Leseprobe_Erziehungspartnerschaft Eltern - Schule

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Leseprobe_Erziehungspartnerschaft Eltern - Schule
Vorwort
Vorwort
Liebe Leserin, lieber Leser,
in meinem Buch »Mit den Eltern an einem Strang« habe
ich Ideen zu einem Konzept einer dynamischen, aktivierenden Elternarbeit vorgestellt. Eine solche Elternarbeit soll einen Grundkonsens in Erziehungsfragen herstellen, Anregungen für die häusliche Mitarbeit geben,
Transparenz in Bezug auf schulische Aktivitäten herstellen und Hilfe und Beratung in Fällen von Lernstörungen
und Verhaltensproblemen anbieten. Dabei habe ich Erziehungsschwierigkeiten im Elternhaus nur am Rande
gestreift. Es ging mir vor allem darum, die »Ressource
Eltern« zu nutzen, um die schulische Arbeit effektiver
zu gestalten. Was aber, wenn Eltern mit erzieherischem
Handeln überfordert sind oder wenn sie das schwierige
Geschäft des Erziehens gar nicht erst anpacken? Eltern
als Verbündete zu gewinnen, ist immer von Vorteil. Aber
ein Bündnis kann seine Wirksamkeit erst dann richtig
entfalten, wenn beide Bündnispartner Fähigkeiten und
Fertigkeiten zur Gestaltung effektiver Erziehung einbringen. In diesem Buch beschäftige ich mich mit der
Frage, was die Schule tun kann, um die Erziehungskompetenz von Eltern zu erweitern und um die Erziehungsbereitschaft von Eltern zu steigern. Welche Möglichkeiten hat die Schule, auf das Erziehungsverhalten von
Eltern einzuwirken? Wie können wir Elternarbeit in eine
Erziehungspartnerschaft überführen? Eine solche Fragestellung führt dazu, schulische Elternarbeit – zumindest
auch – als Elternpädagogik zu verstehen.
Elternpädagogik? Soll die Schule nun auch noch die
Eltern erziehen? Ist ihr in den letzten Jahrzehnten nicht
schon zu viel aufgebürdet worden? Viele Lehrkräfte mögen bei dem Begriff Elternpädagogik zusammenzucken
und eine abwehrende Haltung einnehmen. Aber genau
das sollten sie nicht tun. Eine Erweiterung von Elternarbeit hin zur Elternpädagogik führt zu einer Verbesserung und Bereicherung des Schulehaltens.
Der Begriff Elternpädagogik soll zunächst deutlich
machen, dass mit durchdachten pädagogischen Mitteln oder Maßnahmen auf das elterliche Erziehungsverhalten eingewirkt werden kann. Natürlich sollen Lehrer
nicht Eltern »erziehen«. Es geht auch nicht um eine allgemeine »Pädagogisierung« der Gesellschaft. Davon gibt
es bereits genug. Hier geht es um handfeste Wissensvermittlung und Beratung, die Schuleltern als institutionalisiertes Angebot gemacht wird. Elternpädagogik soll zu
einem festen Bestandteil der Schulpädagogik werden. Sie
soll zum Schulehalten einfach dazugehören.
Wenn darauf hingewiesen wird, dass die Schule nicht
zum Reparaturbetrieb der Gesellschaft werden kann,
wird übersehen, dass Elternarbeit im Sinne von Elternpädagogik ja gerade darauf hinwirken soll, dass Reparaturbedürftigkeit gar nicht erst entsteht. Erziehung
tut not. In der Schule wie im Elternhaus. Machen wir
uns nichts vor. Mit den Formen üblicher Elternarbeit
kommen wir nicht voran. Daher ist die Schule gut beraten, Anstiftung zu effektiver Erziehung zu betreiben.
Wir können das Schiff namens Erziehung nicht einfach
vor sich hin dümpeln lassen. Professionelle Pädagogik
für Kinder muss Eltern in ihre Aktivitäten einbeziehen,
denn wer Eltern hilft, hilft Kindern.
Dem Thema »mangelhafte Erziehung durch Eltern«
können wir nicht länger ausweichen. Wer Ohren hat, zu
hören, und wer Augen hat, zu sehen, der wird nicht bestreiten können, dass wir es in diesem Lande nicht bloß
mit einem schon zu allen Zeiten zu beobachtenden Generationenkonflikt zu tun haben. Es gibt zu viele unerzogene und vernachlässigte Kinder. Und das in einem
Land, das an eklatantem Kindermangel leidet! Erziehungsberatungsstellen können sich vor Arbeit kaum retten. Schreckliche Meldungen über erziehungsunfähige
Eltern werden von den Medien verbreitet. Berichte über
verwahrloste Kinder häufen sich. In Berlin kapituliert
ein ganzes Kollegium vor ihrer Schülerschaft. Das Wort
von der »Erziehungskatastrophe« (Susanne Gaschke)
macht die Runde. Auch unser Bundespräsident, H. Köhler, meldet sich zu Wort. In seiner Berliner Rede vom
September 2006 sagt er:
»Ich weiß, dass Eltern eine große Verantwortung tragen. In einer Umwelt, die manchmal den Anschein
erweckt, als sei alles möglich und alles erlaubt, sollen
sie ihren Kindern Werte und Orientierung vermitteln
und ihnen eine gute Entwicklung ermöglichen. Manche Eltern scheitern an dieser Aufgabe. Manche nehmen ihre Verantwortung auch nicht ernst genug. Die
Leidtragenden sind immer die Kinder. Diesen Familien müssen wir helfen. Wir müssen uns fragen: Ist die
Aufmerksamkeit in Jugendhilfe, Kindergärten, Schulen
und Ämtern groß genug, damit kein Kind vernachlässigt wird oder gar verwahrlost? Und erreichen die vielen Angebote, die es in der Erziehungsberatung gibt,
wirklich diejenigen, die sie am nötigsten brauchen? Wir
haben allen Anlass, ein starkes Netz zu knüpfen, das
Kinder und Eltern in schwierigen Zeiten trägt«
(Köhler 2006).
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Vorwort
Da nun mittlerweile vernachlässigte und unerzogene
Kinder und Jugendliche zum »quasi-normalen« Erscheinungsbild unserer Gesellschaft geworden sind, muss die
Schule sich in die Bemühungen, Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder zu unterstützen, einbringen. Sozialarbeiter werden die anstehenden Probleme nicht allein
lösen oder nur spürbar reduzieren können. Ein – um das
Wort des Bundespräsidenten zu nutzen – »starkes Netz«
kann nur geknüpft werden, wenn die Schule sich aktiv
beteiligt. Wer sonst, wenn nicht die Schule könnte für
eine Engmaschigkeit des Netzes sorgen?
Nutzen wir die Chance, die sich aus der Tatsache ergibt, dass Politik und Öffentlichkeit zurzeit für Erziehungsfragen höchst zugänglich sind. Die Ausgangslage
für eine Intensivierung von Elternarbeit ist günstig. Nun
geht es darum, eine neue Einstellung zur Elternarbeit
zu gewinnen. Und zwar auf allen Ebenen. Allen, die am
Schulehalten beteiligt sind, muss bewusst werden, dass
Elternpädagogik ein unverzichtbarer Bestandteil von
Schulpädagogik ist. Das aber bedeutet, dass ihr in der
täglichen Praxis und in der Lehreraus- und -fortbildung
entsprechend Raum und auch Mittel zugewiesen werden. Eltern, Lehrkräfte, Schulleitungen und die Schulaufsicht müssen begreifen, dass positive Veränderungen
in der Gestaltung des Verhältnisses zwischen Schule und
Elternhaus nur zu erreichen sind, wenn Elternarbeit aus
dem Schatten der Offizialpädagogik heraustritt, wenn
sie in Richtung Elternpädagogik erweitert und zu einem
selbstverständlichen Angebot von Schulen wird. Besondere Überzeugungsarbeit wird bei den Lehrkräften zu
leisten sein. Mit ihnen steht und fällt die Qualität von
Elternpädagogik. Lehrkräften müssen die Bedenken genommen werden, neues pädagogisches Terrain zu betreten.
Dieses Buch will einen Beitrag dazu leisten, Bedenken abzubauen und ein Umdenken einzuleiten. Es ist
für Lehrkräfte aller Schularten gedacht. Dabei schließe
ich das Gymnasium nicht aus. Unsere »höheren Schu-
len« zeichnen sich zurzeit noch dadurch aus, dass sie das
weite Feld der Elternarbeit weitgehend unbeackert lassen. Einige der Vorschläge dürften auch für Kindergärten interessant sein.
Die von mir vorgeschlagenen Maßn ahmen sind vorzugsweise für die Realisierung in der ganzen Schule oder
auf einer Schulstufe geeignet. Wenn z. B. die Einrichtung
einer Erziehungshomepage angeregt wird, kann man
nicht davon ausgehen, dass ein Lehrer diesen Vorschlag
für seine Klasse aufnimmt. Wenn man aber das Gesamtpaket der hier vorgestellten Maßnahmen etwas abspeckt,
wird daraus ein Päckchen, das jede Lehrkraft in ihrer
Klasse nutzen kann. Pädagogische Elternbriefe, pädagogische Elternabende oder Erziehungsberatung sind auch
auf Klassenebene sinnvoll.
Dieses Buch ist aus der Praxis für die Praxis geschrieben. Ich verfolge ein pragmatisches Konzept. Ich habe
zusammengefasst, was mir aus jahrzehntelanger Erfahrung aus der Elternarbeit besonders wichtig und wirksam erscheint. Fast alle der vorgeschlagenen Maßnahmen haben sich in meiner Förderschule schon einmal
»live« bewährt. Die angefügten Materialien sind Beispiele und als Anregungen zu verstehen. Sie können umformuliert oder ganz neu – den Bedingungen und Erfordernissen der jeweiligen Schule entsprechend – formuliert werden. Andererseits sind sie bewusst so konzipiert,
dass sie für interessierte Lehrkräfte als Kopiervorlagen
für den schnellen Start dienen können.
Ganz zum Schluss möchte ich darauf hinweisen, dass
dieses Buch aber auch zum Blättern oder Lesen geeignet
ist. Auch wenn man keine Elternschule ins Leben rufen
oder Erziehungshomepage ins Netz stellen will, lohnt
sich der Blick auf die folgenden Seiten als Einführung in
das Thema Elternarbeit. Neben Argumenten und Ideen
findet man hier auch Hinweise, wie man Vielseitigkeit
und Abwechslung ins Geschehen bringen kann.
Jochen Korte
1.4 Wie kann Elternarbeit zur Elternpädagogik erweitert werden?
1.4 Wie kann Elternarbeit zur Elternpädagogik erweitert
werden?
1.4.1
Erster Schritt: Änderung der Einstellung
zur Elternarbeit
Wenn Lehrerinnen und Lehrer erkannt haben, dass Elternarbeit erstens eine unabdingbare Voraussetzung für
erfolgreiches Schulehalten ist und zweitens durchaus
auch eine Möglichkeit darstellt, auf das Erziehungsverhalten von Eltern positiv einzuwirken, werden sie die Initiative ergreifen und Elternarbeit in ihr schulpädagogisches Programm aufnehmen. Lehrkräfte müssen sich
Elternarbeit zu eigen machen, sich für sie stark machen,
sich zu ihr bekennen und dies in Taten deutlich werden
lassen. Wenn Schulen sich auf den Weg machen und Elternarbeit, die über die schulrechtlich geforderten Maßnahmen weit hinausgeht, praktizieren, lockt diese Einstellung auch die Eltern aus der Reserve.
Lehrkräfte müssen eine positive Einstellung zur Elternarbeit gewinnen. Der erste Schritt zu einem Konzept
zur Elternarbeit muss darin bestehen, dass ihr im Rahmen der Schulentwicklung der ihr zustehende Stellenwert eingeräumt wird. Auf schulinternen Fortbildungsveranstaltungen oder in Arbeitsgruppen zur Schulentwicklung muss das Thema Elternarbeit immer wieder
auf der Tagesordnung erscheinen. Das gilt für alle Schulen. Konzepte zur Elternarbeit werden sich von Schule
zu Schule unterscheiden. Förderschulen werden ganz
andere Akzente setzen als Grund- oder Realschulen.
Aber es darf kein Zweifel daran geben, dass Elternarbeit
in jeder Schule geleistet werden muss. Eltern haben einen Anspruch auf Elternarbeit. Auch in Schulen, die in
einem weniger problematischen Umfeld arbeiten, besteht kein Grund, auf ein Konzept zur Elternarbeit zu
verzichten. Elternarbeit muss in jeder Schule als selbstverständliches Angebot im Schulprogramm erscheinen.
Im Rahmen des Nachdenkens über Elternarbeit sollte
man immer im Auge behalten, dass die unterschiedlichen Rollenerwartungen zwischen Eltern und Schule
auf einen Nenner gebracht werden. Die gewählten Elternvertreter müssen an der Erstellung eines Konzeptes
beteiligt werden. Außerdem ist es erforderlich, allen Eltern das Konzept der Elternarbeit vorzustellen und zu
erläutern. Alle Eltern müssen entsprechend informiert
sein. Das heißt, dass in Rundbriefen oder auf Flyern für
Transparenz gesorgt werden muss. Die Einweisung ins
Konzept und Begründungen für besondere Maßnahmen
sind vor allem bei einer erweiterten Elternarbeit von
größter Bedeutung, weil die Eltern diese Art des pädagogischen Vorgehens noch nicht kennen und sie mög-
licherweise als Einmischung in private Angelegenheiten
interpretieren. Flankierende Erläuterung sorgt auch dafür, dass die Erfolgserwartung nicht zu hoch geschraubt
wird. In den im Praxisteil vorgestellten Texten werden
daher immer wieder begründende Aussagen eingefügt.
In diesem Zusammenhang ist auch der folgende
Punkt zu beachten. Erweiterte Elternarbeit muss nicht
nur begründet und erläutert werden. Für jede einzelne
Veranstaltung muss geworben werden. Schon während
der Aufstellung eines Konzepts sollte man sich darüber
im Klaren sein, dass Eltern nicht sofort auf einen anfahrenden Zug springen. Professionelle Arbeit zeichnet
sich dadurch aus, dass sie nicht nur ein Produkt anbietet, sondern sich auch Gedanken macht, wie sie es an
den Mann bringt. Mit einer geschickten Werbung kann
auch die Einstellung der Eltern zur Elternarbeit positiv
beeinflusst werden. Sie sollen wissen, dass eine erweiterte Elternarbeit mehr bedeutet als gelegentlich in die
Schule zitiert und dort über den Stand der Dinge informiert zu werden. Die bloße Bekanntgabe, dass man eine
Elternschule durchführt, reicht nicht aus, um zu einer
befriedigenden oder guten Teilnahmequote zu kommen.
Handzettel, Flyer, Poster, aber auch persönliche Ansprache führen zum Erfolg. In den Praxiskapiteln werden für
jede Maßnahme Beispiele für diese Werbung gegeben.
1.4.2
Zweiter Schritt: Bereitstellung von
Ressourcen
Eine intensive Elternarbeit ist, daran kann es keinen
Zweifel geben, zeitaufwendig. Daher müssen Stunden
für Elternarbeit im Stundenplan ausgewiesen werden.
Man kann Lehrkräften nicht zumuten, über das normale Stundensoll hinaus abends in der Elternschule Zusatzstunden zu geben oder nachmittags stundenlange
Elternbesuche durchzuführen. Es müssen also Lehrerstunden für Elternarbeit reserviert werden. Dabei
sollten Schulleitungen nicht mit Stunden knausern und
sich stets vor Augen führen, dass ausgewiesene Elternarbeitsstunden immer ein Gewinn sind. Zwei Stunden, die
in die Durchführung eines themengebundenen Elternabends fließen, sind mit größter Wahrscheinlichkeit besser angelegt als zwei Stunden Unterricht in einer unwilligen Klasse.
Stellen wir nun ganz konkret die Frage, wie viele
Stunden benötigt werden, um Elternarbeit im Sinne des
hier vorgestellten Konzepts zu organisieren. In Haupt-
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Teil 1: Von der Elternarbeit zur Elternpädagogik
und Förderschulen sollte eine Stunde Elternarbeit in jedem Klassenstundenplan ausgewiesen werden. Natürlich soll die Stunde nicht am Vormittag genutzt werden.
Lehrkräfte sollten nun ihrerseits nicht knausern. Eine
zeitliche Begrenzung auf 45 Minuten ist nicht zu empfehlen. 60 Minuten sollten es gerne sein. Lehrkräfte müssen über die Nutzung der Stunden Buch führen.
Zwei bis drei Stunden sollten der Schule für besondere Aktionen zusätzlich zur Verfügung stehen. Damit
ergibt sich in ›schwierigen‹ Schulen ein zusätzlicher
Stundenbedarf von etwa fünf Prozent. In anderen Schulen sollte man mindestens zwei bis drei Prozent der Lehrerwochenstunden für Elternarbeit nutzen.
Nun wissen Insider, dass in den ministeriellen Zuweisungen noch keine Elternarbeitsstunden ausgewiesen werden. Was tun? An fast allen Schulen gibt es PoolStunden für pädagogische Projekte oder Innovationen.
Aus diesem Topf können einige Stunden genommen
werden. Im Übrigen können reguläre Stundenplanstunden umgetauft werden. Wer wollte bestreiten, dass Elternarbeit der Förderung von Schülern zugute kommt.
Also können Förderstunden auch zur Elternarbeit verwendet werden. Ein solches Umtaufen von Stunden setzt
jedoch voraus, dass die Schulleitung ein gewisses Maß an
Zivilcourage gegenüber der Schulaufsicht besitzt. Denn
es kann durchaus sein, dass die Schulaufsicht auf den
bei der Stundenverteilung festgelegten Verwendungskriterien beharrt.
Wenn die mentalen Barrieren beseitigt sind, wenn ein
Kollegium sich bereit erklärt, neue Ideen und Schwung
in die Elternarbeit einzubringen, wenn die Frage nach
den Ressourcen geklärt ist, kann das heiße Eisen zu
einem Konzept geschmiedet werden. Ein Konzept besteht nicht aus Willens- oder Absichtserklärungen, sondern aus Bausteinen, die in der Praxis verwendet werden sollen.
1.4.3
Dritter Schritt: Erarbeitung eines
Gesamtkonzepts
Wenn es um die Darstellung eines Konzepts geht, kann
man es nicht bei der Beschreibung eines Teils der Elternarbeit belassen. Im Folgenden wird deutlich, wie sich Elternpädagogik in ein Gesamtkonzept von Elternarbeit
fügt.
Das gesamte Tätigkeitsfeld von Elternarbeit kann in
drei Stufen gegliedert werden. Alle Stufen müssen bei
der Erarbeitung eines Schulkonzepts zur Elternarbeit
berücksichtigt werden. Dabei ist es selbstverständlich
nicht notwendig – und letztlich auch nicht möglich –,
dass jeder der folgenden Vorschläge in einem Schulkonzept Berücksichtigung findet. Die schulrechtlich vorgeschriebenen Maßnahmen auf der ersten Stufe müssen in
jedem Schulkonzept auftauchen.
Stufe 1:
»Eltern als Ansprechpartner wahrnehmen«
Diese Elternarbeit richtet sich vorwiegend nach den
vorgegebenen gesetzlichen Regelungen und kann somit auch als konventionelle Elternarbeit bezeichnet werden. Hinzu kommen Kontakte in Konfliktfällen und bei
besonderen Anlässen wie Feiern oder Schulveranstaltungen. Schule und Eltern sprechen sich in Organisationsfragen ab. Eltern werden über den Leistungsstand ihrer Kinder informiert. Eltern nehmen an Konferenzen
teil. Eltern werden um Hilfe bei Festen und Feiern gebeten. Die Kontakte zu Elternvertreterinnen und -vertretern auf Konferenzen können ebenfalls dieser Stufe zugeordnet werden.
Elternarbeit auf der ersten Stufe konkretisiert sich in
Maßnahmen wie diesen:
z Elterninformationsgespräche nach den Zeugnissen
z Einbestellungen im Falle von Verstößen gegen die
Schulordnung
z Besprechung von Förderplänen
z Elternabende zur Besprechung organisatorischer
Fragen
z Elternabende zur Wahl der Beiräte
z Ausgabe von Elternbriefen, die Organisationsfragen
beinhalten
z Kontakte auf Feiern und Festen
z Gedankenaustausch auf Konferenzen.
Die Auswirkungen dieser Elternarbeit sind vorwiegend
innerschulisch. Es geht um eine Verbesserung von Information und Kommunikation. Eltern und Lehrkräfte stehen sich weitgehend in ihren klassischen Rollen gegenüber. Bei gut funktionierender Elternarbeit auf dieser
Stufe merken die Schülerinnen und Schüler, dass zwischen Schule und Elternhaus positiver Austausch stattfindet.
Im Kontext der in diesem Buch vorgetragenen Überlegungen kommt der Arbeit auf der ersten Stufe eine erhebliche Bedeutung zu. Wie auch immer Kontakte zustande kommen – ob Einbestellung oder Pflichtelternabend –, wenn Eltern erst einmal in der Schule sind, hat
man die Möglichkeit, durch wohlwollende, freundliche
Gestaltung dieser Erstkontakte die Verbindung aufrechtzuerhalten und zu pflegen. Es stimmt schon, dass formalisierte rechtsbezogene Kontakte zwischen Schule und
Elternhaus zur Herstellung freundlicher Kontakte und
guter Beziehungen weniger geeignet sind, aber auch sie
können genutzt werden, Eltern von Anfang an klarzumachen, dass Lehrkräfte sich Eltern freundlich zuwenden, dass der Schule an guten Beziehungen zur Elternschaft gelegen ist und dass weiterreichende Angebote abrufbereit zur Verfügung stehen.
Wenn man Elternpädagogik betreiben will, sollte
man die Standardsituationen im Schulbetrieb nutzen.
1.4 Wie kann Elternarbeit zur Elternpädagogik erweitert werden?
Der normale Elternabend, die Besprechung von Zensuren, die Besprechung des Förderplans, die Einbestellung nach einem Verstoß gegen die Schulordnung, aber
auch Kontakte auf dem Schulfest sollen genutzt werden,
um Eltern auf Maßnahmen, die auf den Stufen 2 und
3 beschrieben werden, aufmerksam zu machen und sie
gegebenenfalls um Teilnahme zu bitten. Um es an einem
Beispiel zu konkretisieren: Förderpläne müssen in Förderschulen mit den Eltern besprochen werden. Das kann
man im Eiltempo erledigen. Kurz vorlesen. Drei Anmerkungen machen. Unterschreiben lassen. Fertig. Die
Lehrkraft kann sich aber auch viel Zeit nehmen und die
wesentlichen Punkte erläutern. Sie kann Material, z. B.
thematisch passende Elternbriefe, für die Eltern bereitlegen. Sie kann die Besprechung des Förderplans zum Ausgangspunkt einer intensiven Erziehungsberatung machen. Wenn Elternpädagogik zum Schulprogramm gehört, werden einige Standardsituationen übrigens ganz
automatisch zu elternpädagogischen Maßnahmen führen. Schließlich wird man das, was man mühevoll erarbeitet hat, nicht ungenutzt lassen. In den Standardsituationen liegt eine große Chance, Elternpädagogik »an den
Mann und an die Frau«, also an die Eltern zu bringen.
Wenn Eltern in die Schule bestellt werden, weil der Sohn
in aggressive Auseinandersetzungen verwickelt war, wird
man nicht einfach auf die Schulordnung pochen, sondern auf die Erziehungshomepage verweisen, auf der
Probleme rund um das Phänomen Aggression behandelt werden. Wenn in einem Förderplan darauf hingewiesen wird, dass eine Schülerin ihre Konzentrationsfähigkeit verbessern muss, wird die betreuende Lehrkraft
das Merkblatt zur Konzentrationsförderung, das man
vor einiger Zeit im Rahmen elternpädagogischer Maßnahmen entwickelt hat, nicht im Schreibtisch liegen lassen, sondern es dem Förderplan beilegen.
Stufe 2:
»Eltern als Kooperationspartner gewinnen«
Auf dieser Stufe geht es darum, Eltern schulisches Hintergrundwissen zu vermitteln, einen Grundkonsens in
Erziehungsfragen zu erreichen, ihnen Anregungen für
die häusliche Mitarbeit zu geben und Einzelfallhilfe in
Problemfällen zu leisten. Diese Elternarbeit geht weit
über die schulrechtlich geforderte Elternarbeit hinaus.
Sie bezieht Eltern von vornherein in die schulischen Bemühungen ein. Sie will die Ressource Eltern nutzen, damit das Lernen und Leisten in der Schule besser gelingt.
An einigen Stellen reicht sie damit schon in die Elternpädagogik hinein. Elternarbeit auf dieser Stufe will Eltern aktivieren, das Ihre zum Fortkommen ihrer Sprösslinge zu leisten. Der Schwerpunkt der Bemühungen liegt
auf der Lernförderung. Selbstverständlich sollen Eltern
nicht zu den Nachhilfelehrern der Nation gemacht wer-
den. Auch im Lernbereich gilt, dass Lehrkräfte Flexibilität beweisen müssen. Sie sollen offen für Hinweise der
Eltern sein, die ihre Kinder genauer als die Lehrkräfte
kennen. Eltern werden als die »Fachleute für ihre Kinder« anerkannt. Wenn sie auf besondere Eigenheiten,
Stärken oder Schwächen ihrer Kinder aufmerksam machen, soll die Lehrkraft im Unterricht auf diese Hinweise
achten. Den Eltern soll andererseits bewusst gemacht
werden, dass man die Arbeit in der Schule nicht gänzlich
von der Arbeit im Elternhaus trennen kann.
Welche konkreten Maßnahmen kommen auf dieser
Stufe infrage?
z Ausgabe von Informationsblättern (z. B. zum Thema
»Wie helfe ich meinem Kind bei den Hausaufgaben«)
z Ausgabe von Elternbriefen zur Vorstellung des Schulprogramms
z Ausgabe von Elternbriefen mit lernpsychologisch
fundierten Tipps und Anregungen
z Ausgabe von Fragebögen zur Schulzufriedenheit
z Einrichtung einer Beschwerdestelle
z Ausgabe von Checklisten (z. B. Checkliste »Sauberer
Schulranzen«)
z Ausgabe von Sicherheitsinformationen (z. B. »Der sichere Schulweg«)
z Durchführung von Elternbesuchen zum Kennenlernen der häuslichen Verhältnisse
z Durchführung von Elternbesuchen zur Beratung der
Eltern
z Ausgabe von Sofortrückmeldungen in Problemfällen, bei mangelnder Beteiligung, bei Verstößen gegen
die Schulordnung
z Aufstellung von Förderplänen (Schwerpunkt Lernen) für den häuslichen Bereich
z Krisenmanagement mit Eltern in Fällen von Leistungsverweigerung und Schuleschwänzen
z Gestaltung besonderer Elternabende, auf denen
Lehr- und Lernmethoden vorgestellt werden
z Gestaltung von Elternabenden, auf denen die Klasse
ihre Leistung präsentiert
z Organisation von häuslicher oder außerhäuslicher
Nachhilfe
z Gestaltung einer Lernhomepage.
Die Beispiele machen deutlich, dass auf dieser Stufe auf
die Eltern zugegangen wird. Sie werden zu eigenem Handeln animiert. Hier lassen wir die Formen klassischer Elternarbeit bereits weit hinter uns. Die hier angestrebte
Dynamik kann nur mit neuen Instrumenten und Methoden erreicht werden. Gewiss werden in einigen Schulen schon jetzt Elternbesuche durchgeführt oder Fragebogen zur Schulzufriedenheit ausgegeben. Als kompaktes Programm mit einer Vielzahl von Maßnahmen
wird Elternarbeit der zweiten Stufe aber eher selten betrieben.
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Teil 1: Von der Elternarbeit zur Elternpädagogik
Die Auswirkungen einer solchen Elternarbeit kommen
zunächst den Schülerinnen und Schülern zugute. Elternarbeit auf der zweiten Stufe zielt stark auf die Verbesserung der Schulleistung ab. Doch die Auswirkungen
auf Schule und Elternhaus sind bei erfolgreicher Arbeit ebenfalls beträchtlich. Wer wollte bestreiten, dass
die nach Ausgabe einer Checkliste nunmehr vorhandene
Schulausrüstung oder die sorgfältig gemachten Hausaufgaben für die Schule von Vorteil sind. Doch auch auf
den häuslichen Bereich wirkt sich aktivierende Elternarbeit aus. Bessere Schulleistungen führen auch bei Eltern
zu mehr Zufriedenheit. Eine weitere Auswirkung besteht
darin, dass die Schülerinnen und Schüler merken, dass
Schule und Elternhaus eng zusammenarbeiten. Sie können Eltern und Lehrkräfte nicht gegeneinander ausspielen, da sie als Verbündete auftreten.
Stufe 3:
»Eltern zu kompetenten Verbündeten machen«
Bei der Lösung schwieriger Probleme nützen Verbündete und Partner umso mehr, wenn sie eigene Anteile in
die Lösung einbringen. Daher sind Pädagogen und Pädagoginnen gut beraten, die Erziehungskompetenz der
Eltern zu erweitern. Dann kann das schulische Bündnis
für Erziehung seine volle Wirkung erzielen.
Auf der dritten Stufe geht es durchgängig um Elternpädagogik. Sie zielt darauf ab, Eltern für Erziehungsfragen zu sensibilisieren, ihrer Erziehungsvergessenheit
entgegenzuwirken, ihnen Erziehungsalternativen aufzuzeigen, ihre Verunsicherung abzubauen, ihr Erziehungswissen zu vermehren. Mit erziehungskompetenten Eltern kann es zu einer Optimierung der Zusammenarbeit
zwischen Schule und Elternhaus kommen.
Dabei müssen die praktizierten Formen der Zusammenarbeit von gegenseitigem Respekt und Anerkennung geprägt sein. Elternpädagogik darf nicht dazu
führen, dass bei Eltern der Eindruck entsteht, dass ihre
Erziehung als grundsätzlich falsch oder defizitär angesehen wird. Erweiterung von Erziehungskompetenz bedeutet, dass man auf Vorhandenem aufbaut. Diese Einstellung muss auch auf die Eltern übertragen werden.
Wenn Lehrkräfte im Verlaufe elternpädagogischer Maßnahmen schwerpunktmäßig Erziehungsdefizite oder gar
Erziehungsversagen thematisieren, demoralisieren sie
die Eltern. Der Blick muss auf die möglichen Verbesserungen gerichtet werden. Auch kann es nicht darum gehen, Eltern Rezepte für vorher definierte Erziehungssituationen auszugeben. Elternpädagogik soll dazu führen,
dass Eltern durch Beratung und Information ihre Erziehung in eigener Verantwortung verbessern. In schwerwiegenden Fällen von Vernachlässigung und Fehlerziehung soll Elternpädagogik aber auch intervenieren und
Kontrolle ausüben.
Elternpädagogik konkretisiert sich in den folgenden
Maßnahmen:
z Erziehungsberatung als feststehendes Angebot
z Einrichtung einer schulbegleitenden Elternschule
z Einrichtung eines Elterntelefons
z Durchführung pädagogischer Elternabende
z fortlaufende Ausgabe von pädagogischen Elternbriefen
z Gestaltung einer Erziehungshomepage
z Organisation aufsuchender Elternarbeit
z Ausgabe von appellativen Kurztexten und Impulsgebern
z Organisation besonderer Elternaktionen
z Benennung einer Vertrauenslehrkraft für Eltern
z Interventionen in schwerwiegenden Fällen.
Diese Art der Elternarbeit wirkt sich hauptsächlich außerschulisch aus. Durch verbesserte Erziehung kommt
es im Elternhaus zu weniger Problemen. Rückwirkend
ergeben sich durch die Lösung von Erziehungsschwierigkeiten im Elternhaus auch Vorteile für die Schule. Elternpädagogik führt zu einer Verbesserung der Gesamtsituation. In schwerwiegenden Fällen von Vernachlässigung kann sie helfen, die Situation zu verbessern oder
durch Einschaltung der Jugendhilfe zu anderen Lösungen zu kommen.
Selbstverständlich darf die Latte nicht zu hoch gehängt werden. Elternarbeit muss pragmatisch vorgehen
und das Mach- und Erreichbare im Auge behalten. Daher muss auf überschaubares Elternverhalten abgezielt
werden. Es geht nicht um Rundumförderung und Erzielung fehlerfreier Erziehung im Elternhaus. Vielmehr
geht es darum, Väter und Mütter dazu zu bringen, die
schmuddelige Nachmittagstalkshow aus dem Programm
zu nehmen, den Handymissbrauch zu unterbinden, die
Kinder zu angemessenem Sprachgebrauch anzuhalten,
dem elfjährigen Sohn das Rauchen zu verbieten oder der
13-jährigen Tochter den Diskobesuch bis zwei Uhr morgens zu untersagen. Es geht darum, Eltern einfache Erziehungsmechanismen zu erläutern, Eltern an ihre Vorbildrolle zu erinnern und ihnen die Wirkungen von Lob
und Tadel deutlich zu machen. Es geht darum, Eltern
an ihre Erziehungsverantwortung zu erinnern und ihnen Alternativen aufzuzeigen. Es geht darum, Ratschläge
in häuslichen Konfliktfällen zu geben oder im Falle von
schweren psychischen Störungen eine Therapie zu vermitteln. Selbstverständlich sollen Lehrkräfte nicht als
»Möchtegern-Psychotherapeuten« auftreten oder in die
Rolle eines Kinderarztes schlüpfen. Für Lehrkräfte geht
es darum, Informationen von den Eltern zu erhalten,
damit auch sie ihr erzieherisches Verhalten verbessern
können.
Elternbriefe und andere Informationen können
selbstverständlich auch von den Schülerinnen und Schülern gelesen werden. Es spricht nichts dagegen, einen El-
1.4 Wie kann Elternarbeit zur Elternpädagogik erweitert werden?
ternbrief gelegentlich zum Thema einer Unterrichtsstunde zu machen. Nur die Leitfäden für die ElternKind-Gespräche sollten den Eltern vorbehalten bleiben.
Das hier vorgeschlagene Konzept berücksichtigt zwei
wichtige Aspekte. Zum einen setzt es auf mehreren Ebenen an. Die Bündelung von Maßnahmen führt zu einer
Mehrdimensionalität der Einwirkung. Elternpädagogik darf sich nicht nur einer Methode oder einer Maßnahme bedienen. Vielseitigkeit führt zum Erfolg. Hier
der Elternabend, dort das persönliche Gespräch. Hier
die Elternaktion, dort das nachhakende Telefonat. Der
entscheidende Unterschied zu Ratgeberbüchern besteht
darin, dass immer lebendige Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Besonders erwähnenswert ist auch die Tatsache, dass auch Eltern, die nicht in die Schule kommen,
erreicht werden. Die Schülerinnen und Schüler sind die
Postboten. Wenn es erforderlich ist, werden Hausbesuche abgestattet.
Zum anderen folgen die Angebote dem Prinzip der
Konkretisierung. Das wird im Praxisteil deutlich, wenn
Erinnerungskarteikarten, Visualisierungshilfen oder
Checklisten vorgestellt werden. Es ist für Eltern, insbesondere für jene aus dem Förder- und Hauptschulbereich, wenig hilfreich, wenn man ihnen rät, im Kinder-
zimmer für »mehr Ordnung« zu sorgen. Man muss konkret werden, ihnen also genau erklären, was unter einem
Mindestmaß an Ordnung zu verstehen ist und wie man
es erreicht. Daher tauchen in den Vorschlägen konkrete
Handlungsanleitungen, z. B. in Form von Checklisten,
auf. Das hat nichts mit Gängelei zu tun; diese Konkretisierungen sind notwendig, um Erfolge zu erreichen.
Die drei Stufen von konventioneller Elternarbeit hin
zur Elternpädagogik können nicht genau voneinander
getrennt werden, sie gehen in einigen Bereichen ineinander über. Besprechung schulischer Leistung kann der
ersten oder der zweiten Stufe zugeordnet werden. Das
Angebot Elternschule kann auch auf der zweiten Stufe
realisiert werden, insbesondere dann, wenn der Schwerpunkt auf dem Lernbereich liegt.
Zum Schluss noch ein wichtiger Hinweis. Neue
Ideen sollen gute alte Ideen nicht verdrängen. Aus diesem Grunde wurde in dieser Einführung mit Bedacht
von Erweiterung und Intensivierung von Elternarbeit
gesprochen. Die im Stundenplan verankerte Elternberatung soll den bestehenden Elternstammtisch nicht verdrängen. Die Organisation einer Elternschule darf nicht
dazu führen, dass Elternabende, die zur Vorbereitung
eines Festes dienen, gestrichen werden.
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