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1. Juni 2005
42
INHALT Die Bavaria-Connection
Zehn Jahre Schleichwerbung im ARD-„Marienhof“ & Co. / Von Volker Lilienthal ____ 3
Inland
Bavaria Film verdiente über Jahre an Schleichwerbung _____________________
OLG München bekräftigt Recht zur verdeckten Recherche ___________________
Gruner + Jahr zieht sich aus Magazingeschäft in USA zurück ________________
Werbewirtschaft: Erstmals seit drei Jahren wieder Umsatzplus _______________
DJV kritisiert Kürzung der ARD-Politikmagazine ___________________________
Amelie Fried stellt Strafanzeige gegen militante Nichtraucher ________________
DVB-T in Bayern „reibungslos“ gestartet ________________________________
Kabelnetzbetreiber investieren 185 Millionen Euro ________________________
Kabel Deutschland plädiert für Gleichbehandlung bei Digitalisierung __________
BDZV kritisiert Zypries-Pläne für Handelsregister __________________________
Medienmacher äußern Zweifel am Boom des Religiösen ____________________
Thierse ermuntert Medien zu mehr positiven Nachrichten ___________________
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Ausland
Die BBC muss effizienter und kreativer werden / Von Jürgen Krönig ____________ 25
Prozess gegen Fallaci wegen „Verunglimpfung des Islam“ ___________________ 26
Dassault verkauft den „Express“ an Roularta _____________________________ 26
Kritik
„Gertrude Stein hat die Luft gemalt“ von Friederike Mayröcker (DLF/ORF) _______
„Nicht ohne Risiko“ von Harun Farocki (WDR) ____________________________
„Wiedergeburt im Kaukasus – ... Armenien“ von Christoph-Michael Adam (SWR) _
„Windstärke 8 – Das Auswandererschiff 1855“ von Wessely u a. (ARD-WDR/ARTE)
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2 epd medien ■ Nr. 42· 1.6.2005
TAGEBUCH
Die Hübschen. Georg Gänswein und
Stephan Kulle, unser Mann in Rom
epd
Der Mann ist „athletisch, blond, blauäugig“
und wird in allen Westsprachen des Kontinents mit
Hingabe beschrieben: „Atlético, rubio de ojos claros“,
„athlétique, blond, sportif et séduisant“, verführerisch
also, der „gióvane tedesco dal sorriso accativante“, der
junge Deutsche mit dem gewinnenden Lächeln. Von
wem die Rede ist? Man käme in hundert Jahren nicht
drauf: von Georg Gänswein, dem Sekretär des Papstes,
seit zehn Jahren im Dienst von Joseph Ratzinger.
Benedikt und kein Ende. Der „junge Deutsche“ ist
immerhin schon 48, seit 21 Jahren Priester, Kirchenrechtler, scheint aber so manche Fantasie zu beflügeln. Doris Ladstaetter hielt gar „den Atem“ an, als er
„zum ersten Mal aufs Papamobil sprang“, wie sie in
ihrer „Weltwoche“-Glosse schreibt, „unbestritten der
schönste Mann im Talar, der je im Vatikan zu sehen
war“. Meinen auch Italiens Schwule, wie auf
www.gay.it zu lesen ist: „Il nuova sex symbol di Città
del Vaticano“, elf Gänswein-Fotos werden auf der
Gay-Galleria gleich mitgeliefert. Sexsymbol und Vatikan, ein Widerspruch in sich oder vielleicht doch
nicht: Einer, der im Gegensatz zu all jenen, die auf der
Piazza rumlungern, nicht zu haben ist.
„Was verboten ist, das macht uns grade...“, stimmt
zwar, klingt aber doch reichlich vulgär in vatikanischem Zusammenhang, also streichen wir das letzte
Wort. Ladstaetter ist in der „Weltwoche“ subtiler: „Er
gehört ganz dem lieben Gott“, schreibt sie, und ist
„damit tabu für uns Frauen“. Und für die Männer.
Gänswein, den in Deutschland wohl kaum ein Säkularer kennen dürfte und wo niemand wie die ItaloGays auf die Idee käme, das „sorriso accativante“
dieses „bel gióvane“ zu beschreiben. Bei uns würde
nur strafend vermerkt, dass er einen Lehrauftrag an
der Opus-Dei-Universität in Rom hatte. Reaktionär!
Alles höchst seltsam, die Gänswein-Verehrer zum
einen und die Reaktion der Deutschen: Da gibt es
zwei Deutsche, die andernorts mit Wohlgefallen betrachtet werden – und von uns: kaum ein nettes
Wort, sondern bestenfalls eine „Mischung aus Stolz
und Verlegenheit“ („Le Monde“). Und viel fordernde
Kritik: Kondome! Frauenweihe! Sein „beseligendes
Lächeln“ beschrieb hingegen die Amerikanerin Ilana
Mercer im „FrontPage-Magazine“, Benedikts
Lächeln. Mercer, die Jüdin, eine besonders aparte
Variante, die Ratzinger gegen den Rabbi und PapstKritiker Michael Lerner verteidigt hat. Die spannenden
Sachen finden, wie man sieht, anderswo statt.
Und wo wir bei hübschen katholischen Männern sind,
fällt einem selbstredend auch Stephan Kulle ein, dreieinhalb Wochen lang unser ZDF/Phoenix-Mann im
Vatikan. Noch so ein Attraktiver, die Fantasie beider
Geschlechter Beflügender, der auch fast Priester geworden wäre, aber es dann doch nicht geworden ist,
naja, der Zölibat. „Du bist ein echt geiler Typ.-)))“,
schrieb ein gewisser Henrik in Kulles Internet-Gästebuch.
Der Mann, 38, der in Rom eine Gänsehaut nach der
anderen kriegte und der Erste war, der am 19. April
um 18 Uhr 39 noch vor der offiziellen Verkündung auf
Phoenix „Wir haben einen deutschen Papst!“ melden
konnte. „Als ,Quatzinger' zum Papst gewählt wurde“,
hat die „Welt am Sonntag“ neulich Kulles Geschichte
betitelt und gleich noch einen Hauch Insiderwissen
beigesteuert: „Der Name wurde offenbar verschleiert,
um wenigstens formal dem Schweigegelübde zu entsprechen.“ Quatsch, Kulles Rom-Tagebuch „Habemus
Papam“ schlecht gelesen: „Qatzinger“ (ohne „u“) hatte
um 18 Uhr 38 eine „Quelle“ per SMS auf Kulles Handy
geschrieben und in der Aufregung beim Anfangsbuchstaben einmal zu wenig gedrückt.
Stephan Kulle aus Thüringen, dieser liebenswerte
Berichterstatter, der in katholischen Dingen so intim
Bewanderte und so kenntnisreich Plaudernde, ein
Glücksfall für ZDF und Phoenix. Und wie sie ihn jetzt
anbaggern, diese Ritas, Gabis, Alexandras in seinem
Gästebuch, „fehlt nur noch“, schreibt eine Maria, „hey
du, ich wohne da und da, komm doch mal auf einen
Kaffee vorbei“.
Kulle, der nach einem Autounfall 1991 querschnittgelähmt war und der es mit eisernem Willen und
Gottvertrauen geschafft hat, wieder auf die Beine zu
kommen. Wobei ihm, könnte man sagen, wenn man
daran glaubt, auch Johannes Paul II. geholfen hat.
„Wie er mich damals so liebevoll gesegnet hat, als ich
noch im Rollstuhl saß“, schreibt Kulle, „wissend, dass
eine Querschnittlähmung nicht heilbar ist, aber mir
dennoch wünschte, dass ich wieder laufen kann.“ Wer
weiß?
G.Z.
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DEBATTE
1.6.2005 Nr. 42 ■ epd medien
Die Bavaria-Connection
Zehn Jahre Schleichwerbung im ARD-“Marienhof“ & Co. / Von Volker Lilienthal
epd
In der guten alten Zeit, als die Welt des „Marienhofs“ noch in Ordnung war, tauchte im Vorspann der
ARD-Fernsehserie an einer Litfasssäule immer montags
bis freitags um 18.25 Uhr eine Mahnung aus der Bibel
auf: „Leget die Lüge ab und redet die Wahrheit.“
Der Vers aus dem Epheser-Brief ist inzwischen verschwunden. Dabei könnte er ein so gutes Motto sein
für das, was bei der Bavaria Film GmbH in München
jetzt ansteht. Einstweilen müssen wir uns an einen
Refrain aus dem „Marienhof“-Titelsong halten: „Es
wird viel passieren! Nichts bleibt mehr gleich, nichts
bleibt beim Alten wie gehabt.“ Und das gilt wohl für
die Bavaria wie für die ARD.
Die Bavaria: nach der Ufa und Studio Hamburg
Deutschlands drittgrößter TV- und Film-Produktionskonzern mit einem Jahresumsatz von fast 265 Millionen Euro. DVD-Geschäfte brachten zuletzt einen
Umsatzsprung, das Kerngeschäft der Film- und Fernsehproduktion soll allerdings laut „Handelsblatt“ unter
Druck stehen. Der Gewinn liegt denn auch nur im
einstelligen Millionenbereich - bei dreistelligem Umsatz bei weitem zu wenig.
Die Gesellschafter der Bavaria sind mehrheitlich öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten aus dem ARDVerbund: die WDR Mediagroup, mit 33,35 Prozent
größte Einzelgesellschafterin, die SWR Holding mit
16,67 und die Drefa Media Holding des MDR mit
16,64 Prozent sowie die Bavaria Filmkunst (16,67)
und die Förderbank des Freistaates Bayern, die LfA Gesellschaft für Vermögensverwaltung (16,67).
Die öffentlich-rechtlichen Produktionstöchter (neben
der Bavaria auch Studio Hamburg oder Network Movie im Falle des ZDF) sind derzeit im Visier der EUKommission. In den anhängenden Beschwerdeverfahren geht es bekanntlich um behauptete Wettbewerbsverzerrungen und um die Frage, wie weit „kommerzielle Tätigkeiten“ öffentlich-rechtlicher Rundfunkanbieter gehen dürfen (epd 38, 37, 36/05). In Brüssel
und auch hier zu Lande ist aber noch gänzlich unbekannt, wie weit die kommerzielle Nebenbetätigung
über Jahre hinweg im Falle der Bavaria ging - nämlich
bis hin zum Rechtsbruch. Geradezu seriell wurde in
ARD-Produktionen wie „Marienhof“ und „In aller
Freundschaft“ gegen das Schleichwerbeverbot des
Rundfunkstaatsvertrags verstoßen. Auch Drehbücher
waren nicht mehr tabu, sondern wurden weit für die
Botschaften interessierter Dritter geöffnet.
Es begab sich vor einigen Jahren, irgendwo in
Deutschland. Die Münchener Firma H.+S. Unternehmensberatung hatte einen großen Interessenverband
angeschrieben und programmintegrierte Imagepflege
angeboten. Der Verband zeigte sich interessiert und lud
Ute Sandbeck (Name geändert), eine freie Mitarbeiterin
von H.+S., in seine Geschäftsräume ein.
Was die Frau nicht wusste: Als sie eintraf, lief bereits
eine von Dritten installierte versteckte Kamera, die das
gesamte, gut eineinhalbstündige Anbahnungsgespräch
mitschnitt. Ute Sandbeck kam schnell zur Sache. Von
einer mitgebrachten Democassette spielte sie eine
Szene aus der ARD-Serie „Marienhof“ vor, die sie als
Leistungsnachweis mitgebracht hatte und die offenbar aus dem Zeitraum 1994/95 stammte.
Langzeitrecherche mit Hindernissen
epd Seit Sommer 2002 geht epd-Redakteur
Volker Lilienthal dem Verdacht nach, in der ARDSerie „Marienhof“ und anderen Bavaria-Produktionen könnte es über viele Jahre hinweg zu
massiver Schleichwerbung gekommen sein. Die
Recherche wurde im Mai 2003 abrupt gestoppt,
nachdem eine involvierte Münchener Agentur für
Product Placement Wind bekommen hatte, eine
einstweilige Verfügung erwirkte und später auch
in der Hauptsache auf Unterlassung klagte.
Seither konnte nur die Programmbeobachtung
weiterlaufen - mit dem Ergebnis, dass für den
vorliegenden Bericht über 500 „Marienhof“Folgen (und andere Sendungen) gesichtet
wurden. Der Rechtsstreit dauerte bis Anfang
dieses Jahres. Das Oberlandesgericht München
wies am 20. Januar alle Ansprüche gegen den
epd-Redakteur zurück. Auch die von ihm angewendete verdeckte Recherche einschließlich der
Verwendung eines (nicht von ihm) mit versteckter
Kamera aufgenommenen Videos sei von der
Pressefreiheit gedeckt. Das Urteil mit grundsätzlicher Bedeutung für den investigativen
Journalismus ist inzwischen rechtskräftig (Az. 6 U
3236/04, vgl. auch Meldungen in dieser Ausgabe).
Die Recherche, bei der der epd von Beginn an mit
dem DJV-Organ „journalist“ kooperierte, wurde
fortgesetzt, ihre Ergebnisse liegen nun vor.
Man sah die Schauspielerin Julia Biedermann in der
Rolle der „Fränzi Ginster“, wie sie sich um eine Lehrstelle in der Sparkasse bewarb:
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4 epd medien ■ Nr. 42 · 1.6.2005
DEBATTE
Chef: „Zunächst freue ich mich natürlich, dass du deinen neuen Berufsweg gerade in unserer Branche anfangen willst.“ Fränzi: „Welche Karrieremöglichkeiten
bieten sich denn einem so bei der Sparkasse?“ (Letztes
Wort betont.) Chef: „Ja, theoretisch, theoretisch kannst
du bei uns alles machen. Wir bilden Fachleute aus, die
im internationalen Handel zu Hause sind.“ Sie (überrascht): „Sie haben auch Leute in Amerika!? In Japan?“
Er: „Ja, sicher.“ Sie: „Mann, da kann man ja ganz schön
rumkommen!“
Laut Sandbeck hatte der Verband der Sparkassen
dieses so genannte Themen-Placement in Auftrag
gegeben, um das „verstaubte Image“ der Sparkasse als
Arbeitsplatz aufzupolieren. Junge Leute, die den „Marienhof“ sehen, sollten zu Lehrlingen gemacht werden.
Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband konnte
den etwa zehn Jahre alten Vorgang auf Anfrage leider
nicht mehr aufklären.
Das Logo „sanitär-heizung-klima“
Auch „Töppers“ ist noch dabei. Die von Wolfgang
Seidenberg gespielte Figur ist überhaupt vielseitig
einsetzbar. Frau Sandbeck hatte den potenziellen
Schleichwerbungs-Neukunden aus dem Verband auch
zwei Szenenbeispiele mitgebracht, die von der Europäischen Teppichgemeinschaft initiiert worden seien.
Auf Töppers Parkettboden hatten sich hässliche
Wollmäuse angesammelt. Jetzt sollte eine neue Wohnung bezogen werden, und Nachwuchs war auch
unterwegs. Töppers zu seiner Frau:
„Lass uns doch dann wenigstens die Wohnung mit
Teppichboden auslegen, das hatte ich immer schon
mal vor. Teppichboden bedeutet weniger Staub,
schluckt die Geräusche, sieht tadellos aus und erleichtert unserem Nachwuchs die ersten Gehversuche.“
Julia Biedermann
Quelle aller Abbildungen: ARD
Es war nicht das einzige „Marienhof“-Beispiel, das
Sandbeck als Leistungsnachweis der H.+S. mitgebracht hatte. Als Nächstes bekamen die PR-Manager
des Verbandes vier Szenen mit einem Schulwettbewerb zum Thema „Energiesparen“ zu sehen. Mit dabei
auch der „Marienhof“-Klempnermeister „Töppers“, der
die Vorzüge einer Erdgasheizung hervorhob.
Auftraggeber hierbei: der ZentralVerband SanitärHeizung-Klima, der auf Anfrage inzwischen bestätigt
hat, mit der H.+S.-Schwesterfirma Kultur+Werbung
(K+W) für mehrere „Marienhof“-Staffeln zwischen
1994 und 1998 zusammengearbeitet zu haben. Ob die
Kooperation wirklich seit sieben Jahren beendet ist?
Immerhin taucht das rundliche Logo des Handwerksverbands noch heute regelmäßig im „Marienhof“ auf.
Bis 2003 gab es auch thematische Handlungsstränge
rund um das Sanitärhandwerk.
Auch für dieses Placement gibt es inzwischen eine
Kundenbestätigung, allerdings war der Auftrag nicht
von der Teppichgemeinschaft, sondern von der „Arbeitsgemeinschaft Textiler Bodenbelag“ gekommen.
Als achtes „Marienhof“-Beispiel führte die H.+S.Mitarbeiterin in den Geschäftsräumen des Verbands
einen programmintegrierten Spendenaufruf für die
SOS Kinderdörfer vor. Hier, so Sandbeck, zeige sich ein
weiterer Vorteil von Themen-Placement, das sich
nicht nur dramaturgisch gut als absolut glaubwürdig
einpasse, sondern auch etwaigen Kontrolleuren, z.B.
Redakteuren, nicht auffalle: „SOS Kinderdorf – das ist
nicht ein Markenname, das ist eine Institution. Und
die steht einfach für ein gewisses soziales Engagement. Dadurch geht das auch beim Sender durch. Das
ist überhaupt nicht aufgefallen, und es ist auch nicht
rausgeschnitten worden.“
Die von Ute Sandbeck besuchten Verbandsmanager
zeigten sich beeindruckt. Aber, wollten sie wissen, ist
das Ganze nicht illegal? Die H.+S.-Mitarbeiterin gab
ihr Unrechtsbewusstsein zu erkennen: „Also, Product-
DEBATTE
Placement ist im Fernsehen verboten.“ Es sei „einfach
deswegen“ verboten, weil der Sender lieber seine
eigenen Werbezeiten verkaufen wolle. Diese Begründung stimmte zwar nicht, aber dennoch: „Klar ist es
nicht erlaubt. Aber Sie dürfen ja unentgeltlich Requisiten zur Verfügung stellen, das ist erlaubt! Sie dürfen
nur kein bezahltes Product-Placement machen!“
So ist es nicht verwunderlich, dass Frau Sandbeck zur
Verschwiegenheit mahnte, auch verbandsintern:
„Möglichst wenig Leute involvieren - umso weniger
wird geplappert. Sie können zwar sagen, dass Sie
mitmachen, aber nicht, dass dafür Geld fließt.“ Product und Themen-Placement seien „generell verboten.
Egal, ob's jetzt ARD - im gesamten TV-Bereich. Die
ARD ist im gesamten Abendbereich schwierig.“ Ein
Themen-Placement hingegen falle überhaupt nicht
auf.
1.6.2005 Nr. 42 ■ epd medien
Gegenleistung wurden PR-Botschaften der offiziellen
Entwicklungshilfe ins Drehbuch geschrieben.
Der damalige Entwicklungshilfeminister Carl-Dieter
Spranger (CSU) sah sich damals massiver Kritik der
politischen Opposition ausgesetzt. Im Bundestag gab
es eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen,
der SPD-Politiker Peter Struck, heute Bundesverteidigungsminister, kritisierte das Ideen-Placement als
„teuer bezahlte Irreführung der Fernsehzuschauer“,
und auch entwicklungspolitische Bürgerinitiativen
kritisierten „Klinik unter Palmen“ als Zerrbild der
tatsächlich nötigen Hilfe in der Dritten Welt. Spranger
rechtfertigte sich später mit einer Enigma-Umfrage,
wonach das Steuergeld angeblich sinnvoll ausgegeben
wurde (epd 9/97) - die „Studie“ wurde später von
H.+S. Interessenten als Referenz für den eigenen
exquisiten Kundenkreis zugeschickt.
„Der Zuschauer ahnt das gar nicht“
Die Irreführung des Verbrauchers, die für den Gesetzgeber neben der wettbewerbsrechtlichen Problematik
der eigentliche Hauptgrund ist, Schleichwerbung zu
verbieten (§ 7 Rundfunkstaatsvertrag und § 1 Gesetz
gegen den unlauteren Wettbewerb, UWG), wird von
H.+S. in Kauf genommen. Sandbeck im Kundengespräch: „Der Zuschauer ahnt das gar nicht, dass man
so was so direkt steuern kann.“
H.+S. und die Schwesterfirma Kultur+Werbung gehören Andreas Schnoor, einem 55-jährigen ehemaligen Schauspieler, der seit Mitte der 90er Jahre zu den
erfolgreichsten Product Placern in Deutschland gehört. Seine Spezialität: Themen-Placement für Industrie und Interessenverbände. Jemand, der mit ihm
gearbeitet hat, beschreibt ihn als „alten Fuchs“, als
„Pionier“ des PP-Gewerbes, der auf Erfordernisse der
TV-Produktion, auch auf dramaturgische Zusammenhänge eines Drehbuchs Rücksicht nehme. Deutliches
Lob auch von einem ehemaligen Pharma-PRManager, der Schnoor als einen „absolut zuverlässigen Geschäftspartner mit hervorragenden Kontakten“
kennen gelernt hat.
Hervorragende Kontakte auch in die Politik: Mitte der
90er Jahre gelang es Schnoor, beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 276.000 D-Mark (heute gut 141.000 Euro)
lockerzumachen. Wohl abzüglich der üblichen Vermittlungsprovision floss das Geld in die Produktion
der ARD-Serie „Klinik unter Palmen“, die die Wörthersee Filmproduktion für die Degeto herstellte. Die
ARD-Tochter Degeto wollte erst hinterher erfahren
haben, dass ihre Serie (mit Klausjürgen Wussow in der
Hauptrolle) mit Staatsgeld kofinanziert wurde. Als
Und noch einmal der Handwerksverband
„Mit der Produktionsfirma ist das abgesprochen“
Einige Jahre später, irgendwo in Deutschland, wollten
die Verbandsmanager, die Ute Sandbeck als potenzielle Neukunden besucht hatte, wissen, wie es eine
Privatfirma wie H.+S. überhaupt schaffe, externe
Botschaften in die Drehbücher einer öffentlichrechtlichen Fernsehserie zu schleusen. Die Antwort:
„Wir arbeiten mit Hauptdramaturgen, mit Redakteuren, wir arbeiten mit denen allen zusammen. Sonst
würde das nicht funktionieren.“ Nachfrage: Ist das
auch mit der Produktionsfirma abgesprochen, damit
es keinen Ärger gibt? „Ja, mit der Produktionsfirma ist
das abgesprochen. Klar. Sonst würde das gar nicht
laufen. Aber nicht mit dem Sender! Nein, mit dem
Sender ist es nicht abgesprochen.“ Die ARD sei da
„sehr strikt“.
Frau Sandbeck erklärte das System so: „Die Redakteure von den Sendern sind natürlich nicht, also ich
sag mal: in achtzig Prozent nicht involviert. Weil die
wollen natürlich die Senderhoheit haben, was den
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Inhalt der Serien betrifft.“ Die Sender wollten „erst
mal ihre Spots verkaufen“. Die Produktionsfirma sei
andererseits daran interessiert, sich zu refinanzieren:
„Refinanzierung bedeutet: sie müssen irgendwie sich
zusätzlich Geld holen.“ Dieses Geld holten sie sich in
dem Fall über Themen-Placement: „Also, in der ARD
dürfen wir nur ganz wenig Product-Placement machen, ja? Insofern ist die Produktion schon sehr daran
interessiert, dass da gewisse Aufträge laufen.“
Die Bavaria Film: drittgrößte TV- und
Film-Produktionsfirma Deutschlands
wird. Man habe, so hieß es, sogar exklusiven Zugang
zur Produktion dieser täglichen Serie. Weiter sagte
sie: „Die Autoren sind natürlich eingeweiht, das ist
klar. Und die Produktionsfirma, der Herr von Mossner,
das ist der Produzent von ,Marienhof', der ist auch
eingeweiht, sonst würde das ja nicht laufen.“ Als
Referenz nannte sie an dieser Stelle auch den Namen
von Thilo Kleine. Der frühere NDR-Redakteur und
spätere Produzent sowie Mitgesellschafter der ExKirch-Firma Neue Deutsche Filmgesellschaft (NDF)
war Anfang 1994 Geschäftsführer der Bavaria Film
GmbH geworden.
epd Die traditionsreiche Bavaria Film wurde
1919 als Studiobetrieb in Geiselgasteig bei
München gegründet. Heute zählt sie zu den
größten TV- und Film-Produktionsfirmen in
Europa. Mit fast 265 Millionen Euro Umsatz
belegt sie in Deutschland Platz 3 in der Unternehmensrangfolge, nach der Ufa-Gruppe und
Studio Hamburg.
Bavaria-Pressesprecher Hansgert Eschweiler erklärte
zu Sandbecks Berufung auf Mossner und Kleine jedenfalls noch im Mai 2003, dass es sich „wohl um das
in unserer Branche übliche ,name-dropping'“ handele,
wenn Sandbeck davon spreche, „seit Jahren mit Verantwortlichen der Bavaria Film zusammenzuarbeiten“;
Geschäftsbeziehungen gebe es gleichwohl nicht.
Das Unternehmen mit mehr als 20 Tochterfirmen
im In- und Ausland beschäftigt etwa 1500
Menschen. Die Bavaria hat eine öffentlich-rechtliche Gesellschafterstruktur: Die WDR Mediagroup ist mit 33,35 Prozent größte Einzelgesellschafterin. Die SWR Holding ist mit 16,67 und die
Drefa Media Holding des MDR mit 16,64 Prozent
beteiligt. Weitere Teilhaber sind die Bavaria
Filmkunst, ein Zusammenschluss von privaten
Altgesellschaftern (16,67), und die Förderbank des
Freistaates Bayern, die LfA - Gesellschaft für
Vermögensverwaltung (16,67).
Ein
internes
Telefonverzeichnis
der
H.+S.Schwesterfirma K+W, das dem epd vorliegt, lässt
andere Schlüsse zu. Dort fand sich ein ganzer Block
von Bavaria-Ansprechpartnern: Dr. Rolf Moser, Geschäftsführer der Bavaria Sonor Musikverlag & Merchandising; Stephan Bechtle, „Marienhof“-Produzent
von 2000 bis Ende 2003; Dr. Werner Lüder, der ChefOutliner der ARD-Serie; Line-Producer Peter Eidenberger und Michael von Mossner, „Marienhof“Produzent von 1994 bis 2000. Von diesen fünf und
fünf weiteren Bavaria-Mitarbeitern sind in der Liste
Durchwahl-, Handy- und Faxnummern verzeichnet, im
Falle von Lüder auch die seines Berliner Büros.
Zu den herausragenden Bavaria-Produktionen
zählten zuletzt „Die Manns“ und der Anfang Mai
im Ersten ausgestrahlte Dreiteiler „Speer und Er“,
den der jetzt in die Kritik geratene Bavaria-Geschäftsführer Thilo Kleine persönlich produziert
hatte. Neben Fernseh- und auch Kinofilmen, die
oft preisgekrönt wurden, ist die Bavaria vor allem
in der umsatzbringenden Serienproduktion aktiv
(„Marienhof“, „Rosenheim-Cops“, „In aller
Freundschaft“ u.a.).
Anfang des Jahres gründete die Bavaria eine neue
Tochterfirma in Italien. Sie soll dem staatlichen
Fernsehen RAI eine italienische „Marienhof“Version liefern. Geschäftsführer Kleine strebt
auch eine Expansion nach Osteuropa an. lili
Mit der Herstellerin des „Marienhofs“, der Bavaria
Film in München, arbeite man schon seit Mitte der
90er Jahre zusammen, behauptete die H.+S.Mitarbeiterin weiter - was durch die Sparkassenszene
und die Sanitär-Heizung-Klima-Bestätigung bewiesen
Alles nur „name-dropping“? Moser, Lüder, Eidenberger
und von Mossner waren zu Stellungnahmen nicht
bereit. Lüder beispielsweise hätte aufklären können,
warum sich in K+W-Protokollen an einer Stelle, wo
die Sat.1-Serie „Für alle Fälle Stefanie“ als „neues
Projekt“ ausgewiesen wird, folgender Vermerk findet:
„AS (d.i. Andreas Schnoor) spricht mit Lüder wg. dramaturgischem Aspekt.“ Fest steht, dass der hochproduktive Bavaria-Chefoutliner Lüder über Jahre hinweg
immer noch Zeit fand, nebenher an Drehbüchern für
die Sat.1-Serie mitzuwirken: Acht schrieb er selbst, an
fünf wirkte er mit und für 37 Folgen entwickelte er
die Outlines - seine Einflussmöglichkeiten waren also
erheblich.
Stephan Bechtle, der Ende 2003 als „Marienhof“Produzent abgelöst wurde und der jetzt, so Thilo
Kleine noch im Februar, Bavaria-„Chefproduzent“ in
Italien werden soll, hat ein 2003 geführtes Interview
zum Thema nicht freigegeben, in einem nachgeschobenen Fax aber behauptet, er kenne weder H.+S. noch
DEBATTE
Ute Sandbeck und es gebe keinerlei Zusammenarbeit.
Das ist mittlerweile widerlegt und war schon damals
unglaubwürdig, weil dann u.a. schwer erklärbar wäre,
wieso Sandbeck ihren potenziellen Neukunden vor
wenigen Jahren noch erklären konnte, wie der Einbau
ihrer Kommunikationsziele in die ARD-Fernsehserie
praktisch funktionieren sollte.
„Marienhof“-Outlines vorab an Werbekunden
Nach einem ersten Briefing sollte der Kunde vorab,
noch vor Drehbeginn die Outlines kommender Episoden mit den auf Kundenwunsch integrierten PRBotschaften erhalten: „Da ist die Szenenbeschreibung
und die indirekte Rede ist dabei. Die geben wir Ihnen
zur Verfügung jedes Mal, wenn was drinnen ist. Schicken wir dann per E-Mail, machen wir das immer, das
geht dann schneller. Sie schauen das durch, ob das so
in dem Sinne ist. Sie schicken das wieder zurück, und
dann geben wir das dann frei für die Drehbuchautoren, dass die das ausformulieren. Und wir kontrollieren dann noch mal, ob das dann so in der wörtlichen
Rede dann auch umgesetzt ist.“
Dass die „Marienhof“-Outlines, also programmhoheitliches Material der ARD, vorab an die PlacementAgentur gingen, wird von einem ehemaligen Produktionsmitarbeiter bestätigt: K+W sei lange Zeit im EMail-Verteiler der „Marienhof“-Produktion gewesen,
so diese Aussage. Damit war für die externe private
Agentur eine Gelegenheit geschaffen, die weitere
Serienentwicklung nach kommerziellen Platzierungsmöglichkeiten zu durchforsten.
Schleichwerbung im Zehnerpack für 175.000 Euro
Bezahlt werden müsse erst, versicherte Ute Sandbeck
den Interessenten, wenn die Botschaft auch auf dem
Bildschirm war - was ein zusätzlicher Hinweis darauf
ist, dass H.+S. nichts versprach, was die PlacementAgentur nicht halten konnte. Über die geschickteste
steuerfreundliche Verbuchung hatte sich H.+S. auch
schon Gedanken gemacht: „Ich würde das nicht unter
Werbung laufen lassen. Wir würden auch eine Rechnung schreiben. Wir schreiben zum Beispiel auch nie
,für Themen Placement' rein, sondern wir schreiben
immer ,für medientechnische Beratung'. Das können
Sie dann im Bereich Öffentlichkeitsarbeit buchen.“
Und das Zuckerl zum Schluss: Größere Kunden würden nach München aufs Filmgelände der Bavaria
eingeladen, um sich mit Produktionsverantwortlichen
und Drehbuchautoren zu unterhalten.
Dieses Kundengespräch ist einige Jahre alt. Mit einer
verdeckten Recherche gelang es aber, zumindest noch
für das Jahr 2003 nachzuweisen, dass H.+S. die Bava-
1.6.2005 Nr. 42 ■ epd medien
ria-Produktion „Marienhof“ weiterhin für Schleichwerbung anbot. Dabei wurde ein fiktiver Kunde vorgespiegelt, der „Sneakers“, Modeschuhe für Jugendliche also, programmintegriert bewerben wolle. Nach
ersten Vorgesprächen und einem Besuch in der Münchener Firmenzentrale kam am 23. April 2003 ein
schriftliches Angebot, wonach man sich einig sei, die
Sneakers nicht nur „ausstattungsmäßig in die Handlung zu integrieren, sondern zu einem aktiven Bestandteil der Handlung zu machen, um ihnen damit
beim Zuschauer eine höhere Aufmerksamkeit und
Emotionalität zu verschaffen. (...) Jede Folge, in der
mindestens in einer Szene eines der gemeinsam festzulegenden Briefing-Themen dialogisiert wird und
dabei die entsprechenden Sneakers in ihrem CI/CDErscheinungsbild sichtbar werden, gilt als Folge mit
sog. ,aktiver Beratungsumsetzung'“ - für die dann
auch gezahlt werden müsste.
Diesmal wurde die Honorarforderung sehr konkret. Pro
Folge sollte das Modeschuh-Placement 17.500 Euro
zuzüglich Mehrwertsteuer kosten. Am liebsten aber
verkaufte H.+S. das Zehnerpack für 175.000 Euro „um einen entsprechenden Kampagnencharakter zu
erzielen“, wie es hieß, und auch deshalb, weil der
Produktion alles unter fünf Placements zu aufwändig
sei. Beigelegt waren Zuschauerstruktur- und Marktanteilsdaten der ARD-Serie „Marienhof“: Über drei
Millionen Zuschauer wurden da versprochen.
Aggressive Akquise mit 200 Anwerbeversuchen
Interne Geschäftsunterlagen der Firmen K+W und
H.+S., die epd vorliegen, beweisen, wie intensiv und
systematisch die Bemühungen um den „Marienhof“
früher waren. Eine von 2002/03 datierende Projektliste weist sage und schreibe fast 200 Produkthersteller, Dienstleister, Interessenverbände und öffentliche Institutionen bis hin zum Bundeskriminalamt aus,
denen Andreas Schnoor und seine Mitarbeiter ein
Platzierungsangebot unterbreiten wollten oder schon
unterbreitet hatten. Die Liste dokumentiert auch die
fünf Abschlüsse, die man für den „Marienhof“ in jener
Zeit schon getätigt hatte: Tetra Pak zum Thema Lactoseunverträglichkeit, Vodafone D2, der Kinofilmverleiher UIP („5 Folgen, Option auf 10 Folgen“), Nourypharma und der Allgemeine Deutsche Tanzlehrerverband („Tanzschule, 20 Folgen“). Die Tanzlehrer, von
denen es inzwischen ebenso eine Bestätigung für die
Kooperation gibt wie von UIP, sollten übrigens auch in
der ARD-Jugendserie „Fabrixx“, produziert von der
Bavaria-Tochter Maran, untergebracht werden: „AS
(d.i. Andreas Schnoor) telefoniert mit von Mossner“,
vermerkt das Protokoll dazu.
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8 epd medien ■ Nr. 42 · 1.6.2005
DEBATTE
Seifenoper seit fast 13 Jahren
epd Der „Marienhof“ ist eine der am längsten
laufenden Serien im deutschen Fernsehen. Die
Geschichten aus der Nachbarschaft eines fiktiven
Kölner Stadtteils waren am 1. Oktober 1992
erstmals auf Sendung, zunächst zwei Mal die
Woche. Am 2. Januar 1995 stellte die ARD den
Senderhythmus auf fünf Mal die Woche um,
montags bis freitags um 18.20 Uhr. Der „Marienhof“ wurde damit zur „Daily Soap“. Die BRRedakteurin Stephanie Heckner, die lange für die
Serie programmverantwortlich war, hat sie „die
Kernseife unter den deutschen Soaps“ genannt.
Ausgestrahlt wird die Serie immer gleich nach der
anderen Seifenoper der ARD, „Verbotene Liebe“.
Beide Sendungen gehören am Vorabend zum so
genannten Werberahmenprogramm im Ersten.
Hier verdient die ARD die ihr möglichen Werbegelder. Möglichst viele und möglichst junge
Zuschauer - das ist für die werbungtreibende
Wirtschaft wichtig. Der „Marienhof“ hatte früher
über drei Millionen Zuschauer, doch das ist
vorbei. Derzeit wird die ARD-Serie von durchschnittlich 2,81 Millionen Menschen gesehen
(Marktanteil: 12,4 Prozent im 1. Quartal 2005).
Die werberelevante junge Zielgruppe der 14- bis
49-Jährigen ist mit 1,19 Mio. Zuschauern (14,7
Prozent Marktanteil) vertreten.
Alljährlich muss die Bavaria Film in München im
Auftrag der ARD-Werbung rund 250 Folgen
herstellen. Dies bedeutet einen hohen Produktionsdruck. Täglich muss in München-Geiselgasteig, wo der fiktive Kölner Stadtteil als
Kulissenstadt aufgebaut wurde, eine ganze Folge
abgedreht werden. Bis jetzt haben mehr als 130
Haupt- und über 6000 Nebendarsteller in der seit
fast 13 Jahren laufenden Serie mitgewirkt. Am
längsten ist Viktoria Brams in der Rolle der „Inge
Busch“ dabei.
Im Produktionsteam, dem so genannten Stab,
wirken 130 Mitarbeiter mit. Rund 25 Autoren
arbeiten regelmäßig an den Drehbüchern und
Storylines der Serie. Bis jetzt (31. Mai) sind 2637
einzelne Folgen gelaufen.
lili
Ein weiteres K+W-Protokoll zum „Monatsmeeting“
vom 2. Dezember 2002 lässt zudem erkennen, was für
die 10. Staffel des „Marienhof“, also für rund 250
Folgen, die für die Ausstrahlung zwischen Juni 2002
und Juni 2003 vorgesehen waren, geplant war: „Bitte
darauf achten, dass keine Abschlüsse unter fünf Folgen gemacht werden! Bei Abschluss sollte grundsätz-
lich ein Beratungs- und Requisitenlieferungsvertrag
abgeschlossen werden! PREISE: ,Aktive Integration',
EUR 17.500. AUSSTATTUNGSPLACEMENT: Es müssen
20 Folgen minimum für ein Motiv belegt werden, on
the top 5 Folgen, als sog. ,Aktive'. Keine Exklusivausstattung! Produktvielfalt muss gegeben sein.“
Die Zweiteilung der Verträge deutet auf juristische
Vorsicht hin: Einen Requisitenlieferungsvertrag ohne
Honorarangabe würde man immer vorzeigen können.
Der Verzicht auf „Exklusivausstattung“ und die Mahnung zur „Produktvielfalt“, beides geschah offenbar in
Rücksicht auf die ARD-Richtlinien von Programm und
Werbung, die dort, wo reale Markenwelt unvermeidlich gezeigt wird, mindestens einen ständigen Markenwechsel zwecks Neutralisierung vorschreiben.
Ende 2002 war vorübergehend auch die Deutsche
Lepra- und Tuberkulosehilfe e.V. unter Vertrag genommen worden: „Entwicklung des Blocks ab Herbst
03. Outlines angesagt“ - das deutet auf langfristige
Vorbereitungen hin. Doch Anfang 2003 sprang das
Würzburger Hilfswerk wieder ab, ließ einen mit
MA.Media geschlossenen Beratungsvertrag wieder
aufheben. MA.Media ist eine Münchener PR-Agentur,
die in mehreren Projekten mit Andreas Schnoor zusammengearbeitet hat. Dann trafen in Würzburg erste
Umsetzungsvorschläge ein, die die Verantwortlichen
im Hilfswerk aber als „nicht plausibel“ und „eher
aufgesetzt“ ablehnten. Die „eigenwilligen Ideen“ der
Berater aus München, wie Problemthemen in den
„Plot“ des „Marienhof“ eingebaut werden könnten,
hätten nicht zum seriösen Image des „Deutschen
Aussätzigen-Hilfswerk“, wie die Organisation früher
hieß und sich noch heute abkürzt (DAHW), gepasst.
DAHW-Sprecherin Renate Vacker bestätigte dem epd
diesen Verzicht.
L'tur – der Höhepunkt im Frühsommer 2003
Auch in anderer Hinsicht deuteten sich gewisse
Schwierigkeiten an: „Zukünftig gehen nur noch Themen u. Verbände sowie Krankheitssymptome im Marienhof! Wir brauchen keine Läden mehr anbieten, da
sich dies bis dato als äußerst schwierig gestaltete.“
„Keine Läden mehr“: da aber hatte Andreas Schnoor
den Last-minute-Reisevermarkter L'tur längst unter
Vertrag: „L'TUR/NEUES REISEBÜRO: Slogan ,Nix wie
weg' - Last Minute Urlaub. Reisebüro wird von Figur
,Andrea' übernommen. Motiv wird jetzt gebaut.“ Dieser Abschluss wurde noch umgesetzt. Es wurde ein
Höhepunkt an optischem Product-Placement und
dialogintegriertem Verbal Placement.
DEBATTE
1.6.2005 Nr. 42 ■ epd medien
• am 20. Juni: Sülo kommt nach Hause, L'turAngebotszettel in der Hand, und schwärmt: „Hallo
Mädels! Ich weiß jetzt, wohin ich in Urlaub fahre. Ich
fliege in die USA! Und weißt du was? Die Preise, die
sind so günstig, da reicht das ganze Geld sogar für'n
Trip an die Westküste. Da wollt' ich immer schon mal
hin. Das ist die Stadt überhaupt: die Menschen! Die
Toleranz! Das Lebensgefühl! Da gibt es durchgeknallte
Typen - da passt einfach alles!“ Die „Mädels“: „San
Francisco?“ - Sülo: „Ja, woher wisst ihr das?“
Reiseshop im „Marienhof“ I
Am 6. Mai 2003 war man damit auf Sendung: Andreas Reisebüro erstrahlte in frischem Glanz - und im
Original-Corporate-Design von L'tur: mit Magenta als
Markenfarbe, ovalem Firmenlogo und dem markenrechtlich geschützten Slogan „Nix wie weg“ darin, mit
Original-L'tur-Werbezetteln auf dem Tresen im TVReisebüro und mit aktuellen Sonderangeboten auf
Plakaten, die, oft in Nahaufnahme, reizvolle Destinationen und marktnahe Preise zeigten. Rechtzeitig zur
Hauptreisezeit wurde L'tur während zehn Wochen
vom 6. Mai bis 16. Juli 2003 in 31 „Marienhof“Episoden ins Bild gerückt. Innerhalb der Episoden kam
es zu 24 massiven und 20 weniger massiven Markenpräsentationen.
• am 24. Juni: Sülo am Verkaufstresen, über Reiseangebote gebeugt: „Du, Andrea, danke! Ich glaube, das ist
es. Und so günstig!“ - Andrea: „Es freut mich, wenn du
zufrieden bist.“
• am 25. Juni: Angeboten wird ein All-inclusive-Urlaub
mit Tenniskurs auf Lanzarote für 599.- Euro. Kim: „Ist
das günstig?“ - Andrea: „Ja, das ist der Hammer. Da
sparst du 300 Euro zum regulären Preis.“
• am 2. Juli: „Bei Andrea gibt es richtig geile Luxusreisen für total wenig Geld. Hotel mit Vollpension, Flug
und allem drum und dran.“
Das war auf den Punkt getextet: offenbar alles Folgen
mit „aktiver Beratungsumsetzung“.
Ab dem 18. Juli war der Reiseladen erstmals abgeändert, erinnerte weniger stark an L'tur. Der damals
noch für die Programmabnahme zuständigen
ARD/BR-Redakteurin Stephanie Heckner war aufgefallen, dass das „Marienhof“-Reisebüro zu stark an
L'tur erinnerte - von Stephan Bechtle, damals noch
Produzent der Daily Soap, verlangte sie, das abzustellen.
Im Sinne der H.+S.-Spezialität „Themen-Placement“
war aber vorher auch verbal in Dialogen reichlich
Werbung für das Konzept des Last-minute-Reisens
untergebracht worden:
• am 20. Mai 2003: Elena Zirkowski will gegen den
Willen ihrer Mutter eine Schauspielausbildung in New
York beginnen. Die Frage, wie willst du denn den Flug
bezahlen, beantwortet sie so: „Ich brauch deine finanzielle Unterstützung gar nicht, ich hab nämlich was
gespart. Bei ,Nix wie weg' gibt's außerdem jetzt auch
Flüge nach New York. Sehr, sehr billig!“
• am 27. Mai: Trixi: „Hast du noch'n Flug sie für bekommen?“ - Frederik: „Ja, ein Last-minute-Ticket. Von
Andrea. Für nur 99.- Euro!“ - Charly: „Wow!“
Reiseshop im „Marienhof“ II
„Wer hat da wie viel an wen gezahlt?“
Die Serie „Marienhof“ ist seit 1. Oktober 1992 im Programm, seit dem 2. Januar 1995 kommt sie täglich
(montags bis freitags). 2637 Folgen sind inzwischen
gesendet worden. Die Serie wird derzeit von durchschnittlich 2,81 Millionen Menschen gesehen (Marktanteil: 12,4 Prozent im 1. Quartal 2005). Bis in die heutige
Zeit hinein tauchten im „Marienhof“ immer wieder Markennamen auf, die auffällig ins Bild gerückt werden.
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DEBATTE
• Am 6. Juni 2003 überraschte der „Marienhof“ mit
einem serienintegrierten Verkaufsgespräch für die real
existierende Badelotion „Calinda“ - 29 Sekunden lang
und damit exakt in Werbespotlänge.
„Calinda“ in der „Marienhof“-Drogerie
In der Drogerie M+P war die Figur „Luca“ als Verkäufer im flirtigen Gespräch mit einer älteren Kundin zu
sehen: „Nehmen Sie noch dieses herrlich entspannende
Schaumbad mit. Natürlich passend in der Farbe. Da
wird das Baden zum reinen Vergnügen.“ Der Vertreiber
der Lotion, die Taxor AG in Berlin, aber dementiert
jegliche Veranlassung.
• Am 30. Juni 2003 gab der „Marienhof“ Tipps für die
Freizeitgestaltung. Inge Busch fragte Friedrich Dettmer: „Gibt's da nicht in Hamburg gerade dieses ABBAMusical?“ - Dettmer: „Ja, ,Mamma Mia!'. Soll ganz gut
sein. Kollege war neulich da. Aber da muss man sich
rechtzeitig um die Karten kümmern.“ Der Spanier
Gaspar hatte online Erfolg: „Aber im Internet!“ - da
waren noch Karten zu bekommen. Die MusicalVeranstalterin Stage Holding erklärte dazu, für diese
Verbal Placements nichts gezahlt zu haben. Lediglich
Karten für das Musical habe man gestellt, nachdem
ein „Außenrequisiteur“ darum gebeten hatte.
„Florida Boy“: mehrfach im Einsatz
• Am 7. August 2003 wunderte sich eine Zuschauerin,
dass der Darsteller Simon-Paul Wagner („Marlon
Berger“) in mehreren Szenen ein „Florida Boy“-T-Shirt
trug. „Das irritiert mich sehr“, schrieb sie an die ARDZuschauerredaktion. „Ist Schleichwerbung in der ARD
nicht verboten? Wer hat da wie viel an wen gezahlt?“
Das sei nur jugendlicher Kleidungsstil gewesen, bekommt sie zur Antwort, und kein Product-Placement:
„Diese Werbeform ist im öffentlich-rechtlichen Fernsehen speziell nicht erlaubt.“ Wie die ARD dementierte auch die Pepsi-Cola GmbH: keine werbliche
Absicht!
• Gelegentlich wird's im „Marienhof“ sogar politisch.
So am 23. April 2004, als der umstrittene EU-Beitritt
der Türkei Thema war. Im Rahmen einer Schulstunde
dozierte der als Gast in die Klasse geladene türkische
Gemüsehändler „Sülo Özgentürk“ (gespielt von Giovanni Arvaneh), sein Heimatland bemühe sich doch
sehr um demokratische Reformen und auch die Emanzipation der Frau: „Die Harems sind abgeschafft - ich
glaube, wir können bei der Gleichberechtigung hoffen.“
Raffiniert plädierte Sülo für Integration: „Ich denke,
die Türkei braucht einen starken Partner in den Punkten Menschenrechte und Wirtschaftsangelegenheiten.
Und diesen Partner sucht sie auch, und so jemanden
stellt die EU vor.“ – Ob das bezahlte politische Ideenwerbung war? Aus Geschäftsunterlagen geht zumindest hervor, dass Kultur+Werbung vor längerer Zeit
dem Verband Türkischer Unternehmer und Industrieller in Europa e.V. ein Platzierungs-Angebot für den
„Marienhof“ unterbreitet hatte. Eine Anfrage an diese
Organisation mit dem Kürzel „ATIAD“, ob dies realisiert wurde, blieb ohne Antwort.
• Ebenfalls wie ein Themen-Placement mutet dieses
Fallbeispiel an: Vom 28. August 2003 bis 1. März
2004 wurde im „Marienhof“ ein lang gestreckter
Handlungsbogen entfaltet, bei dem die Vorzüge einer
Kinderpatenschaft bei World Vision optisch und verblich hervorgehoben wurden: Lehrer „Friedrich Dettmer“ (gespielt von Gerd Udo Feller) hatte plötzlich ein
Patenkind in Brasilien, das eines Herzklappenfehlers
wegen in Deutschland behandelt werden musste:
„Und World Vision hat's organisiert, dass ein Kölner
Spezialist sie operiert. Ist das nicht toll?“ Dettmers
WG-Partnerin „Inge Busch“ schwärmte: „World Vision
kümmert sich phantastisch um die Kinder!“
Später holte World Vision das gesundete Mädchen in
einer offiziellen Limousine mit Markenzeichen an der
Tür wieder ab. - Doch das Hilfswerk World Vision, das
noch im vergangenen Jahr zum Beispiel eine Reportagereihe von n-tv mit finanziert hatte (epd 14/05), will
in diesem Fall von einer Bezahlung nichts wissen:
„Man ist auf uns zugekommen, weil man Paten-
DEBATTE
schaften ins Drehbuch einbauen wollte und ein paar
Informationen und Requisiten von uns wünschte“,
erklärte Pressesprecher Kurt Bangert auf epd-Anfrage.
Empfehlung: eine Patenschaft bei Word Vision
• Andreas Reiseladen war seit September 2003 mit
Flachbildschirmen der Marke „Belinea“ ausgestattet.
In fast zwei Dutzend Folgen war die Marke im Bild,
bis die Requisite Ende 2004 abgeändert und mit dem
fiktiven Namen „FLAT“ versehen wurde. Der Hersteller
Maxdata dementierte, die vorherige Platzierung veranlasst zu haben, fand es aber „schön, dass die Monitore so prominent gezeigt werden“.
Maxdata-Monitor im „Marienhof“-Reiseshop
• Am 19. November 2004 prangte in einer KlinikSpielszene plötzlich das grüne Logo der „AOK“ über
der Schulter von Sven Thiemann („Charly Kolbe“) - die
Krankenkasse dementiert, dies veranlasst zu haben.
• Am 16. März 2005 posierte Viktoria Brams („Inge
Busch“) vor einem Werbeplakat für das Entwässerungsmittel „Biofax“. Der zuständige Produktmanager
beim Hersteller Strathmann AG erinnerte sich spontan, dies sei eine Empfehlung der Mediaagentur des
Hauses gewesen. Später aber dementierte er ausdrücklich.
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Sprachregelung: „Haben wir nichts für gezahlt!“
Nicht alle dieser Beispiele lassen sich definitiv auf
bezahltes Placement zurückführen. Mal dürfte es
wirklich Zufall oder dramaturgisch gewollte Realitätsnähe sein, mal könnte das eingeholte Dementi zu
einer vorher verabredeten Taktik der Leugnung gehören. Andreas Schnoor spricht mit seinen Medien- und
Wirtschaftskunden vorher ein „Wording“ ab, wonach
der Kunde nur kostenlos Requisiten bereitgestellt
habe. Und sollte doch einmal eine Zahlung an einen
Fernsehproduzenten auffliegen, wolle man diese „Produktionskostenzuschuss“ nennen.
Das ist auch die Art und Weise, wie Ute Sandbeck ihre
Interessenten im Verband gegen drohende Enthüllungen impfte, in diesem Fall am Beispiel „Schimanski“:
„In dem Moment, wenn da ein Redakteur von einer
Zeitung anruft, müssen Sie natürlich sagen: Ja, das
war Zufall, dass er das getrunken hat. Haben wir
nichts für gezahlt! Da hat er halt Red Bull getrunken!“
Der Getränkehersteller, dessen blau-rot-silberne Dosen 2003 auch im „Marienhof“ Verwendung fanden,
ließ eine epd-Anfrage dazu unbeantwortet.
Die Reihe der Merkwürdigkeiten im „Marienhof“ ließe
sich fortsetzen: mit Modemarken, Körperpflegeprodukten, Waschmitteln, Handys, Unterhaltungselektronik, Musikbands, Filmplakaten, Alkoholika und vielem
anderen. Die heutige „Marienhof“-Produzentin Bea
Schmidt erklärte zu einigen der Beispiele, es handele
sich dabei nicht um bezahlte Platzierungen: „Markenartikel setzen wir in einzelnen Zusammenhängen aus
dramaturgischen Gründen bewusst sein, um eine
bestimmte Atmosphäre zu erzeugen bzw. um die
,normale' Realität darzustellen (life style feeling,
Authentizität o.ä.).“
Doch „Marienhof“ ist kein Einzelfall. Auch in den
„Rosenheim-Cops“, die die Bavaria für das ZDF herstellt, fanden sich im Sommer 2004 und auch in der
aktuell laufenden Staffel zahlreiche Auffälligkeiten beispielsweise immer wieder Bierreklame für den
Rosenheimer Hersteller Flötzinger Bräu. Deren Verkaufsleiter Georg Kast erklärt das mit einem „Gentlemen's Agreement“ mit einem Mitarbeiter der Bavaria,
den er aber namentlich nicht nennen will. Ob Flötzinger-Bräu für die Platzierung seiner Marke zahlen
müsse? Kast: „Na gut, was ist umsonst?“
Der verantwortliche ZDF-Redakteur der „RosenheimCops“ kam interessanterweise direkt von der Bavaria
Film nach Mainz. In München war er früher stellvertretender Headwriter des „Marienhofs“ - also mitten
im Geschehen. In einem epd-Interview behauptete er
jedoch 2003, Schleichwerbeversuche seien ihm in
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12 epd medien ■ Nr. 42 · 1.6.2005
DEBATTE
jener Zeit nie aufgefallen. Sofort nach dem Gespräch
brach er die vereinbarte Vertraulichkeit, alarmierte die
Bavaria und möglicherweise auch die H.+S. direkt, die
er angeblich gar nicht kannte.
Der verantwortliche Produzent Oliver Vogel war zu
einer Stellungnahme nicht bereit. So konnte er nicht
zu dem gehört werden, was die Agentur K+W eigener
Darstellung zufolge mit ihm verabredet hatte: „Mit
dem Produzenten wurde festgelegt, dass es hier drei
Integrationsmodelle gibt:
1) Ausstattungsplacement (A): Hier geht es darum,
Plakate, Aufkleber bzw. Produktausstattung für Arztzimmer, OP etc. zu verkaufen. Einmal der Markenname pro Folge, Preisvorschlag EUR 20.000.
2) Product-Placement (PP): Hier geht es um die
selbstverständliche Anwendung eines Produkts, wie
z.B. eine Infusionslösung am Tropf. Der Markenname
wird sichtbar. Es wird nicht darüber geredet. Es hat
keinen direkten ,thematischen Bezug'. Es findet nur
die richtige, produktgerechte Anwendung statt. Preisvorschlag EUR 20.000.
AOK-Logo im „Marienhof“
Pharmawerbung in Saxonia-Produktion
Nicht nur die Bavaria-Mutter in München ist über
viele Jahre begehrtes Zielobjekt der Schleichwerbeversuche des Andreas Schnoor gewesen. Auch die
Bavaria-Tochterfirmen Maran Film („Fabrixx“), Nostro,
Nova Film („Der Landarzt“), Colonia Media („Tatort“,
„Schimanski“, „Jede Menge Leben“) und Saxonia Media sind betroffen. Ein besonders krasses Beispiel ist
für die von der Saxonia produzierte ARD-Ärzteserie
„In aller Freundschaft“ dokumentiert.
Einem K+W-Projektstatusbericht zufolge, der dem epd
ebenfalls vorliegt, kam es in dieser Hauptabendserie
von 2002 bis 2003 in mindestens neun Fällen zu
bezahlter Pharmawerbung - was einen dreifachen
Gesetzesbruch darstellt: erstens verbotene Schleichwerbung, da innerhalb des Programms und bezahlt,
zweitens ausgestrahlt nach der für ARD und ZDF
geltenden 20-Uhr-Werbegrenze und drittens natürlich
ohne den für Arzneimittelwerbung vorgeschriebenen
Warnhinweis.
Drehbuchintegrierte Krankheitsbilder wie Alzheimer,
Asthma, Epilepsie, Fatigue Syndrom, Morbus Fabry
und Multiple Sklerose waren jeweils der Anlass, um
über bestimmte Medikamente, mindestens aber
Wirkstoffe zu sprechen. Das interne Papier vom 6.
Dezember 2002 benennt konkret die Episoden und
Sendedaten sowie die Pharmakunden, die für bis zu
30.000 Euro pro Folge bedient wurden oder noch
bedient werden sollten. Von fünf Pharmaunternehmen
bzw. aus deren Umkreis gibt es inzwischen Bestätigungen, dass es diese hochproblematische Medienkooperation tatsächlich gegeben hat.
3) Themenplacement (TP): Hier kann es nur um Wirkstoffe und nicht um Marken gehen. Dann können
thematisch breite Aussagen stattfinden. (...) Es handelt sich hier um eine aufwändige Dramaturgie. Kostenvorschlag EUR 30.000.“
Beim Projekt „In aller Freundschaft“ war auch wieder
Ute Sandbeck aktiv. Die Produktion hatte offenbar
versprochen, ihr „jeweils für 1 Folge die verabschiedeten medizinischen Themen gemäß eines Exposés bzw.
Abrisses (zu) geben“. Sandbeck werde diese Informationen weitergeben. Schon vier Tage vorher war nach
einem „Monatsmeeting“ im Arbeitsprotokoll festgehalten worden, Sandbeck werde versuchen, „immer
aktuell die Krankheitsbilder von der Produktion zu
bekommen, die aktuell entwickelt werden (kurzfristig!).
Diese werden wir dann umgehend an MA weiterleiten.“
„MA“ - damit war erneut die Münchener Kollegenagentur MA.Media gemeint, die über besonders gute
Kontakte zur Pharmaindustrie verfügen soll. Für die
Saxonia und „In aller Freundschaft“ gingen K+W und
MA damals gemeinsam auf Kundenfang.
Das Beispiel „In aller Freundschaft“ gibt auch Hinweise auf die von Ute Sandbeck im Kundengespräch
behauptete direkte Zusammenarbeit mit Drehbuchautoren. Über einen der Autoren der Serie heißt es
anlässlich der Storyentwicklung für ein ParkinsonMedikament: „Hier hat sich der Fachberater schon
Gedanken für eine Story gemacht.“ Das „Briefing“ des
Kunden sei bereits dem Drehbuchautor zugeschickt
worden - offenbar zwecks Umsetzung in Dialoge. Ute
Sandbeck werde dann mit der Produktion sprechen.
Kurz vor Weihnachten 2002 wurde es zeitlich eng. Um
ein Mittel gegen das Erschöpfungssyndrom „Fatigue“
DEBATTE
1.6.2005 Nr. 42 ■ epd medien
kundengerecht zu integrieren, sollte sich eine K+WMitarbeiterin als Redakteurin betätigen: „Drehbuch
muss von SF bis 20.12.2002 bearbeitet werden, damit
es in der zweiten Drehbuchfassung integriert ist.“ Den
vorliegenden Unterlagen zufolge war das Thema „Fatigue“ am 25. Juni 2002 schon einmal im ARDProgramm gewesen - in Folge 183, projektiert für den
13. Mai 2003, sollte es wieder auf Sendung sein.
um. 1998 und 1999 sei der Umsatz auf drei Mio. DMark gestiegen, so die Datenbank. Für die Jahre seit
2000 sind keine Angaben mehr zu erhalten.
Befragt man „Marienhof“-Autoren über die Praktiken
bei ihrer Serie, stößt man, auch unter Zusicherung
von Informantenschutz, auf eine Mauer des Schweigens. Als Freie sind sie die schwächsten Glieder in der
Kette, können jederzeit ihre Arbeit verlieren. Eine Liste
von „Sponsoren“ soll es gegeben haben, deren Unterstützung für die Produktion sich aber auf Sachleistungen beschränkt habe, heißt es. Ein zweiter erinnert
sich immerhin an „plumpe Anregungen“, doch mal
dieses oder jenes Thema zu erwähnen, hält aber eine
systematische Drehbuchbeeinflussung für eher unwahrscheinlich. Ein dritter berichtet, dass es bis vor
etwa fünf Jahren, noch in der Hochzeit der Werbekonjunktur, hin und wieder per E-Mail Ansinnen der
Dramaturgie gegeben haben, doch mal diesen oder
jenen Markennamen einzubauen oder einen aktuellen
Kinofilm zu nennen. Das sei ärgerlich gewesen, aber
inzwischen vorbei.
• welche Werbekunden in dieser und anderen Fernsehserien auf welche Art und Weise programmintegriert bedient wurden
In der „Marienhof“-Apotheke: „Biofax“
Die Bavaria Film muss jetzt aufklären,
• wie viele der fast 2700 „Marienhof“-Episoden
Schleichwerbung enthielten,
• und in welchem Maße die Bavaria selbst, ihre
Töchter oder aber produktionsbeteiligte Privatpersonen an den Einnahmen aus Schleichwerbegeschäften
partizipiert haben.
In der PP-Branche heißt es, dass der Agent und Vermittler (also H.+S. u.a.) für sich maximal 30 Prozent
behalte; der Durchschnittswert seiner Provision dürfte
eher bei 20 bis 25 Prozent liegen. Sollte das auch bei
den Bavaria-Kooperationen gegolten haben, müsste
man annehmen, dass Schnoor den Löwenanteil seiner
Einnahmen aus den PP-Geschäften an seine Medienpartner weitergab. An wen genau, in welcher Form
und über welchen (Um-)Weg, das ist klärungsbedürftig.
Andreas Schnoor und Ute Sandbeck wollten zu Fragen
nach ihren Geschäftspraktiken keine Auskunft geben.
Im beendeten Klageverfahren gegen die Recherchen
für epd medien und „journalist“ hatte sich die H.+S.
als „Trendscout“ hingestellt, der der Bavaria nur Tipps
gebe, welche Mode beispielsweise unter Jugendlichen
gerade in sei - als wüssten das deren rund 25 Autoren
und Storyliner beim „Marienhof“ nicht selbst. Zwar
lasse sich die Agentur den „Werbereflex“ im Fernsehprogramm - also genau der „Werbezweck“, den der
Rundfunkstaatsvertrag verbietet - von ihren Kunden
vergüten, an das jeweilige Produktionsunternehmen
werde aber nicht gezahlt. Wenig überzeugend auch
dieser selbstbezügliche Regelkreis: „Die Klägerin vergütet ausschließlich sich selbst.“
Die Bavaria muss umfassend aufklären
Bleibt die Frage: Wohin floss das Geld? Die Honorarforderungen von H.+S. sind bekannt, die Umsätze der
Firma auch. Einer Wirtschaftsauskunftei zufolge meldete die Kultur+Werbung GmbH Werbegesellschaft
für kulturelle Einrichtungen für 1998 und 1999 jeweils drei Millionen D-Mark Umsatz (heute rund 1,5
Mio. Euro). 1,5 Mio. Euro sollen es auch für die letzten
Jahre bis 2004 gewesen sein. Die zweite SchnoorFirma, H.+S. Unternehmensberatung GmbH, setzte
demnach bis 1997 jährlich zwei Millionen D-Mark
Bavaria-Geschäftsführer Thilo Kleine räumte Mitte
Mai ein, dass es die beschriebenen „Kooperationen
mit Dritten“ einschließlich der Pharma-Schleichwerbung tatsächlich gegeben hat. Allerdings sei er
persönlich über „Umfang“ und „die einzelnen Vorgänge“ vorher nicht informiert gewesen: „Eine Information der Produzenten an die Geschäftsführung der
Bavaria Film über die Placements fand nicht statt.“
Die Einnahmen aus diesen unerlaubten Nebengeschäften seien „nicht zur Deckung von Kosten“ bei der
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DEBATTE
„Marienhof“-Produktion verwendet worden, so Kleine
weiter. Dabei wäre das ja noch eine optimistische
Variante gewesen, weil man mit einer besseren Ausstattung der Serie hätte argumentieren können. Aber
mit knapp 20 Millionen Euro, die die ARD-Werbung
Sales & Services als Auftraggeberin an die Bavaria für
rund 250 Folgen jährlich überweist, gilt die Serie als
vollfinanziert. Die Bavaria muss sich nicht etwa einen
Restbetrag anderweitig besorgen. Auch so genannte
Produktionskostenzuschüsse Dritter sind nicht erlaubt.
Zur zweiten Möglichkeit - persönliche Bereicherung
Einzelner - erklärte Kleine auf Anfrage, Mitarbeiterbefragungen hätten „in keinem Fall“ ergeben, dass
womöglich Produktionsbeteiligte persönlich von den
Placements profitiert hätten. Zu einer dritten Option
gab Kleine Ende Mai diese offizielle Erklärung ab: „Die
Erlöse sind innerhalb der Bavaria im Rahmen von
zusätzlichen Developments und Eigenproduktionen
(z.B. Kinofilme) eingeflossen.“
Close-up: Logo mit L’tur-Slogan im „Marienhof“
„Leider zu spät“ abgemahnt
Thilo Kleine, der erst jüngst mit „Speer und Er“ auch
wieder als Produzent hervorgetreten ist, beteuert in
Reaktion auf die Enthüllungen, jetzt werde aufgeräumt. Zwar habe die Tochterfirma Bavaria Sonor
früher tatsächlich Geschäftsbeziehungen zu Kultur+Werbung unterhalten; die seien aber inzwischen
gekappt. Schnoors Firma sei abgemahnt worden, nicht
mehr im Namen der Bavaria Werbekunden einzuwerben oder Kontakt zu Bavaria-Mitarbeitern aufzunehmen. Doch wann genau erging die Abmahnung? Bereits 2003, als die Bavaria-Führung erstmals mit den
Rechercheergebnissen konfrontiert wurde, oder erst in
jüngster Zeit? Kleine dazu: „Leider zu spät.“
Seine Versicherung für morgen: „Es wurde ein Maßnahmenkatalog beschlossen, der sicherstellt, dass in
Zukunft keine Kooperationen mit Dritten mehr stattfinden.“ Wie aber stand es um Kleines interne Aufsichtsfunktion in der Vergangenheit?
Schleichwerbung: eine Verbotsnorm
epd Schleichwerbung ist sowohl nach dem
Rundfunkstaatsvertrag (RfStV) wie nach dem
Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG)
verboten. Dem Gesetzgeber geht es dabei um die
gebotene Trennung von Programm und Werbung,
um den Schutz der Verbraucher vor Irreführung
und um die Vermeidung von Wettbewerbsnachteilen für Unternehmen, die nicht von
Product-Placement profitieren konnten oder
wollten.
„Schleichwerbung und entsprechende Praktiken
sind unzulässig“, heißt es in Paragraf 7 (6) RfStV.
Paragraf 2 (6) definiert ergänzend, Schleichwerbung sei „die Erwähnung oder Darstellung von
Waren, Dienstleistungen, Namen, Marken oder
Tätigkeiten eines Herstellers von Waren oder
eines Erbringers von Dienstleistungen in Programmen, wenn sie vom Veranstalter absichtlich
zu Werbezwecken vorgesehen ist und die
Allgemeinheit hinsichtlich des eigentlichen
Zwecks dieser Erwähnung oder Darstellung
irreführen kann“. Eine Erwähnung oder Darstellung, so das Rundfunkgesetz der Bundesländer
weiter, gelte „insbesondere dann als zu Werbezwecken beabsichtigt, wenn sie gegen Entgelt
oder eine ähnliche Gegenleistung erfolgt“.
Umstritten ist die Definition „Veranstalter“ im
Gesetzestext. Zunächst ist damit der Sender
selbst gemeint. In einem Beanstandungsverfahren
gegen RTL und den Fernsehproduzenten Endemol
hat die zuständige Landesmedienanstalt aber die
Auffassung vertreten, dass sehr wohl auch ein
Produzent als „Veranstalter“ im Sinne des Gesetzes in die Pflicht genommen werden könne.
Dem folgte das Oberlandesgericht Celle in einem
2002 ergangenen Urteil.
Das Verbot gilt für öffentlich-rechtliche wie
private Rundfunkveranstalter gleichermaßen. Für
bundesweite Privatsender wie RTL oder Sat.1 ist
ein Verstoß gegen die Norm obendrein eine
Ordnungswidrigkeit, die mit einer Geldbuße von
bis zu 500.000 Euro geahndet werden kann. Für
die ARD oder das ZDF gilt dies nicht. Hintergrund
dieser Ausnahme ist die Überlegung des Gesetzgebers, dass die öffentlich-rechtlichen Sender
eine etwa zu zahlende Geldbuße über die Rundfunkgebühr wieder auf die Zuschauer und Hörer
abwälzen könnten.
lili
DEBATTE
Die Bavaria droht ihren eigenen Aufsichtsrat, ihre
Gesellschafter und Auftraggeber zu blamieren. Der
Aufsichtsratsvorsitzende Reinhard Grätz hatte noch
Mitte März in seiner Eigenschaft als WDRRundfunkratsvorsitzender erklärt, das Beteiligungscontrolling des Senders (der über seine WDR Mediagroup mit 33,35 Prozent größter Einzelgesellschafter
der Bavaria ist) habe ein „hohes Niveau“, die Geldströme zwischen Mutter und Töchtern seien absolut
transparent. Für die Geldströme zwischen Töchtern
und externen Partner gilt das so leider nicht.
„Sofortige Sonderprüfung“
Grätz, der dem Bavaria-Aufsichtsrat seit 1995 vorsteht, zeigte sich nach einem Recherchegespräch
„höchst alarmiert“ und berief für Anfang Mai eine
Sondersitzung der Bavaria-Gesellschafter ein. Diese
wollten sich nun für „eine umfassende Aufklärung der
vermuteten Schleichwerbung“ einsetzen, teilte Grätz
hinterher auf Anfrage mit. Sollten sich die Praktiken
bestätigen, würden sie „sofort unterbunden“ und „mit
unnachsichtigen Sanktionen belegt“. Zunächst aber
solle die Bavaria-Geschäftsführung einen Bericht
vorlegen. Außerdem sei ein Wirtschaftsprüfer mit
einer „sofortigen Sonderprüfung“ beauftragt worden.
Die Bavaria-Geschäftsführung hatte bis 20. Mai nach
eigener Darstellung keinen Überblick über die ungefähre Höhe der unerlaubten Nebeneinnahmen in den
letzten zehn Jahren. Anderes sei vorgegangen, so Thilo
Kleine gegenüber epd: „Der Geschäftsführung war es
wichtig, Maßnahmen zu ergreifen, die Placements in
der Zukunft wirksam verhindern.“
Achim Rohnke, Geschäftsführer der ARD-Werbung
und WDR-Vertreter innerhalb der BavariaGesellschafterversammlung, hatte schon im Mai 2003
angesichts einer Bilddokumentation der L'turPlacements gesagt: „Dass es in einer Seifenoper ein
Reisebüro als Handlungsort gibt, finde ich relativ
realistisch. Wenn es eine bewusst ausgestattete Geschichte wäre, dann fällt das - darüber braucht man
gar nicht lange zu diskutieren - unter den Tatbestand
der Schleichwerbung.“
Inzwischen ist bewiesen und wird von der Bavaria
eingeräumt, dass es „bewusst ausgestattet“ war. Als
Werbezeitenvermarkter erkannte Rohnke damals
sofort auch einen Wettbewerbsverstoß: „Wenn das so
ist, dass dort schleichemäßig agiert wird, dann ärgert
es mich umso mehr, als ich diese Kunden natürlich
lieber im Werbeblock hätte. Ein kurzer Blick auf meine
Werbebuchungen zeigt mir, dass Werbegelder aus
diesem Bereich nicht in der klassischen Werbung im
Umfeld der Daily Soaps gelandet sind. Insofern ist das
1.6.2005 Nr. 42 ■ epd medien
Werbung, die echt am Vermarkter vorbeigeht. Wenn
die woanders auftauchen sollte, mehr oder weniger
versteckt, schadet uns das als Werbezeitenvermarkter.
Ich kann nur dagegen sein.“
Geschäftsschädigung oder gar Betrug?
Ein offenkundiger Konflikt zum Nachteil der ARD.
Inzwischen wurde Rohnke noch deutlicher: PPMaßnahmen wie die beschriebenen, so erklärte er
dem epd am 10. Mai, seien „geschäftsschädigend“.
„Der Sender ist unser Feind“, hatte Andreas Schnoor
im April 2003 bei einem (verdeckten) Besuch seiner
Firma gesagt. Und seine Mitarbeiterin Ute Sandbeck
erklärte ihren erhofften Neukunden vor einigen Jahren: „Dass man dafür zahlt, ist an sich auch gang und
gäbe. Und die ganzen Werbespots: wenn jeder wegzappt, dann muss man sich andere Wege überlegen,
und so etwas ist natürlich sehr effizient.“
Blamiert steht auch die ARD da, denkt man an ihre
wortstarken Selbstverpflichtungen zur strikten Trennung von Werbung und Programm aus dem vergangenen Jahr (epd 47, 73/04). Im Wort steht außerdem
ARD-Programmdirektor Günter Struve, unter dessen
Oberhoheit die beschriebenen Vorgänge jahrelang
weitgehend unentdeckt möglich waren. „Schleichwerbung ist verboten. Und deshalb gibt es sie nicht“,
sagte er noch im vergangenen Jahr auf den „Stendener Medientagen“. Und noch deutlicher in einem
Zeitungsinterview: „Schleichwerbung ist Gift und
Galle. Wenn man sie findet, muss man sie bekämpfen.“
Struve stellte Anfang Mai auf epd-Anfrage klar, die
Agenturen von Andreas Schnoor seien der ARD nicht
bekannt gewesen, ebenso nicht eine Zusammenarbeit
mit der Bavaria. Vor allem aber, so der Programmdirektor unmissverständlich: „Der Produktionsvertrag
verbietet ausdrücklich jegliche Form von ProductPlacement. Die Sanktionsmöglichkeiten des Auftraggebers im Falle eines Verstoßes gegen dieses Verbot
sind weitreichend, da es sich um einen Betrugstatbestand handeln könnte.“
„
15
16 epd medien ■ Nr. 42 · 1.6.2005
INLAND
„ INLAND
Bavaria Film verdiente
über Jahre an Schleichwerbung
„Marienhof“ und andere Serien betroffen –
ARD „höchst alarmiert“
Frankfurt a.M. (epd). Im Fernsehprogramm der ARD
ist jahrelang illegale Schleichwerbung platziert
worden. In der Serie „Marienhof“ und in anderen
ARD-Sendungen wurden nach epd-Recherchen
zehn Jahre lang Werbeaussagen und Botschaften
für Firmen und Interessenverbände versteckt.
Demnach hatte es die ARD-Produktionsfirma Bavaria Film zwei Münchener Privatfirmen über Jahre
erlaubt, Schleichwerbung für den „Marienhof“ zu
akquirieren. Die PR-Botschaften der zahlenden
Kunden oder deren Markenzeichen wurden anschließend von der Bavaria in die Fernsehserie,
teilweise sogar in Drehbuchdialoge eingebaut (vgl.
Leitartikel in dieser Ausgabe).
Die Bavaria Film, die mehrheitlich öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten (WDR, SWR und MDR)
gehört, hat eingeräumt, dass sie an diesen Einnahmen
beteiligt wurde: „Die Erlöse sind innerhalb der Bavaria
im Rahmen von zusätzlichen Developments und Eigenproduktionen (z.B. Kinofilme) eingeflossen“, erklärte Geschäftsführer Thilo Kleine. Wie hoch die
Gesamtsumme war, könne er noch nicht sagen. Der
Geschäftsführung sei es wichtig gewesen, zunächst
„Maßnahmen zu ergreifen, die Placements in der
Zukunft wirksam verhindern“. Von den Praktiken im
Detail habe er nichts gewusst, von den Produzenten
sei er nicht informiert worden.
Honorarforderungen bis zu 175.000 Euro
Die Schleichwerbung wurde von der Münchner Unternehmensberatung H.+S. und ihrer Schwesterfirma
„Kultur und Werbung“ eingeworben. Im Rahmen verdeckter Recherchen verlangte H+S für zehn in die
„Marienhof“-Serie integrierte Placements einen Paketpreis von 175.000 Euro. Nach dem Rundfunkstaatsvertrag ist insbesondere die Honorierung ein
Indiz für den Tatbestand rechtswidriger Schleichwerbung.
Der Höhepunkt war im Frühsommer 2003 erreicht, als
der Reisediscounter L'tur während zehn Wochen in 31
„Marienhof“-Episoden auffällig ins Bild gerückt und
das Konzept des Last-minute-Buchens in so genannten „Verbal Placements“ mehrfach wörtlich gelobt
wurde.
Auch die Bavaria-Tochterfirma Saxonia in Leipzig
beteiligte sich an den unerlaubten Nebengeschäften.
In der ARD-Ärzteserie „In aller Freundschaft“ ließ sie
von 2002 bis 2003 in mindestens neun Fällen bezahlte Pharmawerbung unterbringen. Einem internen
Papier zufolge wurden dafür von der Vermittlungsagentur bis zu 30.000 Euro pro Folge verlangt. Bavaria-Geschäftsführer Kleine hat auch diesen Vorgang
eingeräumt.
Gesellschafter ordnen Sonderprüfung an
Die ARD reagierte „höchst alarmiert“. Reinhard Grätz,
Vorsitzender des WDR-Rundfunkrats und auch des
Bavaria-Aufsichtsrats, betonte, das Kontrollgremium
sei nicht eingeweiht gewesen. Die Gesellschafter der
öffentlich-rechtlichen Produktionsfirma hätten eine
sofortige Sonderprüfung angeordnet. Der Programmdirektor der ARD, Günter Struve, erklärte, der mit der
Bavaria geschlossene „Marienhof“-Produktionsvertrag
verbiete ausdrücklich jegliche Form von ProductPlacement. Die Sanktionsmöglichkeiten des Auftraggebers im Falle eines Verstoßes gegen dieses Verbot
seien weitreichend, „da es sich um einen Betrugstatbestand handeln könnte“.
Auch die ARD-Werbung, die im Umfeld von „Marienhof“ (montags bis freitags, 18.20 bis 18.50 Uhr) reguläre Spotwerbung verkauft, sieht sich hintergangen.
Nebengeschäfte mit Product-Placement seien für den
regulären Werbezeitenvermarkter geschäftsschädigend, sagte Geschäftsführer Achim Rohnke dem epd.
Die ARD-Werbung gibt die Herstellung der Seifenoper
seit 1992 bei der Bavaria Film in Auftrag. Für rund
250 Folgen pro Jahr überweist sie jährlich knapp 20
Millionen Euro nach München.
Die seit drei Jahren laufenden Recherchen des Fachdienstes „epd medien“ mussten im Mai 2003 unterbrochen werden, nachdem die Firma H.+S. gerichtlich
gegen den verantwortlichen epd-Redakteur vorgegangen war (vgl. weitere Meldung in dieser Ausgabe).
lili
„ PERSONALIEN
Köln (epd). Christof Schirrmacher (43) übernimmt
ab Mitte Mai bei der Gruner + Jahr Wirtschaftspresse
die neue Position des Leiters „Verkaufsstrategie und
Verkaufsplanung“. Er soll damit nach Verlagsangaben
die „Kunden- und Service-Orientierung“ der Wirtschaftstitel „Börse Online“, „Capital“ und „Impulse“ weiter ausbauen. Schirrmacher arbeitet seit
2002 bei Gruner + Jahr; unter anderem war er Leiter
des Verlagsbüros Düsseldorf.
INLAND
OLG München bekräftigt
Recht zur verdeckten Recherche
Streitfall Schleichwerbung – Klage gegen
epd-Redakteur blieb erfolglos
München (epd). Das Oberlandesgericht München
hat das Recht zur verdeckten Recherche von Journalisten bekräftigt. In dem Fall um illegale
Schleichwerbung im ARD-Programm hatte die
Unternehmensberatung H.+S. (München) gegen
einen Redakteur des Evangelischen Pressedienstes
auf Unterlassung geklagt. Das Gericht entschied in
zweiter Instanz, nur verdeckte Recherche habe es
dem Journalisten ermöglicht, „an die Informationen zu gelangen, die ihn überhaupt erst in die Lage
versetzen, den Schleichwerbungsvorwurf gegenüber der Klägerin journalistisch relevant und gefestigt zu verifizieren“ (Az. 6 U 3236/04).
In dem Rechtsstreit, der sich fast zwei Jahre lang
hingezogen hatte, war versucht worden, dem Redakteur die Verwendung von Geschäftsunterlagen der
Firma sowie eines verdeckt aufgezeichneten Videos zu
untersagen, das der Redakteur allerdings nicht selbst
aufgenommen hatte. Es zeigt eine Mitarbeiterin der
Firma, wie sie einem potenziellen Neukunden
Schleichwerbung in der ARD-Fernsehserie „Marienhof“ anbietet. Dieses Video hatte der Redakteur bei
Recherchegesprächen eingesetzt. Die zivil- und strafrechtlichen Vorhaltungen der Klägerin wurden alle
vom OLG München verworfen.
Das Oberlandesgericht entschied, dass „auch die Publikation rechtswidrig recherchierter Informationen“ in
den Schutzbereich des Artikel 5 Grundgesetz falle.
Besonders im Falle des öffentlich-rechtlichen Fernsehens bestehe ein Interesse der Allgemeinheit daran,
„dass nicht mittels Schleichwerbung der angebotenen
Art zum einen den öffentlich-rechtlichen Sendern
Werbeeinnahmen entgehen, zum anderen auf Kosten
der Allgemeinheit Geschäfte getätigt werden, deren
Gewinn an der Allgemeinheit vorbeigeführt wird“. Der
klagenden Firma stünden Unterlassungs-, Auskunftsund Schadenersatzansprüche „unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt“ zu.
Das rechtskräftige Urteil vom 20. Januar sei ein
„Musterurteil zum investigativen Journalismus“ und
sichere die Pressefreiheit, kommentierte die Münchener Medienrechts-Kanzlei Prof. Schweizer (siehe auch
die Urteilsdokumentation im Internet unter:
www.kanzlei-prof-schweizer.de/bibliothek/urteile/
index.html?id=12676&suchworte=
sowie www.journalist.de).
1.6.2005 Nr. 42 ■ epd medien
Die Kanzlei hatte den epd-Journalisten vor Gericht
vertreten. Die Recherche war gemeinsam vom Fachdienst „epd medien“ und dem Magazin „Journalist“,
der Zeitschrift des Deutschen Journalisten-Verbandes,
geführt worden. In beiden Publikationen sind die
Ergebnisse der Recherche zeitgleich am 1. Juni veröffentlicht worden (vgl. Leitartikel und Meldung in
dieser Ausgabe).
ts
Gruner + Jahr zieht sich aus
Magazingeschäft in USA zurück
Kundrun: Keine Perspektive – Konzentration
auf Märkte in Osteuropa und Asien
Hamburg (epd). Das Verlagshaus Gruner + Jahr hat
angekündigt, es werde sich ganz aus dem amerikanischen Zeitschriftengeschäft zurückziehen. Die
sechs im Besitz von G+J befindlichen Magazine in
den USA würden verkauft, teilte das Verlagshaus
am 24. Mai mit.
Die Bertelsmann-Tochter habe mit der Meredith Corporation eine grundsätzliche Vereinbarung getroffen,
dass diese die Zeitschriften „Family Circle“, „Child“,
„Parents“ und „Fitness“ übernehme, so das Verlagshaus. Der Kaufpreis betrage 350 Millionen Dollar. Bis
zum 30. Juni könne G+J USA zudem die beiden Wirtschaftsmagazine „Inc“ und „Fast Company“ entweder
an Meredith oder an einen anderen Verleger verkaufen. Die Transaktion stehe noch unter Kartellvorbehalt.
Der G+J-Vorstandsvorsitzende Bernd Kundrun kündigte an, der Verlag werde sich künftig vor allem auf
die Märkte Osteuropa und Asien konzentrieren. Um
die Expansionsstrategie des Verlags fortzusetzen, sei
es notwendig, sich „konsequent und diszipliniert aus
Geschäftsaktivitäten“ zurückzuziehen, „die nicht die
Perspektive haben, eine führende Marktposition oder
unsere Rentabilitätsnormen zu erreichen“. Für das
Magazingeschäft in den USA habe der Verlag diese
Perspektive nicht mehr gesehen.
G+J USA war nach eigenen Angaben gemessen am
Umsatz der sechstgrößte Magazinverlag in den USA.
Diese Position habe man in den vergangenen Jahren
nicht verbessern können, hieß es. Das Magazingeschäft habe in den USA seit längerer Zeit stark unter
Druck gestanden.
Die Bertelsmanntochter hatte 1978 als erster deutscher Zeitschriftenverlag den Schritt ins amerikani-
17
18 epd medien ■ Nr. 42 · 1.6.2005
INLAND
sche Zeitschriftengeschäft getan. 2000, zu Hochzeiten
der „New Economy“, hatte G+J noch einmal stark in
das US-Magazingeschäft investiert (epd 53/2000).
Unter anderem soll der Verlag für das Wirtschaftsmagazin „Fast Company“ 375 Millionen Dollar bezahlt
haben. Im vergangenen Jahr erzielte er 22 Prozent
seines Umsatzes in den USA, dazu zählen allerdings
auch die Erlöse aus den Druckereien. Insgesamt lag
der Konzernumsatz 2004 bei 2,44 Milliarden Euro
(epd 22-23/05). Im Oktober vergangenen Jahres hatte
G+J USA bereits die Jugend-Zeitschrift „YM“ an den
Verlag Condé Nast abgegeben.
Schlechte Presse für G+J USA
Das „Wall Street Journal“ bezeichnete den Rückzug
von G+J aus dem US-Geschäft als „Schande“ für G+J
und für Bertelsmann. Anfang des Jahres hatte die USTochter zum wiederholten Male Unregelmäßigkeiten
bei der Angabe der Auflagenzahlen einräumen müssen. Ende 2002 war der deutsche Verlagsableger in
den USA in die Schlagzeilen geraten, weil er sich vor
Gericht eine viel beachtete Auseinandersetzung mit
der amerikanischen Moderatorin Rosie O'Donnell
lieferte. G+J verklagte die Journalistin, nach der das
Magazin „Rosie“ benannt war, auf hundert Millionen
Dollar Schadensersatz, weil sie mit einem radikalen
Imagewechsel das Magazin ruiniert haben soll (epd
93/02).
Unabhängig vom Verkauf der Zeitschriften bleibe G+J
mit der 100-prozentigen Verlagstochter Brown Printing (BPC) auf dem US-Druckmarkt engagiert, teilte
der Verlag mit. Erst im Februar habe das Unternehmen
55 Millionen US-Dollar in eine BPC-Druckerei in Minesota investiert. BPC ist nach Verlagsangaben das
viertgrößte Druckunternehmen für Magazine und
Kataloge in den USA.
In Frankreich hat die Bertelsmann-Tochter soeben ein
neues Unternehmen gegründet, in dem Axel Ganz,
bislang Leiter des Unternehmensbereichs Zeitschriften
USA und Frankreich, neue Zeitschriften für den französischen Markt entwickeln will. Die Leitung der
französischen G+J-Tochter Prisma Presse übernimmt
Fabrice Boé, der seit März 2004 dort Verlagsgeschäftsführer der Frauenzeitschriften ist.
dir
Werbewirtschaft: Erstmals seit
drei Jahren wieder Umsatzplus
ZAW: „Trendwende“ – Investitionen für
Werbung stiegen auf 29,2 Mrd. Euro
Berlin (epd). Die deutsche Werbewirtschaft sieht
Anzeichen für ein Ende der Rezession. „Die Werbebranche hat ihre dreijährige Umsatzkrise überwunden“, sagte Hans-Henning Wiegmann, Präsident
des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) bei der Vorlage des Jahresberichts
2004 am 24. Mai in Berlin. Zwar sei die Geschäftsentwicklung nach wie vor alles andere als
dynamisch, aber eine „Trendwende“ sei dennoch
spürbar. Erstmals seit drei Jahren erzielte die
Branche wieder ein Umsatzplus.
Der ZAW begrüßte in diesem Zusammenhang die
Ankündigung von vorgezogenen Neuwahlen zum
Bundestag. Das Land entgehe dadurch „einer rund
anderthalbjährigen Phase des Richtungsstreites“,
sagte Wiegmann. Neuwahlen könnten dagegen „die
existenzielle Reformpolitik über den Zeitraum einer
gesamten Wahlperiode mittelfristig ausrichten und
damit auch zur psychischen Entlastung bei Unternehmen und Konsumenten beitragen“. Gegenwärtig
fehle es an „Planungssicherheit“, und das „mangelnde
Zukunftsvertrauen“ hemme Investitionen. Auch die
Werbedynamik könne durch rasche Klarheit der politischen Richtung für die nächsten vier Jahre neue
Impulse erhalten.
Nach Angaben des ZAW stiegen die Werbeinvestitionen im vergangenen Jahr um 310 Millionen Euro oder
1,1 Prozent auf 29,2 Milliarden Euro. Noch im Vorjahr
waren die Werbeausgaben im Vergleich zu 2002 um
780 Mio. Euro gesunken.
Vor allem die Medien profitierten von der Wende am
Werbemarkt. Mit 19,6 Mrd. Euro Umsatz (plus 1,6
Prozent) vereinigten sie 67 Prozent aller Werbeausgaben in Deutschland. 2003 waren die Nettoumsätze in
den Medien noch um 4,3 Prozent zurückgegangen. Als
Wachstumsmotor habe sich unter anderem die „intensive Eigenwerbung der Medien“ erwiesen. Nach
ZAW-Schätzungen investierten die Medien 2004 rund
1,4 Mrd. Euro in ihre Marktkommunikation. Dies entspricht sieben Prozent der Erlöse aus dem Werbegeschäft.
Neun der dreizehn vom ZAW erfassten Mediengattungen erwirtschafteten einen Zugewinn. Nach Jahren drastischer Erlöseinbrüche erzielten die deutschen
Tageszeitungen mit einem Umsatz von 4,5 Mrd. Euro
erstmals wieder ein Plus von einem Prozent (Vorjahr:
INLAND
minus 9,8 Prozent). An zweiter Stelle folgt das Fernsehen mit einem Umsatz von 3,86 Mrd. Euro, was
einem Plus von 1,3 Prozent (Vorjahr: minus 3,7 Prozent) entspricht.
Publikumszeitschriften verloren
Steigende Umsätze verbuchten auch die Werbung per
Post sowie die Anzeigenblätter mit einem Plus von 2,9
bzw. 5,2 Prozent. Im Aufwind befindet sich auch der
Hörfunkwerbemarkt, der nach jahrelanger Krise ein
Plus von 6,9 Prozent verbuchte. Dagegen sanken die
Werbeumsätze von Publikums- und Fachzeitschriften
erneut um 1,2 bzw. 1,4 Prozent. Ein zweistelliges Plus
erreichte mit 10,2 Prozent der Online-Werbemarkt,
dessen Gesamtvolumen allerdings nach wie vor bei
bescheidenen 271 Mio. Euro liegt.
Eher zurückhaltend beurteilt der ZAW die Aussichten
für eine deutlichere Erholung der Werbekonjunktur.
Der Verband gehe für 2005 von einem Plus von nur
einem Prozent aus, sagte Präsident Wiegmann. Von
den 41 im ZAW organisierten Verbänden rechneten
nur 25 Prozent mit steigenden Investitionen in den
kommenden Monaten. Auch von der Fußball-WM
2006 erwartet lediglich ein Drittel „starke Impulse“
für den Werbemarkt.
Zur gesellschaftspolitischen Debatte um die Rolle der
Unternehmer und das bundesdeutsche Wirtschaftssystem bemerkte Wiegmann, er halte Gewinnmaximierung „durchaus für ein gutes Wort“. Ohne Gewinne, zu denen auch die Werbung ihren Beitrag leiste,
werde ein Unternehmen „krank“. Er sehe aber in der
wieder aufgetauchten Kapitalismusdebatte eine
„Chance, den Kreislauf der Marktwirtschaft, des Systems, der ordnungspolitischen Notwendigkeiten, der
Rolle der Werbung öffentlich zu diskutieren und
transparent zu machen“.
Kritik an EU-Kommission
Kritisch bewertete der ZAW-Präsident die von der EUKommission „angeschobene“ Verordnung über gesundheitsbezogene Werbeaussagen bei Lebensmitteln.
Diese sei ein „bürokratisches Monster“, sagte er. Diese
Politik gehe von dem „Irrtum des Erfolgs von Werbezensur“ aus. Damit aber werde „Druck auf die Dynamik des Werbemarktes“ ausgeübt. Unternehmen würden vor diesem politischen Hintergrund die Schaltung
von Werbung in den klassischen Medien „stärker
überdenken“.
Auch in den Arbeitsmarkt der Werbeberufe ist Bewegung gekommen. 2004 stieg die Anzahl der Stellenangebote von werbenden Unternehmen, Agenturen
1.6.2005 Nr. 42 ■ epd medien
und Medien um 39 Prozent auf knapp 3300. Die Arbeitslosenquote in der Werbebranche sank auf 4,8
Prozent, nachdem sie im Jahr zuvor mit 5,2 Prozent
den höchsten Stand seit zehn Jahren erreicht hatte. In
der gesamten Werbebranche waren nach ZAWAngaben Ende 2004 etwa 352.000 Menschen beschäftigt.
kel
DJV kritisiert Kürzung
der ARD-Politikmagazine
Konken: „Unpassender Zeitpunkt“ –
Verweis auf Landespressegesetze
Berlin (epd). Der Deutsche Journalisten-Verband
(DJV) hat die Entscheidung der ARD-Programmdirektoren kritisiert, die politischen Magazine der
ARD einheitlich auf 30 Minuten zu kürzen (epd
41-42/05). „Gerade jetzt ist der absolut unpassende Zeitpunkt, um eine Kürzung der Sendezeit der
Politikmagazine überhaupt nur in Erwägung zu
ziehen“, erklärte der DJV-Bundesvorsitzende Michael Konken am 25. Mai.
„Im Moment ist doch offenkundig, wie schnell politisches Geschehen unübersichtlich werden kann“, sagte
Konken mit Blick auf mögliche Neuwahlen in
Deutschland. „Die Bürger werden von den Ereignissen
überrollt und verunsichert und sind auf Aufklärung,
Kontrolle und Kritik durch die Medien angewiesen.“
Die Programmdirektoren aber planten, sich mit der
Kürzung der Politikmagazine künftig teilweise dieser
Verantwortung zu entziehen, so Konken.
Der DJV sieht die öffentlich-rechtlichen Sender zu
„umfangreicher politischer Berichterstattung“ verpflichtet. Einschaltquoten dürften kein Kriterium sein,
vielmehr müsse das Hauptaugenmerk im Sinne der
Demokratie auf gut informierten Wählern liegen.
Der Bundesvorsitzende des DJV forderte die ARDIntendanten daher auf, den Plan noch zu kippen. „An
diese geht unser Appell: Stimmen Sie nicht zu, denn
die Empfehlung, alle Magazine zu kürzen, beinhaltet
das schlimmste aller in den letzten Monaten diskutierten Szenarien“, sagte Konken. „Die Politikmagazine
der ARD stehen für den kritischen Journalismus, den
die Landespressegesetze fordern.“
rid
19
20 epd medien ■ Nr. 42 · 1.6.2005
INLAND
Amelie Fried stellt Strafanzeige
gegen militante Nichtraucher
DVB-T in Bayern
„reibungslos“ gestartet
Gästebuch der Homepage lahmgelegt –
Verleumdungen auf Kinderbuch-Seite
Ring: Zuschauer entscheidet – Egenbauer:
Jetzt 43 Mio. Einwohner Gesamtreichweite
Bremen (epd). Amelie Fried, Moderatorin der Talkshow „3 nach 9“, geht juristisch gegen Belästigungen militanter Nichtraucher vor. Wie Radio Bremen mitteilte, war das Gästebuch auf der privaten
Homepage der 46-Jährigen lahmgelegt worden,
nachdem sich die Moderatorin in ihrer Talkrunde
freundlich zu rauchenden Gästen verhalten hatte.
Anschließend seien auf Amelie Frieds KinderbuchWebseite Einträge mit verleumderischem Inhalt
erschienen. Gegen die Urheber dieser Einträge habe
die Moderatorin Strafanzeige wegen übler Nachrede gestellt.
München (epd). Mit einem symbolischen Knopfdruck durch Ministerpräsident Edmund Stoiber ist
am 30. Mai die terrestrische Fernsehausstrahlung
in Bayern von analoger auf digitale Technik umgestellt worden. Wie das Projektbüro DVB-T Bayern mitteilte, erfolgte die Umschaltung reibungslos.
Auf Amelie Frieds persönlicher Internetseite
(www.ameliefried.de) ist das Gästebuch zurzeit gesperrt. Dagegen ist der beanstandete Eintrag auf der
Kinderbuchseite www.tacoundkaninchen.de immer
noch online. Unter dem Pseudonym „Halbe Lunge“
schreibt dort ein Nutzer: „Amelie Fried ist ein Agent
der Tabakfirmen. Sie nimmt Bestechungsgeld damit in
der Sendung ,3 nach 9' geraucht werden darf. Dadurch ist sie ein schlechtes Vorbild für alle.“
Fried, selbst Nichtraucherin, wies sämtliche Vorwürfe
zurück und beklagte die Form der Kritik als unangemessen. „Die Anti-Raucher sind heute das, was früher
die radikalen Tierschützer waren“, sagte Fried dem
Magazin „Spiegel Online“ am 28. Mai. „Die Formulierungen der Proteste erinnern mich an Gesinnungsterrorismus, das ist doch einfach krank.“ Es sei nicht ihre
Aufgabe als Moderatorin, erwachsene Gäste zu disziplinieren, so Fried.
Nach Auskunft von Radio Bremen werden auch andere Talkshows, in denen Gäste rauchen dürfen, seit
geraumer Zeit von Nichtrauchern angeprangert. Dies
geschehe durch meist ähnlich lautende Briefe oder EMails. Einige Nichtraucheraktivisten träfen ihre Verabredungen in speziellen Diskussionsforen im Internet. Sie wendeten sich auch direkt an prominente
Gäste und forderten diese zu Protesten auf, sagte „3
nach 9“-Redakteur Jörn Wöbse dem epd am 24. Mai.
Die Radio-Bremen-Talkshow stellt es ihren Gästen
frei, während der Sendung zu rauchen, sofern alle
Teilnehmer damit einverstanden sind. Wahrscheinlich
wird sich nun der Rundfunkrat des Senders mit dem
Thema befassen.
rid
Die tatsächlichen Versorgungsgebiete in München,
Südbayern und im Großraum Nürnberg entsprächen
den Empfangsprognosen der Netzbetreiber Bayerischer Rundfunk (BR) und T-Systems Media&Broadcast. Die Erwartungen seien bei ersten BR-Testmessungen bestätigt und in Einzelfällen sogar übertroffen worden. 6,2 Millionen Einwohner in Bayern
hätten nun die Möglichkeit, digital über Antenne
fernzusehen.
Seit Start von DVB-T strahlen die privaten TVAnbieter ihre Fernsehprogramme über Antenne nur
noch digital aus. Auch die öffentlich-rechtlichen
Rundfunkanstalten senden ihre Programme vom Sender Wendelstein (südbayerischer Raum) und vom
Sender Dillberg ab dem 30. Mai nur noch digital. Die
Stadtgebiete München und Nürnberg sollen noch für
drei Monate vom Olympiaturm München und vom
Fernsehturm Nürnberg sowohl digital mit 24 TVProgrammen als auch analog mit den drei öffentlichrechtlichen Programmen Das Erste, ZDF und Bayerisches Fernsehen versorgt werden, teilte das Projektbüro weiter mit.
Danach würden die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die analoge Versorgung auch an diesen
beiden Senderstandorten einstellen. Über das verbleibende Sendernetz des BR und der T-Systems würden
in Bayern aber weiterhin die drei öffentlich-rechtlichen TV-Programme Das Erste, ZDF und Bayerisches
Fernsehen analog verbreitet.
Anlässlich des Starts der digitalen Terrestrik forderte
BR-Intendant Thomas Gruber, die Umstellung auf
digital-terrestrische Verbreitung dürfe „nicht an der
Stadtgrenze halt machen“. Jürgen Doetz, Präsident
des Verbandes Privater Rundfunk und Telekommunikation, betonte die hohe Akzeptanz des digitalen
Antennenfernsehen in der Bevölkerung. Für den künftigen „scharfen Wettbewerb“ alter und neuer Distributionswege müsse man DVB-T „auf der Rechnung
haben“, so Doetz.
INLAND
Wolf-Dieter Ring, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien, betonte, die Entscheidung
für DVB-T bedeute keinesfalls eine politische Festlegung auf die Fernsehübertragung via Antenne. Die
BLM unterstütze die Digitalisierung „unabhängig vom
Übertragungsweg“. Der Zuschauer sei es, der über die
künftige Bedeutung der unterschiedlichen Übertragungswege entscheide. Der Deutsche Kabelverband
hatte jüngst wieder eine Bevorzugung und Subventionierung von DVB-T zu Lasten der Kabelnetze kritisiert
(vgl. Meldung in dieser Ausgabe).
Helmut Egenbauer, Sprecher der Geschäftsleitung von
T-Systems Media&Broadcast, erklärte, mit den Regionen München/Südbayern und Nürnberg habe sich die
Reichweite von DVB-T in Deutschland auf jetzt insgesamt 43 Millionen Einwohner erhöht. Diese „rasante Entwicklung“ sei auch im internationalen Vergleich „beispielhaft“.
lili
Kabelnetzbetreiber
investieren 185 Millionen Euro
Verband hebt Vorteile gegenüber anderen
Techniken hervor – Kritik an ASTRA
Berlin/Köln (epd). Die großen Kabelnetzbetreiber
investieren nach eigener Darstellung „massiv“ in
den Ausbau der digitalen Infrastruktur. Einer Mitteilung des Deutschen Kabelverbands vom 30. Mai
zufolge belief sich das Investitionsvolumen von
Kabel Deutschland, ish (NRW), iesy (Hessen) und
Kabel Baden-Württemberg im vergangenen Jahr
auf insgesamt rund 172 Millionen Euro. Für 2005
planen die Unternehmen demnach Aufwendungen
von weiteren 185 Mio. Euro. Das Geld werde für
den breitbandigen Ausbau der Kabelnetze und für
die Einführung von Digital-TV, schnellem Internet
und Telefondiensten als so genanntes Triple Play
im Kabel verwendet.
Über die Netze der großen Kabelbetreiber (der so
genannten Netzebene 3) sollen dem Kabelverband
zufolge bis Ende 2005 rund 4,1 Millionen Haushalte
in der Lage sein, neben dem Fernsehempfang auch
Internet und Telefon aus dem Kabelnetz zu beziehen;
Ende 2004 seien es 3,65 Mio. gewesen.
Die Mitglieder des Deutschen Kabelverbands setzten
laut Mitteilung im vergangenen Jahr vor Steuern rund
1,9 Milliarden Euro um und beschäftigen aktuell rund
4180 Mitarbeiter; Arbeitsplätze in nachgelagerten
Branchen wie Callcenter, technische Dienstleister und
1.6.2005 Nr. 42 ■ epd medien
Lieferanten seien dabei nicht mitgerechnet. Der Interessenverband äußerte sich kurz vor Beginn der Branchenmesse „ANGA Cable“ vom 31. Mai bis 2. Juni
2005 in Köln.
Der Verbandsdarstellung zufolge sind die Internetangebote aus dem Kabel konventionellen Übertragungstechniken in Preis und Geschwindigkeit deutlich
überlegen, und zwar je nach Anbieter bis zu 78-mal
schneller als ISDN. Bei Telefondiensten böten die
Kabelbetreiber erhebliche Preisvorteile gegenüber den
etablierten Festnetz-Anbietern. Die Kabelbetreiber
nutzten die Vorteile der internetbasierten Voice-OverIP-Technologie, böten dabei jedoch den gewohnten
Komfort und die volle Gerätekompatibilität von ISDNTelefonanschlüssen.
Der DVB-T-Technik „deutlich überlegen“
Digitales Fernsehen und Radio seien in allen Netzen
der großen Kabelbetreiber flächendeckend verfügbar.
Die Mitglieder des Deutschen Kabelverbands speisen
laut Mitteilung bis zu 130 digitale TV-Programme und
23 digitale Radiosender in ihre Netze ein. Dazu gehörten unter anderem auch die 28 digitalen Programme von Premiere, bis zu 60 Fremdsprachenprogramme sowie zum Teil 47 moderations- und werbefreie Audiokanäle. Zusätzlich verblieben die vertrauten analogen Angebote ebenfalls im Kabel: Mit bis zu
37 TV- und 34 Radiosendern sei das gewohnte analoge Kabel der „durch Steuer- und Gebührenmittel hoch
subventionierten“ digitalen terrestrischen Übertragung (DVB-T) „deutlich überlegen“, hob der Kabelverband im Hinblick auf den neuen konkurrierenden
Übertragungsweg hervor.
Der Deutsche Kabelverband äußerte sich aktuell auch
zum marktbeherrschenden Satelliten-Direktempfang.
Entgegen einer Mitteilung des Satellitenbetreibers
ASTRA sei die Zahl der an die Kabelnetze von iesy, ish,
Kabel Baden-Württemberg und Kabel Deutschland
angeschlossenen Haushalte in Deutschland stabil
geblieben. ASTRA habe in einer im Februar veröffentlichten Pressemitteilung Zuwachsraten für den Satelliten- auf Kosten des Kabel-Empfangs gemeldet, bei
den Erhebungen jedoch lokale, über Satellit versorgte
Kabelhaushalte (so genannte „SMATV“-Haushalte) als
Sat-Haushalte deklariert (epd 16/05). Dies hält der
Kabelverband für irreführend. Mit einem stabilen
Marktanteil von 55,9 Prozent und einem „vielfältigen
und hochmodernen Produktportfolio“ bleibe das Kabel
„die wichtigste und wachstumsstärkste Medieninfrastruktur in Deutschland“.
Rüttger Keienburg, Präsident des Deutschen Kabelverbands, äußerte am Rande der „ANGA Cable“ in Köln:
21
22 epd medien ■ Nr. 42 · 1.6.2005
INLAND
„Wenn wir das Kabel jetzt aus seiner derzeitigen
politischen und medienrechtlichen Überregulierung
befreien, kann es seine Rolle als Innovations- und
Jobmotor für den Medien- und Technologiestandort
Deutschland richtig entfalten.“ Der Deutsche Kabelverband hatte im vergangenen Jahr einen DreiPunkte-Plan zur Liberalisierung des Medienrechts
vorgelegt (epd 82/04).
lili
Kabel Deutschland plädiert für
Gleichbehandlung bei Digitalisierung
DVB-T-Werbung führt Verbraucher irre –
Neuer Infokanal über Digital-TV
München (epd). Anlässlich des DVB-T-Starts in
Bayern hat die Kabel Deutschland GmbH für eine
Gleichbehandlung des Kabels bei der Digitalisierung des Fernsehens plädiert. Der Vorsitzende der
Geschäftsführung, Roland Steindorf, erklärte am
30. Mai in München, DVB-T werde völlig zu Unrecht als Einstieg in das digitale Fernsehen bezeichnet. Die TV-Zuschauer würden durch die derzeitigen massiven Werbemaßnahmen für DVB-T
völlig verunsichert.
Den Verbrauchern sei nicht klar, dass DVB-T auf 24
Programme begrenzt sei, nicht überall in Deutschland
empfangen werden und keine zusätzlichen AboProgramme wie Premiere oder Kabel Digital Home
verbreiten könne. Zudem wüssten sie auch nicht, dass
DVB-T den Einsatz neuer Technologien wie das Hochauflösende Fernsehen HDTV, interaktives Fernsehen
oder die Nutzung von Festplattenrecordern verhindere.
Um den Informationsdefiziten zu begegnen, kündigte
Kabel Deutschland zum 1. Juni einen Informationskanal für digitales Fernsehen an, den Kabel Deutschland
Infokanal. Er soll den Zuschauern neben der visuellen
und textlichen Erklärung des Wechsels von der analogen zur digitalen Empfangstechnik auch Informationen zu den bereits digital empfangbaren Programminhalten im Abo-Paket „Kabel Digital Home“ bieten.
Die Zuschauer sollten in die Produktwelt von Kabel
Digital hineinschnuppern und sehen können, was auf
den einzelnen Sendern laufe, sagte Manuel Cubero,
Direktor Kabel TV von Kabel Deutschland. Gezeigt
würden dort kurz- und langformatige Programmausschnitte, Infos zu Programmhighlights, Imagetrailer
und Senderinfos.
Der Kabel Deutschland Infokanal werde ab dem 1.
Juni in die Kabelnetze in Bayern und Hamburg sowie
ab dem 1. Juli auch in die von Niedersachsen eingespeist. Eine Ausdehnung auf das ganze Versorgungsgebiet von Kabel Deutschland sei geplant. Laut Cubero sendet der Kabel Deutschland Infokanal auf Basis
einer Pilotprojektlizenz der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) täglich von 12 bis 24 Uhr.
Man sei jedoch auch mit anderen Landesmedienanstalten in Verhandlungen, um das im analogen Kabelspektrum verbreitete Infoprogramm als Mediendienst lizenzieren zu lassen.
Mit dem Infoangebot sollen laut Cubero ab 1. Juli 4,7
Millionen Kabel-Haushalte erreicht werden können.
Durch Verhandlungen mit Betreibern der Netzebene 4
versuche Kabel Deutschland, diese Zahl weiter zu
erhöhen. Angestrebt sei die Zahl von 10 Millionen
erreichbaren Haushalten. Produziert wird der Kabel
Deutschland Infokanal von Plazamedia, einem Tochterunternehmen der EM.TV-Gruppe.
Noch keine Einigung mit Privatsendern
Steindorf bestätigte, dass Kabel Deutschland nach wie
vor mit den großen privaten Sendergruppen RTL und
ProSiebenSat.1 über den Umstieg von der analogen
zur digitalen Programmverbreitung im Kabel verhandele. „Wir wollen das Signal der privaten Sendergruppen zu den gleichen Bedingungen wie es andere Infrastrukturen bereits zur Verfügung gestellt wird – und
zwar kostenlos“, forderte er. Kabelkunden sollten
weder bevorteilt noch benachteiligt werden. Es gehe
darum, das digitale Signal im Kabel allen Zuschauern
ohne Zusatzkosten sobald wie möglich zur Verfügung
zu stellen und die bisherige Wettbewerbsverzerrung
zu Ungunsten des Kabels zu beenden.
Die „immer wieder angesprochene Verschlüsselung
des digitalen Signals im Kabel ist für uns nicht mehr
vorrangig“, sagte er. Kabel Deutschland beabsichtige
nicht, das bisherige freie analoge Signal im Kabel
durch eine Verschlüsselung kostenpflichtig zu machen. Vielmehr gehe es nur darum, zu wissen, wer
überhaupt das Programm von Kabel Deutschland
schaue. Nur so könne man die TV-Kunden künftig
besser adressieren.
Steindorf zeigte sich zuversichtlich, noch im Laufe des
Juni zumindest mit RTL eine einvernehmliche Lösung
hinsichtlich einer kostenlosen Übergabe des RTLSendesignals erzielen zu können. „Das kann dann später auch noch zu anderen Geschäftsmodellen führen“,
meinte er. Auch in den Gesprächen mit ProSiebenSat.1
sei man auf gutem Wege. Hier sei die Gesamtproblematik nur anders gelagert, weil ProSiebenSat.1 seinerseits das Thema Abo-Fernsehen verfolge.
eck
INLAND
BDZV kritisiert Zypries-Pläne
für Handelsregister
Daten nur noch im Internet? – Studie:
Zeitungen wichtigste Informationsquelle
Berlin (epd). Die Pläne von Bundesjustizministerin
Brigitte Zypries (SPD), sämtliche Handelsregisterdaten ab 2007 nur noch im Internet zu führen,
stoßen beim Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) auf starke Kritik. Mit dem neuen
Konzept würden den Tageszeitungen wichtige Anzeigeneinnahmen entzogen, so der BDZV. Nach
einer Studie, die der Verband in Auftrag gegeben
hatte, recherchieren zudem nur 30 Prozent der
Unternehmer im Internet nach Handelsregisterdaten. 80 Prozent hätten die Zeitung als wichtigste
Informationsquelle genannt, teilte der BDZV am
24. Mai mit.
Bisher besteht für Unternehmen die Pflicht, Handelsregisteranzeigen in Zeitungen zu veröffentlichen; in
Zukunft soll das nur noch freiwillig geschehen. Der
Referentenentwurf des Justizministeriums für ein
Gesetz über Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister sieht vor, dass
Handels-, Genossenschafts- und Partnerschaftsregister bis zum 1. Januar 2007 auf elektronischen Betrieb
umgestellt werden. Die Daten sämtlicher deutscher
Handelsregister sollen dann über das Suchformular
des Länderportals www.handelsregister.de abgerufen
werden können. Über dieses Portal sollen die Unternehmen ihre Handelsregisterdaten veröffentlichen.
Das Ministerium erklärt in einer Mitteilung, der
Rechts- und Wirtschaftsverkehr erhalte mit dem
neuen Modell einen „schnellen, komfortablen und
preiswerten Zugriff“ auf die wichtigsten veröffentlichungspflichtigen Unternehmensdaten. Das stärke
den Wirtschaftsstandort Deutschland, denn Investoren könnten ihre Entscheidungen künftig anhand
leicht zugänglicher Informationen treffen. Außerdem
erhielten Existenzgründer erheblich schneller den
Eintrag ihrer Gesellschaften in das Register.
Probleme für kleinere Unternehmen
Der BDZV führt eine Reihe von Argumenten gegen
den Referentenentwurf an. Die Tageszeitungen verfügten über eine wesentlich höhere Reichweite in der
Bevölkerung als das Internet, so der Verband. Interessierte, die keinen Internetzugang hätten – hierzu
gehörten viele kleinere Unternehmen – würden vom
direkten Zugang zu Handelsregisterinformationen
abgeschnitten, wenn diese ausschließlich im Netz
bereitgestellt werden.
1.6.2005 Nr. 42 ■ epd medien
Eine Studie des Hamburger Instituts BIK Umfrageforschung, die der BDZV in Auftrag gegeben hatte, untermauert nach Ansicht des Verbandes die Kritik am
Entwurf. Fast 80 Prozent der befragten Unternehmen
betrachteten demnach die Handelsregisterdaten in
der Zeitung als wichtige Informationsquelle, teilte der
BDZV mit. Lediglich 30 Prozent hätten angegeben, im
Internet zu recherchieren. Rund 70 Prozent befürchteten, dass Informationen über Unternehmen nicht
mehr genügend beachtet würden, wenn sie nur noch
im Internet stünden.
Laut BDZV wurden für die Untersuchung Geschäftsführer und leitende Angestellte aus 304 bayerischen
Unternehmen in den Bereichen Handel, Handwerk,
Dienstleistung und Hersteller befragt. Die Studie sei
aus Gründen der Vergleichbarkeit der Mediennutzung
in Bayern durchgeführt worden, weil dort bereits
Handelsregistereinträge über das Internet abgerufen
werden könnten.
Für BDZV-Hauptgeschäftsführer Dietmar Wolff liefert
die Studie den Beweis, dass die Pläne der Bundesjustizministerin „im totalen Widerspruch“ zu den Interessen der meisten Unternehmen stünden. „Gerade
dem Mittelstand erweist Frau Zypries mit ihrem Vorhaben einen Bärendienst“, erklärte Wolff. Zugleich
würden den Zeitungen wichtige Anzeigeneinnahmen
entzogen. Wirtschaft und Politik müsse daran gelegen
sein, dass Handelsregistereintragungen sowohl in der
Zeitung als auch im Internet präsentiert werden. rid
Medienmacher äußern Zweifel
am Medien-Boom des Religiösen
„Zenit durch Ereignishäufung“ – Kirchentagsdebatte zur Sinnsuche in den Medien
Hannover (epd). Das Sterben des alten Papstes, die
Neuwahl seines Nachfolgers, islamistischer Terror
und auch die Tsunami-Katastrophe haben dem
Thema Religion hohe Einschaltquoten und Schlagzeilen in den Zeitungen beschert. Von einer „Renaissance der Religion“ wollten Medienmacher
während einer Podiumsdiskussion am 27. Mai auf
dem 30. Deutschen Evangelischen Kirchentag in
Hannover dennoch nicht sprechen.
Für Claus Strunz, Chefredakteur der „Bild am Sonntag“, haben sich religiöse Themen in jüngster Zeit
lediglich gehäuft. Von einer Renaissance könne keine
Rede sein, eher von einem „Zenit durch Ereignishäufung“. Mittelfristig gebe es allerdings eine zyklische
Entwicklung „weg von der Sehnsucht nach Unsinn hin
23
24 epd medien ■ Nr. 42 · 1.6.2005
INLAND
zu einer Sehnsucht nach Ernsthaftigkeit“. Religion
habe in Deutschland eine viel geringere Bedeutung als
etwa in den USA und sei für viele Menschen Teil der
Privatsphäre.
Kurt Kister, stellvertretender Chefredakteur der „Süddeutschen Zeitung“, sieht lediglich einen Trend zur
Unterhaltung, und Religion sei Teil dieser Entwicklung. Die Berichterstattung über den Papst sei kein
religiöses Ereignis, sondern Unterhaltung. Das Christentum spiele in den Medien keine größere Rolle als
früher. Ein Kanzler, der viermal verheiratet war, sei
beispielsweise in den USA undenkbar. Kister: „In den
USA bekennen sich die Menschen, in Deutschland die
Institutionen.“
Auch Talkmasterin Sandra Maischberger nannte Religion ein „Geländerthema“, das nie wirklich weg war.
Es gebe ein großes Bedürfnis nach gemeinsamen
Erlebnissen in der Gesellschaft wie etwa in Konzerten
oder beim Fußball. Doch habe die Kirche ein verklemmtes Verhältnis zu Massenevents. Auch der Kirchentag sei eine Summe vieler kleiner Veranstaltungen. Die Empfindlichkeit der Menschen bei religiösen
Themen sei außerordentlich groß, so Maischberger.
Schon die leiseste Kritik am neuen Papst habe bei ihr
zu „hasserfüllten Reaktionen“ geführt.
Rutz: Suche nach religiöser Orientierung
Lediglich Michael Rutz, Chefredakteur des „Rheinischen Merkur“, sieht ein stärkeres Bedürfnis nach
religiösen Themen. Papst Johannes Paul II. sei für viele
Menschen ein Vorbild und ein Idol, das Frömmigkeit
ausstrahlt. Dies sei keine Suche nach Unterhaltung,
sondern nach religiöser Orientierung. Die Menschen
spürten eine Grenze, dass die Demokratie allein aus
sich heraus nicht das Gute hervorbringen kann.
Prof. Johanna Haberer, Hochschullehrerin für Christliche Publizistik, warnte davor, kirchliche Events mit
Religion zu verwechseln. Wenn die Inszenierung im
Vordergrund stehe, trete der Inhalt zurück. Auch bei
den Nazis habe es große Inszenierungen gegeben.
Spürbar sei eine neue Akzeptanz der Religion. Jemand,
der religiös sei, müsse sich heute nicht mehr dafür
entschuldigen.
Nach den Worten der US-Journalistin Melinda Crane
gibt es in den USA ein enormes Anwachsen religiöser
Medien, die Evangelikale vor allem zur Mitgliederbindung nutzen. Seit 30 Jahren wachse diese „Graswurzelbewegung“ vor allem in den Mittelstaaten der USA.
Demgegenüber hätten die traditionellen Kirchen Verluste zu verzeichnen. Crane: „Die Religiösen werden
religiöser, die anderen gehen weg.“ Präsident Bush
baue auf diese religiöse Bewegung, er brauche jedoch
auch die konservativen Nicht-Evangelikalen.
Nach den Worten des Theologen und Schriftstellers
Prof. Klaus Huizing gibt es in der unübersichtlichen
Gesellschaft ein großes Bedürfnis nach Legenden und
Heiligenbildern. Dies werde durch die Kirchen nur
unzureichend abgedeckt. Die Universitätstheologie
überfordere die Gläubigen und mache sie zu „Reflexions- Gangstern“. Stattdessen wandere die Religion in
die Filmkunst ab. „Forrest Gump“ etwa sei eine JesusGeschichte über Solidarität und Toleranz, und „Italienisch für Anfänger“ eine zärtliche Erzählung über das
Heilige im Alltag.
tm
Thierse ermuntert Medien zu
mehr positiven Nachrichten
Kirchentag in Hannover: Pfeiffer warnt
vor „Dramatisierung des Bösen“
Hannover (epd). Bundestagspräsident Wolfgang
Thierse (SPD) hat die Medien ermuntert, häufiger
positive Nachrichten zu verbreiten. Gelegentlich
sollte von dem Dogma abgewichen werden, wonach
nur schlechte Nachrichten gute Nachrichten seien,
empfahl er am 27. Mai in Hannover bei einer Kirchentagsveranstaltung über Gewalt und Medien.
Sein Wunsch für Deutschland sei es, dass öfter
auch Geschichten über Gelungenes erzählt würden.
Thierse rügte, dass in der politischen Berichterstattung häufig nicht zwischen Information und Unterhaltung getrennt werde. Der Trend zu Infotainment
trage zur Verflachung der Politik bei und diene nicht
der Aufklärung.
Vor einer „Dramatisierung des Bösen“ durch die Medien warnte Christian Pfeiffer vom Kriminologischen
Forschungsinstitut Hannover: „Wir tun so, als ob die
Zukunft des Landes im Ausbau von Gefängnissen
liegt.“ Gefragt sei hingegen der Ausbau von Ganztagsschulen, um den zunehmenden Medienkonsum
unter männlichen Jugendlichen einzudämmen und
damit zusammenhängende schlechtere schulische
Ergebnisse zu verbessern.
rc
AUSLAND
1.6.2005 Nr. 42 ■ epd medien
„ AUSLAND
Schrumpfprozess
Die BBC muss effizienter und kreativer werden / Von Jürgen Krönig
London (epd). Bei der BBC scheinen weitere Streiks
erstmal abgewendet zu sein. Geschäftsführung und
Gewerkschaften wollen weiter verhandeln, auch wenn
niemand überrascht sein sollte, wenn BBCGeneraldirektor Mark Thompson am Ende keine Zugeständnisse machen wird. Es geht um die Entlassung
von 3780 der 27.000 Mitarbeiter.
Nur die Gangart wird eine Spur sanfter ausfallen.
Zwölf Monate lang will man auf Zwangsentlassungen
verzichten. So wird denn die BBC bald schrumpfen,
wobei es dabei nicht bleiben dürfte. Mehr tut Not. Die
BBC befindet sich in einer prekären Situation. Sie
muss ihre privilegierte Stellung als einziger Nutznießer der Fernsehgebühren verteidigen, die bislang so
reichlich in ihre Kassen flossen. Das ist schwerer geworden in der Ära des digitalen Multikanalfernsehens
und angesichts eines stetig schrumpfenden Zuschaueranteils. Der ist in den letzten zwölf Monaten weiter
gesunken, von 37 auf nunmehr 33 Prozent.
Die BBC leistet sich zudem eine „Diversity Unit“, die
das Recht hat, in allen Programmbereichen auf „ethnische und geschlechtliche Gleichbehandlung“ zu
achten. Was sich lähmend auf Kreativität und Programme auswirkt. Die BBC dürfe nicht, warnt der
frühere „Panorama“- Redakteur Tom Bower, wie eine
„Abteilung der Regierung agieren, besessen von politischer Korrektheit“. Bevor ein Programmvorschlag
grünes Licht erhält, müssen Redakteure in der überzentralisierten BBC von heute unzählige Formulare
ausfüllen.
Ende der 80er war die BBC unter riesigen Kosten in
den Westen Londons umgezogen, in die neue Fernsehstadt White City, die nicht zuletzt deswegen benötigt wurde, um die Heerscharen von Bürokraten
unterzubringen. Nun werden die Nachrichten und
aktuellen Hauptabteilungen wieder ins Broadcasting
House im Zentrum der Metropole zurückverlegt, auch
wenn das leere Bürofluchten in White City bedeutet.
Kostenpunkt der Übung: an die zwei Milliarden Pfund.
Die BBC so aufgebläht wie nie zuvor
Seichter und langweiliger geworden
Die BBC muss also effizienter und zugleich kreativer
werden. An beiden Fronten hat es gehapert. Deshalb
will Thompson Stellen abbauen und Personalkosten in
Ausgaben für Programme verwandeln; rund 370 Millionen Pfund sollen dank des Effizienzprogrammes in
den nächsten drei bis vier Jahren in Dokumentarsendungen, Serien und Komödien fließen (epd 97/04,
40/05).
Der Personalabbau ist überfällig. Die Personal-, Verwaltungs- und Strategieabteilungen der BBC sind
aufgebläht wie nie zuvor. Selbst unter Greg Dyke, der
als Kämpfer gegen den bürokratischen Wust angetreten war, sind noch einmal zusätzlich 3000 Mitarbeiter festangestellt worden.
Im letzten Jahr hat die BBC zudem für so genannte
Führungskurse 75 Millionen Euro ausgegeben; viele
Redakteure meinen, diese Kurse seien nicht nur wirkungslos verpufft, sie hätten sich als geradezu kontraproduktiv erwiesen. Bei der Corporation laufen zu
viele Bürokraten und Manager herum, es wird zu viel
Geld für „Expertisen“ eigener Strategie- und „Policy“Abteilungen sowie aushäusiger Unternehmensberatungen aufgewendet, erstellt von einer Heerschar
hochbezahlter Eierköpfe, die oft keinerlei Programmerfahrung haben.
Was es den Verteidigern des öffentlich-rechtlichen
Prinzips in der Politik nicht leichter macht. Zumal das
inhaltliche Argument zu Gunsten einer gebührenfinanzierten BBC, dass sie immerhin durch die Bank
weg bessere Programme mache als die kommerzielle
Konkurrenz, erheblich an Überzeugungskraft eingebüßt hat. Die BBC ist in den 90ern stetig seichter und
langweiliger geworden und hat nur noch in einigen
Sparten und Programmen die erwartete hohe Qualität
geboten.
Mark Thompson verspricht das zu ändern. Die Regierung Blair ihrerseits hat bereits seit längerem signalisiert, dass sie nicht an der privilegierten Stellung der
BBC rütteln und ihr die Gebühren weiter exklusiv
zufließen werden. Doch dafür muss die Führung der
Corporation ihre Sparpläne verwirklichen, die Kommerzialisierung zurückdrehen, die unter Greg Dyke
beschleunigt vorangetrieben worden war, und den
Standard des öffentlich-rechtlichen Rundfunks anheben.
So lautet die stillschweigende Vereinbarung zwischen
Regierung, Parlamentsmehrheit und der BBC. Insgeheim dürften dies auch die Gewerkschaften begriffen
haben.
„
25
26 epd medien ■ Nr. 42 · 1.6.2005
AUSLAND
Prozess gegen Fallaci wegen
„Verunglimpfung des Islam“
Ankläger ist der umstrittene Konvertit
Adel Smith
Rom (epd). Die italienische Schriftstellerin Oriana
Fallaci muss sich wegen ihres letzten Buchs „Die
Kraft der Vernunft“ in ihrem Heimatland wegen
„Verunglimpfung des Islam“ vor Gericht verantworten. Die Forderung der Staatsanwaltschaft, den
Fall zu den Akten zu legen, ist von Untersuchungsrichter Armando Grasso abgelehnt worden. Fallaci
lebt seit zehn Jahren in New York.
Justizminister Roberto Castelli hat die Eröffnung des
Hauptverfahrens gegen Fallaci auf das Schärfste verurteilt. Die Journalistin habe den Mut gehabt, zu
sagen, was sie denke, so der Politiker von der ehemaligen Separatistenpartei Lega Nord, die ebenso wie
Fallaci in der Masse der islamischen Einwanderer eine
Bedrohung für Europa sieht. Castelli wertete das
Verfahren als Indiz für eine europäische Bewegung,
die alle mundtot machen wolle, die nicht mit linkem
Einheitsdenken übereinstimmten.
„Ihre Ablehnung der Muslime“
Ankläger ist Adel Smith, der Präsident der Union der
Muslime Italiens, der seinerseits wegen abfälliger
Äußerungen über das Christentum äußerst umstritten
ist. Smith, Sohn eines schottischen Vaters und Konvertit, war in der Vergangenheit wegen spektakulärer
Aktionen wiederholt in die Schlagzeilen geraten.
So wollte Smith erreichen, dass die Kruzifixe aus der
Schule seines Sohnes entfernt werden. Ein Kruzifix,
das im Krankenhauszimmer seiner Mutter hing, hatte
er aus dem Fenster geworfen, zuletzt wollte er Johannes Paul II. und den damaligen Kardinal Ratzinger vor
Gericht bringen, weil deren Aussage über die Überlegenheit des Christentums gegen die italienische Verfassung verstoße.
In dem Prozess soll es speziell um achtzehn Sätze des
Fallaci-Buchs gehen, in denen von islamischen Terroranschlägen die Rede ist, die mit dem Gehorsam gegenüber Allah begründet worden seien und denen
insgesamt 6.000 Menschen zum Opfer gefallen waren.
Den Italienern hatte Fallaci in ihrem ersten islamkritischen Buch „Die Wut und der Stolz“ vorgeworfen,
aus Mangel an Stolz zuzulassen, dass islamische Einwanderer auf ihre Denkmäler urinieren und ihre Kirchenplätze besudeln. Über die Muslime hatte sie
geschrieben, dass sie sich vermehrten „wie die Rat-
ten“. Richter Grasso sieht u.a. in dem Satz „Der Islam
tötet uns, um uns zu unterwerfen“ einen Versuch der
Autorin, „ihre Ablehnung der Muslime auf die Leser zu
übertragen“.
Staatsanwältin Maria Cristina Rota hatte mit dem
Argument, bei den scheinbar verächtlichen Äußerungen handle es sich um literarische Mittel, eine Archivierung des Falles beantragt. Sie muss nun bis zum 2.
Juni ihre Anklage formulieren, mit der das Hauptverfahren gegen Fallaci eröffnet wird.
Kernaussage von Fallacis letztem Buch ist, dass es
trotz der Gefahr einer Islamisierung Europas durch
den „demographischen Faktor“ immer noch Grund zur
Hoffnung gebe. Und zwar auf Grund der Überlegenheit des abendländischen Denkens: der Kraft der Vernunft.
bg
Dassault verkauft den „Express“
an Roularta
Der Rüstungsunternehmer will sich ganz
auf den „Figaro“ konzentrieren
Paris (epd). Der französische Rüstungskonzern Dassault verkauft das politische Wochenmagazin
„L'Express“ an die belgische Roularta Media Group
(RMG). Nach einem Bericht der Wirtschaftszeitung
„La Tribune“ soll der Verkauf „in den nächsten
Tagen“ erfolgen. Roularta ist Belgiens größter
Medienkonzern.
Dassault hatte vor genau einem Jahr die Kontrolle
über Frankreichs größte Zeitungsgruppe Socpress
übernommen, zu der u.a. „L'Express“ und die Tageszeitung „Le Figaro“ gehört. Laut „La Tribune“ sei der
Verkauf des „Express“ ein Beweis dafür, dass Serge
Dassault sich verstärkt auf den „Figaro“ sowie die
Beilage „Figaro Magazine“ und „Figaro Madame“
konzentrieren wollte.
Dassault (79), Hersteller u.a. des Kampfjets Mirage,
hatte damals öffentlich erklärt, dass er seine „Ideen“
in seiner „Lieblingszeitung“, dem „Figaro“, publiziert
sehen wollte. Zwei Jahre zuvor, hatte er im Fernsehen
erklärt: „Ich sage nicht, dass die Journalisten des
Figaro zu links sind, ich sage nur, dass sie die Realität
nicht gut genug erläutern.“
Der „Express“ war erst zwei Jahre zuvor von Vivendi
an Socpresse verkauft worden. Der damalige VivendiChef Messier hatte schon 1967 versucht, „L'Express“,
KRITIK
1.6.2005 Nr. 42 ■ epd medien
Frankreichs älteste politische Wochenzeitschrift, an
Dassault zu verkaufen und war politisch derart unter
Druck geraten, dass er sein Vorhaben wieder aufgeben
musste. Wenn Messier den „Express“ an Dassault
verkaufe, soll damals ein Politiker gesagt haben, werde „Blut an den Wänden“ sein.
Der „Express“ ist mit einer Auflage von 435.000 nach
dem „Nouvel Observateur“ Frankreichs Nummer zwei
auf dem Magazinmarkt.
gz
„ KRITIK Radio
beiten]“. Mayröcker teilt dieses Ziel mit Gertrude
Stein, der klassischen Avantgardistin und Freundin
von Picasso, die die Wörter durch einen überraschend
neuen spielerischen Gebrauch an ihren magischen
Ursprung – die Sprachmusik – zurückführen wollte.
Schreiben und Leben
„Gertrude Stein hat die Luft gemalt“, Hörspiel von
Friederike Mayröcker, Musik: Maurizio Kagel, Regie: Klaus Schöning (DLF, 17.5.05, 20.10–21.00
Uhr)
epd
„Und ich sage zu Gertrude Stein, ich lese viel
in Ihren Büchern...“, lautet der erste Satz in diesem
Hörspiel. Normalerweise zuckt man zusammen bei so
einem Einstieg: es droht „Bekenntnisliteratur“. Aber
hier ist es komischerweise genau umgekehrt: Man
spitzt die Ohren, hört genauer hin und fühlt sich
direkt angezogen, als belausche man ein spannendes
Gespräch.
Dass dieser Einblick in die Werkstatt einer Spracherfinderin weit über die pure Selbstauskunft hinausgeht,
liegt vor allem an der schwebenden Intonation, mit
der die achtzigjährige Friederike Mayröcker ihren Text
vorträgt. Denn sie liest ihr Stück nicht einfach so vom
Blatt, wie es weniger mikrofonerfahrene Autoren
manchmal tun, sondern lässt ihre Stimme unter der
Regie von Klaus Schöning zu einem natürlichen Instrument werden.
Nie weiß man, wie einen der nächste Satz treffen
wird, und diese Ungewissheit hält die Spannung.
Gleichzeitig ist nichts zu spüren vom sonst oft düsterkratzigen „Runterlesen“ des eigenen Textes, mit dem
sich Mayröcker auch schon mal von ihren Hörern
distanziert. Hier spricht die Dichterin so überzeugend
leicht, fast sogar beiläufig, wie jemand, der schon in
sich hineingeredet hat, bevor man dazugeschaltet ist.
Genau genommen ist das ja auch so, denn seit ihrer
ersten Veröffentlichung im Jahre 1939 kreisen Prosa,
Lyrik und die Essays Mayröckers immer wieder um ihr
einziges großes Thema: das Erfassen des Lebens durch
unverbrauchte Wörter. Immer wieder neu geht es ihr
um die Frage, wie man „einer poetischen Wahrheit
sprachlich gerecht werden kann; gleichzeitig mit
größter Maßlosigkeit und größter Maßhaltung [ar-
Es ist eine zurückhaltende und bestimmte, reife und
forschende Frauenstimme, die uns in Mayröckers
Hörspiel geradezu konspirativ dazu einlädt, ihr umherschweifendes Bewusstsein zu belauschen. Wobei
sich das Credo der Dichterin, dass Schreiben und
Leben, Kopf und Körper eins seien, mit großer Leichtigkeit und überzeugend gegenständlich entfaltet.
Nach längerem Hören hypnotisiert der melodisch
kreisende Textstrom des schwingenden Bewusstseins
auch seine Ohrenzeugen.
Bei all dem dichtet Mayröcker nicht einfach autistisch
vor sich hin, sondern sie teilt und vor allem: teilt mit.
Präzise beobachtete kleine Alltagsszenen: „Da waren
Erdbeeren an der Außenseite des Eisglases“, bettet sie
ein in ihr Reden über das Erfinden, das Auswählen
und Verdichten des Gesehenen. Aber vor allem spricht
die Schriftstellerin vom Schreiben einer Wahlverwandten, in deren Sätzen sie sich selbst spiegelt. Wie
man sich eben zusammensetzt aus dem, was andere
sagen, und dem, was man so um sich herum sieht
oder liest. (Schon vor Jahren bezeichnete Mayröcker
das Ich als „Worteinmarschzone“).
„Ich lese viel in Ihren Büchern“, sagt sie also zu Gertrude Stein und verschmilzt mit ihr in einem rhythmisch-wiegenden Wechsel von „sie sagte“ und „ich
sage“. Das zu hören ist faszinierend, denn man erlebt
die Leselust der Autorin am eigenen Leib. Konsequent
spricht Mayröcker immer wieder von den Büchern als
Droge, so dass es leitmotivisch heißt: „Ich erhöhe die
Dosis.“
Der Gedanke von Literatur als Suchtmittel ist seit
Jahrzehnten aus der Popliteratur vertraut, aber selten
ist er so leicht, undogmatisch und selbstverständlich
ausgesprochen worden wie hier. Komponist Maurizio
Kagel, selbst altgedienter Hörspiel-Avantgardist, unterlegt den Text sparsam mit Vokalgesang. Das ver-
27
28 epd medien ■ Nr. 42 · 1.6.2005
KRITIK
leiht dem Ganzen nicht nur eine archaische Würde,
sondern ist wohl als Hommage an „Voyelles“ („Vokale“) zu verstehen, das frühmoderne Lautgedicht Arthur
Rimbauds.
Erinnern und Schreiben heißt Leben für Friederike
Mayröcker. Und ihr Duett mit der Gertrude Stein wird
in seinen gut 48 Minuten Dauer tatsächlich zu einem
„ KRITIK Fernsehen
Kraft und Gegenkraft
„Nicht ohne Risiko“, Dokumentarfilm von Harun
Farocki (WDR, 18.5.05, 23.15–0.05 Uhr)
epd Das Wort vom Kapitalismus ist in der Welt und
dabei fliegen die Metaphern wie die Heuschrecken
durch die Debatte. Wie die Sache mit dem Kapitalismus im Einzelnen und konkret funktioniert, jedenfalls
in einem Teilsektor, das zeigt der neue Film von Harun
Farocki „Nicht ohne Risiko“.
Es geht um Geschäftsverhandlungen und um venture
capital, also Risiko-Kapital – und das klingt zunächst
nicht grade aufregend. Aber der Autor, Filmemacher
und Essayist Harun Farocki hat immer schon einen
besonderen Blick gehabt auf das Wirtschaftsleben. In
„Die Bewerbung“ etwa drehte er Arbeitssuchende, die
sich für den Arbeitsmarkt fit machen. „Die Schöpfer
der Einkaufswelten“ (2002) demonstrierten, wie in
Einkaufszentren Käufer und Verkäufer für den Umsatz
zugerichtet werden
Auch „Nicht ohne Risiko“ liefert einen Blick in die
öffentlich selten zugängliche Zone der Wirtschaft.
Hinter der abschwächenden doppelten Verneinung
steckt Brisanz. Zwei Verhandlungsgruppen stehen sich
gegenüber. Auf der einen Seite Herr Mey, Chef von
NCTE, ein Unternehmer-Erfinder. Er hat einen berührungslosen Drehmoment-Sensor entwickelt, der in
Lastkräne, aber auch in Rennautos eingebaut werden
kann. Die Erfindung hat Zukunft, aber Herr Mey hat
grade kein Geld. Sicherheiten für einen Bankkredit
kann er nicht aufbringen.
Das ist die Stunde des Risikokapitals, und das funktioniert so: Die Investoren übernehmen Teile eines kapitalschwachen Unternehmens, berechnen für das Risiko hohe Verzinsungen und wollen in absehbarer Zeit
ihren Anteil mit guten Gewinn wieder verkaufen. Um
die Rahmenbedingungen des Deals geht es in den
Stück greifbarer Wirklichkeit. Irgendwann erzählt die
Autorin von Gertrude Steins Vorliebe für Garagen und
erinnert selbst eine kleine Garagen-Geschichte, die
mit dem Satz endet: „Und man hörte ein Hupen.“
Genau in diesem Augenblick hupt es durchdringend
vor dem Fenster der Rezensentin. Das ist natürlich
kein Zufall! Nein, hier greift die Dichtung nach der
Realität.
Gaby Hartel
Verhandlungen: 750.000 Euro braucht Herr Mey,
dafür würde er 20 Prozent der Firma abgeben. Aber
die Herren von Buchanan wollen für diese Summe 25
bis 30 Prozent der Firma und verweisen auf ihr Risiko,
die Erfindung könnte auch floppen. NCTE fühlt sich
unterbewertet, will sich zu Beratungen zurückziehen
und der Verhandlungsführer von Buchanan sagt: „Das
ist das Angenehme an uns: Wir sind so leicht berechenbar. Wir sind zwar nicht angenehm, aber leicht
berechenbar.“
Nicht angenehm, aber leicht berechenbar. Farockis
Film ist wie eine Versuchsanordnung. Zwei Verhandlungsrunden in zwei Tagen, kein Kommentar, nur
einige Begriffe aus dem Wirtschafts-Denglisch müssen erklärt werden. Eine kurze, technisch aussehende
kleine animierte Graphik zeigt, wie ein DrehmomentSensor arbeitet, einen Moment fühlt man sich wie in
einem Lehrfilm.
Von diesen wenigen Hilfsmitteln abgesehen, arbeitet
Farocki mit den Methoden des direct cinema. Unauffällig, aber nahe dran. Auf den ersten Blick sieht sein
Film fast aus wie eine leidenschaftslose Abbildung.
Aber die Einstellungen sind beredt und der Film ist
raffiniert montiert. Die Kamera von Ingo Kratisch
bewegt sich wie selbstverständlich zwischen den
Kontrahenten, fängt Gesten und Blicke ein. Zum Teil
vergessen die Männer, dass sie gefilmt werden. Zum
Teil bewegen sie sich in diesem Spiel auch mit einer
großen Darstellungslust.
So erlaubt es Farockis Film, beim Tauziehen zuzusehen
und entwickelt dabei eine immer stärker werdende
Sogwirkung. Er fokussiert die Aufmerksamkeit auf das
Verhalten der Männer, auf das Spiel von Kraft und
Gegenkraft, auf den richtigen Moment, auf die Pause,
auf die Zwischentöne.
Man kann beobachten, wie Gespräche stocken und
wieder lebhaft werden. Besonders, als sich plötzlich
neue Gewinnaussichten auftun, weil ein großes Unternehmen vielleicht die kleine Firma des Unterneh-
KRITIK
mer-Erfinders wird kaufen wollen. Es geht zu wie in
Brechts „Lied von der belebenden Wirkung des Geldes“.
Und so kommen die vier Herren sich auch allmählich
näher in ihren Vorstellungen. Eine nicht von der Kamera beobachtete Begegnung der beiden Rechtsanwälte hat es noch gegeben, wo sie den Kurs absteckten. Doch auch dieses Verhandlungsergebnis hält
nicht – bis dann ein überraschender Vorschlag von
Buchanan das Geschäft zu einem guten Ende bringt.
Das größere Risiko bleibt der kapitalsuchenden Firma,
es geht eben „nicht ohne Risiko“.
Man möchte auch gern auf der Seite des produktiven
Unternehmers stehen, aber so einfach ist es nicht in
Farockis Film. Auch Herr Mey hat kein anderes Ziel,
als die Firma nach einigen Jahren zu verkaufen und
reich zu werden. Die Angestellten spielen bei der
Risikoabwägung keine Rolle.
Als der Kompromiss gefunden ist, geht es sehr schnell.
Die Unterschrift wird per Fax erledigt, der Tisch beim
Italiener ist schon reserviert. Die Herren entledigen
sich nun ihrer Jacketts und Farocki gelingt noch eine
wunderbare kleine Verhaltensstudie. Dem Unternehmer läuft bei Pasta und Rotwein das Herz über und er
will von so viel weiteren Plänen erzählen, dass ihn
sein Rechtsanwalt stoppen muss. Derweil schauen die
Herren vom Risikokapital ein wenig gelangweilt an die
Decke. Ihr Geschäft ist unter Dach und Fach. Jetzt
muss nur noch ihr Geld arbeiten. Wie es eben im
Kapitalismus üblich ist.
Fritz Wolf
Bruchstückwerk
„Wiedergeburt im Kaukasus – Eine Reise durch
Armenien“, Reportage von Christoph-Michael Adam (SWR, 25.5.05, 21.45–22.15 Uhr)
epd
Nicht nur der Ton, auch die Reihenfolge verweist auf das Genre bunte Reisereportage. ChristophMichael Adam eröffnet seinen armenischen Reisebericht mit einer Visite bei Radio Eriwan, in dessen
deutschem Programm noch immer Hörerfragen mit
dem legendären „Im Prinzip ja“ beantwortet werden.
Erst danach werden die 1,5 Millionen Opfer erwähnt,
die der 1915 von Türken verübte Genozid an den
Armeniern forderte.
Mehrfach auch wird die Armut des Landes erwähnt:
zunächst sind es die 50 Euro, die ein Radioredakteur
im Monat verdient – und gegen Ende des Berichts
werden auch noch die 15 Euro Rente erwähnt. Chris-
1.6.2005 Nr. 42 ■ epd medien
toph-Michael Adam begibt sich während seiner Armenien-Tour wohlgemut auf dünnes Eis. Er dreht
einen typischen Reisefilm, wähnt sich aber bei einer
politischen Reportage. Das Resultat: beide Erwartungen werden enttäuscht.
Vor allem jene der interessierten Zuschauer, die sich
ein aktuelles Meinungsbild zu dem Genozid-Thema
erwarteten. Dies, zumal Politiker aller Fraktionen zum
90. Jahrestag im Bundestag die Türkei aufgefordert
haben, das Massaker an der armenischen Bevölkerung
als Teil ihrer Geschichte zu akzeptieren.
Der CDU-Abgeordnete Christoph Bergner, Initiator des
Antrags der Unionsfraktion, verwies auf die Mitschuld
des deutschen Kaiserreichs, das Informationen seiner
Botschaft in Konstantinopel über die Massaker, die
am 24. April 1915 begannen, nicht an die Öffentlichkeit brachte.
Bergner zitierte im Bundestag die Sätze des damaligen Reichskanzlers Theobald von Bethmann-Hollweg
an den deutschen Botschafter, wonach „unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Kriegs an
unserer Seite zu halten, gleichgültig ob darüber Armenier zugrunde gehen oder nicht“. Dies sollte man
eigentlich wissen, bevor man unkommentiert armenische Studenten zu Wort kommen lässt, die
„Deutschland soll sich zu seine Mitschuld bekennen“
fordern.
Unerwähnt bleibt sowohl, dass es ein Massaker an
Christen war, als auch, dass es in der angeblich so
europäisch orientierten Türkei noch immer unter
Strafe gestellt ist, das Massaker auch nur zu erwähnen. Dies zieht Strafverfahren, Morddrohungen und
Bücherverbrennungen nach sich – so im Fall des
Schriftstellers Orhan Pamuk.
Diese Problematik greift der Autor erst gar nicht auf.
Er lässt aber die Historikerin Tessa Hofmann zu Wort
kommen, die salomonisch meint, Deutschland habe
den Schlüssel für die türkisch-armenischen Beziehungen. Was wohl meint, die Berliner EU-Fürsprache
könne das Eis abtauen, das längst schon wieder
nachfrostet.
Es ist eben stets heikel, wenn komplexe politische
Themen quasi en passant gestreift werden. Adam
wechselt von der Genozid-Thematik auf die landesweit sichtbare Armut, besucht eine Familie, in der
zwei junge Leute autistisch vor dem Fernseher sitzen,
sie sind ratlos, doch auch der Autor ist es, fragt nicht
nach, wie das Lebensgefühl im Lande ist. Dafür räumt
er ungeniert ein, dass das Filmteam sich „einen
Traum“ erfüllt habe, nämlich auf der legendären Sei-
29
30 epd medien ■ Nr. 42 · 1.6.2005
KRITIK
denstraße zu fahren – die dann aber ein ganzes Stück
vor Georgien auf einer vereisten 2500-MeterPassstraße endet.
Schwierig, schwierig, hier durchzukommen. Doch das
ist kein Problem, denn es ist „Frühling im Tal“, wo die
Felsenkirche von Gekart besichtigt werden kann. Welcher Konfession sie diente, bleibt unerwähnt, auch,
dass das Bauwerk aus dem 13. Jahrhundert deutliche
islamische Architekturspuren trägt. Es muss also in
diesem Lande eine friedliche Koexistenz der Glauben
gegeben haben. Warum also kam es zu dem Genozid?
Auch andere Fragen bleiben offen. Der Autor sieht
sich in Eriwan um, entdeckt angesichts erschreckender Armut den stolzen Besitzer eines Maybach, eine
der teuersten Nobelkarossen überhaupt. Adam fragt
naiv nach, wie das möglich sei. „Casinos, Hotels, ein
bisschen Business“, antwortet der Mann. Und Adam
sieht sein osteuropäisches Weltbild vom sozialistischen Staatskapitalismus bestätigt, bei dem die nationalen Reichtümer privatisiert und versilbert werden.
Doch das bleibt bloßer Augenschein und Vermutung,
ebenso wie das als segensreich präsentierte Wirken
von Auslands-Armeniern, die viel Geld ins Land schicken. Doch die Beispiele bleiben plakativ, lassen auch
die soziale Nachhaltigkeit etwas vermissen.
Was der Luxus-Cognac von Charles Aznavour und die
vom US-Milliardär Kirk Kerkorian gesponserten Innenstadt-Verhübschungen mit der maroden wirtschaftlichen und sozialen Lage zu tun haben, erschließt sich auch dem reisenden Reporter nicht, aber
es sieht gut aus, gibt dem Trip ins Armenhaus ein
bisschen Edelflair.
Die Rolle der christlichen Kirche greift der Beitrag erst
ganz zum Schluss auf, in einem Kurzinterview mit
dem Katholikas Karekin II., der auf die tragende Rolle
der Kirche in Armeniens wechselhafter Staatsgeschichte zwischen den politischen Mächten hinwies.
Doch auch dort zeigten die Bilder mehr, als der Autor
erkunden wollte: eine volle Kirche, in der sich die
neuen Reichen und die verarmte Frau mit Plastikfolien
als Schuhen vereinen.
Die soziale Realität, in der sich dies abspielt, das kulturelle Leben an der Bruchstelle zwischen Europa und
Asien, das alles blieb unerforscht und vergessen. So
blieb es bei einem journalistischen Bruchstückwerk
aus dem fernen, pittoresken Kaukasus, einer Puppenbühne aus Armut, Archaik und Mafiatum.
Dieter Deul
Gut aussehendes Fernsehen
„Windstärke 8 - Das Auswandererschiff 1855“,
sechsteiliger Serie von Dominik Wessely, Arne
Sinnwell, Gabriele Wengler, Kamera: Knut Schmitz,
Rüdiger Kortz, Produktion: Caligari Film (ARDWDR/ARTE, seit 23.5.05, 21.45–22.30 Uhr)
epd
Zeitreisen sind in Mode, „Living history“ lebt.
Nach „Schwarzwaldhaus 1902“ und „Abenteuer 1900
– Leben im Gutshaus“ geht die ARD jetzt noch ein
halbes Jahrhundert zurück und dann gleich noch mit
dem Segelschiff über den Atlantik mit „Windstärke 8 Das Auswandererschiff 1855“. Die Auswanderer sind
nicht die einzigen Zeitreisenden. Derzeit spielen auch
im ZDF Schüler und Lehrer, wie sich Pädagogik der
Adenauerzeit anfühlt („Harte Schule“). Und auf RTL
trampen in der Erlebnis-Doku „Peking Express“ einige
Abenteuerlustige auf gut kamerakontrollierten Wegen
von Moskau nach Peking. Von derlei Reise-Show hat
auch „Windstärke 8“ etwas. Der Film kombiniert „Living History“ mit kalkuliert-dosiertem Abenteuertum.
Ein Film wie eine Reise also, abgepackt in sechs Etappen (auf ARTE als Doku-Soap in fünf kürzeren Etappen, für den ARD-Vorabend noch geplant in 16 Etappen), vom Einschiffen bis zur Landung nach 70 Tagen,
mit Sturm und Delphinen, mit Bad im Meer und Seekrankheit, mit Bordfesten und Konflikten im Zwischendeck. 37 Menschen waren unterwegs auf dem
Segelschiff „Bremen“, darunter 19 Zeitreisende, ausgewählt aus mehr als 5000 Bewerbern. Ferner 19
Mann Besatzung.
Unsichtbar im Film die achtköpfige Filmcrew und ein
Reporter des „Stern“. Die Reise fand statt unter Bedingungen von 1855, jedenfalls weitgehend. Kleidung,
Hygiene, Essen wie damals. Kein Strom, keine moderne Toilette. Natürlich war dennoch modernes Gerät an
Bord: ein Dieselmotor, Radar, Bordcomputer, Medizin
- wurde auch alles gebraucht. Die Fernsehsender
wären ja verrückt, wenn sie ihre Protagonisten so
ganz ohne auf die Reise schickten. Das Risiko würde
ihnen keine Versicherung abdecken. „Viele überlebten
die Reise nicht“ heißt es gleich eingangs in dramatischem Tonfall über die realen Reisebedingungen der
Auswanderer von 1855; so viel historische Rekonstruktion durfte doch nicht sein.
Aber ein Abenteuer ist es. Eine solche Atlantiküberquerung im historischen Kostüm hat schon was. Man
sieht der Expedition und dem Experiment nicht ungern zu. Die Bilder sind spektakulär, die Natur mischt
KRITIK
1.6.2005 Nr. 42 ■ epd medien
mit Stürmen, Flauten und dramatischen Sonnenuntergängen im Geschehen kräftig mit. Die ARD hat das
Projekt auch historisch unterfüttert, nicht nur in der
Recherche, sondern auch im Film selbst.
schwierige Hygiene - das alles kennt man auch schon
aus „Schwarzwaldhaus“ und „Gutshof“ und hier wie
da ist immer auch eine Portion Eskapismus dabei:
Seht her, wie gut es uns doch heute geht.
In Text und Bildern werden die Zuschauer über die
reale Lage von Auswanderern damals in Kenntnis
gesetzt. Geschickt lenken Bildüberblendungen den
Blick zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Das ist
anschauliches und aktionsreiches Bildungsfernsehen,
weniger aufdringlich etwa als die „Harte Schule“ im
ZDF. Fernsehen mit hohem Schauwert: HochglanzDokumentation. Das Personal der Zeitreisenden ist
sorgfältig gecastet und hat mit dem Gynäkologen und
Hobbykoch Hans-Peter Ammann, der als Bordkoch
arbeitet, auch eine zentrale Integrationsfigur. Auch
sonst sind die Charaktere sorgfältig ausgesucht, nach
Alter, Geschlecht, Ost und West, sozialer Herkunft,
alles schön repräsentativ.
Dagegen ist der dokumentarische, der beobachtende,
dem Zufall und der Intuition überlassene Anteil an
den Bildern dieser Reise geringer als man von einem
Dokumentarfilmregisseur wie Dominik Wessely erwarten durfte. Man lernt die Menschen nicht wirklich
kennen, erfährt von ihnen jedenfalls deutlich weniger
als etwa von den Boros in „Schwarzwaldhaus 1902“,
bei freilich überschaubarerer Versuchsanordnung. Der
Film ist an der dokumentarischen Beobachtung der
Menschen nicht sehr interessiert. Er ist daran interessiert, gut aussehendes Fernsehen zu sein.
„Windstärke 8“ ist aber auch typisches Formatfernsehen. Ein übermächtiger Kommentar hält alle Bilder
und Erzählstränge zusammen und betet den Zuschauern vor, was sie zu sehen und wie sie es zu interpretieren haben. Eingangs wirft treibende Musik und eine
aggressive Kommentarstimme die Maschine an, mit
der die Emotionen in die gewünschten Bahnen gelenkt werden.
Und wenn die zeitreisenden Rollenspieler auch von
der Regie locker und nicht wie im Laientheater geführt werden, so trifft man sie doch meist in gesetzten Situationen an. Das Bordfest. Der Streit. Das Bad
im Meer. Der Mathe-Unterricht im Zwischendeck, das
Schlachten der Hühner und Hasen.
Vieles kommt wie erwartet. Oft stellt sich das Gefühl
ein, man sähe jetzt genau die Bilder, von denen die
Macher gedacht haben, dass die Menschen vor den
Bildschirmen erwarten würden, sie zu sehen. Es sind
so viele Situationen dramaturgisch gesetzt, dass in
der letzten Folge, als noch einmal Sturm aufkommt,
nicht einmal der Gedanke abwegig erscheint, diesen
Orkan könnte die Produktionsfirma noch rechtzeitig
organisiert haben.
Bei allem Versuch, historisch genau zu rekonstruieren,
spielt der Film aber eben doch in der Gegenwart und
die Zeitreisenden selbst sind seine Protagonisten. Ihre
Erfahrungen, ihr Erlebnis, ihr Verhalten ist das Interessanteste. Und eben dort lässt der Film uns im Stich.
Der Erkenntniswert der individuellen Erfahrungen ist
eher gering. Der zivilisatorische Fortschritt von der
Baumwollbinde zum Tampon, das Schlachten der
Haustiere, die Verderblichkeit von Lebensmitteln, die
Einmal spricht der Kapitän zu den Zeitreisenden, dass
es nicht so einfach sei, aus seiner Zeit auszusteigen.
Dass die Menschen die Langsamkeit erst entdecken
und Geduld mit sich und den anderen aufbringen
müssten. Davon, von der Geduld, vom Entdecken, von
Lust und Unlust an diesem Experiment an sich selbst,
davon würde man gerne etwas sehen. Aber man sieht
es nicht. Es wird nur behauptet.
Vieles wird in diesem Film nur behauptet. Formatfernsehen ist Fernsehen, das behauptet, nicht zeigt.
Dass es übrigens auch anders geht, hat vor zwei Jahren Thorsten Truscheit mit der Doku-Serie „Junge
Herzen auf großer Fahrt ins Leben“ gezeigt. Das war
zwar keine Zeitreise, aber eine Schiffsreise, übrigens
unter Leitung des gleichen Kapitäns und auf dem
gleichen Schiff, aber eben sehr dokumentarisch umgesetzt, voller Spannung und Überraschungen. Das
ZDF hat diese kleine Kostbarkeit seinerzeit zu miserabler Sendezeit versenkt. Vermutlich weil es eben
kein Formatfernsehen war.
Am Ende der letzten Folge, nach dem ausführlichen
Abspann, werden die Rollen auch einmal umgekehrt.
Jetzt spielen die Protagonisten die Kameracrew nach,
amüsieren sich köstlich über deren Sprechweise und
Anordnungen, imitieren den Jargon und stellen sich
selbst lustvoll dar als die Spieler, die sie selbst auch
die ganze Reise über gewesen sind. In dieser kleinen
ausgelassenen Szene spürt man plötzlich etwas von
dem spontanen, spielerischen Potential, das der Film
nicht entfesselt hat. Einmal abgesehen davon, dass
ihm solche gelegentlichen ironischen Brechungen der
Zeitreisen-Illusion auch zwischendurch gut getan
hätten.
Fritz Wolf
31
epd medien
Postvertriebsstück / Entgelt bezahlt
„ NOTIERT
„ „Es gibt viele Möglichkeiten,
sich öffentlich und medienwirksam
den Restruf zu ruinieren. Zu den
populärsten Methoden gehört es,
ein Traktat zu schreiben und es
unter der Genrebezeichnung
,Roman' oder ,Erzählung' in Umlauf
zu bringen. ... Nun ist Michel
(,Mischu') Friedman an der Reihe,
ehemaliger stellvertretender Präsident des Zentralrats der Juden in
Deutschland, ehemaliger..., und
weil das alles nicht genug ist, um
in der German Hall of Fame einen
Platz zwischen Daniel Küblböck
und Jenny Elvers zu finden, hat
Friedman ,Kaddisch vor Morgengrauen' geschrieben, einen Roman
von 160 Seiten. ... Das ist Sonnenbank-Prosa der Luxusklasse, keiner
leidet auf einem so hohen Niveau
wie Michel Friedman. Mit den
reinen Fakten hapert es noch ein
wenig - den Auszug der Juden aus
Ägypten versetzt er in die Zeit von
Jesus und kürzt die jüdische Geschichte damit um über tausend
Jahre -, aber die Haltung ist großartig.“ – Henryk M. Broder im
„Spiegel“.
„ „Viele bei den Grünen sind sehr
besorgt und sagen: ,Joschka ist so
fett – wenn das so weitergeht,
kauft er sich nächste Woche eine
Strickjacke und macht Urlaub am
Wolfgangsee.' Sat.1 hat spontan
reagiert und dreht ab morgen die
neue Telenovela ,Der Bulle von
Berlin'.“ – Harald Schmidt.
„ „Wer eine Reise durch das sagenumwobene Land Absurdistan
machen will, der soll sich nicht
weit wegbewegen. Er kann im
Fernsehsessel sitzenbleiben und
muß nur heute abend mit der
Fernbedienung das dritte Fernsehprogramm des Südwestrundfunks
einschalten. Dort zeigt der Chefreporter Thomas Leif nicht nur in
bester Aufklärermanier, wie dieses
GEP
Postfach 50 05 50
Land auf die Berater und also für
hundert Millionen Euro pro Legislaturperiode für zweifelhafte Gutachten ausgegebener Steuergelder
auf den Hund gekommen ist. Er
zeigt auch, wie unterhaltsam eine
solche Recherche dargeboten werden kann, wie man ein großes
Thema anhand kleiner Beispiele mit
nachhaltiger Wirkung (in diesem
Fassungslosigkeit und Wut) präsentiert. Und er zeigt, was die ARD
im zunehmend informationsentleerten ersten Programm zeigen
sollte – und nicht um 22.30 Uhr
beim SWR.“ – Michael Hanfeld in
der FAZ.
„ „Meine Frau studiert das TVProgramm sehr gründlich, sie
streicht an, was wir ihrer Ansicht
nach sehen sollten. Aber häufiger
noch macht sie nur ein Fragezeichen. Alles, was mit den Nazis zu
tun hat, markiert sie. Sie kann sich,
so pervers das anmuten mag, an
Hitler, an marschierenden SS- und
SA-Truppen nicht satt sehen. ,Das
ist mein Leben', sagt sie, ,alles war
davon determiniert.'“– Marcel
Reich-Ranicki in einem „Spiegel“Interview.
„ „Grundlage ist das Motto des
Kirchentags selbst: ,Wenn dein
Kind dich morgen fragt...', ein Satz
aus 5. Mose 6, 1-25. Dort wird dem
Volk Israel nach dessen Befreiung
aus ägyptischer Sklaverei das Gelobte Land verheißen. Das Programmheft bietet dazu zwei Textversionen: die modernisierte Luther-Übersetzung und eine eigens
für den Kirchentag neu erstellte
Übertragung - natürlich noch
moderner. Sie nimmt Rücksicht auf
sämtliche Empfindlichkeiten außer
denen der Traditionalisten, und so
heißt es denn ,Göttinnen und Götter' statt bloß ,Götter', ,Kind' statt
,Sohn', ,Mütter und Väter' statt
,Väter', ,Gottheit' statt ,Gott' und
vor allem, mit der authentischen
Anrufung, ,Adonai' statt ,Herr'.
60394 Frankfurt am Main
20109
Man darf es wohl als Akt theologischen Ungehorsams gegen den
herrenlosen Text werten, daß Frau
Vollmer wie Schorlemmer ihren
Zuhörern die Luther-Übersetzung
zur Lektüre empfehlen.“ – Andreas
Platthaus in der FAZ.
„ „Wir haben am Montag einen
Blick gesehen, den kannten wir. Es
war der Blick, mit dem Claudia
Roth einen Interviewwunsch ablehnte. Fassungslos, vorwurfsvoll,
beleidigt: ,Jetzt höre ich der Landesvorsitzenden der Grünen zu und
dann habe ich Zeit für Sie'. Wie
gesagt, wir kannten diesen Blick.
Wenn man im Kindergarten mit
anderen Kindern das Spielzeug
nicht teilen wollte oder später
beim Kindergeburtstag den Kuchen
oder wenn man noch später in der
Schule oder an der Uni die Flugblätter der Nicaragua-Gruppe nicht
annehmen wollte, war da immer
dieser Blick und eigentlich kam er
immer von Claudia Roth. Dieser
Blick ist eine Benotung, er sagt:
,Wie kann man nur?'. Er ist eine
Maschinerie zur Erzeugung
schlechten Gewissens. Es ist eine
der wirkungsvollsten Apparaturen,
die es je in Deutschland gegeben
hat.“ – Frank Schirrmacher in der
FAZ.
„ „Die Hoffnung war trügerisch:
Sabine Christiansen ist doch als
Moderatorin der ARD bei dem
geplanten ,Kanzlerduell‘ mit Angela
Merkel und Gerhard Schröder gesetzt. Das gab gestern der ARDChefredakteur und Politikkoordinator Hartmann von der Tann
bekannt. Einen anderen Kandidaten
habe es bei der ARD nie gegeben,
sagte er. ... Hört das denn nie auf?
Und soll erst ein anderer Sender
einen versierten Fragesteller wie
Frank Plasberg abwerben, bevor er
im Hauptprogramm in den Ring
darf?“ – Michael Hanfeld in der
FAZ.

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