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- Vogelgrippe, AIDS, BSE und Co.: Risikowahrnehmung
- der psychometrische Ansatz:
dieser Ansatz ist das am weitesten verbreitete Vorgehen in der psychologischen
Risikoforschung
mit ihm wurden einige psychologisch relevante Dimensionen der subjektiven
Repräsentationen von Risiken aufgedeckt
-
- die subjektive Wahrnehmung des Risikos:
-
hängt nicht mit der technischen oder ökonomischen Konzeption von Risiko
zusammen
Risiken werden nicht nach statistisch erfassbaren Schadenswahrscheinlichkeiten
beurteilt
Risiken werden nach psychologisch bedeutsamen Merkmalen beurteilt
- wichtige Merkmale nach dem psychometrischen Ansatz:
1. Bekanntheit und Vertrautheit:
- häufige Berichtserstattung in den Medien
- Bsp.: häufige Berichte über Vogelgrippefälle
2. Schrecklichkeit und Bedrohlichkeit:
- Risiko wird höher eingeschätzt wenn eine Technik ein Potential zur
Verursachung von Unfällen mit vielen Todesfällen hat
- Bsp.: Kernkrafterke
3. Kontrollierbarkeit von Konsequenzen:
- Überzeugung, das Risiko durch eigenes Handeln zu kontrollieren und
dadurch reduzieren zu können
- Bsp.: Auto fahren
4. Freiwilligkeit:
- freiwillig übernommene Risiken erden nicht sonderlich kritisch gesehen
- Bsp.: Risiko des Rauchens im Vergleich zum Risiko das von
Braunkohlekraftwerken ausgeht
5. Verantwortlichkeit:
- natürliche Risiken werden weniger stark gewichtet als von Menschen
verursachte Risiken
- Bsp.: Tschernobyl wird viel schlimmer eingestuft als das Erdbeben in
Armenien, bei dem viel mehr Menschen ums Leben kamen
Metaphorische Typologie von Renn (1998)
Ansatz zur Charakterisierung von Risiken
Die Einteilung der Risiken in Anlehnung an Figuren aus der griechischen Mythologie bietet
eine praktikable Handlungsgrundlage für die Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft.
In den Mythen zeigt sich, dass die Menschen bereits in der Antike Angst vor Risiken hatten
und sich mit diesem Thema beschäftigt haben.
Vier metaphorische Konstrukte zur prägnanten Beschreibung der Bedeutung des Begriffs
Risiko:
o Damokleisches Schwert
o Pandoras Büchse
o Athenes Waage
o Herkules Taten
Damokleisches Schwert:
Die Redewendung des Damokles-Schwertes geht auf eine alte Sage zurück. Damokles war ein
Bediensteter am Hofe des Königs von Syrakus. Er war so begeistert von seinem König, dass
er ihn ganz besonders lobte und als den glücklichsten Menschen der Welt bezeichnete. Da
hatte der König eine Idee: Er wollte mit seinem Höfling den Platz tauschen und ihm den
Thron überlassen. Doch zuvor hängte er ein schweres Schwert über dem Thron auf, das nur an
einem Pferdehaar befestigt war. Wann und ob das Pferdehaar reißen und das Schwert auf
Damokles niederfallen würde, konnte niemand vorhersagen. Die Wahrscheinlichkeit, dass das
Haar reißen würde war sehr gering, hätte aber seinen Tod bedeutet. Der König Syrakus wollte
seinem Diener Damokles damit klarmachen, dass überall Gefahr lauert und dass Glück oft
nicht lange anhält. Man kann sich also nie sicher sein, dass alles gut weiterläuft - und spricht
deshalb auch heute noch vom Damoklesschwert, dass über den Köpfen der Menschen
schwebt.
Æ Das Schwert des Damokles ist so zum Sinnbild einer im Glück drohenden Gefahr
geworden.
-
Die Bedrohung rührt von der Möglichkeit her, dass die Katastrophe zwar eine sehr
geringe Eintrittswahrscheinlichkeit hat, jedoch das schlimme Ereignis jederzeit
passieren kann, also permanent möglich ist.
Das Eintreten dieses Schadensereignisses führt zu katastrophalen Konsequenzen.
Beispiele:
o Künstliche Risikoquellen, wie Kernenergie (Möglichkeit eines GAU)
o Gefahr großer Chemieanlagen
Æ aber: Großtechnische Risiken lösen Angst und Abwehr weniger wegen der
Wahrscheinlichkeit einer Katastrophe aus, sondern wegen der Zufälligkeit der
Bedrohung d.h der Unvorhersehbarkeit.
Büchse der Pandora:
Laut der griechischen Mythologie brachte Pandora Krankheit und Laster über die Welt, indem
sie ein unheilvolles Gefäß öffnete, dessen Inhalt sofort entwich. So schlecht es den Menschen
seither gehen mag: wenigstens elpis, die Hoffnung, ist ihnen geblieben. Das Gefäß, dass alle
Übel enthält, wurde zu einem beliebten Symbol für Unheilbringendes.
-
Hier ist die Eintrittswahrscheinlichkeit ungewiss. Sie wird beschrieben als eine
schleichende, unsichtbare und stetig akkumulierende Gefahr.
Dieser Risikotyp ist eine ubiquitäre und persistente Gefahr.
(z.B. gefährliche Chemikalien, die sich im Laufe der Zeit anreichern).
Die Schadenswirkungen sind wenig bekannt und die Schäden oft irreversibel.
Beispiele:
o Pestizide
o radioaktive Substanzen
Athenes Waage
Hier wird Risiko als Situation des Abwägens von Vor- und Nachteilen beschrieben, wie
zum Beispiel bei Börsenspekulationen und monetären Wetten.
Herkules Taten
In diese Kategorie fallen freiwillig eingegangene persönliche Risiken, zum Beispiel wie die
Ausübung von Extremsportarten.
Anwendungsbeispiel: BSE
2 Risiken von BSE:
(1) Gefährdung des Tierbestandes und der ökonomischen Landwirtschaft.
(2) Vermutete Ursache für vCJD Æ Ursache einer bedrohlichen, unbekannten Krankheit
Frage
Welche vier Metaphern entsprechen der öffentlichen Wahrnehmung von BSE?
Antwort:
Beide Risiken von BSE tragen entweder die Metaphorik des Damoklesschwertes oder die der
Büchse der Pandora.
Zuordnung ist abhängig von der Dynamik der Ausbreitung der Wahrnehmenden!!
Damokleisches Schwert:
- BSE und vCJD weisen hinsichtlich der wahrgenommenen Bedrohlichkeit und
Unbekanntheit zentrale Merkmale des Damokleischen Schwertes auf. Sie sind jedoch
spezifisch aufgrund ihrer medialen Vermittlung und der Wichtigkeit, die der
Gefährdung von Natur, Tier und Mensch zugeschrieben wird.
Bsp.:
o Auf das plötzliches Auftreten von BSE folgten drastische Gegenmaßnahmen:
Æ Massenvernichtung von Tausenden von Rindern
-
o Starkes Medieninteresse
aber: Das Thema BSE und vCJD gerät schnell in Vergessenheit, sobald
gesellschaftliche Kontrolle zurück gewonnen scheint
(Bsp.: Der Konsum von Rindfleisch ist wie zuvor)
Wiederholtes seuchenhaftes Auftreten
Es werden weitere Infektionswellen für möglich gehalten.
Æ Æ Es wird eine katastrophale Ausbreitung angenommen
Pandoras Büchse:
- Annahme, dass die Seuche gebannt ist und BSE und vCJD-Fälle nur noch sporadisch
(vereinzelt) auftreten
Bsp.: sporadisches Auftreten von vCJD: weltweites Auftreten von Neuerkrankungen
von etwa 1 zu 1 Million (in Deutschland gibt es demnach 60 bis 80 Fälle pro Jahr)
- Öffentliche Reaktion gemäßigter
Æ Æ Es wird von einer schleichenden, allmählichen Ausbreitung ausgegangen
Aufgabe 3:
Bringen Sie Ihren Kommilitonen die beiden Einteilungen näher, in dem Sie ca. 5 aktuelle
Beispiele in diese Schemata einordnen.
o Kindesmissbrauch:
Damoklesschwert (in Bezug zur Gesellschaft; abruptes Ende des
Sicherheitsgefühls, Freiheit von allen wird eingeschränkt)
Pandoras Büchse (auf das betroffene Kind bezogen)
o Terrorismusrisiko:
Damoklesschwert (führt zur massiven Einschränkung von
Freiheiten; Gefühl von ständiger Gefahr)
o Gammelfleisch:
Pandoras Büchse
Athenes Waage (Entscheidung billige und möglicherweise
schlechte Ware vs. teure und qualitativ hochwertige Ware)
o Vogelgrippe:
Damoklesschwert (jedoch nur im Falle einer möglichen Pandemie; teilweise wohl auch für Nutztierbetriebe)
Pandoras Büchse (für den Züchter)
o AIDS:
heute: Herkules Taten (außer unverschuldet, z.B. bei
Blutkonserven, etc.)
Die Theorie des sozialen Vergleichs und der Reaktanztheorie am Beispiel
von Schönbachs Untersuchung zum Risikoverhalten
Nr.4
Zeigen Sie am Beispiel von Schönbach (1996) auf, wie die Theorie des sozialen Vergleichs
und die Reaktanztheorie Risikoveralten erklären. Erläuterns sie zur Wiederholung kurz die
Grundlagen der Theorie des sozialen Vergleichs und der Reaktanztheorie. Diese finden Sie in
Frey et al (1993) und Dickenberg et al. (1993) .
Ausgangs der Studien war, die Tatsache von Massenunfällen bei Nebel. Zu beobachten ist,
dass bei Nebel die Autos zu dicht hintereinander und zu schnell fahren. Es ergibt sich ein
erhöhtes Risiko im Straßenverkehr. Der Sicherheitsabstand zum Vordermann wird trotz der
schlechten Sicht nicht eingehalten. Bremst ein Auto unerwartet, reicht der Abstand nicht
mehr, um rechtzeitig zum Stehen zu kommen Æ meist eine ganze Reihe von Autos sind in
den Unfall verwickelt Æ es kommt zur Massenkarambolage .
Peter Schönbach von der Ruhr-Universität Bochum führte eine empirische Untersuchung zu
der Problematik von Massenunfällen bei Nebel durch. Mittels Fragebogen und Fahranalysen
forschte er bei nach deren Ursachen und wie man solche Unfälle vermeiden kann. Dazu
wurden 1773 PKW-Fahrer in einem mehrstufigen und gesplitteten Fragebogen befragt d.h. die
Kernfragen zu den Rücklichtern und Scheinwerfern wurden in keinem Fragebogen
gleichzeitig gestellt. 1996 veröffentlicht er die Ergebnisse.
Die Ursache der Massenunfälle lassen sich laut Schönbach vor allem von zwei
sozialpsychologischen Theorien ableiten:
1) der Theorie sozialer Vergleichsprozesse von Leon Festinger
2) der Reaktanztheorie von Jack Brehm
1) Die Theorie sozialer Vergleichsprozesse von Leon Festinger
Existiert seit 1954
Diese Theorie besteht aus mehreren Hypothesen und deren Ableitungen :
-
-
Jeder Mensch bewertet seine Meinung und Fähigkeiten
Diese subjektiven Wertungen sind meist stabil
Sozialer Vergleich findet vor allem dann statt, wenn objektive Daten fehlen
Personen sind zufrieden, wenn ihre Leistung dem eigenen Anspruchsniveau genügt
oder übersteigt, und unzufrieden, sie darunterliegt.
Nach Erfolgen steigt das Anspruchsniveau, nach Misserfolgen sinkt es
Jeder verändert seine Meinung und Position so, dass er sich damit der Gruppe
annähert d.h. wenn Personen im Vergleich mit einer für sie relevanten Gruppe
überdurchschnittlich gut abschneiden, verringern sie ihr persönliches Leistungsniveau,
liegt die Leistung innerhalb des Gruppendurchschnittes, erhöhen sie es.
Es existiert ein Druck der Einheitlichkeit (pressure to uniformity)
Ergänzt wir diese Theorie durch die Berücksichtigung von Selbstachtungs- und
Kontrollbedürfnissen.
2) Reaktanztheorie von Jack Brehm
Grundannahmen hierbei sind:
-
der Mensch ist frei in der Ausübung von Verhaltensweisen
Tritt eine Einschränkung der Handlungs-/ Wahlfreiheit ein, will man reagieren und die
eigene Verhaltensfreiheit wieder herstellen Æ Reaktanzminderung
Je größer die Bedrohung der Freiheit, desto stärker die Reaktanz.
Was ist Reaktanz?
Psychologische Reaktanz ist die Bezeichnung für eine Abwehrreaktion, die als Widerstand
gegen äußere Einschränkungen aufgefasst werden kann. Ausgelöst wird Reaktanz durch
psychischen Druck (Bedrängung, Drohungen) oder die Einschränkung von
Freiheitsspielräumen (Verbote) und Wahlfreiheit.
Möglichkeiten gegen Freiheitseinengung:
- Wiederherstellung der Freiheit durch entsprechende Verhaltensaktionen Æ Aktionen
gegen den Einengerer
- Indirekte Wiederherstellung der Freiheit durch Ausführung einer Verhaltensweise, die
der verlorenen sehr ähnlich ist.
- Widerstand und Aggression
Beispiele:
Werbepsychologie:
Ausverkauf, „limierte Stückzahl“, Verkaufsangebote mit Fristen Æ Das Produkt gibt es
scheinbar nur begrenzt.
Æ mehr Nachfrage entsteht, um den drohenden Verlust (da ja Produkt nur kurzfristig zu
erwerben ist) auszugleichen Æ die kommende Einschränkung der Wahlfreiheit führt zur
Aufwertung des Produkts bei den Käufern
Zensur von Informationen Æ vor allem schwer zugängliche oder geheime Informationen
scheinen sehr interessant und besonders wichtig. Diese Infos werden dann auch meist für
wahr oder seriös gehalten.
Experiment von Brehm: „Saure-Trauben-Effekt“
Es gab 2 Versuchsgruppen. Beide Gruppen sollten über 2 Tage hinweg Schallplatten
bewerten. Zu Beginn wurde der Gruppe 1 versprochen, sich eine von diesen Schallplatten
aussuchen zu dürfen, um sie mit nach Hause nehmen. Der Gruppe 2 wurde gesagt, sie dürfen
eine ihnen zugeteilte Platte mitnehmen. Am Ende des ersten Tages wurde verkündet, dass
keine der Gruppen eine Platte mitnehmen darf.
Æ Gruppe 1 bewertet die Platte, die sie gerne mitgenommen hätten, am nächsten Tag besser
Æ Gruppe 2 bewertet die zugeteilte Platte schlechter als am ersten Tag Æ „Saure-TraubenEffekt“
Beide Theorien angewandt auf das Fahren bei Nebel:
-
Die roten Rücklichter des Autos haben eine Leitfunktion für den nachfolgenden
Fahrer. Rücklichter sind für ihn eine Orientierung und es entsteht ein Drang zum
Aufschließen, wenn der Vordermann beschleunigt. Man nimmt also Risiko auf sich,
fährt schneller, nur um diese Orientierung an den Rücklichtern nicht zu verlieren. Æ
Die Rücklichter werden dabei als Teil eines Kommunikationsprozesses gesehen.
Fahrverhalten entspricht dem Kommunikationsmedium und zugleich auch dem
Kommunikationsziel.
-
Die Scheinwerfer die der Autofahrer im Rückspiegel sieht, tragen ebenfalls zur
Risikosteigerung bei. Die Scheinwerfer lassen einen erkennen, wie nahe dran sich der
nachfolgende Wagen befindet. Da aber jeder die Rücklichter des Vordermanns gut im
Blick behalten möchte, ist der Abstand zum anderen jeweils recht gering. Dieses
„Nahebleiben“ oder das Beschleunigens um wieder aufzuschließen wird aber als
Bedrängung empfunden. Manchmal ruft das unterbewusst auch eine Herausforderung
des Fahrfähigkeiten hervor. Æ Um diesem Druck der Bedrängung des Hintermanns
abzubauen, wird beschleunigt. Dabei wird nicht bedacht, dass nun der Fahrer vor
einem genauso bedrängt wird und ebenfalls beschleunigen wird.
-
Die oben genannte Reaktanzminderung ist beim Fahren bei Nebel das absichtlich
langsam Fahren um den Hintermann für das dichte Auffahren zu „bestrafen“ oder das
beschleunigen, um dem zuentkommen.
-
Mit diesen beiden Theorien wird das sehr dichte Hintereinanderfahren bei Nebel
erklärt.
42% der Befragten sagen, dass sie Scheinwerfer im Rückspiegel als bedrängend empfinden.
(davon mehr Frauen als Männer, da Frauen emotionaler sind und Gefühle eher zugeben)
Mit zunehmenden Alter gleichen sich die Ergebnisse von Männer und Frauen an. Bis zum
Alter von Mitte 50, fühlen sich aber Frauen deutlich stärker bedrängt.
83% sagen, dass die Rücklichter des Vordermanns beruhigend auf sie wirken.
Vor allem jüngere Männer haben ein starkes „Kontrollbedürfnis“ und ein ausgeprägtes Ego,
dass sie veranlasst die eigene Freiheit beim Fahren stets zu bewahren. Dabei nehmen sie
Risiken überdurchschnittlich hoch auf sich.
Æ Unfallstatistik zeigt bei den Männern zw. 18 und Mitte 30 eine fast doppelt so hohe Zahl
an Verunglückten als bei den weiblichen Verkehrsteilnehmern in der gleichen Altersgruppe.
Daher ist direktes Auffahren nicht bloß purer Unvernunft, Nachahmung der anderen oder
Überschätzung des Fahrvermögens.
Vergleich mit Risikostereotypen
• in Dtl.: 33.000 Menschen mit HIV oder AIDS
• Neuinfizierungen: 2000 pro Jahr
Wie verarbeiten Menschen solche Risikoinformationen und welche Fehleinschätzungen
können dabei auftreten?
→ Gesundheitsrisiken werden unterschätzt und aus diesem Grund wird nicht genug für die
Prävention von Gesundheitsproblemen investiert
Fragt man z.B. eine Person nach ihrem persönl. Risiko sich an HIV zu infizieren und bittet sie
dann ihr Risiko mit anderen Personen ihres Alters und Geschlechts zu vergleichen
(komparative Risikoeinschätzung), so schätzen sie ihr Risiko häufig geringer ein
Solch eine Unterschätzung des komparativen Risikos wird als „unrealistischer Optimismus“
bzw. „optimistischer Fehlschluss“ bezeichnet.
Ursachen für den unrealistischen Optimismus:
(1) Das Risiko unterliegt der eigenen Verhaltenskontrolle
(2) Man vergleicht sich mit Hochrisikopersonen
Dabei wird angenommen, dass wir Vorstellungen über besonders gefährdete Personen
(Hochrisikostereotypen) verfügen und diese als Vergleichsperson wählen.
Da der Hochrisikostereotyp ein sehr ungünstiges Verhaltens- und Merkmalsprofil aufweist,
fällt der Vergleich zur eigenen Person sehr günstig aus.
Jedoch halten sich Menschen nicht grundsätzlich für invulnerabel (nicht gefährdet), sondern
gelangen auf Grund ihres vermeintlich günstigeren Verhaltenprofils zu einer optimistischen
Einschätzung ihres Risikos im Vergleich zu dem anderer.
Studie von Britta Renner und Ralf Schwarzer:
Folgende Fragen wurden aufgeworfen:
1. Welche Persönlichkeitseigenschaften und Verhaltensweisen werden dem Hoch- und
Niedrigrisikostereotyp im Vergleich zur eigenen Person zugeschrieben?
2. Stehen diese im Zusammenhang mit Eigenschaften und Verhaltensweisen der eigenen
Person?
3. In welchem Ausmaß beeinflusst das eigene Risikoverhalten die komparative
Risikowahrnehmung für eine HIV-Infektion?
4. In welchem Ausmaß beeinflusst die Ähnlichkeit mit den beiden Hoch- und
Niedrigrisikostereotypen die komparative Risikowahrnehmung für eine HIVInfektion?
Ergebnisse:
Persönlichkeitsmerkmale der eigenen Person im Vergleich zum Hoch- und
Niedrigrisikostereotyp
Die positiven Eigenschaften im Vergleich zu negativen Eigenschaften wurden als typischer
für die eigene Person sowie für den Niedrigrisikostereotyp bewertet. Dem
Hochrisikostereotyp wurde ein vergleichsweise negatives Image zugeschrieben, denn die
Befragten hielten in diesem Fall negative Eigenschaften als typischer.
Es besteht ein signifikanter Zusammenhang zwischen den Einschätzungen für die eigene
Person und denen für das Niedrigrisikostereotyp. Demnach wurden positive Eigenschaften
umso typischer für das Niedrigrisikostereotyp bewertet, je typischer sie für die eigene Person
eingeschätzt wurden.
Relevanz und Verhaltensweisen für eine HIV-Infektion
Von den 10 vorgegebenen Verhaltensweisen und Merkmalen wurden sechs als relevant für
das Risiko einer HIV-Infektion eingestuft:
• Sexueller Kontakt zu Risikogruppen
• Verantwortungsbewusstsein
• Häufigkeit der Kondombenutzung
• Wissen über das sexuelle Vorleben des Partners
• Anzahl der Sexualpartner
• Häufigkeiten riskanter Sexualpraktiken, usw.
Risikorelevantes Verhalten der eigenen Person im Vergleich zum Hoch- und
Niedrigrisikostereotyp
Dem Hochrisikostereotyp wurde erwartungsgemäß eine hohe Ausprägung für alle subjektiv
risikorelevanten Verhaltensweisen zugeschrieben. Im Mittel hat er oft Kontakt zu
Risikogruppen, hat ein unterdurchschnittliches Verantwortungsbewusstsein, hat sehr oft
ungeschützten Geschlechtsverkehr, kennt sehr selten das sexuelle Vorleben seiner/seines
Partnerin/Partners, usw.
Das Verhaltensprofil des Niedrigrisikostereotyps wurde demgegenüber erwartungsgemäß als
gering riskant beurteilt. Eine solche Person hat nie Kontakt mit Risikogruppen, hat ein
überdurchschnittliches Verantwortungsbewusstsein, usw.
Die Befragten selbst gaben an, dass sie selten Kontakt mit Risikogruppen, ein etwas
überdurchschnittliches Verantwortungsbewusstsein und oft ungeschützten Geschlechtsverkehr
haben sowie oft das sexuelle Vorleben ihres Partners kennen, drei Sexualpartner hatten, und
sehr selten riskante Sexualpraktiken praktizieren.
→Das Verhalten der eigenen Person war in Bezug auf alle sechs Merkmale signifikant
günstiger als das des Hochrisikostereotyps.
Die Befragten hatten im Vergleich zum Niedrigrisikostereotyp ein signifikant stärker
ausgeprägtes Risikoverhalten in Bezug auf alle sechs Merkmale. Die größte Diskrepanz
bestand hinsichtlich der Häufigkeit der Kondombenutzung. In diesem Fall war das eigene
Verhalten dem Verhalten des Hochrisikostereotyps ähnlicher.
Außerdem ist ein positiver Zusammenhang zwischen dem eigenen Verhalten und dem des
Niedrigrisikostereotyps erkennbar.
Unter anderem ist der Studie zu entnehmen, dass je geringer die Ähnlichkeit mit dem HIVNiedrigrisikostereotyp ist, desto vulnerabler fühlen sich die Befragten.
Und wenn das eigene Verhalten keinen entscheidenden Einfluss auf das Risiko hat, dann
zeigen Menschen eine unrealistisch pessimistische Risikoeinschätzung
Das Fazit insgesamt:
Die Befragten schätzten ihr eigenes Risiko sich mit HIV zu infizieren viel zu gering ein.
Zeigen Sie auf, inwieweit sich die sozialen Vergleichsprozesse, die
Schönbach (1996) bzw. Renner und Schwarz (2003) thematisieren,
unterscheiden.
Schönbach: Personen vergleichen ihre Meinungen, Fähigkeiten.. mit denen anderer. Wenn
eine Diskrepanz besteht, versucht die Person diese Diskrepanz zu beseitigen.
Beispiel: In einer Autokolonne (bei Nebel) passt ein Autofahrer seine Geschwindigkeit der
der Vordermannes an. Beschleunigt dieser, kommt es durch den immer größer werdenden
Abstand zu einer Diskrepanz, da er sich nicht vom Vordermann abgrenzen möchte augrund
der schlechten Sichtverhältnisse.
Der Autofahrer wird diese Diskrepanz beseitigen indem er seine Geschwindigkeit erhöht und
wieder dicht hinter dem Vordermann fahren kann.
Er imitiert das Verhalten bzw. die Geschwindigkeit des Vordermannes.
Renner und Schwarz: Das eigene Risiko, mit HIV infiziert zu werden wird oft geringer
eingeschätzt als das Risiko anderer Personen. Die Person ist sich sicher, dass sie selbst diese
Krankheit nie bekommen wird, weil
sie sich nicht mit der Risikogruppe identifiziren kann ("HIV infizierte haben einen anderen
Lebensstil als ich").Die Person grenzt sich von den anderen ab ( "Ich bin was Besseres. Mir
kann das nicht passieren!".