neuen Kollegen hin. Ein riesiger Ami schimpfte wie ein Rohrspatz . „Was hast du für Probleme?“ – fragte Alex ihn. „Ich fahre seit 35 Jahren auf der ganzen Welt Auto, und hier bin ich jetzt zum achten Mal durchgefallen.“ „Alex wußte, warum die Araber keine Amis leiden können – wegen ihrer Israelpolitik. Er sagte zu dem Araber hinter dem Schreitisch: „Ihr prügelt die falschen Leute – er ist doch nicht schuld.“ Der Araber grinste und erwiderte: „Der ist hier – einen anderen haben wir nicht.“ Persien war nicht weit weg. Wer weiß, wann ich wieder die Gelegenheit dazu habe, dachte Alex und flog für ein Wochenende nach Shiraz, suchte sich ein Hotel und bummelte durch die Stadt. Er hatte von dem erstklassigen persischen Kunsthandwerk gehört. Der Basar war eine einzige Enttäuschung – außer schönen Teppichen nur Plastikmist aus Hongkong. Wenn ein Staat keine zufriedenen Handwerker mehr hat, dann ist sein Rückgrat gebrochen, dachte Alex. Nachts sah er Studenten unter Straßenlaternen Bücher lesen und lernen; in der Altstadt Gestalten in Mauerwinkeln schlafen. Er hatte nicht an die Zeitgrenze gedacht und kam erst morgens um zwei Uhr ins Hotel zurück. Am nächsten Tag fand er eine wunderschöne Teestube mit Springbrunnen, mosaikverkleidetem Deckengewölbe und einen Kellner, der weder Deutsch noch Englisch konnte und auch mit seinen wenigen arabischen Worten nichts anzufangen wußte. Tee wurde überall verstanden, und er wollte wissen, was Küche und Keller zu bieten hatten. Eine Karte gab es nicht. Als er schon entmutigt aufgeben wollte, sagte ein Gast am Nebentisch in tadellosem Deutsch: „Kann ich Ihnen helfen? Was möchten sie bestellen?“ Das Lokal schenkte nur Tee aus – aber fünfzig verschiedene Sorten – für jede Stimmungslage und für jede Krankheit die dazu passende. Alex bestellte einen Rosenblütentee mit Eis. Der Mann, Doktor Barani, war ein Ingenieur, hatte in Berlin und Aachen studiert und suchte neue Arbeitskräfte für seine Brunnenbaufirma. „Das dürfte doch nicht ganz so schwer sein“, meinte Alex, „in der ganzen Stadt lungern doch junge Männer herum.“ Doktor Barani befand sich etwa in seinem Alter und trug männlich schöne Gesichtszüge. „Das sieht nur so aus“, lächelte er schwach, „sahen Sie nicht die schwerbewaffneten Polizisten an allen Straßenecken? Diese Typen wollen gar nicht arbeiten. Sie kommen in der Mehrzahl über die grüne Grenze von Afghanistan herüber und arbeiten nur einige Tage, wenn sie unbedingt müssen. Ansonsten warten sie auf eine gute Gelegenheit, einen Coup zu landen. Täglich findet man irgendwo ermordete Menschen. Afghanistan wird bei uns ‚Das Land Kains‘ genannt – gemeint ist damit: Land der Mörder.“ Alex überrieselte es kalt, als er an seinen nächtlichen Streifzug durch die verwinkelten Gassen der Altstadt dachte. Aber seine Selbstsicherheit und das Vertrauen in seine Fähigkeiten, mit Problemen fertig zu werden, hatte sich durch seine Körpersignale an die dunklen Gestalten in den Ecken und Winkeln mitgeteilt. Er hatte von einem interessanten Experiment in Amerika gelesen: Dort wurde verurteilten Straßengangstern ein Film gezeigt von Menschen, die einfach eine Geschäftsstraße entlang gingen. Die eine Hälfte bestand aus Polizeibeamten in Zivil und die andere aus Menschen, die schon mehrmals überfallen worden waren. Die Frage an die Gangster war, wen sie sich als Opfer für einen Überfall aussuchen würden. Keiner zeigte auf einen Polizisten. Das Unterbewußtsein nimmt Körpersignale auf und deutet sie automatisch richtig. Jetzt werden Kurse abgehalten, die Politikern beibringen, über Körpersignale zu lügen. Alex fragte Doktor Barani nach den früher so berühmten Kunsthandwer-kern. Der entgegnete bitter: „Der Schah hat keinen Kontakt zum Volk und kennt seine Probleme nicht. Seinen Vater wagte niemand zu belügen – ihm gegenüber wagt keiner, die Wahrheit zu sagen.“ Ein älterer Herr trat an ihren Tisch und sagte: „Ich höre, Sie unterhalten sich auf Deutsch. Meine Frau und ich möchten gern einen bestimmten herz-stärkenden Tee – der tat uns vor einigen Tagen sehr gut. Nun ist mir aber der Name entfallen.“ Doktor Barani rief den Kellner und schrieb dem Gast den Namen des Tees für alle Fälle auf. Der alte Herr hatte als deutscher Flieger in den zwanziger Jahren dem Vater des Schahs geholfen, eine Rebellion niederzuschlagen – und jetzt ein Buch darüber geschrieben. Der Schah schenkte ihm daraufhin als Anerkennung einen Jahresaufenthalt in den besten Hotels seines Landes. Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erleben, dachte Alex, und interessante Leute lernt er auch noch kennen. Schwer bepackt mit einem alten Samowar und einer Wasserpfeife flog er wieder zurück. * Das Meer an diesem Küstenstreifen war fast einen Kilometer weit nur knietief. Nur ab und zu gab es mal ein etwas tieferes Loch, wo man schwimmen konnte. Ein Monteur war am Freitag in solch ein Loch getreten und wie ein Stein untergegangen. Niemand konnte sich die Sache erklären. Ein giftiger Fisch oder eine Seeschlange, die besonders gefährlich waren? Jeder wußte es anders und besser. Eine englische Subfirma kam mit zwölf Monteuren an. Sie wurden in einem langgestreckten Bau zusammen mit Deutschen untergebracht. Von einem langen Flur gingen rechts und links die Zimmer ab. Vorn am Eingang befanden sich drei Toiletten und drei Duschen. Entrüstet beschwerten sich die Deutschen beim Campmanager: „Mit diesen Inselaffen kann man nicht zusammen leben. Die kommen aus der untersten Schublade. Eine Toilette war verstopft. Dennoch haben sie die solange benutzt, bis die Scheiße überlief. Und dann lassen wir ja immer unser Shampoo auf dem oberen Rand der Dusche stehen. Diese Kretins nehmen sich einfach, was da ist. Und nicht nur ein bischen davon, sondern gleich die halbe Flasche. Es kostet ja nichts.“ Alex war gerade im Büro. „Die könnt ihr doch schnell kurieren. Füllt einfach die Shampooflaschen mit Pattex.“ Der Vorschlag wurde begeistert aufgenommen, und ein wenig später liefen einige Engländer kahlgeschoren und mit Mord im Herzen über die Baustelle. Alex erhielt eine Lektion in arabischer Mentalität: Der Bürgermeister betrieb ein Café mit Kaffeerösterei. Sie fuhren abends öfter hin, um Kaffee zu trinken, zu schwatzen und mit den tiefverschleierten Araberinnen zu flirten, die dort Kuchen und Kaffee einkauften. Der Besitzer war nur 160 Zentimeter groß – schon grauhaarig, aber quicklebendig und sehr sym-pathisch. Er warnte sie öfters – sie sollten es nicht übertreiben, sonst würden sie im Gefängnis landen. Nach den funkelnden, glutäugigen Blicken und dem Gekicher zu urteilen, hatte die andere Seite noch mehr Spaß an dem harmlosen Spiel als Alex und seine Freunde. Der Cafébesitzer besaß italienische Kaffeeröstmaschinen, die dauernd repariert werden mußten. Alex sollte Prospekte von deutschen Firmen besorgen. Per Telex angefordert und mit Luftpost übersandt trafen sie nach einer Woche ein. Der Cafétier und Bürgermeister bestellte reichlich, und nach zwei Monaten wurden die Maschinen geliefert und von einem Elektriker der Baustelle angeschlossen. Der Chef war hochzufrieden und sagte etwas später zu Alex, er solle dem Chef der Lieferfirma seinen Dank und viele Grüße bestellen, wenn er ihn das nächste Mal besuchen würde. Alex, noch völlig unbedarft und das erste Mal in Arabien, entgegnete, er kenne den Mann überhaupt nicht. Daraufhin ging ein Donnerwetter über Alex nieder. Wie er denn nur eine Firma empfehlen könne, deren Inhaber er nicht persönlich kenne! Hardy bekam Probleme mit seinen Negern. Die abgehängten Decken waren fast alle montiert, und er hatte deshalb seinen Helfern gekündigt. Jetzt waren sie mit einer langen Liste gekommen, was ihnen nach arabischem Recht noch alles zustünde. „Ich sagte dir doch damals, was du nach den Landes-gesetzen alles zahlen mußt“, sagte Alex und holte die Übersetzung hervor. „Und nach unseren Erfahrungen würden die Arbeiter zwar nicht streiken, aber an ihren Rechten gibt es nichts zu rütteln. Schauen wir mal, ob da noch etwas nachkommen kann. Der vereinbarte Lohn galt als Grundlohn. Nach der achten Stunde 25% und nach der zehnten Stunde 50% Überstundenzuschlag; an Sonn- und Feiertagen gar 100%. Fahrtgeld zur Arbeit mußte der Arbeitgeber tragen. Bei Kündigung gab´s eine Woche bezahlt, damit der gekündigte Arbeiter sich einen neuen Job suchen konnte. Zwei Monate im Jahr für Krankheit waren auch zu zahlen. Vertrauensärzte und Krankschreiben waren unbekannte Begriffe. Hardy war ein typischer Handwerker. Er konnte arbeiten, aber mit Schreibkram hatte er nicht viel im Sinn. Er hatte mit seinen Helfern einen höheren Grundlohn vereinbart – dafür sollten alle Nebenleistungen abgegolten sein. Die Neger waren hocherfreut einverstanden gewesen, die kannten sich aus. Hardy bekam eine Vorladung zum Arbeitsgericht – und zwar innerhalb einer Woche. Ein Polizist überbrachte die Vorladung mit der mündlichen Warnung, daß er verhaftet würde, falls er nicht erschiene. Alex ging mit, weil Hardy kein Englisch konnte. Sie saßen alle auf einem großen Teppich, rauchten und tranken Kaffee. Der Richter, ein älterer und würdevoller Araber, hörte ruhig beide Seiten an. Schließlich faßte er zusammen: „An den Buchstaben unseres Gesetzes gibt es keine Varianten der Auslegung. Der vereinbarte Lohn ist Grundlohn und alles übrige muß zugerechnet werden. Private Abmachungen gehen immer zu Lasten des Schwächeren – und das ist der Arbeiter. Bei euch liegt der Fall zwar anders; aber Gesetz ist Gesetz. Die Forderung ist berechtigt – also zahlt. Oder ich muß den Arbeitgeber solange ins Gefängnis stecken, bis die Forderung erfüllt ist. Auch spielt es keine Rolle, ob sie illegal gearbeitet haben. Als Menschen haben sie Anspruch auf den Schutz unserer Gesetze.“ Hardys Kalkulation war schon wieder ins Wanken geraten. Zwar hatte er an seinen Helfern gut verdient – aber rund 12.000 Mark waren schwer zu verkraften. „Das bezahle ich nicht!“ – polterte er, „lieber lasse ich mich einsperren. Eines Tages müssen sie mich ja wieder freilassen.“ Der Richter überlegte eine Weile und sagte: „Also ein Vorschlag zur Güte: Wir teilen die Forderung. Die Kläger verzichten auf die Hälfte und ihr bezahlt die andere Hälfte. Aber diesen Vorschlag mache ich nur, weil die Arbeiter objektiv nicht geschädigt sind und ich einen Deutschen nicht gern ins Gefängnis stecke.“ Hardy verbuchte 6.000 Mark schließlich als Lebenserfahrung und schaffte das Geld herbei. Die Forderung mußte unter den Augen des Richters erfüllt werden. Als sie schließlich am Abend mit einigen Kollegen beisammen saßen und eine Flasche geschmuggelten Whiskey leerten, faßte Alex zusammen: „Heute lernten wir eine Lektion in Gerechtigkeit. Klagt bei uns ein Arbeiter, zieht sich der Prozeß über Monate oder länger hin. Ohne Gewerkschaft im Rücken besteht kaum Aussicht auf Erfolg. Denn selbst, wenn der Arbeiter in erster Instanz gewinnt, geht der Arbeitgeber in Berufung, und für den Arbeiter ist dann gewöhnlich das Ende der Fahnenstange gekommen.“ „Aber die Arbeiter hier dürfen nicht streiken und haben keine Gewerk-schaft“, wandte Erich ein. „Na und“, meinte Alex, „dafür steht ihr Recht nicht nur auf dem Papier. Die Gewerkschaften sind bei uns notwendig. Aber sie sollten sich auch mal um andere Dinge kümmern, anstatt jedes Jahr nur ein paar Prozent mehr Lohn herauszuholen. Hier in diesem Land kann sich ein Arbeiter von einem Stundenlohn Essen für den ganzen Tag kaufen. Eine Hütte kann er sich selber bauen. Die Wüste ist groß, und Heizung benötigt er auch nicht. Bei uns macht die Heizkostenrechnung schon eine zweite Miete aus, weil der Megawatt-Clan billige Fernwärme verhindert und durch größenwahn-sinnige Projekte den Strompreis in die Höhe treibt. Außerdem stellen die Gewerkschaften Forderungen, die sie in den eigenen Unternehmen erst einmal vormachen sollten.“ „Was meinst du damit?“ – fragte Erich. „Na, beispielsweise die Mitbestim-mung. Wenn die Belegschaft mitbestimmen kann, ist das schon recht. Denn die wissen genau, was wichtig für den Betrieb ist und wollen sich ihren Arbeitsplatz erhalten – aber keine fremden Funktionäre. Und warum machen die gewerkschaftseigenen Betriebe dies nicht vor? Macht ist eine gefährliche Angelegenheit und bedarf immer der demokratischen Kontrolle. Um effektiv zu arbeiten, muß ein natürlicher Führer sagen, wo es langgeht. Macht er aber Fehler, muß man ihn absetzen können. Denkt mal nur an unsere jüngere Vergangenheit. Hitler verbuchte bis 1942 unwahrscheinliche Erfolge. Dann wurden Fehler über Fehler gemacht. Beispiel: Anstelle von Abwehrraketen gegen Bomber wurden die V1 gebaut, die absolut nichts brachten. Aber das sind noch offene Fragen. Eines Tages werden wir die Antworten wissen. Man darf bloß nie nachlassen und muß immer versuchen, jedesmal ein besseres Ergebnis zu erreichen. Dieser Kampf hört nie auf!“ Für Erich, der seit seiner Lehrzeit aktiver Gewerkschaftler war, ein gutes Stichwort. „Und die einzig wirksame Vertretung für die Arbeiter sind bei uns die Gewerkschaften.“ „Hast schon recht“, meinte Alex. „Unsere eigene Oberschicht hat uns immer verraten, und wir müssen aufpassen, daß nicht eines Tages ein paar Gewerkschaftsbosse auch dazu gehören. Angefangen bei der ersten Revolution in Europa, den deutschen Bauernkriegen. Die hatten damals einen guten, zeitlosen Spruch: ‚Geschlagen ziehen wir nach Haus, doch unsere Enkel fechten´s besser aus‘. Man darf nie aufgeben, und die Geschichte bleibt ja nicht stehen. Eines Tages gibt es wieder Männer wie den Freiherrn von Stein mit seinen Reformen, Johann Gottlieb Fichte mit seinen Reden an die deutsche Nation oder Paul de Lagarde mit seinen deutschen Schriften.“ Atze kam herein und rief: „Stellt euch vor, was mir passiert ist: Ich will nach Djidda fliegen, hatte schon die Bordkarte. Kommt ein Prinz mit seinem Harem und beschlagnahmt das ganze Flugzeug.“ Alle brachen in großes Gelächter aus. „Dafür bist du in Saudi“, grinste Alex, „mal sehen ob wir uns nächstes Jahr wiedersehen.“ Wie klein die Welt ist, sollte er vier Jahre später erfahren, als er zwei Mann aus dieser Abendrunde in Nigeria wiedertraf. Überhaupt waren die Auslandsbauleiter, die die Ferne im Blut hatten, eine relativ kleine Gemeinschaft, die sich immer wieder irgendwo trafen. Auch dieser Bau wurde eines Tages fertig und übergeben. Alex gönnte sich zwei Monate Urlaub in Griechenland. Dubai Alexanders nächster Vertrag war der Ausbau des später schönsten Hotels am arabischen Golf. Die alte Hafenstadt Dubai besaß noch den Zauber der alten Geschichten aus Tausendundeiner Nacht. Die großen, hölzernen Dhaus im Creek transportierten Waren wie vor Jahrtausenden. Der Goldbasar war berühmt. In den ausgezeichneten Restaurants gab es Wein und Bier – sogar deutsches Bier vom Faß. Im Sommer wurde die Hitze nahezu mörderisch: Fünfzig Grad im Schatten. Über der gesamten Küstenregion lag eine Wasserdampfglocke und eine neunzigprozentige Luftfeuchtigkeit war keine Seltenheit. Für Brillenträger taten sich einige Probleme auf. Sobald sie aus den gekühlten Räumen ins Freie kamen, beschlugen die Gläser. Die Hände setzte man besser nicht der Sonne aus, denn die Fingernägelansätze begannen sonst rasch zu schmerzen. Der Oberbauleiter war ein Engländer. Mit einem Charakter krummer als ein Dackelbein. Die Kollegen waren in Ordnung. Ein Deutscher soff wie ein Loch, verrichtete aber einwandfreie Arbeit. Wadi an der Grenze nach Oman mit Araberdorf. Die Bewohner kippen ihre Abfälle einfach den Abhang hinunter. Wenn es ein- bis zweimal im Jahr regnet, füllt sich das Wadi bis obenhin mit einer reißenden Strömung, und alles wird weggespült. Abu Dhabi mit Sheraton Hotel vom Meer aus. Ein Beispiel, wie eine Stadt für seine Bürger sorgt: Diese Hochhäuser sind von Ausländischen Investoren gebaut worden. Diese hatten sieben Jahre Zeit, inklusive Bauzeit, durch Vermietung die Baukosten hereinzuholen und Gewinn zu machen. Nach diesen sieben Jahren ging das Gebäude in den Besitz des Staates über und der Scheich verteilte diese Hochhäuser an verdiente Staatsbürger. Abu Dhabi, Kamele beim Baden. Sie schwimmen vom Festland bis zur vorgelagerten Insel Sodiak und zurück. Abu Dhabi, das Sheraton Hotel im Bau. Auch bekannt als ‚Pimmelburg‘. Es wurde das schönste Hotel an der damaligen Golfküste. Abu Dhabi, Fischfang Ein Hamur, der beste Speisefisch im arabischen Golf Abu Dhabi, Fischbraten am Strand nach Araberart. Eine Königsforelle, ein Hamur oder ein Barracuda ist nach kurzer Zeit mit der Schleppangel hinter dem Motorboot gefangen. Treibholz liegt überall am Strand, und ein Feuer ist schnell entfacht. Frisch gebraten schmeckt der Fisch köstlich. Abu Dhabi vorm Wellenbrecherdamm Als einmal im Sturm die Promenade überflutet wurde, und Salzwasser die Blumen in den Villenvorgärten ruinierte, wurde dieser Damm gebaut. Die Felsbrocken kamen per Lastkähne von Steinbrüchen in Oman. Mit zwei Einfahrten für Fischerboote kostete der Spaß 365 Millionen Dollar. Ein Engländer wurde ‚Der Urlauber‘ genannt. Er konnte den größten Blöd-sinn anstellen – immer wurde er vom Oberbauleiter gedeckt. Englische Solidarität. Wie immer am Freitag durchstreifte Alex die umliegende Gegend, besuchte die Städte Al Aein, wo die Berge von Oman beginnen, und Abu Dhabi, das fünfzehn Jahre zuvor noch ein Fischernest gewesen war. An dieser Stadt war deutlich zu erkennen, was Cleverneß zuwege bringt. Die einheimischen Emirataraber waren gering an der Zahl. Viermal so viele Gastarbeiter verrichteten die Arbeit. Ausländer durften investieren, brauchten aber einen einheimischen Partner mit einem mindestens 51%-igen Anteil. Sie durften Geschäfte eröffnen und betreiben – aber der einheimische Lizenzgeber kassierte ein Viertel vom Umsatz. Sie durften auch Häuser bauen – aber nach sieben Jahren fiel der Bau dem Staat zu und wurde dann von einem Agenten weitervermietet. Allen ging es gut. Tausende Pakistanis pflegten die vielen Grünanlagen. Wasser, Strom, Telefon und Krankenhausaufenthalte waren beinahe umsonst. Benzin kostete runde zwanzig Pfennig pro Liter. Im Fernsehen und in den großen Hotels waren die neuesten Actionfilme zu sehen. Der Scheich kämpfte mit echten Problemen. Seine Stadt kostete ihn täglich fünf Millionen Dollar – die Öleinnahmen aber betrugen 55 Millionen täglich. Also wohin mit dem Geld? Im Sturm wurde die Uferpromenade überflutet. Daraufhin baute man für 365 Millionen Dollar einen Wellenbrecherdamm. Riesige Wüstenflächen wurden mit genügsamen Bäumchen bepflanzt. Der Scheich hoffte, damit das Klima zu beeinflussen – eine nicht aussichtslose Idee. Alex bewohnte zusammen mit einem Baukaufmann eine Fünfzimmer-Firmen-Wohnung – zum Preis von dreitausend Mark im Monat, ein Jahr im voraus zahlbar. Die Lebensmittel waren aber billiger als in Europa, denn der Scheich erhob weder Zölle noch Steuern. Der Baukaufmann Otto war ein armer Typ. Er hatte Angst um seinen Job, und wenn einer der Leitenden von der Firmenzentrale kam, riß er sich fast die Beine aus. Alex ging mit ihm zusammen oft essen, auf den Basar zum Einkaufen, zu Filmvorführungen oder zum Fischen. Aber sie waren zu verschieden, um echte Freunde werden zu können. Sie verfügten über ein firmeneigenes Motorboot und fuhren damit am Freitag oft zu einer Insel vor der Küste – packten Bier, Brot und Obst ein und warfen unterwegs die Schleppangel aus. Bei der Insel angekommen, hatten sie fast immer einen Hamur am Haken – einen Zackenbarsch mit langen Rückenstacheln. Der wurde ausgenommen, mit Zwiebeln und Gewürzen gefüllt, in Silberfolie eingewickelt und zwei Stunden über einem Treibholzfeuer gedünstet. Bei durchschnittlicher Größe wurden sechs Personen satt – und es schmeckte ganz prima. Alex schnorchelte gern zwischen den riesigen, bunten Fischschwärmen. Als er einmal beinahe mit einer großen Moräne zusammenstieß, wurde er vorsichtiger und blieb im Bereich der Korallenwälder. Unter Wasser sahen die Korallen phantastisch aus – an Land aber stanken sie entsetzlich. Abge-brochene Korallenzweige mußte man eine Woche lang in der Wüste eingraben – dann hatten die Mikroorganismen alles sauber abgenagt, und der Gestank war weg. Otto kaufte sich ein Schlauchboot mit einem Drei-PS-Motor – ein besseres Spielzeug. Das Motorboot war immer öfter defekt, weil der Motor für Wasserski zu schwach war. Otto traute sich nicht, einen neuen Motor zu kaufen, ja noch nicht einmal anzufragen, ob er einen kaufen dürfte. Sie fuhren zum Fischen. Das Meer war spiegelglatt und sehr tief. Alex hielt die Schleppangel und döste zufrieden. Plötzlich ein mächtiger Ruck an der Leine: Ein großer Hamur zuckte hin und her. Alex zog ihn langsam zum Boot – Otto nahm den Haken und zögerte zu lange. Mit einem mächtigen Ruck riß der Hamur sich los und schlitzte gleichzeitig das Schlauchboot mit seinen Rückenstacheln auf. Pfeifend entwich die Luft. Sie nahmen Kurs auf die nächste Insel. Hundert Meter davor tauchte der Motor unter Wasser und verstummte. Alex sprang über Bord und zog das halb luftleere Boot schwimmend an Land. Der Fisch hatte sie versenkt. Das gesamte Flickmaterial reichte gerade, um das Leck abzudichten. Der Motor jedoch sprang nicht wieder an, und so mußten sie nach Hause paddeln. Alex hatte schon immer einen Sinn für das Besondere. Er kaufte sich eine kleine, alte Dhau, baute darauf einen Baldachin und konnte ab sofort stilvolle Fahrten unternehmen. Einer der deutschen Maler vom Bau malte ihm die Reichskriegsflagge mit Hakenkreuz – und damit am Mast lief er in den Hafen ein. Die Engländer schäumten vor Wut, die Araber waren begeistert und hatten wochenlang Gesprächsstoff. In den Emiraten lebten etwa zweitausend Engländer und sechshundert-fünfzig Deutsche, und für deren Kinder wurde eine private deutsche Schule betrieben. Der Lehrer war sehr rührig, veranstaltete Filmabende, Kaffe-kränzchen und Go-Kart-Rennen. Alex schaute dort ab und zu vorbei und gab seine ausgelesenen Bücher ab, knüpfte neue Bekanntschaften und flirtete ein wenig mit den Frauen, deren Männer die ganze Woche über Straßen durch die Wüste bauten. Eine Inderin wurde von zwölf Pakistanis vergewaltigt und starb daraufhin. Unklar blieb, ob an den Folgen der brutalen Vergewaltigung oder einen sich daran anschließenden Mord. Bei der Vorliebe der Araber zum Fabulieren war die Stadt eine einzige Gerüchteküche. Die zwölf Pakis wurden an die Wand gestellt und erschossen. Ein Sikh wollte keinen Turban mehr tragen und seinem Glauben den Rücken kehren – seine zerstückelte Leiche fand man in der Wüste, von den Tätern jedoch keine Spur. Irgendwo in Indien wartete eine Sippe vergeblich auf die nächste Geldüberweisung. Aus dem Bau fiel ein Mauerstein aus der neunten Etage einem Belutschi auf den Kopf und tötete ihn auf der Stelle. Ein makaberer Spruch machte die Runde: Der hat die Druckprobe nicht bestanden! Über die Haftpflichtversicherung der Firma wurde der Familie 20.000 Mark bezahlt. Die konnten den Plötzlichen Reichtum nicht fassen und bedankten sich überschwenglich und lange für den Segen. In ihrer Heimat konnte eine kleine Familie von einer Mark einen Tag leben. Alex lernte in der Schule eine lustige Ungarin kennen. Die machte keinen Hehl daraus, daß sie einen Mann zum Heiraten suchte. Von ihrem ersten Mann, einem Schotten, war sie gerade geschieden. Zwar war ihr der Grund nicht zu entlocken – aber Alex hatte die starke Vermutung, daß der Schotte sie mit einem anderen erwischt hatte. Um lustige Geschichten war sie nie verlegen. „Bei uns im Haus wohnt eine ältere, dünne, unglaublich häßliche Eng-länderin. Heute hielt sie mich an und fragte, wieso ich allein in einem Taxi fahren könne. Sie würde das nie machen – denn wisse man, ob nicht der Fahrer plötzlich mitten in der Wüste anhielte, um sie zu vergewaltigen? Ich sah sie daraufhin an und dachte mir: Das Glück wirst du nicht haben.“ Sie hatte Alex ins Visier genommen. In Bezug aufs Heiraten mußte er zwar passen, aber einer Romanze gegenüber wäre er nicht abgeneigt gewesen. Dafür aber war sie wieder zu klug. Sie brauchte zwei Tage, um einen Architekten zur Strecke zu bringen. In Souk lernte Alexander einen Ägypter kennen, der gut deutsch sprach und als Lehrer tätig war. Er beklagte sich bitter über die Faulheit der Kinder. Die säßen nur ihre Zeit ab, weil der Scheich jeder Familie pro Kind, das sie zur Schule schickt, 800 Mark zahle und dazu noch eine kostenlose Wohnung zur Verfügung stelle. Wenn das richtige Beduinen seien, lebten sie jedoch lieber am Stadtrand in ihren Zelten und vermieteten die Wohnung. Otto war ein Fotoexperte. Hatte er eine gleichgesinnte Seele gefunden, konnte er stundenlang diskutieren über die Vorzüge dieser oder jener Kamera, des Filmmaterials, über Belichtungs- und hundert weiterer Aspekte. Ihm wollte Alex etwas zum Grübeln geben: „Horch mal, Otto! Weißt du, was der ‚Goldene Schnitt‘ ist?“ Otto hatte darüber nur eine verschwommene Vorstellung und Alex erläuterte: „Wenn bei einem Möbelstück, einem Haus, einem Menschen oder irgendeinem Gegenstand die Maße in einem bestimmten Verhältnis stehen, finden wir das schön. Die Formel dazu stammt von Pythagoras, einem alten Griechen aus dem Altertum. Naja, so ungefähr könnte man jedenfalls seinen Lehrsatz zugrunde legen. Jetzt entwickle du doch mal eine Formel, weshalb manche Gesichter auf Fotos schön, also fotogen sind und andere nicht.“ Otto mußte passen, und Alex hatte einen Aufhänger, mit dem er ihn hänseln konnte. Nach sechs Monaten erhielt Alex vierzehn Tage Urlaub und einen Freiflug. Der Innenausbau war jedoch so kompliziert, und der englische Subunter-nehmer arbeitete mit derartigen Tricks, daß er es vorzog, seine Frau einige Wochen kommen zu lassen. Immerhin konnte man dort angenehm leben – nicht im Camp unter abenteuerlichen Bedingungen wie in Saudi-Arabien. Seine Frau war aufgeregt, konnte sich jedoch rasch und gut anpassen. Alex war eigentlich mehr ein Einzelgänger – aber gerade jetzt bekam er mehr Einladungen, als ihm lieb war. In Souk versammelte sich, wo immer sie auftauchten, regelmäßig eine Schar von Araberinnen um sie. Teils wegen der weißblonden Haare seiner Frau, die auf sie faszinierend wirkten, teils wegen ihrer mit Händen und Füßen betriebener Verständigung. Das Hotel wurde kurz vor Ramadan fertig. Im Ramadan arbeiteten alle nur jeweils sechs Stunden täglich. Solange es hell war, durfte nichts gegessen oder getrunken und auch nicht geraucht werden. Dafür wurden dann nach Einbruch der Dunkelheit wahre Freßorgien veranstaltet. Wer es sich leisten konnte, verbrachte die Zeit im Ausland. Einige Wochen vor Vertragende ließ Alex seine Frau noch mal kommen und flog mit ihr über Karatschi, Kairo und Istanbul nach Hause. In jeder Stadt blieben sie eine Woche. Alex besaß eine Abneigung gegen Luxusher-bergen und ihren Pauschaltouristen und ließ sich in Karatschi ins beste einheimische Hotel, das Majestic, bringen. Die Fürstensuite kostete nur ein Drittel dessen, was man im Interconti hätte hinblättern müssen; das Essen war opulent, wohlschmeckend und preiswert. Über der Stadt lag ein undefinierbarer Gestank. Mitten durch die Stadt schlängelte sich ein Fluß, der die Abwässer der gesamten Bevölkerung aufnahm und dementsprechend bestialisch roch. Die Pakistanis in der Stadt kauten Betel und spuckten wahllos in die Gegend. Es sah aus, als ob sie Blut spuckten. Seine Frau wollte sofort weiter, aber das nächste Flugzeug ging erst in sechs Tagen. Alex warnte sie: „Gib keinem Bettler Geld, sonst wirst du ihn nicht mehr los. Gib vor allem auch nichts den kleinen Kindern, auch wenn sie auch noch so erbarmungswürdig aussehen. Wenn wir geben, geben wir bestimmt zuviel, und wie soll ein Kind den Sinn von Arbeit jemals einsehen, wenn es mit Betteln mehr verdient, als der Vater mit seiner Arbeit?“ Natürlich hörte sie nicht auf ihn, und bei ihrem nächsten Spaziergang wartete eine ganze Horde von Bettlern auf sie. Sie mieteten ein Taxi, und der Fahrer verlangte für den ganzen Tag dreißig Mark. Vor Staunen vergaß Alexander völlig, zu handeln. Die Küste war wunderschön – mit steilen Klippen, einem breiten und weißen Sandstrand und Wogen die bis zu mehreren Metern hoch wurden. Sie fragten den Taxifahrer nach den Bettlern mit seltsam verdrehten Armen und Beinen – und ob es sich dabei um eine Krankheit handele. Dieser druckste herum und erzählte dann: „Wenn eine arme Familie fünf Kinder hat, und dann noch eins nachkommt, werden diesem die Glieder verrenkt, damit es durch Betteln Geld einbringt.“ In dieser und in anderen ähnlichen Städten würden Lebensmittelhilfen wie in einem Faß ohne Boden versickern. „Man muß doch etwas tun können für diese armen Menschen“, empörte sich seine Frau. Dies ist eine andere Kultur“, widersprach Alex, „in Asien gibt es Leute, die sind so reich – dagegen sind unsere Reichen die reinsten Bettler. Solange dieser Zustand als normal angesehen wird, sehe ich nicht ein, warum wir uns einmischen sollten.“ Er kaufte ein Schachspiel aus Onyx und einen Koffer aus Wasserbüffel-leder. Die Handwerker stellten ausgezeichnete Produkte her. Alex erkundigte sich nach Exportmöglichkeiten, da diese Sachen wohl auch in Deutschland einen guten Markt fänden. Ein Sachbearbeiter bei der deutschen Botschaft warnte ihn: „Dazu brauchen Sie einen vertrauens-würdigen Einkaufsagenten vor Ort. Sonst ist die erste Sendung in Ordnung und die nächste nur Schrott.“ Beim Abflug trafen sie einen Deutschen, der eine Werkzeugfabrik vertrat, in Griechenland wohnte und seine asiatischen Kunden alle drei Monate besuchte. Der gab ihnen einen guten Tip für Kairo: Hotel Concord, schräg gegenüber dem Sheraton Hotel. Es war preiswert, sauber und modern eingerichtet. Sie hatten Glück, denn sie kamen gerade zu dem Zeitpunkt in Kairo an, an dem stets einmal im Jahr 400 Paare zur gleichen Zeit bei den Pyramiden heirateten. Das war wie ein Volksfest, mit Musik, tanzenden Pferden und einer riesigen Menschenmenge. Sie besuchten das Nationalmuseum sowie den großen Basar und erkletterten die große Pyramide. Alex filmte das unter ihnen liegende Kairo, als ein blonder, junger Mann hochgeklettert kam und halblaut auf deutsch über die Hitze fluchte. Alex fragte ihn: „Wo kommst du denn so alleine her?“ „Bin aus Hatzfeld, und da unten steht mein Motorrad.“ Alex war platt – der Ort war nicht weit von ihrem Zuhause. Und allein mit dem Motorrad nach Kairo – das imponierte ihm. Er hieß Gerd und lebte in Berlin, weil er nicht zum Bund wollte. Wegen einer notwendigen Reparatur lebte er seit einer Woche von einer Schüssel Grütze am Tag, um die Reisekasse auf diese Weise wieder auszugleichen. „Das Zeug kostet nur dreißig Pfennig und schmeckt erträglich“, sagte Gerd, „Ist hier ein Armeleuteessen – so lernt man das Land dann richtig kennen. Habe mich leider seit ein paar Tagen nicht richtig waschen können, und die Straßen sind hier verdammt staubig.“ Alex lud ihn in ihr Hotel zum Essen und Waschen ein. Erst wollte der Portier die staubige, schmutzige Gestalt nicht hereinlassen, ließ sich aber überreden. Als Gerd die Preise sah, wurde er blaß. „Von dem Preis einer Mahlzeit kann ich fast eine Woche lang leben!“ – stöhnte er ungläubig. „Drüben im Sheraton sieht es so aus, daß du von dem Preis einer Mahlzeit einen vollen Monat lang leben kannst“, grinste Alex. „Wie können Politiker sowas zulassen oder ermöglichen?“ – fragte Gerd, „solche Gegensätze wirken doch wie Dynamit.“ „Damit kommt eben Geld ins Land. Aber du hast schon recht. Wenn das größte Einkommen vierzig mal höher ist, als das niedrigste, dann ist in einem Land die Revolution nicht mehr weit.“ „Weshalb gerade vierzig mal?“ – fragte Gerd verblüfft. „Hab ich in einer Studie über Revolutionen gelesen“, sagte Alex achselzuckend, „wird aber wohl nicht allgemeingültig sein, sondern lediglich ein Anhalt oder Beispiel. Manche Völker sind ja auch geduldiger als andere.“ Gerd war mit seinem Motorrad schon in Finnland und Island gewesen – jetzt wollte er noch nach Luxor und dann wieder heimwärts. Als er sich auf seine Maschine schwang und losbrauste, meinte Alex: „Nach zehn Kilometern auf diesen Straßen ist er so schmutzig wie vorhin.“ In Kairo fühlten sie sich schon halb zu Hause. Viele Händler sprachen Deutsch und ihre amüsante Beteuerung: „Ich bin kein großer Gauner – nur ein kleiner!“, wenn sie ihre gefälschten Antiquitäten verkaufen wollten, trug zur allgemein heiteren und gelösten Urlaubsstimmung bei. Sie landeten in Istanbul, der goldenen Stadt des Altertums. Die Taxifahrer verlangten dreißig Mark für die zwölf Kilometer bis zur Stadt. Alex entschied sich für den Bus, zahlte pro Person eine Mark und lachte über die langen Gesichter der anderen, als er später davon erzählte. Ein Türke sprach ihn an: „Ich komme gerade aus Deutschland – habe dort ein Teppichgeschäft. Das Leben in Istanbul ist nicht ungefährlich. Steigen Sie nie in ein Auto, wenn Ihnen der Fahrer etwas ganz besonderes zeigen will. Es kann nämlich passieren, daß er auf irgendeinem verlassenen Hinter-hof hält, wo schon ein paar dunkle Gestalten warten.“ Alex erkundigte sich nach einem guten und preiswerten Hotel in der Innenstadt. Der freundliche Türke stieg mit ihnen aus und brachte sie zu einer Pension in der Nähe der blauen Moschee – mitten in der lärmenden, quirligen Innenstadt. Der Basar dehnte sich unendlich aus. Sie hätten Wochen benötigt, um alles zu sehen. Unmengen von Obst aßen sie – und solche riesigen, schwarzen und köstlichen Kirschen wie hier hatten sie zuvor auch noch nicht gegessen. Alex verhandelte drei Tage lang wegen eines Janitscharensäbels. Wenn man im Orient den Preis auf die Hälfte herunter handelt, macht der Händler immer noch einen Gewinn. Aber dieser Basarhändler wußte, was er da für eine Rarität feilbot. Deshalb gab sich Alex schließlich mit einem gekrümmten Dolch mit einem geschnitzten Elfenbeingriff zufrieden. Sie fuhren über das Marmarameer und die Dardanellen hinauf bis zum schwarzen Meer. Die Zeit war viel zu kurz, um alles zu sehen oder alles zu kosten oder auszuprobieren. Der Urlaub ging langsam zu Ende. Zu Hause angekommen, mußte Alex eine Weile bleiben. Seine Tochter wollte auch Tischler werden. Eine Lehrstelle hatte sie schon ergattert. Er hatte einige Bauleiter kennen gelernt, die schon jahrelang im Ausland tätig waren und war sich der Gefahr bewußt. Ohne den direkten Kontakt mit den neuesten Errungenschaften und Methoden waren sie jahrelang hinter der Entwicklung zurückgeblieben. Einer erzählte ihm mal: „Ich bin verdorben, tauge nicht mehr für Deutschland. Fünf Jahre war ich in der Wüste und hatte dann alles satt. Habe dann eine Baustelle in Deutsch-land verlangt und auch bekommen. Die lag an einer Einbahnstraße mitten in der Stadt. Kam zum Beispiel ein Lastwagen mit langen Eisenträgern, der nicht anliefern konnte, weil eine Kreuzung zu eng war. Von der anderen Seite aber war genügend Platz. Also hielt ich den Verkehr an und sagte dem Fahrer, er solle in Gegenrichtung die Einbahnstraße befahren und seine Träger abladen. Zehn Minuten später war die Polizei da, und man hätte mich beinahe auf der Stelle verhaftet. Dann brauchte ich mal dringend Wasser. Also ran an den Hydranten, einen Schlauch angeschlossen und alles war paletti – dachte ich. Kam so ein Typ vom Wasserwerk und veranstaltete ein Mordspektakel. Schließlich feuerte ich mal einen Mann mit zwei linken Händen – da ging aber der Zauber so richtig los. Da bin ich dann zum Boß und verlangte wieder in die Wüste geschickt zu werden.“ Für Alex ergab sich daraus, daß auf ein Jahr Arabien ein oder zwei Jahre zu Hause folgen mußten – dann würde er ‚up-to-date‘ bleiben. Wer als Auslandsbauleiter an den weiten persönlichen Spielraum gewöhnt ist, kann sich schlecht in die mit Vorschriften und einengenden Regeln gespickte Firmenhierarchie wieder eingewöhnen. Er mußte also jeweils selbständig arbeiten – und zwar so, daß er immer innerhalb einiger Wochen seine Zelte abbrechen konnte. Der Zauber der Wüste und der Ferne hatte ihn gepackt. Er fand einige geeignete Schreiner und schloß mit ihnen Subverträge ab. Daraufhin besorgte er Aufträge, organisierte die Arbeit, arbeitete auch selber hand-werklich mit und kümmerte sich darum, daß die Rechnungen bezahlt wurden. Es lief gut, und manchen Monat verdiente er noch mehr als in Arabien. Er legte sich nicht fest und blieb flexibel. Abgehängte Decken, Wand- und Deckenvertäfelungen, Ladenbau, Montage von Türen und Fenstern, Einbauschränke, Trennwandsysteme. Er nahm, was kam – und die Kunden waren zufrieden. Frankfurt Alex kam in das Kinofoyer, wandte sich zur Bar und sah Fox im Kreise einiger Gestalten in Lederkleidung und Stiefeln sowie mit Sturzhelm im Gespräch vertieft. Er bestellte einen Brandy und sagte: „Hallo Fox, wie geht’s?“ „Gestern ging´s noch – heute weiß ich noch nicht.“ – kam die Antwort. Seine Gesprächspartner betrachteten Alex forschend. Obwohl er jünger aussah, als es in seinem Paß stand, war er doch eine andere Generation, und in ihren Gesichtern war deutlich der Standpunkt abzulesen: Trau keinem über dreißig! „Das sind Freunde aus der rechte Szene“, stellte Fox vor. „Zuverlässig?“ – fragte Alex. Einer der Lederjacken trat vor und wurde von einem anderen an der Schulter festgehalten. „Warte mal“, sagte der, „ich glaube ich kenne den Typ“, und zu Alex: „Waren Sie vor ein paar Jahren mal in Kairo?“ Alex erkannte ihn – es war Gerd. Etwas älter und reifer zwar – aber als er jetzt den Sturzhelm absetzte, mit immer noch denselben blonden Haaren. „Du wohntest doch in Berlin, was verschlug dich denn nach hier?“ „Eine Freundin – wie es so geht.“ Sie schüttelten sich erfreut die Hände, und Gerd erzählte den anderen von ihrem Zusammentreffen an der großen Pyramide. Sofort war Alex akzeptiert. Fox kam nun endlich dazu, die ihm gestellte Frage zu beantworten: „Die Jungs sind schwer in Ordnung.“ Alex wollte es genauer wissen: „Ich war ein paar Jahre im Ausland. Was tut sich denn mittlerweile auf der rechten Seite des Landes? Damit meine ich nicht die CSU.“ Gerd machte sich zum Sprecher: „Wir haben ein reges Vereinsleben – einzelne größere Aktionen und viele kleine.“ „Also Beschäftigungstherapie mit Gleichgesinnten?“ – fragte Alex. „Was soll man machen?“ – warf ein anderer ein, „das patriotische Potential liegt je nach Gegend zwischen zehn und zwanzig Prozent.“ „Ihr braucht eine neue Strategie, beziehungsweise überhaupt mal eine. Seht euch mal die Grünen an. Mit einigen Prozent Wählerstimmen haben die ganz schön was in Bewegung gesetzt.“ „Und wie soll sowas aussehen?“ – fragte Gerd. „Nur mal so aus dem Stehgreif“, antwortete Alex nachdenklich, „ihr habt als Basis eine Menge überzeugter Mitglieder, besitzt Disziplin und haltet zusammen. Der Normalbürger fürchtet Krieg, wirtschaftliche Notlagen und macht sich Sorgen, wie er seine Raten zahlen kann – um dann auf Abzahlung noch mehr Dinge zu kaufen, die er im Grunde gar nicht braucht: Unter solchen Bedingungen eine schwere Last. Auch bedrückt ihn, daß sein Nachbar eventuell mehr Geld verdienen könne als er. Und solange er im Kreislauf dieser Ängste gefangen ist, ist er manipulierbar und somit auch zu beherrschen. Was glaubt ihr, warum die Radio- und Fernsehbosse mehr verdienen als der Bundeskanzler? Die sollen diese Angst verbreiten und wachhalten, dabei aber selbst Angst um ihren Job und das gute Leben haben. Oder die Spitzenkräfte der großen Organisationen? Die werden doch nach Fügsamkeit ernannt und nicht nach fachlichem Können. Und damit sie auch ja nur spuren, ist das Gehalt entsprechend hoch. Dagegen müßt ihr Zeichen setzen – aufzeigen, daß es auch anders geht.“ Alex hatte interessierte Zuhörer. Ihm gefielen die Burschen. Er bestellte eine Runde, und Fox fragte: „Was meinen Sie mit den ‚großen Organisationen‘ und mit ‚Zeichen setzen‘? Der Rest leuchtet mir schon ein.“ „Gut, erstmal ein Beispiel“, fuhr Alex fort, „der Präsident des Roten Kreuzes ist adelig durch Adoption. Für mich ist dies das gleiche, als wenn sich jemand einen Adelstitel kauft. Als er Bundestagsabgeordneter wurde, verteilte er in Bonn Putztücher – seitdem heißt er dort der Scheuerlappenprinz. Im Jahr verdient er rund 600.000 Mark. Seinen Waldarbeitern befahl er, seinen Sohn mit ‚Durchlaucht‘ anzureden. Man könnte meinen, wir befänden uns im tiefsten Mittelalter. Alternative Zeichen zu setzen, ist eigentlich gar nicht so schwer. Man muß sich nur an den Bedürfnissen der Menschen orientieren und sich fragen, wo der Staat Fehler macht und auf welchen Gebieten die Staatsverdrossenheit am größten ist. Nehmen wir mal den Agrarmarkt – ein einziges Desaster. Beim Olivenöl wird die EG von den Italienern jedes Jahr um 500 Millionen Mark beschissen. Die Beamten in Brüssel wissen das, können aber nichts dagegen tun. Wahnsinnsgeldbeträge werden ausgegeben, um Lebensmittel zu vernichten, und anderswo wird gehungert und verhungert. An Rußland verschenkt man die Butter beinahe, und die eigenen Rentner können sich vielfach keine leisten. Solche Beispiele ließen sich stundenlang fortsetzen. Würde man alle Subventionen auf diesen und ähnlichen Gebieten zusammenzählen, könnte man jedem deutschen Bauern damit 5.000 Mark pro Monat an direkten Zuschüssen zahlen. Dabei geht es vielen kleinen und mittleren Bauern so schlecht, daß immer mehr aufgeben müssen. Den Großen wird das Geld aber förmlich hinterhergeschmissen. In der Viehhaltung herrscht eine enorme Fleischüberproduktion. Und zusätzlich wird diese durch zweifelhafte Hormonzusätze im Futter noch erhöht. Hast du schon mal bewußt zugesehen, wie klein ein Schnitzel beim Braten zusammenschmort? Aber die Bauern befinden sich in der Zwickmühle. Die Ställe, die Maschinen und das Futter sind teuer, und die Kosten müssen erwirtschaftet werden. Dazu müßt ihr einen alternativen Vorzeigebetrieb einrichten: Kleine Ställe und keine Maschinen – dafür Wildtierhaltung, beispielsweise Damwild, wie es ja schon im Kleinen praktiziert wird. Das muß nur im Winter zugefüttert werden. So wird gesundes Fleisch produziert.“ „Ist ja alles richtig“, meinte Gerd, „aber dazu braucht man ´ne Menge Knete.“ „Klar – aber von vielen einzelnen ein bischen – das ergibt in der Summe auch viel. Und nur tote Fische schwimmen mit dem Strom. Und dann gebe ich dir noch einen zusätzlichen Rat: Schaff dir Zeiten der Muße. Zum Nachdenken und kritischen Überprüfen deines Lebensweges – sonst wirst du im Netz deiner eigenen Aktivitäten erdrosselt. Und was immer ihr euch auch vornehmt: Glaubt nichts – prüft alles und vor allem – fragt immer wieder: Wem nützt es?“ Damit wechselte Alex das Thema: „Fox, wann macht der Neumann Feier-abend? Ich will mir den Typen morgen auf dem Heimweg greifen und ihn ein wenig ausquetschen.“ „Nach meiner Feststellung um 18.00 Uhr – aber von einem Mal ist das wohl nicht sicher zu sagen.“ „Nun, ich muß es versuchen. Er kann ja auch nach der Arbeit noch ins Kino oder Theater, zum Einkaufen oder auf eine Party gehen.“ Die Runde war aufmerksam geworden. „Brauchen Sie Unterstützung?“ – fragte Gerd. „Das wäre nicht unflott“, meinte Alex nachdenklich, „ich habe Ärger mit einem Israeli und seinem Handlanger. Genaues weiß ich nicht – nur, daß vor Gericht nichts geht. Einmal suchte ich mein Recht über die Justiz. Dabei mußte ich die Erfahrung machen, daß außer den beteiligten Anwälten niemand einen Streitfall gewinnt. Ich habe gelernt, daß der Preis der Freiheit dauernde Wachsamkeit ist, sowie die Bereitschaft, jederzeit für seine Rechte zu kämpfen.“ „Wir würden dir gerne helfen, stimmt´s?“ Gerd blickte in die Runde und rundum ein zustimmendes Nicken. Alex grinste und versprach: „Dafür schließe ich euch in mein Abendgebet ein.“ Er zog den Stadtplan aus der Tasche und zeigte ihnen den Bahnhof: „Seid morgen kurz nach 18 Uhr dort, und wenn ich mit diesem Neumann rauskomme, dann fahrt ihr einfach nur in der Nähe hin und her. Das wird ihn dann schon mürbe machen. Mehr wird sicherlich nicht nötig sein.“ Er wandte sich an Gerd: „Du gingst doch damals nach Berlin, um der Bundeswehr zu entgehen. Werden die dich jetzt noch einziehen?“ Gerd lachte verlegen und antwortete: „In Berlin las ich ein Gedicht von Brecht: ‚Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin – dann kommt der Krieg zu euch.‘ Daraufhin änderte ich meine Meinung und riß meine Zeit ab. Denn falls es noch mal krachen sollte, will ich nicht wehrlos sein und mich herumschubsen lassen. Tja, das Leben ist nun mal hart.“ „Es könnte schlimmer sein: Es könnte regnen“, meinte Alex gelassen und fuhr dann fort: „Es kommt halt immer auf den Standpunkt an“, und dann ernst: „Wenn man ein Ziel verfolgt, muß man sich darüber klar sein, was schlimmstenfalls passieren kann, falls es schiefgehen sollte – und es in Kauf nehmen, da man sonst gehemmt ist. Gewinnen kann man nicht immer. Hauptsache, man liefert einen guten Kampf, steht danach auf und macht weiter.“ Mittlerweile kamen noch mehr Leute zur Bar und unterhielten sich über den Film, lokale Politik, ihren nächsten Urlaub und berufliche Probleme. Alex besuchte die letzte Vorstellung – seine Nerven hatten sich wieder beruhigt. Trotz seiner vielen hinter ihm liegenden Erfahrungen war der Tod des Butlers nicht spurlos an ihm vorüber gegangen. Er grübelte immer noch über die letzten Worte des sterbenden Mannes nach. Die konnten eigentlich nur bedeuten, daß der ihn dreimal bemerkt und das dritte Mal nicht mehr für Zufall gehalten hatte. Amüsiert beobachtete er ein paar Sitzreihen weiter Fox bei seinem Ringkampf mit dem Barmädchen. Nach der Vorstellung wanderte er langsam zu seinem Hotel. Es war Herbst und wurde schon merklich kühl. Er liebte einsame Spaziergänge - sie regten seine Phantasie an. Als er sein Hotelzimmer betrat, dachte er zunächst, das Zimmer verwechselt zu haben. Denn im Bett lag jemand. Dann sah er die blonden Haare und dachte: Ein Tag ist 24 Stunden lang – aber an manchen Stellen besonders breit. Er weckte Brigitte zärtlich, und die folgende Stunde verlief sehr zufriedenstellend für beide. Am nächsten Morgen erinnerte er sich nur undeutlich, wann und wie sie gegangen war. Er frühstückte ausgiebig, las in Ruhe die Tageszeitung und rief wegen eines Termins bei Doktor Scheller an. Der Rechtsanwalt hatte Zeit für ihn, und eine Stunde später saß Alex ihm gegenüber. Das Büro mit seinen braunen Ledersesseln und den dunklen Mooreichemöbeln strahlte Tradition und Solidarität aus. Doktor Scheller überreichte ihm einige DIN-A4 Blätter, auf denen in alphabetischer Reihenfolge alle Parteien, Vereine und Aktionsgruppen mit ihrem jeweiligen Programm aufgeführt waren. Alex zog die tags zuvor erbeutete Liste hervor und gab sie dem Anwalt. „Können Sie mit diesen Namen etwas anfangen?“ – fragte er. „Ich habe einen bestimmten Verdacht – deshalb möchte ich nichts dazu sagen.“ Beide vertieften sich in ihre Papiere. Doktor Scheller war zuerst fertig und sah fragend über seine Halblesebrille zu Alex: „Wo haben Sie die Liste her? Es scheint eine Zusammenstellung von Personen zu sein, die in letzter Zeit mit nationalen Aufrufen und Aktionen hervortraten.“ Alex erzählte von seiner Begegnung mit Harris, von Neumann und seiner Vermutung, dieser habe etwas mit seinem nicht eingelösten Scheck zu tun. Den Butler erwähnte er nicht – das wäre ihm doch zu heikel gewesen. „Alles unbestimmt und ohne Beweise“, sinnierte der Anwalt. „Man wird die Sache im Auge behalten müssen. Konnten Sie auf meiner Liste etwas entdecken?“ „Ja“, meinte Alex, „das Programm der Volksunion sagt mir zu.“ Der alte Herr lächelte fein: „Aber zuvor möchte ich etwas über Ihre Überzeugungen hören. Weshalb interessieren Sie sich dafür?“ „Das ist gar nicht so einfach zu erklären. Die Überzeugung, in dieser Richtung etwas tun zu müssen, ist allmählich in mir gewachsen. Ich war einige Jahre als Bauleiter im Ausland, und dabei wird man automatisch zum Nationalisten. Und wenn man dann hierzulande die ganzen Fehlentwick-lungen sieht, wird man zum Patrioten. Dabei bin ich mit einem starken sozialen Einschlag behaftet. Niemandem in unserem Land muß es schlecht gehen, wenn er nicht zu faul zum Arbeiten ist. Aber der Staat hat auch die Pflicht, mit allen Möglichkeiten dafür zu sorgen, daß jeder arbeiten kann. Vierzig Jahre nach Kriegsende wird es Zeit, endlich wieder nationale Politik zu betreiben. Mit unseren Präsidenten hatten wir bislang Glück – mit Ausnahme von Lübke, den ich als Ausrutscher ansehe. Aber die Herren Bundeskanzler – oha! Angefangen bei dem Separatisten Adenauer. Weiter zu Brandt; der wurde nur gewählt, weil er Hoffnungen auf die Wiedervereinigung weckte. Der beste war bisher noch Schmidt – aber ein Volk kann man nicht nur managen. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Wir sind nicht nur in Wissenschaft, Technik und Arbeit spitze – wir wollen auch weiterhin das Volk der Dichter und Denker bleiben. Ideale sind für uns ebenso wichtig. Weshalb gab es im dritten Reich so viele Verräter? Stalin wußte eher über Hitlers Pläne Bescheid als die Generäle der Wehrmacht. Der spätere Justizminister von Bayern hatte den Angriffstermin im Westen ausgeplaudert. Dies geschah aus fehlgeleiteten Idealismus und nicht etwa aus Geldgier. Dieser Staat sollte so aufgebaut und organisiert werden, daß er die gleiche Ausstrahlungskraft besitzt wie seinerzeit Preußen. Zukünftig können nur Ideen siegen – nicht der Konsum.“ „Was halten Sie von Rudi Dutschke?“ „Das war ein typischer Deutscher: Viel Feind – viel Ehr. Er legte sich mit dem Kapital an, und das brachte ihm eine Kugel in den Kopf ein. Daß der Attentäter Selbstmord begangen haben soll, leuchtet mir nicht so recht ein. Dann schrieb er ein Buch über den asiatischen Despotismus bei den Russen – und das Ergebnis? Tod in der Badewanne. Ich halte ihn für einen maßlosen Idealisten.“ Der alte Herr betrachtete ihn ruhig und sagte: „Ihre Ansichten sind für mich äußerst interessant. Aber aller guten Dinge sind drei. Was ist ihre Meinung zur RAF?“ „Schwer zu sagen“, entgegnete Alex, „angefangen hat es sicherlich mit der Empörung über ungerechte Zustände. Was die sich aber von ihrem parteichinesischen Programm versprachen, ist mir schleierhaft. Obwohl“ , fügte er hinzu, „die Strategie richtig war. Das Loch im Kopf des Königs – das machte die Staatsorgane beinahe hysterisch. Bekleidet jemand eine hohe Position und muß praktisch in einem Bunker leben, macht das keinen Spaß mehr.“ Doktor Scheller sah auf die Uhr und fragte: „Gehen Sie mit essen? Ich kenne ein nettes, kleines Restaurant in der Nähe. Meine Sekretärin kann inzwischen die Empfehlung schreiben.“ Alex hatte den Stimmtaster auf der Schreibtischablage bemerkt. Aber er wollte den Rechtsanwalt nicht durch eine Frage in Verlegenheit bringen – die Empfehlung war ihm Antwort genug. Das Lokal erwies sich als ein französisches Bistro, das Essen als vorzüglich und der alte Herr als heiterer Plauderer. Er erzählte aus seiner Zeit während des Krieges in Frankreich und seinen dortigen Freunden, die er jedes Jahr im Urlaub besuchte. Alex ließ er aus Arabien und aus Afrika berichten. Als sie beim Kaffe und einer Zigarre angelangt waren, meinte er abschließend: „Ich glaube, Sie sind für jede Gemeinschaft ein Gewinn, obwohl nicht ganz unproblematisch, da Sie für ihre Überzeugungen eintreten und sich nie mit dem Erreichten zufrieden geben.“ „Richtig“, lächelte Alex, „aber momentan ist mein persönlicher Zustand sehr zufriedenstellend.“ Alex fuhr fort: „Das menschliche Gehirn ist wohl der gefährlichste Mech-anismus auf dieser Welt. Es denkt Schatten und rechtfertigt damit die scheußlichsten Taten gegen andere. Heute sind es die Kapitalisten, Kom-munisten, Faschisten, Imperialisten, und Marxisten – früher waren es die Häretiker, Hexen, Baptisten und Ungläubige. Der, der furchtlos seinen eigenen Weg geht, getreu seinen Überzeugungen, erregt bei der Meute Neid. Und da die auch gern so wären, es aber nicht sein können, wird aus Neid am Ende Hass.“ Sie schlenderten langsam zum Büro zurück. „Meine Zeit ist ja bald abgelau-fen“, setzte Doktor Scheller die Unterhaltung fort, „aber Sie werden noch interessante Dinge erleben. Früher war für die Unzufriedenheit in Europa die Auswanderung ein Ventil. Heute bleibt der Kessel nahezu dicht und muß seinen Überdruck selber regulieren.“ „Na“, widersprach Alex, „Sie haben aber doch noch eine ganze Anzahl von Jahren vor sich.“ Der andere lächelte traurig und sagte: „Ich habe meinen Grabsteinspruch schon ausgesucht: ‚Er ging nicht gerne, aber zufrieden‘! Nur schade, daß ich meine alten Knochen nicht mehr in meine schlesische Heimat tragen kann.“ „Die Geschichte bleibt nicht stehen“, meinte Alex, „der Trost bleibt ihnen: Sollte eines Tages ein Interessenausgleich zwischen Deutschen und Russen nötig sein, werden die Rechnung die Polen bezahlen. Schon Bismarck meinte: Die Polen muß man schlagen, bis sie am Leben verzagen. Ein Hausbesetzer ist kein Hausbesitzer.“ Im Büro angekommen fügte der alte Herr der Empfehlung handschriftlich einige Sätze hinzu und verabschiedete Alex mit der Mahnung, ihn bei Gelegenheit mal wieder zu besuchen. Am Nachmittag telefonierte Alex mit den Interessenten, die auf seine Anzeige geantwortet hatten. Termine machte er für den nächsten Abend aus. Um 18.00 Uhr wartete er vor der Bank. Neumann würde ihn gewiß nicht wiedererkennen – es war ja schon vier Jahre her. Aber dennoch wollte er, so gut es eben ging, außer Sicht bleiben. In den Zeitungen stand noch nichts über den Butler – gefunden war er aber bestimmt schon. Wie es sich für einen leitenden Mitarbeiter gehört, kam Neumann rund zehn Minuten nach dem großen Rudel der einfachen Bankangestellten. Alex folgte ihm in gehörigen Abstand zur S-Bahn und bestieg ein Abteil neben ihn. Durch die Verbindungstür konnte er ihn weiter beobachten. Das Umsteigen am Hauptbahnhof verlief reibungslos – der Verfolgte hielt nirgends an und sah sich auch nicht um. Ein normaler Bürger auf dem Weg von der Arbeit nach Hause. Sie stiegen aus. Neumann ging langsam und bedächtig, sichtlich um einen Abstand zu den anderen Bahnbenutzern bemüht. Er trat aus der Tür, stutzte über die zwölf Motorradfahrer in ihrer Lederkleidung und wollte sich nach links wenden. Alex trat auf ihn zu. „Auf ein Wort, Herr Neumann.“ Der sah sich eher neugierig als erschreckt um. Alex beobachtete sein Gesicht. Langsam dämmerte bei Neumann Erkennen. Auch gut, dachte Alex, faßte Neumanns linke Hand und drückte dessen Mittelfinger mit einem schmerzhaften Judogriff zusammen. Dessen Mund öffnete sich zu einem entsetzten Schmerzensschrei. Alex hatte mit seiner linken Hand die Karatepranke gebildet und tippte Neumann damit leicht gegen den Kehl-kopf. Der Schrei erstickte in einen Gurgeln, und er zog ihn an den eingeklemmten Fingern nach rechts fort. Die Motorräder erwachten zu dröhnendem Leben. Die Fahrer mit den geschlossenen Sturzhelmen wirkten wie Ritter aus dem Mittelalter. Neu-mann war bleich. Seine Blicke huschten hin und her. Er wirkte wie eine in der Falle sitzende Ratte. Mehrmals setzte er zum Sprechen an, brachte aber kein Wort hervor. Gezwungenermaßen folgte er Alex mit einem halben Schritt Abstand. Sobald er langsamer werden wollte, verstärkte sich der Druck an seinem Finger zu einem grausamen Schmerz. Der Weg führte nach wenigen Häusern zwischen Wiesen und kleinen Waldstücken hindurch zu einem der nächsten Vororte. Die Straße war leer bis auf die kreisenden Maschinen. Nicht zur Ruhe kommen lassen, dachte Alex, den Druck verstärkend. „Erinnern Sie sich?“ – fragte er, „und dachten Sie etwa, ich verzichte einfach so auf 300.000 Mark? Heute ist Zahltag! Vier Jahre habe ich gewartet, und nun haben Sie exakt zwei Möglichkeiten: Sie bezahlen – oder Sie sterben!“ Neumanns Gesicht verzerrte sich vor Entsetzen. Sie waren um ein Wäldchen gebogen. Alex ließ die Hand los. Neumann atmete schon erleichtert auf, als Alex ihm einen brutalen Nierenhaken versetzte. Neumann sank in die Knie, ächzte röchelnd und wurde grün im Gesicht. Alex betrachtete ihn mit kalten, gnadenlosen Augen. Die Motorräder waren im Halbkreis aufgefahren und verstummten nun. Die Gestalt vor Alex hielt sich die Seite und wimmerte. Alex trat ihm in den Bauch. Seine gleichgültige Grausamkeit demoralisierte Neumann vollstän-dig. Der bedrohliche Halbkreis der ledergekleideten Gestalten mußte ihm vorkommen wie das jüngste Gericht. Alex zog eine seiner schlanken Zigarren hervor und zündete sie an. Ungerührt beobachtete er die sich windende Gestalt vor ihm. Nach einer Weile forderte er Neumann auf: „Erzähle!“ Der schluckte ein paar Mal, befeuchtete mit der Zunge die Lippen und stammelte: „Was denn? Ich weiß doch nichts!“ Alex trat einen Schritt auf ihn zu. Neumann brach schluchzend zusammen. Er streckte flehend die Hände aus und bettelte: „Nicht mehr schlagen – ich sage alles – nicht mehr schlagen.“ Alex betrachtete ihn erstaunt. Der Mann hatte panische Angst vor körperlichen Schmerzen. Unter Stöhnen und Wimmern begann er zu erzählen: Vor rund zehn Jahren war er von Harris angeworben worden. Zu Beginn sollte er lediglich bei bestimmten Kreditanträgen die Richtlinien besonders eng auslegen. Später, als er nicht mehr zurück konnte, bei bestimmten Personen und Unternehmen Zahlungen verzögern, Schecks fehlleiten und Kredite ablehnen. Seit einigen Jahren hatte er sogar schlechte Bonitätsbeurteilungen in den Computer einzugeben. „Und was hast du Drecksack mit meinem Scheck gemacht?“ „Den gab ich Harris. Er wollte sich um alles kümmern. Ich sollte nur alles so präparieren, als ob er nicht eingelöst würde. Eine entsprechende Nachricht kam einige Tage später aus der Schweiz, und damit war ich gedeckt.“ „Wie hast du die Nachricht erhalten?“ Alex war von einer mörderischen Wut erfüllt. Geld war ihm nicht vordergründig wichtig. Aber von solchen Typen derart hereingelegt worden zu sein, verletzte seinen Stolz aufs Tiefste. „Alle paar Wochen erhielt ich per Bote eine Liste und gab die Namen dann in meinen Computer ein. Wenn dann ein Geschäftsgang mit einem dieser Namen verbunden war, schlug der Computer Alarm. Ich konnte mir den Vorgang ansehen und entscheiden, was zu machen war.“ „Du falscher Hund hast dafür bestimmt noch Belobigungen von der Geschäftsleitung erhalten, was? Wie sah der Bote aus. Warst du schon mal bei Harris zu Hause?“ Nach der Beschreibung handelte es sich bei dem Boten einwandfrei um den Butler. Von Harris hatte er lediglich eine Telefonnummer für den Notfall. Bei ihm zu Hause sei er noch nie gewesen – er wisse noch nicht einmal, wo dieser überhaupt wohne. „Und wieviel hast du Stück Mist dafür kassiert?“ Neumann hatte sich aufgerichtet und kniete nun im Gras. Seine Blicke huschten verzweifelt in die Runde. Alex packte ihn an den Haaren und schüttelte ihn. Neumann liefen von dem scharfen Schmerz die Tränen über die Wangen. „Zwei-tausend im Monat“, heulte er. „Paßt ja prima. Dann müßtest du mit Zinsen in diesen Jahren runde 300.000 Mark an Judaslohn kassiert haben.“ Alex dachte nach. Ihm das Geld abnehmen, das war klar. Aber wie und für welchen Zweck? Besser wäre es, Neumann arbeitet weiter wie bisher, dachte Alex, ich weiß immer noch nicht, ob Harris nur ein cleverer Gauner ist, oder ob dies erst die Spitze eines Eisberges darstellt. „Wer wartet auf dich zu Hause? Zu wem hast du sonst noch engen Kontakt?“ – fragte er. „Ich lebe allein. Keine Frau oder Freundin. Nur entfernte Verwandte. Mit Kollegen mal ein Bier nach der Arbeit und samstags im Verein kegeln.“ Neumann sprudelte seine Antwort eifrig heraus und fügte an: „Bitte, bitte – geben Sie mir eine Chance. Ich will auch alles tun.“ Er war einer von diesen widerlichen Typen, die sich total unterwarfen, sobald Druck auf sie ausgeübt wurde. „Wir gehen jetzt zu dir nach Hause. Du zeigst mir deine letzte Steuererklärung. Denn um die zu fälschen, bist du zu feige. Und dann machst du einen Schenkungsvertrag und rückst dein ganzes Vermögen heraus. Es dürfte eine größere Strafe für dich sein als alles andere. Danach darfst du in der Bank weiter arbeiten und wir verpetzen dich auch nicht.“ Ein Hoffnungsschimmer zeigte sich auf Neumanns Gesicht. Mit der Polizei hatte er sicher eines Tages gerechnet und sich vorsorglich mit entsprechenden Lügen präpariert. Aber nichts hatte ihn auf Schmerz und plötzlichen Tod vorbereitet. Alex wandte sich an seine Begleitung: „Ich verfolge seit einiger Zeit eine Idee. Was würdet ihr davon halten, selb-ständig zu sein? Ihr habt ja fast alle handwerkliche Berufe.“ „Wie soll das denn laufen?“ – fragte Gerd, „es gibt da enorme Schwierigkeiten. Was mit dem Meisterbrief beginnt und bei Werkstatt und Maschinen aufhört.“ „Wie gesagt, die Idee wälze ich schon seit längerer Zeit hin und her. Ihr eröffnet alle gemeinsam einen Handwerkerservice, betreibt ein zentrales Bü- ro mit Werkzeuglager für alle. Größere Dinge produzieren braucht ihr nicht, denn man kann alles fertig kaufen. Der Reparaturservice und die Montage sind heute das Wichtigste. Meister als Konzessionsträger gibt es genügend. Viele solcher Rentner sitzen herum und wissen vor Langeweile nicht, was sie treiben sollen. Die können euch manchen guten Rat geben und auch praktisch wertvolle Hilfe leisten. Etwa beim Ausarbeiten von Angeboten oder Schreiben der Rechnungen. Und dieses Stück Scheiße sorgt für euer Anfangskapital. Der hat bestimm keine Frau finden können, weil er aus allen Poren stinkt.“ Gerd und seine Begleiter begannen aufgeregt durcheinander zu reden. Alex packte Neumann am Arm, zog ihn hoch und wandte sich zum Weg zurück. „Überlegt euch die Sache – wir sehen uns in ein paar Tagen wieder.“ Er warnte Neumann: „Versuche keine Tricks. Am liebsten würde ich dir die Kehle durchschneiden – und meine Freunde kennen dich auch.“ Neumann zitterte wie Espenlaub und wankte benommen neben Alex her. Langsam wurde es dunkel. An der Toreinfahrt vor der Nummer 26 wurden sie von einer älteren, fülligen Dame aufgehalten: „Guten Abend, Herr Neumann. Haben Sie schon gehört? Hinter unserem Haus, in dem alten Bach, wurde ein Toter gefunden.“ Ein neugieriger Blick streifte Alex, als der ruhig grüßte. Neumann stammelte erschreckt irgendwas, während die Frau mit Genuß die Geschichte erzählte. Ein junger Mann aus dem zweiten Stock, der stets die Abkürzung über das Rohr nahm, hatte morgens den Mann entdeckt und die Polizei gerufen. Die hatten dann den Toten abtransportiert und die nähere Umgebung abgesucht. Sie hatte einen der Polizisten ausgefragt und der meinte, da keine äußerlichen Verletzungen vorlägen, würde es sich sicher nicht um ein Verbrechen handeln. Obwohl es etwas merkwürdig sei, daß der Tote weder Brieftasche noch Ausweis bei sich trug. Vielleicht wohnte er hier irgendwo und hatte lediglich einen Abendspaziergang unternommen. Endlich wurden sie in Gnaden entlassen und stiegen die Treppe hoch. Neumann schloß in der dritten Etage eine Tür auf. Alex wollte ihm einen endgültigen Schlag versetzen und fragte: „Kennen die Hausbewohner den Boten, der immer die Namensliste brachte?“ „Glaube ich nicht. Ich wohne noch nicht lange hier. Er war nur einmal abends bei mir. Sonst trafen wir uns am Bahnhof oder in der Nähe der Bank.“ „Falls die Polizei dich fragt, dann kennst du ihn nicht. Der Tote im Bach ist nämlich dein Bote.“ Neumann wurde grau im Gesicht, starrte Alex entsetzt an und kroch förmlich in sich zusammen. „Und jetzt zeig mal deine Knete und setz den Schenkungsvertrag auf!“ Alex grinste ihn unbarmherzig an. Rückblende Alex hatte sich vier Auftraggeber besorgt aus Gründen der Risikostreuung. Für einen baute er abgehängte Decken, für den nächsten betrieb er Ladenausbau und allgemeinen Innenausbau. Beim dritten standen Fenster-syteme auf dem Programm, meist in Alufassaden integriert, was sehr genaues und sorgfältiges Arbeiten erforderte. Und für den letzten schließlich waren große Serien von Einbauschränken und Türen zu montieren. Er hatte mit fünf guten Schreinern Subunternehmerverträge abgeschlossen und somit das Risiko weiter begrenzt. Er war zwar die ganze Woche über unterwegs, aber am Wochenende immer zu Hause. Seine Helfer durfte er nicht aus den Augen lassen, weil sonst die Kosten aus dem Ruder gelaufen wären. Zwar wurden die anteilsmäßig bezahlt, aber wenn er nicht die Arbeit organisierte und einteilte, sowie ständigen Druck ausübte, taten die Burschen so, als ob es noch Heinzelmännchen gäbe. Er war gerade in München und montierte bei einem neuen Verwaltungsge-bäude des Bundesnachrichtendienstes in Pullach Fenster. Es war kalt und der Schnee lag zwanzig Zentimeter hoch. Dreimal täglich brühten sie sich einen Grog, und dabei erzählte Alex seinen beiden Helfern (er hatte diesmal nur zwei mit dabei) von seinen Erlebnissen in Arabien, und wie schön warm es jetzt dort wäre. Als er abends bei seinem Auftraggeber wegen Dübeln und Schrauben vorbeifuhr, lehnte er weitere Aufträge bei solchem Wetter ab. Der Kälteeinbruch war erst vor drei Tagen erfolgt. Aber deswegen hätte Alex niemals einen Auftraggeber hängen gelassen. Ein neuer Auftrag hingegen war eine andere Sache. Als er am Wochenende seinen offenen Kamin befeuerte, kam ein Anruf aus Hamburg. Seine alte Firma, für die er in Dubai gewesen war, hatte einen Auftrag in Saudi-Arabien für ihn. So schnell wie möglich – am besten vorgestern (gestern war schon etwas zu spät). Das war mal wieder typisch: Seit einem Jahr hatten die nicht mehr von sich hören lassen. Zuerst machte er dem Projektleiter Hild klar, daß er Aufträge hatte, die fertiggestellt werden mußten. Dann sagte er seinen Besuch für kommende Woche zu. Die Sehnsucht nach dem Zauber des Orients zerrte schon seit einigen Monaten an ihn. Er sagte seinen Leuten Bescheid und nahm einen Zug nach Hamburg. Lange Strecken fuhr er lieber mit der Bahn. Die erste Klasse war bequem, und er konnte lesen und sich vorbereiten. In Hamburg wurde er wie ein verlorener Sohn empfangen. Bei der Baustelle handelte es sich um eine gott-verlassene Oase mitten in der Wüste. Alex sah sich die Karte an. „Dafür müßt ihr aber zweitausend Mark pro Monat drauflegen“, sagte er grinsend. Hild trabte zum obersten Boß. Für Arbeitsverträge über 10.000 Mark mußte er Genehmigungen einholen. Erstaunt kam er zurück und sagte: „Sonst feilscht er um jede Mark, diesmal nickte er lediglich.“ Seinen Reisepaß ließ Alex im Büro. Er packte Pläne und Verträge ein. Eine ganze Stadt war innerhalb einiger Monate mit Möbeln, Teppichen, Vorhängen, abgehängten Decken, Wandverkleidungen und ähnlichen Dingen auszustatten. Ein Luxus-Armeecamp (nur für Offiziere), Villen, Moschee, Supermarkt, Klinik, Kasino, zwei Schulen (je eine für Jungen und Mädchen), ein Kino für 1600 Personen – und fünfzig Großcontainer mit Material wartete schon auf der Baustelle auf ihn. Seine Helfer waren geschockt. Sie hatten sich an den reibungslosen Arbeits-ablauf gewöhnt und kannten keine Sorge um Aufträge oder Geld. In vier Monaten wollte er wieder zurück sein. Die Firma startete gerade ein neues Projekt: Ein Riesenhotel der Spitzenklasse in Nigeria. Die Bauleitung dafür war ihm bei guter Abwicklung des SaudiProjektes zugesagt worden. Der Abschied zu Hause war schon beinahe Routine. In Djidda auf dem Flughafen stand er in der wartenden Schlange vor der Paßkontrolle und hörte zwei Deutschen zu, die sich über Nigeria unterhielten. „Könnt ihr mir in Kürze was über das Land erzählen?“ – mischte er sich in das Gespräch ein, „in einem guten Jahr komme ich nämlich auch nach Nigeria.“ Einer der beiden meinte: „Ich könnte dir tagelang erzählen, und du würdest mir sicher kein Wort glauben. Aber seit ich Nigeria kenne, weiß ich, was wir an den Arabern haben.“ Alex grinste. „Das klingt ja sehr interessant.“ „Ist es auch, nur nicht angenehm“, sagte der andere abschließend. Denn sie waren bei der Paßkontrolle angelangt. Alex mußte umsteigen. Er hatte noch zwei Stunden Flug vor sich sowie vier Stunden Autofahrt. Wieder einmal flimmerte die Luft über dem endlosen Band der Straße – was aussah wie die Wellen des Meeres. Alex fragte den Fahrer, der ihn abgeholt hatte, nach einem Restaurant oder einen Laden mit kalten Getränken in der Nähe der Straße. Auf halber Strecke kämen sie durch einen kleinen Ort und würden dort rasten können, bekam er zur Antwort. Nun muß ich mich erst-mal wieder an das Klima gewöhnen, dachte er mit trockenem Mund. Die Straße war gut ausgebaut und auf der 320 Kilometer langen Strecke zweimal verbreitert, um Flugzeugen die Landung zu ermöglichen. Er ließ sich zuerst zur Baustelle fahren. Acht Deutsche leiteten das Ganze und rund 500 Koreaner leisteten die Arbeit. Alex baute sich nach kurzer Zeit eine Sondergruppe auf, die aus 25 Ägyptern, Jordaniern und Pakistanis bestand, um notwendige zusätzliche Arbeiten ausführen zu können. Die Koreaner leisteten lediglich die vertraglich vereinbarten Arbeiten und reagierten auf Druck überhaupt nicht. Man mußte sie beinahe den ganzen Tag streicheln, um Leistung zu erhalten. Hier erlebte Alex zum ersten Mal räuberische Araber. Die stahlen, was nicht niet- und nagelfest war. Ihr Camp nahm sich aus wie eine Wagenburg – einfach ein Platz mitten in der Wüste zwischen Baustelle und Oase. In der Mitte befand sich ein Schwimmbassin mit als Grillplatz benutzter Terrasse. Rundum im Kreis standen die Wohncontainer. Etwas abseits befanden sich Stromerzeuger und Wassertank. Alex saß abends oft auf der Terrasse und sah zum sternen-funkelnden Himmel hoch – dachte darüber nach, wie klein die Erde und wie nichtig doch der Mensch und seine Ansprüche seien. Denn was bleibt schon von einem ganzen Leben voller Hasten und Raffen übrig? Was kann das Ziel des Lebens sein? Wieviel Reichtum wird erworben und zerrinnt wieder? Wie viele Herrscherreiche wurden gegründet und zerfielen wieder? Er hatte ein Buch von Schopenhauer mitgebracht – nun hatte er abends genügend Zeit zum Lesen und Nachdenken. Eines Abends huschte ein schwarzer Schatten über den Terrassenboden: Ein schwarzer Skorpion. Als Alex sich ihn näher betrachten wollte, stoppte der seinen Lauf und richtete seinen Schwanz mit dem Stachel angriffslustig hoch. Blitzschnell stülpte Alex eine soeben geleerte Pfirsichdose über das Tier. Dann schob er ein Stück Pappe unter die Dose, und so hatte er den Skorpion gefangen. Vorsichtig bugsierte er ihn in das Eisfach seines Kühlschranks. Nach einigen Stunden hatte der Skorpion alle Viere (bzw. Achte) von sich gestreckt. Alex besorgte sich Zweikomponentenkunststoff, übergoß den Skorpion damit und hüllte ihn dekorativ in eine Messingschale ein. Danach betrat er nie mehr in Sandalen die Terrasse. Für viele seiner Kollegen bedeutete diese Zeit weggeworfenes Leben. Sie brauten sich Bier oder brannten sich Schnaps oder fabrizierten sich Wein und entflohen so der Langeweile. Für Einkäufe und den Behördenkram hatten sie in der Oase einen arabischen Verbindungsmann. Alex freundete sich mit ihm an und wollte ein Kamelrennen um die Oase organisieren. Trotz des vielen Palavers kam es nie zustande. Er ließ sich eine Seidengalabia (das lange arabische Gewandt) schneidern - in gelb und mit abgesetzten Taschen und Ärmeln. Eine solche Mode hatte es noch nie gegeben, und für ein paar Wochen lieferte er hinreichend Gesprächsstoff, wenn er abends in der Oase das frischgebackene Brot holte. Frisch und mit Butter schmeckte es vorzüglich. Am folgenden Morgen jedoch war es beinahe steinhart, und nach zwei Tagen begann es zu schimmeln. Wehmütig dachte er an das deutsche Brot in Dubai zurück. Eine Deutsche hatte dort einen Araber geheiratet und eine Bäckerei eröffnet – das Brot wurde ihr förmlich aus den Händen gerissen. Zu bestimmten Zeiten wurden die Skorpione eine Plage und Gefahr. Der Campboy, der alles in Ordnung zu halten hatte, grub dann eine Schale ebenerdig in den Wüstenboden und füllte sie zur Hälfte mit Öl. Das lockte die Skorpione an, sie fielen hinein und ertranken. Nach einigen Wochen, wenn die Skorpione sich langsam zersetzten, füllte er das Öl in kleine Fläschchen und verkaufte sie teuer – das Skorpiongift war in das Öl gezogen. Ein kleiner Tropfen davon, auf einen Insektenstich aufgebracht, ließ jede Schwellung zurückgehen und den Schmerz rasch verschwinden, ein ausgezeichnetes Gegenmittel also. Seine 25-Mann-Truppe hatte ihr Werkzeug erhalten. Alle auf der Baustelle, voran die Koreaner, waren derart extrem nachlässig, daß unaufhörlich Werkzeug nachgekauft werden mußte. Alex rückte diesen Mißständen zuleibe, indem er bei der Werkzeugausgabe den Empfang quittieren ließ und eine Nachprüfung auf Vollständigkeit vor der Lohnausgabe anordnete. Fehlte etwas, wurde der Lohn zunächst nicht ausgezahlt. Und da eigentlich bei jedem etwas fehlte, konnte man eine Menge Leute dabei beobachten, wie sie eifrig die Baustelle nach Werkzeugen absuchten. Bald war ein Zustand erreicht, wo die Koreaner sich nicht einmal mehr trauten, kurzfristig Werkzeug liegen zu lassen. Es wurde nämlich rasch von Alex´ Leuten gefunden und vorsorglich gehortet. Zwischen den koreanischen Vorgesetzten und den Arbeitern lag eine scharfe Trennungslinie – bemerkbar an separaten Unterkünften, Kantinen und Speisen. Alex und seine Leute aßen manchmal bei den koreanischen Technikern. Zuvor zählten sie aber jeweils die Hunde hinter der Küchenbaracke nach. Fehlte einer, zogen sie es vor, sich einige Eier in die Pfanne zu schlagen. Die Stadt wurde von einer eigenen Kraftstation versorgt. Peter war der Spezialist dort. Den ganzen Tag saß er vor seinem Schaltpult und horchte auf das gleichmäßige Dröhnen der riesigen Dieselmaschinen. Er war schon 53 und nahezu überall auf der Welt gewesen. Einmal hatte er ganz allein mit zweihundert einheimischen Arbeitern am Khyberpaß in Afghanistan eine Kraftstation gebaut. Er unterhielt sich oft mit Alex. Nach Erledigung des momentanen Auftrags beabsichtigte er, nach Indonesien zu gehen und dort auf seine Rente zu warten. Er schwärmte von Ruhe und Frieden in den dortigen Eingeborenendörfern. Eines Tages stoppten plötzlich alle Arbeiten, die nur mit Stromversorgung zu erledigen waren. Was ergab, daß gut die Hälfte aller Leute tätigkeitslos herumstand – mitten am Vormittag. Peter hatte einfach seine Anlage abgeschaltet, war ins Camp gefahren und hatte sich an den Swimmingpool gelegt. Weil ihn irgend jemand geärgert hatte, war nun die gesamte Baustelle ohne Strom. Was die ganze Sache besonders prekär zu machen schien, war, daß gerade der Boß aus Hamburg zu Besuch war. Der aber lachte bloß und meinte trocken: „Wer seit zwei Jahren in Saudi arbeitet, hat das Recht auch mal auszuflippen.“ Die einzige Sehenswürdigkeit in der Nähe war ein hoher, mit alten Ruinen gespickter Berg. Vor vierzig Jahren hatten dort Engländer einige Monate lang nach deutschen Stoßtrupps aus Rommels Armee Ausschau gehalten. Der Berg bestand aus dunklem Vulkangestein. Auf manchen Felsplatten waren versteinerte Gräser und Zweige zu sehen. Sonst waren in weiter Runde nur Sand und Steine auszumachen. Seit einem halben Jahr weilte der Terminplaner aus dem Hamburger Büro auf der Baustelle. Er sollte dafür sorgen, daß die vorgegebenen Termine auch eingehalten wurden. Nebenbei sollte er auch praktische Erfahrungen vor Ort für die kommenden Projekte sammeln. Er hieß Richard und befand sich etwa im gleichen Alter wie Alex. Er sah gut aus, verkörperte aber den typischen Büromenschen. Er hatte sich ein Buch eines berühmten englischen Arabienforschers mitgebracht. Dieser hatte vor 120 Jahren in einer Entfernung von etwa 200 Kilometern von der Baustelle eine Felsenstadt entdeckt – erbaut von den Ptobetäern, nachdem diese aus Petra in Jor- danien vertrieben worden waren. Richard hatte schon alles versucht, um dorthin zu gelangen, aber der Ort war archäologisches Sperrgebiet und durfte nur mit einer Sondergenehmigung aus Riad betreten werden. Alex betrachtete sich die Karte. Dicht neben dieser Tempelstadt lag die Oase Al Ula. Bis dorthin führte eine normale Straße, aber auch nicht weiter. Die Fahrt auf der Straße würde einen riesigen Umweg bedeuten – nach der Karte etwa 700 Kilometer. Quer durch die Wüste waren es nur 200 Kilo-meter Luftlinie. Alex fiel die Wahl nicht schwer. In Arabien war vieles verboten, aber alles möglich. Außer Richard, für den sich sein Traum von einem arabischen Abenteuer erfüllte, nahm er noch Kuddel mit – ein Elektroingenieur. Ein Toyotajeep mit Vierradantrieb und einem 130 PS- Motor war problemlos organisiert. Eine Kühlbox wurde mit Cola, Seven-up und Wasser gefüllt – und daneben etwas Proviant eingepackt. Eine Fahrt durch die Wüste mit nur einem Wagen war immer riskant. Deswegen ließen sie eine Karte mit der genauen Route zurück. Falls sie nach drei Tagen nicht zurück seien, würde eine Suchaktion gestartet. Hoffentlich erwischt uns unterwegs kein Sandsturm – dachte Alex mit schauriger Erinnerung an den Sturm vor einigen Wochen. Der hatte fünf Stunden lang gewütet und mit einer Kraft an den Wohncontainern gerüttelt, daß das Material nur so kreischte, was sich ähnlich einer verstimmten Geigensaite anhörte. Durch kleinste Ritzen war der feine Sandstaub eingedrungen. Der Campboy hatte eine ganze Woche gebraucht, um alle Räume wieder zu säubern. Sie frühstückten gemütlich und fuhren gegen 9 Uhr los. Etwa zwanzig Kilometer ging es die Landstraße entlang und dann ab in die Wüste. Einen Kompaß hatten sie mit – aber es mußte Eisenerz in der Gegend lagern, da der Zeiger kreiste und unmögliche Richtungen anzeigte. Also mußte die Richtung nach der Sonne bestimmt werden. Die Landschaft zeigte mehrfach ein völlig anderes Gesicht: Einmal flach bis zum Horizont, dann sanfte Dünen und dann wieder Geröll mit einzelnen Felsklötzen. Ein paarmal kamen sie an schwarzen Beduinenzelten vorbei, wo Kinder die Ziegen hüteten, die an spärlichen Grasbüscheln knabberten. Gegen Mittag kamen sie an einen Wadi und legten Rast ein. Dort befand sich eine steil abfallende Felsschlucht mit einer Quelle und einigen grünen Büschen. Dieses Loch begann als ein etwa 50 Meter tiefes Loch in der Landschaft und verlief nach einigen Kilometern in der Wüste. Ein Fahrtempo von 50 km/h war unmöglich. Bei Geröll und größeren Sanddünen konnten sie allenfalls mit Tempo 30 fahren. Denn man konnte nie wissen, was sich auf der anderen Seite des Sandberges befinden würde. Der Nachmittag wurde länger, und die steil aufragenden Felswände höher. Alex bestimmte die Richtung nach der Sonne und seinem Gefühl und zweifelte nicht an seiner Richtigkeit. Er befürchtete lediglich in einer Schlucht zu landen, in der man mit dem Wagen nicht weiter kommen würde. Manchmal konnten sie sich nur im ersten Gang und mit Vierradantrieb weiterbewegen – doch die 130 PS zogen sie auch über steile Dünen hinweg. Als die Felswände schon bedrohlich zusammenrückten, stießen sie auf eine funkelnagelneue Planierraupe, die verlassen an einem Hang stand. Nun brauchten sie nur noch den Spuren der Raupe zu folgen, und eine halbe Stunde später trafen sie in Al Ula ein. Sein untrüglicher Richtungssinn hatte sich wieder einmal bewährt. Al Ula war eine große Oase mit vielen Dattelpalmen, grünen Feldern, Lehm- und Steinhäusern und sogar einer Tankstelle – alles zusammen zwischen hohen Felswänden eingebettet. Sie tankten, und Alex erkundigte sich nach den Felsentempeln. Er bekam die gewünschte Auskunft – verbunden mit dem Hinweis, zuerst den Scheich aufzusuchen und um ein Permit zu bitten. Sonst würde der Wächter der Felsentempel böse, und der pflegt erst zu schießen und dann zu fragen. Der Scheich von Al Ula war ein alter, würdiger Araber und bewohnte ein großes Steinhaus. Sein Empfangssalon bestand aus einem großen Raum, der auf dem Boden und an den Wänden mit Teppichen reich geschmückt war. Alex war über die moderne Couchgarnitur erstaunt, da man bei Arabern doch gewöhnlich auf dem Teppich sitzt, in Kissen gelehnt. Bei der Tankstelle hatten sie sich gewaschen, doch ihre Kleidung war noch voller Wüstenstaub. Der alte Scheich sprach kein Wort Englisch, so daß sein Sohn dolmetschte. Alex erläuterte anhand der Karte ihre siebenstündige Wüstenfahrt und daß sie für die saudische Armee eine Stadt bauten und nun gern die Tempelstadt sehen würden. Später war Alex sicher, daß sie das Permit nur wegen ihrer Fahrt durch die Wüste erhalten hatten – denn er hatte bemerkt, wie der alte Scheich während der Erzählung anerkennend die Augenbrauen hob. Der Scheich schrieb ihnen einen Brief für den ‚Vater der Felsentempel‘, wie der Wächter offiziell hieß und ermahnte sie mehrmals, nicht in das Tal der Tempel hinein zu fahren, ohne zuvor diesen Brief zu übergeben. Man reichte ihnen Kekse zum Knabbern, aber keinen Kaffee. Solche lieben Gäste waren sie dann wohl doch nicht. Alex bedankte sich höflich und trieb zur Eile, denn es war mittlerweile schon kurz vor sechs Uhr. In Arabien wird es im Winter um sechs Uhr dunkel und im Sommer um sieben Uhr. Die Dämmerung dauert nur zehn Minuten, und beinahe schlagartig ist es dann stockfinster. Im Dunkeln wollte er nicht den schießwütigen Wächter suchen. Die geteerte Straße hörte am Ortsrand auf. Als Alex mit 50 Sachen die Piste entlangpreschte, zogen sie eine Staubwolke hinter sich her. Die oberen Ränder der Felswände glühten in den letzten Strahlen der Abendsonne auf, und sie entdeckten, wie eine eindrucksvolle Gestalt das Abendgebet verrichtete. Alex stoppte und stellte den Motor ab, um nicht zu stören. Er öffnete die Kühlbox und nahm sich eine Büchse Seven-up. Genüßlich zündete er sich eine Zigarre an. „Weißt du, warum das Zeug hier Seven-up heißt?“ - fragte er Richard. Als der mit dem Kopf schüttelte, gab er die Antwort: „Weil es siebenmal wieder hochkommt.“ Sie lachten befreit und froh darüber, endlich am Ziel zu sein. Der Wächter hatte sein Gebet beendet. Alex ließ den Motor an und fuhr zu ihm hin, grüßte und zeigte den Brief. Sein Gegenüber war hochgewachsen und hatte ein scharfgeschnittenes Gesicht wie ein Raubvogel. Ein Schnellfeuergewehr hing über der Schulter, im Gürtel steckte ein Krummdolch in silberner Scheide. Der Wächter führte sie durch eine Felsenge zu einem großen Zelt, vor dem ein riesiger Teppich ausgebreitet lag. Ein Junge brachte heißen Tee mit Gläsern, und sie ließen sich auf dem Teppich nieder. Der Wächter sprach kein Englisch. Unter Zuhilfenahme von Händen und Füßen und ein paar Sätzen Arabisch gelang Alex eine einigermaßen flüssige Verständigung. Es wurde ihnen erklärt, daß sie die Nacht über auf dem Teppich schlafen und am folgenden Tag die alte Stadt besichtigen könnten, dies aber nicht länger als zwei Stunden dauern dürfe. Denn dann müsse er weg, und sie dürften nicht alleine bleiben. Fotografieren war streng verboten. Alex wagte nicht, ein Bakschisch anzubieten, denn der Wächter machte einen stolzen und strenggläubigen Eindruck. Bei einem solchen Araber kann man mit einem Trinkgeldangebot das Gegenteil des beabsichtigten Zwecks erreichen und ihn zudem enorm verärgern. Der hier wäre durchaus imstande gewesen, ihnen trotz des Briefes die Besichti-gung zu verwehren. Eine dazu passende Geschichte ließe sich schnell finden. Alle Araber sind mit einer überaus fruchtbaren Phantasie ausge-stattet. Sie holten ihre Kühlbox und den Proviant aus dem Wagen. Der Wächter aber stellte fest, daß sie seine Gäste seien und packte eigenhändig den Proviant wieder ein. Kuddel rieb sich seinen knurrenden Magen und meinte: „Dann soll er sich aber beeilen. Mir ist vor Hunger schon ganz schlecht.“ Aber sie mußten noch zwei Stunden warten, bis der Wächter wiederkam und von dem Jungen eine große Platte mit Reis und Kochfleisch bringen ließ. Zwar heißt es, Hunger ist der beste Koch – dies aber war wirklich ausgezeichnet. Außer einem Messer benötigt ein Beduine kein Besteck. Er greift mit der Hand zu, reißt ein Stück Fleisch ab oder formt mit den Fingern einen Reisball. Kuddel stürzte sich wie ein Verhungernder auf das Essen. Der Wächter zog ihm blitzschnell die Platte unter den zugreifenden Händen weg. „Was ist denn jetzt bloß los?“ – fragte Kuddel entsetzt, „ich habe Hunger.“ Alex mußte sich das Lachen verkneifen und erklärte: „Du hast mit der linken Hand zugegriffen. Ein Beduine ißt nur mit der rechten Hand. Mit der Linken wäscht er sich nach dem Scheißen nämlich den Hintern sauber, und da es in der Wüste kein Papier gibt, tut er das mit Sand. Falls genügend Wasser vorhanden ist – kein Problem. Aber das ist fast nie der Fall, und deshalb hat er aus seiner Sicht schon recht.“ Kuddel setzte sich nun auf seine linke Hand, um nicht mehr in Versuchung zu geraten. Unter den wachsamen Augen ihres Gastgebers durfte er nun mitessen. Nach dem Essen tranken sie nochmals Tee. Danach spielten sie Domino und machten zwischendurch Jagt auf große, häßliche Kamelspinnen, deren Biß zwar nicht gefährlich, aber sehr schmerzhaft ist. Schließlich schliefen sie tief und fest bis zum Sonnenaufgang. Nach dem Frühstück brachen sie auf, um das Tal zu besichtigen. Der Wächter blieb immer drei schritte hinter ihnen. Alex hatte eine kleine Pentax-Kamera mit Motor in der Hosentasche. Kuddel und Richard mußten ihre großen Minolta- und Canon-Kameras im Auto lassen. Der Wächter war fuchsteufelswild geworden, als Kuddel seine Kamera hatte auspacken wollen. Mit dieser Begleitung waren Fotos unmöglich zu machen. Für jedes Problem gibt es jedoch eine Lösung. Sie gingen gemeinsam bis zur Mitte des Tales, und dann gingen sie auseinander – jeder in eine andere Richtung. Der Wächter blieb verdutzt stehen und wußte nicht, wem er folgen sollte. Nach etwa fünf Minuten trafen sie sich hinter einem großen Felsen, kletterten in den einzelnen Felsentempeln herum, machten munter Fotos und überzogen das Zeitlimit glatt um eine volle Stunde. Dies alles ohne weitere lästige Kontrolle. Ein Jahr später besuchte Alex Petra, die legendäre Stadt in Jordanien, deren Häuser, Säulen, Kapitelle und Tempel aus dem massiven Felsen herausge-meißelt sind. Dagegen war das hier nur ein schwacher Abglanz. Der Geschichte zufolge wurden die Ptobetäer aus Petra vertrieben und hatten in diesem Tal eine neue Heimat gefunden. Für Alex sah es eher so aus, als sei es umgekehrt gewesen. Als hätten sie hier den Stadtbau geprobt und dann in Petra ihre bekannte Meisterstadt entwickelt. Einzelne Felsen ragten wie Findlinge aus dem Wüstenboden. Ein Tempel war in dreißig Meter Höhe aus dem Felsen gehauen – nur mit Leitern von unten oder Seilen von oben erreichbar. Sie waren auf einen Felsen geklettert und besahen sich das Panorama von oben, als unten ein lautes Hupen ertönte. Über den Rand hinweg sahen sie den Wächter die Hupe ihres Autos bearbeiten und zwischendurch wie ein Derwisch von einem Bein aufs andere hüpfend. „Schau mal, unser Rumpelstilzchen“, grinste Alex, „gehen wir lieber, sonst greift er womöglich noch zur Knarre.“ Sie packten ihre Sachen ein, schenkten dem Wächter und seinem Jungen einige Dosen Cola und Büchsen mit Keksen und brausten los. Diesmal nahmen sie die Straße – trotz des Umweges. Zwar war die Fahrt eintönig und dauerte auch immerhin sieben Stunden – jedoch soll der Mensch nicht die Götter versuchen. Für dieses Wochenende hatten sie ihr Glück schon arg strapaziert. * Alex konnte seinen Termin einhalten und war zum Sommeranfang wieder zu Hause. Er telefonierte mit seinen Auftraggebern. Arbeit gab es hinreichend, und seine Subunternehmer waren sichtlich froh, wieder einen zu haben, der ihnen sagte, wo es lang ging. Innerhalb eines Jahres änderte sich die Lage vollständig. Alex verstand es ausgezeichnet, geschickt und zutreffend zu kalkulieren. Er sah sich eine Baustelle oder die Pläne an und handelte den Preis aus, mit dem dann beide Seiten zufrieden sein konnten. Jetzt hatten seine Auftraggeber plötzlich selbst nicht mehr genügend zu tun. Die Preise waren in den Keller gerutscht, und die Arbeit lohnte schon fast nicht mehr. Die Zinsen dagegen waren in die Höhe geschossen, und der Baumarkt nahm sich als ‚tote Hose‘ aus. In Bonn war die ‚große Wende‘ eingeleitet worden, was in der Praxis bedeutete: VERNICHTUNG DES MITTELSTANDES! Alex versuchte ins Ausland auszuweichen. Der zugesagte Job in Nigeria verschob sich um ein halbes Jahr. Die Hypothek für sein Haus mußte erneuert werden. Nun sollte er nicht wie bislang 800, sondern glatte 2000 Mark im Monat zahlen. Die Banken mußten ihre notleidenden Kredite an Polen und Südamerika ausgleichen und hatten dazu begonnen, die inländische, geduldige Bevölkerung auszuplündern. Alex hatte rund 70.000 Mark Außenstände. Zwar hatte er sich wöchentliche Abschläge zahlen lassen, aber ein Rest war am Ende immer noch offen. Mit den fadenscheinigsten Begründungen wurden diese Zahlungen nunmehr hinausgezögert. Nur der Bayer aus München zahlte wie immer. Aber auch bei ihm wurde es enger und es galt, zunächst einmal die eigenen Leute zu beschäftigen. Alex telefonierte mit einem Kontaktmann bei einer inter-national tätigen Baugesellschaft. Die Auskunft war deprimierend: Bislang wurden weltweit jährlich rund 350 Großprojekte mit Einzelvolumen von jeweils mehr als 100 Millionen gebaut. Der aktuelle Stand lag lediglich noch bei 50 solcher Projekte. Mithin würde es auch keinen Sinn haben, bei anderen Firmen nachzufragen. Alex wurde es zusehends mulmiger, und er versuchte nun, seine Außenstände einzuklagen. Gutachten waren dazu notwendig, welche Gegengutachten nach sich zogen. Gewöhnlich erkannten die Gerichte auf Vergleiche, und nach Abzug der Gerichtsund Anwaltskosten verblieben nur klägliche Reste. Einen Prozeß verlor er. In diesem Fall hatte er mit dem Geschäftsführer verhandelt, den er schon lange kannte, während er dem Betriebsinhaber erst einmal begegnet war. Deshalb konnte der Geschäftsführer für deren eigenen Betrieb als Zeuge auftreten. Da er um seinen Job fürchtete, machte er falsche Aussagen im Sinne des Betriebsinhabers. Alex hingegen konnte nicht mit Zeugen aufwarten, und das Ergebnis war somit klar. Er mußte nicht nur seine Forderungen abschreiben, sondern zudem auch noch alle Kosten tragen. Diesen Fall notierte er unter seiner Merkrubrik ‚Revanche‘ und vertraute darauf, daß sich irgendwann in Zukunft schon einmal eine geeignete Gelegenheit ergeben würde. Unterm Strich hatte er letztlich von seinen 70.000 ganze 10.000 retten beziehungsweise realisieren können. Ihm war eine merkliche Lektion bundesdeutscher Justizgerechtigkeit erteilt worden. Alex überlegte angestrengt, wie er seine Erfahrung aus Arabien in beruflicher Hinsicht zu Geld machen konnte. Bei den alten Häusern in Dubai war ihm das System der Windkühltürme aufgefallen. Damit hatte man schon vor Jahrhunderten die Häuser am Golf angenehm abgekühlt. Heute installierte man in den Neubauten jeweils moderne, störanfällige und zudem teure Air-Condition-Systeme. Außerdem existierte kein Fertighaus-Prinzip im arabischen Stil. Alex entwarf innerhalb von vier Wochen ein hinsichtlich Größe und Nutzung variables System mit Türmen, Kuppeln und Bogen. Mit Energieversorgung über Solarzellen und Wassergewinnung aus der Luft, falls die Luftfeuchtigkeit hoch genug sein würde. Von der Bestellung bis zur Bezugsfertigkeit sollten drei Monate vergehen. Dabei würde mit sechs deutschen Monteuren die reine Montagezeit vier Wochen erfordern. Ein Quadratmeterpreis von 5.000 Mark sollte bei diesen Konditionen wohl angemessen sein. Er ließ eine Anzeige im ‚Middle East Trade‘ veröffentlichen erhielt daraufhin 83 Zuschriften. Nun brauchte er einen Vertreter auf Provisions-basis, eine Musterkaufvertrag auf arabisch, sowie eine lokal ansässige Firma für die Bodenplatte aus Beton. Zwei Firmen aus Amman in Jordanien schienen dazu geeignet. Über die Jordanier besaß er eine gute Meinung; sein Vormann in Dubai und auch der beim Saudiprojekt ‚Armee Stadt‘ waren aus dem gleichen Vorort in Amman gekommen. Mit Arabern hingegen kann man aus der Ferne schwerlich zu geschäftlichen Übereinkünften gelangen. Alex hatte seine Lektion damals in Arabien nicht vergessen. Er rief die deutsche Botschaft in Jordanien an und erkundigte sich, welche Automarke man dort am besten verkaufen könne. Natürlich war es Mercedes. Möglichst neu; der Import von Autos, die älter als fünf Jahre waren, war verboten. Also kaufte Alex einen Mercedes – außen weiß und innen grün: die Farben des Propheten Mohammed. Die Reise sollte ihn schließlich nichts kosten, sondern etwas einbringen. Dann erkundigte er sich nach den Fährverbindungen. Von Piräus nach Latakia ging´s jeden Dienstag; das hörte sich ausreichend und schnell an. Für die Fahrt nahm er sich Zeit. In Jugoslawien besuchte er die Terrassen-seen, wo er vor zwanzig Jahren seine Flitterwochen verbracht hatte und später die Karl May Filme gedreht wurden. Auch besuchte er Sarajevo, und dann kam er bis kurz vor Pristina, als eine junge Kuh aus dem Straßengraben sprang und direkt vor dem Auto stehen blieb. Trotz sofortiger Vollbremsung wurde die Kuh durch den Aufprall fast zehn Meter durch die Luft geschleudert. Später war Alex der festen Überzeugung, daß er in einem anderen Auto nicht überlebt hätte. Ein Bauer kam vom Feld gerannt und schnitt der nur noch schwach zappelnden Kuh mit einer Sense den Kopf ab. Alex schnappte sich seine Kleinbildkamera und schoß eine Reihe von Fotos – man konnte ja nie wissen. Die rechte Frontseite, der rechte Kotflügel, Motorhaube und Kühler waren arg demoliert. An Weiterfahrt war nicht zu denken. Also blieb Alex beim Auto und wartete einfach ab. Er wunderte sich, woher auf einmal die vielen Leute kamen und war fasziniert, wie rasch die Kuh zerteilt war. Nach einer Stunde kam ein Polizeiwagen und nach einer weiteren Stunde ein Ab- schleppwagen der jugoslawischen Pannenhilfe. Der schleppte ihn erst mal nach Pristina. Der Ort brillierte mit einem modernen Hotelhochhaus – aber für eine Übernachtung benötigte er die Erlaubnis der Geheimpolizei; er war in den Albaneraufstand geraten, und glücklicherweise saß der zuständige Offizier in seinem Büro hinter der Rezeption. Als der die Geschichte hörte, lachte er laut. „Aha – Mercedes kaputt.“ Alex grinste zurück. „Kuh kaputt!“ Beide lachten, und Alex konnte übernachten. Wer in Jugoslawien einen Unfall hinter sich hat, muß zur Reparatur oder Ausreise ein Unfallprotokoll vorzeigen. Andernfalls wird das Auto an der Grenze festgehalten. Reist man bereits mit einer Beule ein, sollte man sich beim Grenzübergang tunlichst diese Beule bescheinigen lassen. Der folgende Tag war Freitag und ein Feiertag. Folglich gab es für ein Protokoll vor Montag keine Chancen. Pristina war ein trübseliger Ort, das schönste an der Stadt war das Hotel. Die nächste Autowerkstatt für Mercedes war 120 Kilometer weiter in Skopje. Möglicherweise konnte er die Sache mit Protokoll von Skopje aus telefonisch regeln. Alex hatte bisher keine Ahnung von kommunistischer Bürokratie. Mit dem Abschleppwagen ließ er sich nach Skopje bringen, wo er die Werkstatt mit Reklameschildern von Mercedes, BMW, Ford und Citroen fand, und ein Pförtner das Abstellen seines Wagens auf dem eingezäunten Werksgelände erlaubte. Er mietete sich ein Zimmer in einem aus der Jahrhundertwende stammenden, anheimelnden Hotel. Über das Wochenende besichtigte er die Altstadt, probierte einheimische Spezialitäten und nahm sich vor, sich nicht weiter zu ärgern. Am Montag fand er vor dem Hotel einen Taxifahrer, der ein wenig Deutsch und ein wenig Englisch sprach. Beides zusammen ermöglichte eine Verständigung. Sie fuhren zur Werkstatt, und der Leiter schickte ihn zum Magazin. Erst mal checken, ob die benötigten Ersatzteile auch vorrätig seien. „Aber dazu muß ein Meister doch erst mal feststellen, was kaputt ist“, wandte Alex ein. „Das macht bei uns der Magaziner“, war die barsche Antwort. Das Magazin war geschlossen. Also zurück zum Werkstattleiter. „Wenn er nicht da ist, müssen Sie warten, bis er kommt.“ Alex fragte erstaunt: „Hat er denn keinen Stellvertreter? Was machen denn Ihre Mechaniker, wenn sie Ersatzteile brauchen?“ „Die warten auch.“ So einfach ist das. Alex wartete eine Stunde. Niemand öffnete das Magazin. Er sah sich die große Werks-halle an. Dutzende reparaturbedürftiger Autos standen herum. Drei einsame Mechaniker werkelten lustlos vor sich hin. Alex fragte den Taxifahrer, der nicht von seiner Seite wich (denn ein devisenbringender Fahrgast war selten genug) : „Ist das die ganze Belegschaft?“ Woraufhin sich der Taxifahrer verlegen wand: „Normalerweise arbeiten hier fast hundert Leute.“ „Und wo sind die?“ – fragte Alex erstaunt. „Besorgungen erledigen“, murmelte der andere, „einkaufen, Behördengänge oder einfach spazieren.“ Alex schwante Böses, und so beschloß er, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Er besah sich den Schaden. Außer dem verbeulten Blech und dem rechten, vorderen Scheinwerfer waren zehn Kühlerrippen aufgerissen. Er baute den Kühler aus, bog das Blech halbwegs gerade und ließ für einen Moment den Motor laufen. Soweit war alles in Ordnung. Der Taxifahrer kannte eine Teilehandlung in der Stadt. Sie packten den defekten Kühler in den Kofferraum und fuhren los. Einen passenden Kühler gab es – aber nur gegen D-Mark. Alex besaß nur noch Euroschecks und Dinar. Da war nichts zu machen. Er erhielt eine Bescheinigung für die Bank, daß er Devisen für den Ersatzteilkauf benötigte. Auf der Bank aber gab es keine Devisen. Aller- dings wartete vor der Bank ein Typ mit einem Bündel Hundertmark-scheinen. Der war zum Tausch bereit, beanspruchte aber 20 Prozent Kursgewinn. Alex winkte ab. Bevor er sich von derart windigen Typen ausplündern ließ, mußte noch allerhand geschehen. Er fragte den Taxifahrer nach einer anderen Werkstatt, die den Kühler reparieren könnte. Und tatsächlich, es gab eine. Die Werkstatt war ein altes Fabrikgebäude aus dem letzten Jahrhundert. Im Büro war zunächst ein Auftragszettel auszufüllen. Dann war ein Mechaniker zu suchen, der für 200 Dinar seine andere Arbeit unterbrechen würde, um den Kühler zu löten. Die Arbeit dauerte knapp eine Stunde, und nach der Druckprobe gab Alex dem Mechaniker noch einmal 300 Dinar auf die Hand. Im Büro wurden ihm acht Arbeitsstunden berechnet. Knurrend leistete Alex seinen Beitrag zur Sanierung der jugoslawischen Wirtschaft. Dann begab er sich zur Polizei, wo er sich erkundigte, ob die Sache mit dem Unfallprotokoll auch telefonisch oder per Fax zu erledigen sei. Weder noch – war die Antwort, er müsse persönlich zurück nach Pristina. Kurz hinter Skopje traf er auf eine Straßensperre. Der Aufruhr hatte sich ausgeweitet, und jeder, der in Richtung Pristina wollte, mußte sich im Polizeipräsidium einen Passierschein besorgen. Langsam war Alex mit seiner Geduld am Ende. „So eine Schweinerei“, fluchte er. Auf einmal verstand der Polizist an der Straßensperre Deutsch. „Was war das?“ – fragte er scharf, „möchten Sie einige Tage in unserem Gefängnis verbringen?“ Der Taxifahrer rutschte vor Angst beinahe unter seinen Sitz. Alex erzählte von seinem Unfall und weshalb er nach Pristina müsse. Der defekte Mercedes besänftigte den Beamten – aber dennoch mußten sie zurück. Bis sie den Passierschein hatten, war es Abend, und notgedrungen verschoben sie die Fahrt auf den nächsten Tag. Alex hatte mit dem Taxifahrer eine Tagespauschale plus Kilometervergütung ausgemacht, und der war natürlich happy über den zusätzlichen Tag. Er lud Alex zu sich nach Hause ein – zum Abendessen. Mit seiner Familie bewohnte er eine winzige Zweizimmerwohnung. Außer ihm bestand die Familie aus zwei kleinen Kindern und einer potthäßlichen Frau. Kochen aber konnte sie. Dauernd kamen Nachbarn herein, um den Gast zu bestaunen und mit ihren Sprachkenntnissen zu prahlen. Es wurde noch ein unterhaltsamer Abend. Die Fahrt am nächsten Morgen verlief glatt. Bei Gericht mußte Alex fast zwei Stunden warten. Erst war der Untersuchungsrichter nicht anwesend, und dann wurde der Bauer auf dem Feld gesucht. Aber die Wartezeit war sehr unterhaltsam. Auf der unteren Etage befand sich die Polizeistation. In einer großen Gemeinschaftszelle hatte man ungefähr zwanzig Albaner untergebracht. Die brüllten und sangen Lieder. Alle halbe Stunde schloß ein Polizist die Gittertür auf und zehn seiner Kollegen stürzten mit Schlag-stöcken in die Zelle und verteilten wahllos Hiebe. Dann herrschte für eine Weile Ruhe, bis das Getobe wieder anfing, und das Spiel sich wiederholte. Endlich erschien der Bauer, und das Gefeilsche begann. Alex wollte seinen Autoschaden bezahlt haben und der Bauer seine Kuh. Schließlich bezahlte keiner was, und Alex erhielt sein Unfallprotokoll. Er hatte ja eine Vollkasko Versicherung abgeschlossen und besaß außerdem den ADAC-Auslands-Schutzbrief. Der Bauer dagegen hatte die Kuh schon längst verwurstet. Der Untersuchungsrichter hatte eine bildschöne Sekretärin mit knapp unter zwanzig Lenzen und einer traumhaften Figur. Ihr Anblick versöhnte Alex fast mit Jugoslawien. Die Sympathie schien auf Gegenseitigkeit zu beruhen. Sie flirtete so ungeniert, daß es dem Richter auffiel. Alex fragte sie, ob sie nicht mit nach Arabien kommen wollte. Ihr Erröten war ihm Genugtuung. Der Richter drohte ihm scherzhaft mit dem Zeigefinger und meinte, wenn er so weiter mache, müsse er ihn wohl einsperren lassen. Alex erwiderte, nichts dagegen zu haben, wenn ihm die Sekretärin als Wärterin zugeteilt würde. Unter derart heiterem Geplänkel wurde das Unfallprotokoll gefertigt und unterzeichnet. Die Sekretärin begleitete ihn zum Ausgang und winkte dem Taxi nach. Zurück in Skopje, bezahlte Alex den Taxifahrer, beglich die Hotelrechnung und nahm die restliche Strecke nach Griechenland unter die Räder. Er sah die schwarzen Berge von Montenegro, dachte an den grausamen Krieg vor über vierzig Jahren und daran, wie viele Gebeine wohl in diesen Schluchten bleichten. (* Anmerkung: Montenegro kommt vor Pristina, doch verzeihe der Leser diese kleine Ungenauigkeit *) Die Bevölkerung lebte noch nach archaischen Gesetzmäßigkeiten. Vor zwei Jahren war ein junges Paar aus Wetzlar mit seinem VWCampingbus hier abseits der großen Straßen auf Entdeckungsfahrt gegangen. In der Nähe eines Dorfes war ihnen ein kleiner Junge vor das Auto gelaufen und war auf der Stelle tot. Der junge Mann, an deutsche Gesetze und Verhältnisse gewöhnt – auch beim Gedanken an Unfallflucht, die Folgen und den gerichtlichen Ablauf, hatte das Auto mit seiner Freundin stehen gelassen und ein Telefon gesucht, um den Unfall zu melden. Als er zurückkam, hatten die Dorfbewohner seine Freundin erhängt. Der Anblick der baumelnden Leiche dürfte ihn wohl bis an sein Lebensende verfolgen – hoffentlich. Spät abends kam Alex in Saloniki an, suchte sich ein Hotelzimmer am Hafen, schlief lange in den Morgen hinein, frühstückte gemütlich und fuhr schließlich zu einer Mercedes-Werkstatt. Wie sich herausstellte, hatte das Fahrgestell nichts abbekommen. Die Ersatzteile waren allerdings nicht alle vorrätig. Vor Ablauf von acht Tagen war an einem Reparaturabschluß nicht zu denken. Alex regte auch dies schon nicht mehr auf. Er fuhr in die Stadt und suchte einen Fotoladen, wo man in der Lage sein würde, die besonders kleine Kassette aus seiner Pentax zu entwickeln. In zwei Läden verstand man weder Deutsch noch Englisch. Im dritten Laden antwortete die angesprochene Dame auf seine Frage: „Klar, ich komme doch aus Lübeck.“ Wie sie anschließend erzählte, hatte sie einen Griechen geheiratet und lebte nun schon seit fünfzehn Jahren hier. Alex erzählte ihr sein Mißgeschick, und sie gab ihm die Adresse eines Mechanikers, der zehn Jahre lang in einer Mercedes-Werkstatt gearbeitet hatte, mit einer deutschen Frau verheiratet war und die gesamte deutsche Kolonie in Saloniki zu seinen Kunden zählte. „Kann der davon leben?“ – fragte Alex skeptisch, woraufhin die Lübeckerin lachte und erklärte: „In dieser Stadt hier leben rund 2.000 Deutsche.“ Der Mechaniker benötigte einen vollen Tag, um in der gesamten Stadt bei Kollegen die Ersatzteile zusammen zu suchen. Das Auto reparierte er tadellos und entschieden preiswerter, als das Angebot der Mercedes-Nieder-lassung. Für die Reparaturdauer hatte sich Alex in ein kleines Hotel am Strand des ersten Fingers von Chalkidike bringen lassen. Es war ein kleines Paradies mit verlassenen Dörfern. Einige verbliebene Einheimische lebten vom Tourismus. Eine Taverne war brechend voll – über dem Eingang prangte ein Schild, auf dem zu lesen war: Wir sprechen Deutsch. Alex trat ein, ging in die Küche und stellte sich ein Wunschmenü zusammen. An der Wand hingen Briefe und Postkarten von dankbaren Urlaubern aus Deutschland. Ein nettes Gedicht wünschte dem Wirt und seiner Erika viel Glück für ihre gemeinsame Zukunft. Er fragte den Wirt nach seiner Frau. Der verzog gequält das Gesicht. Erika war als Touristin gekommen und, verzaubert von der Landschaft und von dem Charme des Wirtes, geblieben. Als es Winter wurde, die kalte Winde wehten und die Touristen ausblieben, stellte die Langeweile die Beziehung auf eine harte Probe. Nun sahen die Dinge anders aus, und eines Tages packte Erika frustriert ihre Koffer. Seine Zimmernachbarin im Hotel war eine junge, dünne Griechin aus dem Hinterland, die sich ein paar Tage Strandurlaub gönnte. Sie war Ver-käuferin, geschieden und kochte ihre Mahlzeiten selbst. Ihr Mann sei weggelaufen, erzählte sie, er sei eben verrückt. Sie klopfte bereits am ersten Abend an Alex´ Tür mit dem Ansinnen, die Funktionsweise einer Pocket-kamera erklärt zu bekommen. Ein Vorwand – versteht sich. Erst ließ sie die Tür zum Flur auf, und sie unterhielten sich in einem deutsch-englischem Kauderwelsch – dann stieß sie wie beiläufig die Tür mit dem Fuß zu, und Alex zog ihr das Strandkleid über den Kopf. Darunter war sie nackt – viele Umstände gab es nicht. Sie knutschte ein wenig herum, legte sich auf der durchlegenen Matratze zurecht und spreizte erwartungsvoll die Beine. Ihre kleinen, flachen Brüste paßten irgendwie zu ihren hervorstehenden Rippen – sie sah schon irgendwie aus wie ein mageres Hühnchen. Als er in sie eindrang, geriet sie für ein paar Sekunden in Ekstase – danach lag sie unter ihm wie ein Brett. Alex stützte sich gut ab, um sich an ihren hervorstehenden Knochen keine blauen Flecken zu holen. Er mühte sich redlich ab. Aber jede weitere Reaktion ihrerseits blieb aus. Ihn hätte es nicht gewundert, wenn sie insgeheim die Fliegen an der Decke gezählt hätte. Als er fertig war, rollte sie sich aus dem Bett, zog ihr Kleid über, küßte ihn flüchtig und ging. Zweimal kam sie noch; jedesmal war es das Gleiche. Alex hätte ihr sagen können, warum ihr Mann davongelaufen war. Aber wann hat jemals eine Frau von einem Mann einen solchen Rat angenommen? Wenn jedenfalls eine Frau einem Mann täglich nur für eine halbe Stunde das Gefühl gibt, er sei für sie der Größte, wird er sich die Beine für sie ausreißen. Manche Frauen aber begreifen dies einfach nicht. Nach drei Tagen konnte Alex bereits weiter fahren, und so erreichte er rechtzeitig seine Fähre nach Syrien. Diese war ein alter Kahn und wurde scheinbar mit den beiden Antriebsschrauben gesteuert. Denn als unterwegs einer der beiden Dieselmotoren ausfiel, fuhr sie zwei Stunden im Kreis, bis der Schaden behoben war. An Bord war alles international gemischt. Beladen war die Fähre mit Kisten, Kartons und Ballen jeder Größe. Auch einige Deutsche hatten sich eingefunden. Alex führte vergnügliche Diskussionen mit einem alten SPD-Mann – Stadtoberinspektor von Hannover. Der trauerte der früheren Regierungsmehrheit nach. „Gäbe es keine weiteren Gründe, hätte die SPD allein schon deswegen abgeschossen werden müssen, weil die Lohnsteuer beim gesamten Steueraufkommen den größten Anteil ausmacht“, behauptete Alex, „und weil es eine Schande ist, wenn ein normal gebildeter Arbeiter für seinen Lohnsteuerjahresausgleich schon einen Steuerberater braucht.“ Dann gab es noch eine untersetzte, stämmige Apothekengehilfin, die mit ihrem syrischen Ehemann und mit ihrer kleinen Tochter zum ersten Mal das Heimatland ihres Mannes aufsuchte. Das Töchterchen war der reinste Irrwisch, belästigte jeden und tobte überall an Bord herum. Alex hätte es nicht gewundert, wenn sie während der Zweitagesfahrt über Bord gefallen wäre. Aber Kinder und Betrunkene haben ja bekanntlich Schutzengel. Im Hafen von Latakia, der nach arabischen Maßstäben gemessen sehr sauber und ordentlich war, machte die Apothekengehilfin plötzlich kehrt; packte ihre Tochter und ging wieder an Bord. Alles sei ja so schmutzig, und hier würde sie keinen Fuß an Land setzen. Alex vermutete private Gründe. Die Frau müsse wohl Angst bekommen haben, ihr Mann würde sie und ihre Tochter nicht mehr nach Deutschland zurückkehren lassen. Der arme Kerl – dachte Alex, wie soll er nun seinen Eltern in Damaskus erklären, wieso ihm seine Frau den in Arabien selbstverständlichen Gehorsam verweigert? Alex nahm sich Zeit, wohnte in Damaskus im Sheraton Hotel, besuchte den Basar sowie einige arabische Bauwerke, fuhr weiter zur Kreuzritterburg Krag und kletterte einen halben Tag lang über die nie erstürmten Mauern. Entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten nahm er sowohl in Amman als auch in Damaskus im Sheraton Hotel Quartier. Dies, weil in deren Garagen sein Mercedes sicher war, und weil die Direktoren in arabischen Spitzenhotels entweder Schweizer oder Deutsche sind. Die kannten die Gegend und konnten die Chancen für Fertighäuser im arabischen Stil in ihrer Gegend eher abschätzen. Oder sie kannten jemand, der jemanden kannte, der dies konnte. Alex bummelte durch Amman, besah sich die alten römischen Ruinen, besuchte seine ehemaligen Vormänner, die nur drei Straßen voneinander entfernt wohnten und ehrlich erfreut waren. Sie schleppten in den folgenden Tagen eine Menge von Kaufinteressenten für den Mercedes an und konferierten mit den beiden Baufirmen. Am Wochenende fuhr er nach Petra, verknipste zwei Filme und ließ die Jahrtausende dieser alten, aus Sandstein gemeißelten Stadt auf sich wirken. Die Vermarktung dieser Kulturdenkmäler war schon in vollem Gange. An der Zugangsschlucht stand ein Hotel. Man konnte Pferde mieten und mit Limonadenverkäufern handeln. Eine Poststation mit Bildern und Postkarten hatte man in der alten Stadt etabliert. Einheimische Händler versuchten, angeblich gefundene Antiquitäten zu verkaufen. Auch ein Buch, von einem deutschen Autorenpaar verfaßt, wurde offeriert. Wir sind nur Gäste, dachte Alex, hier ist es offensichtlich: Die Erbauer der Stadt waren in den Abgrund der Zeit versunken. Woanders war es ähnlich. Da gab es zwar Bewohner, aber die hatten mit den Zeugen der Geschichte nichts mehr zu tun. Die Italiener beispielsweise sind nur noch ein schwacher Abglanz der alten Römer, und auf der anderen Seite der Adria begann bei Belgrad Asien; Griechenland machte dabei keine Ausnahme. Alex ging mit den beiden Baufirmen in Amman einen Vertretervertrag auf Provisionsbasis ein. Jede Firma übernahm ein festes Gebiet und hatte die Fertighäuser gegen Erfolgsprovision zu verkaufen, die Bodenplatte vor Ort zu erstellen und lokale Arbeitskräfte zu besorgen. Beide verlangten detaillierte Pläne und statische Berechnungen. Nachtigall, ick hör dir trapsen, dachte Alex und überließ nur soviel Unterlagen, wie zu einem erfolgreichen Verkaufsgespräch erforderlich war. Das Frühstück im Sheraton Hotel in Amman wurde von einer kleinen Schar niedlicher Koreanerinnen serviert. Eine hätte gern in Deutschland gearbeitet und fragte Alex, ob er nicht einen Job vermitteln könnte. Er wollte nicht unhöflich erscheinen und meinte, dazu benötige er ein Foto und ihre Adresse. Am Nachmittag kam sie in sein Zimmer, zog sich aus und wollte fotografiert werden – sie meinte, ein solches Foto wäre doch wohl vorteilhafter. Alex betrachtete sie und mußte zustimmen: Sie war zierlich, aber an den richtigen Stellen gut gepolstert – mit langen, glatten, schwarzen Haaren und kleinen, straffen Brüsten. Bezahlen wollte sie auf die einzige ihr mögliche Art, und Alex hatte keine Einwände. Sie kniete vor ihm nieder und begann mit den Schuhen, ihn auszuziehen. Als sie seinen Gürtel öffnete und die Hose nach unten streifte, sprang ihr sein kleiner Bruder fast ins Gesicht. Sie lächelte und streichelte ihn. Ihre Hände fühlten sich an wie Schmetterlingsflügel. Sie führte Alex zum Bett und bugsierte ihn sanft in die Kissen. Er war gespannt, wie es weiter gehen würde und überließ ihr die Führung. Sie massierte, knetete und streichelte seine Fußsohlen. Ein angenehmes Gefühl breitete sich in seinem Körper aus. Nicht schlecht für den Anfang, dachte er. Plötzlich durchraste ein flammender Orgasmus nach dem anderen seinen Körper, bis er total erschöpft einschlief. Er erwachte allein – angenehm gelöst und zufrieden. Er war am ganzen Körper eingecremt und duftete dezent nach einem Rasier-wasser. Noch schläfrig, lächelte er. Zwar hatte sie ihn um einen angenehmen Bums gebracht – aber dies hier war mindestens ebenso gut gewesen. Alex verkaufte seinen Mercedes – wegen des Unfalls ohne Gewinn, aber auch ohne Verlust. Die Reisespesen hatte er aber nun selber zu tragen. Er nahm das nächste Flugzeug nach Hause. Dort hatte sich die Lage auf dem Baumarkt eher noch verschlechtert. Die Hypothekenbank drohte die Versteigerung seines Hauses an, und seine Reserven schmolzen zusammen. Vier Wochen später traf aus Amman ein Kaufvertrag ein: Ein Haus mit 280 Quadratmetern für stolze 1,2 Millionen Mark. Ab 200 Quadratmeter Wohnfläche hatte Alex eine Rabattstaffel zugestanden. Der Reingewinn bei diesem Geschäft würde bei rund 400.000 Mark liegen. Da aber beim Transport oder auf der Baustelle eigentlich immer etwas schief zu gehen pflegte, mußte er sicherheitshalber mit weniger kalkulieren. Alex schwor sich, nach Erledigung dieses Auftrags die Hypothek abzulösen und dann nie wieder Schulden zu machen. Die Versteigerungsanordnung der Bank war ihm in die Glieder gefahren. Das Haus hatte er nur für die Kinder gebaut. Sie sollten in einer schönen Umgebung groß werden und nicht in einer engen Mietwohnung. Der Kunde war mit Anschrift und Bankverbindung genannt und wollte über die Kaufsumme ein unwiderrufliches Akkreditiv hinterlegen. Alex hatte über eine Bankbürgschaft die Auftragserfüllung abzusichern. In seinem Beruf war er ein As. Wieviel er aber als Geschäftsmann zu lernen haben würde, wurde ihm erst jetzt bewußt. Die Bank verlangte zur Absicherung der Bürgschaft geeignete Sicherheiten. „Weshalb?“ – fragte Alex, „das Akkreditiv ist doch so gut wie Bargeld.“ „Aber nur, wenn der Auftrag vereinbarungsgemäß ausgeführt wird“, war die Antwort, „und kommt etwas dazwischen, kann der Käufer das Akkreditiv zurück verlan-gen.“ „Und was sollte dazwischen kommen?“ – fragte Alex, „der Käufer will das Haus – ich will den Auftrag ausführen. Und wenn das Akkreditiv hinterlegt ist, kann er auch nicht mehr vom Vertrag zurücktreten. Wo ist da ein Risiko?“ „Nun, Sie könnten morgen sterben. Eine Revolution könnte dort ausbrechen, die Bank des Käufers kann pleite gehen.“ Alex hörte sich noch gut ein Dutzend weiterer Gründe an, weshalb die Bank auf Sicherheit bestehen mußte. Dann ging er, versuchte es noch bei zwei weiteren Großbanken und kapierte dann, warum Beziehungen so wichtig sind. Einen Kredit, so wurde ihm jetzt klar, bekam man nur, wenn man beweisen kann, daß man ihn eigentlich gar nicht braucht. Jedenfalls in maßgeblicher Höhe. Die systematische Bonitätszerstörung kleiner Kreditkunden, indem man diese von Seiten der Bank aus in immer höhere Kreditsummen manövriert, war eine andere Sache. Diese Geschäfte brauchen die Banken, um ihr teures Geld für Kleinkredite loszuwerden. Theoretisch hatte Alex dies alles immer gewußt. Es aber nun in der Praxis selber zu erfahren, war eine bittere Sache. Sein jordanischer Verkaufspartner Abdul Hamar rief ihn beinahe täglich an, und Alex blieb nichts anderes übrig, als ihn zu vertrösten. Er suchte nach einigen Partnern – als Lieferanten und um die Bürgschaft abzusichern. Auf seine Anzeige in der FAZ meldeten sich fünf Interessenten. Einer war ein windiger Schlawiner, zwei besaßen keine müde Mark mehr und hatten ihre Todeslinie zur Pleite eigentlich längst überschritten, und die beiden anderen wollte zwar gern liefern, aber nur gegen Anzahlung. Und von einer Auftragsbürgschaft wollten sie schon mal gar nichts wissen. Einem Araber kann man mit Geld- und Bankangelegenheiten nichts mehr erzählen. Das richtige Gespür saugen die schon mit der Muttermilch ein. Alex telefonierte mit Abdul und erzählte seine Probleme. Der Jordanier hatte sich dies schon gedacht und unterbreitete ihm einen Vorschlag: 300.000 Mark gegen alle Pläne und zehn Monate Mitarbeit bei der Auftragsabwicklung. Alex sollte in diesen zehn Monaten zwei arabische Architekten einweisen, die bei den folgenden Aufträgen dann die Bauleitung übernehmen würden. Sie verhandelten zäh und als Freunde. Am Ende erhielt Alex für sämtliche Pläne 300.000 Mark und für seine Mitarbeit 12.000 pro Monat plus Spesen. Und für jedes künftig zu bauende Haus wurden ihm drei Prozent Lizenzgebühren zugestanden. Abdul Hamar genoß zwei Tage lang das Nachtleben von Frankfurt. Alex fuhr nach Hause und packte seine Pläne zusammen. Millionär würde er nicht werden – aber der Kompromiß war nicht schlecht für ihn. Er übergab seine Pläne, Zeichnungen, Kalkulationen und Lieferantenadressen an Abdul, erhielt seinen Scheck und brachte ihn zur Bank. Alex sah an diesem Tag sowohl seinen Scheck als auch Abdul Hamar zum letzten Mal. Zunächst jedoch war er zufrieden und machte sich einstweilen keine Sorgen mehr. Er genoß das Sommerwetter, sah von seiner Terrasse aus den Bauern bei der Heuernte zu und stellte sich das dumme Gesicht des Angestellten bei der Hypothekenbank vor, wenn er dort die gesamte Summe auf einmal auf den Tisch blättern würde. Er rief die Botschaft an und sandte zur Sicherheit von der Bank aus ein Telex hinterher. Die Antwort kam drei Stunden später: „Abdul Hamar ist nicht auffindbar – Gerüchten zufolge in Attentatspläne gegen einen Minister verwickelt. Firma und Vermögen stehen vorläufig unter Regierungsarrest.“ Unter Streß wurde Alex besonders ruhig und kaltblütig. Nüchtern sinnierte er: Wenn sich diese Sache nicht bald aufklärt, bleibt mir nur noch die Bauleitung in Nigeria. Jetzt aber brauche ich erst einmal einen doppelten Brandy. In Jordanien persönlich nachzuforschen würde eine Menge Geld und Zeit kosten und sicherlich nichts einbringen. In Arabien rollt eher mal ein Kopf zuviel als einer zuwenig. Der Versteigerungsvermerk zu seinem Haus wurde eingetragen. Noch machte sich Alex keine Sorgen – sowas konnte man gut ein halbes Jahr hinauszögern. Zwei Monate später fuhr er nach Hamburg und handelte seinen neuen Vertrag aus: Laufzeit 15 Monate – mit der Option einer dreimonatigen Verlängerung. Entgelt 10.000 Mark pro Monat plus Reisespesen zuzüglich 500 Naira in Landeswährung aus der Baukasse. Der notierte Kurs war nicht schlecht: Für einen Naira gab es 3,75 Mark. Mit seinem Vertrag in der Tasche machte Alex wieder die Runde bei den Banken und verlor endgültig seine letzten Illusionen. Einer der Sachbearbeiter fand ihn sympathisch und erläuterte ihm die Bankrichtlinien genauer: „Ein Straßenkehrer mit tausend Mark im Monat erhält eher ein Darlehen als Sie. Sie arbeiten freiberuflich, sind nicht fest angestellt, nicht in das System eingebunden.“ „Aber ich arbeite für diese Firma schon zum dritten Mal und besitze eine Lebensversicherung von über einer Million.“ „Auf ihr Haus ist eine Versteigerung eingetragen.“ „Die will ich ja gerade abwenden!“ „Tut mir leid, aber wenn ich Ihnen eine Hypothek einräume, kann ich morgen meinen Hut nehmen. Mein Vorgesetzter würde auch gar nicht zustimmen.“ Alex dachte nie an ‚Hätte, Wenn und Aber‘ und steuerte voll Gegenkurs. Bei den Großbanken also hatte er keinen Kreditrahmen. Deshalb belastete er das Haus über Bausparkasse und sogenannten Teilzahl-ungsbanken. Er ging bis zur zulässigen Belastungsgrenze. Grundbuchein-tragungen waren notwendig. Zwar hatte er einige Absagen von Institutionen erhalten, die eine besonders gründliche Kreditprüfung vornehmen. Aber es gab noch genügend Kredithaie, die nur ihre Provisionen im Auge hatten und den Institutionen, mit denen sie zusammen arbeiteten, mit den tollsten Tricks Verträge unterjubelten Schließlich hatte Alex die Beleihungsgrenze von 80 Prozent des Verkehrs-wertes voll ausgeschöpft. Mehr Geld hätte er auch bei einem Verkauf nicht erhalten können. Nun räumte er das Haus, brachte seinen Sohn wegen der Schule bei seiner Mutter unter, schickte Frau und Tochter nach Spanien und flog nach Nigeria. Taten um der Ehre willen nutzten nur Dritten, und ist der Ruf erst einmal ruiniert, lebt man völlig ungeniert. Über seine persönlichen Fähigkeiten verfügte er ja nach wie vor, und er wollte sich weder herumschubsen noch ausbeuten lassen. Vielmehr beabsichtigte er, seinen Neigungen gemäß zu leben und seinen Grundsätzen treu zu bleiben. Die entscheidenden Entwicklungsjahre hatten seine Kinder gut durchlebt. Die Tochter hatte zwischendurch ausgelernt. Beim Sohn fehlten leider noch drei Jahre bis zum Abitur. Dennoch dachte Alex, falls es sie nicht umwirft, ist ein solcher Härtetest ganz heilsam für die Kinder. Denn die, die immer alles bekommen und ohne Probleme aufwachsen, sind oftmals die späteren Versager. Frankfurt Alex saß Herrn Doktor Scheller gegenüber und packte eine Schenkungsurkunde, zwei Schecks, ein Bündel Aktien und eine Kassette mit Gold-münzen auf den Schreibtisch zwischen ihnen. Er erzählte von Neumann – und daß dies eine ‚freiwillige‘ Wiedergutmachung sei. „Wirklich freiwillig?“ – fragte der Rechtsanwalt, „von einer Straftat darf ich keine Kenntnis nehmen.“ „Das Gewissen hat ihn geplagt“, grinste Alex, „ich möchte, daß Sie diese Werte rechtlich einziehen und verwalten – die Hälfte als meine Entschädigung für mich aufheben; mit der anderen Hälfte möchte ich eine Stiftung gründen.“ „Was für eine Stiftung?“ – fragte Doktor Scheller interessiert. „Dazu muß ich ein wenig ausholen und über meine Motive berichten.“ Alex machte nachdenklich eine Pause und fuhr dann fort: „Nach meiner Überzeugung konnten wir Deutschen es in unserer gesamten langen Geschichte nie schaffen, eine freiheitliche Demokratie als Staats-wesen aufzubauen, in der sich alle Bürger wohl fühlen können. Eine fundierte Sache kann man nicht einfach von oben verordnen, die muß sich langsam von unten aus dem Bewußtsein aller bilden. In den alternativen Kreisen kann ich dazu gewisse Anfänge ausmachen. Aber solche Bewegungen müssen auch wehrhaft sein. Als Idealzustand schwebt mir eine Organisation ähnlich dem Templerorden aus dem Mittelalter vor. Die Mitglieder mußten damals als Mutprobe und Eistand einen Löwen mit dem Speer erlegen. Also keine straffe, von oben gelenkte Organisation, sondern ein freiwilliger Zusammenschluß von vielen Gleichgesinnten, welche durch einige gemein-same Grundsätze verbunden sind. Lachen Sie jetzt bitte nicht: Einen Bund der Gerechten, die Unrecht in keiner Form dulden, die bösartige Mitmenschen bekämpfen, boykottieren, isolieren und durch ihr Vorbild der ziellosen Jugend eine Idee und Ideale geben. Das muß ein wirklich neuartiger ‚Ritterstand‘ sein. Durch Reden kann niemand Mitglied werden, nur durch Taten. Alles streng demokratisch – die Anführer können nur gewählt werden. Wir sind das Herz Europas, und Europa hat immerhin seine Kultur in die ganze Welt getragen. Beispiele müssen wir vorleben, damit die verkommene Parteienmoral durch etwas Besseres abgelöst wird. Weshalb existiert bei wichtigen Entscheidungen nicht das Instrument der Volksbefragung. Entweder ist das Volk der Souverän, oder es herrscht eben eine raffinierte Parteiendiktatur. Überall muß sehr viel mehr Selbstver-waltung praktiziert werden. Die Fremdbestimmung nimmt bei uns über-hand. Weshalb erhalten junge Handwerksmeister und Ingenieure, die einen Betrieb gründen wollen, nicht einfach 100.000 Mark als Darlehen, ohne stapelweise Anträge und Nachweise auszufüllen beziehungsweise zu erbrin-gen – damit die meisten Interessenten abgeschreckt werden? Das Diplom oder der Meisterbrief sind doch Nachweis genug. Mit diesem Geld hier soll als Anfang ein Betrieb oder ein Bauernhof gekauft werden. Die Mitglieder erarbeiten sich ihre Anteile und können sie nur an andere Mitglieder weitergeben. Über eine gewisse Größe hinaus darf das persönliche Vermögen nicht anwachsen. Aber alle diese Fragen sollen noch ausführlich diskutiert werden – von allen gutgeheißen und bei Bedarf auch geändert werden. Gute Beispiele überzeugen. Es wird viele Menschen geben, die eine solche Idee unterstützen, wenn man erst einmal sieht, daß sie Erfolg hat. Ideen verändern die Welt – und die meisten Menschen geben dem Guten den Vorzug. Ein Mensch ist nicht frei, wenn er nicht auch sozial frei ist. Und wer Angst um seinen Arbeitsplatz oder seinen Lebensstandard hat, lebt faktisch in purer Diktatur. Die menschlichen Grundbedürfnisse wie ein Dach über dem Kopf oder genügend zu essen sind relativ leicht zu erfüllen. Der Staat verteilt massenhaft Geld – aber die meisten Mittel versickern an den falschen Stellen. Die Mitglieder dieser Organisation sollen immer und bei allem eine Frage stellen: Nützt es mir, meiner Familie, meinen Freunden, meinem Volk – genau in dieser Reihenfolge. Dies muß gelten für die tägliche Arbeit, für den Konsum und auch für utopische Gedankenspielereien, die Zukunft betreffend.“ „Finden Sie nicht, daß in unserem Staat durch das Grundgesetz eigentlich genügend organisiert ist?“ – fragte der Rechtsanwalt. „Das ist ähnlich der amerikanischen Verfassung“, entgegnete Alex, „man muß sich erst mal fragen, wer das niedergeschrieben hat, was der Auftrag und was die wirklichen Motive dazu waren. Bei uns suchten die westlichen Sieger-mächte die sogenannten ‚Grundgesetz-Väter‘ aus und beauftragten sie. Die Fehler, oder sagen wir mal die Beeinflussung in die falsche Richtung, sind natürlich nicht offensichtlich – so dumm waren die ja nicht. Nehmen wir die Verteidigung: Wozu brauchen wir Angriffswaffen? Einen Angriffskrieg können wir weder beginnen noch gewinnen. Aber diese unsinnigen Waffen sind teuer, und somit werden die zur Verfügung stehenden Mittel eindeutig in die falsche Richtung gelenkt – also vergeudet. Zwei praktische Beispiele: Vergleichen Sie den Preis eines Düsenflugzeugs vom Typ Tornado mit dem eines Kampfhubschraubers. Bei einem Duell gewinnt der Hubschrauber. Oder ein Panzer und eine Panzerabwehrrakete. Ein bekannter General rechnete einmal aus, daß bei einem unwahrscheinlichen Angriff aller 40.000 Ostblockpanzer gegen eine beweglich gegliederte Bundeswehr mit genügend Abwehrraketen kein einziger Panzer jemals den Rhein erreichen könnte. Und wo bleiben unsere Interessen, wenn im Kriegsfall kein deutscher Politiker oder General etwas zu sagen hat und auch nicht darüber mitreden kann, ob und wann die auf unserem Boden gelagerten Atomwaffen eingesetzt werden? Eine demokratische Kontrolle von unten wäre jedoch ein unbedingtes Muß. Auch dafür möchte ich Ihnen zwei Beispiele nennen: Hitler hatte in den ersten Jahren unvorstellbare Erfolge – ab 1942 aber nur noch beinahe unerklärliche Fehler und Pannen. Heutzutage sind nationale und patriotische Gefühle fast verpönt. Die Gewerkschaften verbuchten mit ihrem Baukonzern ‚Neue Heimat‘ gewaltige Erfolge. Dann konnten ein paar krumme Typen an der Spitze ohne faktische Kontrolle schalten und walten – nun werden die Geldsäcke über gekaufte Politiker die Gewerkschaften mit der Neufassung des Paragraphen 116 kastrieren. In dieser Tonart könnte ich tagelang weiter reden. Wir stecken in einem gewaltigen, stinkenden Sumpf, und die Möglichkeit einer Reinigung sehe ich nur in einer Demokratie von unten, die diesen Namen auch verdient. Und es muß eine Rückbesinnung auf die ureigensten Interessen erfolgen. Viele alte Leute ohne Erben hinterlassen Häuser und Vermögen der Kirche oder dem Roten Kreuz. Weshalb nicht auch einem solchen nationalen Bund? Überall ein paar Häuser, Firmen und Bauernhöfe als Stützpunkte für ziel- und haltlose Jugendliche, die sonst in die Kriminalität abgleiten. Alle Stützpunkte selbständig – mit einem gewählten Leiter, nur einer gemein-samen Satzung und gemeinsamen Idealen verpflichtet – sich gegenseitig helfend. Mit eigener Zeitung, um die offizielle Desinformation auszu-schalten. Mit gleichgesinnten Organisationen soweit wie möglich zusam-menarbeitend. Das wäre so in etwa meine Utopie.“ „Waren Sie schon mal bei Haferkamp?“ – fragte der alte Herr. Alex erinnerte sich an das Empfehlungsschreiben und sagte: „Noch nicht – wollte ich eigentlich heute noch erledigen.“ Doktor Scheller nahm den Telefonhörer und wählte: „Hallo Haferkamp – hier Scheller. Wie steht´s? Was macht das Leben und die Liebe?“ Die beiden müssen sich gut kennen, dachte Alex. Der Rechtsanwalt lachte leise über die Antwort aus dem Draht und fuhr fort: „Ich habe hier einen interessanten Mann sitzen – mit dem müßtest du dich mal unterhalten. Er liegt auf deiner Linie und hat gerade bei mir eine halbe Million Mark deponiert. Also kein Gerede, sondern solider Hintergrund.“ Er blickte Alex fragend an. „Wenn möglich im Laufe des Tages – den Abend möchte ich für mich freihalten“, sagte dieser, und Doktor Scheller vereinbarte einen Termin am Nachmittag. „Dieser Neumann muß noch einmal hier im Büro unter Zeugen die Schenkung bestätigen. Wird das klar gehen?“ Alex grinste: „Da bin ich verdammt sicher.“ Er ließ sich eine Quittung ausstellen und verabschiedete sich. Er nahm die S-Bahn, mußte am Hauptbahnhof umsteigen, bummelte ein wenig umher, kaufte sich einige neue Taschenbücher, aß in einem Schnellimbiß einen Teller Eintopf und ließ die Hälfte stehen, weil das Zeug besser gerochen als geschmeckt hatte. Pünktlich fand er sich bei Hafer-kamps Adresse ein. Es war ein Hinterhof in einer normalen Wohngegend. Ein Schuppen war zur Hälfte als Werkstatt ausgebaut, und ein halbes Dutzend Jugendlicher bastelte an Mopeds oder Motorrädern herum. Die andere Hälfte des Schuppens, mittels einfacher Bretterwand abgetrennt, war mit Sitzgruppe, einer großen Turnmatte und Bücherregalen möbliert. In einer Ecke stand ein einfacher Schreibtisch – dahinter saß ein älterer Mann mit Lesebrille auf der Nase und lustigen Lachfalten im Gesicht. Alex hatte Haferkamp gefunden. Er stellte sich vor, und sie fanden sich gegenseitig sympathisch. Alex erzählte ein wenig aus seinem Leben, berichtete von seinen Überzeugungen, Standpunkten und Plänen, und dann war Haferkamp an der Reihe: „Ich beziehe eine ganz gute Pension“, begann er, „das Haus da vorn, das Grundstück und der Schuppen gehören mir. Wie die Jugendlichen jeden Tag mehr vergammeln, konnte ich nicht mehr mit ansehen. Deshalb richtete ich da vorne die Werkstatt ein. Die, die dort herumbasteln, haben keine Lehrstelle und keine Arbeit. Wir kaufen alte Zweiräder, reparieren und verkaufen sie wieder. So haben die Jungs was zu tun und verdienen ein paar Mark. Das hier ist unser Vereinsraum. Hier sitzen sie abends, besser als in der Kneipe. Oft wundere ich mich, warum nicht mehr Rentner sowas machen. Al Ula, Oase in der Wüste von Saudi-Arabien. Endstation der Bagdad-Bahn, der Bau dieser Eisenbahnlinie durch das deutsche Kaiserreich war einer der Gründe für den Ausbruch des ersten Weltkrieges. Ich habe damit eine Aufgabe gefunden, keine Langeweile, und es macht mir Spaß. Die Jungs kommen mit allen ihren Problemen zu mir.“ „Haben Sie keine Familie?“ – fragte Alex. „Ich hatte“, erwiderte Haferkamp ruhig, „meine Eltern, meine Frau und zwei Kinder wurden bei dem großen Angriff auf Dresden ermordet.“ Die Wortwahl sagte alles. Dieser Mann nannte die Dinge beim Namen. Seine Familie war nicht bei einem Luftangriff ums Leben gekommen, wie es sonst gewöhnlich so verniedlichend heißt, sondern bei einer unsinnigen und deshalb rätselhaften Massenbombardierung durch englische Bomber in den letzten Kriegstagen ermordet worden. Einen Soldaten tötet man – aber Dresden war der größte Einzelmassenmord in der Geschichte. „Geheiratet habe ich nie wieder“, fuhr er fort, „aber dennoch kam nie Langeweile auf. Ich beschäftige mich viel mit der Geschichte – heute ist noch vieles rätselhaft. Erinnerung lehrt Vorbeugung – Verdrängen der Probleme hilft nichts. Ich war bei der Canaris-Truppe. Meist kämpften wir im Rücken des Feindes. Unsere Ausbildung war erstklassig – dieses eingedrillte kritische Denken wird man nicht mehr los. Seit ein paar Jahren versuche ich herauszubekommen, warum in den letzten Kriegsjahren so vieles falsch lief.“ „War das nicht eine Folge des germanischen Überlegenheitsdenkens?“ – warf Alex ein. „Das ist des Pudels Kern“, gab der Alte zu. „Ich weiß zuverlässig, daß die Generäle der WaffenSS wußten und das auch sagten, daß sie die Völker in den Weiten des Ostens nur mit deren Zustimmung beherrschen können.“ „Und ich dachte, gerade die Waffen-SS sei durch ihre Erfolge beflügelt ein Verfechter dieser überheblichen Theorie gewesen.“ „Die Legenden über die SS sind ein besonders düsteres Kapitel“, seufzte der Alte. Alex bot ihm eine Zigarre an. Beide machten die ersten Züge. Dies versprach ein richtiges Männergespräch zu werden. „Ein wenig bin ich informiert“, meinte Alex, „die Waffen-SS und die Wachmannschaften der KZs waren zwei völlig verschiedene Organisatio-nen. Himmler verband sie per Federstrich dem Namen nach.“ „Richtig“, stimmte Haferkamp zu, „und die Sieger nutzten das weidlich aus. Ein Volk demoralisiert man am besten, indem man seine Helden als dumme und bru- tale Mörder hinstellt. Nur Generäle der Waffen-SS wagten es, einen Führerbefehl nicht zu beachten – sogar das Gegenteil zu tun und Recht zu behalten. Mal sehen, ob ich es noch erlebe, wenn in zehn Jahren die geheimen Archive der Engländer und der Amerikaner geöffnet werden, obwohl die ganz brisanten Sachen wohl für immer begraben wurden.“ Alex hatte Vertrauen gefaßt und erzählte nun dem aufmerksam lauschenden Haferkamp die ganze Geschichte mit Harris und Neumann und erläuterte seine Absicht, Harris heute abend einen Besuch abzustatten. Der Alte holte eine Flasche Cognac und zwei Schwenker aus den Tiefen seines Schreibtisches und meinte bedächtig: „Heute ist es zu spät. Falls Harris ein kleiner Gauner ist, hat er erst mal die Kurve gekratzt, als sein Butler nicht wiederkam. Sollte mehr dahinter stecken, würdest du in eine Falle laufen.“ Alex hörte ruhig zu. Dieser Mann hatte dem Tod hundertmal in die Augen gesehen – nur ein Narr beachtet einen guten Rat nicht. Zwar lag seine aktive Zeit lange hinter ihm, aber sein Geist war noch wach und klar. „Und welchen Rat würdest du mir geben?“ Unmerklich waren sie zum ‚Du‘ übergegangen. „Ich will ihn auf keinen Fall davonkommen lassen. Das würde ich mein Leben lang bedauern.“ Haferkamp grinste und sagte: „Du bist ganz schön rachsüchtig, was?“ „Das kannst du aber laut sagen. Niemand fügt mir einen Schaden zu und kommt auf die Dauer davon.“ „Was ein richtiger Berliner ist“, grinste der Alte, “bezahlt immer seine Rechnungen, kassiert immer seine Forderungen und fährt nie mit abgefahrenen Reifen.“ Ernst werdend fuhr er fort: „Zeige mir das Haus von diesem Harris auf dem Stadtplan. Morgen werde ich es mir ansehen und falls möglich, kannst du diesen Besuch morgen abend machen. Ein paar ausgeschlafene Jungs geben dir dann Rückendeckung. Deine Motorradkumpels mögen ja bei einer Keilerei ganz nützlich sein aber hier ist doch ein wenig mehr nötig. Mein Riecher hat mich bislang selten getäuscht.“ Alex rief Brigitte an: „Hast du heute abend Zeit für mich?“ „Welche Frage – für dich habe ich immer Zeit.“ Sie neckten sich noch etwas, und Alex gab ihr die Adresse durch. Brigitte versprach, ihn abzuholen. Er besah sich die Bücher in den Regalen: Alles Themen aus Geschichte und Politik – kein Schund oder Kitsch darunter. Haferkamp ging ab und zu nach vorn in die Werkstatt, wenn einer der Bastler mit einem Problem nicht zu Rande kam. Zwischendurch tranken sie ein paar Tassen Kaffee und warfen sich Ideen und Argumente wie Bälle zu. Nach 18.00 Uhr wurde es in der Werkstatt ruhig. Dafür aber füllte sich ihr Raum. Zwei trainierten auf der Matte Judogriffe, andere diskutierten lebhaft. Drei hatten sich in einer Ecke zum Lesen zurückgezogen – gegen den Lärm mit Kopfhörern abgeschirmt. Haferkamp stellte ihm nacheinander drei junge Männer vor, jeweils knapp über zwanzig, an die er seine Kommando-erfahrungen weitergegeben hatte. „Manchmal mache ich das, wenn mir einer zusagt und ich sicher bin, daß er die Kenntnisse nicht mißbraucht. Nicht genutztes Wissen und brachliegende Fähigkeiten sind wie Verschwendung – eine Sünde gegen die Natur“, kommentierte er seine Einstellung. Brigitte erschien. Sie erregte interessierende Aufmerksamkeit und anerken-nende Blicke. In ihrem Kostüm aus Alcantara in den Herbstfarben sah sie entzückend aus. Alex küßte sie und flüsterte ihr ins Ohr: „Du siehst wieder aus heute..., gleich wirst du vergewaltigt.“ Sie lachte und flüsterte zurück: „Nur keine Feigheit vor dem Feind, junger Mann.“ Ein paar Mädchen, Freundinnen der Jungs, waren auch gekommen. Alex unterhielt sich mit verschiedenen Gruppen – allen war eine große Zufrieden-heit über Haferkamp und ihren Verein gemeinsam. Gegenseitige Hilfe und Unterstützung, ein Leben in Harmonie und Freundschaft war für sie das Wichtigste. Streitfälle wurden von einem Freundschaftsgericht geschlichtet – die schlimmste Strafe war Ausschluß aus der Gemeinschaft. Jedes neue Mitglied hatte für den Verein etwas besonderes zu vollbringen. So etwas überall im Lande, dachte Alex, und dann weiterentwickeln; übergreifende Zusammenarbeit immer auf der Grundlage der Basisdemokratie und der Selbständigkeit der einzelnen Gruppen. Haferkamp hatte sich ein Denkmal gesetzt. Er hatte Geld, Zeit und Ideen eingesetzt und erntete Liebe, Freundschaft und Dankbarkeit. Ein kluger Mann, entschied Alex, und ein glücklicher Mann dazu. Sie gingen erst nach zehn. Während Brigitte ihren Wagen in die Hauptstraße einlenkte, bemerkte sie: „Wie hast du diesen interessanten Verein aufgetan? Der alte Haferkamp ist ungewöhnlich belesen und kann sich über jedes Thema unterhalten.“ „Man trifft überall Menschen“, antwortete Alex, „mit denen sich ein Kontakt lohnt. Mir tun immer die Leute leid, die sich aus geschäftlichen Gründen mit ätzenden Typen abgeben müssen. Lieber möchte ich weniger haben und verdienen, wenn ich dafür jemandem sagen kann: Verpiß dich, du stinkst mir. Sowas kann ein richtiger innerer Reichsparteitag sein.“ Brigitte sah ihn überrascht an: „Ich glaube fast, du wärst dazu imstande.“ „Na klar“, grinste Alex, „fahr mal in die Allee dahinten, ich muß mal.“ Es war eine ruhige Villengegend. Mächtige alte Bäume bildeten über der Straße ein Dach. Brigitte parkte im Schatten, stellte den Motor ab und das Radio leiser. Alex zog sie an sich. „Ich denke“, begann Brigitte. Alex unterbrach sie: „Ich meine, ich muß mal... dich erst richtig begrüßen“, vergrub sich in ihre Lippen und schob seine rechte Hand unter ihren Rock. Sie lehnte sich in seinen Arm zurück, rutschte mit ihrem Hintern nach vorn und spreizte die Beine. Während er sie gründlich und mit Genuß küßte, und ihr Atem immer schwerer wurde Er löste sich langsam von ihren Lippen und murmelte: „Wir fahren besser zu mir – da haben wir ein breites Bett.“ „Mach weiter“, bettelte sie, und als er keine Anstalten machte, zog sie seinen Reißverschluß herunter und beugte sich über seinen Schoß. Die ist ja ganz entfesselt, dachte Alex, wenn uns hier ein Rentner sieht, der seinen Dackel Gassi führt, dann gibt es Ärger. Aber es war viel zu schön, um Einspruch zu erheben. Nach einer Weile hob sie lächelnd den Kopf und fragte triumphierend: „Na, machst du jetzt weiter?“ „Wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben“, grinste er schwach, klappte den Sitz nach hinten und zog sie über sich. Es wurde eine richtig tolle Autonummer – mit der zusätzlichen Würze der Gefahr der Entdeckung. Schließlich suchte sie Slip und BH zusammen und eröffnete ihm, sie habe Hunger. In Sachsenhausen fanden sie ein kleines, gemütliches Lokal. Dort bekamen sie noch je zwei gebratene Fleischspieße. Dazu tranken sie einen milden Rotwein. Nach einer Stunde waren sie satt und zufrieden und hatten sich gegenseitig wieder aufgeheizt. Sie fuhren in sein Hotel und setzten ihre Gymnastik fort, bis sie erfüllt, ineinander verschlungen einschliefen. Diesmal frühstückten sie wieder zusammen. „Die werden mir sicherlich ein Doppelzimmer berechnen“, befürchtete Alex, „aber was soll´s , so ist das Leben.“ Nachdem sie gegangen war, las er in Ruhe die Tageszeitung. Später ließ er sich ein Telefon bringen, um Neumann anzurufen. Er erreichte ihn in der Bank. Scheinbar hielt er Arbeit für eine gute Therapie gegen den erlittenen Schock. Als er Alex erkannte, begann er zu stottern. Alex bestellte ihn zu Doktor Scheller und befahl ihm, einen Computerausdruck aller von Harris gelieferten Namen und Adressen mitzubringen. Neumann versprach alles hoch und heilig – wenn er nur in Zukunft seine Ruhe haben würde. Daß Neumann so einfach sein Geld verschmerzte, wollte Alex nicht so recht einleuchten. Doch die Aktien und die Münzsammlung umfaßten drei Viertel von Neumanns Vermögen. Die Schecks, die er eventuell noch hätte sperren können, machte nur ein Viertel aus. Alex ging zur Zeitung, wo er diesmal einen ganzen Stapel von Zuschriften abholen konnte. Dann begab er sich zurück ins Hotel, setzte sich an einen Fensterplatz, las die Briefe und vereinbarte telefonisch Termine für das Wochenende. Mittags aß er eine Kleinigkeit, machte einen langen Spaziergang und kaufte sich ein Wurfmesser. Zurück im Hotel bastelte er sich eine spezielle Scheide für den Unterarm. Sich einen Ballermann zu besorgen, wäre ihm zu gefährlich gewesen. Aber ganz ohne Waffe wollte er beim nächsten Mal doch nicht sein. Er rief Haferkamp an – sie hatten sich auf einen normalen Geschäftston verständigt. „Mit der Besprechung heute abend ist alles klar“, tönte die ruhige Stimme des Alten aus dem Hörer, „der Vertragspartner ist allein. Drei neutrale Zeugen stehen zur Verfügung. Ich würde 20.00 Uhr vorschlagen. Geht das klar?“ Alex sagte zu. Also war Harris doch zu Hause und allein. Der gewählte Zeitpunkt war einleuchtend: Um 20.00 Uhr saßen die meisten Leute vor dem Fernseher, und falls doch etwas schiefgehen sollte, würde er irgendwo in der Umgebung drei Helfer haben. Er war nervös – das würde sich erst kurz vorher geben. Alex mußte noch gut drei Stunden überbrücken. Lesen oder ins Kino, überlegte er, entschied sich für einen Western und dachte lächelnd an die Mutprobe aus seiner Jugendzeit. Wobei er sich nachts einmal in den Wald geschlichen und auf dem Bellen der Füchse und dem Röhren der Hirsche gelauscht hatte. Wenn er zuvor gruselige Krimis gelesen hatte, raste sein Herz, und er konnte nur mit Mühe seine Furcht unterdrücken. Las er dagegen Trapper- und Western-geschichten, machten ihm weder die Dunkelheit noch die vielen Geräusche etwas aus. Er hatte sich überlegt, ob er sich für dieses Unternehmen einen Wagen besorgen sollte. Aber damit mußte man sich an Straßen halten, und die waren leicht zu sperren. Zu Fuß würde er viel beweglicher sein – immerhin war er trotz seiner 43 Jahre gut in Form. Er genoß den Film und entspannte sich. Später nahm er die SBahn, fuhr nach Bad Homburg, ging durch den Kurpark und die lange Steigung den Hügel hinauf. Vor Harris´ Tür angekommen, öffnete er ohne Zögern oder Umsehen die Gartentür, ging zur Haustür und klingelte. Wenn Alex sich zu etwas entschlossen hatte, führte er es stets ohne Zaudern aus. Harris öffnete die Tür halb und setzte einen fragenden Gesichtsausdruck auf. Alex ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen und sagte: „Ich habe Nachricht von Ihrem Butler – lassen Sie uns drinnen reden.“ Er drückte nun die Tür weiter auf und trat auf Harris zu. Während dieser die Worte zu verarbeiten suchte, trat er automatisch zurück. Alex schloß lässig die Tür, drehte sich um und schlug wie der Blitz einen krachenden Haken auf das ungeschützte Kinn von Harris. Der war ein wenig kleiner als Alex, etwa 130 Pfund schwer. Hinter diesem Hieb steckten 180 Pfund, starke Knochen, eiserne Muskeln und lange aufgestauter Grimm. Harris flog wie ein Bündel Lumpen ein paar Meter zurück und blieb mitten im Raum liegen. Alex sah sich um: Der Raum war mit einer Sitzgruppe, einer Eßecke und Stichen an den Wänden im englischen Stil eingerichtet. Die Möblierung bestand aus dunkelrot gebeizten Antiquitäten. Er schaute schnell in die anderen Räume. Ein Arbeitszimmer mit Schreibtisch, Regalen, Telex und Telefon. Eine Küche und über einer schmiedeeisernen Wendeltreppe zwei einfache Schlafzimmer unter dem ausgebauten Satteldach, jedes mit einem eigenen Bad. Von der Küche aus führte eine Tür direkt in die Garage. Alex setzte sich in einen Sessel, steckte sich eine seiner schlanken Zigarren an und wartete ab. Die Zigarre hatte er zur Hälfte geraucht, als Harris sich zu regen begann. Er setzte sich langsam auf, hielt seinen Kopf mit beiden Händen – langsam wurde sein verschwommener Blick klarer. Keine Furcht und jede Menge Selbstbeherrschung, dachte Alex, beugte sich vor und drückte seine glühende Zigarre auf Harris´ Handrücken. Einen Moment lang geschah gar nichts – dann riß Harris seine Hand weg und stieß einen erschreckten Schmerzensschrei aus. „Erzähle, du Kretin“, forderte Alex. So war Harris bestimmt noch nie behandelt worden. Das mußte ihn schocken, ebenso wie die Ungewißheit, was der andere schon wußte, die Schutzmauer des Selbstbewußtseins aus Macht und Einfluß einreißend. Er zog an seiner Zigarre. „Rede“, forderte er nochmals auf, hielt Harris die Zigarre vors Gesicht und drohte: „Eine einzige Lüge – und du Kretin verlierst ein Auge.“ Harris´ Gesicht wurde grau. „Was, warum, weshalb, wer sind Sie?“ – stammelte er. Es war noch nicht genug, dachte Alex, legte seine Zigarre weg, packte Harris, schleppte ihn ins Arbeitszimmer, riß ihm die Kleider herunter und fesselte ihn mit Klebestreifen an seinen Schreibtischsessel. Gegen Alex war er hilflos wie ein kleines Kind. Durch die fehlenden Kleider, ohne jeden gefühlsmäßigen Schutz, brach er schließlich vollends zusammen. Innerhalb einer Stunde erfuhr Alex eine erstaunliche Geschichte: Harris war Einflußagent und der festen Überzeugung, einer guten Sache zu dienen. Er war in Amerika geboren, hatte Geschichte studiert und war nach seinem Examen von seinem Professor angeworben worden. Diese Anwerbung empfand er immer noch als Auszeichnung. Er hatte dieses Haus erhalten und bekam über sein Konto die notwendigen finanziellen Mittel, ohne seine Anforderungen begründen zu müssen; setzte aber seinen Stolz darauf, so wenig wie möglich zu verbrauchen. Seine Aufgabe bestand darin, nationalistische Tendenzen aufzuspüren und zu bekämpfen. Er unterhielt Kontakte zu Personalchefs großer Firmen, zu Unternehmensberatern, Auskunfteien, Zeitungsredaktionen, zu Film und Fernsehen. Langsam wurden Alex die Ausmaße und Verästelungen dieser Krake klar. Ihre Fangarme hatten sich über das ganze Land gelegt. Wieviel Schaden und Leid er verursacht hatte, wird sich wohl nie ganz ermitteln lassen, dachte er, während eine mörderische Wut in ihm aufstieg. Harris hatte wohl in seinem Gesicht gelesen, denn er fuhr fieberhaft fort, seine Taten zu begründen. Es sei die reine Notwehr, ein neues nationalistisches Deutschland zu verhindern, man müsse den Anfängen wehren. Gerade bei den Deutschen sei besondere Wachsamkeit geboten; durch die nationale Politik im 3.Reich hätte die internationale Politmafia eine einmalige Machtbasis in Europa verloren. Zweimal brauchte die Welt ein halbes Jahrzehnt, um Deutschland niederzukämpfen. Dennoch hätten die Deutschen sich nach jeder Niederlage rasch erholt. Immer mehr enthüllte sich das diabolische Netzwerk. Einige Leute an den richtigen Stellen, und bestimmte Firmen erhielten keine Kredite, Lieferanten keine Aufträge, Bewerber nur Ablehnungen. Namen wurden in Computer eingegeben, von anderen Computern übernommen samt den zugefügten Bewertungen – solide Firmen hatten plötzlich einen wackeligen Ruf, untadelige Menschen Vorstrafen. Filme und Reportagen wurden nicht gefördert oder sogar untersagt und blockiert. Die genehme Richtung wurde unterstützt – unmerklich und subtil. Oft genügten einige passende Bemerkungen im richtigen Kreis – Finanzbeteiligungen wurden erwähnt. Leute in einflußreichen Stellungen, die Karrieren beeinflussen konnten. Das Konzept war alt, erprobt und erfolgreich. Eine Manipulation greift erst dann richtig, wenn die Manipulation nicht bemerkt wird. „Wo sind die Unterlagen?“ – fragte Alex, „Namenslisten, Beschreibungen durchgeführter Aktionen, Kontaktleute – der ganze Kram?“ „Ich verfüge lediglich über ein Telefonbuch, alles andere befindet sich in meinem Kopf.“ Harris hatte sich anscheinend wieder gefaßt. Alex ließ ihn nicht aus den Augen und zündete sich eine neue Zigarre an. Die stillschweigende Drohung wirkte mehr als jedes Wort. Schweißperlen rannen über Harris´ Gesicht. „Wer sind Sie, und was ist mit Joe geschehen?“ – versuchte Harris abzulenken. „Ein Zufall“, gab Alex zu, „ich hatte mal einen Streit im D-Zug über das Palästinenserproblem mit dir, und dann verschwand ein Scheck von einem arabischen Geschäftsfreund. Vor ein paar Tagen sah ich dich und Neumann zusammen. Und dieser Joe, dein Butler, hatte mich bemerkt, als ich dir folgte. Er wurde von einem Auto überfahren, und ich konnte rechtzeitig seine Papiere verschwinden lassen. Deshalb rätselt die Verkehrspolizei immer noch, wer er ist.“ Alex wußte selber nicht, warum er diese Version erzählte. Harris hakte sofort ein: „Ich erinnere mich. Ihren Namen setzte ich damals nach dem Streit im Zug auf meine Liste. Joe befand sich im Nebenabteil und fand Ihre Adresse heraus. Ihr Kontakt nach Jordanien kam uns gerade recht. Wir brauchten damals ohnehin Deckung für einen Agenten und brauchten der arabischen Geheimpolizei lediglich einen Sündenbock zu manipulieren. Aber wir können uns heute einigen. Ich ersetze Ihnen den entstandenen Schaden – immerhin gehören Sie keiner Organisation an und wollen nur persönliche Genugtuung. Ich besitze viel Einfluß, Geld, einen guten Posten und eine Villa im Süden. Sie können alles haben. Alex glaubte ihm kein Wort. „Wie willst du den Schaden wieder gutmachen, eine runde halbe Million bezahlen und meinen Namen in den Dateien von den negativen Eintragungen befreien?“ Zur zusätzlichen Demütigung duzte Alex Harris absichtlich. Der erwiderte: „Eine Berichtigung kann ich in einem halben Dutzend Computern bei Banken, Auskunfteien und großen Firmen schon nächste Woche veranlassen. Die Weitergabe dieser Informationen läuft dann automatisch ab, weil sich kleine Datenbanken ihre Informationen von den großen holen. Bis der Prozeß jedoch rundum abgeschlossen ist, können Jahre vergehen. Dabei spielt die menschliche Trägheit oder Nachlässigkeit eine große Rolle. Das sehen Sie doch ein, oder?“ „Und wie sieht es mit der Knete aus?“ Harris sah ihn verständnislos an. Diesen Ausdruck kannte er bis dahin noch nicht. Er begriff erst, als Alex Daumen und Zeigefinger im international bekannten Geldzeichen rieb. Hoffnungsvoll und eifrig sagte er: „Dies ist das kleinste Problem. Aus bestimmten Gründen muß ich immer eine größere Menge Bargeld im Haus haben. Schieben Sie die dritte Wandvertäfelung dort am Fenster zur Seite.“ Alex schob die Füllung nach rechts, und eine Mauernische wurde sichtbar – vollgepackt mit Bündeln von Banknoten. „Wieso hast du weder Tresor noch besondere Sicherungen?“ – fragte er. „Tarnung und Unauffälligkeit sind der beste Schutz“, erwiderte Harris und fuhr fort: „Wird ein Tresor oder eine Alarmanlage gekauft, dann offenbart man damit zu schützende Werte. Einbrecher könnten Wind bekommen – die haben ihre Informanten doch überall.“ Alex glaubte nicht, daß eine derart raffiniert konzipierte und geführte Organisation sich nicht auch ein paar tödliche Überraschungen für Zufallsdiebe ausdenken würde – oder für den Fall der Entdeckung. Er nahm ein Lineal vom Schreibtisch und kippte damit die Geldbündel aus dem Mauerloch auf den Boden. Nur einige leise Geräusche waren zu vernehmen, und plötzlich waren die linke Nischenwand und das Holzlineal mit kleinen Nadeln gespickt. Lächelnd drehte sich Alex zu dem nackten, gefesselten Harris um, der plötzlich von einem unkontrollierten Zittern befallen wurde. „Soll ich an dir ausprobieren, wie schnell das Gift dieser Nadeln wirkt?“ – fragte Alex - und dann sinnierte er. Wo versteckt man ein Buch mit Notizen und Adressen. Natürlich unter anderen Büchern. Er sah die Regale entlang. An einer Stelle war der Platz zwischen Buchrücken und Bodenvorderkante staubfrei und glattgescheuert. Als er dort ein paar Bände hervorzog, stieß Harris ein ersticktes Keuchen aus. Von der Tür her erklang eine Stimme: „Das reicht jetzt, Freundchen.“ Alex sah aus den Augenwinkeln eine schlanke Gestalt – in der rechten Hand die Waffe mit dem dicken Schalldämpfer. Das war eine tödliche Botschaft – über einen plötzlichen und lautlosen Tod. Aus der Drehung schleuderte er die Bücher gegen den Mann und trat gleichzeitig einen Schritt zur Seite. So entging er knapp der in automatischer Reaktion abgefeuerten Kugel. Mit einer fließenden Bewegung zog er das Wurfmesser aus der Unterarmscheide und schleuderte es in flachem Bogen auf den Gegner. Die Bücher polterten zu Boden, der Revolver entglitt einer erschlaffenden Hand. Dann fuhren beide Hände nach oben und umkrampften das Heft des schweren Wurfmessers, welches aus der Kehle der schlanken Gestalt ragte. Diese machte zwei taumelnde Schritte in den Raum hinein. Die Augen quollen hervor, und dann stürzte sie mit krachendem Geräusch zu Boden. Alex eilte auf die Gestalt zu, hob den Revolver auf und glitt leise in den Nebenraum. Er hatte nur überlebt, weil er unterschätzt worden war. Eine teuflische Falle – mit Harris als Köder. Das Geld – alles nur, um herauszubekommen, wer er war, und welche Motive ihn antrieben. Sie wußten über den Butler Bescheid und hatten ihn erwartet. Die Haustür war geschlossen. Zusätzlich legte Alex die Kette vor und warf dann einen Blick in die Küche. Die Tür zur Garage war nur angelehnt. Er schob sie vorsichtig auf und hörte ein keuchendes Atmen direkt neben sich. Aber da war niemand – doch – ein kleiner Lautsprecher! Von hier aus hatte der Mann mit dem Revolver ihre Unterhaltung belauscht und den passenden Zeitpunkt für sein Eingreifen abgewartet. An der Garagenlängsseite befand sich noch eine Tür. Alex dachte nach: Die Garage lag an der Grundstücksgrenze. Also konnte man vom Nachbar-grundstück aus unbemerkt zu Harris ins Haus und wieder weg. Sollte er herausfinden, ob im Nebenraum jemand den Erfolg der Falle abwartete? Gefährlich, denn falls ja, hatten sie bestimmt Erkennungssignale vereinbart. Noch gefährlicher, eine solche Gefahr nicht zu beachten – bei den Infrarot-Zielfernrohren heutzutage. Er öffnete leise die Seitentür und trat hinaus. Die Garagenwand lag im Schatten hoher Büsche. „Alex“, wisperte eine Stimme. Er stand still. Jochen kam hinter einem Busch hervor. Er war einer der drei Spezialisten aus Haferkamps Trickkiste, trug einen schwarzen Overall und winkte. Hinter dem Busch lag eine stille Gestalt. „Der wollte vor einigen Minuten von hier in die Garage“, flüsterte Jochen, „und ich dachte mir, der würde dich sicher stören.“ „Weißt du, ob es davon noch mehr gibt?“ – fragte Alex leise. „Hier draußen nicht. Einer von uns durchsucht gerade das Haus hier nebenan. Was war drinnen los? Ist alles klar?“ Alex antwortete nicht, lauschte stattdessen in die Runde – mehr mit dem Gefühl als mit den Ohren. Der Lärm der Stadt drang als ein unbestimmtes Summen herüber. Einige Straßen weiter dröhnte ein Sportwagen, und irgendwo in einem Nachbarhaus ertönte leise Klassische Musik. „Wenn das Haus sauber ist, laß einen als Wache draußen und komm mit den anderen rein. Es gibt Arbeit. Aber vergiß nicht, diesen Typ hier gut einzupacken. Und such sein Auto.“ Nachdem er dies gesagt hatte, wurde Alex erst bewußt, daß er immer noch den Revolver in der Hand hielt. Er hob ihn hoch und zeigte ihn Jochen. „Beutestück“, bemerkte er lakonisch und ging wieder ins Haus zurück. Komisch, dachte er, Harris gab keinen Mucks von sich. Als er ins Arbeitszimmer trat, sah er den Grund: Der lehnte schief zusammengesunken in seinem Sessel – nur von den Fesseln gehalten. Alex horchte nach dem Herzschlag und fühlte den Puls. Harris hatte sich davongemacht. Es war eben doch etwas anderes, mit Folter und plötzlichem Tod konfrontiert zu werden – oder als Spinne im Netz die Fäden zu ziehen. Im Lautsprecher vorhin hatte Alex seine letzten Atemzüge gehört. Möglicherweise glaubte er sogar an seine Mission, dachte Alex und löste die Armfesseln; oft sind Idealisten die größten Verbrecher. Er zog sein Wurfmesser aus der Kehle der namenlosen Gestalt, reinigte es in der Küche und steckte es zurück in die Scheide. Dann sammelte er vorsichtig die vergifteten Nadeln in eine Schachtel und verstaute sie mit den Geldbündeln in einen leeren Aktenkoffer mit Zahlenschloß. Er stellte eigene Zahlen ein und verschloß ihn. Im Wandschrank fand er einen modernen Hartschalenkoffer und begann, schriftliche Unterlagen einzupacken, als Jochen mit Heinz hereinkam. Peter hatten sie als Wache draußen gelassen. Sie sahen sich mit schmalen Augen um und anschließend Alex fragend an: „Wir haben jetzt ein wenig Zeit“, sagte der, „bei Haferkamp erzähle ich euch alles ausführlich.“ Nach einem kurzen Abriß in Stichworten meinte er dann drängend: „Tragt den Alten nach oben ins Bett, als ob er ganz natürlich gestorben sei. Diesen hier“, er deutete auf die Gestalt am Boden, „packt ihr mit dem anderen in ihr Auto. Ihr habt es doch gefunden?“ – und als Jochen nickte, „den Toten in den Kofferraum und den Bewußtlosen auf den Sitz. Einer von euch stellt den Wagen in der Nähe der Spielbank ab. Wir lesen ihn dann auf. Ich packe derweil die Unterlagen ein - das ist das Allerwichtigste.“ Jochen grinste grimmig und sagte: „Daß wir hier dabei sein können, werden wir dir nie vergessen.“ Die beiden gingen an die Arbeit. Der Koffer füllte sich zusehends. Alex nahm lieber zuviel als zuwenig mit – sortieren konnten sie später. Die Gestalt auf dem Boden wurde einfach in den großen Teppich eingerollt, auf dem sie lag – damit erledigte sich auch das Problem mit der Blutlache. Nach zwanzig Minuten war es soweit: Die Leichen verstaut – der Bewußtlose hatte sich zu regen begonnen und noch einen Klaps zum erneuten Einschlafen bekommen. Alex hatte seine Zigarrenstummel in der Toilette herunter gespült und stand nun mit Jochen hinter der Haustür. „Jetzt kommen ein paar gemeine Minuten“, sagte er zu Jochen, „ich möchte nicht gerade jetzt als Einbrecher festgenommen werden.“ Peter war schon mit seiner makabren Fracht losgefahren – Heinz sollte in zwei Minuten mit seinem Wagen vor der Tür halten. Sie hörten das Auto, öffneten die Tür und gingen ruhig los. Jochen schleppte schwer an dem großen Koffer. Alex zog die Haustür ins Schloß. Er trug nur den Aktenkoffer und sah sich auf der Straße aufmerksam um: Alles ruhig, niemand zu sehen. Sie stiegen lässig ein und fuhren los. Es war noch nicht einmal 23.00 Uhr. An der Tennisbar stieg Peter zu ihnen ein. „Wo ist der Wagen?“ – fragte Alex, „ich möchte mir das Gesicht des Bewußtlosen einprägen.“ „Ein Stück weiter unter den Bäumen; ich zeige es euch“, erwiderte Peter ruhig. Alex stieg aus, ging zu dem Auto und öffnete die Tür. Der Mann lag wie schlafend im Sitz. Er nahm die Schachtel aus der Hosentasche und nahm aus dieser vorsichtig eine Nadel. Die drückte er dem Mann in den Unterarm: Keine Reaktion in dem knochigen nichtssagenden Gesicht. Und doch – etwas war anders. Er konzentrierte sich: Kein Atem mehr – ein teuflisches Zeug. Alex verspürte keinerlei Gewissensbisse. Besser dieser Mörder war tot, als eines Tages seine drei neuen Freunde oder Haferkamp. Der Mann hatte möglicherweise Jochen gesehen, und Frankfurt war in dieser Beziehung ein Dorf. Sie fuhren zu ihrem Vereinsschuppen. Haferkamp war allein und hatte wie auf glühenden Kohlen sitzend auf sie gewartet. Er atmete erleichtert auf, als sie grinsend hereinkamen. „Erst mal ein Glas für jeden, und einen kräftigen Schluck auf unseren Erfolg“, verlangte Alex. Haferkamp stellte Gläser auf den Tisch, goß ein, und sie tranken schweigend. Alex begann seinen Bericht. Schon nach wenigen Augenblicken vergaßen die anderen ihre Gläser und hörten gebannt zu. Haferkamp wurde immer aufgeregter und rutschte auf seinem Stuhl hin und her. „Das ist ein Ding“, murmelte er immer wieder. Als Alex seinen Bericht beendet hatte, dachten alle eine Weile ruhig über die Konsequenzen nach. Denn es war jedem klar, daß die ganze Sache jetzt erst richtig begann. Alex nahm den Faden wieder auf: „Wir Deutschen sind bekannt für unsere Gründlichkeit. Ich persönlich mag auch keine halben Sachen. Die Frage ist, was nun?“ Er sah Haferkamp an. „Du bist der General und wir die Mannschaft. Also, wie kann es weiter gehen?“ Haferkamp sah nun alle der Reihe nach an und meinte: „Nur nichts überstürzen. Ich werde heute Nacht die Unterlagen durchsehen, die ihr mitgebracht habt. Und dann überschlafen wir die ganze Sache. Erst die Fakten – dann einen Plan – ganz in Ruhe, ohne Streß.“ Er wandte sich an Alex, faßte in die Brusttasche, zog ein Foto heraus und reichte es ihm mit den Worten: „Dein Name kommt mir bekannt vor. Kennst du jemanden auf dem Bild?“ Alex sah die drei Männer in Uniform an einem Tisch auf Holzbänken sitzend. Hinter einem sanften Abhang lag ein breiter Fluß im Hintergrund. Über solche Dinge wunderte er sich schon lange nicht mehr. „Das gleiche Foto habe ich zu Hause in meinem Familienalbum. Der Fluß ist die Memel, und der Mann links ist mein Vater. Es sieht aus, als bist du der Mann in der Mitte“, stellte Alex fest, und Haferkamp holte tief Luft. „Dein Vater war mein Freund. Wir retteten uns gegenseitig das Leben. Lebt er noch?“ Alex schaute den Alten neugierig an und erwiderte: „Er fiel 1944 in Kurland. Nächstes Mal kann ich dir seinen Wehrpaß mitbringen. Möglicherweise kennst du den Ort – ich fand ihn noch auf keiner Karte. Aber wie habt ihr euch getroffen? Soweit ich weiß, war mein Vater Kurier – und du warst doch bei den Brandenburgern?“ Der Alte schenkte nach, trank einen Schluck und wiegte zweifelnd den Kopf: „Ich weiß es selbst nicht. Dein Vater war Kurier wegen seiner seltenen Begabung, sich überall zurecht zu finden. Oft wurde ausdrücklich nur er angefordert. Ich war mit meinen Kameraden meist in russischen Uniformen hinter den Feindlichen Linien unterwegs. Wir schickten Truppen in die falschen Richtungen, sprengten Munitions- und Benzindepots in die Luft – lauter solche Sachen. Das erste Mal sah ich deinen Vater, als ein paar Partisanen ihn mir ablieferten.“ Die anderen hatten dieser seltsamen Geschichte erstaunt zugehört. Alex unterbrach fragend: „Wie denn das?“ – worauf die Antwort kam: „Ich war als russischer Offizier verkleidet und schickte an einer Straßenkreuzung ein rundes Dutzend Russenpanzer direkt vor die Rohre einer 8,8-Batterie, als ungefähr sechs Partisanen deinen Vater heranschleppten. Er war reichlich ramponiert und grinste trotzdem. Sie hatten aus dem Hinterhalt sein Motorrad zerschossen und ihn überwältigt. Zuvor hatte er noch mit Handgranaten, Pistole und Messer beinahe ein Dutzend von ihnen erledigt. Für gefangen genommene Kuriere gab es hohe Belohnungen. Die mußten aber in gutem Zustand dem nächsten russischen Offizier zur Vernehmung übergeben werden. Als wir später allein waren, gab ich mich natürlich zu erkennen. Deinem Vater zeigte ich einen sicheren Weg nach Hause. Einige Wochen später überfielen wir mit rund dreißig Mann ein Armeehauptquartier. Die aber hatten mehr Wachmannschaften als gemeldet, und so blieben von uns nur drei Mann übrig. Alle verwundet. Natürlich wurden wir gleich an die Wand gestellt. Die Russen waren auch nur noch zwölf Mann – zum Erschießen hätte es aber allemal gelangt. Dein Vater befand sich mal wieder auf einem seiner Schleichgänge, hatte den Lärm gehört und rechtzeitig mit seinem leichten MG dazwischen gehalten. Damals herrschte ein gewaltiges Durch-einander von Menschen, Material und Frontlinien – aber wir trafen uns immer wieder. Und nun treffe ich auf den Sohn dieses Teufelskerls!“ – sagte der alte Haferkamp mit Bewegung in der Stimme. „Das war heute ein denkwürdiger Tag“, meinte Jochen zu Alex gewandt, „mich wirst du so schnell nicht wieder los. In deiner Nähe kann man was er- leben.“ Alle lachten. Alex hob den Aktenkoffer hoch und stellte die Zahlenkombination ein mit den Worten: „Hier noch was für´s angenehme Träumen. Die Hälfte dieser Beute gehört euch.“ Er kippte den Inhalt auf die Tischplatte und meinte dabei: „Aber Vorsicht – möglicherweise steckt irgendwo dazwischen noch eine dieser Giftnadeln.“ Die Umstehenden bekamen große Augen, sortierten und zählten gemeinsam die Scheine und Alex bestimmte: „Das Geld soll Haferkamp in Verwaltung nehmen. Er soll auch bestimmen, wieviel jeder auf einmal erhält und ausgeben kann; denn er kennt euch besser. Ihr könnt euch selbständig machen oder ein Haus kaufen. Auf jeden Fall aber müßt ihr bei eventuellen Nachfragen über die Herkunft der Scheine glaubhafte Argumentationen auf Lager haben. Haferkamp wird’s schon mit euch regeln.“ Seine Hälfte warf Alex wieder in den Koffer, welchen er dann verschloß. Insgesamt bestand die Beute aus rund 800.000 Mark in Dollar-, Pfund- und DM-Scheinen. In den folgenden Wochen würden sie über diesen merkwürdigen Abend noch oft reden – jedes Argument dabei drehen, wenden und abklopfen. Dadurch würden sie Fehler entdecken, künftige Fallen vermeiden und die gesamte Situation seelisch bewältigen. Alex sinnierte: Weshalb hatte der Vietnamkrieg bei den jungen amerikanischen Soldaten derart verheerende Wirkung hinterlassen? Im Urlaub oder am Ende der Dienstzeit stopfte man sie in ein Flugzeug, karrte sie wie eine Fracht nach Hause oder zum Kurzurlaub in die Thailandpuffs und ließ sie mit ihren Problemen alleine. Sie sollten sehen, wie sie damit fertig würden. Im letzten Weltkrieg hingegen bewältigten deutsche Landser ihre blutigen Erfahrungen auf langen Urlaubsfahrten in Gesprächen mit Kameraden und über Kontakte zu anderen Armeeteilen. Deshalb gab es auch relativ wenig Fälle von Depressionen oder gar Selbstmorden. Alex wollte besser vorbeugen. Als sie aufbrachen, war es schon lange nach Mitternacht. Alex ließ sich am Hotel absetzen, wo er in seinem Fach eine Aufforderung fand, bei Doktor Scheller anzurufen. Morgen, dachte er, dann fiel er in tiefen Schlaf. Nach dem Frühstück und der Morgenzeitung rief er zunächst Brigitte an, um ihr seine Liebe zu versichern. Dann wählte er die Nummer des Rechtsanwalts. „In welches Wespennest haben Sie denn diesmal gestochen?“ – fragte dieser nach dem Austausch der Einleitungshöflich-keiten. Dann fuhr er fort: „Ihr Schuldner war hier und nahm die Über-tragung vor. Auf dem Weg von meinem Büro zu seiner Arbeitsstelle wurde er überfahren: Todesfolge mit Unfallflucht.“ Alex schwieg einen Moment. Das war Profiarbeit. Neumann hatte wohl den Fehler begangen, sich bei Harris Rat zu holen. Und der hatte dann einen Killer angeheuert. Deshalb hatten sie ihn in Bad Homburg auch erwartet. Dieser Dummkopf Neumann mußte geplaudert haben. Durch das weltmännische Auftreten hatte er die wahre, mörderische Natur von Harris wohl nicht erkannt. Alex grinste: Der Killer würde lange auf den Rest seines Geldes warten müssen. „Hinterließ mein Schuldner noch etwas?“ – fragte er den Anwalt, worauf er die Antwort erhielt: „Ja, einen Computerausdruck mit einer ganzen Menge von Namen. Ihrer befindet sich auch darunter.“ Alex konterte: „Gut, dann ist alles erledigt, und ich bin nun um eine Sorge ärmer.“ „Sie sind schon ganz schön kaltblütig“, äußerte der Anwalt mit erkennbarem Lob, „aber kann da auch nichts nachkommen?“ „Sprechen Sie mit Haferkamp – er ist infor-miert“, beruhigte ihn Alex. „Oh“, kam es durch den Draht zurück, dann ist ja alles klar.“ „Woher kennen Sie ihn eigentlich?“ – fragte Alex, neugierig geworden, „Sie sind doch beruflich wie gesellschaftlich ziemlich weit auseinander.“ „Das sieht nur auf den ersten Blick so aus. Eigentlich kenne ich ihn schon mein ganzes Leben lang. Im Krieg befanden wir uns in der gleichen Einheit.“ Alex pfiff durch die Zähne – der dritte Mann auf dem Foto gestern abend war ihm doch gleich bekannt vorgekommen. Er verabschiedete sich und lächelte leicht vor sich hin. Das Muster begann sich deutlich abzuzeichnen. Heute wollte er sich ein Auto kaufen. Sinnigerweise ein Reisemobil – damit würde er unabhängig sein. Und falls es in einer Kneipe mal ein Glas zuviel würde, wartete vor der Tür auch gleich sein Bett auf ihn. Nach fünf Stunden Suche und Besichtigung fand er, wonach er gesucht hatte: Einen Mercedes-Diesel aus dem Erstbesitz eines Vertreters. Der hatte die ewigen Hotelzimmer satt bekommen und seine fahrbare Wohnung mit Fernseher und Video, breitem wie bequemen Bett, Benzinherd, Kühlschrank und einer kleinen Dusche mit Trocken-WC ausgestattet. Alex ließ eine gründliche Reinigung vornehmen und kaufte eine Reihe Videokassetten sowie eine große Felldecke für das Bett. Dann ließ er sich eine rote Nummer anbringen und probierte den Wagen eine gute Stunde auf den Taunusbergstraßen aus. Schließlich legte er 30.000 Mark auf den Tisch. Heute sollte ‚Brigitte-Tag‘ sein, und er wollte sie überraschen. Das Hotelzimmer mußte er noch über das Wochenende behalten – dies war so vereinbart. Morgen würde er sich eingehend mit Haferkamp beraten. Er rief Brigitte an, verabredete sich im Kino mit ihr und stellte sein Reisemobil neben einem kleinen, netten Restaurant am Mainufer ab. An der Kinobar traf er Fox, Gerd und deren Freunde – es gab ein großes Hallo. Alex bestellte eine Runde und versammelte alle um sich. Dann rückte er mit einer tollen Überraschung raus: „Sperrt mal die Lauscher auf. Ich werde mit einer Stiftung 200.000 Mark ein Projekt finanzieren – es darf auch etwas mehr kosten. Dabei kann jeder von euch mitmachen. Durch seine Arbeit kann er Anteile erwerben, die alle zusammen bis zur Hälfte des Wertes gehen können. Damit soll sichergestellt sein, daß das Projekt zwar weiter entwickelt, aber nicht verkauft werden kann. Nun müßt ihr beraten, was ihr am liebsten machen wollt. Dann geht es darum, einen Leiter oder Anführer zu wählen, der jedes Jahr zu bestätigen oder zu ersetzen ist. Dieser ist auch Ansprechpartner für meinen Notar und mich und führt die Aufsicht über die Stiftung, wenn ich nicht anwesend bin.“ Nun bestätigte sich wieder die alte Erfahrung: Jede Gruppe verfügt über einen natürlichen Anführer. Zu ihrem Anführer wurde ohne großen Feder-lesens Gerd bestellt, Fox wurde sein Adjutant. Alex gab ihnen Haferkamps Adresse, und die beiden machten verblüffte Gesichter. „Wenn der als Berater zur Verfügung steht“, meinte Gerd erfreut, „kann ja überhaupt nichts mehr schiefgehen.“ Haferkamp war bekannt, und seine Ratschläge wurden sehr geschätzt. Fox drückte es so aus: „Das ist keiner von den Sprücheklopfern, die alles besser wissen wollen. Der weiß, wo es langgeht. Und wenn du bei dem nicht spurst, reißt er dir eigenhändig den Arsch auf.“ Brigitte tauchte am Eingang auf und sah sich suchend um. Alex winkte ihr zu und stellte sie vor. Sie sah sich verwundert um: „Du hast ja rasch einen Haufen neuer Freunde gefunden.“ „Ich hab noch mehr“, sagte Alex, „die anderen wirst du in den nächsten Tagen kennen lernen. Hast du für heute abend besondere Wünsche?“ – wechselte er dann das Thema. „Ich dachte, du willst ins Kino, weil du dich hier mit mir verabredet hast?“ – fragte sie verblüfft. „Aber ich bin doch kein Snob“, tadelte er, „Oper, Operette, Rock und Heino locken mich zwar nicht hinter dem Ofen hervor – aber Kino ist doch auch eintönig. Ein Liederabend mit Johanna Hoffmann oder Hannes Wader beispielsweise mag ich auch recht gern.“ „Wer ist Hannes Wader?“ – fragte sie ihn. „Ha, da habe dich ja mit einer Bildungslücke erwischt“, triumphierte Alex und erklärte: „Das ist ein Liedermacher mit ein paar guten, ein paar schlechten und vielen morbiden Liedern. Er erinnert mich an Nietzsche. Sein bestes Lied ist ‚Der Rattenfänger‘. Zwar nennt er sich Kommunist, aber drüben säße er schon lange im Knast. Sein Thema in seinen Liedern ist eigentlich die Ohnmacht des kleinen Mannes gegen Machtmißbrauch. Ich war nur mal wegen seines Songs auf einem Kommunistentreffen in Recklinghausen. Damals hatte er bei dem Rattenfänger einen totalen Blackout – mitten im Lied. Mein Sohn, damals gerade sechs, kletterte aufs Podium und sagte ihm den Text vor. Wahrscheinlich wird er sich irgendwann mal aus Weltschmerz totsaufen. Diese Typen können nicht mit den Realitäten leben.“ „Und du kannst es?“ – fragte sie ihn sanft, „denn von dir höre ich auch eine Menge rebellischer Reden.“ Die anderen ringsum umklammerten die Bierflaschen in ihren Händen, waren verstummt und erwarteten gespannt seine Antwort. „Ich finde“, sagte Alex bedächtig, „jeder Mensch ist für sein Schicksal selbst verantwortlich. Will mich jemand herumschubsen, stehe ich auf und unternehme was dagegen. Ob man dabei gewinnt, ist nicht so wichtig. Hauptsache man gibt sein Bestes. Verliert man, muß man eben erneut aufstehen und solange weitermachen, bis man gewinnt. Wobei man natürlich nicht mit dem Kopf gegen eine Mauer rennen darf – durch die Wand kommt man damit letztlich nicht. Besser nimmt man eine Leiter, um damit die Mauer zu überwinden.“ „Meinen Sie mit der Mauer etwa die anonymen Instanzen?“ – fragte Fox. „Das kann ganz konkret der Fall sein“, Alex grinste und seine Phantasie arbeitete auf Hochtouren, „nehmen wir doch die Demos wegen der Startbahn-West. Die Demonstranten setzten sich ja nicht nur bloß aus Krawallmachern zusammen. Da waren auch eine Menge Leute dabei, die ihr ganzes Leben lang treu und brav schufteten und ein Häuschen abzahlten. Jetzt geht die Einflugschneise direkt über ihre Häuser hinweg. Die Hütten sind wertlos – kaum zu bewohnen und wegen des Lärms auch nicht zu verkaufen. Diese Leute gerieten nun mit den jungen Polizisten aneinander. Hinter deren Stirn aber hatte sich der Wahn festgesetzt, sie seien die Machtträger des Staates. Und im Hinterkopf hatten sie die Beurteilung in ihren Personalakten und ihre Pension. Da hast du also deine Mauer.“ „Aber diese Leute können doch, notfalls auch über Prozesse, Entschädigungen beanspruchen“, protestierte Brigitte, worauf Alex abschätzend meinte: „Dann versuche mal als Ottonormalverbraucher, einer mächtigen Kapitalgesellschaft ein paar Mark zu entreißen.“ „Aber man muß doch jemanden verantwortlich machen können“, protestierte Fox. Alex grinste spöttisch und fuhr fort: „Die Araber haben da ein gutes Prinzip: Die greifen sich einen Verantwortlichen. In Saudi hatte ich mal einen Kollegen, der hatte mitten in der Wüste die Fundamente für ein paar Lagerhallen herzustellen. Der Auftrag über die Ausschachtungs-arbeiten war dreimal weitergegeben worden und jeder der Subunternehmer verdiente, saß im Kaffeehaus und palaverte den ganzen Tag. Für die Arbeit hatte der letzte Sub Ägypter und Jordanier angeheuert – jeden auf einen Kipplastwagen gesetzt. Diese wurde von einem Bagger mit dem Aushub gefüllt, fuhren in ein Wadi, kippten den Sand ab, fuhren auf der anderen Seite wieder aus dem Wadi und kamen im Bogen wieder zurück. Über die Ausfahrt des Wadis lief in drei Metern Höhe ein dickes Kabel. Und da die Fahrer nach Ladungen und Fuhren bezahlt wurden und nicht nach Stundenlohn, fuhren die schon los, bevor die Ladefläche wieder unten war. So kam es, wie es kommen mußte. Einer der Wagen zerriß das Kabel. Roland, mein Kollege, hatte sich schon ein arabisches Phlegma zugelegt. Er zuckte nur die Schulter und dachte, wenn irgendwo der Strom fehlt, wird schon einer nachsehen kommen. Die Leitung war an Masten befestigt und verlor sich am Horizont ohne erkennbares Ziel in der Wüste. Nach zwei Tagen stoppte ein Jeep mit Soldaten und Monteuren. Die schimpften erstmal fürchterlich und reparierten dann das Kabel. Kaum war die Reparatur beendet, zerriß der nächste Lastwagen das Kabel erneut. Nun bekam Roland als Bauleiter sofort Handschellen verpaßt, wurde in den Jeep verfrachtet und abtransportiert. Er landete beim Geheimdienst und wurde von einem Offizier verhört, der aussah wie ein Mongole. Jetzt kommt das interessante: Der Mongole stellte die für ihn wichtigen Fakten zusammen: ‚Du bist Deutscher und hast studiert. Also bist du intelligent und hast gewiß auch schon als Junge Autos repariert. Du leitest die Baustelle und trägst die Verantwortung. Die Fahrer wissen gerade, wo sich beim Auto Gas und Bremse befinden – sonst sind sie dumm wie Steine. Das Kabel stellt die Feuerleitung zwischen Radarstation und Raketenbatterie dar. So, nun mußt du uns beweisen, daß du kein israelischer Agent bist, der vorsätzlich Sabotage verübt.‘ Könnt ihr euch vorstellen, wie Roland begann, Blut und Wasser zu schwitzen? Er hatte aber Glück und konnte als Bürgen den Vermieter seines Hauses in der nächsten Stadt angeben, welcher zufällig der General der Raketenbatterie war. Den Mietvertrag hatte er sogar in der Tasche. Drei Tage lang wurden die Angaben überprüft. Seine Frau war schon total mit den Nerven fertig. Sie hatte alle Polizeistationen und Gefängnisse abgesucht, aber keiner wußte, wer Roland verhaftet hatte.“ Die anderen in der Runde schwiegen nachdenklich, überdachten dieses Prinzip der Verantwortung. Alex wandte sich an Brigitte: „Was hältst du von einem Lokalbummel? Zeigst du mir das Nachtleben von Frankfurt?“ Sie lächelte kläglich und sagte: „Da muß ich passen. Ich gehe nur hin und wieder mit Bekannten zum Essen aus.“ Daraufhin versorgte sich Alex in der Runde mit Tips und kreuzte in seinem Stadtplan an, was ihn interessierte. Dann zogen sie los. Kurz vor zwölf landeten sie schon leicht beschwipst in einem Restaurant am Main. Dort aßen sie eine Krabbencocktail, und weil der so gut schmeckt, noch einen. Dazu tranken sie einen Bocksbeutel und waren dann reif fürs Bett. Brigitte meinte mit einem schon leichten Zungenschlag: „Jetzt müssen wir uns ein Taxi suchen.“ Alex aber bugsierte sie zu seinem Reisemobil. Mit den Worten „Ich habe eine Überraschung für dich“ schloß er auf und schaltete das Licht ein. „Die ist dir auch gelungen“, sagte sie, warf sich auf das Bett mit der Felldecke und schlenkerte ihre Schuhe von den Füßen. Alex schloß ab, löschte das Licht, legte eine Kassette ein und begann Brigitte auszuziehen. Eines wird sich nie ändern, dachte er eine Stunde später, eine beschwipste Frau ist ein Engel im Bett. Am nächsten Morgen zeigte er ihr die Dusche mit dem WC, holte Brötchen, Butter, Schinken und Kaffee, und dann frühstückten beide im Bett, während an ihnen der Berufsverkehr vorbeiraste. Das gute Frühstück hatte seinen Appetit geweckt. Brigitte war nackt und roch aufregend. Bei seinem Vorstoß traf er auf eine freudig strahlende Partnerin, die mit ihrem Elan sogar das schwere Auto zum Schaukeln brachte. Diesmal setzte er sie bei ihrem Büro ab. Anschließend kaufte er noch ein paar Dinge für das Auto ein. Heute morgen hatten sie den Kaffee aus Plastiktassen getrunken, und das war nicht nach seinem Geschmack. Später fuhr er zu Haferkamp. Es wurde schon langsam kalt – Nebel lag über der Stadt, und die letzten Blätter fielen von den Bäumen. Die jugendlichen Bastler begrüßten ihn wie einen alten Bekannten. Haferkamp saß an seinem Schreibtisch und war in die Unterlagen vertieft. Er befand sich in Gesellschaft: Doktor Scheller blätterte in einem Buch und machte sich Notizen. Die beiden erwiderten seinen Gruß und Doktor Scheller sagte feierlich: „Mein Junge, du hast einen Schatz aus purem Gold gehoben. Es wird noch ein paar Tage dauern, bis wir genauer Bescheid wis- sen. Aber schon jetzt darf gesagt werden: Harris war nur für den Raum Frankfurt zuständig. In Köln und München gibt e jeweils noch einen weiteren Harris. Wir können damit aber nicht zur Justiz gehen – es sind zu viele ViPs darin verwickelt. Das würde sofort durchsickern, und für einen solchen Fall haben die bestimmt irgendwelche Notprogramme in der Schublade. Wir können den Gegner lokalisieren, das System erforschen und uns derweil einen wirksamen Aktionsplan ausdenken. Weil Harris und seine Helfer ausgefallen sind, werden die anderen sich in nächster Zeit mehr als vorsichtig verhalten, bis sie für das alles eine vernünftige Erklärung haben. Außerdem brauchen wir Verbündete. Die nächste Aktion muß bei allen gleichzeitig erfolgen.“ „Habt ihr schon die Computerliste der Geschädigten auf Verbündete überprüft? Die würden zum Teil sicherlich begeistert mitmachen.“ Auf diesen Vorschlag von Alex sahen sich die beiden Alten an und grinsten. „Gar nicht so dumm, der Junge“, sagte Haferkamp und dann zu Alex gewandt: „Wir haben auf der Liste bereits ein paar angekreuzt, die vom Beruf her in Frage kommen können. Kannst du es übernehmen, die zu kontaktieren?“ Alex war beschämt. Da war er sich wunder wie schlau vorgekommen, und für die beiden alten Füchse war das die reinste Routine. Der alte Rechtsanwalt legte das Buch beiseite und fragte: „Was war das für eine Idee mit der Stiftung? Hast du schon konkrete Vorstellungen? Das muß in eine juristisch einwandfreie Form gebracht werden.“ Alex zog an seiner Zigarre, blies Rauchringe über den Schreibtisch und sagte nachdenklich: „Nur eine Idee, ein Gefühl. Für alles gibt es eine bestimmte Zeit. Als man Flugzeuge brauchte, wurde daran in verschiedenen Ländern zur gleichen Zeit gearbeitet. Sowas gilt auch für Ideen, glaube ich. Die alten Positionen von Oben und Unten, das verbissene Gegeneinanderkämpfen um Macht und materieller Vorteile wegen wird langsam von immer mehr Leuten als unnütz und dumm angesehen. Funktionieren können diese Ideen natürlich nicht im Stil der Zeugen Jehovas, den Gegner mit Sanftmut zu besiegen, wenn der andere sich nicht an die Spielregeln hält. Solange es Wölfe gibt, muß es auch Hirten mit Büchsen geben, um die Schafe zu schützen. So war es jedenfalls bislang. Die Hirten schlachten aber auch die Schafe und leben von ihnen. Man sollte das ganze System auf eine neue Grundlage stellen. Und zwar von den Bedürfnissen des Einzelnen ausgehen und auf dem kleinsten Nenner die Interessen verbinden. Zuerst das Gerechtigkeits-bedürfnis – in der Gesellschaft, im Staat, in der Firma. Fehlt beim Staat die gerechte Behandlung, ist die Folge eine Staatsver-drossenheit, eventuell sogar Revolution. In der Gesellschaft brechen Kämpfe ‚jeder gegen jeden‘ aus, und in der Firma gehen die besten Mitarbeiter. Es werden kaum noch Gewinne gemacht, und die Firma kann in die Pleite steuern. Schuld ist die Führung, weil sie solche Zustände hat einreißen lassen. Wie aber auch jeder einzelne, weil er dies zuließ.“ Haferkamp widersprach: „Aber was kann ein einzelner schon machen!“ Alex fuhr fort: „Wenn jeder nur ein klein wenig für das gesetzte Ziel tut, dann bewegt sich auf einmal Gewaltiges. Es müssen sich nur alle über das Ziel einig sein – Beispiel: Das Banksystem beutet die Kunden gewaltig aus. Die Zinsdifferenz zwischen Geldbeschaffung der Banken wie beispielsweise über die Sparkonten und Kreditherausgabe ist entschieden zu hoch – für mich ist das schon Wucher. Das Gegenmittel wäre, sich einfach aus dem System auszuklinken: Kein Sparbuch, keinen Kredit, keine Euroschecks. Und wenn man schon mit einem Kredit in die Falle getappt ist, nicht den Rest seines Lebens für ein paar Geldsäcke arbeiten, sondern zusätzlich soviel Kredit wie möglich aufnehmen, alles verbrauchen oder verschenken und dann von Verdiensten unterhalb der Pfändungsgrenze leben – offiziell jedenfalls. Für jedes Problem gibt es eine Lösung; selbst für das Letztge-nannte, was gebrannte Leute immer wieder beweisen, indem sie eigentlich ganz gut leben. Bei uns gibt es einfach zu viele Fehlentwicklungen. In Preußen waren die Beamten einmal das Rückgrat des Staates – und entsprechend geachtet. Heute werden sie von der arbeitenden Bevölkerung als Schmarotzer angesehen. Ein Beamter hält sich für etwas Besonderes – ein Könner aber hat für einen solchen Menschen nur ein mitleidiges Lächeln übrig und geht davon aus, daß es bei dem einfach nicht zu mehr gereicht hat – geistig und so. Kurz – ich will einen Anfang machen – ein Beispiel geben, einen ‚Bund der Gerechten‘ gründen – eine Orden, dessen Mitglieder etwas positives vollbringen müssen, um überhaupt aufgenommen zu werden. Die wirtschaftliche Basis sollen Betriebe sein, welche diesen Mitgliedern anteilig gehören. Für sich selbst arbeitet der Mensch ja bekanntlich wie ein Kuli. Der Betriebsleiter wird für ein Jahr von den Mitgliedern gewählt. Bei wichtigen Entscheidungen muß die Mehrheit aller Mitglieder zustimmen. Sicher existieren bereits gut durchdachte Modelle – man braucht wohl nicht alles neu auszutüfteln.“ „Und wie sollen sich die einzelnen Betriebe zu gemeinsamen Aktionen verständigen?“ – fragte Haferkamp, „denn über eines mußt du dir klar sein: Nur eine gute Organisation ist ein Erfolgsgarant.“ „Ich möchte kein starres System“, fuhr Alex zu seinen Vorstellungen fort, „darüber sollte beraten und abgestimmt werden. Bei Bedarf muß die Organisation auch geändert werden können. Idee und Form müssen auch derart überzeugend sein, daß wir überall schnell und leicht Informanten gewinnen. Dann werden auch Dinge transparent, die man heute noch unter den Teppich zu kehren pflegt. Für zwei Projekte müßte das Geld eigentlich reichen: Einen Handwerks- oder Produktionsbetrieb und einen Bauernhof mit angeschlossenem Altenheim – zumindest für die Gebäude; das Land könnte man ja anpachten. Auch Rentner könnten dann noch mitarbeiten, wenn sie dies wollen. So würden sie das Gefühl behalten, daß man sie noch braucht. Denn richtig alt werden die Menschen erst, wenn sie sich nutzlos fühlen; dann kommen auch die Krankheiten und Gebrechen. Das Ganze soll auf zwei Säulen ruhen. Die eine Säule ist das Ideal einer harmonischen, sich gegenseitig helfenden Gemeinschaft – die andere muß der wirtschaftliche Erfolg sein. Jedes Mitglied muß sich in der Lage befinden, beispielsweise nach drei Jahren aktiver Arbeit ein Jahr lang zu pausieren – für eine Weltreise, ein spezielles Studium oder irgendwas anderes. Danach hat es dann wieder Anspruch auf seinen Platz in der Gemeinschaft.“ „Die Sache hört sich überzeugend an“, meinte Haferkamp, „darüber denkst du doch nicht erst seit gestern nach, oder?“ „Nein, das gart schon lange in mir“, gab Alex zu, „ich lese sehr viel, bin aber eher praktisch veranlagt. Grau ist alle Theorie, deshalb will ich erst alles praktisch erproben, bevor ich dann vehement meine Überzeugung vertrete. Die großen Bewegungen haben doch irgendwo alle ihre Macken. Die Religion ist für mich reiner Glücksersatz und Leidensschutz. Sogar die Kirchen sind bei uns verbeamtet – Mitglieder und Geld kommen automatisch. Würden die ihre Aufgaben ernst nehmen, gäbe es nicht so viele Sekten. Der Kapitalismus nützt nur wenigen und züchtet von seiner Natur her ein Wolfsverhalten: Nur selber fressen macht satt und fett. Der Kommunismus hingegen ignoriert die menschlichen Eigenschaften – will einen besseren Menschen schaffen, verkommt dabei aber zu einer der schlimmsten Diktaturen, die die Menschheit je kennen lernte. Ein besseres System wird wohl nur über eine Basisdemokratie ermöglicht, in der die einzelnen Gemeinschaften selbst bestimmen, wie sie leben und arbeiten wollen. Dabei müssen sie selber für ihre Existenz sorgen können. Wer abhängig ist, kann auch keine freie Meinung haben. Wirklich frei ist nur der, der ohne sozialen Druck lebt. Stolz leben kann nur, wer etwas leistet und die Achtung anderer Menschen besitzt.“ „Na, du alter Miesepeter“, sagte Doktor Scheller zu Haferkamp, „worüber wir beide nun schon jahrelang diskutieren, das sagt uns dieser junge Freund in ein paar Sätzen.“ „Wollt ihr nicht mal wieder richtig schimpfen?“ – fragte Alex, „damit vermeidet man Magengeschwüre.“ Die beiden alten Herren sahen ihn fragend an. Alex legte die Tageszeitung auf den Schreibtisch. „Hier las ich, wie viele Millionen es dieses Jahr wieder kostet, die überschüssigen Lebensmittel der EG zu vernichten. Sowas können sich doch nur tripperverseuchte Hirne ausdenken – aber doch niemand, der bei wachem Verstand ist. Erst wird die Erzeugung subventioniert, und dann bezahlt man die Vernichtung der Erzeugnisse. Dabei gibt es bei uns wie in der gesamten EG genügend Rentner und Arbeitslose, die jeden Pfennig umdrehen müssen. Die wären froh mit den nicht vernichteten Lebens-mitteln. Können die Leute, die dies verantworten, eigentlich Christen sein?“ Eigentlich war seine Frage rein theoretisch gemeint, aber Haferkamp griff sie sofort auf: „Glaubst du an Gott?“ – fragte er Alex. „Ja“, antwortete der, „aber ich glaube nicht, daß er uns sieht oder überhaupt Interesse an uns hat. Wißt ihr, daß ein Atommodell eine verflixte Ähnlichkeit mit einem Planetensystem hat? Und nun stellt euch vor, Gott sieht durch ein Elektronenmikroskop das Atom Sonne und eines der Elektronen namens Erde. Wie groß sind dann unsere Probleme in seinen Augen?“ Rückblende Nigeria Diesmal war Alex in Hamburg eine ausreichende Zeit von zwei Monaten zur Einarbeitung vergönnt. Alle Pläne konnten gründlich durchgearbeitet werden – viele Fehler konnte er ausmerzen. Die Beschreibung der Türen mit Schließanlage und Schlössern war so fehlerhaft und unübersichtlich, daß er eine komplett neue Aufstellung machen mußte, um die Sache in den Griff zu bekommen. Die Werkzeugund Materialbeschaffung konnte er noch rechtzeitig beeinflussen, so daß für die Dübel zwar 10.000 Mark mehr aufzuwenden waren – damit würden jedoch bei der späteren Montage 60.000 Mark eingespart werden konnten. Solche Möglichkeiten ergaben sich aus seinen praktischen Erfahrungen. Das Hotel in Nigeria mit seinen 800 Gästezimmern der höchsten Luxus-klasse verkörperte den für Entwicklungsländer typischen Größenwahn. In den Tropen muß man in Stein, Marmor und rostfreien Stahl bauen. In Europa sahen die Auftraggeber in den Hotels die üblichen Teppichböden – also mußten sie die auch haben, obwohl die für die Sandflöhe die reinste Freude darstellten. Der Bau war dreizehn Stockwerke hoch. Land und Baugrund gab es reichlich - man hätte auch flach bauen können. Wer sollte später nur die komplizierte Technik warten und reparieren? Aber ein solcher Riesenbau schindete natürlich weit mehr Eindruck. Seine Frau und Tochter wußte Alex schon in Spanien. Sie sollten sich dort nach einem hübschen Fleckchen Erde umschauen. Dieser Job in Nigeria sollte ihm genügend einbringen, um sich danach im Süden niederzulassen. Danach wollte er nicht bis zur Rente warten. Er hatte es einfach satt, eine Menge faulenzender Bürokraten zu ernähren, die sich zum Dank sogar erdreisteten, ihm die Firstrichtung seines Hauses vorzuschreiben. Seine Zeit in Hamburg versuchte er so gut wie möglich zu nutzen. Da er in der Handwerksrolle eingetragen war, standen ihm die Dienste der Industrie- und Handelskammer zur Verfügung. Er ließ ein paar Datenbanken anzapfen, um sich Informationen über MeeresFischzucht in Netzgehegen auszudrucken. Im Mittelmeer gab es kaum noch Fische. Er hatte sich auf den Märkten in Patras, Athen und Saloniki nach den Preisen erkundigt. Ein Kilo Edelfisch kostete rund 30 Mark. Urlauber hatten ihm erzählt, daß es in Spanien und Italien nicht anders sei. Ein Fischzüchter würde im Jahr gut 20 Tonnen produzieren können. Eigentlich die Goldmine der Zukunft. Fischzucht kann man lernen, und essen müssen die Menschen immer. Der Geschäftsführer überredete ihn, eine Projektstudie erstellen zu lassen. Die kostete zwar rund 25.000 Mark – aber 90 Prozent übernahm die Bundesregierung. Alex kam aus dem Staunen nicht heraus, wie problemlos dies alles ging. Jetzt brauchte er nur noch genug sparen, eine geschützte Bucht finden, Netzgehege bauen, Setzlinge kaufen und ein Jahr lang zusehen, wie die Fische wuchsen. Er arbeitete täglich zehn bis zwölf Stunden im Büro – auch Samstags, und die Zeit verging rasend schnell. Sein Abflug kam. Alex flog über Spanien und legte zwei Tage Pause ein. Das mußte für die nächsten Monate reichen. Seine Frau und Tochter waren bis Malaga durchgefahren. Er hatte ihnen eine monatliche Überweisung von zweitausend Mark eingerichtet und mußte sich höchstens über die Spanier sorgen, die sich nach jeder blonden Frau den Hals verrenkten. Die Costa del Sol war ein Urlaubs- und Rentnerparadies und immer noch preiswert, wenn man nicht in die Touristenfalle tappte. Die Zeitungen beschrieben Spanien als halbfeudal – aber die Gesetze dort waren für die einfachen Menschen gemacht. Wenn jemand acht Stunden arbeitet, bezahlt der Patron ein Essen im Restaurant. Wer länger als ein Jahr eine Wohnung oder ein Haus mietet, wird unkündbar. Und wenn er seine Arbeit verliert und kein Einkommen mehr hat, muß der Hauswirt auf die Miete verzichten, ohne ihn auf die Straße setzen zu können. Die Andalusier sind gewöhnlich ein wenig kurzbeinig – aber sehr freundlich. Das Essen und der Wein gefielen Alex. Doch er mußte weiter. Diesmal sah er nur wenig von der schönen Landschaft. Die Sahara hätte er gern von oben gesehen. Aber er mußte einen Nachtflug nehmen und landete am Morgen in Kano – der Stadt im Norden. Wie stark wird doch der Eindruck über ein Land auf das Auge des Betrachters von dem zuvor aufgenommenen Wissen bestimmt? Wissen aus Büchern und Zeitungen, von Film und Fernsehen – aus Erzählungen und vielen anderen Informationsmosaiken. Alex war sich dieser Tatsache bewußt und versuchte stets, dennoch objektiv zu bleiben. Der erste Eindruck wurde von Schmutz und Gestank vermittelt. Es gab keine einheimischen Restaurants, die ein auch nur halbwegs genießbares Essen angeboten hätten. Nur in größeren Hotels, in libanesischen und chinesischen Restaurants konnte man mit Genuß essen gehen, dafür aber funktionierten in den Hotels gewöhnlich weder die Air-Condition noch der Kühlschrank – oftmals auch die Dusche nicht. Nur die Preise lagen extrem hoch, und bevor man ein Zimmer erhielt, mußte man für zwei Tage im Voraus bezahlen. Kano liegt am Rande der Wüste. Bis hierhin hatten die Araber ihr Missions-werk vorantreiben können. 1900 hatten die mohammedanischen Ferlani die alteingesessenen Haussa in einem der letzten Religionskriege vertrieben und nach Südwesten abgedrängt. Der Fahrer erwartete Alex schon und schleuste ihn durch den Zoll. Die Fahrt dauerte fünf Stunden, und die Straßen schienen nur aus Schlaglöchern zu bestehen. Die Gegend war leicht hügelig und bestand aus Grasland mit Buschwald, unterbrochen durch vereinzelte Felsen, die wie verstreut hingeworfen aussahen. Hin und wieder lag ein Dorf aus runden Lehmhütten mit kegeligen Strohdächern an der Straße. Auf halben Weg durchfuhren sie Kaduna, die zweite große Stadt im Norden des Landes – sogar mit einem nationalen Flughafen versehen. In Kaduna würde er später noch öfter sein. Nur zwei Stunden von der Baustelle entfernt, war die Stadt gut für einen Sonntagsausflug, um mal wieder vernünftig essen zu gehen, in einer der vielen Discos eine schwarze Schönheit aufzureißen oder auch nur Bekannte aufzusuchen. Viele Europäer lebten hier. Ein Schweizer betrieb eine Schweinezucht mit Speiselokal, und viele Gäste kamen wegen seiner beiden hübschen Töchter im heiratsfähigen Alter zu ihm. Zwei Österreicher leiteten eine große Möbelfabrik. Dornier bildete mit rund achtzig Mann Flugpersonal aus – natürlich auch militärisch, da der Alphajet mit wenigen Umbauten in ein Kampfflugzeug umzuwandeln war. Um das militärische Gleichgewicht in dieser Region nicht zu gefährden, hatte Dornier im gleichen Zuge auch die Ausbildung im Nachbarstaat Niger übernommen. Was aber einen Dornier-Techniker nicht davor bewahrte, mitten in der Stadt vor einer Disco erschossen zu werden, als er seine Autoschlüssel nicht herausrücken wollte. Die Kriminalität bewegte sich in schwindelerregender Höhe. Jedes bessere Haus wurde von einem eigenen Wächter bewacht, und deutsche Schäferhunde standen hoch im Kurs. Eine Firma hatte sich auf Hausbe-wachungen spezialisiert, und wer einen Bewachungsvertrag kündigte, durfte daraufhin garantiert mit einem Einbruch rechnen. Alle Fenster und Türen waren mit Eisengittern versehen, und Privat-personen war der Besitz einschüssiger Jagtwaffen gestattet. Wurde ein Fremder in einem Haus angetroffen, durfte mit offizieller Genehmigung auf ihn geschossen werden. Nachts fuhr kaum ein Auto, weil vorgetäuschte Unfälle, Nagelbretter auf der Straße und hinter Büschen versteckte Räuber zur Regel gehörten. Als sie endlich in Abuja ankamen, ließ sich Alex zunächst mal eine halbe Stunde herumfahren, um einen ersten realistischen Eindruck zu erhalten. Das Ganze kam ihm nicht wie die neue Hauptstadt vor – eher wie eine Provinzbaustelle. Die Camps der Baufirmen waren an einer Stelle konzentriert – mit einem doppelten Zaun umgeben. Mit dem im Zwischen-raum verlaufendem Natodraht und dem halben Dutzend Wächtern am Tor drängte sich der Eindruck einer Festung auf. Für einen Kaufmann stellt solch ein Camp in der Kalkulation zunächst mal einen Kostenfaktor dar – entsprechend sah es dann auch aus. Hinzu kamen ein enormes Defizit an Phantasie und gutem Willen beim Bau. Gegen die Camps von Berger und Strabag nahm sich ihr eigenes direkt armselig aus: Fünf normale Fertighäuser der billigen Sorte für die Führungskräfte mit ihren Familien, elf barackenartige Steinhäuser, aufgeteilt in je vier Einzel-appartments, eine runde Bar, ein Pool, eine Kantine und vier Baracken für Portugiesen und lokales Küchenpersonal. Sie hatten einen deutschen Koch, der zugleich auch noch Campmanager und mit diesen beiden Aufgaben deutlich überfordert war. An persönlichem Mut fehlte es ihm nicht. Aus seinem Urlaub hatte er beispielsweise einen Drachen mitgebracht, mit welchem er von einem hohen und steilen Felsen mit bösartigen Querwinden sprang – womit er zum ersten Drachenflieger in Abuja wurde. Aber seine Zeit reichte halt nur für einen Job, und deshalb kamen beide zu kurz. Außerdem war er noch relativ jung und den Intrigen gegenüber zu wenig konsequent. Intrigen gab es reichlich. Sie waren zehn Führungskräfte. Anstatt aber gegen die deutschen und englischen Subunternehmer zusammenzuhalten, ihre Monteure und die rund 800 Neger, war das gegenseitige Beinestellen schon beinahe kriminell. Alex unternahm einige Versuche, die Vorteile eines Teamgeistes aufzu-zeigen – er übernahm auch fremde Arbeiten, um Kollegen zu entlasten, sofern dies in sein Arbeitsschema paßte. Aber der Oberbauleiter Dresse war der Überzeugung, er müsse die Fachbauleiter gegeneinander aufhetzen, um seine Position ungefährdet behaupten zu können. Alex schwor sich, diesen Vertrag noch zu erfüllen und dann nie wieder. Dresse saß den ganzen Tag über im Büro und ging einmal die Woche über den Bau. Zwei Stunden pro Tag hätten für die Büroarbeit auch gereicht. Dafür fragte er dann die anderen nach den Fehlern der Kollegen aus. Die kümmerten sich somit mehr um fremde Arbeit als um die eigene. Ein Teufelskreis war entstanden: Wer am meisten petzte, wurde bei eigenen Fehlern gedeckt, zudem wurde manche Vergünstigung fällig. Dresse versuchte es auch mal bei Alex. Dessen Stil war dies jedoch nicht, und er riet Dresse, statt dessen lieber mal mit offenen Augen auf der Baustelle herumzulaufen. Zum Consulting hatte Alex dagegen ein gutes Einvernehmen. Der gab ihm manchen wertvollen Tip, beispielsweise beim Schreiben seiner Berichte. „Im ersten Gästeturm hast du Probleme, im zweiten hast du große Probleme, und bevor du mit dem dritten fertig bist, fährst du nach Hause“, prophezeite er ihm. Manchmal war er tatsächlich so weit. Aber er wollte nicht eine Aufgabe halbfertig liegen lassen, und als Referenz war ein derartiger Bau auch ganz brauchbar. Er checkte rechtzeitig die Vorarbeiten, zeigte den Kollegen ihre Fehler und sagte ihnen auch, bis wann diese zu beheben seien. Erst, wenn das nicht klappte, ging er zu Dresse, und der freute sich förmlich, wieder einen heruntermachen zu können. Alex bewältigte den gesamten Ausbau mit neun deutschen Vorarbeitern und 160 Negern. Für jede Arbeit hatte er eine Norm pro Mann festgelegt, und dazu ließ er von den Vorarbeitern tägliche Arbeitsreporte verfassen. So hatte er eine laufende Kontrolle über Anwesenheit und Leistung. Jeder Arbeiter hatte für sein Werkzeug zu unterschreiben. War irgendwas verschwunden, wurde der Gegenwert vom Lohn einbehalten, und in krassen Fällen flog der Betreffende fristlos. So blieb der Schwund bei ihm äußerst gering. AEG beispielsweise hatte im gleichen Zeitraum für über 60.000 Mark Werkzeuge zu ersetzen. Das Magazin wurde von einem gestrandeten Deutschen verwaltet. Er sollte Alex melden, wenn eine Materialsorte zur Hälfte verbraucht war. So konnte Alex, falls notwendig, Material per Seetransport nachbestellen. Das dauerte immerhin zwei Monate. Vom Hafen in Lagos oder Worry aus waren es dann noch einmal 800 Km per LKW, und der landete manchmal auch in einer Schlucht. BILD Der Dämonenfelsen Summer-Rock bei Suleja nahe Abuja / Nigeria Aus der Nähe sieht es aus, als wäre ein Gesicht im Felsen: Der Geist von SummerRock BILD Jagtausflug in Nigeria Der Bevölkerung sind nur einschüssige Gewehre erlaubt. Das Wild ist kaum noch vorhanden: Affen, Schlangen, Meerkatzen, Murmeltiere BILD Erster Drachenflug in Abuja / Nigeria Der Campmanager brachte aus dem Urlaub diesen Drachen mit, sprang von einem Kegelfelsen, landete in einem Dornenbusch und mußte mühsam befreit werden. Gegenüber Arabien besaß die Baustelle zwei Vorteile: Unbegrenzte Mengen Alkohol und ein sagenhaftes Frauenangebot. Am Wochenende verbrauchten manche Monteure drei Negerinnen – nacheinander oder auch gleichzeitig. Die weißen Ehefrauen kochten vor Wut, waren aber machtlos. Alex vermutete hinter ihrer Haltung den blanken Neid, denn die eigenen Männer waren allzu oft müde. Und wenn die dann sahen, wie die anderen Männer Negerinnen mitnahmen, wußten sie, daß es eine gewaltige Vögelei geben würde – denn niemand würde ja umsonst bezahlen. Ein Seelenklempner hätte innerhalb eines Jahres vollständiges Material für zehn dicke Bücher sammeln können. Die herrlichsten Charackterstudien waren möglich. Da gab es die ganz raffinierten Abstauber: Die Negerinnen saßen draußen vor dem Tor in der Buschbar, einem einfachen Schuppen mit Tischen und Bänken. Bis Mitternacht mußten sie einen Kunden haben, bei dem sie über Nacht blieben. Andernfalls rückten von der nahen Polizeistation ein paar Mann an und nahmen sie fest. Auf der Wache hatten sie erst einmal ihr Geld abzuliefern – danach wurden sie der Reihe nach von allen Polizisten gevögelt. Deshalb konnten die Abstauber um Mitternacht die, die übrig geblieben waren, umsonst mitnehmen. Ganz ungefährlich waren diese Liebesabenteuer nicht. Viele Liebes-dienerinnen hatten eine Geschlechtskrankheit. Dazu hielten sie noch oft am Körper Messer versteckt, und im Notfall griffen sie damit bedenkenlos einen Mann an. Alex hatte wahre Schauergeschichten gehört. Ein Kollege hatte sich etwas seltenes eingefangen – im Hamburger Tropenkrankenhaus mußte ihm daraufhin die halbe Eichel weg operiert werden. Nach ein paar Monaten konnte Alex nicht mehr widerstehen und nahm sich eine wahre Perle aus Kamerun mit. Die anderen hatten schon gewettet, wie lange er ohne Frau wohl aushalten würde. Nach der Begegnung fragten sie ihn, wie die Neue aus Kamerun nun denn gewesen sei. „Wenn man erst mal durch die schwarze Haut ist, ist es wie zu Hause“, grinste er. „Aber weshalb steckte die mir dauernd ihre Zeigefinger in die Ohren?“ – wollte er von den anderen wissen, woraufhin Jochen, der Österreicher sagte: „Das ist selten. Das machen die nur, wenn sie hoch zufrieden sind.“ Angekommen war Alex im Februar während der Trockenzeit. Die Luft war voller Wüstenstaub, der über 700 Kilometer weit heran geweht wurde. Manchmal konnte man kaum ein paar hundert Meter weit sehen. Einige Kilometer von der Baustelle entfernt erhob sich ein mächtiger Kegelfelsen aus dem Busch – eine Herausforderung für Alex. Oben befand sich eine Vertiefung, in der sich das Regenwasser sammelte. Mit den Jahrhunderten waren dort Gras, Büsche und sogar Bäume gewachsen. Der Berg wurde von Felsenaffen, Meerkatzen und Murmeltieren bewohnt und war ohne Bergsteigergerät nur an einer Stelle zu erklettern. Alex nahm den Koch mit. Der besaß noch Elan genug, am freien Tag etwas zu unternehmen. Mit wenigen Ausnahmen verbrachten die anderen den Sonntag mit Saufen und Huren und waren stolz, wenn ihnen auf diesen Gebieten etwas Neues einfiel. Eine Zeit lang war der Seifentrick beliebt: Jede Negerin wurde erst einmal unter die Dusche gesteckt und abgeschrubbt. Viele Negerinnen kannten keine Dusche. Wer dabei ungeduldig wurde, warf die Seife auf den Boden. Und wenn sich die Negerin danach bückte, bekam sie die erste Nummer von hinten verpaßt. Dies hatte nur einen Nachteil: Die hielten sich immer am Waschbecken fest, und bald war alles lose oder abgerissen. Sie fuhren mit dem Wagen soweit es ging. Am Fuße des Berges befanden sich einige Ferlanihütten. Das sind Nomaden, und sie zogen mit ihren Rinderherden von einer Weide zur anderen. Schmal, sehnig und hochge-wachsen waren sie völlig verschieden von den Haussa- oder Yoruba-stämmen – am ehesten hatten sie noch Ähnlichkeit mit den Ilo. Alex hatte in den ganzen siebzehn Monaten in Nigeria nie eine Ferlanifrau gesehen, die sich verkauft hätte. Dabei waren sie gut gewachsen und schön. Bei den Hütten liefen eine ältere Frau und zwei gut gewachsene Mädchen mit herrlichen Brüsten umher und verrichteten irgendwelche Hausarbeiten. Alex fragte sie in der Zeichensprache, ob er sie fotografieren dürfte. Daraufhin rannten sie in ihre Zweighütten und kamen wenig später in ihren Festgewändern wieder heraus und stellten sich in Pose. So verschieden sind die Ansichten – Alex hätte sie gern nackt fotografiert, so wie sie den ganzen Tag herumliefen. Sie wollten natürlich in ihren besten Kleidern abgelichtet werden. Er hatte wie schon in Arabien immer zwei Kameras dabei: Eine Polaroid, deren Bilder er ihnen schenkte, und eine Kleinbildkamera für sich. So war jeder zufrieden. Sie mußten um den Berg herum zur Rückseite, quer durch den Busch immer bergauf; die Kletterei dauerte zwei Stunden. Und dann noch fast eine Stunde lang die steilen Felsen hoch – immer mißtrauisch beäugt vom Anführer der Felsenaffen, der ihnen im Abstand von ein paar hundert Metern folgte. Von oben genossen sie einen grandiosen Blick über Abuja – sahen die verschiedenen Großbauten, die vielen kleinen Siedlungen, den Präsidenten-palast und den Stausee, hinter dem ihr Camp lag. Mit dem Abstieg mußten sie sich beeilen. Eine Regenwand näherte sich aus der Ferne, und wenn der Fels feucht wurde, könnten sie rutschen wie auf Seife – das könnte lebensgefährlich werden. Sie wollten eine Abkürzung nehmen, hatten sich dabei jedoch gründlich verrechnet. Im strömenden Regen mußten sie haushohe Felsblöcke überqueren, sich vor tiefen Felsspalten in Acht nehmen, in denen Kobras und Puffottern Schutz gesucht hatten, und sich durch verfilztes Gebüsch winden. Bis sie wieder beim Wagen ankamen, waren Stunden vergangen. Zurück im Camp ging es erst mal unter die Dusche, und danach wurden die Lebensgeister wieder mit einer Flasche Brandy und zwei Kannen Kaffee geweckt. Seitdem schleppte Alex sportliche Besucher auf den Affenfelsen, was er dann den ‚Abuja-Härtetest‘ nannte. Hannes war Zimmermann und Einschaler – Alex nannte ihn scherzhaft ‚die norddeutsche Eiche‘. Groß und stark wie ein Urwaldriese konnte er arbeiten wie ein Pferd. Nach Feierabend soff er wie ein Loch. Seine Negerhelfer hatten bei ihm ein gutes Leben, denn die meisten Arbeiten erledigte er selbst. Wenn er so richtig in Fahrt war, brachte er witzige und scharfsinnige Sachen heraus. Dresse verzog sich dann immer rechtzeitig. Einmal jedoch nicht rechtzeitig genug: Hannes pendelte immer zwischen Campbar und Buschbar. Er schwankte um die Ecke, grüßte alle höflich, obwohl er in den letzten Stunden schon ein paarmal da gewesen war, und sagte langsam und deutlich, wie Betrunkene ja oft reden, wenn sie selber merken, daß sie genug oder zu viel intus haben: „Dresse, kannst du mir mal sagen, wer dich bei dieser Firma eingestellt hat?“ „Warum?“ – fragte dieser zurück, nichts gutes ahnend. Hannes antwortete: „Weil man den feuern müßte!“ – und alle brachen in brüllendes Gelächter aus. Dresse verzog sich. Wenn Hannes in dieser Stimmung war, kam noch entschieden mehr von diesem Kaliber. Alex konnte ihn gut leiden. Gleich in der ersten Woche war er mit ihm aneinander geraten. Er setzte sich abends in die Bar, trank seinen Brandy, las ein Buch und beteiligte sich nur selten an den Gesprächen der anderen. Er konnte inmitten des größten Palavers konzentriert lesen. Hannes war mal wieder voll und fragte Alex: „Was bist du denn für ein hochnäsiger Pinkel?“ „Auf jeden Fall nicht so ein dummer Schwätzer wie du“, gab er zur Antwort. „Auch gut“, nuschelte Hannes und schob ab in Richtung Buschbar. Seitdem war alles klar zwischen den beiden. Westafrika wird ‚das Grab des weißen Mannes‘ genannt. Es gibt dort bekannte und unbekannte Infektionskrankheiten in großer Zahl. Alex bekam juckende Blasen an der rechten Hinterbacke. Die Blasen wurden größer. Er ging zum Arzt bei Berger – in Abuja gab es ja noch nichts; weder Geschäft noch Apotheke noch Krankenhaus geschweige denn einen Doktor. Der war auch ratlos. Eine Woche probierten sie Salben und Pillen aus – als letztes verpaßte er ihm eine Spritze Antibiotika wie beim Tripper. Was nun wirklich geholfen hat, war nicht nachvollziehbar, aber nach zwei Wochen verschwanden die Blasen. Andere hatten nicht so viel Glück. Selbst Hannes, der sich dauernd von innen desinfizierte, wurde gegen Ende der Bauzeit von einem Parasiten an der Leber befallen. Er kam knapp mit dem Leben davon und lag dann in Deutschland ein halbes Jahr im Krankenhaus. Ostern kam – Ausflüge wurden geplant. Fritz, ein Berliner und zuständig für Mauern, Putz und Estrich, hatte in seinem Urlaub in Berlin über Weihnachten Malaria bekommen und im Krankenhaus einen Braumeister kennen gelernt. Die Brauerei lag nur fünf Autostunden entfernt. Der Braumeister hatte ihn eingeladen und versprochen, ein paar Kisten Bockbier zu brauen. So nachlässig, wie er bei der Arbeit war, hatte Fritz auch diese Einladung gehandhabt. Eine unverbindliche Geste hatte er als fest vereinbart hingestellt – und so fuhren sie los. Fritz mit Frau, der Koch, ein Engländer mit seiner Frau und schließlich Alex. Die Stadt hieß Markuti und das einzig interessante an ihr war eine große Brücke über den Niger. Die Brauerei hatten sie schnell gefunden – der Braumeister lag jedoch immer noch in Berlin im Krankenhaus – und Bockbier gab es auch keines. Die Brauerei war jedoch mit einem Gästehaus ausgestattet. Sie konnten übernachten, bekamen einen vernünftigen Kaffee und am nächsten Morgen als Reiseproviant zwei Kisten Bier. Eine andere Route wurde ihnen empfohlen – etwas weiter zwar, aber mit gut ausgebauter Schnellstraße. Nach zwei Stunden Fahrt unterlief ihnen ein großer Fehler: Sie ließen den Engländer ans Steuer. Der bog an einer Kreuzung falsch ab, und als es dunkel wurde, waren sie nicht in Abuja, sondern am großen Strom – nur auf der falschen Seite. Zwar gab es eine Fährverbindung, aber die letzte Fähre hatte wegen Niedrigwasser vor drei Monaten den Betrieb eingestellt. Am Ufer standen einige baufällige Hütten – und sie waren total erschlagen. Aber dort fanden sie auch noch zwei Reisemobile von Dornier-Technikern aus Kaduna. Die waren ebenfalls falsch abgebogen. Von denen konnten sie ein paar Kekse schnorren. Alex ging im Niger baden, Krokodile hin oder her. Nachher schliefen alle in dem VW-Bus, mehr schlecht als recht. Alex wachte früh auf, fand einen Mangobaum und erntete. Dann schlenderte er zu den Hütten, kaufte den Fischern einen Topf Tee ab und war für den Tag gerüstet. Zwar hätte er gern noch ein paar Spiegeleier gegessen, aber die Pfanne war mit einer dicken Schmutzkruste versehen. Und als er auf dem Boden des Teetopfes eine Sandschicht bemerkte, hatte er das Gefühl, seinem Magen genug zugemutet zu haben. Sie brauchten nicht mehr die gesamte Strecke zurück zu fahren. Bis sie aber mit der nächst erreichbaren Fähre weiter unten am Strom übergesetzt hatten, war es Mittag. In der nächsten Stadt holten sie sich ein paar gegrillte Hähnchen – in Afrika noch das Ungefährlichste – und kalte Getränke; das warme Bier hatten sie mittlerweile gründlich satt. Nun kam das nächste Problem auf sie zu: Ihr Sprit reichte nicht mehr bis Abuja, und alle Tankstellen waren leer gekauft. Als der Tankanzeiger bereits leer anzeigte, erhielten sie den Tip, seitlich in den Busch abzubiegen, da gäbe es noch Benzin. Nach zehn Kilometern und buchstäblich auf dem letzten Tropfen erreichten sie eine Buschtankstelle: Ein großer Eisentank mit einer Handpumpe. Als es dunkel wurde, waren sie noch 50 Km von Abuja entfernt. Alex schaltete das Licht ein, und der Motor ging aus. Keiner von ihnen kannte sich da aus. So mußten sie die letzten Kilometer ohne Licht fahren – die Pannenleuchte notdürftig aus dem Fenster haltend. Diese drei Tage reichten für einen gründlichen Eindruck von Nigeria. Der Bauleiter für Klimatechnik war für zwei Tage bei seiner schwarzen Freundin versackt und wurde nach Hause geschickt. Dafür kam ein kleiner Giftzwerg, der bisher die Planung für Klima und Lüftung in der Firma geleitet hatte und welcher Angriff für die beste Verteidigung hielt. Er hatte Dresse vor ein paar Jahren in Arabien mal geärgert, und der wollte sich nun revanchieren. An der Bar wurde ausgeknobelt, ihm eine Negerin ins Bett zu legen. Eigentlich konnte man ja nicht so blöd sein, selbst wenn man Zosel hieß – aber vermutlich glaubte er an ein übliches Willkommensgeschenk. Am Morgen brachte er sie zum Tor und sagte lässig ‚adios‘. Sie schaute ihn einen Moment lang ungläubig an, dann fiel sie mit Zähnen und Krallen über ihn her, wobei sie in den höchsten Tönen nach ihrem Geld schrie. Das gesamte Camp amüsierte sich königlich. Zosel wollte jedem demonstrieren, welch hohe Position er inne hatte und begann, sich überall einzumischen. Alex stutzte ihn auf die richtige Größe zurecht: „Ob ein Hotel Erfolg hat, hängt von zwei Faktoren ab: Der Service durch das Personal muß den Gast zufrieden stellen, und durch die Inneneinrichtung muß er sich wohl fühlen. Die Technik ist nicht zu sehen und wird als selbstverständlich vorausgesetzt.“ Und dann präsentierte er ihm eine Reihe von Fehlern aus seinem Bereich, wodurch Deckenleuchten nicht an der richtigen Stell montiert werden konnten oder Lüftungsgitter versetzt werden mußten. Erst wurde Zosel kleinlaut, später siegte dann wieder seine angeborene Frechheit. Dresse äußerte sich zwar öfter lobend über Alexanders Arbeit – aber im kleinen Kreis forderte er seine Zuträger auf, nach Fehlern zu suchen. Er meinte: „Das gibt es nicht, daß er keinen Fehler macht.“ Kleinere Fehler unterliefen natürlich auch Alex oder seinen Leuten. Ab und an übersah er auch mal etwas. Aber bislang bemerkte er stets alles noch rechtzeitig, um es unbemerkt auszubügeln. Ganz zum Schluß, als Alex abreiste, nachdem sein Vertrag zweimal verlängert worden war, wurde doch noch etwas gefunden. Ein besonders fähiger AEG-Monteur, der Alex mit guten Tips versorgt hatte, wurde nach Jos versetzt, auf das kleine Hochplateau. Er war zu Besuch gekommen und hatte sich von Alex ein paar Teppichreste als Bettvorleger erbeten. Dresse schickte Alex nach dessen Abreise einen Brief hinterher, mit Kopie für die Firmenleitung, mit welchem er das Verschenken von Firmeneigentum mißbilligte. Wäre diese Sache nicht so traurig gewesen, hätte Alex darüber gelacht. Er tröstete sich mit der Möglichkeit einer künftigen Revanche. Konrad war der Monteur für die Hotelküchenteile und eine ganz besondere Nummer: In allen Großstädten der Welt zu Hause; extrem rechtsnational hielt er den englischen Monteuren lange Vorträge über deren Unfähigkeit; über den Zusammenbruch des Empire, die Überlegenheit der deutschen Soldaten und ebenso die Überlegenheit der deutschen Technik und Wirtschaft. Alle zwei Monate wurden die Engländer von ihrer Firmenleitung ausge-wechselt – so konnte er immer wieder neu beginnen. Er hatte fünf Jahre mit einer Frau zusammen gelebt und zwei Kinder mit ihr. Da er sich aber zu oft auf Montage befand, nahm sie sich eines Tages einen anderen. Konrad vertrat einen realistischen Standpunkt: „Früher hatte sie keinen Mann – dafür jede Menge Kohle. Jetzt hat sie einen Mann. Der hockt aber arbeitslos zu Hause herum, und deswegen muß sie jede Mark umdrehen. Nun bekommt sie von dem Typ auch noch ihr drittes Kind. Naja, wenn er schon keine Arbeit hat, muß er wenigstens auf diese Art etwas verrichten. Wenn der Job hier beendet ist, werde ich sie besuchen. Und egal, wie das Balg aussieht, werde ich zu ihr sagen: Da hast du ja einen richtigen Schmutz-buckel geworfen.“ So beweinte er bei zu viel Bier seine verlorene Liebe. Der Baukaufmann Keller war ein typischer Vertreter seine Gattung. Im Großen und Ganzen nicht mal übel, hielt er sich für den wichtigsten Mann auf der ganzen Baustelle, sah seine Karriere nur in Zahlen und sparte deshalb oft an der falschen Stelle. Dem Oberbauleiter einer anderen Firma nahm er bei einem zwanglosen Besuch für ein Telefongespräch dreißig Mark ab. Bis dahin hatte er von ihnen oft Bagger, Lastwagen und auch Spezialgeräte kostenlos geliehen. In der Folgezeit mußten Tausend Naira an Leihgebühr entrichtet werden, wenn wieder mal was ausfiel oder dringend gebraucht wurde. Der Geschäftsführer Doktor Schade kam aus Hamburg. Alex hatte ihm einen Brief geschrieben, in dem er vorsichtig verklausuliert einige Mißstände ansprach. Doktor Schade suchte kein persönliches Gespräch, und es änderte sich nichts. Seine Sache, dachte Alex. Über Doktor Schades Aussehen erschrak er. Seit Dubai war er sichtlich gealtert; in Hamburg hatte er ihn kaum gesehen. Selbst für diese Macht- und Einkommensposition wäre mir dieser Preis entschieden zu hoch, fand Alex. Er saß in der Campbar und las den neuen Spiegel. Das Nachrichtenmagazin wurde ihm über die Firma per Luftpost zugesandt. Ebenso die Samstags-ausgabe der FAZ - wegen der dortigen Auslandsjobs. Ab und zu verschwanden seine Zeitungen spurlos. Als Dieb hatte er Dresse in Verdacht, aber beweisen konnte er das nicht. Konrad kam herein, und Alex rief ihn zu sich an den Tisch und sagte: „Hier, lies mal: Ein interessanter Artikel über ein Massaker an den palästinen-sischen Flüchtlingen in Beirut durch die libanesischen Milizen unter israelischer Aufsicht. Jetzt können wir die Israelis im Kreis der modernen Staaten willkommen heißen.“ Konrad vertiefte sich in den Bericht und Alex spottete: „ Die UNO-Soldaten zählen vermutlich hinterher die Leichen. Ich möchte mal wissen, wozu die gut sind; lassen die israelische Armee einfach den Libanon überfallen und melden danach die Zahl der vorbei fahrenden Panzer.“ Konrad knurrte zustimmend: „Die gesamte UNO ist eine gigantische Quasselbande, eine Geldverschwendungs- und Postengarantie-anstalt. Bei mir rennst du offene Türen ein mit deinem Standpunkt. Das ganze Elend beginnt doch damit, daß Bürokraten anderer Leute Geld in die Hände kriegen. Und wie die sich vermehren! Dagegen sind Karnickel und Heuschrecken doch gar nichts.“ Alex widersprach ihm: „Man müßte ihnen nur die richtigen Ziele geben. Das ist wie mit der Jugend. Stell dir mal vor, ab morgen gelte für die Beamten: Nur der wird noch befördert, der ein überflüssiges Gesetz ausgräbt. Nach einem Jahr hätten wir keine Gesetze mehr, nur noch Beamte im Höheren Dienst.“ Beide lachten. Konrad grinste und nickte zum Campeingang hin: „Schau mal, da kommt Stanislaus. Den könnten wir doch mal wieder in Verlegenheit bringen.“ Stanislaus war Pole und von seiner Staatsfirma an ein nigerianisches Unternehmen verliehen worden. Er verdiente etwa soviel, wie die Deutschen an Spesen bekamen. Einmal im Jahr durfte er in Polen Urlaub machen, und einmal jährlich durfte ihn seine Frau oder Tochter besuchen. Natürlich nie beide zusammen – sonst wäre die Familie womöglich nicht mehr ins Arbeiterparadies zurück gekommen. Stanislaus sprach Deutsch und Englisch. Er wohnte in einem kleinen Haus mitten unter Negern, und wenn er Sehnsucht nach einem Gespräch mit Weißen hatte, besuchte er die Camps. Ein guter Schachspieler war er. Alex mußte sich voll konzentrieren, wenn er siegen wollte. Konrad schrie ihm zu: „Hallo Stanislaus, was sollen wir heute kochen? Polenknochen?“ Stanislaus verzog gequält das Gesicht. Der rauhe Humor der Monteure war nicht ganz sein Fall. „Was macht die Gewerkschaft?“ – wollte Alex wissen. Stanislaus war erstaunlich gut informiert. Alex überließ ihm immer seine ausgelesenen Spiegel, und so wußte der Pole oft besser und genauer über den Ostblock Bescheid, als es aus seinen eigenen Zeitungen zu entnehmen war. „Das wird ein Strohfeuer – wirst sehen“, prophezeite Alex, „irgend jemand probiert aus, wie weit sich der russische Bär reizen läßt. Er kann doch nicht zulassen, daß die DDR in der Luft hängt. Sonst stürzt noch sein halbes Imperium ein.“ Der Pole wehrte ab: „Die Gewerkschaft wird gut beraten und ist vorsichtig.“ Alex lachte: „Ihr Polen seid doch Phantasten. In den letzten fünfzig Jahren habt ihr euch keinen Deut geändert. 1939 tönten eure Generäle, im Falle eines Krieges mit Deutschland würden sie innerhalb von 14 Tagen in Berlin einmarschieren. Und eure Diplomaten versuchten, die Franzosen zu einem Angriff an der Westgrenze zu überreden. Hast du mal darüber nachgedacht, daß es allen Völkern, die im letzten großen Krieg gegen uns kämpften, nicht besonders gut geht?“ „So gut geht es euch auch nicht – mit euren vielen Arbeitslosen“, wehrte sich Stanislaus. „Wer weiß, wozu das gut ist“, meinte Alex, „kann nicht schaden, wenn die Leute mal aus ihrem Konsumrausch erwachen und darüber nachdenken, daß es noch andere wichtige Werte gibt. Bei uns im Staat ist vieles faul. Aber immer mehr wachen auf und suchen nach neuen Wegen. Wir werden unser Haus schon in Ordnung bringen.“ Vom Pool her drang lautes Geschrei zu ihnen. Der Ballermann war in Aktion – einer von Alexanders Deckenmonteuren. Er sah aus wie ein Grizzly und hatte auch dessen Kräfte. Er warf gerade nacheinander acht Monteure ins Wasser, die das Gleiche kurz zuvor mit ihm versucht hatten. Den Spitznamen ‚Ballermann‘ hatte er von Alex, nachdem er ihm ein wenig aus seinem Leben erzählt hatte. Er war gelernter Schlosser, hatte schon in Arabien gearbeitet und war als Seemann um die Welt gefahren. Von jedem Land hatte er ein paar Stories parat. Bier saufen und Nutten beklauen waren seine Hobbys. In Liverpool hatten sie sich mal ein paar Hafenmiezen an Bord geholt und später die Polizei gerufen. Nutten an Bord, das war verboten. Die Bobbies nahmen die Miezen mit – zuvor hatte der Ballermann im Trubel ihre Handtaschen geleert. Gleich am ersten Tag hatte er sich im Camp richtig eingeführt. Er besuchte die Buschbar, schleppte eine Negerin ab. Nach der Nummer ließ er sie im Bett liegen und ging wieder raus, trank einige Flaschen Bier, hatte die erste vergessen und nahm die nächste Negerin mit. Als er das Bett besetzt vorfand, warf er die Erste kurzerhand raus und ihre Sachen hinterher – jedoch nicht ohne vorher mit ihrem Geld ihre Nachfolgerin zu bezahlen. Bei seiner Größe hatte er selten mit Protesten zu rechnen. In Thailand hatte er sich eine Frau gekauft. Nach drei Monaten tauschte er sie aber bereits um. Die Eingetauschte lebte jetzt in Bremen und hatte ein Kind von ihm. Sie war nur halb so groß wie er – ungefähr, aber trotzdem konnte sie ihn um den Finger wickeln. Bereits zwei Monate nach ihrer Ankunft in Bremen kannte sie jeden dort lebenden Thai – ob Mann oder Frau. „Den ganzen Tag lang ratterte bei uns das Telefon“, stöhnte der Ballermann. Alex hatte ihm sechs Neger zugeteilt. Die rannten vor Angst im Galopp umher. Am ersten Tag hatte er nämlich einen, der sich zu langsam bewegte, mit seiner Kohlenschaufelhand derart geohrfeigt, daß er einen formvoll-endeten Salto hinlegte. Dresse konnte den Ballermann nicht leiden und umgekehrt, und einige Flaschen Bier ließen ihm schnell seine Zunge spazierentragen. „Wenn Alex mir was sagt, dann hat das Hand und Fuß“, tönte er an der Bar, „aber dieser halbstarke hat doch nur ein großes Maul.“ Als Alex eines Tages im Fertigteilwerk zu tun hatte und in einer Werkstatt eine Sperrholzdecke und Regale bauen ließ, war Ballermann von Dresse gekündigt und innerhalb von drei Stunden mit Ticket und Wagen auf den Weg zum nächsten Flughafen gebracht worden. Was kann man schon gegen einen Oberbauleiter ausrichten, der nicht einmal die einfachsten Höflichkeitsregeln einhielt? Wieder einmal waren drei lokale Feiertage fällig. In Erinnerung an Arabien hatte sich Alex einen eigenen Suzukijeep gekauft. Das ewige Hickhack um die Firmenwagen ging ihm auf die Nerven. Dauernd waren die Autos kaputt, und die Werkstatt nicht in der Lage, sie rasch zu reparieren. Alex fuhr allein nach Jos, dem nigerianischen Hochplateau an der Grenze zu Kamerun. Es war eine Fahrt von insgesamt 1.500 Km. Am ersten Tag durchfuhr er eine herrliche Hügellandschaft – in der Ferne immer die imposanten Bergketten in Sicht. Nigeria besaß angeblich 100 Millionen Einwohner und war fünfmal so groß wie Westdeutschland. Nach den leeren Flächen zu beurteilen, hätte man dort aber wohl noch die gesamte restliche Bevölkerung Afrikas unterbringen können. Am Fuße der Berge hielt er an. Ein paar Hütten bildeten ihm den geeigneten Rastplatz. In einem offenen Schuppen wurden Getränke und Lebensmittel verkauft. Alex besorgte sich einen Becher Tee und setzte sich vor den Eingang. Einige junge Negerinnen saßen herum und schwatzten. Ein Lastwagen stoppte. Der Fahrer stieg aus und rief etwas in seinem Dialekt. Eines der Mädchen stand auf und ging zu ihm hin. Er drückte ihr einen Geldschein in die Hand, sie hob ihren Rock und bückte sich. Innerhalb von wenigen Augenblicken war er im Stehen seine Ladung los geworden, kletterte wieder ins Führerhaus und fuhr weiter. Das Mädchen kam zurück und schwatzte unbekümmert weiter, als sei absolut nichts geschehen. Innerhalb einer Stunde hatte Alex drei Becher Tee geschlürft. Alle fünf Mädchen hatten in dieser Zeitspanne reihum ihren Service ausgeübt – an der Straße, für jedermann sichtbar. Er grinste und fuhr weiter. Hier ging noch alles ganz natürlich zu, und keiner hatte ein Gummi benutzt. Es wurde dunkel, und langsam mußte er sich nach einem Nachtlager umsehen. Die Stadt lag noch in weiter Entfernung. Eine Übernachtung im Freien war nicht ratsam; denn er verspürte keine Lust, am Morgen eine schwarze Mamba in seiner Hose zu finden. Langsam fuhr er die Serpentinen hoch, voraus hörte er ein Krachen, und dann kam ihm in höllischem Tempo ein Lastwagen entgegen – mitten auf der Straße. Ein Glück, daß sein Jeep so Klein war. Hinter der nächsten Kurve lag ein Pickup-Fahrzeug im Straßengraben auf dem Dach. Ein halbes Dutzend Gestalten lag herum – die schrien, jammerten oder waren für immer still. Alex trat aufs Gas und suchte das Weite. Europäisches Verhalten war in einem solchen Land nicht angebracht. Er hatte schon von Leuten gehört, die zum Dank für ihre Hilfe wochenlang eingesperrt wurden und nur gegen eine Hohe Bestechungssumme wieder freikamen. In Arabien verhielt sich die Sache ähnlich: Starb jemand bei einem Unfall, so war das eben Allahs Wille. Half man einem Verletzten, und der starb danach, wurde der Helfer als Mörder angeklagt. Eine Frau durfte von einem männlichen Helfer ohnehin nicht berührt werden. Ein Dummkopf, wer einheimische Sitten und Gebräuche ignorierte. Im letzten strahlenden Abendglühen wurde Alex auf eine in einer Seiten-schlucht gelegenen Zweighütte aufmerksam. Davor graste eine Herde der Mageren, fast weißen Rinder, und von einem Lagerfeuer stieg Rauch auf. Er bog von der Hauptstraße ab und fuhr quer durch das hohe Gras, den Büschen und Palmen ausweichend, auf das Feuer zu. Dort stoppte er den Jeep, stieg aus und begrüßte einen alten Neger, eine junge Frau und ein paar halbwüchsige Kinder. Der Alte sprach ein paar Worte Englisch, und als er kapiert hatte, was Alex wollte, lud er ihn an sein Feuer ein und wies ihm eine leere Hütte als Nachtlager zu. Alex schenkte der Familie Kekse, Dosenfleisch und Tee – und dem Alten einige Flaschen Bier. Die junge Frau teilte ihm wie auch den anderen eine Schüssel mit Yambrei und scharf gewürzten Gulasch zu, den er tapfer verzehrte, und der überraschend gut schmeckte. Sicherheitshalber spülte er anschließend mit Brandy aus seiner Taschenflasche nach. Bei den Auslandsbauleitern war eine Erfahrung weit verbreitet: Wer ab und zu einen kräftigen Schluck Brandy oder Whiskey nahm, kannte kaum gesundheitliche Probleme. Tägliches Saufen dagegen war zuviel des Guten. Wer sich hingegen überängstlich verhielt und sogar sein Zahnputzwasser abkochte, hatte dauernd irgendwelche Wehwehchen. Die Verständigung mit der Familie klappte ganz gut, sofern er sich mit ihnen über einfache Dinge unterhielt. Alex erfuhr, daß sich zwei Brüder des Alten seit zwei Monaten mit einem Teil der Herde auf dem Weg nach Lagos befanden, weil dort die Preise besser seien. In einem Monat erwartete man sie zurück. Drei Monate beschwerliche Wanderschaft über runde tausend Kilometer hinweg nahm man mit der Rinderherde also auf sich für einen Mehrerlös von einigen hundert Mark. Aber Wandern war ja Teil ihres Nomadenlebens, und im Anschluß daran konnte man immer prächtige Geschichten erzählen. Um Mitternacht legte sich Alex schlafen. Der alte Neger schaukelte im Sitzen mit dem Oberkörper hin und her – die ungewohnten zwei Flaschen Bier hatten ihre Wirkung getan. Das Bett bestand aus vier in den Boden gerammten Astgabeln, darüber geflochtene Ruten und einer Grasauflage. Es war richtiggehend bequem. Er war schon in den Halbschlaf gesunken, als sich eine nackte Gestalt an ihn drängte. Die junge Frau – nach den schwellenden Formen und den üppigen Brüsten mit den fast steinharten Spitzen zu urteilen. Sie war mit betäubenden ätherischen Ölen eingerieben und murmelte sanfte, kehlige Laute. Er war noch gar nicht richtig wach, als er sich schon in ihr befand, und der wilde Ritt begann. Bei einigen Stämmen herrschte das Gesetz, daß ein impotenter, kranker oder abwesender Mann seiner Frau einen Liebhaber zu gestatten hatte. Eine junge und gesunde Frau besaß das Recht auf eigene Kinder. Diese hier mußte wahrhaftig ausgehungert sein, denn sie hielt ihn stundenlang in Form. Alex staunte über sich selber – aber es war leicht: Der ganze Körper der Frau, ihre Lippen, Hände und Haut zitterten förmlich vor Verlangen. Wie ein schwacher elektrischer Strom sprang die Erregung bei jeder Berührung auf ihn über. Schließlich schlief er völlig erschöpft ein. Am Morgen war er allein im Bett. Den betäubenden Duft des Naturparfüms roch er noch eine Woche lang. Sie frühstückten in voller Harmonie. Alex hatte eine neue, schöne Erfahrung gemacht. Die Frau hatte ihren Hunger gestillt, und der Alte besaß ein freundliches, zufriedenes Weib. Als Alex weiterfuhr, waren alle happy. Zwei Stunden später kam er in Jos an. Er hatte eine flache Landschaft mit gepflegten Gemüsefeldern durchfahren, in der vereinzelt kleine Dörfer lagen. Die Felder wurden mit Zäunen aus meterhohen Kakteen geschützt. Die Stadt besaß ein modernes Zentrum, einen großen Zoo, ein Museum mit alten Holz-, Töpfer- und Metallarbeiten sowie ein großes Gelände, auf dem historische Burgen, Häuser und Wehranlagen nachgebaut waren. Dies war das einzig Beeindruckende, was er bislang in Nigeria gesehen hatte. Später kam er noch einmal nach Jos, als er den Elektriker besuchte. Der führte in einem Stahlwerk Reparaturarbeiten aus. Das Stahlwerk verkörperte eine typische nigerianische Planung: Der Provinzhäuptling brauchte ein Geschenk, um bei den Wahlen den Präsidenten zu unterstützen. Also erhielt er ein Stahlwerk – unerheblich, daß die Erze vom Seehafen her rund 1.000 Km rangeschafft werden mußten, wovon bei vollem Betrieb täglich 60 Lastwagenladungen benötigt wurden. Die Logistik versagte total – zumal die Manager aus der Familie des Provinzhäuptlings kamen und in ihrem Job nicht eine Arbeit, sondern ihre Rentenberechtigung sahen. Um den Betrieb wenigstens drei Monate im Jahr aufrecht zu erhalten, wurde drei deutsche Spezialisten angeheuert, die zusammen im Monat fast 100.000 Mark kosteten. Das beste Hotel am Platze war ziemlich ramponiert, der Teppichboden mit Brandflecken verziert und Bett wie Schrank mit langen Nägeln repariert. Zum Ausgleich aber war ein chinesisches Restaurant vorhanden, und das Essen dort war wohlschmeckend. Am nächsten Tag machte sich Alex wieder auf den Heimweg. Als er an der Unfallstelle vorüber kam, lag dort nur noch das Autowrack. Alle losen Teile waren bereits abmontiert, sicherlich geklaut. Zehn Kilometer weiter fuhr er sich einen Nagel in den Hinterreifen – natürlich war inzwischen sein Wagenheber irgendwo unterwegs aus dem offenen Jeep geklaut worden. Also fuhr er das Auto schräg in den Straßengraben, und so konnte er das in der Luft hängende Rad auswechseln. Der Vierradantrieb zog den leichten Wagen problemlos wieder auf die Straße. Kurz vor Mittag erreichte er einen See. Ein halbes Hundert Frauen und Kinder planschten darin herum und kreischten um die Wette. Alex wollte eine Pause einlegen, seine Füße ins Wasser hängen und sich die vielen nackten Negerinnen ansehen. Eine Stunde zuvor hatte er sich am Straßenrand Mangos, Ananas und Bananen gekauft. Anfangs wurde er nicht sonderlich beachtet. Erst als er von zwei schwarzen Schönheiten ein Polaroidfoto schoß und es ihnen schenkte, wurde er von den anderen beinahe erdrückt, die ebenfalls alle ein Foto haben wollten. Gerade hatte er ein Dutzend aufregend praller Brüste zu einem Gruppenbild arrangiert, als ein wütendes Gebrüll ertönte, und ihm ein Al Hadschi, ein schwarzer Mekkapilger, die Kamera aus der Hand schlug. Dieser Moslem sah das Fotografieren nackter Frauen nicht gerne – Alex hingegen sagte das Demolieren seiner Kamera nicht besonders zu. Also verpaßte er der brüllenden Figur einen rechten Haken. Der stolperte mit wild rudernden Armen ein paar Schritte rückwärts und fiel ins Wasser. Für einen Moment herrschte Ruhe – dann wurde das Geschrei geradezu hysterisch kreischend, und der Al Hadschi kam auf allen Vieren aus dem Wasser gekrochen. Als er sich aufrichtete, schlug Alex nochmals zu. Diesmal kam er nicht mehr aus dem Wasser, sondern watete durch den See zum anderen Ufer. Auch schien mit seiner Kinnlade etwas nicht in Ordnung zu sein; denn das wütende Fluchen war merklich leiser geworden. Die Frauen und Kinder waren plötzlich in alle Winde zerstreut. Kaum werden die Leute religiös, dachte Alex, schon ist der ganze Spaß vorbei. Er machte, daß er weiter kam. Später fertigte er noch von den Palmen im Abendrot ein paar Fotos und schließlich passierte er gerade noch im Hellen den Armeekontrollpunkt vor Suleja. Nachts waren die Soldaten furchtsam, unberechenbar und zudem oftmals noch besoffen. Sollte ich mal einen Krieg in Afrika führen, dann nur in der Nacht, dachte er sich. Die Neger mit ihrem Geisterglauben unter der dünnen christlichen Tünche sind nachts zu nichts zu gebrauchen. In Suleja befand sich direkt an der Straße ein Kegelfelsen. Eine Seite dieser Felswand sah von weitem aus wie ein Gesicht. Der Felsen hieß Summer-Rock, war normalerweise nicht zu erklettern, und keinen Neger konnte man dazu bewegen, zu Fuß um diesen Felsen herum zu gehen. Es ging die Sage um, man würde nicht ankommen. Ein Italiener hatte sich von oben mit einer Strickleiter aus einem Hubschrauber herab gelassen. Er rutschte aus, fiel vom Felsen und brach sich alle Knochen. Die Neger rollten mit den Augen und huldigten dem mächtigen Geist von Summer-Rock. Suleja war die nächste Stadt vom Camp – mit dem Auto eine halbe Stunde Fahrt. Ein ständiger, riesiger Markt machte die Stadt zum Einkaufszentrum der gesamten näheren und weiteren Umgebung. Es war dort überall sehr schmutzig – es stank erbärmlich und wimmelte Tag und Nacht nur so von Menschen. Alex war selten dort – nur wenn er dringende Einkäufe zu erledigen hatte. Ein Telex traf für Alex ein, worin seine Frau ihren Besuch für die kom-menden Wochen ankündigte. Eigentlich hatte er ja im Urlaub in Spanien ausspannen wollen, aber die Verständigung hatte nicht geklappt. Post ging verloren. Ein Telegramm konnte leicht vier Wochen unterwegs sein, und mit dem Telefon verhielt es sich auch nicht besser. Seiner Frau hatte in Spanien jemand erzählt, daß man in Nigeria Frauen für ein paar Mark kaufen könne. Ihr Sohn war in den Ferien gekommen – er hatte nicht länger allein bei der Großmutter bleiben wollen. Ein reicher Araber trachtete nach dem Abschluß eines Ehevertrages mit seiner Tochter, und letztlich ging ihr das Urlaubs-paradies auf die Nerven. Also beschloß sie kurzerhand, die Tochter mit dem Wagen nach Hause zu schicken und selbst nach Nigeria zu fliegen. Die Maschine sollte morgens um 3.00 Uhr landen. Nachtfahrten waren verboten, und deshalb mußte Alex schon am Vorabend beim Flughafen sein. Die Firma hatte in Kano eine Fabrik gebaut und stellte zum Einfahren einen Manager zur Verfügung. Mit ihm verplauderte Alex ein paar Stunden in seinem Haus. Später bedauerte er, daß er sich nicht für dessen Gastfreundschaft revanchieren konnte. Gegen 22.00 Uhr beschloß er, der netten Familie nicht länger zur Last zu fallen und fuhr zum Flughafen – wo seine Frau schon seit 18.00 Uhr wartete – wegen einer falschen Uhrzeit im Telegramm. Die meisten Frauen erlebten bei der Ein- und Ausreise dort ein wahres Drama. Die Koffer wurden durchwühlt, und die Beamten verlangten offen Bestechungsgeld, weil angeblich irgendwelche Bestimmungen verletzt worden seien. Sie hatte die gegenteilige Erfahrung gemacht. Ein Offizier hatte sie durch die gesamte Abfertigung gelotst, ihr Koffer wurde aus dem Berg anderer gefischt und nicht geöffnet. Im Warteraum stellte der Offizier einen Soldaten als Aufpasser neben ihren Stuhl und gab ihr noch zehn Naira für Cola während der Wartezeit, da Devisen nur auf der Bank gewechselt werden durften. Als sie dies später im Camp erzählte, kamen die anderen Frauen aus dem Staunen nicht heraus. Alex bedankte sich bei dem Soldaten und dem Offizier und fuhr mit seiner Frau zum besten Hotel am Platze und nahm dort ein Zimmer. Weder Wasser noch Air-Condition liefen, und vor dem Hotel warteten gut ein Dutzend leichter Mädchen auf Kunden. So erhielt sie gleich den richtigen Eindruck von Nigeria. Alexanders Frau Karin wähnte sich als verhindertes Medium. Sie verfügte über eine erstaunlich gute Menschenkenntnis. Ihre Meinung über Dresse bildete sich rasch – für einen moralisch total verkommenen Hund hielt sie ihn. Aber diese Ansicht war stark eingefärbt aus grundsätzlicher weiblicher Einstellung heraus – denn Dresse hatte sich bereits einen Tag nach der Abreise seiner Frau wieder eine Negerin ins Bett geholt. Sie träumte lebhaft, und relativ oft bestätigten sich ihre Ahnungen. Ihr Vater hatte das Handlesen beherrscht, und die sich oftmals nach Jahren bestätigen-den Vorhersagen mußten letztlich auch den skeptischen Alex überzeugen. In Spanien hatte seine Frau ihren Pudel in einer Hundepension abgegeben. Nun träumte sie, der habe sich unter den Zaun durchgegraben und würde überall nach ihr suchen. Sie gab keine Ruhe, bis Alex ihr ein Ticket kaufte, und sie ihren Hund in Spanien abholen konnte. Nach einigen Wochen kam sie wieder und brachte den Köter mit. Der war tatsächlich aus dem Zwinger ausgebrochen gewesen und dann bei Bekannten untergetaucht. Die Geschichte wurde zu einer der vielen Anekdoten an der Costa del Sol. Alex begab sich zum Empfang des Hotels, um eine Beschwerde loszu-werden. Was natürlich nutzlos war, es floß nunmal kein Wasser und damit basta. Immerhin aber konnte er erreichen, daß ein Hausboy am Spring-brunnen im Innenhof einen Plastikeimer füllte und nach oben trug. So war wenigstens eine kleine Waschgelegenheit vorhanden. Seine Frau hatte eine Flasche spanischen Sekt mitgebracht, und damit wurde es noch eine gelungene Wiedersehensfeier. Während der Fahrt zum Camp konnte sie sich so herrlich über Dinge aufregen, die Alex schon längst als selbstverständlich ansah. Beispielsweise, wie die Frauen ihre Kinder in Tüchern auf dem Rücken trugen, wie sie riesige Lasten auf dem Kopf balancierten, während ihre Männer nichts trugen; wie eine breitbeinig an der Straße stand und wie eine Kuh im Stehen pißte; über die Schlaglöcher in der Straße und eine Leiche am Straßenrand, die dort schon ein paar Tage lag, und für die sich niemand verantwortlich fühlte. Im Camp regte sie sich über die unmoralischen Zustände auf. Dennoch war sie innerhalb weniger Wochen der Liebling der Nutten, weil sie mit ihnen redete und sie nicht wie die anderen Frauen von oben herab behandelte. Da Alex freiberuflich arbeitete, brauchte sie auf niemanden Rücksicht nehmen und sich auch in keine Hierarchie eingliedern. Sie wurde der Kummerkasten aller Junggesellen, trank mit ihnen an der Bar und ließ sich ihren Seelenmüll erzählen. Eines Tages nahm sie Konrad aufs Korn: „Schämt ihr euch nicht, die Negerinnen als Kokosköpfe zu bezeichnen? Zur Befriedigung eurer Lust sind sie doch auch gut.“ „Hast ja Recht“, gab er zerknirscht zu, „unser Führer würde sich im Grab umdrehen, wenn er das wüßte.“ „Du besitzt doch ausgedehnte Erfahrungen auf diesem Gebiet“, horchte sie ihn weiter aus, „stimmt es eigentlich, daß alle Negerinnen beschnitten sind?“ Konrad kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf und sagte: „Meist bin ich ja im Tran, aber wenn ich so darüber nachdenke: Irgendwie anders sind sie schon.“ Und dann versprach er, bei der Nächsten genau nachzusehen und dann Bericht zu erstatten. Der zuständige Projektprokurist, Herr Nolz, kam zur Inspektion. Seine größte Sorge war immer, wie er die Fakten seinem Chef verkaufen konnte. Im Verhandeln war er erstklassig – wie ein Politiker drückte er sich mehr oder weniger schwammig aus, versprach definitiv nichts und hielt hinterher auch nichts. Als Alex später als Bedingung für eine Vertragsverlängerung eine Woche Urlaub in Togo forderte, wurde ihm der Urlaub zugestanden, jedoch seine Vergütung um 3.500 Mark gekürzt. Alex war Realist. Der berühmte hanseatische Kaufmann gehörte ebenso der Vergangenheit an wie der preußische Beamte. Wöchentlich stieg in irgendeinem Camp eine Party. Die Ehepaare sonderten sich meist etwas ab; denn allzugerne versuchten die Junggesellen, frustrierte Ehefrauen herumzu-bekommen. Mit seiner Frau aber hatte Alex einen wesentlich intensiveren Kontakt mit anderen Ehepaaren als früher. Im Berger-Camp lernte er einen alten Bauleiter kennen, mit dem er sich den ganzen Tag über unterhalten konnte, ohne sich zu langweilen. „Eigentlich dürfte Nigeria doch keine wirtschaftlichen Probleme kennen“, meinte Alex, „hier gibt es Öl, fruchtbares Land und viele Menschen für die Arbeit.“ Schütz hieß der Alte, und seit er in Libyen für einen Ölmulti gearbeitet hatte, konnte man ihm nichts mehr vormachen. So kam seine Antwort: „Weißt du, viele Dinge sind völlig anders, als sie auf den ersten Blick aussehen. Gaddafi stellte sich die Sache auch einfacher vor: Einfach nur die Ölförderung verstaatlichen, und schon müsse alles in Ordnung sein. Die Techniker mußte er behalten, weil die alles in Gang hielten. Na – die pumpten also die Behälter voll – dann kauften ihnen die Multis kein Öl mehr ab. Schon stand er da mit seinem letzten Hemd.“ „Das wäre doch eine Gelegenheit für einen zweitrangigen Staat wie die Bundesrepublik, sich eine unabhängige Ölversorgung aufzubauen. Wir könnten doch ohne Mühe auch eine Tankerflotte auf Kiel legen.“ Auf diesen Einwand von Alex mußte Schütz grinsen: „Solche Sandkastenspiele wurden sicherlich veranstaltet, und in diesem Stadium stört das auch niemanden. Wenn es dann aber ernst zu werden droht, kommt schon jemand und sagt den maßgeblichen Leuten, was solche Projekte wirklich kosten. Die vereinigten Multis unterhalten eine Kriegskasse von zusammen schätzungs-weise 500 Milliarden. Die können jede Währung kaputtmachen, wenn ihre Interessen ernsthaft bedroht werden. Derart massive Mittel wenden sie natürlich nur im äußersten Notfall an – aber sie sind in der Lage dazu, und das weiß man. Von Nigeria wollen die Multis günstige Konditionen, und jetzt wird dazu ein sanfter Druck ausgeübt. Hinter den Kulissen müssen die Entscheidungen schon gefallen sein; denn letzte Woche war in der Zeitung zu lesen, die Chase-Manhatten-Bank würde in Lagos ein Bankgebäude errichten. Falls sich nun doch einer querlegt, gibt es halt wieder mal einen netten, kleinen Putsch.“ Alex war zwar schon aufgeklärt, aber das schien ihm doch zu weit hergeholt. Zwei Monate später wurde Präsident Shagari in seinem Palast in Abuja, rund sechs Kilometer von der Baustelle entfernt, gefangen genommen und ein Teil seiner Leibwache erschossen. Die Bauern auf dem großen Schachspiel sind halt entbehrlich. „Wie schätzt du die Lage in Südafrika ein?“ – fragte Alex, „die Medien berichten in letzter Zeit über jede kleine Demo.“ Die Antwort kam prompt: „Die Moral als Motivation kannst du schon mal total vergessen. Das begann schon mit dem amerikanischen Bürgerkrieg. Der wurde nicht um die Befreiung der Negersklaven geführt, sondern um den Erhalt der Union. Und dies war dann ein klarer Rechtsbruch; denn die Südstaaten besaßen das vertraglich zugesicherte Recht, aus der Union auszutreten, wenn sie dies wünschten. Schon damals lag das Sagen bei ein paar superreichen Magnaten in den nördlichen Staaten. Die ließen sich nicht von einigen Plantagenbe-sitzern im Süden ihre Märkte sperren und damit ihre Machtbasis begrenzen. Es war eine ähnliche Situation wie später mit Deutschland und Japan. Der erste Weltkrieg brach aus, weil England seine Position in der Welt durch Deutschland gefährdet sah. Und im zweiten Weltkrieg sah Amerika seine Marktinteressen in Asien durch Japan und in Europa durch unsere nationale Politik bedroht. Das Schlimmste für die Amerikaner wäre ein durch Hitler gewaltsam vereinigtes Europa gewesen. In diesem Krieg spielte England nur noch eine Vasallenrolle. Und was England wirklich ist, wenn es nicht mehr andere Völker ausbeuten kann, sieht man ja heute. Wenn die ihr Nordseeöl nicht besäßen, wären sie schon lange am Ende. Aber mit Südafrika blicke ich auch noch nicht durch. Es dürfte sich wohl ähnlich wie damals mit den Falklands verhalten.“ „Was meinst du damit?“ – fragte Alex, worauf er zur Antwort erhielt: „Daß der Krieg sich nicht um den Besitz dieser paar verschissenen Schafsinseln am Ende der Welt drehte, ist mir klar. Mit diesem Krieg erzeugte die Thatcher eine patriotische Stimmung, aufgrund dessen sie letztlich die Wahlen gewann. Oder bist du anderer Meinung?“ Schütz grinste und fuhr fort: „Deutlicher als in solchen Angelegenheiten kann nicht zutage treten, daß Wissen Macht bedeutet. Bei den Falklandinseln vermutet man Öl und andere Sächelchen. Der Präsident der Gesellschaft, der dort seine Finger drin hat, ist der Gatte dieser lieben Dame.“ Alex sagte nachdenklich: „Wie ich die Sache sehe, ist der Dreh- und Angelpunkt die Beherrschung der großen Geldströme: Wer verleiht wessen Geld und wer besitzt die größte Macht über Produktionsvermögen?“ „Vergiß die Medien nicht!“ – erinnerte Schütz, „wer im Fernsehen, Funk und Zeitungen die Daumen drauf hat, steuert die öffentliche Meinung und kann so intensiv in der Politik mitmischen.“ Alex grinste und meinte: „Das brauchst du mir nicht zu sagen. Ich frage mich schon seit Jahren bei allem: Wem nützt das, und wer will was damit erreichen? Manchmal kommt man aus dem Staunen nicht heraus.“ Seine Frau kam mit dem Baukaufmann im Schlepp. Für die Weihnachtstage konnten sie einen Aufenthalt in einem Berger-Camp in Worry vereinbaren. Das war besser als Hotels, weil man Deutsche mit ähnlichen Interessen traf, und die Camps in der Regel ordentlich und gut geführt waren. Ein solcher Gastaufenthalt in einem Camp kostete normalerweise nichts – aber zur Beteiligung an den Auslagen ließ man immer ein paar Naira da. In ihrem eigenen Camp mußten Besucher pro Nacht 40 Naira zahlen, was nach dem offiziellen Kurs 187,50 Mark bedeutete – selbst beim Schwarzmarkt-kurs immerhin noch 125 Mark. Deshalb war es ihnen kaum möglich, eine solche Gastfreundschaft mit einer Gegeneinladung zu erwidern. Sowas sprach sich natürlich schnell herum, und Alex betonte dann immer wieder, als freier Bauleiter zu arbeiten und kein Angestellter der Firma zu sein. Er war nicht bereit, derart kleinliches und raffgieriges Verhalten auch noch zu verteidigen. Das sparsame Wirtschaften war eine Sache und das Vor-denKopf-Stoßen der eigenen Landsleute eine andere. Die Fahrt nach Worry nahm einen vollen Tag in Anspruch. Immerhin waren volle 800 Km zurückzulegen. Das Nigerdelta ist das größte Flußdelta der Welt, und vom Hafen aus bis hin zum offenen Meer sind es gute 80 Km. Die konnte man nur mit einem Führer zurücklegen, sonst würde man sich hoffnungslos verirren. Im Delta hausten Räuberbanden, und die überfielen Frachtschiffe und plünderten sie aus. In Lagos gab es einen großen Hehlermarkt, auf dem man alles finden konnte. Nur etwas Zeit und Geld mußte man dazu mitbringen. Die Flußläufe im Delta waren bis zu zehn Meter tief und glasklar – eine Landschaft wie in Tarzan-Filmen. Ein Deutscher hatte vor einiger Zeit hier ein volles Jahr lang in einer Baumhütte gelebt – dann war er plötzlich verschwunden. War er etwa zurück in die Heimat gegangen? Oder in ein anderes Land? Lebte er nun mit einer Schwarzen in einem der vielen kleinen Dörfer? Oder vermoderten seine Gebeine irgendwo in einem vergessenen Winkel? Sie ließen sich mit einem Einbaum durch schmale Kanäle rudern. Manchmal mußten sie sich flach ins Boot legen, weil die Urwaldbäume über dem Wasser richtige Tunnel bildeten. Auf der Autofahrt hatten sie fünf Armee-Kontrollposten passiert, und jeder Soldat hatte ‚Frohe Weihnachten‘ gewünscht und die Hand aufgehalten. Als Alex jedesmal antwortete, Weihnachten sei erst morgen, und weiter fuhr, mußten sie noch kilometerweit über die verdutzten Gesichter lachen. Im Grunde genommen waren es arme Kerle, ebenso wie die bei der Polizei. Monatelang erhielten sie keinen Sold, weshalb sie bei Buskontrollen von jedem Fahrgast ein paar Münzen nahmen, um nicht zu verhungern. Das Camp bestand aus 22 massiven Einfamilienhäusern, von einer großen Mauer mit Stacheldraht umgeben – eine richtige kleine, nette und gepflegte Siedlung mit Rasenflächen, Blumen, Büschen, Ananas- und Bananen-stauden. Ihnen wies man ein gut möbliertes Haus zu – mit einem Hausboy, der Kaffee kochte, abwusch und saubermachte. Die Fenster und Türen waren mit Eisengittern gesichert, dennoch fand einige Monate zuvor ein Überfall statt. Einige Neger waren dabei über die Mauer geklettert und hatten ein Ehepaar durch das Fenster mit einem Revolver bedroht und so gezwungen, die Haustür zu öffnen. Dann hatten sie die Frau vergewaltigt und die Wertsachen weggeschleppt. Und weil dies alles so einfach abgelaufen war, kamen sie dann einige Wochen später wieder. Inzwischen jedoch hatte sich der Mann ein Jagtgewehr zugelegt und damit ballerte er auf den ersten Neger, der zur Tür hereinkam, eine Schrotladung in den Bauch. Die anderen entkamen. Die Polizei traf nach einer Stunde ein, und nach Schilderung der Sachlage erledigte einer den schwer verwundeten Neger gleich an Ort und Stelle mit einem Genickschuß. Kein Gerichts-verfahren – keine Kosten. Seitdem war nichts mehr geschehen. Mauern, Stacheldraht und Gitter schützen weniger wirkungsvoll als die richtige Einstellung eines Angegriffenen. Etwas außerhalb der Stadt, an der Hauptstraße, hatte ein Juju sein Haus. Er war ein Zauberer oder auch Medizinmann und nannte sich ‚Doktor der Naturheilkunde‘. Bei der Einweihung von Straßen und Bauprojekten kam ihm eine wesentliche Bedeutung zu. Bei der Eröffnung von Geschäften und Lokalen erteilte er gegen ein angemessenes Honorar seinen Segen. Die Gruppe bestand aus sechs Personen, und sie waren mit einem Ford Transit unterwegs. Alex mit seiner Frau Karin, zwei deutsche Elektro-monteure, von denen einer seine langjährige nigerianische Freundin dabei hatte und schließlich ihr einheimischer Fahrer. Karin wollte unbedingt diesen Juju kennenlernen. Der Fahrer zitterte vor Angst, und der schwarzen Freundin des Monteurs war augenscheinlich auch nicht wohl in ihrer Haut. Diese beiden blieben im Auto sitzen und waren durch nichts zum Aussteigen zu bewegen. Die Männer betrachteten noch den hölzernen, geschnitzten Figurenstamm vor dem Haus, als Karin den Juju schon eingewickelt hatte, sie an der nächsten Sitzung teilnehmen zu lassen. Der Juju war schon grauhaarig, wohlgenährt, mit klugen Augen versehen und manchmal auch mit verschmitzt lächelndem Gesichtsausdruck. Er sei ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, erklärte er, und die Feinde seiner Freunde könne er sogar in Amerika und Europa erreichen und vernichten. Seine gesamte Kraft käme von Gott, und er sei nur das Werkzeug. Im Dschungel hinter seinem Haus waren Kreise angelegt, mit Bastvorhängen abgetrennt. Im inneren Kreis lagen bemalte Knochen und noch allerlei merkwürdige Dinge herum. Zu ihrem Ärger durfte Karin noch nicht einmal den äußeren Kreis betreten. Sie gelangten in die große Halle, setzten sich auf die umlaufenden, gemauerten Bänke, und jeder erhielt eine Kokosnuß und ein Glas mit selbstgebranntem, erstklassigen Kräuterschnaps. Der Juju nahm in einem mit Schnitzereien reichhaltig versehenen Sessel Platz, während sich allmählich eine Menge Leute versammelten. Die legten gefesselte Haustiere vor ihm nieder und warfen sich vor ihn auf den Boden. Als die Halle gut gefüllt war, hielt er eine Rede, versprach seinen Besuchern seinen Schutz auf allen ihren Wegen, segnete die Tiere, seine Anhänger und alle Menschen, die reinen Herzens sind. Alex hatte die ganze Zeit über fleißig Fotos geschossen. Später auf der Baustelle erzählte er seinen Leuten die Geschichte und heftete ein paar Fotos an die Tür seines Büros und auch einige an die Tür seines Werkzeuglagers. Seit diesem Tag wurde aus seinem Bereich kein einziger Nagel mehr geklaut. Kaum waren sie von ihrem Weihnachtstrip zurück, ging nach einigen Tagen die Nachricht vom Sturz des Präsidenten Shagari um. Der war zweimal auf der Baustelle gewesen. Alex hatte ihm das Musterzimmer gezeigt und ihn recht sympathisch gefunden. Ein paar Tage verließen sie ihr Camp nicht, bis sich die Lage etwas beruhigt hatte. Nach etwa einer Woche begann sich die Lage zu normalisieren, und außer verstärkten Straßenkontrollen hatten sie nichts weiter bemerkt. Die ersten Straßen in diesem Gebiet waren schmal, gewölbt und schon total hinüber. Auf manchen Strecken war nur Schrittempo möglich. Selbst der beste Slalomfahrer hatte enorme Schwierigkeiten, allen Schlaglöchern auszuweichen, oder zumindest doch den meisten. Die Gegend um Abuja wurde von vielen kleinen Flüssen durchzogen, und die Brücken bildeten ein Paradebeispiel dafür, wie man aus öffentlichen Aufträgen Geld beiseite schaffen kann: Die Brücken waren nur halb so breit wie die Straßen. Da in Nigeria die Regel gilt, daß derjenige, der zuerst da ist, Vorfahrt hat, landete der Schwächere dann oft im Fluß. Die späteren Straßen von Strabag waren für Afrika viel zu schade. Sein zweites Ostern in Nigeria rückte näher. Erst wollte er einen Ausflug zu einem riesengroßen Stausee an der Grenze zu Mali unternehmen. Dort sollte es angeblich Schweinefische von mehreren Zentnern Gewicht geben. Aber dann machte er doch lieber eine Woche Urlaub in Togo. Er war wirklich urlaubsreif. Zwar machte ihm die Arbeit selbst nichts aus, da war er belastbar. Aber die kleinlichen Intrigen und unnützen Hakeleien verleideten ihm immer mehr den Spaß an der Arbeit. Die Vorarbeiten wurden immer schlechter, und seine Mängelrügen immer weniger beachtet. Fritz erlaubte sich Fehler, für die ihn ein anderer nach Hause geschickt hätte. Aber Alex hatte ein gutes Gedächnis und in seinen Bauplänen wußte er Bescheid. Je weiter der Baufortschritt, um so unentbehrlicher wurde er für Dresse. Seine Frau Karin blieb. Sie wollte ihn in diesem moralischen Sumpf nicht alleine lassen. Alex bewohnte immer noch sein Einzelappartement. Vor seiner Tür hatte er eine Veranda angebaut, die rasch zu einem beliebten Treffpunkt geworden war. Dauernd kamen Telexe aus Hamburg an, worin angefragt wurde, warum die einzelnen Gewerke ihr Budget überschritten. Nur Alex machte Plus in seinen Gewerken. Einer seiner deutschen Vorarbeiter erhielt von Dresse ein Doppelappartement angeboten. Wieder so ein Schienbeintritt-Versuch von Dresse. Alex lachte nur. Alexanders Auto wurde wochenlang nicht repariert, obwohl die Hälfte der Mechaniker nichtstuend herumlungerte. Er ging zu Strabag. Max, der Werk-stattleiter, half ihm sofort. Alex revanchierte sich mit einer Flasche Brandy. Als Ausgleich für den kleinkarierten Ärger setzte Alex für seine Vertragsverlängerung eine Spesenerhöhung von 500 auf 750 Naira durch. Nolz, der Projektprokurist, kam zur Inspektion, lobte die falschen Leute und fragte Alex, weshalb so viele seiner Kollegen unterschwellig was gegen ihn hätten. Warum fragt er so dumm? – dachte Alex, oder ist der am Ende so blöd? Laut erwiderte er: „Wer Erfolg hat, hat auch viele Neider. Und leider liegt es in der Natur der Sache, daß sich alle anderen Gewerke vor mir befinden, und ich daher meinen Vorgängern laufend wegen Mängel und Terminüberschreitungen in den Hintern treten muß. Es gibt zwei Arten von Kollegen: die eine Sorte ist selbstbewußt und kann auch mal einen Fehler zugeben, und die andere Sorte unternimmt jeden möglichen und unmöglichen Klimmzug, um Fehler von sich wegzuschieben. Leider befinden sich hier auf der Baustelle nur wenige der erstgenannten Garnitur.“ Für die Fliesenarbeiten hatte Alex einen interessanten Subunternehmer: Franzose, seit dreißig Jahren in Afrika; als Priester gekommen, um die Heiden zu missionieren, war er den animalischen Reizen der eingeborenen Frauen unterlegen. Jetzt hatte er mit der dritten Frau insgesamt bereits zwölf Kinder. Dazu ein schönes Haus in Togo. Und nun zog er mit einem runden Hundert Togolesen von einer Baustelle zur anderen und machte so ziemlich alles, was Geld einbrachte. Mit ihm zusammen fuhr Alex und seine Frau per Auto in den Osterurlaub. Drei andere Kollegen wollten auch nach Togo, nahmen aber das Flugzeug von Kaduna über Lagos nach Lome. Die Fahrt dauerte volle zwei Tage. Sie übernachteten bei Benin City in einem Kloster irischer Mönche. Dies waren sechs Männer, alle über sechzig. Die standen morgens um fünf Uhr auf, beteten bis sieben, frühstückten eine halbe Stunde und arbeiteten dann auf dem Feld bis abends. Nach dem Abendessen beteten sie wieder und gingen dann schlafen. Sie lebten ausschließlich von den Erzeugnissen ihrer Feldarbeit, backten Brot, kochten Marmelade, hielten Hühner und nebenbei unterrichteten sie auch noch jeweils hundert Neger. Es waren liebe und nette alte Herren. Alle hatten wissenschaftlich gearbeitet oder Bücher geschrieben. Nun hatten sie ihren Platz im irischen Kloster für Jüngere frei gemacht und waren zum Sterben nach Afrika gekommen. Beim Essen wurde nicht gesprochen. Einer der Mönche saß abseits und las aus der Bibel vor. Karfreitag am Abend waren sie eingetroffen. Der Franzose übernachtete bei den Mönchen und betete auch mit ihnen zusammen. Alex und seine Frau erhielten ein Gästehaus, klein, einfach möbliert und sehr sauber. Mitten in der Nacht ertönten Trommeln, Schreie, Heulen und auch Gewehrsalven. Alex dachte schon an einen neuen Putsch oder an einen Stammeskrieg. Aber einer der Mönche erklärte, im Nachbarort sei der Häuptling gestorben und wurde gerade beerdigt. Das Kloster lag auf einer Anhöhe mitten im Dschungel, umgeben von Feldern mit Gemüse, Yam, Ananas- und Bananenstauden. Am nächsten Morgen hatten sich fast tausend Neger zu einer Prozession versammelt. Sie schleppten ein riesiges Holzkreuz, knieten alle zehn Meter nieder, beteten und sangen Choräle. Fast zwei Stunden lang blockierten sie so die Zufahrt zum Kloster. Es war ungemein eindrucksvoll, welche Achtung und Verehrung den Mönchen zuteil wurde. Der Franzose kannte alle Grenzbeamten und hatte für jeden einen Händedruck. Bei einem einfachen Beamten faßte er vorher in die Tasche mit den Ein-Naira-Scheinen und bei einem Offizier in die mit den Fünfern. „Nur ein bischen geben“, meinte er, „gerade soviel, um die Freundschaft zu erhalten.“ In Togo sah die Welt gleich anders aus. Die Straßen waren sauber gekehrt, und es gab nette Geschäfte. In einem Café erhielten sie guten Kaffee und knusprige Schinkenbrötchen. Togo kämpfte mit einem besonderen Problem: Die Küstenstraße wurde vom Meer aufgefressen, und die dahinter liegenden Häuser würden auch bald dran sein. In der Hauptstadt Lome gab es ein paar große Touristenhotels mit erstklassigem Service, Essen und Folkloredarbietungen. Alex fand ein Zimmer im deutschen Seemannsheim - einem Hotel mit großem Garten, Pool, Bar und gut bestückter Bibliothek. Dieses Seemannsheim war der Trampertreffpunkt von Westafrika. Hier landeten alle Saharadurchquerer, traf sich die deutsche Kolonie bei Kaffee mit Pflaumenkuchen, und die Nutten an der Bar waren lieb und nett, wenn sie um einen Drink oder eine Zigarette baten. Der deutsche Pfarrer als Leiter hatte es aufgegeben, die leichten Mädchen aussperren zu wollen. Rein äußerlich konnte man sie nicht von respektablen Ehefrauen oder Töchtern aus gutem Hause unterscheiden. Ein Mitnehmen in die Zimmer des Hotels war allerdings nicht gestattet. Am nächsten Tag schliefen sie lange, frühstückten im Gartenpavillon und schwammen danach ein paar Runden. Dann wanderten sie am Strand entlang, sahen den Fischern beim Einholen der Netze zu und besuchten den Markt. Der wurde von Frauen beherrscht. Es war bunt, lebhaft und laut. Alex suchte ein Reisebüro und erkundigte sich nach einer Flugverbindung nach Timbuktu. Doch die war leider zu ungünstig. Der Name dieser sagenumwobenen Wüstenstadt besaß für ihn einen magischen Klang. Auch nicht so schlimm, dachte er, aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Abends saßen sie mit einem älteren Deutschen zusammen, der wie das Urbild eines Seebären aussah. Er fuhr seit zwanzig Jahren die Küste rauf und runter, reparierte die Leuchttürme von Marokko bis Kapstadt. Er kannte alle Stämme, Häuptlinge und Zauberer sowie deren Geschichten. Das war es, was Alex gefiel. Sich mit interessanten Leuten zu unterhalten, eine fundierte Meinung zu hören und sich durch wahre Fakten bilden zu können. An das Seemannsheim angegliedert war ein separates Restaurant. Diesmal leider geschlossen, denn es wurde gerade ein neuer Pächter gesucht. In der Stadt gab es einen deutschen Supermarkt – sagenhaft preiswert und gut sortiert. Hier würde Alex auf jeden Fall mal wieder herkommen, und sei es nur, um nach Timbuktu zu fliegen. Seine Kollegen kamen zu Besuch und erzählten begeistert von ihrem schönen Hotel. Doch aus jedem Wort klang die Abneigung über die anderen langweiligen Gäste – meist Neckermann-Touristen. Sie staunten, welche Typen sich an einem Ort treffen können, und lauschten hingerissen den Erzählungen des Leuchtturmspezialisten über die gefürchteten Amazonen-heere des untergegangenen Beninreiches und über die Opferungen von Kriegsgefangenen. Ein Stück weiter südlich gab es ein ehemaliges Königshaus mit in Holz geschnitzten Darstellungen aller damals üblichen Foltermethoden zu bewundern. Einige Deutsche aus Worry und Lagos waren ebenfalls zu einem Kurzurlaub anwesend und steuerten einige Erfahrungen bei. Insgesamt wurde es ein lustiger Abend. Die anderen mußten am nächsten Tag zurückfliegen, um Dienstags wieder rechtzeitig auf der Baustelle zu sein. Alex gedachte seinen Urlaub intensiv zu nutzen. Plötzlich schwirrten Gerüchte umher. Nigeria hätte über Ostern eine Währungsreform durchgeführt – die alten Naira würden nur noch bedingt in Neue Umgetauscht. Alle Grenzen seien dicht und sogar der Flugverkehr sei unterbrochen. In den folgenden Tagen bekamen eine Menge Leute ernste Probleme. Viele mußten länger bleiben als geplant, und keiner wollte ihnen noch die alten Naira abnehmen. In der ersten Woche durfte kein Auto die Grenze passieren, und sogar manches Flugzeug mußte umkehren. Auf dem Flughafen von Lome war die Hölle los. Die Flugzeuge mußten den ins Stocken geratenen Autoverkehr zusätzlich bewältigen. Viele Leute besaßen NairaKonten in Nigeria, die nun zu verfallen drohten. Die Organisation in vielen Bereichen brach total zusammen. Alexanders Kollegen fuhren täglich zum Flughafen und kamen mit hängenden Köpfen wieder. Alex besaß genügend Geld, aber die anderen gerieten in die Klemme. Ihre Rettung war der Franzose. Er löste ihre Schecks ein. Über die Bank hätte das ein paar Wochen gedauert. Am Samstag kamen die anderen endlich weg. Alex wollte am Sonntag fliegen. Dann würden ihm seine Kollegen ihm rechtzeitig den Fahrer nach Kaduna schicken können. Denn wer wußte, ob die Taxifahrer noch die alten Naira nehmen würden. Fast wären sie nicht weggekommen, denn trotz Tickets waren keine Bordkarten mehr vorhanden. Alex suchte den Manager und erzählte ihm von der großen Baustelle in Abuja. Und daß er 200 Togolesen entlassen müßte, falls er nicht rechtzeitig zurück käme, und denen würde er erzählen, daß der Flughafenmanager von Lome schuld sei. Der sah ihn entsetzt an und hatte plötzlich noch zwei freie Plätze für Alex und seine Frau. In Lagos wurde übergenau kontrolliert. Wer mehr als 50 Naira besaß, wurde sofort verhaftet und, wie Alex später hörte, zu fünf Jahren Straflager verurteilt. Karin schimpfte wie ein Rohrspatz: „Schau dir das Durcheinander an – keine Organisation. Warum mußt du in so einem fürchterlichen Land arbeiten? Die sind doch niemals in der Lage, ein funktionierendes Staatswesen aufzubauen.“ Alex versuchte sie zu bremsen: „Hör bloß auf. Wenn hier einer Deutsch versteht, bist du ruckzuck verhaftet.“ Sie waren bei der Kontrolle an der Reihe. Der Beamte öffnete sogar die Cremedosen. Im Brillenetui fand er 80 Naira. Alex grinste und meinte auf Englisch: „Das ist ihre geheime Reserve. So sind nunmal die Frauen.“ Der Beamte hob den Zeigefinger und sagte in gutem Deutsch: „Ich hoffe, das machen Sie nicht noch mal.“ Karin wurde blaß, packte ihre Sachen zusammen, und sie machten sich aus dem Staub. Glücklicherweise waren die weiblichen Beamten gerade beschäftigt, denn am Körper hatte sie noch einmal 100 Naira versteckt. Ihre 80 Naira hatte Karin sogar behalten dürfen. Sie besaß zudem noch 50 erlaubte, ebenso wie Alex, und so hatten sie zusammen 280 Naira. Damit müßte eigentlich bis nach Abuja zu kommen sein. Mit dem Taxi fuhren sie vom internationalen zum nationalen Airport. Es zeigte sich jedoch, daß das O.k. im Ticket nichts wert war. Eine Schlange von gut hundert Metern wartete vor dem Bordkartenschalter. Nach einer Stunde in der Schlange waren sie ganze drei Meter vorgerückt. Und die letzte Maschine würde in zwei Stunden starten. Ein paar Geschäftemacher wieselten herum. Sie schienen zusammen zu gehören. Alex sprach sie an: „Könnt ihr mir zwei Bordkarten besorgen?“ Sie konnten, und nach einem kurzen Feilschen einigten sie sich auf hundert Naira. Ein wahrhaft fürstlicher Preis – ein Arbeiter verdiente am Tag auf der Baustelle sechs Naira. Aber Angebot und Nachfrage regeln nunmal überall auf der Welt den Preis. Alex gab dem Größeren die Tickets und drohte: „Dein Bruder bleibt hier bei mir. Wenn du mit den Tickets verschwindest, breche ich ihm beide Arme.“ Der Kleinere besah sich Alexanders breite Schultern und seine Oberarmmuskeln und rollte mit den Augen. Zehn Minuten später hatte Alex seine Bordkarten. Das Flugzeug startete fast pünktlich zu seinem 1000 Km Flug. Als sie in Kaduna landeten, war es schon dunkel. Der Flughafen lag außerhalb, und die Taxifahrer wollten nicht mehr fahren. Einen konnte er überreden mit den Worten: „Ich war heute morgen noch in Togo, hatte in Lagos eine Menge Ärger, und wenn uns jetzt noch unterwegs ein Räuber überfallen will, wird das sehr gefährlich für ihn, denn dann wird er meine ganze aufgestaute Wut zu spüren bekommen.“ Der Neger lachte und brachte sie zu einem der beiden guten Hotels. Sie erhielten noch ein prima Abendessen und waren froh, die Reise so gut wie geschafft zu haben. Am folgenden Morgen war wie schon am Vorabend kein Firmenfahrer da. Sie nahmen ein Taxi und trafen zwei Stunden später im Camp ein. Für seine Urlaubswoche hatte Alex seinen Vormännern einen genauen Arbeitsplan aufgestellt. Dresse jedoch hatte seine Vormänner ersatzweise für die in Togo festgehaltenen Bauleiter verwendet. Die hatten natürlich von deren Arbeit keine Ahnung, und zudem wurde ihre eigene Arbeit auch nur halb oder total falsch erledigt. Alex benötigte eine volle Woche, um wieder einigermaßen Ordnung in den Laden zu kriegen. Christian, der Projektleiter aus Hamburg, ein sehr fähiger Mann, schickte seinen Assistenten Lusche, der die Fliesen und die abgehängten Decken eingekauft hatte. Der Fliesenkatalog, von ihm erstellt, stimmte weder vorne noch hinten. Alex mußte ständig die Flächen neu berechnen, den Lagerbestand feststellen und die Fehlmenge nachbestellen. Diese überflüssigen Arbeiten kosteten viel Zeit. Bei den Flurdecken in den Gästezimmern hatte er Glück. Er vereinfachte die Unterkonstruktion und sparte dadurch 25 Prozent Material ein. Bei 800 Zimmern blieb so eine ganze Menge übrig, die man anderswo dringend brauchen konnte. Lusche war eigentlich nicht übel, aber schon sehr deformiert nach dem Motto: Bloß keine Fehler zugeben und den eigenen Job sichern. Telexe wurden abgeschickt mit verdrehten Fakten, ohne daß Alex eine Gelegenheit zur Stellungnahme erhielt. Nur hin und wieder hörte er hinten herum davon. Langsam war er alles leid. Gern war er bereit, für gutes Geld exzellente Arbeit zu leisten. Aber mit Lügen, Intrigen und Verdächtigungen wollte er nichts zu tun haben. Wenn eine Firma solche Machenschaften nicht stoppen kann, verfügt sie halt über Mitarbeiter, die sie verdient. Einer der Juntageneräle besuchte die Baustelle. Sie wollten die Projekte auswählen, die man mit den knappen Mitteln weiterbauen könnte, der Rest sollte stillgelegt werden. So würde Abuja der größte Flop in ganz Afrika werden. Drei große Hotels hatten sich im Bau befunden. Ihres war am weitesten fortgeschritten, bis auf einige Arbeiten war es im Grunde fertig und einsatzbereit. Die Zimmer waren bewohnbar, Wasser und Licht funktionierten, die Küche war fertig und sogar Telefon und Fernseher waren rundum installiert. Nur weit und breit waren keine Gäste in Sicht, die einen Grund herzu-kommen gehabt hätten. Einige spekulierten, der Bau sei als Armeehaupt-quartier doch bestens geeignet. Vielen tat es leid um die vertane Zeit und Mühe für den Fall, daß der Bau tatsächlich als Ruine enden würde. Aber die Entscheidung war bereits gefallen. Nigeria befand sich mit erheblichen Zahlungen im Rückstand, und deshalb wurde das Projekt einfach in die Gewährleistungsphase überführt. Alex suchte einen Käufer für sein Auto. Es gefiel vielen, aber kaum einer verfügte über das notwendige Geld. Ein Nigerianer aus ihrem Personalbüro wollte die notwendigen Naira locker machen. Als Dresse davon Wind bekam, wurde ihm als Prämie ein gebrauchter Baustellen-VW geschenkt. Alex mußte einen neuen Käufer suchen. Schließlich aber stellte er sein Auto bei Strabag unter und überließ den Verkauf seinen Freunden bei den anderen Firmen. Wie immer hatte sich im Laufe der Monate auch hier eine Menge an Krempel angesammelt. Einen Teil seiner alten Kleider verschenkte er an seine darüber hocherfreuten Neger. Der Rest kam in die große Metallkiste zum Heimtransport durch die Firma. Was dann auch sein letzter Fehler war, denn als die Kiste in Deutschland ankam, fehlte die Hälfte. Eine Prämie, die für gute Leistung zugesagt war, wurde natürlich auch nicht ausgezahlt. Aus Spanien mußte er später dann noch ein paarmal telefonisch die Überweisung der letzten beiden Gehälter anmahnen. Am Ende fehlten dann 3.500 Mark, also war die Woche in Togo doch nicht bezahlt worden. Seine Frau schimpfte. Alex zuckte mit den Schultern und meinte: „So ändern sich halt die Zeiten. Beim nächsten Mal kann ich auch bei einer Negerfirma anheuern, denn bei der rechnet man von vornherein mit sowas.“ Aber ein nächstes Mal würde es nicht geben. Er würde sich was anderes ausdenken. Denn selbst als freiberuflicher Bauleiter war er letztlich doch zu abhängig. Wenn Alex später in Spanien verständnislos dem Gehabe englischer Urlauber zusah, mußte er immer wieder an eine Episode in Nigeria denken, die sich abspielte, als er eine seiner Ausflugsfahrten ohne Frau unternahm. Sie hatte es damals vorgezogen im Camp zu bleiben und sich die Zeit damit zu vertreiben, ausführliche Briefe an die Kinder zu schreiben. Durch den Militärputsch an Neujahr 1984, durch den Präsident Shagari gestürzt wurde, ruhte die Bautätigkeit eine Woche lang. Alle Ausländer sollten ihre Camps oder Häuser nach Möglichkeit nicht verlassen. Alex jedoch machte sich mit seinem Jeep auf den Weg nach Kamerun. Alle paar Kilometer waren Armee-Kontollposten eingerichtet. Die Polizei war entwaffnet und hatte praktisch aufgehört zu existieren. Alex traf auf seinem Weg nicht auf Schwierigkeiten. In hartnäckigen Fällen half ihm sein Foto aus Bundeswehrtagen, worauf er in Uniform und mit Waffen zu sehen war. Die Neger glaubten mehr den Erzählungen ihrer Vorfahren als den aus Neid geborenen Propagandafilmen, in denen Deutsche als dumm brutal dargestellt wurden. Nach ihren Legenden sind Deutsche die besten Soldaten der Welt. Gegen Mittag des zweiten Tages sah er eine größere Kreuzung kurz voraus, rechts daneben eine Buschbar und mitten auf der Kreuzung einen Polizisten, der den so gut wie nicht vorhandenen Verkehr regelte. Alex stoppte vor der Kreuzung, stieg aus, ging auf den Polizisten zu, fragte ihn nach dem Weg und lud ihn zu einem Bier ein. Er bezahlte, prostete dem Polizisten zu, trank einen Schluck, holte seinen Jeep und parkte direkt vor dem offenen Rast-haus. In der Ecke saßen drei Engländer, die den Vorgang mit großen Augen beobachtet hatten. Einer stand auf, kam zu Alex, grüßte und fragte: „Kennst du den Polizisten? Kannst du uns helfen, denn wir sitzen in der Klemme?“ Alex grinste und antwortete: „Ihn kenne ich zwar nicht, aber ihre Tricks.“ Die Engländer waren auf die Kreuzung zugefahren. Der Polizist hatte freie Fahrt angezeigt und sich im letzten Moment gedreht und somit die Fahrtrichtung gesperrt. Niemand kann so blitzschnell bremsen und anhalten. Die Engländer waren erst hinter der Kreuzung zum Stehen gekommen. Sofort waren sie von weiteren Polizisten umringt, und als sie die hundert Naira Strafe mangels ausreichendem Bargeld nicht zahlen konnten, wurde kurzerhand ihr Range-Rover beschlagnahmt. Engländer konnte Alex, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht leiden. Dennoch konnte er diese Trottel nicht einfach im Stich lassen. Also tauschte er Pfund gegen Naira im Verhältnis eins zu eins – ein gutes Geschäft. Die Engländer waren heilfroh wegzukommen, denn Busse zur nächsten Stadt verkehrten nicht, und die Banken hatten für unbestimmte Zeit geschlossen. Die Zeiten waren schlecht für Reisende mit wenig Bargeld und ungenügender Erfahrung. Nach zweihundert Kilometern erreichte Alex die Grenzstadt Enugo. Die Engländer hatten sich immer dicht an ihn gehalten. Nun ging die Sonne unter, wie in den Tropen üblich innerhalb von zehn Minuten. Der Kameruner Grenzposten blätterte in seinem Paß und fragte ihn in tadellosem Deutsch mit Berliner Dialekt: „Wo lebst du in Deutschland?“ Alex war müde von der Fahrt, schaltete aber dennoch schnell und gab zur Antwort: „Ich bin natürlich aus Berlin.“ Der Neger stieß einen röhrenden Schrei aus und deutete auf ein hellerleuchtetes Haus: „Fahr dorthin. Das Hotel gehört meinem Bruder. Heute abend gibt es ein Fest. Du bist der erste Berliner seit einem halben Jahr.“ Fünf Minuten später saß Alex auf der breiten Veranda und genoß ein kühles Bier, aus einer Brauerei in der Stadt, wie ihm versichert wurde. Er erhielt das beste Zimmer. Der Hausboy schleppte sein Gepäck nach oben, und zwei Stunden später war die ganze Sippe versammelt. Das Festgelage dauerte bis weit nach Mitternacht. Alex hatte deutsche Lieder zu singen und wurde mit Leckerbissen derart vollgestopft, daß er fürchtete, danach eine ganze Woche lang keinen Bissen mehr hinunter zu kriegen. Von den Engländern hörte er den ganzen Abend nichts. Gott sei Dank, dachte er, schließlich bin ich kein Kindermädchen. Als er am späten Vormittag aufstand und duschte, warteten der Wirt und der Grenzposten schon auf der Veranda mit dem Frühstück auf ihn. Seit langer Zeit mal wieder bekam er in einem afrikanischen Hotel vernünftigen Kaffee vorgesetzt. Bei den Brüdern erkundigte er sich gerade nach interessanten Reisezielen in Kamerun, als er Tom, einen der Engländer, mit suchendem Blick die Straße heraufkommen sah. Als er Alex erblickte, winkte er und begann zu laufen. „Ich bin froh, daß ich dich gefunden habe“, rief er, „die wollen uns doch nicht über die Grenze lassen.“ „Wie denn das?“ fragte Alex erstaunt und sah den Grenzposten fragend an. Der lehnte sich gemütlich zurück und sagte: „Seit dem ersten Januar benötigen Europäer bei der Einreise nach Kamerun ein Visum.“ „Aber, aber“, stotterte Tom verblüfft, „wie sollten wir das wissen? Und den Deutschen habt ihr doch auch hereingelassen.“ Der Grenzposten stand langsam auf, setzte seine Mütze auf den Kopf und deutete landeinwärts. „Siehst du diese Eisenbrücke über den Fluß?“ fragte er, und Tom nickte. „Diese Brücke baute das bayrische Pionierbatallion 1909, und sie steht heute noch. Ihr Engländer dagegen habt das Land nur beraubt und ausgeplündert. Deshalb bekommt mein Freund Alexander von mir ein Einreisevisum. Und ihr fahrt zurück nach Lagos und besorgt euch dort eins.“ Tom schaute Alex ratlos an, welcher sich das Lachen verkniff und meinte: „Da kann ich auch nichts machen, das ist eben der berühmte kleine Unterschied. Ihr Engländer habt uns den Krieg erklärt und mit Hilfe der halben Welt gewonnen und dabei nur euer Empire verspielt.“ Ohne eine Miene zu verziehen, drehte sich Tom um und ging zurück. Manche Engländer können eben in jeder Situation Haltung bewahren. Frankfurt Das Wochenende war neblig und trüb. Zeitweise nieselte es – die typische Zeit für Kaminabende zu zweit oder allein das Spiel der Flammen zu beobachten. Zeit für gute Gespräche, ein Buch, einen guten Schluck! Alex schüttelte lächelnd die Träumereien aus seinem Kopf. Haferkamp und der Rechtsanwalt sichteten immer noch die erbeuteten schriftlichen Unterlagen. Über weitere Aktionen sollte erst beraten werden, wenn das ganze System in seinen Verästelungen offen daläge. Da stand noch eine gewaltige Aufgabe an. Die Hauptagenten waren auszuschalten und ihre Unterlagen ebenfalls zu erbeuten. Für die Agenten wie Neumann war ein Weg der Bestrafung zu finden, denn juristisch würde ihnen kaum beizukommen sein. Die ganze Angelegenheit der Justiz übergeben, würde einen Schlag ins Wasser bedeuten. Die großen Fische würden davonkommen, und bei den kleinen würden oft die Beweise nicht ausreichen, und die Geschädigten dürften wohl leer ausgehen. Besser der Zorn der Gerechten würde über die Gottlosen kommen; schnell, unbarmherzig und ohne eine Möglichkeit der Revision. Sie konnten sich Zeit nehmen. Harris war eines natürlichen Todes gestorben, seine Helfer dürften nur zeitweilig gemietet gewesen sein, und die würde man kaum mit ihm in Verbindung bringen. Der Tod seines Butlers zur gleichen Zeit gab Rätsel auf, und die Sippschaft würde nun erst mal eine zeitlang in Deckung gehen. Wenn nichts passierte, würden sich die Ratten nach einiger Zeit wieder aus ihren Löchern wagen. Und dies würde dann für Alex und seine Verbündeten der Zeitpunkt sein, konzentriert zuzuschlagen. Zwar hatte Alex bereits seine persönliche Genugtuung. Aber er ließ nie eine Aufgabe halb vollendet hinter sich. Das Haupt der Medusa mußte abgeschlagen werden und dies spurlos. Dieser Schlag mußte kommen wie ein Flammenschwert aus dunkler Nacht. Ohne jegliches Hinterlassen von Spuren, denn sonst würden die Beteiligten an die Abfassungen ihrer Testamente denken müssen. Auf sein Inserat waren 26 Zuschriften eingegangen. Am Samstag begann er, die Spreu vom Weizen zu trennen. Mit seinem geplanten Unternehmen wollte er im Rahmen seines Berufes bleiben nach dem Motto: Schuster, bleib bei deinen Leisten! Solange es geht jedenfalls. Er wollte an der spanischen Costa del Sol leben und in Arabien Hotels renovieren. Viele reiche Araber kommen im Urlaub nach Andalusien, um ein Stück Europa zu sehen, das sie einmal über einige Jahrhunderte beherrscht hatten. Eine gute Gelegenheit, persönliche Kontakte zu knüpfen und sich kennen zu lernen. Die bestehenden Hotels in Arabien mußten zwischenzeitlich langsam renovierungsreif sein. Deutsche Handwerker sind nun mal weltweit die besten. Und als Organisator war Alex schlechthin unschlagbar. Ein Mann mit einem guten Team, ohne den Wasserkopf einer großen Firma, würde praktisch konkurrenzlos sein. Er brauchte Handwerker, die bereit sein würden, ein halbes Jahr in Arabien zu arbeiten, und zum Ausgleich anschließend ein halbes Jahr lang Urlaub zu machen. „Weshalb wollen Sie das nicht von Deutschland aus betreiben?“ fragte ihn einer. „Aus zwei Gründen. Erstens will ich im Süden leben. Die Menschen dort sind angenehm. Die nehmen nicht alles so verbissen. Und dann sehe ich nicht ein, mit meinen Steuern Beamte und Asylanten zu füttern. Dreiviertel kommen doch nur her, weil sie in ihrer Heimat keine Arbeit und somit auch nichts zu kauen haben. Bei denen gibt es kein Arbeitslosengeld. Der Rest kommt, weil in seinem Land gerade Bürgerkrieg tobt oder eine Diktatur herrscht. Aber durch Weglaufen löst man keine Probleme wirtschaftlicher Natur. Hätten die Vietnamesen sich nicht zu Marionetten der Amis machen lassen, bräuchten sie jetzt nicht in Nußschalen übers Meer zu fliehen. Ich bin der Meinung, solche Länder sollte man wie einen kochenden Kessel behandeln. Die Verhältnisse regeln sich dann schon von selbst. Die Minderheit paßt sich an, und die Mehrheit macht Konzessionen, weil andernfalls der Kessel explodieren würde. Weshalb sollen wir für die Unfähigkeiten anderer Länder bezahlen und dazu auch noch im eigenen Land erhebliche Nachteile hinnehmen? Das Asylrecht wurde geschaffen für verfolgte Schriftsteller, Bürgerrechtler und verwundete Widerstandskämpfer, falls sie für die richtige Sache kämpfen, und nicht für Menschen, die auf Kosten anderer leben wollen.“ Die interessierten Handwerker waren leicht zu sortieren. Zunächst war jeder begeistert. Aber Alex beanspruchte eine Sicherheitsleistung von 10.000 Mark, weil damit sichergestellt wurde, daß sie nachher auch tatsächlich mitmachen und ihn nicht hängen lassen würden. Dazu sollte jeder, der mitmachen wollte, noch einmal eine Reserve von 10.000 Mark zur Verfügung haben, sowie ein Auto und das notwendige Werkzeug mitbringen. Kein Angestelltenvertrag winkte, alle sollten auf selbständiger Basis arbeiten und abrechnen. Wer als Handwerksmeister im Alter zwischen dreißig und fünfzig Jahren keine 20.000 Mark aufbringen kann oder nicht bereit ist, 10.000 Mark als reine Sicherheit zu hinterlegen, ist für das Vorhaben ohnehin nicht geeignet. Einige besaßen keine müde Mark. Andere wollten ihre Garantieleistung übergründlich abgesichert haben und wieder andere hatten sich lediglich etwas schlau machen wollen, also schnüffeln ohne ernsthaftes Interesse. Kaum zu glauben, wie viele Narren sich ihm da offenbarten, die tatsächlich glaubten, hervorragende Chancen zu einer interessanten und lukrativen Existenz ohne Gegenleistung einfach geschenkt zu bekommen. Von allen Zuschriften blieben am Ende gerade drei Mann übrig. Also würde er in anderen Zeitungen überregional weiter inserieren müssen. Das gleiche wiederholte sich bei seinen Gesprächen mit potentiellen Lieferanten. Alex wollte ausschließlich deutsche Produkte verwenden, denn da kannte er sich aus. Im Zweifelsfall würden deutsche Gerichte zuständig sein und es würde die VOB (Verdingungsordnung für Bauleistungen) angewendet. Da er sich die meiste Zeit in Spanien oder Arabien befinden würde, müßte ein zuverlässiger Agent das Material einkaufen und transport-mäßig abwickeln. Zwei Lieferanten würden vollkommen ausreichen. Sie würden sich ergänzen und ersetzen müssen, wenn mal einer ausfiele oder passen müßte. Die Gewinnaussichten waren sehr zufriedenstellend. Bei einem mittelgroßen Hotel würden allein neue Teppichböden eine runde halbe Million Mark verschlingen. Um sich vor Sprücheklopfern zu schützen, verlangte Alex auch hier, eine Sicherheitsleistung bei einer Bank zu hinterlegen oder von einer Bank zu verbürgen. Einer wollte ihm zur Absicherung einen Wechsel ohne Datum hinterlegen und zur Deckung bei der bezogenen Bank ein Sparbuch mit entsprechendem Guthabenstand hinterlegen. Das Sparbuch allerdings lautete auf die Oma, und ohne Vollmacht war es völlig wertlos. Ein anderer faßte die besprochenen Punkte in einem schönen Vertrag zusammen, vergaß aber der Einfachheit halber kurzerhand die Sicherheits-leistung. Bei einem dritten Ansprechpartner stimmte zunächst alles, nur die Bank wartete dann vergeblich auf die Absicherung der von ihr gewünschten Garantieerklärung. Alex verstand die Welt nicht mehr. Er besaß einen ausgezeichneten persönlichen Hintergrund und bot eine tolle geschäftliche Chance, dennoch griff er laufend nur in die Scheiße. Ein NPD-Mitglied wollte auswandern, egal wohin. „Das ist doch keine Demokratie mehr!“ schimpfte er, „wir können noch nicht einmal einen Saal mieten oder ungestört eine Veranstaltung abhalten. Wenn aber die Grünen oder die Gewerkschaften demonstrieren, ist sogar das Fernsehen dabei.“ Alex grinste: „Dazu werdet ihr wohl nicht interessant genug sein.“ Aber im Grunde war der NPD-Mann schon im Recht. Denn jeder sollte öffentlich seine Meinung sagen können, solange dadurch niemand beleidigt wird. Niemand sollte dann das Recht besitzen, ihm den Mund zu verbieten. In Deutschland existierte nunmal ein Defizit an nationaler Überzeugung. Im Dritten Reich war dies alles als Folge der Versailler-Vertrags-Demütigung unendlich übertrieben und nach dem Zusammenbruch von der Propaganda der Siegermächte mit ihren deutschen Schreiberlingen ins Lächerliche gezogen worden. Das wirkte noch heute und fiel besonders bei Sport-veranstaltungen deutlich ins Auge. Die Reporter redeten nicht von der ‚eigenen Mannschaft‘, sondern von den ‚deutschen Sportlern‘, als schämten sie sich, dem gleichen Volk anzugehören. Dazu kam eine dauernde, beinahe unmerkliche Beeinflussung: Film, Funk und Fernsehen in USA und teilweise auch in England befanden sich zu großen Teilen fest in zionistischer Hand. Alex fragte sich oft, welche Absicht wohl dahinter stecken mochte, die Deutschen in den Filmen allgemein wie Trottel wirken zu lassen, und in amerikanischen Filmen fuhren die Gangster grundsätzlich Mercedes. Der NPD-Mann klagte weiter: „Ich habe auch ganz allgemein keine Lust mehr. Meinen Betrieb will ich verkaufen und dann woanders in Ruhe nur noch soviel arbeiten, wie ich gerade muß oder mag. Mein Sohn hat studiert, verfügt über glänzende Zeugnisse und arbeitet jetzt für eine große Firma in Amerika. Wem sollte ich meinen Betrieb wohl überlassen? Eines Tages ärgere ich mich über diese Bürokraten einmal zuviel, falle um, und dann ab in die Kiste.“ Alex konnte sich denken, was geschehen war. Die Amis waren verdammt gerissen. An den Unis hatten sie ihre Kopfjäger verteilt, und die hielte Ausschau nach außergewöhnlichen Talenten. Die köderte man mit Verträgen und traumhaften Bezügen. Die würden später ja hundertfach in die Firmenkasse zurück fließen. Alex konnte es nicht riskieren, sich blind auf einen Lieferagenten zu verlassen, während er auf einer Baustelle von korrekten Materiallieferungen abhängig sein würde. Keiner war bereit oder in der Lage, bei einer Bank eine Auftragsbürgschaft über 20.000 Mark zu erwirken und abzusichern. Also blieb ihm nur, das benötigte Material selbst bei den jeweiligen Herstellern zu ordern und mit dem Transport eine international tätige Spedition zu beauftragen. Mit seinem ersten Auftraggeber hatte er die Absicherung der Bestellung über ein unwiderrufliches Akkreditiv vereinbart, von daher gab es also keine Probleme. Er würde sich auch auf die Renovierung von Villen an der Costa del Sol beschränken können. In Spanien gab es zwar rund zwanzig Prozent Arbeitslose, aber kaum einer der spanischen Handwerker beherrschte eine Fremdsprache. Gute Aufträge aber waren nur von deutschen, englischen, arabischen oder anderen ausländischen Auftraggebern zu erwarten. Aber Alex kannte sich. Immer nur der gleiche Trott, das war nichts für ihn. Er brauchte Abwechslung, stets neue Herausforderungen, neue Eindrücke und Erfahrungen. Die Wüste kannte und liebte er, Arabien lag ihm im Blut. Manchmal sehnte er sich direkt nach der unendlichen Wüste, dem Laut des singenden Windes über den Kämmen der Sanddünen oder auch nach dem bunten, quirligen Treiben auf den Basaren der großen Städte. Sein größter Kummer war seine fehlende Sprachbegabung. Er hatte Englisch, Spanisch und ein klein wenig Arabisch unter großer Anstrengung gelernt und beneidete andere, die eine fremde Sprache im Vorübergehen aufnehmen konnten. Richtig verstehen aber kann man ein fremdes Volk aber erst, wenn man die Besonderheiten der Sprache beherrscht und begreift. Sonntag abend hatte er seine Interessententermine erledigt. Er ging mit Brigitte essen. Anschließend wollten sie noch einen Liederabend besuchen. Brigitte sah entzückend aus. Ihre Wangen waren gerötet, und in ihren Haaren glitzerten feine Nebeltröpfchen. „Also entweder du bist noch schöner geworden, oder ich bin maßlos in dich verliebt“, scherzte Alex, während er an seinem heißen Äppelwoi nippte. „Ich bin glücklich“, sagte sie leise zur Erklärung. Alex beugte sich über den Tisch und küßte sie. Eine gemütliche, beinahe intime Stimme herrschte. Alex hatte eine Weile nicht auf seine Umgebung geachtet. Als vom Nebentisch her auf Englisch angesprochen wurde, antwortete er automatisch und blickte dann hinüber. Dort saß ein Neger, der sich nach dem Äppelwoi erkundigte. Die Karte war in Deutsch abgefaßt, und die Fragen nahmen kein Ende. In Alex stieg Ärger auf. Typisch, dachte er, man ist freundlich und gibt ihnen den kleinen Finger, und schon werden sie lästig und wollen einem am liebsten beide Arme ausreißen. Als der Neger dann auch noch zu erzählen begann, er käme aus Nigeria, da reichte es ihm. „Ich war fast zwei Jahre in Nigeria“, unterbrach er den Schwarzen, „und das hat mir gereicht.“ „Weshalb?“ fragte der verblüfft, „hat Ihnen Nigeria nicht gefallen?“ „Das Land ist teilweise sehr schön, es hat nur einen Fehler“, sagte Alex, und auf den fragenden Blick des anderen fuhr er fort: „Es gibt dort zu viele Neger.“ Von da an hatte er seine Ruhe. Brigitte verstand Englisch und fragte ihn: „Mußtest du ihn derart vor den Kopf stoßen?“ Alex begann es ihr zu erklären: „In Nigeria mußte ich mich mit ihren Eigenheiten abfinden. Hier in Deutschland sollten sie sich also gefälligst nach uns richten. Man sollte nicht zu lange in einem fremden Kulturkreis leben. Die Engländer haben da einen guten Spruch drauf: Wenn ein Weißer unter Farbigen lebt, ist er entweder einer von ihnen geworden oder er lehnt sie ab. Auf der Baustelle hatten wir Bauleiter, die waren so genervt, daß sie sich schworen, dem ersten Neger, dem sie zu Hause auf der Straße begegnen, eins in die Fresse zu geben. Was mich persönlich am meisten aufbrachte, war ihr Mangel an Stolz. Hatten sie was zu sagen, waren sie arrogant und frech. Die einfachen Arbeiter bettelten zuerst um einen Job. Hatten sie den Job, schliefen sie in dunklen Ecken, liefen stundenlang herum und schwatzten. Feuerte man sie daraufhin, fielen sie auf die Knie und bettelten erneut. Läßt man sich aus Mitleid erweichen, lachen sie sich heimlich eins und halten den weißen Massa für einen Trottel. Während der ganzen Zeit dort lernte ich nur zwei Neger kennen, die mir gefielen. Einer wohnte in Kaduna und unterschrieb die Bauabrechnungen, und der andere war ein IboVormann.“ Sie versuchte ihn weiter zu ergründen. „Wie hast du denn diese Leute behandelt?“ „Hart aber gerecht. Sie sollten mich nicht lieben, sondern respektieren. Bringst du einem dortigen Neger zuviel Freundschaft entgegen, nutzt er das in aller Regel sofort aus. Bildlich gesprochen muß man eine Grenze ziehen. Bleibt er jenseits, kannst du ihn freundlich behandeln. Macht er aber einen Schritt darüber, mußt du ihm sofort eins auf seine Kokosnuß hauen, daß er denkt, die Trommeln des jüngsten Gerichts würden ihm in den Ohren dröhnen. Meine Grenze war die Leistungsbewertung, was bei Untergebenen gerade in den Dritte-Welt-Ländern nicht ganz einfach ist. Für alle Arbeiten hatte ich eine Tagesnorm festgelegt, und die Vormänner mußten täglich einen Arbeitsbericht abliefern. So konnte sich keiner herumdrücken, und wer sich Werkzeug klauen ließ, mußte es bezahlen und wurde mitunter auch gefeuert. Ein gutes Beispiel zu meinem Standpunkt liefert die Hungerhilfe für Afrika. Eine einmalige Hilfe im Katastrophenfall ist in Ordnung, unsere EG-Speicher quellen ja schließlich über. Aber was soll denn die permanente Hilfe? Sie demütigt die Beschenkten, und die Schlauen unter ihnen sagen sich, warum sollen wir denn arbeiten, schließlich werden wir auch so satt. Die Verteiler stehen als Wohltäter da, und manches private Süppchen wird gekocht. Ich sah, wie Kleiderspenden vom Roten Kreuz auf dem Markt verkauft wurden. Bei der Krise in Polen beispielsweise rückten die Priester nur dann ein Päckchen aus dem Westen heraus, wenn einer dreimal in der Kirche war. Es gibt halt Dinge, die glaubt niemand, der nicht direkt dabei war. Ich glaube nicht, daß ein Weißer imstande ist, einen Neger so schlecht zu behandeln, wie ein Neger einen Neger.“ Er wechselte das Thema. „Wie geht es deinem Sohn? Fragt er dich nicht, was du in letzter Zeit so treibst?“ Brigitte antwortete: „Etwas habe ich ihm andeutungsweise erzählt, und nun möchte er dich gerne kennen lernen.“ Jetzt wird die Sache brenzlig, dachte Alex, sie meint es tatsächlich ernst, und ich werde mich bald entscheiden müssen. Er ging auf Brigittes Andeutung ein: „Noch etwas früh, würde ich meinen. Ich erzählte dir ja von meinen Plänen. Du mußt auch nicht gleich zu allem ja und amen sagen. Zudem sind meine persönlichen Probleme auch noch nicht alle gelöst. Oder du solltest wenigstens ein halbes Jahr zur Probe mit mir im Süden einplanen. Wir können uns gut unterhalten, verfügen in etwa über die gleiche Bildung, und im Bett klappt es ausgezeichnet. Das ist schon eine gute Grundlage. Aber der graue Alltag tötete schon manche große Liebe. Wenn es einem gut geht, gibt es auch keine Probleme. Die Bewährung aber kommt erst in den Krisen, und wenn ich noch einmal langfristig Gefühl investiere, dann sollte es für den Rest meines Lebens sein.“ Sie war stark bewegt, setzte zweimal zum Sprechen an und legte dann einfach nur ihre Hand über seine und drückte leicht zu. Nach einer Weile flüsterte sie: „Das halbe Probejahr verspreche ich dir. Selbst wenn unsere Beziehung den Alltagsstürmen nicht standhalten sollte, wird es ein unvergeßliches Erlebnis werden. Und darauf möchte ich nicht verzichten.“ Diesmal wechselte sie das Thema. „Über Afrika hast du dich ja ausgelassen. Wie verhält es sich denn mit den Arabern? Bei denen warst du doch auch eine ganze Weile.“ Alex wurde nachdenklich. „Die arabischen Völker haben einen schweren Balanceakt zu vollbringen. Sie müssen die neue Zeit in ihren Koran integrieren, oder auch umgekehrt, wie man es nimmt. In Saudi beispielsweise dürfen Frauen studieren, aber nicht arbeiten. Die lassen sich dort die modernsten Kliniken bauen. Zu ernsten Operationen müssen die Patienten aber ins Ausland. Denn wenn ein Patient während einer Operation stirbt, wird der Arzt wie ein Mörder behandelt. Die meist verschriebenen Arzneien sind Kopfschmerzmittel und Abführtabletten, denn die schaden am wenigsten. Der Krieg brachte schon immer die größten Umwälzungen. Deshalb ist meiner Meinung nach der Irak der modernste arabische Staat. Die Männer sind an der Front, und die Frauen müssen die Wirtschaft in Gang halten. Und diese Frauen werden sich niemals wieder in einem Harem einsperren lassen.“ Sie verbrachten noch einen angenehmen Abend. Am Montag bezahlte Alex sein Hotelzimmer, brachte seine Sachen in das Reisemobil und gab noch einige Anzeigen auf. Am Nachmittag traf er sich mit Haferkamp. Die folgenden Tage wollte er die Listen der Geschädigten durchgehen und herausfinden, ob sich in diesen Reihen ein paar geeignete Mitstreiter auftun ließen. „Wir müssen erst alle Einzelheiten gründlich analysieren“, führte Haferkamp aus, „ich muß noch einige alte Freunde aktivieren. Die waren nach dem Krieg zum Teil bei der Polizei oder beim Geheimdienst. Von diesen Unterlagen hier existieren sicherlich irgendwo in einer Zentrale Kopien. Wenn wir die anderen Agenten angreifen, muß dies nicht nur spurlos, sondern auch überall zur gleichen Zeit geschehen. Sonst würde sich ein endloser Krieg entwickeln. Das Ganze macht mir Spaß, ich fühle mich noch mal richtig jung. Es ist eine erstklassige Chance, bei einer hochbrisanten Sache einen wichtigen Beitrag zu leisten. Wie bist du eigent- lich zu deiner Einstellung gelangt? Es ist ja nicht gerade die Regel, heutzu-tage eine nationale Einstellung zu vertreten.“ „Ein Schlüsselerlebnis gibt es eigentlich nicht. Ich lese sehr viel, und dabei stieß ich allzu oft auf Fakten, die mit dem offiziell vermittelten Geschichtsbild nicht überein stimmten. Und dabei fragte ich mich dann, wer wohl lügt und weshalb. Den übertriebenen Nationalstolz mancher Rechter mag ich überhaupt nicht. Dabei handelt es sich oft nur um Ersatz für persönlichen Stolz. In unserer Geschichte haben wir genügend dunkle Zeiten. Zum Beispiel, wenn der hessische Fürst seine Untertanen als Kanonenfutter an die Engländer verkaufte, oder was noch schlimmer ist, wenn sie sich das gefallen ließen.“ „Das ist auch so ein unvollständiges Geschichtsbild“, unterbrach ihn Haferkamp, „dieser Fürst hat seine Gefängnisinsassen an die Engländer verkauft. Und wieso deine Abneigung gegen die internationale Politmafia? In die Geschichte bist du doch nur verwickelt, weil du damals im Zug mit Harris Streit bekamst“, forschte Haferkamp weiter. „Ganz einfach. Ich habe was dagegen, herum geschubst zu werden, sowohl praktisch als auch theoretisch. Und die Politmafia versucht uns nunmal vorzuschreiben, was wir zu denken haben und wie wir uns benehmen müssen, damit sie sich nur ja nicht beleidigt fühlen müssen. Das einzelne Mitglied der internationalen Politmafia mag sicher sehr nett und sympathisch sein, wie einzelne Vertreter jedes Volkes oder jeder Rasse. Wenn ich aber die Auswirkungen der Taten dieser Organisation sehe, befällt mich eine Abneigung wie gegen Schlangen oder Spinnen – rein intuitiv.“ Alex zündete sich eine Zigarre an, produzierte Rauchringe und fuhr fort: „Wie lange schätzt du die Pause ein für eure Analyse und unser notwendiges Stillhalten? Und woher erhalten wir genügend Hilfe der benötigten Art, um uns alle Agenten gleichzeitig greifen zu können?“ Der Alte nahm einen Notizblock zur Hand und entgegnete: „Über geeignete Hilfen mach dir mal keine Sorgen. Ich verfüge über einige gute Kontakte, und in ungefähr drei Monaten werden wir wohl fertig sein.“ Alex zog erst einmal die Augenbrauen hoch. „So lange?“ „Ja sicherlich. Es muß alles überprüft werden, und dabei müssen wir sehr vorsichtig vorgehen. Wir haben einen Hinweis auf die Zentrale, ein Reisebüro auf einer Insel im Mittelmeer. Sehr schlau – zentral gelegen und ohne jeden Hinweis auf Israel. Natürlich kann es auch sein, daß der Staat Israel gar nichts mit der Sache zu tun hat, und das Ganze die Privatinitiative eines Mannes mit zuviel Geld ist, oder daß gar der Ostblock dahinter steckt. Aber wie gesagt, es muß alles sehr sorgfältig geprüft werden.“ „Dann verfüge ich ja über recht viel Zeit, und zuerst werde ich dann also anhand der Liste die Geschädigten im Raum Frankfurt besuchen. Dafür muß ich mir dann noch einige gute Geschichten ausdenken.“ Dann erzählte er Haferkamp von seinen spanischarabischen Plänen. „Gar nicht übel“, grinste der Alte, „dann kannst du ja herkommen, eine Aktion mitmachen und anschließend wieder verschwinden. Du mußt halt deine Arbeit so organisieren, daß du dir jederzeit ein paar Tage frei nehmen kannst.“ „Und was macht der Nachwuchs?“ wollte Alex wissen. „Die sausen rum wie angesengt und suchen nach geeigneten Projekten. Da hast du denen aber einen tollen Floh ins Ohr gesetzt. Ich habe ihnen eine Checkliste angefertigt. Die sollen ja nicht nur alternativ herumwurschteln, sondern ihre vorhandenen Fähigkeiten weiterentwickeln. Spaß muß es ihnen machen und lukrativ soll es sein.“ Alex stimmte zu: „Natürlich, ohne Moos nix los. Jeder muß seinen Teil beitragen. Trittbrettfahrer haben bei uns nichts zu suchen, denn daran krankt ja die gesamte alternative Szene, an Idealisten ohne Sinn für Realitäten. Dabei müssen doch Spaß an der Arbeit und gutes Einkommen keineswegs Gegensätze sein. Insbesondere muß man mit allen gegebenen Möglichkeiten den übermächtigen Anteil des Staates auf allen Ebenen zurückdrängen.“ Zur Entspannung spielten sie eine Partie Schach. Später kreuzte Alex auf einer Karte die Adressen der Harris-Geschädigten an, die Haferkamp vorgemerkt hatte. Am nächsten Tag begann er seine Tour, wobei er sich als Meinungsforscher tarnte, der eine Umfrage über die Wirtschaftslage durchführte. Nach drei Tagen brach er die Aktion ab. Außer Informationen hatte die Sache nichts gebracht. Fünf ehemalige Wirte und Geschäftsinhaber aus dem Bahnhofsviertel, zwei Journalisten, die schrieben, was sie dachten und nun arbeitslos waren, acht ehemals hoffnungsvolle Angestellte großer Firmen und heute auf kümmerlichen Positionen und zwölf Inhaber mittlerer Unternehmen, die in letzter Zeit schwere Rückschläge erlitten hatten. Alle waren froh gewesen, einen geduldigen Zuhörer gefunden zu haben. Keiner hatte eine Vermutung über den wahren Grund für ihr unerwartetes Pech in letzter Zeit. Einige hatten zu trinken begonnen und ein halbes Dutzend war zwischenzeitlich geschieden. Auf dem Computerbogen waren Name und Anschrift, Beruf, Alter und Hobbys angegeben. Haferkamp hatte die Personen im mittleren Alter und mit sportlichen Hobbys angekreuzt, aber Alex konnte sich nicht entschließen, einen von ihnen einzuweihen. Auch schienen die Motive nicht ganz eindeutig. Fast die Hälfte war aus wirtschaftlichen Gründen geschädigt worden. Die Nutznießer waren aber jeweils die Mitglieder der internationalen Politmafia. Bei den fünf aus dem Bahnhofsviertel hatte diese die Lokale übernommen, teilweise mit erheblichem Kapitalaufwand renoviert und erweitert, obwohl sie mittellos angekommen sind. „Die halten eben zusammen“ war die Erklärung. Etwas dürftig, fand Alex. Nach den Ursachen brauchte er nicht zu forschen. Sie besaßen die Kartei, in der auch Neumann verzeichnet war. Die Typen würden später drankommen, die liefen ihnen nicht weg. Langsam aber sicher kam der Winter, und Alex zog es in den Süden. Hier gab es im Moment nichts mehr zu tun. Also kommende Woche noch einmal die Interessenten der Anzeigen checken und dann nichts wie ab! Brigitte schwankte noch, ob sie gleich mitfahren oder ihn später per Flugzeug aufsuchen sollte. Sie wollte schon direkt, traute sich aber nicht so recht, ihren Sohn alleine zu lassen. Also nahm Alex die Sache in die Hand. Er telefonierte und verabredete sich mit Ralf im Café an der Uni. Nach dem Foto erkannte er ihn sofort. Ein hübsches, langhaariges Mädchen saß bei ihm. „Hallo“, grüßte er und setzte sich zu ihnen. „Ihr beiden seht aus wie ein festes Paar.“ Die beiden lächelten verlegen. „Wir wollen zusammen in Berlin studieren“, sagte Ralf. „Ich bin dort zur Schule gegangen“, erzählte Alex, „Berlin ist die Großstadt mit den meisten Parks und Seen der Welt. Die Kneipen sind rund um die Uhr geöffnet, und man trifft die verrücktesten Typen.“ Er sah Ralf an mit den Worten: „Deine Mutter beabsichtigte zuerst, während deiner Studienzeit ebenfalls in Berlin zu wohnen. Ich konnte es ihr jedoch ausreden.“ „Gott sei Dank“ – dieser Stoßseufzer von Ralf kam aus tiefstem Herzen. Alex erzählte ein wenig aus seinem Leben und von seiner geplanten Fahrt nach Spanien. Die beiden hörten gespannt zu und sahen sich dabei zuweilen an. Egoistisch, wie die Jugend nun einmal ist, versprachen sie jede Unterstützung. Falls Brigitte mitfahren würde, hätten sie das Haus für sich. Für den Abend hatte Alex sich mit Brigitte verabredet. Sie schien schwer erschüttert, küßte ihn und stieß kläglich hervor: „Mein eigener Sohn hat mir also gekündigt.“ „Was hat er?“ fragte Alex verblüfft. „Er hat gesagt, ich soll doch ruhig mal für einen Monat Urlaub machen. Dann könne er seine Freundin auch mal übers Wochenende einladen.“ Alex lachte. „Der wird ja langsam erwachsen. Das hast du nur noch nicht bemerkt.“ Sie vereinbarten ihre Abfahrt für Mitte der kommenden Woche. Nach dem Essen stiegen sie in sein Reisemobil. Die leise summende Standheizung verbreitete eine wohlige Wärme. Er begann, sie zärtlich küssend auszu-ziehen, und sie fiel wie eine halb Verhungerte über ihn her. „He“, protestierte er, „was ist denn los mit dir?“ „Jetzt habe ich nur noch dich“, jammerte sie und erstickte ihn fast mit ihren Küssen. „Aber das ist nun mal der Lauf der Welt. Kinder werden groß, und eines Tages sind sie dann erwachsen und gehen eigene Wege.“ „Ich weiß, aber es tut weh“, keuchte sie, und der Rest war dann nur noch Leidenschaft. Am Morgen zog sich Alex lediglich einen Jogginganzug an, holte Brötchen, stellte die Kaffeemaschine an und schlüpfte noch einmal ins Bett. Brigitte quietschte überrascht, als er sich über sie rollte. „Das solltest du doch schon kennen, wenn draußen eine Menge Leute zur Arbeit hasten, macht das erst richtig Spaß.“ „Wie viele von denen haben sich wohl heute morgen geliebt?“ seufzte sie, erwiderte heftig seinen Rhythmus und umschlang ihn mit armen und Beinen. Der Straßenlärm außerhalb der dünnen Wände ließ sie unter der kuscheligen Felldecke wohlig erschauern. Es war beinahe wie vor einem flackernden Kamin, wenn draußen die Stürme heulten. Als sie wieder ruhiger atmeten, schubste er sie aus dem Bett. „Auf, auf – keine Müdigkeit vortäuschen. Jetzt habe ich Hunger. Du kannst schon mal beginnen, dich an unsere Arbeitsteilung zu gewöhnen: Ich besorge die Kalorien und du servierst sie.“ Sie stieg aus dem Bett und lachte. „Wenn ich immer so angespornt werde wie eben, dann geht das schon in Ordnung.“ Während sie die zweite Tasse Kaffee tranken, fragte sie ihn: „Kannst du mich heute ins Büro begleiten? Eine Sekretärin hat uns zusammen gesehen, und jetzt schwirren die tollsten Gerüchte in der Kanzlei umher.“ „Gut“, sagte er, „aber dann müssen wir unser mobiles Heim hier stehen lassen. Bei deinem Büro finde ich weit und breit keinen Parkplatz.“ Es war nur eine Viertelstunde zu Fuß. Das Personal der Kanzlei bestand aus zwei männlichen und zwei weiblichen Beratern mit je einer Sekretärin. Brigitte war für gelegentliche juristische Probleme zuständig. Für diesen Vormittag hatte sie eine Besprechung terminiert, um ihren geplanten Urlaub zu erörtern. Alex begrüßte die Anwesenden und wurde neugierig gemustert. Brigitte zog sich mit den Beratern in ihr Büro zurück, und Alex verbrachte eine lustige Stunde bei Kaffe und Kuchen mit den Sekretärinnen. Dann gingen sie beide zusammen essen. Sie strahlte. Alles war geregelt – sie konnte ohne Sorgen starten. „Warst du schon einmal bei einem Stierkampf?“ fragte Alex. „Nein, und ich habe auch keine Lust, es mir anzusehen“, antwortete sie. „Ansehen muß auch nicht sein, aber zum besseren Verständnis von Land und Leute solltest du doch Bescheid wissen. Bei den Kampfstieren gibt es vier große Blut-linien: Die Cabrera, die Gallardo, die Vistathermosa und die Varquez. Die Cabreras werden in Andalusien, in der Gegend von Sevilla gezüchtet. Sie sind bekannt für ihre Größe und Tapferkeit und für Sentide, das ist die Fähigkeit, den Torero vom roten Tuch zu unterscheiden. Manchmal schlummern in einem solchen Stier großartige und mörderische Anlagen. Dann wird er Miura genannt. Das kann man aber erst feststellen, wenn er den Torero getötet hat. Der Stierkampf ist ja kein fairer Zweikampf, sondern ein graziöses, rituelles und durchaus auch mutiges Schlachten. Nach Möglichkeit wird es vermieden, dem Kampfstier vor der Arena Menschen zu Fuß zu zeigen. Und falls er den Kampf in der Arena überlebt, darf er nie wieder dorthin. In der kurzen Zeit hat der Stier soviel gelernt, daß er jeden Torero töten würde.“ „Und jetzt werde ich mir sowas erst recht nicht ansehen“, sagte Brigitte und schüttelte sich, „was reizt die Spanier bloß an einem derart blutigen Spek-takel?“ Alex antwortete: „Ich glaube, es ist die Eleganz der Darbietung und der Kitzel der Gefahr. Oft genug gewinnt ja auch der Stier. Denk doch nur an die Autorennen. Die werden ja auch nicht im Fernsehen gezeigt, weil die Wagen so schnell um die Kurve rasen, sondern weil manchmal eines aus der Kurve fliegt. Oder wie sieht es denn mit Boxkämpfen aus? Ist es etwa kultivierter Menschen würdig, sich in einem Schaukampf die Köpfe blutig zu schlagen? Niemand sollte über solche Unsitten anderer Völker die Nase rümpfen ohne sich zuvor an die eigene Nase zu fassen.“ Er bezahlte und half ihr in den Mantel. Draußen trennten sie sich, Brigitte wollte einkaufen und dann nach Hause. Alex holte sich die Zuschriften der Interessenten ab und kaufte einige Bücher. Danach fuhr er zu Haferkamp und fragte, ob er momentan sein Telefon und am Wochenende seinen Schreibtisch benutzen könne. „Fühl dich wie zu Hause, mein Junge“, sagte der zerstreut und besah sich die Bücher, die Alex eingekauft hatte. „Du bist ja eine richtige Leseratte“, staunte der Alte und Alex grinste. „Ja, ich bin beinahe ein krankhafter Bücherwurm. Hätte mich jemand in einer fremden Stadt zu suchen, bräuchte er sich nur vor der Bücherei zu postieren. Am Wochenende las ich was Interessantes, und mittels dieser Bücher will ich der Sache auf den Grund gehen. Wußtest du, daß man in Amerika Trunksüchtige, Prostituierte, Landstreicher, Kriminelle und dauerhaft Arme ganz legal kastrierte? Erst 1912 wurden entsprechende einzelstaatliche Gesetze vom Harvard Law Rewiew als verfassungswidrig erklärt.“ Haferkamp lächelte und sagte: „Es ist mir schon lange klar, daß Amerikas moralischer Anspruch der Wirklichkeit nicht standhält. Aber was soll das Medizinbuch? Interessierst du dich auch dafür?“ Alex erklärte es ihm: „In einem Buch über Psychologie las ich eine Bemerkung über das ‚Tory-Saels-Syndrom‘ und das will ich überprüfen. Das ist eine gefürchtete Form schwerer geistiger Minderentwicklung, also Verblödung. Und es soll nur Mitglieder der internationalen Politmafia befallen. Klingt doch sonderbar, nicht wahr?“ „Es gibt viele rätselhafte Dinge“, murmelte der Alte, „mach ruhig weiter, du bist schon auf dem richtigen Weg.“ Wieder mal zündete sich Alex eine seiner schlanken Zigarren an und begann, Verabredungen für den Sonntag zu vereinbaren. Mal sehen, dachte er belustigt, ob diesmal wieder so viele taube Nüsse dabei sind. Spät am Abend kamen Jochen, Heinz und Peter – seine Rückendeckung aus der Harris-Aktion. Er zog sie in eine ruhige Ecke und fragte: „Wie sehen denn eure Pläne aus? Schon irgendwelche Resultate?“ Jochen übernahm die Antwort. „Pläne haben wir schon, nur sind wir uns noch nicht einig. Haferkamp deutete schon an, in Zukunft könnten noch mehr solcher Aktionen stattfinden. Das wollen wir natürlich nicht verpassen.“ „Arbeit wie neulich abend gibt’s wohl auf Jahre hinaus“, informierte sie Alex. „Harris war der Hauptagent. Er steuerte rund ein Dutzend Einflußagenten. Bislang ist erst einer ausgeschaltet. An einigen Orten existieren noch andere Hauptagenten. Wir sind gerade dabei, sie zu lokalisieren. Wenn wir das schaffen und deren Unterlagen ebenfalls erbeuten, sind wir in der Lage, gut hundert Einflußagenten unschädlich zu machen. Wir werden ihren Besitz einsacken, sie umdrehen und dann in unserem Sinn arbeiten lassen. Bei Weigerung verschwinden sie.“ Die Augen der drei glänzten, und Jochen sagte erregt: „Das ist ja entschieden gewaltiger, als wir vermuteten. Aber wird das nicht auffallen und Gegenreaktionen provozieren?“ Alex klärte ihn und die anderen weiter auf. „Deshalb muß ja alles bestens geplant werden und absolut spurlos ablaufen. Ich war der Sache nur durch Zufall auf die Spur gekommen, und davon kam ich nur mit reinem Glück, weil ich bei Neumann begann und nicht bei Harris. Zuerst müssen wir die Hauptagenten und die Zentrale vollständig eliminieren. Dann sind uns die Einflußagenten hilflos ausge-liefert. Haferkamp verfügt über die meiste Erfahrung in solchen Dingen. Er meint, es sei gegen jede Geheimdienstregel, daß sich die Hauptagenten gegenseitig kennen. Bevor er das Rätsel nicht gelöst hat, verhalten wir uns ruhig. In Deutschland verschwinden jedes Jahr etwa 50.000 Menschen spurlos. Es passiert entschieden mehr, als in den Zeitungen zu lesen ist. Trotzdem braucht ihr eine solide Grundlage und eine einleuchtende Erklär- ung zu eurem Lebensstandard. Auch müßt ihr jederzeit verfügbar sein. Dies alles wird nur über eine selbständige Tätigkeit möglich. Wenn ihr euch nicht einig seid, welches Projekt ihr in Angriff nehmen sollt, warum bildet ihr dann nicht mit dem Haufen von Gerd und Fox drei Gruppen? Die sind ohnehin reichlich jung und brauchen jemanden, der ihnen in der ersten Zeit sagt, wo es lang geht. Ich bin bereit, zur Finanzierung beizutragen. Das könnte die Keimzelle meiner geplanten Stiftung werden. Die eine Hälfte Stiftung, die andere Privatbesitz.“ „Und wie soll das funktionieren?“ fragte Jochen interessiert. „Doktor Scheller arbeitet ein genaues Konzept aus. Es soll nur einige verbindliche Grundsätze geben, damit jedes einzelne Projekt in seinen Entscheidungen frei ist. Die Sache ist gar nicht so einfach. Zuerst muß Einigkeit über das Ziel herrschen, und dann muß man sich die optimalen Wege dahin erarbeiten. Diese Wege dürfen aber auch kein Dogma sein. Die Menschen ändern sich, die Welt ebenso. Und nur der Mensch selbst kann entscheiden, wie er seine Probleme am besten löst. Nicht irgendein Welterlöser oder Weltbeglücker wird das für ihn tun. Und was für den einen gut ist, braucht für den nächsten noch lange nicht zu stimmen.“ Alex schenkte sich einen neuen Brandy nach und steckte sich eine neue Zigarre an. „Wie jede gute Idee ist die Sache an sich einfach. Eine Hälfte eines Projektes ist Stiftungsbesitz, die andere gehört den Mitarbeitern. Die Mitarbeiter wählen jedes Jahr einen Leiter, der das Sagen hat und die Verantwortung trägt. Der Stiftungsteil darf weder veräußert noch beliehen werden. Faule Mitglieder oder Stänkerer können durch Mehrheitsbeschluß ausgeschlossen werden. Also eine reine Basisdemokratie. Jeder ist sowohl für sich selbst als auch für die Gemeinschaft verantwortlich. Die Projekte legen vom Ertrag einen Teil, sagen wir mal zehn Prozent, in einen gemeinsamen Fond, über welchen neue Projekte finanziert werden. Alle zusammen wählen einen Stiftungsrat von beispielsweise drei Personen. Dieser verwaltet die Stiftung und wacht darüber, daß alle Projekte zusammen arbeiten und sich gegenseitig unterstützen. Die angestrebten Ziele sind fähige, gut ausgebildete Menschen mit nationaler Überzeugung. Womit ich meine, daß sie erst einmal Ordnung im eigenen Hause schaffen. Und wenn es hier keinen Arbeitslosen und keinen Rentner mit Fürsorgesatz mehr gibt, dann können sie auch den Negerlein im Busch helfen, aber nicht vorher. Und weiter gegen die Umweltverschmutzung oder gar Umweltver-nichtung und für alternative Energien. Gegen Ungerechtigkeit und Ver-dummung in jeder Form und gegen Verschwendung und für eine starke Verteidigung ohne Angriffswaffen. Die Liste läßt sich noch fortsetzen. Aber solche Arbeitsprogramme sollten aus einer ständigen Diskussion aller Mitglieder für ein besseres Leben hervorgehen und nicht diktiert werden.“ „Du hast die Atomenergie vergessen“, warf Jochen ein. „Gegen die Atomenergie habe ich persönlich im Grunde nichts. Allerdings geht es nicht, unsere Nachkommen mit der ungesicherten Entsorgung eine strahlende Zeitbombe zu hinterlassen, die noch 50.000 Jahre tickt. Manche Menschen gehen mit der Erde mit einer Profitgier um, als hätten sie noch eine zweite in der Schublade. Was mir am wichtigsten erscheint, ist aber die Kontrolle der Leiter durch die Mitglieder. Überall gibt es faule Äpfel, man muß sie nur schnell genug erkennen und aussortieren. Wichtig ist natürlich auch die gegenseitige Hilfe der Mitglieder untereinander. Dadurch soll ein ganz besonderes Gemeinschaftsgefühl entstehen. Wenn viele je ein wenig beitragen, kann etwas Großes entstehen. Wir sind hier das Zentrum Europas, und wenn wir hier etwas Neues entwickeln, etwas mit großer Ausstrahlung, dann wird es eine große Wirkung auf den ausbeuter-ischen Kapitalismus wie auch auf den diktatorischen Kommunismus haben und vielleicht sogar diese beiden Auswüchse etwas abmildern.“ Die drei waren von der Idee eines separaten Projektes für jede Gruppe angetan und versprachen, sich mit Gerd, Fox und den anderen zu beraten. Nach zwei weiteren Brandy hatte Alex die nötige Bettschwere. Sein Reisemobil stand im Hof, und nach ein paar Schritten konnte er sich ausstrecken. Er schlief tief und traumlos, erwachte beim ersten Morgen-grauen, reckte sich genüßlich und döste noch ein Weilchen vor sich hin. Dann kamen die ersten jugendlichen Bastler, und seine Ruhe war dahin. Er zog sich einen Trainingsanzug an, besorgte im Dauerlauf die üblichen Frühstücksbrötchen und dachte sich dabei, daß Vollkornbrot entschieden ge- sünder sei. Aber Brötchen schmeckten nun mal besser. Zurück, stellte er Radio und Kaffeemaschine an und verbrachte allein eine gemütliche Frühstücksstunde. Danach unterhielt er sich mit den Bastlern und Haferkamp. Dann telefonierte er mit Doktor Scheller und machte sich danach auf den Weg zu Brigitte. Sie durchstöberte gerade ihren Kleiderschrank und sortierte schon zum dritten Mal die Sachen um, die sie mitzunehmen beabsichtigte. Er war ruhelos, sagte nebenan bei der alten Oma ‚Guten Tag’, schlang mit Brigitte ein rasch improvisiertes Essen herunter und verführte sie zu einem aktiven Mittagsschlaf. Sie duschten zusammen und waren gerade angezogen, als Ralf und seine Freundin auftauchten. Die beiden waren von dem Reisemobil begeistert. Alex bot an: „Wenn ihr beide im Sommer an die Costa del Sol kommt, stelle ich euch den Wagen an einen schönen Strand, und ihr könnt darin wohnen.“ Das gefiel ihnen natürlich. Alex und Ralf verstanden sich auf Anhieb. Ralf war alt genug um zu wissen, daß seine junge Mutter nicht den Rest des Lebens allein verbringen würde. Am Abend zündeten sie den Kamin an, spielten Rommé und unterhielten sich. Bevor er das Land verließ und seine Fahrt in den Süden antrat, würde er noch seine Kinder besuchen müssen, Adios sagen und ihnen eine Reserve aufs Konto packen. Nicht zuviel – sonst würden sie möglicherweise noch übermütig werden. Aber genug, um sie gegen Notfälle abzusichern. Alex blickte fragend zu Brigitte. Sie nickte ihm zu. Er war eingeladen, über Nacht zu bleiben. Ralf brachte seine Freundin zur letzten SBahn, kam zurück und ging gleich ins Bett. Brigitte war vom Reisefieber gepackt und plante die Fahrt im Geiste auf allen möglichen Routen durch. Als das Holz im Kamin verbrannt war und die Glut sich langsam in Asche verwandelte, gingen sie nach oben ins Schlafzimmer. Am Wochenende brachte Doktor Scheller einen ausgeklügelten Stiftungs-plan, der ausgiebig diskutiert und für gut befunden wurde. Die Anzeigeninteressenten kamen diesmal seinen Vorstellungen näher. Er hatte seine ersten Erfahrungen ausgewertet und zwei Hürden eingebaut. Damit würden Spinner und Trittbrettaussteiger abgeschreckt. Jetzt kamen weniger, dafür aber ernsthafte Handwerker, die ein besseres Leben suchten. Die meisten hatten schon öfter an Auswanderung gedacht und begrüßten die gebotene Möglichkeit zu einem angenehmen Leben, dabei aber dennoch innerhalb Europas zu bleiben und die Früchte der eigenen Arbeit weitest-gehend selbst zu ernten. Allen gemeinsam war das Unbehagen über die Einengung ihrer Persönlich-keit und die Empörung über wirklichkeitsfremde Behördenwillkür. Alex erläuterte ihnen sein Vorhaben und gab seine Adresse bei Marbella weiter, verbunden mit der Empfehlung, bald vorbei zu kommen und sich selbst ein Bild zu machen. Er wollte niemanden, der infolge mangelnder Information oder Vorbereitung hinterher enttäuscht sein würde und keine Lust mehr hätte. Für Doktor Scheller unterzeichnete er einige Vollmachten. Der konnte demnach die Hälfte seiner Wiedergutmachungsbeute nach eigenem Ermessen als Stiftungsgrundstock bei den ersten drei Projekten verwenden. „Das ist ein Anfang“, meinte der alte Rechtsanwalt trocken, „für ein Beispiel wird es wohl reichen. Aber eine breite Basis wird wohl erst in Jahrzehnten daraus erwachsen.“ „Du irrst dich“, grinste Alex vergnügt, „wir müssen nur ein paar überzeugende Projekte mit zufriedenen, erfolgreichen und glücklichen Mitgliedern vorzeigen können. Die Menschen brauchen Ideen und Ideale. Viele würden gern etwas für eine nationale Erneuerung tun. Wenn es gleichzeitig ein Beitrag zu einer besseren Welt und einem besseren Leben wäre. Die wissen nur nicht wie und wurden oft belogen und betrogen. Mit diesem Modell aber haben die Mitglieder alles selbst in der Hand. Die Stiftung wird Spenden erhalten. Besitz wird vererbt werden. Ich habe die Vision eines dritten Weges zwischen Kapitalismus und Kommunismus. Als Anreiz werden wir ein Archiv anlegen, in dem jeder, der in irgendeiner Form zum Gelingen der Stiftung beiträgt, mit Bild, Lebenslauf und Leistung verewigt wird. Damit wird die betreffende Person praktisch unsterblich.“ Der Anwalt schmunzelte nachdenklich: „Du entwickelst äußerst bemerkenswerte Ideen. Ich hätte euch sowieso alles vererbt, denn ich habe keine Kinder, nur einige ganz entfernte Verwandte. Die wären allenfalls zu meiner Beerdigung gekommen, und nach ein paar Monaten wäre ich vergessen. Man lebt ja wirklich nur in seinen Kindern und in dem Bewußtsein seiner Freunde weiter. Wenn ich mir aber vorstelle, daß noch nach hundert Jahren junge Menschen in dem Archiv stöbern und von mir lesen, ist die Sache sehr verlockend.“ Alex zuckte mit den Schultern. „Man muß die Menschen nehmen, wie sie sind. Leistung und Gegenleistung betrachten. Wenn ich für jemanden was tue, erwarte ich einen Lohn in irgendeiner Form, sei es Geld, Dankbarkeit oder eine andere Art der Anerkennung. Wenn irgend jemand irgend etwas ohne Gegenleistung entgegen nimmt, ist er ein Parasit. Und in unseren Lande gibt es eine Menge Parasiten. Das soll später auch eine Aufgabe der Mitglieder werden, solche Typen zu erkennen, zu isolieren und zu bekämpfen.“ „Aber wo ist dein Lohn, deine Anerkennung?“ fragte Doktor Scheller, worauf er zur Antwort erhielt: „Ich bin zum Teil ein kämpferischer Idealist, der Dummheit und Verschwendung haßt. Des weiteren bin ich der Meinung, daß wir es unseren Eltern und ihren großartigen Leistungen schuldig sind, es sowohl den Russen als auch den Amerikanern zu zeigen, was eine Harke ist, und uns nicht weiter wie zweitklassige Vasallen behandeln zu lassen. Militärisch geht das nicht, damit sind wir ja zweimal auf die Schnauze gefallen. Viel wirksamer sind Ideen. Wenn sich meine Stiftungsidee bewährt, und daran zweifle ich nicht, dann werde ich mit allen Mitstreitern aus den ersten Jahren in die Geschichte eingehen. Das ist dann Lohn genug.“ Haferkamp hatte seit einer Weile zugehört und warf jetzt ein: „Ich bin der festen Überzeugung, daß es klappt. Im Kapitalismus sind die Ausgebeuteten nur kleine Rädchen. Kaum einer kann sich selbst verwirklichen. Weshalb gibt es denn so viele Neurosen, Selbstmorde, Ehescheidungen, Aussteiger, Sekten und die vielen alternativen Versuche mit selbst verwalteten Betrie-ben? Und weshalb hatte die grüne Partei auf Anhieb solche Erfolge? Weil die anderen Parteien die Bedürfnisse der Bevölkerung nun mal nicht ernst nehmen. Die Demokratie funktioniert bei uns nämlich nicht richtig. Und der Kommunismus ist von den Idealen einer Rosa Luxemburg meilenweit entfernt. Kann ja auch unmöglich funktionieren, weil die Menschen nun mal nicht gleich sind und mit keinem Mittel gleich gemacht werden können. Es gibt nunmal Kluge und Dumme, Starke und Schwache, Fleißige und Faule. Das ist ein Naturgesetz, und Naturgesetze lassen sich nicht umdrehen – nicht einmal leicht verändern. Einer spart sein Geld, während es der Andere versäuft. Wenn am Ende eines Lebens alle gleich viel, nämlich nichts haben sollen, ist das ganz einfach ungerecht, und sowas kann nur eine Sklaven-natur akzeptieren. Und natürlich die Faulen, Dummen, Schwachen und Säufer. Wir befinden uns auch schon an einer bedenklichen Grenze. Unser Staat kassiert von denen, die etwas leisten, schon weit mehr als die Hälfte ihres Lohnes. Und da Beamte kein Gefühl für Leistung besitzen, und sich die Volksvertreter im Bundestag zu mehr als der Hälfte aus Beamten zusammensetzen, wird ein Großteil der Steuern einfach verschleudert. Dies ist nunmal die Beamtenmentalität. Solche Leute können es nicht ändern. Sie haben ja keine richtigen Berufe gelernt und nichts als Vorschriften und Paragraphen in ihren Köpfen. Wie sollen die denn überhaupt wirtschaften können? Es hat ihnen ja niemand beigebracht.“ Alex sah die beiden alten Freunde verschmitzt lächelnd an und sagte: „Was haltet ihr davon, wenn wir drei den ersten Stiftungsrat bilden? Unsere Argumente könnten mit einer Zunge gesprochen werden. Damit wäre dann für die ersten Jahre alles aus einem Guß.“ An ihrem Lächeln sah er, daß er den beiden kein schöneres Geschenk hätte machen können als dieses Angebot. „Es gibt für die Zukunft noch einen wichtigen Punkt“, fügte Alex hinzu, „wir wollen mit unseren Projektideen ja nicht im Verborgenen blühen. Was haltet ihr davon, wenn wir uns finanziell an einer kleinen, überregionalen Zeitung beteiligen, worin dann regelmäßig über unsere Ideen und Fort-schritte berichtet wird. In unserem Land müßten meines Erachtens einige Werte dringend an die richtige Stelle gerückt werden. Ich möchte euch das anhand eines Beispiels erklären: Einer, der viel säuft, ist kein harter Typ, für den er sich gern ausgäbe, sondern ganz einfach ein Schwächling. Jemand, der Rauschgift ausprobiert oder gar schon abhängig ist, ist nicht etwa exotisch oder alternativ, sondern ein dummer Träumer, der mit der Realität nicht fertig wird. Wer laut und stur seinen Standpunkt verteidigt und mit dem Kopf durch die Wand will, befindet sich nicht im Recht, sondern in einer schwachen Position, genau wie derjenige, der mit faulen Tricks arbeitet. Und die Stars aus der Film- und Musikszene sind keine Halbgötter, sondern lediglich zu unserer Unter-haltung da – also nicht mehr als Spaßmacher. Früher zogen sie als Gaukler von Stadt zu Stadt, und wenn ihre Darbietungen nicht gefielen, wurden sie ausgepeitscht. Etwas ähnliches sollte man den Fernseh- und anderen Verantwortlichen angedeihen lassen. Die miesen Programme spotten ja jeder Beschreibung. Das Fernsehen ist nicht mehr für die zahlreichen Zuschauer da, sondern im Wesentlichen für Politiker, Werbeleute und andere Machtmißbraucher.“ Jochen kam mit seinen beiden Freunden herein. „Trinkt ihr einen mit?“ fragte er, „wir haben gerade etwas für unseren Seelenfrieden getan.“ „Wenn es etwas Ungesetzliches ist, gehe ich besser raus“, warf schmunzelnd der Anwalt ein. Die anderen lachten und Jochen erzählte: „Die Nuttenszene ist durch die Aidsgeschichte ganz schön ausgetrocknet. Gute Geschäfte werden da nur noch mit jungem Nachwuchs gemacht. Es gibt da einen Typ, der in ländlichen Discos junge Mädchen mit Drogen abhängig macht und sie dann an Bordelle verkauft. Den luden wir zu einem Spielchen ein. Selbstverständlich versuchte er uns zu betrügen. Nun – wir brachen ihm beide Daumen.“ „Ich kann euch da ein nettes Beispiel erzählen, wie pragmatisch andere Völker auf diesem Gebiet sind. In Algerien sind die Frauengefängnisse zugleich Bordelle. Ein Mann, der Lust hat, geht dort ins Gefängnis und sucht sich eine aus. Die Frau wird nicht gezwungen. Sie kann ablehnen – grundsätzlich, oder weil ihr der Mann nicht gefällt. Aber es sind dort immer eine Menge heißer Stuten eingesperrt, und Knete erhalten die auch noch dafür. Es geht da richtig nett und gemütlich zu. Die Frauen halten Essen für die Freier bereit, es wird Bauchtanz vorgeführt. Ein Bauleiterkollege schwärmte, in Algerien war seine schönste Zeit gewesen.“ Er nahm das Telefon und setzte sich einige Schritte abseits mit den Worten: „Ich muß mal mein Goldstück anrufen. Bin gleich wieder da.“ Er wählte, hörte das Klingeln, und Brigitte meldete sich. Leise flüsterte er in die Muschel: „Du gehst ein Leben lang auf tausend Straßen. Auf deinem Gang siehst du die Vielen, die dich vergaßen. Ein Auge winkt, die Seele klingt. Hast du es gefunden – warum nur für Sekunden? Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick – der Mund, die Beine, das gut geformte Mieder – war es das? Vielleicht dein Lebensglück. Halt es fest, sonst ist’s vorbei – verweht, nie wieder.“ Ihre Stimme klang atemlos: „Du verdammter Kerl – sofort kommst du her. Sonst kann ich heute nacht nämlich nicht einschlafen.“ Er lachte leise und sagte: „Das war der Zweck der Übung. Ich habe Sehnsucht nach dir.“ „Dann beeile dich“, kam es leise aus dem Hörer zurück. Er legte auf und wünschte der Runde eine gute Jagt und dann eine gute Nacht. Seine Adresse in Marbella hatten sie, und in einigen Monaten würde er mal wieder herein schauen. Alex winkte von der Tür noch einmal lässig, und fort war er. Er fuhr langsam, sich auf die Begegnung mit Brigitte vorbereitend. Heute mußte er ihr mehr erzählen. Nicht alles, aber genug, damit sie wußte, worauf sie sich mit ihm einließ. Er stellte sein Reisemobil vor ihre Garage. Das Haus leuchtete unter den Bäumen vertraut herüber. Sie hatte seinen Wagen gehört und öffnete die Haustür, als er über den Weg zum Haus schlenderte. „Willkommen daheim“, sagte sie einfach, umarmte und küßte ihn. Sie gingen hinein. Der Kamin brannte, und leise Musik erfüllte den Raum. „Wo ist Ralf?“ fragte er. „In seinem Zimmer. Er macht Hausaufgaben, hoffe ich“, antwortete sie. Alex fragte: „Kannst du ihn holen? Ich muß euch eine Geschichte erzählen.“ Sie sah ihn forschend an und ging dann wortlos die Treppe hinauf. Alex goß sich ein Glas Brandy ein, und dann war seine übliche Zigarre an der Reihe. Als er den dritten Rauchring produzierte, kamen die beiden die Treppe herunter. Er begrüßte Ralf, und sie setzten sich in die Kaminsessel. Er sah Brigitte in die Augen. „Einen Teil der Geschichte habe ich dir bereits erzählt. Ralf halte ich für reif genug, es auch zu erfahren.“ Nun blickte er Ralf an. „Vor Jahren verlor ich durch einen Gaunertrick eine Menge Geld. Nun kam ich her, um Nachforschungen anzustellen. Wobei ich Erfolg hatte, und zwar mehr, als ich zuvor erahnte. Ich deckte einen Agentenring auf, der anfänglich neonazistische Tendenzen bekämpfen sollte, indem Deutsche mit solchen Ansichten von einflußreichen Posten ferngehalten und Selbständige wirt-schaftlich geschädigt oder vernichtet werden sollten. Später wurden die Aktionen dann ausgeweitet auf wirtschaftliche Hilfen für Leute, die aus Osteuropa nach hier auswandern durften und gern hier bleiben. Weil das Leben hier bei uns nunmal einfacher, besser und bequemer ist. Ich bin sicher, daß in Amerika das gleiche Strickmuster abläuft.“ Die beiden sahen ihn ungläubig an. „Das glaube ich nicht“, war die überein-stimmende Reaktion, die fast gleichzeitig einsetzte. Alex sah sie gelassen an, trank einen Schluck und zog an seiner Zigarre. Im Kamin platzte unter scharfen Krachen ein harziger Ast. Alex fuhr fort: „In den letzten Wochen gab es ein paar Auseinandersetzungen. Fünf Menschen starben. Ich konnte wichtige Unterlagen erbeuten, die keinen Zweifel lassen. Auch konnte ich zuverlässige Verbündete finden. Meine persönliche Revanche ist vollständig abgeschlossen. Aber in einigen Monaten geht der Kampf wahrscheinlich weiter. Wir haben bislang erst ein einziges Nest ausgehoben. Es gibt aber noch ein paar davon.“ Brigitte hatte die Hand vor den Mund gepreßt, und Ralf lehnte sich in seinem Sessel interessiert nach vorn. „Alle Spuren sind verwischt, soweit ich das beurteilen kann. Ihr solltet nur wissen, daß ich eines Tages möglicherweise wieder in harte Auseinandersetzungen verwickelt werde. Aber durch mich kam diese Sache ins Rollen und ich kann jetzt nicht einfach kneifen. Dann habe ich da auch noch eine andere Sache in Gang gebracht,...“ – und dann erzählte er ihnen von der Stiftung. „Eigentlich ist ‚Stiftung‘ nicht der richtige Ausdruck“, erläuterte er seine Idee, „ich will damit eine Art Orden gründen, dessen Mitglieder eine neue Avantgarde darstellen.“ Er wußte, daß diese Sache gerade Ralf mit seiner linken Einstellung besonders interessieren würde. „Dann bist du also mit diesem Staat auch nicht einverstanden?“ fragte Ralf eifrig. Brigitte mußte über ihren Sohn lächeln. Alex wunderte sich. Die Agentenstory und die Toten machten den beiden gar nichts aus. Er antwor-tete Ralf auf die Frage: „Ich will keine Revolution, aber eine Umgestaltung. Die herrschenden Kreise haben Angst vor dem Volkswillen und vor einer direkten Basisdemokratie, die man nicht zurechtbiegen kann. In der Weimarer Republik stimmten bei einem Volksentscheid 36 Prozent für die Fürstenenteignung. Das Volk wußte sehr genau, wer es verraten hatte und nur an seine eigene Tasche dachte. Bei jeder Organisation stellt sich die Frage nach der Bestechlichkeit der Anführer. Das ist für einen Gegner der leichteste Weg. Ein paar Millionen auf ein Schweizer Konto und niemand weiß etwas. Deshalb lautet die wichtigste Forderung – direkte Wahl der Führer und dauernde Wachsamkeit der Wähler, sowie exemplarische Strafen für Fehlverhalten. Wir brauchen eine Demokratisierung der Wirt-schaft. Eine echte Mitbestimmung. Nicht etwa durch irgendwelche fremden Gewerkschaftsfunktionäre, was ja letztlich nichts anderes bedeuten würde als Fremdbestimmung ähnlich der kommunistischen Diktatur. Dort die kommunistischen Funktionäre, hier die Gewerkschaftsfunktionäre. Die Mitarbeiter in den Betrieben wissen am besten, was gut für den Erfolg ist, und wer was taugt. Die wollen ja alle ihren Arbeitsplatz erhalten und werden schon die richtige Wahl treffen. Auch die germanischen Stämme wählten bereits ihre Anführer. Und sie konnten schließlich die römischen Legionen aufhalten und später sogar das römische Imperium zertrümmern. Das deutsche Kernland wurde erst durch Kriege verwüstet und erobert, als Fürsten die Anführer wurden und ihre Titel an unfähige Nachkommen vererbten. Wenn sich das Volk die Macht aus den Händen winden läßt, dann geht’s ihm eben schlecht. Dazu paßt du Meldung aus den letzten Tagen: Das russische Angebot auf gesamtdeutsche freie Wahlen im Jahr 1955 wurde von Adenauer hintertrieben. Dies mit dem Hinweis, er besitze zum deutschen Volk kein Vertrauen. Es fragt sich nur, warum die Engländer das Dokument erst jetzt nach dreißig Jahren veröffentlichten. Eine Machtbegrenzung des Staates und der großen Monopolfirmen bei gleichzeitiger Selbstentwicklung des einzelnen Bürgers ist nur mit einer Ba- sisdemokratie möglich. Und nur mit Betrieben, die sich im Besitz der Mitarbeiter befinden, also nicht in Alleinbesitz, sondern im Besitz der dort Aktiven, der vom Betrieb Abhängigen. Wirkliche Freiheit schließlich wird nur möglich, wenn der Mensch auch sozial frei ist, also nicht abhängig arbeitet. Heute existiert ein autoritärer Besitzverteilungsstaat. Die Bürger sind staatsverdrossen, weil sie keine Möglichkeiten sehen, etwas zu verändern. Auch Wahlen bringen keine Veränderungen, unabhängig vom Ausgang. Wer bereits als Kind auf Befehl und absoluten Gehorsam eingeschworen wurde und später bei der Arbeit das gleiche Verhaltensmuster erlebt, empfindet das Spiel von Macht und Ohnmacht letztlich als normal – prak-tisch schicksalhaft.“ Ralf hatte mit wachsender Begeisterung zugehört. Jetzt warf er ein: „Bei den praktizierten Methoden, den Menschen von klein auf zu reglementieren und gefügsam zu machen, ist es für den Einzelnen schwer, seine Verkümmerung überhaupt zu erkennen.“ Alex grinste: „Das hast du aber bestimmt nicht aus eigener Erfahrung?“ Ralf sah verlegen zu seiner Mutter, die prustend auf-lachte: „Ich habe mit seiner Erziehung mehr in die andere Richtung übertrieben – also von mir ist das auch nicht.“ Sinnierend fuhr Alex fort: „Den Macht- und Herrschaftsmechanismen bin ich stets nach Möglichkeit ausgewichen. Führende Angestellte befinden sich in einer besonders schlimmen Lage. Sie fühlen sich fast als Unternehmer, da sie einen Zipfel der Macht in den Händen halten. Trotzdem müssen gerade sie bedingungslos gehorchen und sogar oft auf Leute hören, die lange nicht an ihre eigenen Fähigkeiten heranreichen. Auch die Gewerkschaftsbonzen sind der süßen Verlockung der Macht erlegen. Bevor nicht in allen gewerkschaftseigenen Betrieben eine Mitbestimmung verwirklicht ist, besitzen die nicht das geringste Recht, das für die Wirtschaft allgemein zu fordern. Flagge müßten sie zeigen, aber sie sind nur bemüht, die eigene Position egoistisch zu sichern. Der Staat nennt sich demokratisch. Aber Wirtschaft und Verwaltung sind autoritär, absolutistisch und repressiv wie eine Armee aufgebaut. Am Werkstor enden die bürgerlichen Rechte. Und ebenso am Behördeneingang. Wie soll ein Mensch sich selbst verwirklichen, wenn immer und überall andere über ihn bestimmen – in der Schule, bei der Arbeit und bei hundert weiteren Gelegenheiten?“ Brigitte hob die Hand. „Bevor ihr beiden euch restlos einig werdet, muß ich euch noch etwas fragen: Hat nicht jeder Aufstiegsmöglichkeiten nach seinem Können?“ Alex lächelte. „Theoretisch ja. Aber unser Schul- und Ausbildungssystem entfacht eine exzellente Filterwirkung, um die sogenannten Unterschichten von den Elitepositionen auszuschließen. Bei uns kommen nicht die Besten oben an, sondern die mit den besten Beziehungen. Je stärker eine herrschende Klasse befähigt ist, die bedeuten-den Männer der beherrschten Klasse in sich aufzunehmen, desto solider und wirkungsvoller, gefährlicher den Feinden gegenüber, wird diese Herrschaft. Nehmen wir als Beispiel die Erhebung in den Ritterstand. Deshalb war England über einige Jahrhunderte hinweg so erfolgreich. Man hat der unteren Klasse den Ritterstand wie dem Esel die Mohrrübe vorgehalten, und die Besten, die es dann nach unsäglichen Mühen geschafft hatten und gnädigerweise den Ritterschlag erhielten, haben damit die Oberklasse gestützt und stabilisiert. Und dann der Staat. Die ausführende Staatsgewalt, die Exekutive, ist trotz vieler Mängel ohne Zweifel nicht untüchtig. Aber der Bundestag als Legislative ist schon lange nicht mehr das, was er eigentlich sein sollte. Gesetze werden nicht mehr richtig beraten, sondern es wird lediglich abgestimmt. Wobei fachkompetente Stellungnahmen und Äußerungen zwar formell eingeholt werden, praktisch jedoch unbeachtet bleiben, weil letztlich das Parteibuch entscheidet. Gesetzesformulierungen und manchmal auch Folgeabwägungen nehmen Referenten und Vertreter von Interessenverbänden vor – nicht selten einvernehmlich in direkter Zusammenarbeit. Einzelne Abgeordnete haben praktisch keine Chance, ihre Meinung auszudrücken und dementsprechend zu verfahren. Sie werden der Fraktionsdisziplin unterworfen, und die Fraktionsführer lassen nur sogenannte Experten zu Wort kommen. Für die Bauern beispielsweise die Bauernvertreter. Und das sind dann die Großbauern. Dieser hat jedoch mit 200 Hektar andere Probleme als ein Kleinbauer mit zehn oder zwanzig Hektar. Die wichtigsten Referentenentwürfe zu geplanten Gesetzesvorlagen disku-tiert man mit den Verbandsbürokraten. In Fachausschüssen und Studien-kommissionen wird beraten und auseinander genommen, die Wirkung errechnet. Geändert und umformuliert. Und dies alles, bevor die Abge-ordneten überhaupt ahnen, was auf den Weg gebracht wurde. Und damit ist der überwältigende Teil der Bevölkerung von der politischen Willens-bildung ausgeschlossen. Demokratische Entscheidungsprozesse findet man in den Parteien selten. Ein kleiner Kreis von Funktionären teilt die Position unter sich auf, und der Zutritt in die geschlossene Kaste der Führungsschicht ist ungemein schwierig. Da geht eine gewaltige Demontage der Demokratie vor sich. Der Staat müßte den Mittelstand und die mittelgroßen Bauernhöfe stützen und fördern. Gegeben wird aber denen, die schon reichlich haben, womit die wirtschaftliche Machtkonzentration nur weiter verstärkt wird. Das ergibt dann unsinnige Subventionen und verschleuderte Steuern. Große Vermögenskonzentration bedeutet gleichzeitig politische Macht. Deshalb müßte in einer echten Demokratie zu große wirtschaftliche Macht in wenigen Händen unterbunden werden. Einige Millionen soll sich ein cleverer Typ getrost verdienen können. Aber was darüber hinaus geht, ist Diebstahl und sollte vereitelt werden. Was mich am meisten fuchst, sind die laufenden Versuche der Politiker, uns Bürger regelrecht zu verscheißern. Beispielsweise in der Rentenangelegenheit. Jeder weiß doch, daß die Renten durch die geringe Zahl der nachwachsenden Beitragszahler nicht mehr gesichert sind und es gar nicht mehr sein können. Aber alle versuchen, sich bis zur nächsten Wahl durchzu-mogeln.“ Plötzlich kam Brigitte auf den Anfang zurück: „Wenn du weiterhin in solche gefährlichen Sachen verwickelt bist, kannst du eines Tages auch getötet werden. Womit ich dann Witwe wäre, oder?“ Alex lachte. „Wer will denn ewig leben? Das würde doch langweilig. Lieber kurz und gut, als lang und schlecht. Auf keinen Fall hilflos vor sich hindämmern. Wenn ich mal nicht mehr für mich selbst sorgen kann, lege ich einen sauberen Abgang hin. Der Glaube der alten Germanen war eigentlich ganz gut. Wer als Krieger im Kampf fiel, zog in die Walhalla ein. Darin können heute nur noch Araber mithalten. Wer bei denen im Heiligen Krieg fällt, kommt ins Paradies. Das ist doch sehr nützlich. Zumindest für die, die den Krieg veranstalten.“ Das Feuer im Kamin war herunter gebrannt. Die Glut krachte manchmal. Ein angenehmes, gemeinsames, nachdenkliches Schweigen herrschte nach seinen letzten Worten. Alex nippte an seinem Glas und überlegte, ob er sich noch eine Zigarre anstecken wollte. Er sah auf die Uhr und entschied sich dagegen. „Geisterstunde. Wollen wir noch ein wenig quatschen oder gehen wir schlafen?“ Ralf gähnte. „Ich habe genug zum Nachdenken. Morgen ist auch noch ein Tag.“ Als seine Tür oben zuklappte, winkte Alex Brigitte zu sich und fragte: „Was hältst du von einer seelischen Aufwärmung?“ Er zog sie auf seinen Schoß und vergrub sich in ihrem bereitwilligen Mund. Seine linke Hand streichelte die Innenseite ihrer Schenkel. Langsam wurden ihre Atemzüge kürzer, und ein kehliges Stöhnen entrang sich ihrer Brust. „Komm ins Bett“, flüsterte sie erregt, und er gehorchte nur zu gern. Diesmal war ihre Vereinigung die reinste Raserei. Sie stöhnte, biß ihn in die Schulter und riß ihm Furchen in die Haut. Schließlich schliefen sie ermattet in dem Zerwühlten Bett ein. Am nächsten Morgen trödelten sie herum, verstauten Brigittes Reisegepäck im Auto, kauften Proviant ein und sagten der Nachbarin ‚Guten Tag‘. Die alte Dame lud sie zum Kaffee ein und ließ sich die jüngsten Neuigkeiten berichten. Das Reisemobil vor der Garage war ihr schon aufgefallen, und sie erwärmte sich zusehends für die Idee einer Reise zu zweit – frei und ungebunden, ohne Hotelreservierung und Termine. „Wir werden einfach anhalten, wo es schön ist“, sagte Alex und erzählte von seiner Griechenlandreise vor einigen Jahren mit seinen Kindern. Sie hatten spät gefrühstückt und wollten erst gegen Abend ordentlich essen. Brigitte hatte noch eine Menge Papierkram zu erledigen: Zeitungen abbestellen, Abbuchungsaufträge erteilen und vielen Bekannten Bescheid geben. Alex hatte sich erboten, für das Essen zu sorgen. „Da bin ich ja gespannt, was du diesmal auf den Tisch bringst“, freute sie sich, „als Hausmann bist du ganz gut zu gebrauchen.“ Es gab ihr einen Klaps auf den Hintern und schob sie ins Büro. In der Küche packte er eingekauften Zutaten aus und suchte die feuerfeste Glasform. Er schälte Kartoffeln und schnitt sie in Scheiben. Ebenso Tomaten, Zwiebeln und Paprika. Dann füllte er die Glasform mit je einer Schicht Kartoffelschei-ben, gehackten Zwiebeln und Paprika, würzte jede Schicht noch mal extra mit Salz, Pfeffer und Paprika und stellte die verschlossene Glasform in den Backofen. Dann entfachte er im Kamin ein Feuer, setzte sich mit einem Buch davor und genoß das Leben. Brigitte kam aus dem Büro, sah ihn sich im Sessel räkeln und fragte sarkastisch: „Wer hat denn versprochen, sich um unser leibliches Wohl zu kümmern? Oder probierst du gerade wieder einen arabischen Menütrick aus?“ Alex sah auf die Uhr. „In einer Stunde gibt es was zu futtern. Ich lasse dich schon nicht verhungern. Wenn du mir nicht glaubst, schau in den Backofen.“ Sie glaubte ihm zwar, aber neugierig wie alle Frauen ging sie doch in die Küche. Als sie zurück kam, beugte sie sich über ihn, küßte ihn und biß ihn zärtlich ins Ohrläppchen. Dann meinte sie: „Wenn das so schmeckt wie es riecht, überlasse ich dir in Zukunft die Küche.“ „Das könnte dir so passen“, neckte er sie, „mich total verknechten.“ „Ich muß noch soviel erledigen“, seufzte sie, „und ich habe gar keine Lust dazu.“ „Du besitzt mein vollstes Verständnis“, grinste er, „als ich selbständig war, erhielt ich auch beinahe täglich Drohbriefe von allen möglichen Ämtern und Institutionen. Steuererklärungen sollte ich ausfüllen. Angaben zur statis-tischen Auswertung machen, Versicherungsformulare ausfüllen und tausend ähnlicher Mistdinge erledigen. Da aber niemand mit Colt und Handschellen hinter den Büschen auf mich lauert, warf ich den Kram regelmäßig in den Kamin, und an dem Feuerchen erwärmte ich mir die Zehen.“ „Gab das nie Ärger?“ fragte sie erstaunt. „Ach“, sagte er wegwerfend, „wenn die Typen mir zu lästig wurden, ging ich eine Zeit lang ins Ausland arbeiten, meldete mich hier ordnungsgemäß ab und ließ mir von der deutschen Botschaft im Ausland den neuen Wohnsitz bestätigen. Solche Vorgänge fanden sie in den Vorschriften nicht, und deshalb waren sie dann gewöhnlich völlig ratlos.“ Sie lachte und glitt auf seinen Schoß. Sie küßten sich und versicherten sich gegenseitig, wie sehr sie sich liebten. Seine Hand glitt unter ihren Slip und kraulte in ihrem Haar. Ihr Bauch knurrte vernehmlich, und beide mußten lachen. „Jetzt habe ich doch zwei Sorten Hunger auf einmal“, stellte sie fest, „gegen welche Sorte unternehmen wir zuerst was?“ Diese Frage war jedoch nicht ernst zu nehmen, denn sie befand sich schon dabei, seinen Gürtel zu öffnen. „Du bist wieder feurig heute“, stöhnte er, mitgerissen von ihrem Temperament, drückte sie über die Sessellehne und drang ohne viel Umstände in sie ein. Sie verschränkte ihre Hände hinter seinem Nacken, umklammerte ihn mit den Beinen und überließ sich seinem Rhythmus. Er spürte ihre steigende Hitze, und dann wurden sie von Wellen ihres gleichzeitigen Höhepunktes überschwemmt. Er bewegte sich sachte weiter, und sie stöhnte lustvoll. Sie schlug ihre Augen auf, zog sich hoch, küßte ihn und sagte: „Halt an, sonst bekomme ich gleich noch einmal Lust.“ In einem zärtlichen Nachspiel küßten sie sich noch einige Minuten, und dann lösten sie sich langsam voneinander. Er prüfte in der Küche den Auflauf. Die Kartoffelscheiben waren gar, und somit würde der Rest es auch sein. Rasch deckte er den Tisch, schnitt das Stangenbrot zurecht und öffnete eine Flasche Wein. Als Alex die Glasform auf den Tisch stellte, den Deckel abnahm und ein würziger Geruch sich in der Küche verbreitete, kam Brigitte aus dem Bad und schnupperte erfreut. „So gefällt es mir“, lachte sie. „Von allen Seiten verwöhnt zu werden – was will ich mehr?“ Sie kosteten und blinzelten sich gegenseitig zu. Das Essen war besser gelungen, als Alex erwartet hatte. Später mußten sie sich zurück-halten, um eine Portion für Ralf übrig zu lassen. Als Ralf zwei Stunden später eintraf, saßen sie vor dem Kamin und unterhielten sich über die Reise. Ralf hatte seine Freundin mitgebracht, und es wurde noch ein lustiger Abschiedsabend mit vielen Geschichten, Witzen und Gelächter. Am Morgen ging es in aller Frühe nach kurzem Abschied los. Der Besuch bei Alexanders Kindern verlief herzlich und dauerte länger als geplant. Er erzählte ihnen seine Abenteuer aus letzter Zeit und sah mit stiller Freude, wie gut sie sich mit Brigitte verstanden. Die Kinder hatte er selbständig erzogen, und daher brauchte er sich auch nicht um sie sorgen. In einer Notlage würde er ihnen natürlich immer voll beistehen, aber ansonsten waren sie alt genug, ihr Leben selbst zu gestalten und zu meistern. Am späten Nachmittag fuhren sie weiter und schafften es am Abend noch bis zur Grenze. Zwei Tage später kamen sie Südfrankreich an – nach etlichen Zwischenstopps. Alex hielt an einem Parkplatz mit schöner Aussicht, um sich mit ein paar Tassen Kaffee für die Weiterfahrt aufzu-muntern. Brigitte lag hinten im Bett und rief schlaftrunken: „Was ist los?“ Alex antwortete: „Kaffeepause! Unterbrich mal deinen Schönheitsschlaf und starte die Espressomaschine. Nur nicht drängeln, der Herr!“ tönte es zurück. Alex stieg aus, machte einige Kniebeugen und lief im lockeren Trab zwei Runden um den Parkplatz. Ein alter Peugeot hielt einige Meter neben ihm. Ein Mann stieg aus, und ein Mann und eine Frau saßen noch im Auto. Gleich werden sie mir was verkaufen wollen, dachte Alex. Und tatsächlich. Der eine Mann kam auf ihn zu, ging einen Schritt vorbei und drehte sich um – eine Zigarre in der linken Hand. „Feuer bitte!“ bat er auf Deutsch mit irgendeinem Akzent. Als der Mann dann mit der rechten Hand in seine Hosentasche faßte, schrillten bei Alex die Alarmglocken. Durch das Vorbeigeh-Manöver stand er nun mit dem Rücken zum Peugeot. Die rechte Hand seines Gegenübers kam aus der Tasche, die lange Klinge eines Stiletts klappte aus dem Griff und funkelte gefährlich in der Sonne. Im gleichen Moment fuhr Alexanders rechte Hand mit gespreizten Fingern in die Augen des Angreifers. Der ließ im ersten Schock sein Messer fallen und fuhr sich aufschreiend mit beiden Händen an die schmerzgepeinigten Augen. Alex packte ihn mit beiden Händen, drehte sich mit ihm um und duckte sich. Ein grauenvoll krachendes Knirschen ertönte, und die Gestalt in seinen Händen wurde schlaff. Der zweite Mann aus dem Auto ließ entsetzt seinen Knüppel fallen und starrte mit aufgerissenen Augen auf den zertrüm-merten Kopf seines Kumpans. Alex ließ angeekelt die Leiche los, und die sank wie ein haltloses Kleiderbündel zwischen ihnen zu Boden. Ehe der zweite Mann seinen Schock überwunden und seinen fassungslosen Blick von seinem unfreiwilligen Opfer lösen konnte, trat Alex einen Schritt vor und trat ihm mit voller Wucht in die Hoden. Die Wirkung war durchschlagend. Der Totschläger kippte um wie ein gefällter Baum und wand sich am Boden in konvulsivischen Zuckungen. Aus seinem Mund drang kein einziger Ton. Dafür gellte vom Auto her ein durchdringendes Kreischen. Die Frau sprang wie ein Teufel aus dem Auto, schlug ihren langen Rock hoch und zog aus einer Oberschenkelscheide einen zierlichen Dolch. Mit zurück gezogenen Lippen, das wie ein Zähnefletschen wirkte, griff sie Alex mit einem wütenden Knurren an. Alex besaß vor einem Messer an sich schon einen heillosen Respekt, und wütenden Frauen ging er lieber aus dem Weg. Die Kombination von beiden ließ ihn äußerst vorsichtig werden. Er sprang nach links zurück, und die Frau machte einen Schwenker in seine Richtung. Er sprang erneut, diesmal nach rechts. Aus dem Stand konnte er gut zwei Meter weit springen. Als sie diesmal wieder auf ihn einschwenkte und ihn fast erreicht hatte, trat er gegen ihr linkes Knie. Sie schrie auf, wurde um ihre eigene Achse gewirbelt und krachte zu Boden. Ihr Dolch flog in hohem Bogen davon. Alex besah sich das Desaster und überlegte, was er nun tun solle, als Brigitte an ihm vorbei rannte, die langen Haare der Zigeunerin packte und sie daran hin und her zerrte. „Du verdammte Schlampe!“ schrie sie dabei, vor Wut bebend, „dir werde ich helfen, meinen Mann ermorden zu wollen!“ Trotz des Schlachtfeldes mußte Alex lachen. Es war einfach zu komisch. Die Frau wimmerte nur noch und hatte mit beiden Händen ihre Haare umfaßt, um der Schmerz abzumildern. Brigitte ließ los, trat zurück und sagte zu Alex: „Komm, wir verschwinden. Sonst müssen wir der Polizei endlose Fragen beantworten.“ Einige Kilometer weiter stießen sie auf ein Rasthaus. Alex bog ein und sagte: „Dann trinken wir unseren Kaffee eben hier.“ Sie setzten sich an einen Fenstertisch. Brigitte bestellte in fließendem Französisch, denn sie hatte einige Zeit an der Sorbonne studiert. Der Wirt gab die Bestellung an die Küche weiter und telefonierte. „Ich erzählte ihm, wir hätten im Vorbeifahren gesehen, wie zwei Männer sich um eine Frau prügelten“, kicherte Brigitte, „jetzt ruft er die Gendarmen an, und wenn sie sich etwas beeilen, werden sie eine Menge zu tun bekommen.“ Einige Monate später wunderte sich ein Kriminalsekretär bei der statistischen Auswertung, warum Reisemobile mit deutschen Nummernschildern in letzter Zeit so selten überfallen wurden. Die Flüsterpropaganda unter den Ganoven hatte ihre Wirkung gezeigt. In Biarritz hielten sie kurz an. Der berühmte Badeort sah im Winter so traurig aus wie eine abgeschminkte Nutte. In Sintra, kurz vor Lissabon, blieben sie ein paar Tage. An einer selbstgezimmerten Strandbar traf sich jeden Tag ein bunter, internationaler Haufen von Langzeiturlaubern, Playboys, Steuerflüchtlingen, schweren Jungs, leichten Mädchen und einigen Einheimischen. Der Wirt war Deutscher, verbrauchte gerade die zweite Portugiesin und war früher Fernfahrer gewesen. Dann hatte er Autos an- und verkauft, bis die Steuerprüfer kamen. Was in ihm den raschen Entschluß auslöste, spontan in den Süden zu ziehen. Portugal und Spanien kannte er ja bereits von seinen LKW-Touren her und die Sprachen lernte er spielend. „Die können mich mal“, pflegte er zu sagen. „Wenn das Finanzamt mich mal intensiver belästigt, heirate ich eben meine Tussi und werde Portugiese. Schließlich bin ich doch nicht auf dieser Welt, um diesen Faulenzern ihren Büroschlaf mit Beförderungsgarantie zu finanzieren.“ Ein dicker Bayer schaukelte auf seinem Barhocker. „Das Leben ist so traurig“, jammerte er. Alex prostete ihm zu. „Ich weiß schon. Nichts kann der Mensch schlechter verkraften als eine Reihe guter Tage. Was willst du eigentlich? Jeden Tag Sonne, genügend Bier, gute Kumpels um dich herum. Was soll also das Gejaule?“ Der Bayer nahm einen tiefen Schluck und sagte: „Es ist schauderhaft, mit einer Frau im Bett zu liegen, die man nicht mehr vögeln will.“ Die Runde brach in schallendes Gelächter aus. „Stell dir mal vor, ihr geht es ebenso“, sagte Alex lachend zu ihm. Der fassungslose Gesichtsausdruck des Bayern bewirkte ein erneutes, verzücktes Aufjohlen der Runde. Der Wirt hieß Eckard, aber alle nannten ihn Hardy. Dieser Hardy hatte so seine Prinzipien. Wer ihm nicht gefiel, bekam von ihm nichts. Er erzählte, wie er einen reichen, hochnäsigen Portugiesen fortgeschickt hatte, und das tat er so plastisch, daß sich die Gäste fast unterm Tisch wälzten. Hotte, ein Berliner, warf ein: „Wenn du das öfter machst, wirst du eines Tages Konkurrenz bekommen.“ „Hatte ich schon“, entgegnete Hardy verächtlich, „die Hütte stand da drüben. Hat der Wind vor ein paar Monaten fortgeweht. Eine Frau hatte darin bedient. Die wackelte mit allem, was sie besaß. Leider war es nicht viel. Und in das Bier mußte man Zigarettenasche reinkippen, damit es überhaupt nach was schmeckte.“ Dem Bayern fiel vor Schreck bei der Vorstellung eines derartigen Frevels fast der Maßkrug aus der Hand. Alex unterhielt sich mit Hotte, denn er war ja auch in Berlin zur Schule gegangen. „Biste von Haus aus reich, oder wie machste deine Kohle?“ fragte er ihn. „Zum Geld habe ich kein Verhältnis“, klagte Hotte in einem wohl seltenen Augenblick von Selbsterkenntnis. Und dann gab er seine Geschichte zum Besten: „Ich komme aus der DDR. Hopste damals beinahe mit einem Satz auf die Mauer – leider fiel ich auf der verkehrten Seite wieder runter. Daraufhin wurde ich erst einmal für drei Jahre eingebuchtet. Dann freigekauft und gleich richtig rein in die Glitzerwelt. Egal weshalb, aber wenn du schon einmal im Knast gesessen hast, lachst du über die Probleme der Normal-sterblichen und es bleibt dir irgendwie ein Hang zu schrägen Vögeln. Eines Abends lernte ich in `ner Disco ein putziges Mädchen kennen. Die erzählte mir, sie arbeite bei einer Kreditkartenfirma. Also stellte ich meine Lauscher auf und beschloß, ins Kreditkartengeschäft einzusteigen, und so robbte ich mich an sie ran. Erst mal wurde `ne flotte Sohle aufs Parkett gelegt und dann in einer dunklen Ecke ihre Titten durchgewalkt – da ging ihr schon der erste ab. Am selben Abend bin ich noch bei ihr eingezogen, und damit begann die Knochenarbeit.“ „Wieso?“ fragte Alex, „sowas kann doch nicht in Arbeit ausarten.“ „Denkst du in deiner jugendlichen Einfalt“, entrüstete sich der um zehn Jahre jüngere Hotte. „Die hatte doch einen Geburtsfehler. Ihre Einfahrt war so riesig, da konntest du mit einem Lastwagen rein und dir dann in aller Ruhe einen Parkplatz suchen. Aber mit Arbeit meine ich ja hauptsächlich das Kohle-machen. Daher kommt ja meine gestörte Einstellung zum Geld – es war eben zu leicht.“ „Erzähle“, forderte Alex ihn auf, „wie man leicht zu Geld kommt, interessiert mich schon immer.“ Der Unterricht ging weiter: „Also, der Draht spielt sich folgendermaßen ab: Die Kreditkartenorganisation verschickt jeden Tag mit normaler Post Blankokarten an neue Mitglieder. Auch welche, mit denen alte oder verloren gegangene ersetzt werden. Meine Tussi besorgt mir also die Adressen, und dann gleich hinter den Briefträgern her und die Sendung aus dem Briefkasten gefischt. Du glaubst gar nicht, wie viele verschiedene Schlüssel dafür notwendig sind. Auf der Karte stehen ein Name und die Mitgliedsnummer. Jetzt braucht man die Karte nur noch mit diesem Namen unterschreiben mit deiner normalen Schrift, und somit stimmt dann die Unterschrift für die Zukunft zu allen anderen Unterschriften. Nun braucht man sich nur noch den dazu passenden Paß besorgen. Den kriegt man für ungefähr 2.000 Mark. Was dann folgt ist ja die Knochenarbeit. Es dauert etwa vier Wochen, bis die merken, daß irgendwas faul ist. Die Einkaufstouren müssen also genau geplant sein und reibungslos ablaufen. Natürlich darf man nur solches Zeug kaufen, das sich auch leicht wieder verscheuern läßt, sonst wär’s ja die reine Geldverschwen-dung. In Holland veranstaltet ein Club einen Wettbewerb. Der Beste kaufte innerhalb von vier Wochen für rund 450.000 Mark ein.“ Alex pfiff durch die Zähne und meinte: „Dagegen sind Bankräuber ja die reinsten Stümper.“ Hotte seufzte: „Aber leider verdirbt leichtes Geld den Charakter. Man wird übermütig und leichtsinnig. Eines Abends bin ich in eine Nachtbar rein. Ich gebe dem Barkeeper meine Kreditkarte und sage zu ihm, er solle mal zwei Deckungen von jeweils tausend Mark abziehen. Eine solle er mir auszahlen, die andere könne er behalten. Wer sagt da schon ‚nein‘, wenn er auf die Schnelle einen Tausender machen kann. Ich also ran an die Theke und für die Miezen eine große Pulle bestellt. Zwei Stunden später machen die Bullen eine Razzia, suchen nach Rauschgift und finden meine beiden Rechnungen beim Keeper. Die kennen die Tricks natürlich auch, und gleich begannen alle Lichter zu blinken und es wurde telefoniert. Mit Mühe und Not habe ich damals die Kurve gekriegt und bin dann erst mal nach Israel.“ „Was willst du denn bei den Israelis?“ fragte Alex entgeistert. Die Antwort war einleuchtend. „Na, die liefern doch niemanden aus. Und nach Deutschland schon gar nicht, verstehste?“ „Und wie bist du dann hier gelandet?“ fragte Alex weiter. Und wieder einmal hatte das Schlitzohr eine Bombenerklärung parat: „Meine Spur führt also nach Israel. Da klappen doch die Bullen in Berlin erst mal meine Akte zu. Israel ist aber auf Dauer zu teuer. In Haifa kaufte ich mir ein Penthaus am Strand und war nach einigen Monaten fast pleite. Normale Geschäfte kannste nicht machen, denn dafür fehlen dir die Beziehungen. Also lachte ich mir zwei Pferdchen an und schickte sie auf die Rennbahn. Die Israelis haben das aber nicht gern, wenn bei ihnen ein Ausländer Kohle macht. Die sind das halt andersherum gewöhnt. Nach einer Weile erhielt ich Dutzende von Hinweisen, ob mir nicht ein wenig Luftveränderung guttäte.“ „Und was machen die Pferdchen inzwischen?“ fragte Alex lachend. Urig wie bisher, erklärte Hotte weiter: „Die bezahlen mir Miete. Davon kann ich hier leben. So sind wir alle zufrieden. Die Israelis sind mich los, die Miezen haben eine schöne Wohnung – mit dem exklusiven Background können sie gleich ein paar Scheine mehr verlangen – und ich kann mir hier in Ruhe was Neues ausdenken.“ Alex hob sein Glas und prostete ihm zu: „Auf daß das Leben nie langweilig wird!“ „Darauf kannst du einen lassen“, gab Hotte zurück, trank sein Glas aus und bestellte eine neue Runde. „Schau dir mal den Typ an.“ Hotte deutete auf einen schmächtigen in mittleren Jahren und mit schütterem Haar. „Dem ist seine Frau fort gelaufen. Hier will er seinen Schock über-winden. Gestern abend hat er mir stundenlang vorgelabert. Wie gut sie es bei ihm doch gehabt hätte. Meiner Meinung nach hat die sich nur aus einem scheintoten Zustand heraus gerettet. Der sieht doch aus wie eine halb verweste Leiche und stinkt nach Terpentin on the rocks. Naja, was kann man von einem Beamten schon erwarten.“ Sie lachten beide. Wenig später kam Brigitte und setzte sich zu ihnen. Sie hatte sich mit einer Gruppe Ausgeflippter unterhalten und erzählte nun: „Die Typen leben in den Bergen in einer Künstlerkommune. Eine Menge Leute wollen da ihren persönlichen Dachschaden der Welt als künstlerisches Flair andrehen.“ Sie schnaubte entrüstet. Ihr scharfer Verstand durchschaute hohles Geschwätz sofort. Hotte blickte sie bewundernd an und fragte Alex: „Wie hast du bloß so ein Goldstück an Land ziehen können?“ „Mit inneren Werten, denn an meinem Äußeren kann es ja kaum gelegen haben. Ich bin natürlich sehr stolz auf sie.“ Mit munterem Geplauder bisheriger Art verging der Abend. Am nächsten Tag fuhren sie weiter nach Süden durch die Algarve, setzten mit der Fähre nach Spanien über und hielten erst wieder in Cadiz für zwei Tage an. Die Sonne schien, aber ein kalter Wind wehte vom Atlantik her. Alex hatte sein Reisemobil neben der Polizei abgestellt und mit dem Offizier gesprochen. Die Polizisten würden ein Auge darauf haben. Cadiz hatte eine lange Geschichte und besaß malerische Winkel. In einer Bodega mit schöner Aussicht aufs Meer trafen sie einen Deutschen, der hier sein Rentnerdasein genoß. Er wußte sehr gescheit von der Geschichte der Stadt zu erzählen. „Wie kamen Sie auf den Einfall, sich hier nieder zu lassen?“ fragte Brigitte und erhielt zur Antwort: „Meine Rente ist hier weit mehr wert, und nette Menschen finden sich überall. Bei uns zuhause können die meisten ja nur bis zum nächsten Misthaufen sehen. Zum ersten Mal kam ich als Kriegsgefangener auf der Fahrt nach Amerika hier vorbei. In vielen Menschen weckte der Krieg nunmal das größte Fernweh.“ „Haben Sie hier viele Kontakte?“ fragte ihn Alex. „Genug“, erwiderte der Alte, „hier ist die halbe Welt versammelt. Man braucht nur auf die Menschen zuzugehen und darf nicht auf die anderen warten.“ Er stellte ihnen einen vorzüglichen und sehr preiswerten Menüvorschlag zusammen und empfahl dazu einen einheimischen Wein. „Immer was aus der Umgebung trinken“, zwinkerte er verschmitzt, „die trauen sich nicht zu panschen.“ Am nächsten Tag fuhren sie an Gibraltar vorüber. „Es lohnt kaum, den Felsen zu besuchen“, erklärte Alex, „dort wimmelt es von Touristen und teuer ist es auch.“ Auf dem höchsten Punkt der Küstenstraße stoppte er an einem Parkplatz, packte sein Marinefernglas aus und sagte: „Von hier hast du den besten Blick über Gibraltar, das gegenüberliegende Ufer und die ganze Küste. Schau mal, die große Raffinerie hinter dem Felsen in Richtung Cadiz. Das nenne ich Luftverschmutzung.“ Er pfiff ehrfürchtig durch die Zähne. Gewaltige schwarze Rauchwolken quollen aus vielen Schornsteinen und wälzten sich auf Gibraltar zu. Alex grinste und sagte: „Ich bin fast sicher, daß die Spanier diese Anlage mit Absicht an dieser Stelle bauten, um den Engländern einen dauerhaften Raucherkatarrh zu verschaffen.“ Sie schossen ein paar Fotos und fuhren weiter. Am Nachmittag kamen sie in Estepona an. „Gleich sind wir in Marbella“, erzählte Alex, „aber vorher halten wir noch in Puerto Banus, dem berühmten Yachthafen. Ist nichts Besonderes – teure Bars, Restaurants und Boutiquen und ein paar schöne Yachten der Superreichen. Bevor wir abbiegen ist links das Kasino und die Stierkampfarena.“ Es war noch nicht Abend und deshalb fanden sie einen Parkplatz. Sie setzten sich in eines der vielen Strandcafes und tranken Kaffee und Brandy zum Aufmuntern. „Abends ist das hier die Flaniermeile. Die Schönen der Nacht stellen sich zur Schau, und die Reichen suchen willige Opfer für ihre Bordparties. Ohne anzuhalten fuhren sie dann weiter nach Marbella. „Die Stadt selbst ist mit ihren Betonburgen fast so scheußlich wie Torremolinos. Hier links neben dem kleinen Park liegt die Altstadt, voll mit niedlichen kleinen Läden, Bars und Restaurants. Das ist das Beste an der ganzen Stadt, aber auch mit gepfefferten Preisen. In der Mitte befindet sich ein kleiner Platz mit Bäumen und bis auf den letzten Zentimeter ausgenutzt mit Tischen und Stühlen. Als der Platz letztes Jahr neu gepflastert wurde, lieferten die spanischen Handwerker ihr Meisterstück ab. Der Boden liegt jetzt höher als die Ladentüren, und wenn es mal regnet, läuft das Wasser in die Läden.“ Brigitte hatte neugierig zugehört und sah ihn nun ungläubig an. „Kein Ulk?“ fragte sie, und Alexander antwortete: „Aber nein – das ist Spanien. Hier gibt es 300 Sonnentage im Jahr. Wer wird sich denn schon über das bischen Regen aufregen?“ Sie fuhren die vierspurige Küstenstraße weiter in Richtung Malaga. Alex erzählte weiter: „Das Schönste hier ist die Umgebung. Der große Felsen hinter Marbella, die Höhenstraßen über die Berge mit weißen Dörfern und natürlich das Klima. Im Sommer mit kühler Brise und im Winter geschützt vor den kalten Nordstürmen durch die Sierra Nevada. Hier links die Straße führt hoch in die Hügel und zur deutschen Schule. Vor einigen Jahren war das Meer hier ganz schön verdreckt. Jetzt werden überall Kläranlagen gebaut. Ist ja ganz normal, denn wo die Reichen und Einflußreichen wohnen, gibt es auch Lebensqualität. Der König von Saudi-Arabien schenkte Marbella eine hochmoderne Klinik. Er könnte in seinem Urlaub hier ja auch mal krank werden. Und noch eine Geschichte wird von ihm erzählt: Von seinem Palast aus sah er auf eine Menge alter und baufälliger Hütten herunter, was seinen Schönheitssinn beleidigte. Kurzer-hand baute er den Leuten an andrer Stelle moderne Häuser und ließ die alten Hütten abreißen.“ Alex parkte rechts abseits der Straße auf dem Randstreifen neben einem flachen Gebäude. „Komm mit“, forderte er sie auf, „das hier ist die alte Poststation von La Cala. Es ist jetzt ein Restaurant. Hier gibt es das beste Brot weit und breit. Außer Brot kann man auch Wurst und Zigaretten kaufen, Kaffee trinken, Tapas essen sowie eine richtige Mahlzeit schnell, gut und preiswert erhalten.“ Sie traten ein, und es gab ein großes Hallo des Wiedererkennens. Alex bekam noch eins der letzten Brote. Brigitte probierte die spanischen Würste, und Alex gab eine Runde Kaffee oder Brandy nach Wunsch aus. Er versprach, in nächster Zeit öfter mal herein zu schauen und verstaute den Einkauf im Wagen. Zu Brigitte sagte er: „Jetzt fahren wir nur noch ein paar hundert Meter. Da vorn liegt das alte Fischerdorf La Cala mit einer schönen Sandbucht, vielen neuen Häusern und einer deutschen Wirtschaft mit deutschem Bier vom Faß. Die Wirtin kocht erstklassig, und der Wirt ist die beste Lokalzeitung. Er leitet den örtlichen Fußballclub und weiß alles, was hier so los ist.“ An der Ampel bog er rechts zum Strand ab, drehte eine Runde und parkte neben den Fischerbooten. Dann zog er die Schuhe aus, rollte seine Hosenbeine hoch und stieg aus. Er sagte zu Brigitte: „Ich will mal probieren, wie kalt das Wasser ist. Kommst du mit?“ Sie aber schüttelte sich und meinte: „Schon bei dem Gedanken daran friere ich. Ich warte lieber hier auf dich.“ Draußen schrie eine Stimme: „Hola Amigo!“ Brigitte sah durch die Fenster-scheibe, wie Alex einen seltsamen Mann begrüßte – schmal, krumm, fast keine Haare, mit zerfurchtem Gesicht und ohne Zähne. Die beiden gingen zum Strand und unterhielten sich lebhaft. Alex planschte mit nackten Füßen im flachen Wasser und kam bald zurück. Er deutete auf den Mann in seinem Schlepptau: „Das ist ein Original. Ein alter Fischer. Der gibt mir immer seltene Muscheln. Hier halten alle Einwohner jedes Jahr ein Strandfest ab. Dabei werden die ersten Preise vergeben für den Stärksten, die Schönste, den Klügsten und noch vieles mehr. Unser Freund hier war letztes Jahr ‚Señor Feo‘ – der Häßlichste.“ Der Zahnlose grinste abscheulich und begrüßte sie artig. Dann trollte er sich nach einem wortreichen Abschied. Alex angelte sich ein Handtuch, rieb seine Füße trocken, zog seine Schuhe an und startete den Wagen. „Jetzt werden wir bei Heinrich gepflegt zu Abend essen, ein gutes Bier trinken und den neuesten Klatsch hören.“ Das Lokal lag direkt an der Hauptstraße und verfügte über einen ausreich-enden Parkraum. Sie betraten einen kleinen, aber gemütlich eingerichteten Raum mit einer langen Theke. „Na Heiner, was macht dein Pilsgeschwür?“ begrüßte Alex den Wirt. Der rieb sich sein Bäuchlein. „Zufriedenstellend“, meinte er und begrüßte beide mit Handschlag. Alex bestellte: „Erst mal zwei Pils, dann die Karte, und wenn du zwischendurch Zeit hast, die letzten Neuigkeiten.“ Der Wirt brachte die Getränke und setzte sich. „Gute Fahrt gehabt?“ erkundigte er sich. „Zufriedenstellend“, antwortete Alex lächelnd. „Und was macht euer Rennbahnprojekt?“ Alex wandte sich erklärend an Brigitte. „Hier gegenüber im Campo haben Engländer eine Menge Land gekauft. Dort wollen sie eine Rennbahn bauen.“ Heiner seufzte: „Wie das so geht. Das Pfund purzelte in den Keller, und jetzt stimmt die Kalkulation nicht mehr. Mal sehen wie und wann das weiter geht. Grundmann, diesem Gauner, habe ich Lokalverbot erteilt. Ich hatte ihm zwei Käufer für seine Ferienhäuser vermittelt, und er hat mich um die Provision beschissen.“ „Reichlich kurzsichtig von ihm“, bemerkte Alex, „wenn hier einer Häuser baut und sie verkaufen will, muß er sich doch die Leute warm halten, die ihm Kunden bringen können. Die Bauunternehmer klotzen hier wie die Weltmeister. Die scheinen noch gar nicht bemerkt zu haben, daß der Boom vorbei ist. Nach der neuesten Statistik kommt auf zwanzig angebotenen Immobilien nur jeweils ein Käufer. Nun werden die Häuschen den Eigentümern langsam lästig. Jedes Jahr den gleichen Urlaub verbringen, die stets steigenden Unterhaltskosten und bei Vermietung stimmte die versprochene Rendite ja noch nie. Verkaufen kann man ältere Hütten und Appartements doch nur, nachdem sie ein Fachmann mit Geschick reichlich renoviert hat.“ Der Wirt stand auf mit den Worten: „Ich habe eine Karte von Freddy bekommen. Es geht ihm gut. Entschuldigt, aber ich muß ein paar Gäste bedienen.“ „Wer ist Freddy?“ fragte Brigitte. Alex nahm einen großen Schluck und grinste. „Freddy saß in Deutschland fünf Jahre im Knast. Keiner weiß warum, und hier fragt auch keiner danach, solange sich einer anständig benimmt. In Deutschland bekommst du als Knastologe keine Chance auf eine anständige Arbeit. Er hat sich hier mit Reparaturarbeiten durch-geschlagen. Er ist groß, blond, charmant und ein guter Tänzer. Hier lernte er eine Engländerin kennen, die in Scheidung lebt und eine ordentliche Abfindung erhalten hat. Letztes Jahr lud sie Freddy nach England ein. Scheinbar klappt es nun mit den beiden – denn die Karte kam wohl aus England. Der Wirt setzte sich wieder zu ihnen. Er hatte sich ein Glas Bier mitgebracht und prostete ihnen zu. Dann erzählte er weiter: „Radio Marbella hat die Sendungen auf Deutsch eingestellt. Keiner weiß, warum.“ „Wahrscheinlich hat Jenny `ne dicke Lippe riskiert“, vermutete Alex. Er erklärte Brigitte die Zusammenhänge: „Jenny moderiert die Radiosendung als Hobby, sie fährt goldbehangen im Rolls Royce zur Radiostation. Ihr Mann ging mit seiner Firma in Deutschland in Konkurs. Aber er brachte zuvor genügend Millionen auf die Seite, um hier nun in einer Villa zu wohnen, mit einer Flotte von Luxuswagen herum zu kutschieren, natürlich mit Chauffeur, und zu seinen Parties einen Koch von Käfer aus München einzufliegen. Leid tut es mir nur um den zweiten Sprecher. Der braucht das Gehalt tatsächlich zum Leben.“ Heinrich schimpfte: „Es gibt genügend einflußreiche Deutsche in Marbella. Aber denen ist das völlig egal. Von Hohenlohe hat eine Zeitung gegründet, die ‚Marbella Tribune‘. Auf Spanisch und innen zwei Seiten auf Englisch. Keine einzige Spalte auf Deutsch. Obwohl hier genügend Deutsche leben. Er sagt, die Deutschen können sowieso alle Englisch.“ Alex grinste und sagte: „Der Jet-set ist meist dreisprachig und fühlt sich nur seinen Geldsäcken gegenüber verpflichtet. Aber tröste dich: Wotan wird sie strafen. Schau dir den Begründer von Marbella an. Möchtest du mit einem derartig unästhetischem Wanst herumlaufen? Dem weiblichen Bismarck-sproß werden sicher noch die blonden Haare ausfallen – alles andere könnte man ja mit genügend Geld noch reparieren.“ Die Wirtin steckte ihren Kopf durch die Küchenklappe und rief ihren Mann – das Essen war fertig. Brigitte und Alex aßen mit Genuß mal wieder gute deutsche Küche. Sie tranken noch ein paar gut gezapfte Pils, und Alex erzählte ihr von den Originalen an der Costa del Sol: Rentner, Steuer-flüchtlinge, englische Safeknacker, Typen, die hier im Süden in beschei-denen Marktnischen überlebten – und von seinen Freunden. „Dann werde ich dir Fuengirola zeigen. Da sind die Preise noch normal. Anschließend füllen wir unseren Wassertank in Mijas, der weißen Stadt. Aus der öffentlichen Wasserstelle dort kommt Mineralwasser – schmeckt ausgezeichnet.“ Sie fuhren zum Strand zurück, verriegelten die Türen und fielen müde und zufrieden ins Bett. Leise Stimmen erklangen außerhalb des Wagens. Brigitte richtete sich lauschend auf, schob den Vorhang beiseite und sah nach draußen. „Nichts zu sehen“, flüsterte sie, „es ist zu dunkel. Aber auf dem Meer bewegen sich einige Lichter. Was ist das?“ Alex setzte sich auf und sah ebenfalls hinaus. Er wußte die Erklärung. „Das sind die Fischer. Sie arbeiten nachts. Das Licht soll die Fische anlocken. Ich vermute, daß dabei auch Drogenpakete aus Nordafrika übergeben werden. Manchmal klappt das nicht, oder sie werden vom Küstenschutz gestört. Dann finden einige Tage später Strandläufer bis zu einigen Zentnern Haschisch – von Wind und Wellen angetrieben. Das eben war bestimmt ein Liebespaar aus dem Dorf. Die Schmuggler bevorzugen einsame Stellen.“ „Morgen zeige ich dir die Stierkampfschule von Andalusien. Der Besitzer ist ein spanischer Grande. Er hat eine nette deutsche Ehefrau und veranstaltet auf seiner Hazienda in den Bergen hinter Marbella eine erst-klassige Unterhaltungsshow für die Touristen. Bei ihm ist die erste Frau, die jemals den Stierkampf erlernte, unter Vertrag. Die zeigt einen erstklassigen Pferdedressurritt. Das Essen und die Sangria dort sind prima. Der Grande leitet die Show persönlich, was er finanziell bestimmt nicht nötig hätte. Aber man merkt ihm an, daß ihm die Sache großen Spaß macht. Die Akteure sind die Zuschauer. Die trinken um die Wette, heben aus dem Sattel vom Boden Sektflaschen auf oder versuchen es zumindest und spielen zur Gaudi aller Stierkampf mit Kälbern. Letztes Mal ritt eine Schwedin auf einem Pony. Als sie die Sektflasche vom Boden angeln wollte, rutschte ihr Rock hoch, und alle Zuschauer konnten ihren nackten Hintern bewundern, weil sie keinen Slip trug. Das gab natürlich tosenden Beifall.“ Epilog für „Das ehrenwerte Ziel“ Ein paar Wochen später. Haferkamp saß hinter seinem Schreibtisch und sortierte die Post. Einen Brief nach dem anderen schlitzte er mit einem kleinen, stilisierten Dolch auf, überflog kurz den Inhalt und legte ihn entweder in den Kasten in der linken Schreibtischecke mit der Aufschrift „Beantworten Bezahlen“ oder in den Kasten in der rechten Schreibtisch-ecke, auf dem „Überdenken“ stand. Reklame warf er sofort in den Papierkorb. Als das Telefon klingelte, las er erst in Ruhe zu Ende und hob nach dem dritten Läuten ab. „Haferkamp“, meldete er sich. „Vierundvier-zig“, tönte es aus dem Hörer. Das war der vereinbarte Code mit alten Freunden. Die Zahlen bezeichneten die Kriegsjahre, 39-42 kündigten gute Nachrichten an, 43-45 dagegen schlechte Nachrichten. Haferkamp legte einen kleinen Hebel unter der Schreibtischplatte um. Jetzt war der Zerhacker eingeschaltet und das Gespräch somit abhörsicher. „Schieß los“, sagte er in gespannter Erwartung. „Hier Paul“, klang die Stimme klar aus dem Hörer, „du hast mich doch vor ein paar Wochen gebeten, auf einen gewissen Alexander unauffällig zu achten und zwar wohlwollend.“ „Und“, fragte Haferkamp ruhig, während eine eisige Hand sein Herz zusammenpreßte. „Wir haben eine Anfrage der spanischen Geheimpolizei aus Malaga, dort unten ist ein deutsches Reisemobil in die Luft gejagt worden. Der verwendete Sprengstoff wird ausschließlich von Kommandoeinheiten im Nahen Osten verwendet. Das Auto war total zusammengeschmolzen. Wir konnten den Halter nur aufgrund der Fahrgestellnummer herausfinden – es war dein Alexander.“ Mit eiserner Selbstbeherrschung unterdrückte Haferkamp jede Regung in seiner Stimme, als er fragte: „Irgendwelche Personen identifiziert?“ „Weder Opfer noch Täter“, antwortete Paul, „es tut mir leid, aber bei dieser Art Sprengstoff wird jede Art organischer Materie total vernichtet.“ „Danke“, sagte Haferkamp langsam und legte den Hörer behutsam auf die Gabel, legte den Hebel für den Zerhacker mechanisch um und starrte blicklos in die Ferne. Nach zehn Minuten fuhr er fort die Post zu sortieren. Plötzlich stutzte er. Er hielt einen Luftpostbrief mit spanischer Briefmarke in der Hand. Diese kleine, ausgeprägte, nach rechts drängende Schrift kannte er. Ein eisiger Schauer rieselte sein Rückgrat hinunter, wie ein Hauch aus dem Jenseits. Mit zitternden Händen öffnete er den Brief und entfaltete den Bogen. Sein erster Blick fiel auf das grün unterstrichene Datum. Ein selten erlebtes Glücksgefühl breitete sich in seinem Körper aus, Tränen der Erleichterung traten in seine Augen und er gestattete sich einen tiefen, befreienden Seufzer. Dieser Teufelskerl, dachte er, der echte Sohn seines Vaters, die Wolfsmeute hat nur nach dem Tiger geschnappt, mal sehen, was passiert ist. Die Nachricht bestand aus Zahlenkolonnen, dem verabredeten unknackbaren Code. Als Haferkamp den entschlüsselten Text noch einmal durchlas, Pfiff er leise durch die Zähne, trug den Briefumschlag, den Briefbogen mit dem Code und die Reinschrift in die Toilette, verbrannte alles und spülte die Asche in die Kanalisation. Der Kampf geht weiter, dachte er, und jetzt macht er mir wieder Spaß. Unsere Generation hat die Vernichtung unseres Reiches nicht verhindern können. Aber trotz Verdummung, Umerziehung und Unterdrückung wird unsere Lebenskraft uns wie Phönix aus der Asche wieder emporsteigen lassen. Nachtrag „Das ehrenwerte Ziel“ Dieser Roman ist in einsamen Abenden in Wüsten- und Dschungelcamps entstanden, und sechs Jahre mußte ich nach einem mutigen Verleger suchen. Die Zeit ist nicht stehen geblieben, große Umwälzungen sind passiert, und die Benachteiligung und die Ausbeutung des deutschen Staatsbürgers hat einen Grad erreicht, wo Widerstand zur Pflicht wird. Deshalb dieser Nachtrag: Die Teilvereinugung von Deutschland wurde von allen mir bekannten Auslandsdeutschen gefeiert und in der Folge mit brennendem Interesse verfolgt – aber welch ein trauriges Bild heute Anfang 1994! Betrüger plündern Mitteldeutschland aus, die Ungerechtigkeit wird zum Gesetz erhoben. Enteignungen bis 1949 werden nicht rückgängig gemacht – in der Asyldebatte nur Geschwätz – so wird das dringend benötigte Geld zum Fenster hinaus geworfen und die Zukunft unserer Kinder verspielt. Die SPD verrät damit ihre Wähler, denn die Nachteile einer massenhaften Einwanderung unqualifizierter Arbeitnehmer und leerer öffentlicher Kassen haben nur die unteren Einkommensschichten. Steigende Kriminalität, kriminelle Asylanten werden noch nicht einmal ausgewiesen. Was hat das gesamtdeutsche Ministerium mit seinen vielen hundert hochbezahlten Beamten die ganzen Jahre getan? Dagegen erscheinen die Leistungen unserer Eltern und Großeltern in einem immer leuchtenderen Licht. 1933, als die unfähige Weimarer Republik abdanken mußte, hatten wir sechs Millionen Arbeitslose und eine zerrüttete Wirtschaft. Nach zwei Jahren „Naziherrschaft“ gab es kaum noch Arbeitslose, aber überall Hoffnung und Zufriedenheit. Als uns 1939 der Krieg aufgezwungen wurde – Polen machte mobil und versuchte gleichzeitig Frankreich zu überreden, im Westen anzugreifen – nach allgemeinen Völkerrechtsnormen bedeutet eine Mobilmachung eine Kriegserklärung. Welches Bewußtsein wirkte damals in diesen Deutschen, daß nach sechs Jahren ein Staat organisiert war, der ab 1939 sechs Jahre lang der halben Welt standhalten konnte! Welches Maß an Desinformation bei uns verbreitet ist, merkt man immer wieder im Gespräch mit jungen Leuten. Die meisten wissen nicht einmal, daß England und Frankreich uns den Krieg erklärt haben und nicht umgekehrt. Das Größte in dieser Richtung hat sich unser Bundespräsident Richard von Weizsäcker geleistet, als er den Tag unserer größten Niederlage als Tag der Befreiung umdeutete. Befreiung wovon? Von der Ehre deutscher Frauen bei den Massenvergewaltigungen? Von Tausenden deutscher Patente und Erfindungen bei der allgemeinen Plünderung beim Einmarsch der Besatz-ungsmächte? Von den deutschen Gebieten durch die Vertreibung und den dabei erfolgten Massenmorden? Und dann die Besuche in den Asylheimen. War er schon mal bei einer deutschen Familie, die durch die ständig steigende Multikriminalität geschädigt wurde? Glücklicherweise nimmt langsam die Amerikabegeisterung ab, nachdem immer bekannter wird, daß die amerikanische Gesellschaft nur aus Raub, Betrug und Ausbeutung besteht, und daß Hunderttausende deutscher Landser bei vollen Verpflegungslagern in amerikanischen Kriegsgefan-genenlagern verhungert sind. Unsere Politikerkaste ist nur noch mit Postenschacher und der Vertuschung der eigenen Unfähigkeit beschäftigt. Aber seit der deutsche Michel den Riemen enger schnallen muß, wacht er langsam auf. Ein sicheres Anzeichen dafür ist die verlogene, hysterische Hetze gegen jede nationale Äußerung, das Hochspielen jeder Hakenkreuzschmiererei von jugendlichen Dummköpfen, die nicht einmal das Wort Nationalsozialismus buchstabieren können. Dagegen wird Gewalt gegen Deutsche kaum erwähnt. Warum wurden bisher zu keiner Talkshow (was ein Wort) Männer und Frauen von Format eines Professor Diwald eingeladen? Argumente von Patrioten sind nunmal nicht zu widerlegen. Die Costa del Sol Die Costa del Sol ist ein internationales Touristen- und Rentnerparadies mit einem milden Klima. Im Sommer nicht zu heiß wegen der frischen Winde vom Atlantik, und im Winter schützen die Bergketten der Sierra Nevada vor den kalten Nordwinden. Fast zwanzig Jahre war die Costa del Sol eine der größten Baustellen der Welt, und es wurde „in“ für Nordeuropäer, ein Haus im Süden zu besitzen. Aus verträumten Fischerdörfern wurden Städte, die Küste wurde zugebaut. Geschäftemacher eilten herbei, um einen Teil des Kuchens zu ergattern, und die Costa del Sol war auf einmal nicht mehr spanisch sondern international. Zum Glück gibt es ein interessantes und kulturell reiches Hinterland. Heute stockt der Verkauf von Häusern und Appartements, überall stehen Bauruinen, und die Restaurants sind leer. Die Touristen kommen nicht mehr in Scharen, weil das Preis-Leistungs-Verhältnis nicht mehr stimmt. Die nordeuropäischen Eigentümer kommen natürlich immer noch, aber auch denen sitzt das Geld nicht mehr so locker wie früher. Für uns, die wir hier arbeiten und leben, ist dadurch die Lage besser geworden, die Kellner sind jetzt höflich und zuvorkommend, es gibt nach alter spanischer Sitte eine Tapa zu jedem Getränk, und die Preise steigen nicht mehr automatisch. Die Stadtverwaltungen werden wach, reinigen die Städte und Strände, bauen Straßen, verschönern die Orte, bauen Kläranlagen und machen alle möglichen Anstrengungen, um die Touristenströme wieder anzulocken. Es gibt eine erstklassige deutsche Schule mit angeschlossenem Internat. Die Kinder werden dreisprachig unterrichtet, und immer mehr reiche Spanier schicken ihre Kinder dorthin. Ein Jugendlicher mit Gymnasialabschluß, der perfekt die drei Weltsprachen Spanisch, Deutsch und Englisch spricht, hat enorme Startvorteile im Leben. Die Deutschen lassen sich leicht in Gruppen einteilen. Supermillionäre leben meist zeitweise oder immer in Marbella in ihren großen Villen und erledigen ihre weltweiten Geschäfte per Fax und Telefon. Mancher Großbe-trüger versteckt sich hier. Dann gibt es die mittelständigen Rentner in kleineren Häusern oder Appartements, die meistens nur über den Winter wegen des Klimas kommen. Und die anderen im aktiven Alter sind zu 80 % vor Steuern, Schulden oder Alimenten von Zuhause abgehauen und versuchen hier durch alle möglichen Arbeiten oder Geschäfte zu überleben. Meistens ziehen diese Typen von Bar zu Bar, spielen sich als große Spanienkenner auf, versuchen Aufträge an Land zu ziehen und sind am nächsten Tag nicht in der Lage, ordentliche Arbeit zu leisten. Dann werden Schulden gemacht, die Miete nicht bezahlt, und eines Tages sind sie verschwunden zur nächsten Touristenmetropole. Die restlichen 20 % sind Abenteurer, leistungsstark und kenntnisreich, die überall ohne Mühe überleben können und Deutschland wegen seiner Enge, der Reglementierung und der allgemein fehlenden persönlichen Freiheit verlassen haben. Dann gibt es natürlich noch die echten Aussteiger, die ohne elektrisches Licht und fließend Wasser im Campo oder in den Bergen leben und ihre Lebenshaltungskosten auf ein absolutes Existenzminimum herunter geschraubt haben und vom Leben nichts weiter wollen, als jeden Tag Sonne und sonst ihre Ruhe. Jeden Tag passieren hier seltsame, traurige oder lustige Geschichten. Jochen war 16 Jahre, Sohn von relativ reichen Eltern, ging zur deutschen Schule und war ein ‚Hans Dampf in allen Gassen‘. Eines Tages sprach ihn ein Engländer in einer Bodega an und fragte, wo er Haschisch kaufen könne. Jochen drehte sich ab und zu selbst einen Joint und wollte einem Fremden natürlich nicht seine Einkaufsquelle verraten und einem Leimi schon gar nicht. Für eine Tischrunde nahm Jochen ihn mit zum Hafen von Marbella und zeigte ihm einen der herumlungernden Zigeuner. Der Engländer verhandelte eine Weile und kam dann freudestrahlend mit einem Riegel schwarzbrauner Masse zurück und begann sich sofort einen großen Joint zu drehen. Jochen erzählte später lachend seinen Kumpels: „Der Leimi paffte richtig genüßlich, das Zeug stank entsetzlich, und ich wette, er hat bis heute nicht gemerkt, daß der Zigeuner ihm getrocknete Kuhscheiße angedreht hat.“ Auf dem Millionärshügel von Marbella wohnt eine sehr reiche, ältere Dame. Sie ist Witwe, ihre vier Söhne leben auf der ganzen Welt verstreut gemäß ihren Neigungen. Einer betreibt botanische Studien in den tropischen Regenwäldern, einer durchwühlt die Erde nach archäologischen Schätzen, der dritte fährt als Einhandsegler durch die Welt, und der vierte sucht seit Jahren nach dem sagenhaften Inkaschatz in Lateinamerika. Doch genau er hatte letztes Jahr wirklich Pech. Jedes Jahr müssen sich die vier Söhne kurz vor Weihnachten bis kurz nach Neujahr bei ihrer Mutter in Marbella versammeln. Hier erhält jeder von ihnen als Vorschuß auf ihr Erbe einen Scheck über eine Million Schweizer Franken. Als der Inkaschatzsucher sich aus seinem Dschungel-camp auf die Reise nach Marbella machte, passierte ein Unglück nach dem anderen. Zuerst brach die Antriebswelle seines Bootes, mit dem sie sonst über den Urwaldfluß bequem die nächste Stadt erreicht hätten. Dann stürzte der über Funk angeforderte Hubschrauber ab, und ein anderer war nicht verfügbar. Als er schließlich nach wochenlangem Dschungelmarsch mit einem privat gecharterten Jet den Atlantik überquert hatte und in Marbella eintraf, war es bereits der dritte Januar, und die anderen Brüder machten sich bereits wieder fertig für die Abreise. Für dieses Jahr gab es keinen Scheck für ihn. Da war die alte Dame beinhart. Wer zu spät kommt, den bestraft die Mutter. Das wird ihm sicher nicht noch einmal passieren! Anruf von Frau Bauer. Ich wäre ihr als handwerklicher Problemlöser empfohlen worden. Die Fensterrolladen müßten repariert werden, und seit zwei Jahren wäre ihr Westinghaus-Kühlschrank aus Amerika defekt, und ein Spanier hätte nach drei Reparaturversuchen entnervt aufgegeben. Nachdem ich die Adresse notiert und einen Termin vereinbart hatte, rief ich Christian an. Er ist ein kleiner, schlanker Franzose, Spezialist für Kühlanlagen und lebt seit ein paar Jahren hier mit einer geschiedenen Spanierin und ihren vier Kindern zusammen. Frau Bauer war mit ihren 60 Jahren immer noch eine schöne Frau mit einer Figur und einem Gang, bei dem Männer ins Träumen geraten. Ihre Villa lag auf einem Hügel mit herrlicher Fernsicht über Fuengirola und dem Meer bis nach Nordafrika. Christian machte sich an die Untersuchung des Kühlschrankes, und ich nahm die Rolladenreparatur in Angriff. Um 14.00 Uhr ist Mittagszeit in Spanien, und Frau Bauer rief uns. Sie hatte im Garten, im Schatten einer großen Palme, ein Mittagstisch für uns gedeckt. Geeiste Melone, Schinken, Eistee und noch ein paar leckere Kleinigkeiten. Ein kleiner, dicker Mann mit Glatze und Haarkranz setzte sich zu uns. Ich hielt ihn für den Gärtner, weil er dauernd mit Gartengeräten herumwirbelte. Nachdem wir mit dem Essen begonnen hatten, bemerkte Frau Bauer so nebenbei: „Übrigens, das ist mein erster Mann.“ Als sie unsere verdutzten Gesichter bemerkte, erzählte sie uns ihre Geschichte: „Wir beide kommen aus gutbürgerlichen Familien in der Schweiz, lernten uns als Studenten kennen, verliebten uns und heirateten nach dem Studium. Mein Mann kletterte die Erfolgsleiter nach oben, und ich war Hausfrau mit ein paar kleinen Hobbys. Das ging so sieben Jahre gut, und dann begegnete ich auf einem Empfang der großen Liebe meines Lebens, einem schweizer Bankier, natürlich enorm reich. Ich ließ mich scheiden, heiratete den Bankier und hatte fortan ein herrliches Leben. Unsere Liebe war gegensei-tig, er überschüttete mich jeden Tag mit seinen liebevollen Aufmerksamkeiten. Ich brauchte nicht einmal einen Wunsch zu äußern, nur etwas schön oder interessant finden und schon hatte ich es. Blumen, Bücher, Bilder, Autos, Kleider, Schmuck – die Liste läßt sich endlos fortsetzen. Wir reisten ein paar mal um die Welt, lernten auf internationalen Kongressen interessante Personen kennen. Wir logierten in den besten Hotels, hielten uns als gute Schweizer von der hohlen Welt des Jet-set fern. Aber wir bekamen leider keine Kinder. Und dann, nach zehn Jahren starb mein Mann plötzlich an Herzversagen. Ich brauchte fünf Jahre um meine Trauer zu überwinden und wieder ein normales Leben führen zu können. Ich habe wieder Einladungen angenommen und mich an dem gesellschaftlichen Leben beteiligt. Eine Menge Anträge wurden mir gemacht, aber nach diesem Mann waren alle anderen nur Abklatsch. Die meisten waren sowieso nur hinter meinem Geld her, denn mein Mann hatte mir sein gesamtes Vermögen hinterlassen, und ich kann beim besten Willen nicht einmal die Zinsen verbrauchen. Irgendwann erinnerte ich mich meines ersten Mannes und ließ ermitteln, wo er steckte. Er war Niederlassungsleiter einer schweizer Firma in Südamerika. Ich rief ihn an und fragte ihn, ob er Weib und Kinder habe. Woraufhin er mir erklärte, seit ich ihn damals verstoßen hätte, lebte er solo und erfreue sich seines Junggesellenlebens. Ich bat ihn zurückzukommen und seine Arbeit hinzuschmeißen, damit versaue er sich nur seine letzten Jahre. Geld hätte ich genug für uns beide und ja nun – da sitzt er.“ Die Costa del Sol wird nicht umsonst Kriminalküste genannt. Früher habe diverse Spezialisten Land gekauft, ein Musterhaus hingestellt und Hunderte Häuser per Prospekt verkauft. Ganz Abgebrühte sind dann mit den einge-sammelten Geldern ohne weiter zu bauen einfach verschwunden. Andere haben fertig gebaut und daran enorm verdient. Sie haben sich die Vermietung und Verwaltung gesichert und auch dabei abgesahnt, denn oft wurden die Mieten nicht an die Eigentümer weiter gegeben. Heute wird mit Drogen- und Menschenschmuggel enorm Geld gemacht. Die Polizei tut ihr Bestes, aber selbst eine ganze Armee könnte das Problem nicht in den Griff bekommen. Die Tricks sind zu vielfältig. Die Schmuggler klauen ein Boot, beladen es mit Drogen oder illegalen Einwanderern, bringen es mit einem Begleitschiff nah an die spanische Küste. Dann lassen sie es per Fernsteuerung an einen vereinbarten Punkt am Strand auflaufen, und die wartenden Komplizen entladen es in Windeseile. Danach werden die Drogen weiter nach Norden befördert, meist mit zwei Fahrzeugen. Ein Kundschafter mit Sprechfunk fährt voraus und warnt das folgende Transportfahrzeug vor Polizeifallen. Die illegalen Einwanderer, die auf eigene Faust in hölzernen Nußschalen (um nicht vom Radar entdeckt zu werden) nachts die Meerenge von Gibraltar überqueren, haben meist als Startkapital auch ein paar Kilo Haschisch dabei. Aber viele bleiben auf der Strecke. Manches Boot wird bei dem regen Schiffsverkehr von Tankern oder Frachtern unbemerkt gerammt oder sinkt bei hohem Wellengang. Die wartenden Haie müßten eigentlich schon süchtig sein. Von den Verteilungskämpfen der verschiedenen Banden dringt selten etwas an die Öffentlichkeit, man will ja nicht die Touristen verschrecken. Aber wenn man einen Polizeioffizier kennt, erfährt man, daß es in den ersten drei Monaten dieses Jahres in Torremolinos allein 18 Opfer von Bandenkämpfen gab, meist stümperhaft als Selbstmord getarnt. Oder man trifft einen Mann an der Theke, dessen Frau ihm vor zwei Jahren im Urlaub mit einem anderen Mann entlaufen ist. Jetzt mußte er aus Deutschland einfliegen, um sie im Leichenschauhaus zu identifizieren, und erbt dafür von ihr ein Appartement in Puerto Banus im Wert von 300.000 Mark! Manch einer aus dem Norden, der sich in den Süden abgeseilt hat, erliegt der Versuchung des schnellen Geldes und verdingt sich als Drogenkurier. Oft werden diese Naivlinge bewußt geopfert, um anderen Transporten den Weg zu öffnen. Die Polizei erweckt manchmal den Anschein von Untätigkeit, weil hier Steuerflüchtlinge und Kleinbetrüger unbehelligt leben können. Die aber müssen ihren Tribut in Form von Tips abliefern, und an jeder Theke hört man eine Menge Tratsch und Klatsch, woraus die Polizei ihr Informationsnetz webt. Da hört man von Erfolgen der Polizei. Wieder mal eine Gang hochgenom-men mit zentnerweise Drogen und jeder Menge Bargeld. Aber die Unterwelt schläft auch nicht. Letztes Jahr wurde im Hafen von Cabopino in einem stillgelegten Brunnen das Skelett eines Mannes entdeckt – es war mit Eisen-ketten beschwert. Und vor zwei Jahren wurde in Marbella ein Anführer der legendären englischen Posträuber erschossen. Das Ganze macht das Leben hier interessant. Das Klima ist das beste von ganz Europa, man zahlt wenig Steuern. Die Kunden (Hausbesitzer) kommen aus ganz Nord- und Mitteleuropa. Und da viele Kunden zu Freuden werden, hat man überall Freunde. Auf meiner letzten Urlaubsreise von vier Wochen durch Deutschland, Dänemark, Schweden und Norwegen habe ich kein Hotel benötigt. Ich habe nur bei Freunden übernachtet. Allerdings nie länger als zwei Tage bei einem, den alten Spruch beherzigend: ‚Besuch ist wie Fisch – nach drei Tagen fängt er an zu stinken.“ Trotzdem waren hinterher noch manche sauer, weil ich sie auf meiner Tour auslassen mußte. Die meisten Ausländer an der Costa del Sol sind nett, harmlos, langweilig, angeberisch und lästig, meistens unbekannt und unbedeutend. Ein paar sind allgemeiner und dauernder Gesprächsstoff, weil Originale: Besonders tüchtig und ideenreich oder besonders gefährlich und bösartig. Ein negatives Beispiel. In Marbella lebt seit Kurzem ein Rechtsverdreher mit halbdeutschen Namen, ausgestattet mit Überheblichkeitswahn. Er hält sich für den Nabel der Welt, hat ein Büchlein über spanisches Steuerrecht veröffentlicht – zusammengestoppelt aus Veröffentlichungen deutsch-spanischer Zeitungen. Die Fakten sind längst überholt, und die Druckerei hat bis heute kein Geld gesehen. Er wird in Deutschland gesucht wegen verschiedener Delikte; betrügt und belügt seine Klienten und hält das noch für sein gutes Recht. Zuerst war er in Denia, mußte dort flüchten, desgleichen später von Gran Canaria. Und nun ein positives Beispiel: In Fuengirola lebt seit Jahren in seiner burgartigen Villa ein deutscher Rechtsberater, der seine Arbeit effektiv, gründlich und ordentlich im Sinne seiner Klienten erledigt. Mit besten Beziehungen zur Polizei und zur Justiz. Nachfolgend eine der Legenden, die über ihn in Umlauf sind: Einer seiner Klienten wurde verhaftet. Er ging in die Bodega, in der der Polizeipräsident abends Karten spielt, und sagte: „Paco, warum hast du meinen Amigo eingesperrt?“ Woraufhin dieser seinen Adjutanten anrief und befahl: „Laß den Freund meines Freundes wieder frei – er bürgt für ihn.“ Gewußt wie. Aber man kann hier nur leben, wenn man sich der spanischen, besser südspanischen Mentalität anpaßt. Wenn man mit dem Kopf durch die Wand will, holt man sich nur Beulen. Nachtrag zur 2. Auflage 1999 Marbella Nach ein paar mageren Jahren fängt der Bauboom an der Costa del Sol wieder an, beflügelt von der Einführung des Euro. Das Schwarzgeld muß angelegt werden. Der Service an der Costa del Sol hat sich in vielen Bereichen verbessert. Eine neue Umgehungsstraße verteilt den Verkehr, die Autobahn geht durchgehend von Deutschland bis hinter Marbella. Deutsche Ärzte, Bäcker, Wurstmacher und viele andere haben sich etabliert, darunter zwei deutsche regionale Zeitungen und ein örtlicher Rundfunkkanal. Der Dauerbrenner ist aber der neue Bürgermeister von Marbella, Don Jesus Gil. Als Bauunternehmer und Besitzer des Fußballclubs Atletico Madrid saß er schon mal im Knast, weil eines seiner Hochhäuser eingestürzt war, mit 58 Toten. Der Boden im Norden Spaniens wurde ihm wahrscheinlich zu heiß. Er kaufte sich in Marbella Grundstücke und fing an exklusive Appartement-häuser zu bauen. Die alten Stadthonoratioren, die satt und träge die Stadt immer mehr verkommen ließen, gefiel das gar nicht. Sie ließen die angefangenen Bauten stillegen und dachten wahrscheinlich: Diesem Kerl aus dem Norden haben wir es gezeigt. Diese Abneigung ist gegenseitig, die nördlichen Spanier halten alle Andalusier für Zigeuner. Ein Prozeß hätte Jahre gedauert, die Kommunalwahlen standen bevor, und Jesus Gil gründete die GilPartei, gewann die Wahl und wurde neuer Bürgermeister von Marbella. Als erstes wurde nachgeforscht, ob der alte Bürgermeister für seine Villa eine Baugenehmigung hatte. Hatte er natürlich nicht – die alten Honora-tioren fühlten sich über das Gesetz erhaben. Er bekam zwei Wochen Zeit, seine Villa zu räumen, dann kamen die Bagger und machten die Villa platt. Als zweites erteilte Jesus Gil seinen Firmen jede Menge Aufträge, Marbella zu verschönern. Die Stadt ist zwar jetzt enorm verschuldet, aber das Ergebnis kann sich sehen lassen, und die Touristen kommen auch wieder. Dann wurde die Polizeitruppe um hundert Mann verstärkt und die gnaden- lose Jagt auf Junkies, Bettler, Handtaschenräuber und langhaarige, schmutzige Nichtstuer eröffnet. Jeder, der in dieses Schema paßte, wurde festgenommen, circa 30 Km ins Landesinnere gefahren, verprügelt und ihm das Wiederkommen verboten. Nach ein paar Monaten war die Stadt sauber. Marbella ist die einzige Stadt in Spanien, wo alle paar Wochen die Müllcontainer gewaschen werden. Natürlich schlugen ein paar Polizisten über die Strenge und verprügelten auch mal die Falschen. Anzeigen wegen Gewalttätigkeit waren die Folge. Typisch die Reaktion von Don Jesus Gil: Jeder Polizist, der derart angezeigt wird, erhält von ihm eine Prämie und eine Belobigung. Als nächstes kam der Hafen von Marbella dran. Ein wahrer Schandfleck gegen Puerto Banus. Die Hälfte der Bars und Restaurants waren geschlossen und alles in einem miserablen Zustand. Seine Agenten kauften heimlich die meisten Immobilien auf. Als die letzten Besitzer merkten, was im Gange war, erhöhten sie ihre Preise auf das Zehnfache. Aber nicht mit Don Jesus Gil. Lastwagen mit Sand und Stein fuhren vor die verkaufsunwilligen Besitzer und kippten ihre Ladungen vor deren Eingangstüren. Die Besitzer riefen die Polizei und blockierten mit ihren Privatautos die Hafeneinfahrt. Die Polizei kam, schleppte die Privatautos kostenpflichtig ab und verhaftete die Besitzer. Demnächst wird wahrscheinlich der Hafen genauso renoviert wie die Promenade davor. Die Gil-Partei tritt zur nächsten Wahl auch in Ceuta und Tetuan, der spanischen Enklaven in Marokko an, und gewinnt er die Wahlen dort, hat er den Daumen auf die Drogen- und Menschenschmuggelrouten von Nordafrika nach Südeuropa. Herrliche aber auch gefährliche Aussichten. Dieser Bürgermeister ist ein Volkstribun, er beschlagnahmt Wohnblocks von Spekulanten, wenn diese leer stehen, setzt wohnungslose, arme Familien rein mit der Auflage, ihren Verbrauch an Strom und Wasser zu bezahlen und ringsum die Anlagen zu pflegen und sauber zu halten, andernfalls ließe er sie durch die Polizei rausschmeißen. Und da ihn alle kennen, werden seine Anweisungen befolgt. Ein neuer Supermarkt wurde an der Umgehungsstraße bei Marbella gebaut. Die Bedingung für die Baugenehmigung war, alle Arbeitsplätze, circa 400, außer dem Management mit Leuten aus Marbella zu besetzen. Da die politischen Gegner ihm durch Wahlen nicht beikommen können, versuchen sie es mit der Justiz. Aber auch das klappt nicht. Sobald irgendwelche Anschuldigungen gegen ihn lanciert werden, kontert er mit phantastischen Ideen wie zum Beispiel einen ausgemusterten Flugzeugträger zu kaufen, vor Marbella auf Grund zu setzen und daraus die größte Disco Europas zu machen. Selbst wenn nichts daraus wird, ist er wieder mal bewundernd in aller Munde. Ausländische Einzelkämpfer und Strandgut an der Costa del Sol Die Ausländer hier an der Costa del Sol sind ein interessanter, internationaler Mix, meistens langweilig, angeberisch, manchmal lustig und manchmal tragisch. Die Meisten konnten sich nach einem arbeitsreichen Leben ein Appartement, ein kleines Häuschen oder eine Finca leisten – und leben normal und unauffällig, freuen sich über die Sonne und den Neid der Touristen, die nach ein paar Wochen Urlaub wieder zurück in die Tretmühle müssen. Dann die schwerreichen Villenbesitzer, die ihr Vermögen meistens ererbt, erheiratet oder ergaunert haben und bei denen der Mensch erst bei Mercedes 500 anfängt. Dann die echten Aussteiger, die irgendwo von kümmerlichen Gelegenheitsarbeiten leben und vom Leben nichts anderes mehr wollen als Sonne und keine Probleme und Sorgen. Die miesesten Typen sind die Möchtegern-Aussteiger, können angeblich alles und nichts richtig, immer auf dem Sprung, andere zu betrügen, und sei es der Saufkumpan von gestern. Die Besten sind die echten Aussteiger, leistungsstark und fähig, sich überall zu behaupten, halten Wort, zahlen ihre Rechnungen, sind ehrlich und lassen sich nichts gefallen, vergleichbar mit der Waffen-SS, die ja auch der Gipfel des Kriegertums war. Hier ein paar wahre Geschichten: Eines Tages tauchte Achim auf, ein Berliner in mittleren Jahren mit zwei Pferdchen, die ihm in seiner gepachteten Kneipe hinter der Theke halfen, und eine konnte sogar gut kochen. Achim war immer nett und witzig, jeder konnte ihn gut leiden. Leider stand er lieber vor der Theke als dahinter, und er fuhr zu gern mit seinem amerikanischen Straßenkreuzer durch die Gegend. Er unterschätzte die spanische Polizei, denn die ist inzwischen mit ihren Handcomputern europaweit vernetzt. Bei einer Fahrzeugkonrolle fing dieser gemeine Computer an zu blinken, und bei Achim klickten die Handschellen. Er hatte ein paar harmlose Sachen auf den Hacken wie Scheckbetrug, Steuerhinterziehung und ähnliches. Achim kam in Ausliefer-ungshaft, und als harmloser Fall wurde er nicht ins nächste Flugzeug gesetzt, sondern von einem Gefängnis zum nächsten befördert, bis er nach einem Jahr in Berlin angelangt war. Der Richter verdonnerte ihn zu zwei Jahren Knast, und da der Knast in Spanien doppelt zählt, war Achim frei. Sein eines Pferdchen flog nach seiner Verhaftung nach Deutschland, baute einen Autounfall und ist seitdem querschnittsgelähmt, fand noch einen netten, älteren Rentner als Ehemann und scherzte bei einem Spanienbesuch im Rollstuhl: „Die Beine sind nicht so wichtig, die werden doch sowieso beiseite geschoben.“ Die andere blieb in Spanien, arbeitete und sparte fleißig. Als Achim wieder frei war, machten beide eine Giftmüllbeseitigunsfirma in Berlin auf und kommen ab und zu auf eine Urlaubswoche her. Aber eines Tages wird er wieder Ärger haben, denn die Verlockung des leichten Geldes ist für ihn zu groß. Einen Teil des Giftmülls läßt er ordnungsgemäß entsorgen und einen Teil karrt er ins nahe Polen uns versenkt es irgendwo – bei denen wäre eh alles verseucht, erklärte er augenzwinkernd. Alex war ein richtiger Aussteiger, Handwerksmeister und als Bauleiter in erfolgreich Arabien und Afrika gewesen. Er hatte die Enge in Deutschland, die Wüsten- und Dschungelcamps satt und wollte in Spanien ohne Streß arbeiten und leben. Es sprach sich schnell herum, daß er zuverlässig war und gute Arbeit ablieferte. Als er den Auftrag bekam, eine Pferderanch zu bauen, mußte er mehr Helfer verpflichten. Das Grundstück war weitab von der Küste mit zwei Bergen und einem Bach dazwischen. Mit einem Bagger mußten Wege geschoben, ein Brunnen gebohrt, eine Brücke über den Bach gebaut sowie die Gebäude errichtet werden. Trotz Warnungen anderer verpflichtete Alex Willi für ein paar der anstehenden Arbeiten. Willi machte An- und Umbauten mit ein paar älteren spanischen Tagelöhnern, hatte eine Frau, die ein Kind von einem Spanier hatte, trotzdem schob Willi stolz den Kinderwagen. Willi war ein harmloser Trottel, und Alex wähnte ihn fest im Griff zu haben. Er hatte allerdings nicht mit Willis Frau, einer bösartigen Nutte gerechnet, die ihn immer aufhetzte. Zahlung nach Baufortschritt war vereinbart, der erste Scheck kam, und die Arbeiten wurden begonnen. Als der zweite, größere Scheck eintraf, kam die Polizei und nahm Alex mit. Eine Anzeige von Willi lag vor, der Auftrag und der Scheck wäre für Willi, und der würde die Anzeige nur zurück nehmen, wenn ihm der Auftrag und die Anzahlung übergeben würde. Natürlich weigerte sich Alex. Es war der 23.12., und Alex rechnete schon damit, eine Woche im Knast zu sitzen, denn ab dem nächsten Tag hatte das Gericht Pause. Glücklicherweise muß die Polizei jede Festnahme eines Ausländers dem zuständigen Konsul melden, und der deutsche Konsul hatte als ehemaliger Verbindungsoffizier der Blauen Division (der spanischen Freiwilligen) zu der deutschen Wehrmacht an der Ostfront in Spanien einen Ruf wie ein Donnerhall. Als Alex nach Spanien kam, hatte er ein längeres Gespräch mit dem Konsul, und dieser verbürgte sich nun beim Gericht für Alex. Wutschnaubend rief Alex Willi an und drohte ihm mit dem Schlimmsten, was ihm gerade einfiel. Damit hatte er diesem Fiesling wenigsten das Weihnachtsfest und das Jahresende verdorben. Alex fuhr zum Konsul, und der riet ihm von einem Prozeß oder persönlicher Vergeltung ab. „Wir hier in Spanien machen das anders“, sagte er und begann zu telefonieren. Er sprach mit allen Bürgermeistern im Umkreis und bat sie, Bauanträge von Willi liegen zu lassen und nicht zu bearbeiten. Viele Bauarbeiten werden schwarz geleistet, aber Willi stand jetzt unter ständiger Beobachtung der Bauämter. Wenn Willi anfing zu arbeiten, weil die Auftraggeber drängten, aber er noch keine Genehmigung hatte, hagelte es Strafen für ihn und den Auftraggeber. Nach drei Jahren starb Willi an Magenkrebs. Erich war gestrandet, er hatte in Deutschland eine Kunstgalerie, die pleite ging. Für eine Freundin richtete er in Marbella ihre Villa ein und blieb hier. Er konnte sich gepflegt, kultiviert und interessant unterhalten, in Folge beglückte er ein paar ältere Witwen als Begleiter – er war auch nicht mehr der Jüngste – aber weil er Bi war und einen Hang zu kleinen Straßenjungen hatte, flog er immer wieder raus. Dann hatte er ein paar Jobs als Haus-meister und wurde gnadenlos ausgebeutet. Anstatt sich mit heimlichen Vermietungen zu revanchieren und sich ein paar Pesetas Reserve anzusparen, verlor er auch diese Jobs und arbeitete schließlich als privater Reisebegleiter und Gelegenheitsarbeiter. Viele spendierten ihm in der Bodega einen Teller Pommes und ein Glas Wein. Bald sah er immer ungepflegter aus, und als er ein paar Tage nicht auftauchte, und sein Mischlingshund in seinem kleinen Studio heulte, fand man ihn tot im Bett. Alle, die ihn kannten, kamen zur Beerdigung, aber die fiel aus, weil die Kühlung zu stark eingestellt war und Erich als Eisblock nicht in den Sarg paßte. Die Beerdigung wurde auf den nächsten Tag verschoben – Erich war noch nicht aufgetaut, am dritten Tag ging niemand mehr hin. Zum Friedhof waren es immerhin 35 km. Fernando ist jetzt ein alter Spanier, er kam während des zweiten großen Krieges nach Deutschland, um als Tenor im Rundfunk die blaue, spanische Division an der Ostfront mit spanischem Gesang zu unterhalten. Als der Krieg zu Ende war, blieb er in Berlin, heiratete eine deutsche Beamtin, machte jede Arbeit (als Tenor hatte er Arbeitsverbot von den Besatzungsmächten). Als seine Frau starb, verkaufte er das Haus, kaufte sich an der Costa del Sol ein Appartement und lebte von seiner kleinen und der großen Rente seiner Frau. Eines Tages stolperte er am Strand über eine sich nackt sonnenbadende, belgische Krankenschwester mit üppigen Brüsten. Fernando war hin und weg. Von da ab lief er ihr hinterher wie ein kleiner Hund. Nachdem sie über seine Finanzen Bescheid wußte, und obwohl er einen Kopf kleiner war und an Gewicht die Hälfte, erhörte sie ihn nach ein paar Wochen. Da seine Frau sehr prüde gewesen war, hatte er so etwas noch nie erlebt. In der Folge landete sein Geld auf ihrem Konto, das Appartement wurde ihr überschrieben, seine Rente wurde auf ihr Konto überwiesen, und Fernando bekommt ein Taschengeld. Da sie noch arbeiten muß, lebt er im Winter hier, damit sie mit ihrem Freund in Belgien die Liebe genießen kann. Da dieser Freund aber auch verheiratet ist und älter wird, werde die Liebesfreuden immer weniger. Vor ein paar Jahren mußte Fernando in Belgien ins Krankenhaus, und wegen seiner Krankheit schiß er ein paarmal ins Krankenbett. Die Säuberung durch die Krankenschwertern muß er als sehr angenehm empfunden haben, zumal mit normalem Sex mit über achtzig Jahren auch nichts mehr ist. In der Folge schiß er laufend ins Bett und die Schwestern beschwerten sich bei Anna. Das Krankenhaus war ein ehemaliges Kloster mit alten Eichentüren und Kastenschlösser mit alten Eisenschlüsseln. Anna hatte als Oberschwester das gewaltige Schlüsselbund an einem breiten Ledergürtel ständig um die Hüfte. Beim nächsten Einschiß befahl sie den Schwestern, Fernando in seiner Scheiße auf den Bauch zu drehen und festzuhalten. Dann versohlte sie ihm mit dem Ledergürtel und dem Schlüsselbund kräftig den Hintern. Fernando hat nie wieder ins Bett geschissen. Aber im Ganzen gesehen geht es ihm so besser als im Alten-heim. André ist ein Russe in den Dreißigern, sieht gut aus, hat fünf Kinder mit fünf Freundinnen, verstreut von Schottland bis Marokko. Er war der beste Timeshare-Verkäufer weit und breit, spricht Englisch, Französisch, Spanisch und lernt jetzt auch noch Deutsch. Von den ersten Russen, die hier auftauchten, hat er richtig abgezockt. Erst hat er sie bei ihren Einkaufstouren begleitet und dafür gute Tagessätze kassiert und dann noch Provisionen bei den Geschäften. Aber alles verdiente Geld steckt er in Projekte, die pleite gehen. In den Wintermonaten über holt er seine Eltern aus Moskau. Der Vater Oleg stammt aus einer Fürstenfamilie, sein Onkel war Admiral beim letzten Zaren, er sprach Französisch und Deutsch durch sein deutsches Kindermädchen. Als die Kommunisten nach der Revolution in Rußland gesiegt hatten, kamen fast alle, die Fremdsprachen konnten, nach Sibirien, sie könnten ja Spione sein. Er war tief religiös und sagte immer: „Gott liebt mich, ich habe sieben Jahre Sibirien überlebt.“ Nach sieben Jahren wurde Oleg entlassen, aber zuvor von einer Geheimdienstoffizierin verhört, ob er jetzt ein nützliches Mitglied der Gesellschaft sei. Ihr Name war Tamara und sie wurde seine zweite Frau. Oleg war als Offizier im Krieg sechsmal verwundet worden, beide hatte gute Pensionen, eine Eigentumswohnung in Moskau und eine Datscha außerhalb. Tamara erzählte erschreckende Dinge aus ihrem Dienstleben. Zum Beispiel hatte der Geheimdienst erfahren, daß in Kiew ein Lehrer ein Spion für England sei. Der Aufwand, alle Lehrer zu verhören, überwachen usw. wäre beträchtlich. Stalin fragte: „Wie viele Lehrer gibt es in Kiew?“ Die Antwort war 256. Stalin befahl: „Alle erschießen, dann muß er dabei sein.“ Oleg wurde in Spanien 95 Jahre, küßte jeder Frau die Hand und machte ihr Komplimente. Jedes Jahr im Frühling, wenn sie wieder nach Moskau flogen, nahmen sie zehn Koffer mit gesammelter, gebrauchter aber guter Garderobe mit. Die erste Auswahl hatte die große Familie und den Rest bekam die Kirche. Für die Spendensammler brachte Tamara dann im Herbst Kaviar, Wodka, georgischen Branntwein (den besten der Welt) und Räucherfisch mit. Oleg wollte in seinem Alter noch Mohamedaner werden. Er scherzte: „Ich kann zwar nicht vier Frauen unterhalten, aber vier Frauen können mich unterhalten.“ Da hat er wohl den Koran nicht richtig verstanden. Für Alex brachte er aus Moskau als persönliche Wiedergut-machung sechs Bände von Meyers Goethe Klassikausgaben mit inclusive dem sowjetischen Raubstempel. Karsten war ein Steuerflüchtling, kam aus Hamburg, hatte nacheinander fünf Kneipen; immer wenn die Finanzbehörde zu aufdringlich wurde, machte er die letzte Kneipe dicht und eine neue auf. Aber die Finanz-beamten verlieren auch mal die Geduld, und eines Tages packte er alles Wertvolle und Brauchbare in einen FordTransporter und setzte sich nach Spanien ab. Erst machte er wieder eine Kneipe auf, aber das lief nicht so recht, denn er hatte eine geschäftsschädigende Macke: Er soff zu gerne, war aber nie richtig blau. Aber in diesem Zustand behauptete er die tollsten Sachen, er wäre z.B. Adjutant von Rommel im Wüstenkrieg gewesen, obwohl er gerade erst zur Schule kam, als der Krieg zu Ende war. Wenn seine Gäste ihm nicht glaubten, schmiß er sie aus seiner Kneipe, und es war ihm egal, ob sie bezahlten oder nicht. Ganz Clevere nutzten das aus und soffen tagelang umsonst bei ihm. Gezwungenermaßen mußte er nebenher Geld verdienen, und da er klein und schmal war, und es seinen Neigungen entsprach, arbeitete er als Elektriker. Er hatte diesen Beruf zwar nicht erlernt, aber er war ein begabter Amateur. Eines Tages hatte man ihm wieder mal den Strom und das Telefon gekappt, und er brauchte dringend Pesetas. Die Kneipe hatte ihm der Verpächter wegen fehlender Zahlungen abgenommen, und seine Ente pfiff auf dem letzten Loch und mußte repariert werden. Eigene Aufträge an Land ziehen, war nicht seine Sache, deslab rief er öfter Alex an. Nachdem Karsten Alex vorgejammert hatte, daß er wieder mal total am Ende wäre, sagte Alex: „Karsten, im Moment habe ich keine Elektroarbeiten, aber suche dir einen spanischen Bauarbeiter mit dicken Muskeln, dann kannst du für einen Kunden eine Natursteinterrasse bauen. Ich besorge Zement, Sand, eine Mischmaschine und Natursteine aus dem CasaresSteinbruch. Ich zeige dir, wie es geht, und schaue jeden Tag nach, wie die Arbeit läuft.“ Nachdem sie einen Festpreis ausgehandelt hatten, lief die Arbeit an. Alex war kein Sozialamt und wollte natürlich auch an diesem Auftrag verdienen, aber Karsten konnte jetzt sein Telefon, seinen Strom und seinen spanischen Helfer bezahlen und ein paar Wochen leben. Die Devise war leben und leben lassen. Für ein par Mark mehr kann man nicht jede Notlage ausnützen und auch noch den letzten Pfennig heraus pressen. Nach ein paar Tagen hatte Alex auf seinem Anrufbeantworter eine Nachricht, er möchte bitte eine Frau in Hamburg anrufen. Es passierte öfters, daß Alex Aufträge von Unbekannten per Telefon erhielt. Er rief an, und eine Frauenstimme fragte, ob er einen Karsten Herrmann kennen würde. Alex fragte erst mal vorsichtig, wie sie auf ihn kommen würde, und sie entgegnete, sie hätte das Konsulat angerufen, und die hätten gesagt, er – Alex kenne jeden an der Costa del Sol. Sie wäre die Stiefschwester diese Karsten Herrmann, ihr Vater wäre gestorben, ohne Testament, und um das Erbe anzutreten benötige sie die Unterschrift ihres Stiefbruders. Alex ließ sich den Namen und die Telefonnummer geben, sagte, er kenne diesen Karsten von gelegentlichen Kneipenbegegnungen, und falls er ihn demnächst wieder treffen würde, werde er diese Nachricht weitergeben. Man weiß ja nie, wer da anruft, dachte Alex, Polizei oder Finanzamt, oder eventuell hat Karsten noch mehr an den Hacken. Das Studio, das Karsten gerade bewohnte, gehörte einer früheren Freundin von ihm, die spurlos verschwunden war, und das Telefon lief auch noch auf ihren Namen. Am nächsten Morgen kam Alex zur Baustelle, der Spanier füllte gerade den Zementmixer, und Karsten saß auf der Eingangstreppe und begrüßte Alex mit den Worten: „In Hamburg hätte ich 16 Monate für meine Steuer-schulden abzusitzen, Unterkunft und Verpflegung wären gesichert, den ganzen Tag könnte ich mit den anderen Knackis Karten spielen, und der Wärter öffnet mir die Tür und schließt sie hinter mir. Und hier sitze ich in Spanien und muß Steine schleppen.“ Alex grinste und erzählte ihm von dem Anruf. Bei Karsten fiel erstmal die Kinnlade runter, und dann erinnerte er sich tatsächlich eine Stiefschwester zu haben, aber die hätte er zuletzt bei der Scheidung seiner Eltern vor rund 40 Jahren gesehen. Am nächsten Morgen hüpfte Karsten wie Rumpelstilzchen herum, er hatte mit seiner Stiefschwester telefoniert, ihr Vater hatte 600.000 DM in Bar und Aktien, ein Haus auf Ibiza, ein Appartement aus Teneriffa und eine Eigentumswohnung in Hamburg hinterlassen, und wer weiß, giftete er, wie viel sie sich jetzt schon unter den Nagel gerissen hat. Typisch, dachte Alex, da hat Karsten jahrelang am Rand des Existenzminimums gelebt, und kaum riecht er Geld, wird er habgierig. Im nächsten halben Jahr konnte Karsten keine Nacht richtig schlafen in der Befürchtung, das Finanzamt könnte sein unverhofftes Erbe beschlagnahmen. Aber hatte Glück und einen guten Rechtsanwalt. Er blieb auch auf dem Teppich, kaufte sich nur einen Sport-wagen und arbeitete weiter, kaufte kleinere Immobilien, renovierte sie, wie er es bei Alex gesehen hatte und verkaufte sie dann teurer. Das versprochene fürstliche Essen in einem Spitzenrestaurant für Alex und seine Frau fand nie statt. Nach drei Jahren flog Karsten nach Hamburg, ließ sich per Taxi durch alle von früher bekannten Winkel Hamburgs fahren, ging am nächsten Tag ins Krankenhaus und starb 14 Tage später an Krebs. Petra, Jochen und Paco betrieben ein Restaurant an der Küste. Jochen war zwanzig Jahre älter als Petra, war ehemaliger SternJournalist, lebte meist in ihrem kleinen Häuschen nahe Marbella und ließ sich selten im Restaurant sehen. Er versuchte mit mäßigem Erfolg, Reportagen über Andalusien zu verkaufen. Petra führte die Bar, hatte ein Rückgratleiden, trug deshalb ein Stützkorsett und zog gurgelnd die Luft ein wegen Kehlkopfasthma, rauchte trotzdem wie ein Schlot und trank jeden Abend mindestens zehn Longdrinks. Paco war Kellner und Koch und vertrat den Ehemann nach Schließung der Bar ab und zu auf den Sitzbänken. Eines Nachts nach der Heimfahrt ging es Petra schlecht. Jochen fuhr sie in Panik ins Krankenhaus nach Marbella. Petra hatte keinen Hausarzt, der mit ihrer Krankenakte vertraut war, der junge Assistenzarzt im Krankenhaus roch Alkohol und Nikotin, zog die falschen Schlüsse, gab ihr ein paar Tabletten Valium und sagte ihr, sie solle morgen wiederkommen. Das war genau das Falsche, und in dieser Nacht machte Petra ihren letzten Schnaufer. Jochen war die meiste Zeit seines Lebens freiberuflich tätig gewesen und erhielt lediglich 300,- DM Rente, Petra war Beamtin beim Finanzamt und von seiner und ihrer Rente konnte Jochen gut leben. Jetzt hat er auch noch eine Arztwitwe aufgegabelt, und gemeinsam können sie jedes Jahr eine Weltreise unternehmen. Als die beiden wieder mal auf Reisen waren, baten sie Harry, einen Frührentner, ihr Haus zu hüten und Hund und Katze zu betreuen. Petras Urne stand im Gästezimmer im Schrank, und Harry sagte jedes Mal, bevor er zu Bett ging: „Gute Nacht, Petra.“ Bis er eines Tages Zecken über die Bettdecke krabbeln sah und seitdem in seinem gemieteten Studio in der Stadt übernachtete und nur tagsüber das Haus betreute. Eines Tages fand Harry das Haus aufgebrochen und durchwühlt vor. Petras Urne stand im Garten, und die Asche war verstreut. Der eintreffende Polizist klärte Harry auf: Das waren Junkies, die haben gedacht, in dem Beutel in der Urne sei Kokain und haben versucht, das Zeug zu schnupfen. Das war wohl eine herbe Enttäuschung. Mark war (angeblich) ein kanadischer Zahnarzt, der seine Praxis an seine Tochter übergeben hatte und als Pensionär die Welt bereiste. Alex lernte ihn kennen, als zwei ihm bekannte Damen aus München ihn anschleppten. Sie hatten ihn in Fuengirola in einem Restaurant kennen gelernt, und eine von ihnen stieg am selben Abend mit ihm ins Bett. Er war rotblond, fuhr einen weißen Mercedes mit einen Kennzeichen aus Andorra, hatte eine Gürtel-fabrik in Madrid und zwei Läden in Gibraltar, die er an Inder vermietet hatte. Er beklagte dauernde Kontrollen wegen des Nummernschilds aus Andorra und versuchte die Münchnerinnen zu überreden, seinen Wagen nach Deutschland zu fahren, zu verkaufen und ihm einen VW mit deutschem Kennzeichen mitzubringen. Den Beiden war die Sache zu kompliziert, glücklicherweise. Kurze Zeit später wurde er verhaftet, als Drogendealer, in seinem Appartement wurden fünf falsche Pässe und sechs Kilo Heroin gefunden. Er war Marokkaner aus einer einflußreichen Drogen-anbaufamilie. Er meldete sich telefonisch aus der U-Haft voller Humor, er wäre jetzt in einem Männerpensionat, leider keine Frauen. Ein Anwalt kam aus Marokko, schwarzhäutig, gutaussehend, der fließend Englisch, Französisch, Spanisch und Deutsch sprach. Nach drei Jahren war Mark wieder frei und meldete sich telefonisch mal aus Nepal, Südamerika und Holland. Die Katze läßt das Mausen nicht. Charly ist sein Spitzname, seine beiden Vornamen sind deutsch und sein Familienname polnisch. Einer, der ihn nicht leiden kann, behauptet, Charly sei aus altem polnischen Portieradel. Er schlawienerte sich so durchs Leben, und weil er an der deutschösterreichischen Grenze aufgewachsen ist, hat er viel von deren Lebensart angenommen. Sein angeberisches, dummdreistes Geschwätz wird von den gelangweilten Touristen amüsiert toleriert. Er kann sogar Gitarre spielen, aber es reicht nur für drei Lieder. Ab und zu fährt er ein paar alte Witwen nach Gibraltar zum Einkaufen oder macht einfach Ausflüge mit ihnen, vermittelt bei Bedarf Handwerker und kassiert von denen Provisionen. Dann stöhnt er manchmal: „Was sich diese alten Ratten einbilden, die erwarten doch tatsächlich, daß ich mit denen ins Bett steige.“ Vor ein paar Jahren wurde angeblich sein Auto geklaut, in der gleichen Nacht flog er nach Deutschland und kaufte sich ein Neues. Seitdem steht er in den Computern der Versicherungen mit einem Fragezeichen. Dann zog er mit einem Freund herum und tönte, er würde in Almeria Dutzende von Reihenhäusern bauen. Und da Almeria als großer Drogenumschlagplatz von Marokko nach Europa gilt, dachten einige Kenner der Szene: „Nachtigall, ick hör dir trapsen.“ Nach ein paar Monaten wurde Charlys Freund in London verhaftet, mit fast zwei Zentnern Haschisch in den Hohlräumen seines Autos. Nach knapp zwei Jahren Knast tauchte dieser Freund hier wieder auf, und Charly kannte ihn nicht mehr. Wenn so einer knapp am Gefängnis vorbeigeschrammt ist, wird er sehr vorsichtig. Detlef hat eine Villa direkt am Strand, ein Privatflugzeug und ein paar Straßenzüge in der Münchner Innenstadt bestehend aus Mietshäuser – alles von seinem Vater geerbt. Der kannte seinen stockschwulen Sohn und schenkte die Mietshäuser der Kirche mit der Maßgabe, daß sein Sohn bis zu dessen Ableben die Hälfte der Mieteinnahmen bekam. Außerdem setzte er eine Vermögensverwalterin ein, die wiederum von einem Anwalt kontrolliert wurde. Detlef flog sein Flugzeug selbst und ab und zu nach Marokko, da dort das Angebot an kleinen Jungs und muskelbepackten Masseuren groß und solche Dinge normal waren. Manche von diesen Detlefs werden vom Jet-set in Marbella toleriert aber nie richtig anerkannt, außer sie vollbringen auf irgendeinem Gebiet außergewöhnliche Leistungen. Und da ererbtes Geld und ein Sportflugzeug nichts Besonderes ist, kaufte sich Detlef eine Yacht für drei Millionen DM und mietete einen Liegeplatz in Puerto Banus. Als er eines Tages wieder mal seine Yacht besuchte, lag neben ihr eine wunderschöne Segelyacht, ganz aus Teakholz, sehr selten und sehr teuer. Und direkt davor saßen auf einer Decke drei Hippis mit bunten Hemden, ausgebleichten, zerfransten Jeans, langen Haaren mit Stirnband und spielten auf seltsamen Instrumenten. Sie hatten einen Cowboyhut vor sich liegen, und die vorbeiflanierenden Touristen warfen ab und zu eine Münze in diesen Hut. Detlef versuchte mit seinen paar Brocken Englisch und Spanisch diese bunten Vögel zu vertreiben, und als sie von ihm keinerlei Notiz nahmen, rief er per Handy wutentbrannt die Polizei. Leider stellte sich heraus, daß diese drei Musikanten amerikanische Popstars und die Eigner dieser schönen Yacht waren, und zehnmal soviel Geld wie Detlef besaßen. Das mußte Detlef sehr geschockt haben, denn eine Woche später fuhr er aufs Meer und auf den einzigen Felsen weit und breit. Vor dem Untergang seiner Yacht konnte Detlef mit seinen Begleitern noch in das Beiboot klettern und an Land fahren. Seitdem ruht sein Boot auf dem Grunde des Mittelmeeres, und die Versicherung zahlt auch nicht. Michael war Maler, er malte nicht nur Wohnungen und Häuser an, sondern machte auch Stilleben und Porträts. Sein Vater hatte in Deutschland einen Malerbetrieb mit zwanzig Gesellen, und sein Bruder war ein bekannter Kirchenmaler mit Aufträgen in ganz Europa. Michael kam mit seiner Frau und seinen zwei Kindern für einen dreiwöchigen Urlaub nach Spanien, und überwältigt von Sonne, Strand und Rotwein blieb er hier. Er hatte den Streß im väterlichen Betrieb gründlich satt. Als das Geld alle war, der Bankautomat seine Kreditkarte geschluckt hatte und nicht wieder herausgeben wollte, von zu Hause auch nichts mehr zu erwarten war, mußte er arbeiten. Er fand eine Hütte im Campo für billige Miete ohne Strom und Wasser. Handys gab es noch nicht, und seine alten Autos gaben regelmäßig nach kurzer Zeit ihren Geist auf oder wurden von der Polizei beschlagnahmt, weil er keine Versicherung bezahlt hatte. Er leistete gute Arbeit, und die Kunden verziehen ihm auch, wenn er mal ein paar Tage nicht zur Arbeit kam. Dann hatte er meistens ein paar Joints zuviel geraucht, und in diesem Zustand malte er phantastische Horrorbilder, bei denen schon das Anschauen Alpträume verursachte. Seine Frau zog zu einem schmutzigen, schmierigen Engländer und nahm ihren Sohn mit, die Tochter blieb bei ihm. Der Eng-länder verkaufte gesammelten Krempel auf Trödelmärkten, und nach einem halben Jahr wollte sie wieder zurück zu Michael, aber der wollte sie nicht mehr. Seine Tochter war bildschön, hatte sein Maltalent geerbt, ging zur spanischen Schule und war strohdumm und faul. Michael nahm in seiner Hütte öfters junge deutsche Streunerinnen auf, eine bekam von ihm Zwillinge, versuchte sich an der Herstellung von Kinderspielzeug aus Holz und lebt jetzt in Deutschland vom Sozialamt. Eines Tages kam Michael auf die Idee, am Strand Märchenfiguren aus Sand zu bauen. Sie wurden wunderschön und erregten das Staunen der Touristen und die Begeisterung der Kinder. Der Münzinhalt des Kartons mit der dreisprachigen Beschriftung „Spende für einen Künstler“ reichte immer für Essen und Wein. Als ein paar abgerissene Strandläufer diese Idee nachmachen wollten, machte die Polizei dem Spuk ein Ende und verjagte alle, auch Michael. Eines Tages starb sein Vater und er mußte den väterlichen Malerbetrieb übernehmen. Und wie man hört, gelingt ihm das sehr gut. Seine Tochter wurde volljährig, kam wieder nach Spanien und lebt jetzt mit einem spanischen Jugendfreund zusammen im Campo wie früher mit ihrem Vater. Werner war Dachdecker und hatte einen Betrieb mit fünfzig Gesellen und Helfern in München geerbt. Der bestand schon in der dritten Generation, und die Aufträge kamen fast von selbst. Die Angestellten und Arbeiter waren eingespielt, und Werner konnte seine meiste Zeit damit verbringen, mit seinem Sportwagen die Leopoldstraße auf und ab zu fahren und willige Mädchen aufzugabeln. Er war groß, breitschultrig und sah gut aus, aber mit Mitte Dreißig waren seine geschäftlichen Erfahrungen bescheiden. Gegen den Rat seines Prokuristen nahm er einen Millionenauftrag von einem Generalbauunternehmen an. Das ging pleite, und Werner mit ihm. Anstatt seine Pleite sauber durchzuziehen, flüchtete Werner mit ein paar Tausend Mark in der Tasche Hals über Kopf nach Spanien und hatte prompt den Staatsanwalt auf den Fersen. Er mußte und konnte jetzt selber arbeiten, er war kein Strandgut wie so viele andere und wollte den Haftbefehl wegen seiner Pleite von den Hacken haben. Sein Rechtsanwalt vereinbarte einen Termin vor dem Münchner Gericht. Werner flog nach Düsseldorf und wollte mit der Bahn weiter nach München, vor den bayrischen Grenz-beamten hatte er einen Heidenbammel. Sein Zug nach München ging erst ein paar Stunden später. Als er problemlos am Düsseldorfer Hauptbahnhof ankam, wurde er sorglos, genehmigte sich in ein paar Lokalen ein paar Bier und geriet in eine Polizeirazzia. Seine Paßdaten wurden in den Computer getippt, und schon klickten die Handschellen. Vier Wochen saß er im Knast, dann ging der nächste Gefangenentransport nach München. Dort leistete er vor Gericht seinen Offenbarungseid und durfte wieder nach Spanien abreisen. Jetzt konnte er auch wieder einen neuen Reisepaß beantragen. Die meisten Menschen denken dauernd darüber nach, wie sie mit weniger oder keiner Arbeit leichter und besser leben können, so auch Werner. Er lernte eine hübsche, zierliche Spanierin kennen und heiratete sie. Beide eröffneten ein Gartenrestaurant in der Altstadt von Marbella, und da sie beide wenig Geld hatten für Trespaso (Pacht + Inventarübernahme), kam es wie meistens. In der Saison wurde gut verdient und leicht ausgegeben, im Winter verdienten sie kaum die Pacht. Werner inserierte in Münchner Zeitungen, ein Interessent kam mit Schwarzgeld in der Tasche. Werner lieh sich von einem Freund einen 500er Mercedes, holte den Interessenten vom Flughafen ab und brachte ihn nach Marbella zu seinem Gartenrestaurant. Ein paar Tage vorher hatte er alle Freunde und Bekannte zu diesem Abend eingeladen, seine Frau hätte Geburtstag und Getränke und Essen wären kostenlos. Das ließ sich natürlich keiner entgehen, und da sich so etwas herumspricht, kamen auch zahlreiche nicht eingeladene Nassauer, kurz, das Restaurant war brechend voll, und der Übernahmevertrag mit 20.000 DM Anzahlung am selben Abend unterschrieben und bezahlt. Die Ernüchterung kam in den nächsten Tagen, als kaum Gäste erschienen. Der Interessent wollte vom Vertrag zurücktreten und die Anzahlung zurück haben. Aber das geht in Spanien nicht: Wird ein Vertrag nicht erfüllt, ist die Anzahlung verloren. Und weil das so gut geklappt hatte, wollte Werner diese Sache wiederholen. Als nächstes kam ein Japaner, sah sich alles ein paar Tage in Ruhe an, bestand auf einen Notarvertrag und bezahlte die ganze Summe sofort. Hier gibt es einen Spruch: Mit jedem Flugzeug kommt ein Dummer, und am Flughafen steht ein Gehirnstrahler, mit dem 50 % der kleinen, grauen Zellen eingeschläfert werden. Scholte war ein typischer Geschäftshaifisch, er kaufte mit einer kleinen Anzahlung ein altes, herunter gekommenes Hotel am Strand, wandelte die Hotelzimmer in Eigentumswohnungen um, köderte Rentner mit einer kostenlosen Busreise nach Spanien und verkaufte schon während der Fahrt die ersten Wohnungen. Das Restaurant im Hotel verpachtete er separat, und die Hotelverwaltungsräume wurden seine Büroräume. Er sicherte sich per Vertrag die Verwaltung und verdiente enorm. Dann machte er einen Fehler. Er verkaufte mehr als die Hälfte und verlor die Mehrheit bei den jährlichen Eigentümerversammlungen und wurde nach ein paar Jahren als Verwalter abgewählt. Hätte er die Hälfte der Wohnungen behalten und als Ferienwohnungen vermietet, dann wäre eine Abwahl nicht möglich gewesen, und er hätte ein gesichertes Einkommen bis an sein Lebensende gehabt. Aber Scholte wurde zu maßlos, er benötigte Geld für ein großes Bauprojekt. Er kaufte in der Wildnis nördlich von Malaga hunderte Hektar Land und wollte Bauparzellen einteilen, Häuser, Hotels und eine Ayuveda-Klinik bauen. Irgendeinem einflußreichen Spanier gefiel das nicht, und plötzlich wurden die Baulizenzen torpediert und die Genehmigungsverfahren verschleppt. Scholte brauchte Geld. Er verkaufte noch ein paar Wohnungen und erhöhte die Verwaltungsgebühren. Die blauäugigen Deutschen lassen sich eine Menge gefallen, aber eines Tages ist Schluß. Das ist vergleichbar mit den Parteien in Deutschland. Denn Demokratie ist nichts weiter als zwanzig Prozent der Wähler mit Begünstigungen überhäufen und in Abhängigkeit bringen, hauptsächlich die Medienleute und die Beamten, den Rest kann man verdummen, und schon hat man die Mehrheit. Aber jetzt scheint sich eine Zeitenwende anzudeuten. Die jetzt heranwachsende Ich- und Spaßgeneration wird mehr auf ihre eigenen Interessen achten und sich nicht mehr ausbeuten lassen. Hoffentlich. Otto war Fliesenleger und Mitte Dreißig. Er war von einem deutschen Standvillenbesitzer nach Spanien gelockt worden, um seine Küche, Bad und Pool neu zu fliesen, weil die meisten spanischen Fliesenleger die Fliesen nicht mit Fugen verlegen können. Otto fand eine Freundin, sie hatte ein Häuschen direkt neben seiner Arbeitsstelle, war Engländerin, Witwe, Mitte Vierzig und sah noch ganz passabel aus. Zwischen den Strandvillen und dem Meer lag circa zehn Meter Sandstrand, der an den lauen Sommernächten zu intimen Strandfesten einlud. Otto schleppte nach der Arbeit einen Kasten Bier herbei, und die Engländerin Stangenbrot Salat, Käse und Wurst. Sie plapperte pausenlos, und Otto grunzte ab und zu zustimmend, obwohl er kein Englisch sprach, aber bei dem, was beide wollten, brauchten sie keine Sprache. Wenn dann Otto nach einem morgendlichen Bad im Meer bei einer anderen, über siebzigjährigen Nachbarin vorbei kam, fragte die ihn regelmäßig: „Na Otto, wieder mal gut gebumst?“ Da grunzte Otto wieder mal zustimmend. Sie lud ihn dann regelmäßig zu einer Tasse Kaffee ein, und es entwickelten sich tiefschürfende Gespräche. Sie: „Ich möchte noch einmal so eine richtige, heiße Liebesnacht erleben, aber mit den Männern in meinem Alter ist nichts mehr los, und dafür bezahlen finde ich entwürdigend.“ Otto: „Wenn ich mal totalen sexuellen Notstand habe und besoffen bin, können wir darauf zurück kommen.“ Da sie eine elegante, intelligente Dame mit Geschmack und Stil war und keine direkte Zurückweisung riskieren wollte, köderte sie ihn mit versteckten Hinweisen. Sie: „Otto, kennst du den Unterschied zwischen Französisch und Französisch antik?“ Otto blickte fragend. Sie: „Ist ganz einfach: Französisch antik ist ohne Zähne.“ Otto war einfach gestrickt und nahm es als Witz. Abends an der Theke der Strandbodega nach ein paar Feierabendbieren gab Otto seine Lebensweisheiten von sich: „Männer, wir haben nur ein Problem, wir müssen überleben. Falls wir mal im Altersheim landen, kommen auf einen Mann zehn Frauen, die kloppen sich dann um uns.“ Sein Thekennachbar: „Wir Männer sind ja angeblich das stärkere Geschlecht, aber die Frauen sind augenscheinlich zäher.“ Ein anderer: „Otto, wie ist denn dein Status hier? Zahlst du Steuer, Krankenkasse oder Rente?“ „Bin ich verrückt?“ entrüstete sich Otto, „ich lasse mich nicht länger ausbeuten, weshalb soll ich Steuern zahlen, diese beamteten Nichtstuer schmeißen doch unser Geld zum Fenster raus. Weshalb verdient ein Krankenkassendirektor 30.000 Mark im Monat? Und die Rente ist der allergrößte Schwindel. Der Generationenvertrag, in dem die Jungen für die Alten die Rente bezahlen, hatte kurz nach dem Krieg, als alles hin war, seine Berechtigung aber später nicht mehr. Was ihr und euer Arbeitgeber in 45 Jahren einzahlt, summiert sich auf rund 1,5 Millionen. Bei nur fünf Prozent Verzinsung ist das eine Rente von 7.500 DM im Monat und das Kapital bliebe unangetastet, zum Vererben oder ähnlichem Schabernack. Sein Nachbar an der Theke bestellte noch eine Runde. „Aber Otto“, warf er ein, „wenn du hier krank wirst und später mit einer Minirente, wie soll das gehen?“ Otto tat den Einwand herablassend ab: „Ihr ernährt in Deutschland hunderttausende von Scheinasylanten, und andere Schmarotzer und Parasiten, da wird für mich im Notfall auch noch was abfallen.“ Otto hatte dauernd Ideen, wie er ohne Arbeit reich werden könnte, aber die Organisation der Ausführung zwischen Idee und Resultat vergaß er regelmäßig. Aber er konnte trotzdem von drei Tagen Arbeit in der Woche gut leben. Manchmal trank er Einen über den Durst und fiel vom Barhocker und mit dem Kopf auf die Bodenfliesen. Das hat ihm bisher nicht geschadet und eventuell sogar genützt, um den Durchblick zu bekommen. Oskar war ein Aussteiger, der glaubte, hier im Süden würden ihm die gebratenen Tauben von selbst in den Mund fliegen. Alles an ihm war mittel-mäßig, seine Figur, seine körperlichen und geistigen Gaben sowie seine Fähigkeiten im allgemeinen. Er war circa 25 und hatte ein paar mal Urlaub in Spanien gemacht. Seine achtzehnjährige Freundin Inge hatte seinen Prahlereien von dem schönen Leben an der Costa del Sol geglaubt und war ihm vertrauensvoll gefolgt. Nach ein paar Monaten wurde die Lage langsam trostlos. Die Miete war bald fällig, der Kühlschrank leer und das Geld alle. Jetzt machten beide in ihrem gemieteten, kärglich und einfach möblierten Studio Siesta. Draußen herrschte die nachmittägliche, drückende Hitze, und drinnen war es auch nicht wesentlich kühler. Oskar lag auf seiner Inge und pumpte sich seinem Orgasmus entgegen. Inge reagierte mechanisch und dachte an die schwärmerischen Erzählungen älterer und erfahrener Frauen von tollen Liebesnächten. Wann passiert sowas mal mir, dachte sie. Oskar zwängt mir sein Ding rein, bewegt sich ein paar Minuten auf und nieder, spritzt mich voll, rollt sich von mir runter und fängt an zu schnarchen. Plötzlich ertönten laute Schläge an der Tür, und eine Stimme rief: „Oskar, mach sofort auf, hier ist Alex. Du hast gestern Abend um einen Auftrag zu ergattern in Tonis Bar einen Haufen Lügen über mich erzählt, sofort kommst du mit und entschuldigst dich dort öffentlich!“ Inge spürte, wie ein Teil von Oskar in ihr plötzlich ganz klein wurde und aus ihr herausrutschte. Er flüsterte in ihr Ohr: „Sei ganz ruhig, dann haut er vielleicht ab.“ Plötzlich sprang die Tür auf, ein Mann stürmte herein, griff Oskar in die Haare, zog ihn von Inge herunter und begann ihn schallend zu ohrfeigen. Als Oskar nur noch wimmerte, schickte ihn ein krachender rechter Haken wie ein Bündel Lumpen in eine Ecke, wo er bewußtlos liegen blieb. Inge war nackt auf dem Bett mit der durchgelegenen Matratze liegen geblieben, hatte mit den Händen ihre Brüste bedeckt und ihre Beine zusammen gedrückt. Halb ängstlich und halb fasziniert von der brutalen Bestrafung betrachtete sie die Gestalt. Was für ein Bild von einem Mann, dachte sie. Groß, breitschultrig, schmal in den Hüften, braungebrannt, dunkelblond, mit gepflegtem kurzen Bart und grünen Augen. Alex betrachtete Inge, schloß die Tür mit einem Fußtritt und sagte: „Hallo Inge, dein Oskar fällt bis auf Weiteres aus, was hälst du davon, wenn wir beide weiter machen?“ Inge nickte mechanisch, nahm ihre Hände von den Brüsten, strich rechts und links von sich das Laken glatt, legte sich bequem zurecht und spreizte ihre Beine. Sie schaute erwartungsvoll, wie Alex seinen Gürtel öffnete, aus der Hose stieg und den Slip abstreifte. Ohje, dachte sie, dieser Pimmel ist doppelt so lang und dreimal so dick wie Oskars. Obwohl sie auch gehört hatte, daß es darauf nicht ankommen sollte, breitete sich eine wärmende Erregung in ihrem Unterleib aus. Alex setzte sich auf die Bettkante, streifte sich sein Polohemd über den Kopf und griff ihr zwischen die Beine. Er schob seinen Zeigefinger tief in ihre Muschi und sagte: „Oh Gott, du bist ja so trocken wie die Sahara, das macht so keinen Spaß.“ Er sah sich um, inspizierte die Gläser, Tuben und Dosen auf dem Beistelltisch. Eine Plastikflasche mit Nußöl sagte ihm zu. Er schüttete eine Portion in seine Handflächen, massierte mit einer Hand abwechselnd ihre beiden Brüste und mit der anderen Hand ihre Schamlippen und ihren Venushügel. Ab und zu glitt seine Hand tiefer und benetzte und massierte ihren Anus. Nach einer Viertelstunde intensiver Massage merkte er, wie sie feucht und bereit wurde. Alex nahm ein Kopfkissen und schob es unter ihren Hintern. Er kniete sich zwischen ihren Beinen, sie zog die Knie bis zu ihren Brüsten zurück und öffnete sich völlig. „Los“, stöhnte sie, „schieb ihn mir endlich rein.“ Langsam, genußvoll und mit Pausen erfüllte er ihren Wunsch. Der Rest war reine Ekstase. Eine Weile später dachte Inge erfüllt: Jetzt habe ich das auch erlebt und weiß, was für Freuden einem ein Mann bereiten kann... Beim Nachspiel bemerkte Alex, wie Oskar sich zu regen begann. Er dachte, eigentlich sollte das eine Bestrafung für Oskar sein, aber warum nicht das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden. Er drückte Inges Kopf zwischen seine Beine und sagte: „Jetzt blas mir meinen wieder steif, dann machen wir noch mal so eine Nummer.“ Inge machte sich mit Eifer ans Werk und Alex sah Oskar mit seinen Klamotten unter dem Arm leise aus der Tür schleichen. Man sah ihn nie wieder. Zitate und Sprüche, die auffielen: Ehre ist das Geschenk eines Menschen an sich selbst. Religion ist das Opium der Dummen, Marxismus ist das Opium der Intellektuellen. Jedes Ereignis und jede Tat muß man nach seinen Folgen beurteilen. EDV = Elektronische Datenverarbeitung oder Ende der Vernunft. Die meisten Deutschen kümmern sich weder um ihre eigenen langfristigen Interessen noch um die ihres Volkes, solange ihr Schweinetrog täglich gefüllt ist und der Fernsehapparat nicht implodiert – gelungene Volks-verdummung. Die Menschen verlieren zuerst ihre Illusionen, dann ihre Haare und Zähne und ganz zuletzt ihre Laster. Gesundheit kauft man nicht im Handel, sie liegt im Lebenswandel. Gott schütze mich vor meinen Freunden, mit meinen Feinden werde ich schon selber fertig. Der Feige stirbt viele Tode, der Mutige nur einen. Es gibt keinen Menschen an sich, sondern nur Menschen in ihrer Prägung ihrer ethno-kulturellen Erscheinung. Das multirassige Konzept ist der Ausdruck einer zutiefst rassenverachten-den, weil rassenvernichtenden Gesellschaft und daher folglich das schlimmste Verbrechen, das je an den Völkern der Erde begangen wurde. Gelassenheit ist, Dinge zu ertragen, die man nicht ändern kann. Mut ist, Dinge zu ändern, die man ändern kann. Weisheit ist, das Eine vom Anderen zu unterscheiden. Das eherne Lohngesetz lautet: Je angenehmer eine Arbeit ist, desto besser wird sie bezahlt. Mitleid bekommt man geschenkt, Neid muß man sich hart erarbeiten. Heinrich Heine sagte schon 1840: Türken, Inder, Hottentotten sind sympathisch alle drei, wenn sie leben, lieben, lachen fern von hier in der Türkei. Doch wenn sie in hellen Scharen, wie die Maden in dem Speck, in Europa nisten wollen, ist die Sympathie schnell weg. Mit Absicht wirft man (die staatenlosen Intellektuellen der linken, roten Rattenloge) falsche Begriffsnetze über uns und damit werden schon in den Schulen unsere Kinder von lebensfrohen Geschöpfen zu bußfertigen, zerknirschten herabgewürdigt. Ein Volk, das völlig auf Gewaltanwendung verzichtet, bereitet seinen eigenen Untergang vor. Es verwandelt sich in eine Schafherde, die der erstbeste Wolf abschlachten kann. Laßt jedem Volk das Seine ohne Zwist. Doch seid bereit, euch bis auf´s Blut zu wehren, begehrt ein fremdes Volk, was unser ist. Sei ein Realist – versuche das Unmögliche. Wenn ein Mann nicht bereit ist, für seine Überzeugung ein Risiko einzugehen, dann taugt entweder die Überzeugung oder der Mann nichts. Ein Geizhals ist eine Plage für seine Mitmenschen aber eine Freude für seine Erben. Die Politik hat nicht zu rächen was geschehen ist, sondern dafür zu sorgen, daß es nicht wieder geschieht. „Das ehrenwerte Ziel“ Was ist der Sinn des Lebens? Was ist ein sinnvolles Ziel? Bestimmt nicht nur fressen, saufen und vögeln, wie ein SPDAbzocker aus dem Saarland behauptet. Mit den Tugenden, die dieser Minus-Mann pflegt, kann man auch ein Bordell führen. Ein deutscher Tischlermeister – Bauleiter hat sich in seiner neuen Heimat in Südspanien seinen Frust über Deutschland von der Seele geschrieben, eingebettet in eine Handlung von Abenteuer, Liebe, Erotik, rabenschwarzer Verschwörung und gerechter Vergeltung. Die Berichte über Deutschland, Arabien, Afrika und Spanien sind teilweise autobiographisch – die Namen der Beteiligten sind geändert, sie selbst werden sich aber leicht erkennen, die Guten wie die Bösen. Hans-Ernst Raack Persisches Sprichwort: „Gib dem, der die Wahrheit sagt, ein Pferd, damit er danach entwischen kann.“