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epd medien online Herausgeber und Verlag: Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) gGmbH, Emil-von-Behring-Str. 3, 60439 Frankfurt am Main. GEP-Geschäftsführer: Jörg Bollmann. Chefredakteur der epd-Zentralredaktion: Dr. Thomas Schiller. epd medien: Dr. Volker Lilienthal (verantwortlich), Diemut Roether, Gisela Zabka. Erscheinungsweise: zweimal wöchentlich. Bezugspreis Online-Abonnement monatl.: 53,20 € (Studierende mtl. 47,80 €), Kombi-Abonnement epdmedien online und als Heft 95,40 €, Printversion 61,- € (Preise jeweils incl. MWSt und Versand / Inland, im Ausland excl. MWSt). Verlag/Bestellservice (Adresse siehe oben unter GEP): Tel: 069/58098-0, Fax: 069/58098-226, E-Mail: [email protected] Redaktion epd medien (Adresse siehe oben unter GEP): Tel: 069/58098-141, Fax: 069/58098-261, E-Mail: [email protected] © GEP, Frankfurt am Main Alle Rechte vorbehalten. 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Juni 2005 42 INHALT Die Bavaria-Connection Zehn Jahre Schleichwerbung im ARD-„Marienhof“ & Co. / Von Volker Lilienthal ____ 3 Inland Bavaria Film verdiente über Jahre an Schleichwerbung _____________________ OLG München bekräftigt Recht zur verdeckten Recherche ___________________ Gruner + Jahr zieht sich aus Magazingeschäft in USA zurück ________________ Werbewirtschaft: Erstmals seit drei Jahren wieder Umsatzplus _______________ DJV kritisiert Kürzung der ARD-Politikmagazine ___________________________ Amelie Fried stellt Strafanzeige gegen militante Nichtraucher ________________ DVB-T in Bayern „reibungslos“ gestartet ________________________________ Kabelnetzbetreiber investieren 185 Millionen Euro ________________________ Kabel Deutschland plädiert für Gleichbehandlung bei Digitalisierung __________ BDZV kritisiert Zypries-Pläne für Handelsregister __________________________ Medienmacher äußern Zweifel am Boom des Religiösen ____________________ Thierse ermuntert Medien zu mehr positiven Nachrichten ___________________ 16 17 17 18 19 20 20 21 22 23 23 24 Ausland Die BBC muss effizienter und kreativer werden / Von Jürgen Krönig ____________ 25 Prozess gegen Fallaci wegen „Verunglimpfung des Islam“ ___________________ 26 Dassault verkauft den „Express“ an Roularta _____________________________ 26 Kritik „Gertrude Stein hat die Luft gemalt“ von Friederike Mayröcker (DLF/ORF) _______ „Nicht ohne Risiko“ von Harun Farocki (WDR) ____________________________ „Wiedergeburt im Kaukasus – ... Armenien“ von Christoph-Michael Adam (SWR) _ „Windstärke 8 – Das Auswandererschiff 1855“ von Wessely u a. (ARD-WDR/ARTE) 27 28 29 30 2 epd medien ■ Nr. 42· 1.6.2005 TAGEBUCH Die Hübschen. Georg Gänswein und Stephan Kulle, unser Mann in Rom epd Der Mann ist „athletisch, blond, blauäugig“ und wird in allen Westsprachen des Kontinents mit Hingabe beschrieben: „Atlético, rubio de ojos claros“, „athlétique, blond, sportif et séduisant“, verführerisch also, der „gióvane tedesco dal sorriso accativante“, der junge Deutsche mit dem gewinnenden Lächeln. Von wem die Rede ist? Man käme in hundert Jahren nicht drauf: von Georg Gänswein, dem Sekretär des Papstes, seit zehn Jahren im Dienst von Joseph Ratzinger. Benedikt und kein Ende. Der „junge Deutsche“ ist immerhin schon 48, seit 21 Jahren Priester, Kirchenrechtler, scheint aber so manche Fantasie zu beflügeln. Doris Ladstaetter hielt gar „den Atem“ an, als er „zum ersten Mal aufs Papamobil sprang“, wie sie in ihrer „Weltwoche“-Glosse schreibt, „unbestritten der schönste Mann im Talar, der je im Vatikan zu sehen war“. Meinen auch Italiens Schwule, wie auf www.gay.it zu lesen ist: „Il nuova sex symbol di Città del Vaticano“, elf Gänswein-Fotos werden auf der Gay-Galleria gleich mitgeliefert. Sexsymbol und Vatikan, ein Widerspruch in sich oder vielleicht doch nicht: Einer, der im Gegensatz zu all jenen, die auf der Piazza rumlungern, nicht zu haben ist. „Was verboten ist, das macht uns grade...“, stimmt zwar, klingt aber doch reichlich vulgär in vatikanischem Zusammenhang, also streichen wir das letzte Wort. Ladstaetter ist in der „Weltwoche“ subtiler: „Er gehört ganz dem lieben Gott“, schreibt sie, und ist „damit tabu für uns Frauen“. Und für die Männer. Gänswein, den in Deutschland wohl kaum ein Säkularer kennen dürfte und wo niemand wie die ItaloGays auf die Idee käme, das „sorriso accativante“ dieses „bel gióvane“ zu beschreiben. Bei uns würde nur strafend vermerkt, dass er einen Lehrauftrag an der Opus-Dei-Universität in Rom hatte. Reaktionär! Alles höchst seltsam, die Gänswein-Verehrer zum einen und die Reaktion der Deutschen: Da gibt es zwei Deutsche, die andernorts mit Wohlgefallen betrachtet werden – und von uns: kaum ein nettes Wort, sondern bestenfalls eine „Mischung aus Stolz und Verlegenheit“ („Le Monde“). Und viel fordernde Kritik: Kondome! Frauenweihe! Sein „beseligendes Lächeln“ beschrieb hingegen die Amerikanerin Ilana Mercer im „FrontPage-Magazine“, Benedikts Lächeln. Mercer, die Jüdin, eine besonders aparte Variante, die Ratzinger gegen den Rabbi und PapstKritiker Michael Lerner verteidigt hat. Die spannenden Sachen finden, wie man sieht, anderswo statt. Und wo wir bei hübschen katholischen Männern sind, fällt einem selbstredend auch Stephan Kulle ein, dreieinhalb Wochen lang unser ZDF/Phoenix-Mann im Vatikan. Noch so ein Attraktiver, die Fantasie beider Geschlechter Beflügender, der auch fast Priester geworden wäre, aber es dann doch nicht geworden ist, naja, der Zölibat. „Du bist ein echt geiler Typ.-)))“, schrieb ein gewisser Henrik in Kulles Internet-Gästebuch. Der Mann, 38, der in Rom eine Gänsehaut nach der anderen kriegte und der Erste war, der am 19. April um 18 Uhr 39 noch vor der offiziellen Verkündung auf Phoenix „Wir haben einen deutschen Papst!“ melden konnte. „Als ,Quatzinger' zum Papst gewählt wurde“, hat die „Welt am Sonntag“ neulich Kulles Geschichte betitelt und gleich noch einen Hauch Insiderwissen beigesteuert: „Der Name wurde offenbar verschleiert, um wenigstens formal dem Schweigegelübde zu entsprechen.“ Quatsch, Kulles Rom-Tagebuch „Habemus Papam“ schlecht gelesen: „Qatzinger“ (ohne „u“) hatte um 18 Uhr 38 eine „Quelle“ per SMS auf Kulles Handy geschrieben und in der Aufregung beim Anfangsbuchstaben einmal zu wenig gedrückt. Stephan Kulle aus Thüringen, dieser liebenswerte Berichterstatter, der in katholischen Dingen so intim Bewanderte und so kenntnisreich Plaudernde, ein Glücksfall für ZDF und Phoenix. Und wie sie ihn jetzt anbaggern, diese Ritas, Gabis, Alexandras in seinem Gästebuch, „fehlt nur noch“, schreibt eine Maria, „hey du, ich wohne da und da, komm doch mal auf einen Kaffee vorbei“. Kulle, der nach einem Autounfall 1991 querschnittgelähmt war und der es mit eisernem Willen und Gottvertrauen geschafft hat, wieder auf die Beine zu kommen. Wobei ihm, könnte man sagen, wenn man daran glaubt, auch Johannes Paul II. geholfen hat. „Wie er mich damals so liebevoll gesegnet hat, als ich noch im Rollstuhl saß“, schreibt Kulle, „wissend, dass eine Querschnittlähmung nicht heilbar ist, aber mir dennoch wünschte, dass ich wieder laufen kann.“ Wer weiß? G.Z. IMPRESSUM Herausgeber und Verlag: Gemeinschaftswerk der Evang. Publizistik (GEP) gGmbH in Frankfurt am Main. GEP-Geschäftsführer: Jörg Bollmann Chefredakteur der epd-Zentralredaktion: Dr. Thomas Schiller Ressort epd medien : Dr. Volker Lilienthal (verwantwortlich), Gisela Zabka, Diemut Roether Erscheinungsweise: zweimal wöchentlich. Monatsabonnement: 61,- € inkl. MWSt, im Ausland exkl. MWSt zuzüglich Versand. Nachdruck nur mit Vertrag. Druck: druckhaus köthen Emil-von-Behring-Straße 3 Briefe: Postfach 50 05 50 60394 Frankfurt am Main Telefon (069) 5 80 98-141 Telefax (069) 5 80 98-261 E-Mail: [email protected] DEBATTE 1.6.2005 Nr. 42 ■ epd medien Die Bavaria-Connection Zehn Jahre Schleichwerbung im ARD-“Marienhof“ & Co. / Von Volker Lilienthal epd In der guten alten Zeit, als die Welt des „Marienhofs“ noch in Ordnung war, tauchte im Vorspann der ARD-Fernsehserie an einer Litfasssäule immer montags bis freitags um 18.25 Uhr eine Mahnung aus der Bibel auf: „Leget die Lüge ab und redet die Wahrheit.“ Der Vers aus dem Epheser-Brief ist inzwischen verschwunden. Dabei könnte er ein so gutes Motto sein für das, was bei der Bavaria Film GmbH in München jetzt ansteht. Einstweilen müssen wir uns an einen Refrain aus dem „Marienhof“-Titelsong halten: „Es wird viel passieren! Nichts bleibt mehr gleich, nichts bleibt beim Alten wie gehabt.“ Und das gilt wohl für die Bavaria wie für die ARD. Die Bavaria: nach der Ufa und Studio Hamburg Deutschlands drittgrößter TV- und Film-Produktionskonzern mit einem Jahresumsatz von fast 265 Millionen Euro. DVD-Geschäfte brachten zuletzt einen Umsatzsprung, das Kerngeschäft der Film- und Fernsehproduktion soll allerdings laut „Handelsblatt“ unter Druck stehen. Der Gewinn liegt denn auch nur im einstelligen Millionenbereich - bei dreistelligem Umsatz bei weitem zu wenig. Die Gesellschafter der Bavaria sind mehrheitlich öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten aus dem ARDVerbund: die WDR Mediagroup, mit 33,35 Prozent größte Einzelgesellschafterin, die SWR Holding mit 16,67 und die Drefa Media Holding des MDR mit 16,64 Prozent sowie die Bavaria Filmkunst (16,67) und die Förderbank des Freistaates Bayern, die LfA Gesellschaft für Vermögensverwaltung (16,67). Die öffentlich-rechtlichen Produktionstöchter (neben der Bavaria auch Studio Hamburg oder Network Movie im Falle des ZDF) sind derzeit im Visier der EUKommission. In den anhängenden Beschwerdeverfahren geht es bekanntlich um behauptete Wettbewerbsverzerrungen und um die Frage, wie weit „kommerzielle Tätigkeiten“ öffentlich-rechtlicher Rundfunkanbieter gehen dürfen (epd 38, 37, 36/05). In Brüssel und auch hier zu Lande ist aber noch gänzlich unbekannt, wie weit die kommerzielle Nebenbetätigung über Jahre hinweg im Falle der Bavaria ging - nämlich bis hin zum Rechtsbruch. Geradezu seriell wurde in ARD-Produktionen wie „Marienhof“ und „In aller Freundschaft“ gegen das Schleichwerbeverbot des Rundfunkstaatsvertrags verstoßen. Auch Drehbücher waren nicht mehr tabu, sondern wurden weit für die Botschaften interessierter Dritter geöffnet. Es begab sich vor einigen Jahren, irgendwo in Deutschland. Die Münchener Firma H.+S. Unternehmensberatung hatte einen großen Interessenverband angeschrieben und programmintegrierte Imagepflege angeboten. Der Verband zeigte sich interessiert und lud Ute Sandbeck (Name geändert), eine freie Mitarbeiterin von H.+S., in seine Geschäftsräume ein. Was die Frau nicht wusste: Als sie eintraf, lief bereits eine von Dritten installierte versteckte Kamera, die das gesamte, gut eineinhalbstündige Anbahnungsgespräch mitschnitt. Ute Sandbeck kam schnell zur Sache. Von einer mitgebrachten Democassette spielte sie eine Szene aus der ARD-Serie „Marienhof“ vor, die sie als Leistungsnachweis mitgebracht hatte und die offenbar aus dem Zeitraum 1994/95 stammte. Langzeitrecherche mit Hindernissen epd Seit Sommer 2002 geht epd-Redakteur Volker Lilienthal dem Verdacht nach, in der ARDSerie „Marienhof“ und anderen Bavaria-Produktionen könnte es über viele Jahre hinweg zu massiver Schleichwerbung gekommen sein. Die Recherche wurde im Mai 2003 abrupt gestoppt, nachdem eine involvierte Münchener Agentur für Product Placement Wind bekommen hatte, eine einstweilige Verfügung erwirkte und später auch in der Hauptsache auf Unterlassung klagte. Seither konnte nur die Programmbeobachtung weiterlaufen - mit dem Ergebnis, dass für den vorliegenden Bericht über 500 „Marienhof“Folgen (und andere Sendungen) gesichtet wurden. Der Rechtsstreit dauerte bis Anfang dieses Jahres. Das Oberlandesgericht München wies am 20. Januar alle Ansprüche gegen den epd-Redakteur zurück. Auch die von ihm angewendete verdeckte Recherche einschließlich der Verwendung eines (nicht von ihm) mit versteckter Kamera aufgenommenen Videos sei von der Pressefreiheit gedeckt. Das Urteil mit grundsätzlicher Bedeutung für den investigativen Journalismus ist inzwischen rechtskräftig (Az. 6 U 3236/04, vgl. auch Meldungen in dieser Ausgabe). Die Recherche, bei der der epd von Beginn an mit dem DJV-Organ „journalist“ kooperierte, wurde fortgesetzt, ihre Ergebnisse liegen nun vor. Man sah die Schauspielerin Julia Biedermann in der Rolle der „Fränzi Ginster“, wie sie sich um eine Lehrstelle in der Sparkasse bewarb: 3 4 epd medien ■ Nr. 42 · 1.6.2005 DEBATTE Chef: „Zunächst freue ich mich natürlich, dass du deinen neuen Berufsweg gerade in unserer Branche anfangen willst.“ Fränzi: „Welche Karrieremöglichkeiten bieten sich denn einem so bei der Sparkasse?“ (Letztes Wort betont.) Chef: „Ja, theoretisch, theoretisch kannst du bei uns alles machen. Wir bilden Fachleute aus, die im internationalen Handel zu Hause sind.“ Sie (überrascht): „Sie haben auch Leute in Amerika!? In Japan?“ Er: „Ja, sicher.“ Sie: „Mann, da kann man ja ganz schön rumkommen!“ Laut Sandbeck hatte der Verband der Sparkassen dieses so genannte Themen-Placement in Auftrag gegeben, um das „verstaubte Image“ der Sparkasse als Arbeitsplatz aufzupolieren. Junge Leute, die den „Marienhof“ sehen, sollten zu Lehrlingen gemacht werden. Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband konnte den etwa zehn Jahre alten Vorgang auf Anfrage leider nicht mehr aufklären. Das Logo „sanitär-heizung-klima“ Auch „Töppers“ ist noch dabei. Die von Wolfgang Seidenberg gespielte Figur ist überhaupt vielseitig einsetzbar. Frau Sandbeck hatte den potenziellen Schleichwerbungs-Neukunden aus dem Verband auch zwei Szenenbeispiele mitgebracht, die von der Europäischen Teppichgemeinschaft initiiert worden seien. Auf Töppers Parkettboden hatten sich hässliche Wollmäuse angesammelt. Jetzt sollte eine neue Wohnung bezogen werden, und Nachwuchs war auch unterwegs. Töppers zu seiner Frau: „Lass uns doch dann wenigstens die Wohnung mit Teppichboden auslegen, das hatte ich immer schon mal vor. Teppichboden bedeutet weniger Staub, schluckt die Geräusche, sieht tadellos aus und erleichtert unserem Nachwuchs die ersten Gehversuche.“ Julia Biedermann Quelle aller Abbildungen: ARD Es war nicht das einzige „Marienhof“-Beispiel, das Sandbeck als Leistungsnachweis der H.+S. mitgebracht hatte. Als Nächstes bekamen die PR-Manager des Verbandes vier Szenen mit einem Schulwettbewerb zum Thema „Energiesparen“ zu sehen. Mit dabei auch der „Marienhof“-Klempnermeister „Töppers“, der die Vorzüge einer Erdgasheizung hervorhob. Auftraggeber hierbei: der ZentralVerband SanitärHeizung-Klima, der auf Anfrage inzwischen bestätigt hat, mit der H.+S.-Schwesterfirma Kultur+Werbung (K+W) für mehrere „Marienhof“-Staffeln zwischen 1994 und 1998 zusammengearbeitet zu haben. Ob die Kooperation wirklich seit sieben Jahren beendet ist? Immerhin taucht das rundliche Logo des Handwerksverbands noch heute regelmäßig im „Marienhof“ auf. Bis 2003 gab es auch thematische Handlungsstränge rund um das Sanitärhandwerk. Auch für dieses Placement gibt es inzwischen eine Kundenbestätigung, allerdings war der Auftrag nicht von der Teppichgemeinschaft, sondern von der „Arbeitsgemeinschaft Textiler Bodenbelag“ gekommen. Als achtes „Marienhof“-Beispiel führte die H.+S.Mitarbeiterin in den Geschäftsräumen des Verbands einen programmintegrierten Spendenaufruf für die SOS Kinderdörfer vor. Hier, so Sandbeck, zeige sich ein weiterer Vorteil von Themen-Placement, das sich nicht nur dramaturgisch gut als absolut glaubwürdig einpasse, sondern auch etwaigen Kontrolleuren, z.B. Redakteuren, nicht auffalle: „SOS Kinderdorf – das ist nicht ein Markenname, das ist eine Institution. Und die steht einfach für ein gewisses soziales Engagement. Dadurch geht das auch beim Sender durch. Das ist überhaupt nicht aufgefallen, und es ist auch nicht rausgeschnitten worden.“ Die von Ute Sandbeck besuchten Verbandsmanager zeigten sich beeindruckt. Aber, wollten sie wissen, ist das Ganze nicht illegal? Die H.+S.-Mitarbeiterin gab ihr Unrechtsbewusstsein zu erkennen: „Also, Product- DEBATTE Placement ist im Fernsehen verboten.“ Es sei „einfach deswegen“ verboten, weil der Sender lieber seine eigenen Werbezeiten verkaufen wolle. Diese Begründung stimmte zwar nicht, aber dennoch: „Klar ist es nicht erlaubt. Aber Sie dürfen ja unentgeltlich Requisiten zur Verfügung stellen, das ist erlaubt! Sie dürfen nur kein bezahltes Product-Placement machen!“ So ist es nicht verwunderlich, dass Frau Sandbeck zur Verschwiegenheit mahnte, auch verbandsintern: „Möglichst wenig Leute involvieren - umso weniger wird geplappert. Sie können zwar sagen, dass Sie mitmachen, aber nicht, dass dafür Geld fließt.“ Product und Themen-Placement seien „generell verboten. Egal, ob's jetzt ARD - im gesamten TV-Bereich. Die ARD ist im gesamten Abendbereich schwierig.“ Ein Themen-Placement hingegen falle überhaupt nicht auf. 1.6.2005 Nr. 42 ■ epd medien Gegenleistung wurden PR-Botschaften der offiziellen Entwicklungshilfe ins Drehbuch geschrieben. Der damalige Entwicklungshilfeminister Carl-Dieter Spranger (CSU) sah sich damals massiver Kritik der politischen Opposition ausgesetzt. Im Bundestag gab es eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen, der SPD-Politiker Peter Struck, heute Bundesverteidigungsminister, kritisierte das Ideen-Placement als „teuer bezahlte Irreführung der Fernsehzuschauer“, und auch entwicklungspolitische Bürgerinitiativen kritisierten „Klinik unter Palmen“ als Zerrbild der tatsächlich nötigen Hilfe in der Dritten Welt. Spranger rechtfertigte sich später mit einer Enigma-Umfrage, wonach das Steuergeld angeblich sinnvoll ausgegeben wurde (epd 9/97) - die „Studie“ wurde später von H.+S. Interessenten als Referenz für den eigenen exquisiten Kundenkreis zugeschickt. „Der Zuschauer ahnt das gar nicht“ Die Irreführung des Verbrauchers, die für den Gesetzgeber neben der wettbewerbsrechtlichen Problematik der eigentliche Hauptgrund ist, Schleichwerbung zu verbieten (§ 7 Rundfunkstaatsvertrag und § 1 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, UWG), wird von H.+S. in Kauf genommen. Sandbeck im Kundengespräch: „Der Zuschauer ahnt das gar nicht, dass man so was so direkt steuern kann.“ H.+S. und die Schwesterfirma Kultur+Werbung gehören Andreas Schnoor, einem 55-jährigen ehemaligen Schauspieler, der seit Mitte der 90er Jahre zu den erfolgreichsten Product Placern in Deutschland gehört. Seine Spezialität: Themen-Placement für Industrie und Interessenverbände. Jemand, der mit ihm gearbeitet hat, beschreibt ihn als „alten Fuchs“, als „Pionier“ des PP-Gewerbes, der auf Erfordernisse der TV-Produktion, auch auf dramaturgische Zusammenhänge eines Drehbuchs Rücksicht nehme. Deutliches Lob auch von einem ehemaligen Pharma-PRManager, der Schnoor als einen „absolut zuverlässigen Geschäftspartner mit hervorragenden Kontakten“ kennen gelernt hat. Hervorragende Kontakte auch in die Politik: Mitte der 90er Jahre gelang es Schnoor, beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 276.000 D-Mark (heute gut 141.000 Euro) lockerzumachen. Wohl abzüglich der üblichen Vermittlungsprovision floss das Geld in die Produktion der ARD-Serie „Klinik unter Palmen“, die die Wörthersee Filmproduktion für die Degeto herstellte. Die ARD-Tochter Degeto wollte erst hinterher erfahren haben, dass ihre Serie (mit Klausjürgen Wussow in der Hauptrolle) mit Staatsgeld kofinanziert wurde. Als Und noch einmal der Handwerksverband „Mit der Produktionsfirma ist das abgesprochen“ Einige Jahre später, irgendwo in Deutschland, wollten die Verbandsmanager, die Ute Sandbeck als potenzielle Neukunden besucht hatte, wissen, wie es eine Privatfirma wie H.+S. überhaupt schaffe, externe Botschaften in die Drehbücher einer öffentlichrechtlichen Fernsehserie zu schleusen. Die Antwort: „Wir arbeiten mit Hauptdramaturgen, mit Redakteuren, wir arbeiten mit denen allen zusammen. Sonst würde das nicht funktionieren.“ Nachfrage: Ist das auch mit der Produktionsfirma abgesprochen, damit es keinen Ärger gibt? „Ja, mit der Produktionsfirma ist das abgesprochen. Klar. Sonst würde das gar nicht laufen. Aber nicht mit dem Sender! Nein, mit dem Sender ist es nicht abgesprochen.“ Die ARD sei da „sehr strikt“. Frau Sandbeck erklärte das System so: „Die Redakteure von den Sendern sind natürlich nicht, also ich sag mal: in achtzig Prozent nicht involviert. Weil die wollen natürlich die Senderhoheit haben, was den 5 6 epd medien ■ Nr. 42 · 1.6.2005 DEBATTE Inhalt der Serien betrifft.“ Die Sender wollten „erst mal ihre Spots verkaufen“. Die Produktionsfirma sei andererseits daran interessiert, sich zu refinanzieren: „Refinanzierung bedeutet: sie müssen irgendwie sich zusätzlich Geld holen.“ Dieses Geld holten sie sich in dem Fall über Themen-Placement: „Also, in der ARD dürfen wir nur ganz wenig Product-Placement machen, ja? Insofern ist die Produktion schon sehr daran interessiert, dass da gewisse Aufträge laufen.“ Die Bavaria Film: drittgrößte TV- und Film-Produktionsfirma Deutschlands wird. Man habe, so hieß es, sogar exklusiven Zugang zur Produktion dieser täglichen Serie. Weiter sagte sie: „Die Autoren sind natürlich eingeweiht, das ist klar. Und die Produktionsfirma, der Herr von Mossner, das ist der Produzent von ,Marienhof', der ist auch eingeweiht, sonst würde das ja nicht laufen.“ Als Referenz nannte sie an dieser Stelle auch den Namen von Thilo Kleine. Der frühere NDR-Redakteur und spätere Produzent sowie Mitgesellschafter der ExKirch-Firma Neue Deutsche Filmgesellschaft (NDF) war Anfang 1994 Geschäftsführer der Bavaria Film GmbH geworden. epd Die traditionsreiche Bavaria Film wurde 1919 als Studiobetrieb in Geiselgasteig bei München gegründet. Heute zählt sie zu den größten TV- und Film-Produktionsfirmen in Europa. Mit fast 265 Millionen Euro Umsatz belegt sie in Deutschland Platz 3 in der Unternehmensrangfolge, nach der Ufa-Gruppe und Studio Hamburg. Bavaria-Pressesprecher Hansgert Eschweiler erklärte zu Sandbecks Berufung auf Mossner und Kleine jedenfalls noch im Mai 2003, dass es sich „wohl um das in unserer Branche übliche ,name-dropping'“ handele, wenn Sandbeck davon spreche, „seit Jahren mit Verantwortlichen der Bavaria Film zusammenzuarbeiten“; Geschäftsbeziehungen gebe es gleichwohl nicht. Das Unternehmen mit mehr als 20 Tochterfirmen im In- und Ausland beschäftigt etwa 1500 Menschen. Die Bavaria hat eine öffentlich-rechtliche Gesellschafterstruktur: Die WDR Mediagroup ist mit 33,35 Prozent größte Einzelgesellschafterin. Die SWR Holding ist mit 16,67 und die Drefa Media Holding des MDR mit 16,64 Prozent beteiligt. Weitere Teilhaber sind die Bavaria Filmkunst, ein Zusammenschluss von privaten Altgesellschaftern (16,67), und die Förderbank des Freistaates Bayern, die LfA - Gesellschaft für Vermögensverwaltung (16,67). Ein internes Telefonverzeichnis der H.+S.Schwesterfirma K+W, das dem epd vorliegt, lässt andere Schlüsse zu. Dort fand sich ein ganzer Block von Bavaria-Ansprechpartnern: Dr. Rolf Moser, Geschäftsführer der Bavaria Sonor Musikverlag & Merchandising; Stephan Bechtle, „Marienhof“-Produzent von 2000 bis Ende 2003; Dr. Werner Lüder, der ChefOutliner der ARD-Serie; Line-Producer Peter Eidenberger und Michael von Mossner, „Marienhof“Produzent von 1994 bis 2000. Von diesen fünf und fünf weiteren Bavaria-Mitarbeitern sind in der Liste Durchwahl-, Handy- und Faxnummern verzeichnet, im Falle von Lüder auch die seines Berliner Büros. Zu den herausragenden Bavaria-Produktionen zählten zuletzt „Die Manns“ und der Anfang Mai im Ersten ausgestrahlte Dreiteiler „Speer und Er“, den der jetzt in die Kritik geratene Bavaria-Geschäftsführer Thilo Kleine persönlich produziert hatte. Neben Fernseh- und auch Kinofilmen, die oft preisgekrönt wurden, ist die Bavaria vor allem in der umsatzbringenden Serienproduktion aktiv („Marienhof“, „Rosenheim-Cops“, „In aller Freundschaft“ u.a.). Anfang des Jahres gründete die Bavaria eine neue Tochterfirma in Italien. Sie soll dem staatlichen Fernsehen RAI eine italienische „Marienhof“Version liefern. Geschäftsführer Kleine strebt auch eine Expansion nach Osteuropa an. lili Mit der Herstellerin des „Marienhofs“, der Bavaria Film in München, arbeite man schon seit Mitte der 90er Jahre zusammen, behauptete die H.+S.Mitarbeiterin weiter - was durch die Sparkassenszene und die Sanitär-Heizung-Klima-Bestätigung bewiesen Alles nur „name-dropping“? Moser, Lüder, Eidenberger und von Mossner waren zu Stellungnahmen nicht bereit. Lüder beispielsweise hätte aufklären können, warum sich in K+W-Protokollen an einer Stelle, wo die Sat.1-Serie „Für alle Fälle Stefanie“ als „neues Projekt“ ausgewiesen wird, folgender Vermerk findet: „AS (d.i. Andreas Schnoor) spricht mit Lüder wg. dramaturgischem Aspekt.“ Fest steht, dass der hochproduktive Bavaria-Chefoutliner Lüder über Jahre hinweg immer noch Zeit fand, nebenher an Drehbüchern für die Sat.1-Serie mitzuwirken: Acht schrieb er selbst, an fünf wirkte er mit und für 37 Folgen entwickelte er die Outlines - seine Einflussmöglichkeiten waren also erheblich. Stephan Bechtle, der Ende 2003 als „Marienhof“Produzent abgelöst wurde und der jetzt, so Thilo Kleine noch im Februar, Bavaria-„Chefproduzent“ in Italien werden soll, hat ein 2003 geführtes Interview zum Thema nicht freigegeben, in einem nachgeschobenen Fax aber behauptet, er kenne weder H.+S. noch DEBATTE Ute Sandbeck und es gebe keinerlei Zusammenarbeit. Das ist mittlerweile widerlegt und war schon damals unglaubwürdig, weil dann u.a. schwer erklärbar wäre, wieso Sandbeck ihren potenziellen Neukunden vor wenigen Jahren noch erklären konnte, wie der Einbau ihrer Kommunikationsziele in die ARD-Fernsehserie praktisch funktionieren sollte. „Marienhof“-Outlines vorab an Werbekunden Nach einem ersten Briefing sollte der Kunde vorab, noch vor Drehbeginn die Outlines kommender Episoden mit den auf Kundenwunsch integrierten PRBotschaften erhalten: „Da ist die Szenenbeschreibung und die indirekte Rede ist dabei. Die geben wir Ihnen zur Verfügung jedes Mal, wenn was drinnen ist. Schicken wir dann per E-Mail, machen wir das immer, das geht dann schneller. Sie schauen das durch, ob das so in dem Sinne ist. Sie schicken das wieder zurück, und dann geben wir das dann frei für die Drehbuchautoren, dass die das ausformulieren. Und wir kontrollieren dann noch mal, ob das dann so in der wörtlichen Rede dann auch umgesetzt ist.“ Dass die „Marienhof“-Outlines, also programmhoheitliches Material der ARD, vorab an die PlacementAgentur gingen, wird von einem ehemaligen Produktionsmitarbeiter bestätigt: K+W sei lange Zeit im EMail-Verteiler der „Marienhof“-Produktion gewesen, so diese Aussage. Damit war für die externe private Agentur eine Gelegenheit geschaffen, die weitere Serienentwicklung nach kommerziellen Platzierungsmöglichkeiten zu durchforsten. Schleichwerbung im Zehnerpack für 175.000 Euro Bezahlt werden müsse erst, versicherte Ute Sandbeck den Interessenten, wenn die Botschaft auch auf dem Bildschirm war - was ein zusätzlicher Hinweis darauf ist, dass H.+S. nichts versprach, was die PlacementAgentur nicht halten konnte. Über die geschickteste steuerfreundliche Verbuchung hatte sich H.+S. auch schon Gedanken gemacht: „Ich würde das nicht unter Werbung laufen lassen. Wir würden auch eine Rechnung schreiben. Wir schreiben zum Beispiel auch nie ,für Themen Placement' rein, sondern wir schreiben immer ,für medientechnische Beratung'. Das können Sie dann im Bereich Öffentlichkeitsarbeit buchen.“ Und das Zuckerl zum Schluss: Größere Kunden würden nach München aufs Filmgelände der Bavaria eingeladen, um sich mit Produktionsverantwortlichen und Drehbuchautoren zu unterhalten. Dieses Kundengespräch ist einige Jahre alt. Mit einer verdeckten Recherche gelang es aber, zumindest noch für das Jahr 2003 nachzuweisen, dass H.+S. die Bava- 1.6.2005 Nr. 42 ■ epd medien ria-Produktion „Marienhof“ weiterhin für Schleichwerbung anbot. Dabei wurde ein fiktiver Kunde vorgespiegelt, der „Sneakers“, Modeschuhe für Jugendliche also, programmintegriert bewerben wolle. Nach ersten Vorgesprächen und einem Besuch in der Münchener Firmenzentrale kam am 23. April 2003 ein schriftliches Angebot, wonach man sich einig sei, die Sneakers nicht nur „ausstattungsmäßig in die Handlung zu integrieren, sondern zu einem aktiven Bestandteil der Handlung zu machen, um ihnen damit beim Zuschauer eine höhere Aufmerksamkeit und Emotionalität zu verschaffen. (...) Jede Folge, in der mindestens in einer Szene eines der gemeinsam festzulegenden Briefing-Themen dialogisiert wird und dabei die entsprechenden Sneakers in ihrem CI/CDErscheinungsbild sichtbar werden, gilt als Folge mit sog. ,aktiver Beratungsumsetzung'“ - für die dann auch gezahlt werden müsste. Diesmal wurde die Honorarforderung sehr konkret. Pro Folge sollte das Modeschuh-Placement 17.500 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer kosten. Am liebsten aber verkaufte H.+S. das Zehnerpack für 175.000 Euro „um einen entsprechenden Kampagnencharakter zu erzielen“, wie es hieß, und auch deshalb, weil der Produktion alles unter fünf Placements zu aufwändig sei. Beigelegt waren Zuschauerstruktur- und Marktanteilsdaten der ARD-Serie „Marienhof“: Über drei Millionen Zuschauer wurden da versprochen. Aggressive Akquise mit 200 Anwerbeversuchen Interne Geschäftsunterlagen der Firmen K+W und H.+S., die epd vorliegen, beweisen, wie intensiv und systematisch die Bemühungen um den „Marienhof“ früher waren. Eine von 2002/03 datierende Projektliste weist sage und schreibe fast 200 Produkthersteller, Dienstleister, Interessenverbände und öffentliche Institutionen bis hin zum Bundeskriminalamt aus, denen Andreas Schnoor und seine Mitarbeiter ein Platzierungsangebot unterbreiten wollten oder schon unterbreitet hatten. Die Liste dokumentiert auch die fünf Abschlüsse, die man für den „Marienhof“ in jener Zeit schon getätigt hatte: Tetra Pak zum Thema Lactoseunverträglichkeit, Vodafone D2, der Kinofilmverleiher UIP („5 Folgen, Option auf 10 Folgen“), Nourypharma und der Allgemeine Deutsche Tanzlehrerverband („Tanzschule, 20 Folgen“). Die Tanzlehrer, von denen es inzwischen ebenso eine Bestätigung für die Kooperation gibt wie von UIP, sollten übrigens auch in der ARD-Jugendserie „Fabrixx“, produziert von der Bavaria-Tochter Maran, untergebracht werden: „AS (d.i. Andreas Schnoor) telefoniert mit von Mossner“, vermerkt das Protokoll dazu. 7 8 epd medien ■ Nr. 42 · 1.6.2005 DEBATTE Seifenoper seit fast 13 Jahren epd Der „Marienhof“ ist eine der am längsten laufenden Serien im deutschen Fernsehen. Die Geschichten aus der Nachbarschaft eines fiktiven Kölner Stadtteils waren am 1. Oktober 1992 erstmals auf Sendung, zunächst zwei Mal die Woche. Am 2. Januar 1995 stellte die ARD den Senderhythmus auf fünf Mal die Woche um, montags bis freitags um 18.20 Uhr. Der „Marienhof“ wurde damit zur „Daily Soap“. Die BRRedakteurin Stephanie Heckner, die lange für die Serie programmverantwortlich war, hat sie „die Kernseife unter den deutschen Soaps“ genannt. Ausgestrahlt wird die Serie immer gleich nach der anderen Seifenoper der ARD, „Verbotene Liebe“. Beide Sendungen gehören am Vorabend zum so genannten Werberahmenprogramm im Ersten. Hier verdient die ARD die ihr möglichen Werbegelder. Möglichst viele und möglichst junge Zuschauer - das ist für die werbungtreibende Wirtschaft wichtig. Der „Marienhof“ hatte früher über drei Millionen Zuschauer, doch das ist vorbei. Derzeit wird die ARD-Serie von durchschnittlich 2,81 Millionen Menschen gesehen (Marktanteil: 12,4 Prozent im 1. Quartal 2005). Die werberelevante junge Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen ist mit 1,19 Mio. Zuschauern (14,7 Prozent Marktanteil) vertreten. Alljährlich muss die Bavaria Film in München im Auftrag der ARD-Werbung rund 250 Folgen herstellen. Dies bedeutet einen hohen Produktionsdruck. Täglich muss in München-Geiselgasteig, wo der fiktive Kölner Stadtteil als Kulissenstadt aufgebaut wurde, eine ganze Folge abgedreht werden. Bis jetzt haben mehr als 130 Haupt- und über 6000 Nebendarsteller in der seit fast 13 Jahren laufenden Serie mitgewirkt. Am längsten ist Viktoria Brams in der Rolle der „Inge Busch“ dabei. Im Produktionsteam, dem so genannten Stab, wirken 130 Mitarbeiter mit. Rund 25 Autoren arbeiten regelmäßig an den Drehbüchern und Storylines der Serie. Bis jetzt (31. Mai) sind 2637 einzelne Folgen gelaufen. lili Ein weiteres K+W-Protokoll zum „Monatsmeeting“ vom 2. Dezember 2002 lässt zudem erkennen, was für die 10. Staffel des „Marienhof“, also für rund 250 Folgen, die für die Ausstrahlung zwischen Juni 2002 und Juni 2003 vorgesehen waren, geplant war: „Bitte darauf achten, dass keine Abschlüsse unter fünf Folgen gemacht werden! Bei Abschluss sollte grundsätz- lich ein Beratungs- und Requisitenlieferungsvertrag abgeschlossen werden! PREISE: ,Aktive Integration', EUR 17.500. AUSSTATTUNGSPLACEMENT: Es müssen 20 Folgen minimum für ein Motiv belegt werden, on the top 5 Folgen, als sog. ,Aktive'. Keine Exklusivausstattung! Produktvielfalt muss gegeben sein.“ Die Zweiteilung der Verträge deutet auf juristische Vorsicht hin: Einen Requisitenlieferungsvertrag ohne Honorarangabe würde man immer vorzeigen können. Der Verzicht auf „Exklusivausstattung“ und die Mahnung zur „Produktvielfalt“, beides geschah offenbar in Rücksicht auf die ARD-Richtlinien von Programm und Werbung, die dort, wo reale Markenwelt unvermeidlich gezeigt wird, mindestens einen ständigen Markenwechsel zwecks Neutralisierung vorschreiben. Ende 2002 war vorübergehend auch die Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe e.V. unter Vertrag genommen worden: „Entwicklung des Blocks ab Herbst 03. Outlines angesagt“ - das deutet auf langfristige Vorbereitungen hin. Doch Anfang 2003 sprang das Würzburger Hilfswerk wieder ab, ließ einen mit MA.Media geschlossenen Beratungsvertrag wieder aufheben. MA.Media ist eine Münchener PR-Agentur, die in mehreren Projekten mit Andreas Schnoor zusammengearbeitet hat. Dann trafen in Würzburg erste Umsetzungsvorschläge ein, die die Verantwortlichen im Hilfswerk aber als „nicht plausibel“ und „eher aufgesetzt“ ablehnten. Die „eigenwilligen Ideen“ der Berater aus München, wie Problemthemen in den „Plot“ des „Marienhof“ eingebaut werden könnten, hätten nicht zum seriösen Image des „Deutschen Aussätzigen-Hilfswerk“, wie die Organisation früher hieß und sich noch heute abkürzt (DAHW), gepasst. DAHW-Sprecherin Renate Vacker bestätigte dem epd diesen Verzicht. L'tur – der Höhepunkt im Frühsommer 2003 Auch in anderer Hinsicht deuteten sich gewisse Schwierigkeiten an: „Zukünftig gehen nur noch Themen u. Verbände sowie Krankheitssymptome im Marienhof! Wir brauchen keine Läden mehr anbieten, da sich dies bis dato als äußerst schwierig gestaltete.“ „Keine Läden mehr“: da aber hatte Andreas Schnoor den Last-minute-Reisevermarkter L'tur längst unter Vertrag: „L'TUR/NEUES REISEBÜRO: Slogan ,Nix wie weg' - Last Minute Urlaub. Reisebüro wird von Figur ,Andrea' übernommen. Motiv wird jetzt gebaut.“ Dieser Abschluss wurde noch umgesetzt. Es wurde ein Höhepunkt an optischem Product-Placement und dialogintegriertem Verbal Placement. DEBATTE 1.6.2005 Nr. 42 ■ epd medien • am 20. Juni: Sülo kommt nach Hause, L'turAngebotszettel in der Hand, und schwärmt: „Hallo Mädels! Ich weiß jetzt, wohin ich in Urlaub fahre. Ich fliege in die USA! Und weißt du was? Die Preise, die sind so günstig, da reicht das ganze Geld sogar für'n Trip an die Westküste. Da wollt' ich immer schon mal hin. Das ist die Stadt überhaupt: die Menschen! Die Toleranz! Das Lebensgefühl! Da gibt es durchgeknallte Typen - da passt einfach alles!“ Die „Mädels“: „San Francisco?“ - Sülo: „Ja, woher wisst ihr das?“ Reiseshop im „Marienhof“ I Am 6. Mai 2003 war man damit auf Sendung: Andreas Reisebüro erstrahlte in frischem Glanz - und im Original-Corporate-Design von L'tur: mit Magenta als Markenfarbe, ovalem Firmenlogo und dem markenrechtlich geschützten Slogan „Nix wie weg“ darin, mit Original-L'tur-Werbezetteln auf dem Tresen im TVReisebüro und mit aktuellen Sonderangeboten auf Plakaten, die, oft in Nahaufnahme, reizvolle Destinationen und marktnahe Preise zeigten. Rechtzeitig zur Hauptreisezeit wurde L'tur während zehn Wochen vom 6. Mai bis 16. Juli 2003 in 31 „Marienhof“Episoden ins Bild gerückt. Innerhalb der Episoden kam es zu 24 massiven und 20 weniger massiven Markenpräsentationen. • am 24. Juni: Sülo am Verkaufstresen, über Reiseangebote gebeugt: „Du, Andrea, danke! Ich glaube, das ist es. Und so günstig!“ - Andrea: „Es freut mich, wenn du zufrieden bist.“ • am 25. Juni: Angeboten wird ein All-inclusive-Urlaub mit Tenniskurs auf Lanzarote für 599.- Euro. Kim: „Ist das günstig?“ - Andrea: „Ja, das ist der Hammer. Da sparst du 300 Euro zum regulären Preis.“ • am 2. Juli: „Bei Andrea gibt es richtig geile Luxusreisen für total wenig Geld. Hotel mit Vollpension, Flug und allem drum und dran.“ Das war auf den Punkt getextet: offenbar alles Folgen mit „aktiver Beratungsumsetzung“. Ab dem 18. Juli war der Reiseladen erstmals abgeändert, erinnerte weniger stark an L'tur. Der damals noch für die Programmabnahme zuständigen ARD/BR-Redakteurin Stephanie Heckner war aufgefallen, dass das „Marienhof“-Reisebüro zu stark an L'tur erinnerte - von Stephan Bechtle, damals noch Produzent der Daily Soap, verlangte sie, das abzustellen. Im Sinne der H.+S.-Spezialität „Themen-Placement“ war aber vorher auch verbal in Dialogen reichlich Werbung für das Konzept des Last-minute-Reisens untergebracht worden: • am 20. Mai 2003: Elena Zirkowski will gegen den Willen ihrer Mutter eine Schauspielausbildung in New York beginnen. Die Frage, wie willst du denn den Flug bezahlen, beantwortet sie so: „Ich brauch deine finanzielle Unterstützung gar nicht, ich hab nämlich was gespart. Bei ,Nix wie weg' gibt's außerdem jetzt auch Flüge nach New York. Sehr, sehr billig!“ • am 27. Mai: Trixi: „Hast du noch'n Flug sie für bekommen?“ - Frederik: „Ja, ein Last-minute-Ticket. Von Andrea. Für nur 99.- Euro!“ - Charly: „Wow!“ Reiseshop im „Marienhof“ II „Wer hat da wie viel an wen gezahlt?“ Die Serie „Marienhof“ ist seit 1. Oktober 1992 im Programm, seit dem 2. Januar 1995 kommt sie täglich (montags bis freitags). 2637 Folgen sind inzwischen gesendet worden. Die Serie wird derzeit von durchschnittlich 2,81 Millionen Menschen gesehen (Marktanteil: 12,4 Prozent im 1. Quartal 2005). Bis in die heutige Zeit hinein tauchten im „Marienhof“ immer wieder Markennamen auf, die auffällig ins Bild gerückt werden. 9 10 epd medien ■ Nr. 42 · 1.6.2005 DEBATTE • Am 6. Juni 2003 überraschte der „Marienhof“ mit einem serienintegrierten Verkaufsgespräch für die real existierende Badelotion „Calinda“ - 29 Sekunden lang und damit exakt in Werbespotlänge. „Calinda“ in der „Marienhof“-Drogerie In der Drogerie M+P war die Figur „Luca“ als Verkäufer im flirtigen Gespräch mit einer älteren Kundin zu sehen: „Nehmen Sie noch dieses herrlich entspannende Schaumbad mit. Natürlich passend in der Farbe. Da wird das Baden zum reinen Vergnügen.“ Der Vertreiber der Lotion, die Taxor AG in Berlin, aber dementiert jegliche Veranlassung. • Am 30. Juni 2003 gab der „Marienhof“ Tipps für die Freizeitgestaltung. Inge Busch fragte Friedrich Dettmer: „Gibt's da nicht in Hamburg gerade dieses ABBAMusical?“ - Dettmer: „Ja, ,Mamma Mia!'. Soll ganz gut sein. Kollege war neulich da. Aber da muss man sich rechtzeitig um die Karten kümmern.“ Der Spanier Gaspar hatte online Erfolg: „Aber im Internet!“ - da waren noch Karten zu bekommen. Die MusicalVeranstalterin Stage Holding erklärte dazu, für diese Verbal Placements nichts gezahlt zu haben. Lediglich Karten für das Musical habe man gestellt, nachdem ein „Außenrequisiteur“ darum gebeten hatte. „Florida Boy“: mehrfach im Einsatz • Am 7. August 2003 wunderte sich eine Zuschauerin, dass der Darsteller Simon-Paul Wagner („Marlon Berger“) in mehreren Szenen ein „Florida Boy“-T-Shirt trug. „Das irritiert mich sehr“, schrieb sie an die ARDZuschauerredaktion. „Ist Schleichwerbung in der ARD nicht verboten? Wer hat da wie viel an wen gezahlt?“ Das sei nur jugendlicher Kleidungsstil gewesen, bekommt sie zur Antwort, und kein Product-Placement: „Diese Werbeform ist im öffentlich-rechtlichen Fernsehen speziell nicht erlaubt.“ Wie die ARD dementierte auch die Pepsi-Cola GmbH: keine werbliche Absicht! • Gelegentlich wird's im „Marienhof“ sogar politisch. So am 23. April 2004, als der umstrittene EU-Beitritt der Türkei Thema war. Im Rahmen einer Schulstunde dozierte der als Gast in die Klasse geladene türkische Gemüsehändler „Sülo Özgentürk“ (gespielt von Giovanni Arvaneh), sein Heimatland bemühe sich doch sehr um demokratische Reformen und auch die Emanzipation der Frau: „Die Harems sind abgeschafft - ich glaube, wir können bei der Gleichberechtigung hoffen.“ Raffiniert plädierte Sülo für Integration: „Ich denke, die Türkei braucht einen starken Partner in den Punkten Menschenrechte und Wirtschaftsangelegenheiten. Und diesen Partner sucht sie auch, und so jemanden stellt die EU vor.“ – Ob das bezahlte politische Ideenwerbung war? Aus Geschäftsunterlagen geht zumindest hervor, dass Kultur+Werbung vor längerer Zeit dem Verband Türkischer Unternehmer und Industrieller in Europa e.V. ein Platzierungs-Angebot für den „Marienhof“ unterbreitet hatte. Eine Anfrage an diese Organisation mit dem Kürzel „ATIAD“, ob dies realisiert wurde, blieb ohne Antwort. • Ebenfalls wie ein Themen-Placement mutet dieses Fallbeispiel an: Vom 28. August 2003 bis 1. März 2004 wurde im „Marienhof“ ein lang gestreckter Handlungsbogen entfaltet, bei dem die Vorzüge einer Kinderpatenschaft bei World Vision optisch und verblich hervorgehoben wurden: Lehrer „Friedrich Dettmer“ (gespielt von Gerd Udo Feller) hatte plötzlich ein Patenkind in Brasilien, das eines Herzklappenfehlers wegen in Deutschland behandelt werden musste: „Und World Vision hat's organisiert, dass ein Kölner Spezialist sie operiert. Ist das nicht toll?“ Dettmers WG-Partnerin „Inge Busch“ schwärmte: „World Vision kümmert sich phantastisch um die Kinder!“ Später holte World Vision das gesundete Mädchen in einer offiziellen Limousine mit Markenzeichen an der Tür wieder ab. - Doch das Hilfswerk World Vision, das noch im vergangenen Jahr zum Beispiel eine Reportagereihe von n-tv mit finanziert hatte (epd 14/05), will in diesem Fall von einer Bezahlung nichts wissen: „Man ist auf uns zugekommen, weil man Paten- DEBATTE schaften ins Drehbuch einbauen wollte und ein paar Informationen und Requisiten von uns wünschte“, erklärte Pressesprecher Kurt Bangert auf epd-Anfrage. Empfehlung: eine Patenschaft bei Word Vision • Andreas Reiseladen war seit September 2003 mit Flachbildschirmen der Marke „Belinea“ ausgestattet. In fast zwei Dutzend Folgen war die Marke im Bild, bis die Requisite Ende 2004 abgeändert und mit dem fiktiven Namen „FLAT“ versehen wurde. Der Hersteller Maxdata dementierte, die vorherige Platzierung veranlasst zu haben, fand es aber „schön, dass die Monitore so prominent gezeigt werden“. Maxdata-Monitor im „Marienhof“-Reiseshop • Am 19. November 2004 prangte in einer KlinikSpielszene plötzlich das grüne Logo der „AOK“ über der Schulter von Sven Thiemann („Charly Kolbe“) - die Krankenkasse dementiert, dies veranlasst zu haben. • Am 16. März 2005 posierte Viktoria Brams („Inge Busch“) vor einem Werbeplakat für das Entwässerungsmittel „Biofax“. Der zuständige Produktmanager beim Hersteller Strathmann AG erinnerte sich spontan, dies sei eine Empfehlung der Mediaagentur des Hauses gewesen. Später aber dementierte er ausdrücklich. 1.6.2005 Nr. 42 ■ epd medien Sprachregelung: „Haben wir nichts für gezahlt!“ Nicht alle dieser Beispiele lassen sich definitiv auf bezahltes Placement zurückführen. Mal dürfte es wirklich Zufall oder dramaturgisch gewollte Realitätsnähe sein, mal könnte das eingeholte Dementi zu einer vorher verabredeten Taktik der Leugnung gehören. Andreas Schnoor spricht mit seinen Medien- und Wirtschaftskunden vorher ein „Wording“ ab, wonach der Kunde nur kostenlos Requisiten bereitgestellt habe. Und sollte doch einmal eine Zahlung an einen Fernsehproduzenten auffliegen, wolle man diese „Produktionskostenzuschuss“ nennen. Das ist auch die Art und Weise, wie Ute Sandbeck ihre Interessenten im Verband gegen drohende Enthüllungen impfte, in diesem Fall am Beispiel „Schimanski“: „In dem Moment, wenn da ein Redakteur von einer Zeitung anruft, müssen Sie natürlich sagen: Ja, das war Zufall, dass er das getrunken hat. Haben wir nichts für gezahlt! Da hat er halt Red Bull getrunken!“ Der Getränkehersteller, dessen blau-rot-silberne Dosen 2003 auch im „Marienhof“ Verwendung fanden, ließ eine epd-Anfrage dazu unbeantwortet. Die Reihe der Merkwürdigkeiten im „Marienhof“ ließe sich fortsetzen: mit Modemarken, Körperpflegeprodukten, Waschmitteln, Handys, Unterhaltungselektronik, Musikbands, Filmplakaten, Alkoholika und vielem anderen. Die heutige „Marienhof“-Produzentin Bea Schmidt erklärte zu einigen der Beispiele, es handele sich dabei nicht um bezahlte Platzierungen: „Markenartikel setzen wir in einzelnen Zusammenhängen aus dramaturgischen Gründen bewusst sein, um eine bestimmte Atmosphäre zu erzeugen bzw. um die ,normale' Realität darzustellen (life style feeling, Authentizität o.ä.).“ Doch „Marienhof“ ist kein Einzelfall. Auch in den „Rosenheim-Cops“, die die Bavaria für das ZDF herstellt, fanden sich im Sommer 2004 und auch in der aktuell laufenden Staffel zahlreiche Auffälligkeiten beispielsweise immer wieder Bierreklame für den Rosenheimer Hersteller Flötzinger Bräu. Deren Verkaufsleiter Georg Kast erklärt das mit einem „Gentlemen's Agreement“ mit einem Mitarbeiter der Bavaria, den er aber namentlich nicht nennen will. Ob Flötzinger-Bräu für die Platzierung seiner Marke zahlen müsse? Kast: „Na gut, was ist umsonst?“ Der verantwortliche ZDF-Redakteur der „RosenheimCops“ kam interessanterweise direkt von der Bavaria Film nach Mainz. In München war er früher stellvertretender Headwriter des „Marienhofs“ - also mitten im Geschehen. In einem epd-Interview behauptete er jedoch 2003, Schleichwerbeversuche seien ihm in 11 12 epd medien ■ Nr. 42 · 1.6.2005 DEBATTE jener Zeit nie aufgefallen. Sofort nach dem Gespräch brach er die vereinbarte Vertraulichkeit, alarmierte die Bavaria und möglicherweise auch die H.+S. direkt, die er angeblich gar nicht kannte. Der verantwortliche Produzent Oliver Vogel war zu einer Stellungnahme nicht bereit. So konnte er nicht zu dem gehört werden, was die Agentur K+W eigener Darstellung zufolge mit ihm verabredet hatte: „Mit dem Produzenten wurde festgelegt, dass es hier drei Integrationsmodelle gibt: 1) Ausstattungsplacement (A): Hier geht es darum, Plakate, Aufkleber bzw. Produktausstattung für Arztzimmer, OP etc. zu verkaufen. Einmal der Markenname pro Folge, Preisvorschlag EUR 20.000. 2) Product-Placement (PP): Hier geht es um die selbstverständliche Anwendung eines Produkts, wie z.B. eine Infusionslösung am Tropf. Der Markenname wird sichtbar. Es wird nicht darüber geredet. Es hat keinen direkten ,thematischen Bezug'. Es findet nur die richtige, produktgerechte Anwendung statt. Preisvorschlag EUR 20.000. AOK-Logo im „Marienhof“ Pharmawerbung in Saxonia-Produktion Nicht nur die Bavaria-Mutter in München ist über viele Jahre begehrtes Zielobjekt der Schleichwerbeversuche des Andreas Schnoor gewesen. Auch die Bavaria-Tochterfirmen Maran Film („Fabrixx“), Nostro, Nova Film („Der Landarzt“), Colonia Media („Tatort“, „Schimanski“, „Jede Menge Leben“) und Saxonia Media sind betroffen. Ein besonders krasses Beispiel ist für die von der Saxonia produzierte ARD-Ärzteserie „In aller Freundschaft“ dokumentiert. Einem K+W-Projektstatusbericht zufolge, der dem epd ebenfalls vorliegt, kam es in dieser Hauptabendserie von 2002 bis 2003 in mindestens neun Fällen zu bezahlter Pharmawerbung - was einen dreifachen Gesetzesbruch darstellt: erstens verbotene Schleichwerbung, da innerhalb des Programms und bezahlt, zweitens ausgestrahlt nach der für ARD und ZDF geltenden 20-Uhr-Werbegrenze und drittens natürlich ohne den für Arzneimittelwerbung vorgeschriebenen Warnhinweis. Drehbuchintegrierte Krankheitsbilder wie Alzheimer, Asthma, Epilepsie, Fatigue Syndrom, Morbus Fabry und Multiple Sklerose waren jeweils der Anlass, um über bestimmte Medikamente, mindestens aber Wirkstoffe zu sprechen. Das interne Papier vom 6. Dezember 2002 benennt konkret die Episoden und Sendedaten sowie die Pharmakunden, die für bis zu 30.000 Euro pro Folge bedient wurden oder noch bedient werden sollten. Von fünf Pharmaunternehmen bzw. aus deren Umkreis gibt es inzwischen Bestätigungen, dass es diese hochproblematische Medienkooperation tatsächlich gegeben hat. 3) Themenplacement (TP): Hier kann es nur um Wirkstoffe und nicht um Marken gehen. Dann können thematisch breite Aussagen stattfinden. (...) Es handelt sich hier um eine aufwändige Dramaturgie. Kostenvorschlag EUR 30.000.“ Beim Projekt „In aller Freundschaft“ war auch wieder Ute Sandbeck aktiv. Die Produktion hatte offenbar versprochen, ihr „jeweils für 1 Folge die verabschiedeten medizinischen Themen gemäß eines Exposés bzw. Abrisses (zu) geben“. Sandbeck werde diese Informationen weitergeben. Schon vier Tage vorher war nach einem „Monatsmeeting“ im Arbeitsprotokoll festgehalten worden, Sandbeck werde versuchen, „immer aktuell die Krankheitsbilder von der Produktion zu bekommen, die aktuell entwickelt werden (kurzfristig!). Diese werden wir dann umgehend an MA weiterleiten.“ „MA“ - damit war erneut die Münchener Kollegenagentur MA.Media gemeint, die über besonders gute Kontakte zur Pharmaindustrie verfügen soll. Für die Saxonia und „In aller Freundschaft“ gingen K+W und MA damals gemeinsam auf Kundenfang. Das Beispiel „In aller Freundschaft“ gibt auch Hinweise auf die von Ute Sandbeck im Kundengespräch behauptete direkte Zusammenarbeit mit Drehbuchautoren. Über einen der Autoren der Serie heißt es anlässlich der Storyentwicklung für ein ParkinsonMedikament: „Hier hat sich der Fachberater schon Gedanken für eine Story gemacht.“ Das „Briefing“ des Kunden sei bereits dem Drehbuchautor zugeschickt worden - offenbar zwecks Umsetzung in Dialoge. Ute Sandbeck werde dann mit der Produktion sprechen. Kurz vor Weihnachten 2002 wurde es zeitlich eng. Um ein Mittel gegen das Erschöpfungssyndrom „Fatigue“ DEBATTE 1.6.2005 Nr. 42 ■ epd medien kundengerecht zu integrieren, sollte sich eine K+WMitarbeiterin als Redakteurin betätigen: „Drehbuch muss von SF bis 20.12.2002 bearbeitet werden, damit es in der zweiten Drehbuchfassung integriert ist.“ Den vorliegenden Unterlagen zufolge war das Thema „Fatigue“ am 25. Juni 2002 schon einmal im ARDProgramm gewesen - in Folge 183, projektiert für den 13. Mai 2003, sollte es wieder auf Sendung sein. um. 1998 und 1999 sei der Umsatz auf drei Mio. DMark gestiegen, so die Datenbank. Für die Jahre seit 2000 sind keine Angaben mehr zu erhalten. Befragt man „Marienhof“-Autoren über die Praktiken bei ihrer Serie, stößt man, auch unter Zusicherung von Informantenschutz, auf eine Mauer des Schweigens. Als Freie sind sie die schwächsten Glieder in der Kette, können jederzeit ihre Arbeit verlieren. Eine Liste von „Sponsoren“ soll es gegeben haben, deren Unterstützung für die Produktion sich aber auf Sachleistungen beschränkt habe, heißt es. Ein zweiter erinnert sich immerhin an „plumpe Anregungen“, doch mal dieses oder jenes Thema zu erwähnen, hält aber eine systematische Drehbuchbeeinflussung für eher unwahrscheinlich. Ein dritter berichtet, dass es bis vor etwa fünf Jahren, noch in der Hochzeit der Werbekonjunktur, hin und wieder per E-Mail Ansinnen der Dramaturgie gegeben haben, doch mal diesen oder jenen Markennamen einzubauen oder einen aktuellen Kinofilm zu nennen. Das sei ärgerlich gewesen, aber inzwischen vorbei. • welche Werbekunden in dieser und anderen Fernsehserien auf welche Art und Weise programmintegriert bedient wurden In der „Marienhof“-Apotheke: „Biofax“ Die Bavaria Film muss jetzt aufklären, • wie viele der fast 2700 „Marienhof“-Episoden Schleichwerbung enthielten, • und in welchem Maße die Bavaria selbst, ihre Töchter oder aber produktionsbeteiligte Privatpersonen an den Einnahmen aus Schleichwerbegeschäften partizipiert haben. In der PP-Branche heißt es, dass der Agent und Vermittler (also H.+S. u.a.) für sich maximal 30 Prozent behalte; der Durchschnittswert seiner Provision dürfte eher bei 20 bis 25 Prozent liegen. Sollte das auch bei den Bavaria-Kooperationen gegolten haben, müsste man annehmen, dass Schnoor den Löwenanteil seiner Einnahmen aus den PP-Geschäften an seine Medienpartner weitergab. An wen genau, in welcher Form und über welchen (Um-)Weg, das ist klärungsbedürftig. Andreas Schnoor und Ute Sandbeck wollten zu Fragen nach ihren Geschäftspraktiken keine Auskunft geben. Im beendeten Klageverfahren gegen die Recherchen für epd medien und „journalist“ hatte sich die H.+S. als „Trendscout“ hingestellt, der der Bavaria nur Tipps gebe, welche Mode beispielsweise unter Jugendlichen gerade in sei - als wüssten das deren rund 25 Autoren und Storyliner beim „Marienhof“ nicht selbst. Zwar lasse sich die Agentur den „Werbereflex“ im Fernsehprogramm - also genau der „Werbezweck“, den der Rundfunkstaatsvertrag verbietet - von ihren Kunden vergüten, an das jeweilige Produktionsunternehmen werde aber nicht gezahlt. Wenig überzeugend auch dieser selbstbezügliche Regelkreis: „Die Klägerin vergütet ausschließlich sich selbst.“ Die Bavaria muss umfassend aufklären Bleibt die Frage: Wohin floss das Geld? Die Honorarforderungen von H.+S. sind bekannt, die Umsätze der Firma auch. Einer Wirtschaftsauskunftei zufolge meldete die Kultur+Werbung GmbH Werbegesellschaft für kulturelle Einrichtungen für 1998 und 1999 jeweils drei Millionen D-Mark Umsatz (heute rund 1,5 Mio. Euro). 1,5 Mio. Euro sollen es auch für die letzten Jahre bis 2004 gewesen sein. Die zweite SchnoorFirma, H.+S. Unternehmensberatung GmbH, setzte demnach bis 1997 jährlich zwei Millionen D-Mark Bavaria-Geschäftsführer Thilo Kleine räumte Mitte Mai ein, dass es die beschriebenen „Kooperationen mit Dritten“ einschließlich der Pharma-Schleichwerbung tatsächlich gegeben hat. Allerdings sei er persönlich über „Umfang“ und „die einzelnen Vorgänge“ vorher nicht informiert gewesen: „Eine Information der Produzenten an die Geschäftsführung der Bavaria Film über die Placements fand nicht statt.“ Die Einnahmen aus diesen unerlaubten Nebengeschäften seien „nicht zur Deckung von Kosten“ bei der 13 14 epd medien ■ Nr. 42 · 1.6.2005 DEBATTE „Marienhof“-Produktion verwendet worden, so Kleine weiter. Dabei wäre das ja noch eine optimistische Variante gewesen, weil man mit einer besseren Ausstattung der Serie hätte argumentieren können. Aber mit knapp 20 Millionen Euro, die die ARD-Werbung Sales & Services als Auftraggeberin an die Bavaria für rund 250 Folgen jährlich überweist, gilt die Serie als vollfinanziert. Die Bavaria muss sich nicht etwa einen Restbetrag anderweitig besorgen. Auch so genannte Produktionskostenzuschüsse Dritter sind nicht erlaubt. Zur zweiten Möglichkeit - persönliche Bereicherung Einzelner - erklärte Kleine auf Anfrage, Mitarbeiterbefragungen hätten „in keinem Fall“ ergeben, dass womöglich Produktionsbeteiligte persönlich von den Placements profitiert hätten. Zu einer dritten Option gab Kleine Ende Mai diese offizielle Erklärung ab: „Die Erlöse sind innerhalb der Bavaria im Rahmen von zusätzlichen Developments und Eigenproduktionen (z.B. Kinofilme) eingeflossen.“ Close-up: Logo mit L’tur-Slogan im „Marienhof“ „Leider zu spät“ abgemahnt Thilo Kleine, der erst jüngst mit „Speer und Er“ auch wieder als Produzent hervorgetreten ist, beteuert in Reaktion auf die Enthüllungen, jetzt werde aufgeräumt. Zwar habe die Tochterfirma Bavaria Sonor früher tatsächlich Geschäftsbeziehungen zu Kultur+Werbung unterhalten; die seien aber inzwischen gekappt. Schnoors Firma sei abgemahnt worden, nicht mehr im Namen der Bavaria Werbekunden einzuwerben oder Kontakt zu Bavaria-Mitarbeitern aufzunehmen. Doch wann genau erging die Abmahnung? Bereits 2003, als die Bavaria-Führung erstmals mit den Rechercheergebnissen konfrontiert wurde, oder erst in jüngster Zeit? Kleine dazu: „Leider zu spät.“ Seine Versicherung für morgen: „Es wurde ein Maßnahmenkatalog beschlossen, der sicherstellt, dass in Zukunft keine Kooperationen mit Dritten mehr stattfinden.“ Wie aber stand es um Kleines interne Aufsichtsfunktion in der Vergangenheit? Schleichwerbung: eine Verbotsnorm epd Schleichwerbung ist sowohl nach dem Rundfunkstaatsvertrag (RfStV) wie nach dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) verboten. Dem Gesetzgeber geht es dabei um die gebotene Trennung von Programm und Werbung, um den Schutz der Verbraucher vor Irreführung und um die Vermeidung von Wettbewerbsnachteilen für Unternehmen, die nicht von Product-Placement profitieren konnten oder wollten. „Schleichwerbung und entsprechende Praktiken sind unzulässig“, heißt es in Paragraf 7 (6) RfStV. Paragraf 2 (6) definiert ergänzend, Schleichwerbung sei „die Erwähnung oder Darstellung von Waren, Dienstleistungen, Namen, Marken oder Tätigkeiten eines Herstellers von Waren oder eines Erbringers von Dienstleistungen in Programmen, wenn sie vom Veranstalter absichtlich zu Werbezwecken vorgesehen ist und die Allgemeinheit hinsichtlich des eigentlichen Zwecks dieser Erwähnung oder Darstellung irreführen kann“. Eine Erwähnung oder Darstellung, so das Rundfunkgesetz der Bundesländer weiter, gelte „insbesondere dann als zu Werbezwecken beabsichtigt, wenn sie gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung erfolgt“. Umstritten ist die Definition „Veranstalter“ im Gesetzestext. Zunächst ist damit der Sender selbst gemeint. In einem Beanstandungsverfahren gegen RTL und den Fernsehproduzenten Endemol hat die zuständige Landesmedienanstalt aber die Auffassung vertreten, dass sehr wohl auch ein Produzent als „Veranstalter“ im Sinne des Gesetzes in die Pflicht genommen werden könne. Dem folgte das Oberlandesgericht Celle in einem 2002 ergangenen Urteil. Das Verbot gilt für öffentlich-rechtliche wie private Rundfunkveranstalter gleichermaßen. Für bundesweite Privatsender wie RTL oder Sat.1 ist ein Verstoß gegen die Norm obendrein eine Ordnungswidrigkeit, die mit einer Geldbuße von bis zu 500.000 Euro geahndet werden kann. Für die ARD oder das ZDF gilt dies nicht. Hintergrund dieser Ausnahme ist die Überlegung des Gesetzgebers, dass die öffentlich-rechtlichen Sender eine etwa zu zahlende Geldbuße über die Rundfunkgebühr wieder auf die Zuschauer und Hörer abwälzen könnten. lili DEBATTE Die Bavaria droht ihren eigenen Aufsichtsrat, ihre Gesellschafter und Auftraggeber zu blamieren. Der Aufsichtsratsvorsitzende Reinhard Grätz hatte noch Mitte März in seiner Eigenschaft als WDRRundfunkratsvorsitzender erklärt, das Beteiligungscontrolling des Senders (der über seine WDR Mediagroup mit 33,35 Prozent größter Einzelgesellschafter der Bavaria ist) habe ein „hohes Niveau“, die Geldströme zwischen Mutter und Töchtern seien absolut transparent. Für die Geldströme zwischen Töchtern und externen Partner gilt das so leider nicht. „Sofortige Sonderprüfung“ Grätz, der dem Bavaria-Aufsichtsrat seit 1995 vorsteht, zeigte sich nach einem Recherchegespräch „höchst alarmiert“ und berief für Anfang Mai eine Sondersitzung der Bavaria-Gesellschafter ein. Diese wollten sich nun für „eine umfassende Aufklärung der vermuteten Schleichwerbung“ einsetzen, teilte Grätz hinterher auf Anfrage mit. Sollten sich die Praktiken bestätigen, würden sie „sofort unterbunden“ und „mit unnachsichtigen Sanktionen belegt“. Zunächst aber solle die Bavaria-Geschäftsführung einen Bericht vorlegen. Außerdem sei ein Wirtschaftsprüfer mit einer „sofortigen Sonderprüfung“ beauftragt worden. Die Bavaria-Geschäftsführung hatte bis 20. Mai nach eigener Darstellung keinen Überblick über die ungefähre Höhe der unerlaubten Nebeneinnahmen in den letzten zehn Jahren. Anderes sei vorgegangen, so Thilo Kleine gegenüber epd: „Der Geschäftsführung war es wichtig, Maßnahmen zu ergreifen, die Placements in der Zukunft wirksam verhindern.“ Achim Rohnke, Geschäftsführer der ARD-Werbung und WDR-Vertreter innerhalb der BavariaGesellschafterversammlung, hatte schon im Mai 2003 angesichts einer Bilddokumentation der L'turPlacements gesagt: „Dass es in einer Seifenoper ein Reisebüro als Handlungsort gibt, finde ich relativ realistisch. Wenn es eine bewusst ausgestattete Geschichte wäre, dann fällt das - darüber braucht man gar nicht lange zu diskutieren - unter den Tatbestand der Schleichwerbung.“ Inzwischen ist bewiesen und wird von der Bavaria eingeräumt, dass es „bewusst ausgestattet“ war. Als Werbezeitenvermarkter erkannte Rohnke damals sofort auch einen Wettbewerbsverstoß: „Wenn das so ist, dass dort schleichemäßig agiert wird, dann ärgert es mich umso mehr, als ich diese Kunden natürlich lieber im Werbeblock hätte. Ein kurzer Blick auf meine Werbebuchungen zeigt mir, dass Werbegelder aus diesem Bereich nicht in der klassischen Werbung im Umfeld der Daily Soaps gelandet sind. Insofern ist das 1.6.2005 Nr. 42 ■ epd medien Werbung, die echt am Vermarkter vorbeigeht. Wenn die woanders auftauchen sollte, mehr oder weniger versteckt, schadet uns das als Werbezeitenvermarkter. Ich kann nur dagegen sein.“ Geschäftsschädigung oder gar Betrug? Ein offenkundiger Konflikt zum Nachteil der ARD. Inzwischen wurde Rohnke noch deutlicher: PPMaßnahmen wie die beschriebenen, so erklärte er dem epd am 10. Mai, seien „geschäftsschädigend“. „Der Sender ist unser Feind“, hatte Andreas Schnoor im April 2003 bei einem (verdeckten) Besuch seiner Firma gesagt. Und seine Mitarbeiterin Ute Sandbeck erklärte ihren erhofften Neukunden vor einigen Jahren: „Dass man dafür zahlt, ist an sich auch gang und gäbe. Und die ganzen Werbespots: wenn jeder wegzappt, dann muss man sich andere Wege überlegen, und so etwas ist natürlich sehr effizient.“ Blamiert steht auch die ARD da, denkt man an ihre wortstarken Selbstverpflichtungen zur strikten Trennung von Werbung und Programm aus dem vergangenen Jahr (epd 47, 73/04). Im Wort steht außerdem ARD-Programmdirektor Günter Struve, unter dessen Oberhoheit die beschriebenen Vorgänge jahrelang weitgehend unentdeckt möglich waren. „Schleichwerbung ist verboten. Und deshalb gibt es sie nicht“, sagte er noch im vergangenen Jahr auf den „Stendener Medientagen“. Und noch deutlicher in einem Zeitungsinterview: „Schleichwerbung ist Gift und Galle. Wenn man sie findet, muss man sie bekämpfen.“ Struve stellte Anfang Mai auf epd-Anfrage klar, die Agenturen von Andreas Schnoor seien der ARD nicht bekannt gewesen, ebenso nicht eine Zusammenarbeit mit der Bavaria. Vor allem aber, so der Programmdirektor unmissverständlich: „Der Produktionsvertrag verbietet ausdrücklich jegliche Form von ProductPlacement. Die Sanktionsmöglichkeiten des Auftraggebers im Falle eines Verstoßes gegen dieses Verbot sind weitreichend, da es sich um einen Betrugstatbestand handeln könnte.“ 15 16 epd medien ■ Nr. 42 · 1.6.2005 INLAND INLAND Bavaria Film verdiente über Jahre an Schleichwerbung „Marienhof“ und andere Serien betroffen – ARD „höchst alarmiert“ Frankfurt a.M. (epd). Im Fernsehprogramm der ARD ist jahrelang illegale Schleichwerbung platziert worden. In der Serie „Marienhof“ und in anderen ARD-Sendungen wurden nach epd-Recherchen zehn Jahre lang Werbeaussagen und Botschaften für Firmen und Interessenverbände versteckt. Demnach hatte es die ARD-Produktionsfirma Bavaria Film zwei Münchener Privatfirmen über Jahre erlaubt, Schleichwerbung für den „Marienhof“ zu akquirieren. Die PR-Botschaften der zahlenden Kunden oder deren Markenzeichen wurden anschließend von der Bavaria in die Fernsehserie, teilweise sogar in Drehbuchdialoge eingebaut (vgl. Leitartikel in dieser Ausgabe). Die Bavaria Film, die mehrheitlich öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten (WDR, SWR und MDR) gehört, hat eingeräumt, dass sie an diesen Einnahmen beteiligt wurde: „Die Erlöse sind innerhalb der Bavaria im Rahmen von zusätzlichen Developments und Eigenproduktionen (z.B. Kinofilme) eingeflossen“, erklärte Geschäftsführer Thilo Kleine. Wie hoch die Gesamtsumme war, könne er noch nicht sagen. Der Geschäftsführung sei es wichtig gewesen, zunächst „Maßnahmen zu ergreifen, die Placements in der Zukunft wirksam verhindern“. Von den Praktiken im Detail habe er nichts gewusst, von den Produzenten sei er nicht informiert worden. Honorarforderungen bis zu 175.000 Euro Die Schleichwerbung wurde von der Münchner Unternehmensberatung H.+S. und ihrer Schwesterfirma „Kultur und Werbung“ eingeworben. Im Rahmen verdeckter Recherchen verlangte H+S für zehn in die „Marienhof“-Serie integrierte Placements einen Paketpreis von 175.000 Euro. Nach dem Rundfunkstaatsvertrag ist insbesondere die Honorierung ein Indiz für den Tatbestand rechtswidriger Schleichwerbung. Der Höhepunkt war im Frühsommer 2003 erreicht, als der Reisediscounter L'tur während zehn Wochen in 31 „Marienhof“-Episoden auffällig ins Bild gerückt und das Konzept des Last-minute-Buchens in so genannten „Verbal Placements“ mehrfach wörtlich gelobt wurde. Auch die Bavaria-Tochterfirma Saxonia in Leipzig beteiligte sich an den unerlaubten Nebengeschäften. In der ARD-Ärzteserie „In aller Freundschaft“ ließ sie von 2002 bis 2003 in mindestens neun Fällen bezahlte Pharmawerbung unterbringen. Einem internen Papier zufolge wurden dafür von der Vermittlungsagentur bis zu 30.000 Euro pro Folge verlangt. Bavaria-Geschäftsführer Kleine hat auch diesen Vorgang eingeräumt. Gesellschafter ordnen Sonderprüfung an Die ARD reagierte „höchst alarmiert“. Reinhard Grätz, Vorsitzender des WDR-Rundfunkrats und auch des Bavaria-Aufsichtsrats, betonte, das Kontrollgremium sei nicht eingeweiht gewesen. Die Gesellschafter der öffentlich-rechtlichen Produktionsfirma hätten eine sofortige Sonderprüfung angeordnet. Der Programmdirektor der ARD, Günter Struve, erklärte, der mit der Bavaria geschlossene „Marienhof“-Produktionsvertrag verbiete ausdrücklich jegliche Form von ProductPlacement. Die Sanktionsmöglichkeiten des Auftraggebers im Falle eines Verstoßes gegen dieses Verbot seien weitreichend, „da es sich um einen Betrugstatbestand handeln könnte“. Auch die ARD-Werbung, die im Umfeld von „Marienhof“ (montags bis freitags, 18.20 bis 18.50 Uhr) reguläre Spotwerbung verkauft, sieht sich hintergangen. Nebengeschäfte mit Product-Placement seien für den regulären Werbezeitenvermarkter geschäftsschädigend, sagte Geschäftsführer Achim Rohnke dem epd. Die ARD-Werbung gibt die Herstellung der Seifenoper seit 1992 bei der Bavaria Film in Auftrag. Für rund 250 Folgen pro Jahr überweist sie jährlich knapp 20 Millionen Euro nach München. Die seit drei Jahren laufenden Recherchen des Fachdienstes „epd medien“ mussten im Mai 2003 unterbrochen werden, nachdem die Firma H.+S. gerichtlich gegen den verantwortlichen epd-Redakteur vorgegangen war (vgl. weitere Meldung in dieser Ausgabe). lili PERSONALIEN Köln (epd). Christof Schirrmacher (43) übernimmt ab Mitte Mai bei der Gruner + Jahr Wirtschaftspresse die neue Position des Leiters „Verkaufsstrategie und Verkaufsplanung“. Er soll damit nach Verlagsangaben die „Kunden- und Service-Orientierung“ der Wirtschaftstitel „Börse Online“, „Capital“ und „Impulse“ weiter ausbauen. Schirrmacher arbeitet seit 2002 bei Gruner + Jahr; unter anderem war er Leiter des Verlagsbüros Düsseldorf. INLAND OLG München bekräftigt Recht zur verdeckten Recherche Streitfall Schleichwerbung – Klage gegen epd-Redakteur blieb erfolglos München (epd). Das Oberlandesgericht München hat das Recht zur verdeckten Recherche von Journalisten bekräftigt. In dem Fall um illegale Schleichwerbung im ARD-Programm hatte die Unternehmensberatung H.+S. (München) gegen einen Redakteur des Evangelischen Pressedienstes auf Unterlassung geklagt. Das Gericht entschied in zweiter Instanz, nur verdeckte Recherche habe es dem Journalisten ermöglicht, „an die Informationen zu gelangen, die ihn überhaupt erst in die Lage versetzen, den Schleichwerbungsvorwurf gegenüber der Klägerin journalistisch relevant und gefestigt zu verifizieren“ (Az. 6 U 3236/04). In dem Rechtsstreit, der sich fast zwei Jahre lang hingezogen hatte, war versucht worden, dem Redakteur die Verwendung von Geschäftsunterlagen der Firma sowie eines verdeckt aufgezeichneten Videos zu untersagen, das der Redakteur allerdings nicht selbst aufgenommen hatte. Es zeigt eine Mitarbeiterin der Firma, wie sie einem potenziellen Neukunden Schleichwerbung in der ARD-Fernsehserie „Marienhof“ anbietet. Dieses Video hatte der Redakteur bei Recherchegesprächen eingesetzt. Die zivil- und strafrechtlichen Vorhaltungen der Klägerin wurden alle vom OLG München verworfen. Das Oberlandesgericht entschied, dass „auch die Publikation rechtswidrig recherchierter Informationen“ in den Schutzbereich des Artikel 5 Grundgesetz falle. Besonders im Falle des öffentlich-rechtlichen Fernsehens bestehe ein Interesse der Allgemeinheit daran, „dass nicht mittels Schleichwerbung der angebotenen Art zum einen den öffentlich-rechtlichen Sendern Werbeeinnahmen entgehen, zum anderen auf Kosten der Allgemeinheit Geschäfte getätigt werden, deren Gewinn an der Allgemeinheit vorbeigeführt wird“. Der klagenden Firma stünden Unterlassungs-, Auskunftsund Schadenersatzansprüche „unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt“ zu. Das rechtskräftige Urteil vom 20. Januar sei ein „Musterurteil zum investigativen Journalismus“ und sichere die Pressefreiheit, kommentierte die Münchener Medienrechts-Kanzlei Prof. Schweizer (siehe auch die Urteilsdokumentation im Internet unter: www.kanzlei-prof-schweizer.de/bibliothek/urteile/ index.html?id=12676&suchworte= sowie www.journalist.de). 1.6.2005 Nr. 42 ■ epd medien Die Kanzlei hatte den epd-Journalisten vor Gericht vertreten. Die Recherche war gemeinsam vom Fachdienst „epd medien“ und dem Magazin „Journalist“, der Zeitschrift des Deutschen Journalisten-Verbandes, geführt worden. In beiden Publikationen sind die Ergebnisse der Recherche zeitgleich am 1. Juni veröffentlicht worden (vgl. Leitartikel und Meldung in dieser Ausgabe). ts Gruner + Jahr zieht sich aus Magazingeschäft in USA zurück Kundrun: Keine Perspektive – Konzentration auf Märkte in Osteuropa und Asien Hamburg (epd). Das Verlagshaus Gruner + Jahr hat angekündigt, es werde sich ganz aus dem amerikanischen Zeitschriftengeschäft zurückziehen. Die sechs im Besitz von G+J befindlichen Magazine in den USA würden verkauft, teilte das Verlagshaus am 24. Mai mit. Die Bertelsmann-Tochter habe mit der Meredith Corporation eine grundsätzliche Vereinbarung getroffen, dass diese die Zeitschriften „Family Circle“, „Child“, „Parents“ und „Fitness“ übernehme, so das Verlagshaus. Der Kaufpreis betrage 350 Millionen Dollar. Bis zum 30. Juni könne G+J USA zudem die beiden Wirtschaftsmagazine „Inc“ und „Fast Company“ entweder an Meredith oder an einen anderen Verleger verkaufen. Die Transaktion stehe noch unter Kartellvorbehalt. Der G+J-Vorstandsvorsitzende Bernd Kundrun kündigte an, der Verlag werde sich künftig vor allem auf die Märkte Osteuropa und Asien konzentrieren. Um die Expansionsstrategie des Verlags fortzusetzen, sei es notwendig, sich „konsequent und diszipliniert aus Geschäftsaktivitäten“ zurückzuziehen, „die nicht die Perspektive haben, eine führende Marktposition oder unsere Rentabilitätsnormen zu erreichen“. Für das Magazingeschäft in den USA habe der Verlag diese Perspektive nicht mehr gesehen. G+J USA war nach eigenen Angaben gemessen am Umsatz der sechstgrößte Magazinverlag in den USA. Diese Position habe man in den vergangenen Jahren nicht verbessern können, hieß es. Das Magazingeschäft habe in den USA seit längerer Zeit stark unter Druck gestanden. Die Bertelsmanntochter hatte 1978 als erster deutscher Zeitschriftenverlag den Schritt ins amerikani- 17 18 epd medien ■ Nr. 42 · 1.6.2005 INLAND sche Zeitschriftengeschäft getan. 2000, zu Hochzeiten der „New Economy“, hatte G+J noch einmal stark in das US-Magazingeschäft investiert (epd 53/2000). Unter anderem soll der Verlag für das Wirtschaftsmagazin „Fast Company“ 375 Millionen Dollar bezahlt haben. Im vergangenen Jahr erzielte er 22 Prozent seines Umsatzes in den USA, dazu zählen allerdings auch die Erlöse aus den Druckereien. Insgesamt lag der Konzernumsatz 2004 bei 2,44 Milliarden Euro (epd 22-23/05). Im Oktober vergangenen Jahres hatte G+J USA bereits die Jugend-Zeitschrift „YM“ an den Verlag Condé Nast abgegeben. Schlechte Presse für G+J USA Das „Wall Street Journal“ bezeichnete den Rückzug von G+J aus dem US-Geschäft als „Schande“ für G+J und für Bertelsmann. Anfang des Jahres hatte die USTochter zum wiederholten Male Unregelmäßigkeiten bei der Angabe der Auflagenzahlen einräumen müssen. Ende 2002 war der deutsche Verlagsableger in den USA in die Schlagzeilen geraten, weil er sich vor Gericht eine viel beachtete Auseinandersetzung mit der amerikanischen Moderatorin Rosie O'Donnell lieferte. G+J verklagte die Journalistin, nach der das Magazin „Rosie“ benannt war, auf hundert Millionen Dollar Schadensersatz, weil sie mit einem radikalen Imagewechsel das Magazin ruiniert haben soll (epd 93/02). Unabhängig vom Verkauf der Zeitschriften bleibe G+J mit der 100-prozentigen Verlagstochter Brown Printing (BPC) auf dem US-Druckmarkt engagiert, teilte der Verlag mit. Erst im Februar habe das Unternehmen 55 Millionen US-Dollar in eine BPC-Druckerei in Minesota investiert. BPC ist nach Verlagsangaben das viertgrößte Druckunternehmen für Magazine und Kataloge in den USA. In Frankreich hat die Bertelsmann-Tochter soeben ein neues Unternehmen gegründet, in dem Axel Ganz, bislang Leiter des Unternehmensbereichs Zeitschriften USA und Frankreich, neue Zeitschriften für den französischen Markt entwickeln will. Die Leitung der französischen G+J-Tochter Prisma Presse übernimmt Fabrice Boé, der seit März 2004 dort Verlagsgeschäftsführer der Frauenzeitschriften ist. dir Werbewirtschaft: Erstmals seit drei Jahren wieder Umsatzplus ZAW: „Trendwende“ – Investitionen für Werbung stiegen auf 29,2 Mrd. Euro Berlin (epd). Die deutsche Werbewirtschaft sieht Anzeichen für ein Ende der Rezession. „Die Werbebranche hat ihre dreijährige Umsatzkrise überwunden“, sagte Hans-Henning Wiegmann, Präsident des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) bei der Vorlage des Jahresberichts 2004 am 24. Mai in Berlin. Zwar sei die Geschäftsentwicklung nach wie vor alles andere als dynamisch, aber eine „Trendwende“ sei dennoch spürbar. Erstmals seit drei Jahren erzielte die Branche wieder ein Umsatzplus. Der ZAW begrüßte in diesem Zusammenhang die Ankündigung von vorgezogenen Neuwahlen zum Bundestag. Das Land entgehe dadurch „einer rund anderthalbjährigen Phase des Richtungsstreites“, sagte Wiegmann. Neuwahlen könnten dagegen „die existenzielle Reformpolitik über den Zeitraum einer gesamten Wahlperiode mittelfristig ausrichten und damit auch zur psychischen Entlastung bei Unternehmen und Konsumenten beitragen“. Gegenwärtig fehle es an „Planungssicherheit“, und das „mangelnde Zukunftsvertrauen“ hemme Investitionen. Auch die Werbedynamik könne durch rasche Klarheit der politischen Richtung für die nächsten vier Jahre neue Impulse erhalten. Nach Angaben des ZAW stiegen die Werbeinvestitionen im vergangenen Jahr um 310 Millionen Euro oder 1,1 Prozent auf 29,2 Milliarden Euro. Noch im Vorjahr waren die Werbeausgaben im Vergleich zu 2002 um 780 Mio. Euro gesunken. Vor allem die Medien profitierten von der Wende am Werbemarkt. Mit 19,6 Mrd. Euro Umsatz (plus 1,6 Prozent) vereinigten sie 67 Prozent aller Werbeausgaben in Deutschland. 2003 waren die Nettoumsätze in den Medien noch um 4,3 Prozent zurückgegangen. Als Wachstumsmotor habe sich unter anderem die „intensive Eigenwerbung der Medien“ erwiesen. Nach ZAW-Schätzungen investierten die Medien 2004 rund 1,4 Mrd. Euro in ihre Marktkommunikation. Dies entspricht sieben Prozent der Erlöse aus dem Werbegeschäft. Neun der dreizehn vom ZAW erfassten Mediengattungen erwirtschafteten einen Zugewinn. Nach Jahren drastischer Erlöseinbrüche erzielten die deutschen Tageszeitungen mit einem Umsatz von 4,5 Mrd. Euro erstmals wieder ein Plus von einem Prozent (Vorjahr: INLAND minus 9,8 Prozent). An zweiter Stelle folgt das Fernsehen mit einem Umsatz von 3,86 Mrd. Euro, was einem Plus von 1,3 Prozent (Vorjahr: minus 3,7 Prozent) entspricht. Publikumszeitschriften verloren Steigende Umsätze verbuchten auch die Werbung per Post sowie die Anzeigenblätter mit einem Plus von 2,9 bzw. 5,2 Prozent. Im Aufwind befindet sich auch der Hörfunkwerbemarkt, der nach jahrelanger Krise ein Plus von 6,9 Prozent verbuchte. Dagegen sanken die Werbeumsätze von Publikums- und Fachzeitschriften erneut um 1,2 bzw. 1,4 Prozent. Ein zweistelliges Plus erreichte mit 10,2 Prozent der Online-Werbemarkt, dessen Gesamtvolumen allerdings nach wie vor bei bescheidenen 271 Mio. Euro liegt. Eher zurückhaltend beurteilt der ZAW die Aussichten für eine deutlichere Erholung der Werbekonjunktur. Der Verband gehe für 2005 von einem Plus von nur einem Prozent aus, sagte Präsident Wiegmann. Von den 41 im ZAW organisierten Verbänden rechneten nur 25 Prozent mit steigenden Investitionen in den kommenden Monaten. Auch von der Fußball-WM 2006 erwartet lediglich ein Drittel „starke Impulse“ für den Werbemarkt. Zur gesellschaftspolitischen Debatte um die Rolle der Unternehmer und das bundesdeutsche Wirtschaftssystem bemerkte Wiegmann, er halte Gewinnmaximierung „durchaus für ein gutes Wort“. Ohne Gewinne, zu denen auch die Werbung ihren Beitrag leiste, werde ein Unternehmen „krank“. Er sehe aber in der wieder aufgetauchten Kapitalismusdebatte eine „Chance, den Kreislauf der Marktwirtschaft, des Systems, der ordnungspolitischen Notwendigkeiten, der Rolle der Werbung öffentlich zu diskutieren und transparent zu machen“. Kritik an EU-Kommission Kritisch bewertete der ZAW-Präsident die von der EUKommission „angeschobene“ Verordnung über gesundheitsbezogene Werbeaussagen bei Lebensmitteln. Diese sei ein „bürokratisches Monster“, sagte er. Diese Politik gehe von dem „Irrtum des Erfolgs von Werbezensur“ aus. Damit aber werde „Druck auf die Dynamik des Werbemarktes“ ausgeübt. Unternehmen würden vor diesem politischen Hintergrund die Schaltung von Werbung in den klassischen Medien „stärker überdenken“. Auch in den Arbeitsmarkt der Werbeberufe ist Bewegung gekommen. 2004 stieg die Anzahl der Stellenangebote von werbenden Unternehmen, Agenturen 1.6.2005 Nr. 42 ■ epd medien und Medien um 39 Prozent auf knapp 3300. Die Arbeitslosenquote in der Werbebranche sank auf 4,8 Prozent, nachdem sie im Jahr zuvor mit 5,2 Prozent den höchsten Stand seit zehn Jahren erreicht hatte. In der gesamten Werbebranche waren nach ZAWAngaben Ende 2004 etwa 352.000 Menschen beschäftigt. kel DJV kritisiert Kürzung der ARD-Politikmagazine Konken: „Unpassender Zeitpunkt“ – Verweis auf Landespressegesetze Berlin (epd). Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hat die Entscheidung der ARD-Programmdirektoren kritisiert, die politischen Magazine der ARD einheitlich auf 30 Minuten zu kürzen (epd 41-42/05). „Gerade jetzt ist der absolut unpassende Zeitpunkt, um eine Kürzung der Sendezeit der Politikmagazine überhaupt nur in Erwägung zu ziehen“, erklärte der DJV-Bundesvorsitzende Michael Konken am 25. Mai. „Im Moment ist doch offenkundig, wie schnell politisches Geschehen unübersichtlich werden kann“, sagte Konken mit Blick auf mögliche Neuwahlen in Deutschland. „Die Bürger werden von den Ereignissen überrollt und verunsichert und sind auf Aufklärung, Kontrolle und Kritik durch die Medien angewiesen.“ Die Programmdirektoren aber planten, sich mit der Kürzung der Politikmagazine künftig teilweise dieser Verantwortung zu entziehen, so Konken. Der DJV sieht die öffentlich-rechtlichen Sender zu „umfangreicher politischer Berichterstattung“ verpflichtet. Einschaltquoten dürften kein Kriterium sein, vielmehr müsse das Hauptaugenmerk im Sinne der Demokratie auf gut informierten Wählern liegen. Der Bundesvorsitzende des DJV forderte die ARDIntendanten daher auf, den Plan noch zu kippen. „An diese geht unser Appell: Stimmen Sie nicht zu, denn die Empfehlung, alle Magazine zu kürzen, beinhaltet das schlimmste aller in den letzten Monaten diskutierten Szenarien“, sagte Konken. „Die Politikmagazine der ARD stehen für den kritischen Journalismus, den die Landespressegesetze fordern.“ rid 19 20 epd medien ■ Nr. 42 · 1.6.2005 INLAND Amelie Fried stellt Strafanzeige gegen militante Nichtraucher DVB-T in Bayern „reibungslos“ gestartet Gästebuch der Homepage lahmgelegt – Verleumdungen auf Kinderbuch-Seite Ring: Zuschauer entscheidet – Egenbauer: Jetzt 43 Mio. Einwohner Gesamtreichweite Bremen (epd). Amelie Fried, Moderatorin der Talkshow „3 nach 9“, geht juristisch gegen Belästigungen militanter Nichtraucher vor. Wie Radio Bremen mitteilte, war das Gästebuch auf der privaten Homepage der 46-Jährigen lahmgelegt worden, nachdem sich die Moderatorin in ihrer Talkrunde freundlich zu rauchenden Gästen verhalten hatte. Anschließend seien auf Amelie Frieds KinderbuchWebseite Einträge mit verleumderischem Inhalt erschienen. Gegen die Urheber dieser Einträge habe die Moderatorin Strafanzeige wegen übler Nachrede gestellt. München (epd). Mit einem symbolischen Knopfdruck durch Ministerpräsident Edmund Stoiber ist am 30. Mai die terrestrische Fernsehausstrahlung in Bayern von analoger auf digitale Technik umgestellt worden. Wie das Projektbüro DVB-T Bayern mitteilte, erfolgte die Umschaltung reibungslos. Auf Amelie Frieds persönlicher Internetseite (www.ameliefried.de) ist das Gästebuch zurzeit gesperrt. Dagegen ist der beanstandete Eintrag auf der Kinderbuchseite www.tacoundkaninchen.de immer noch online. Unter dem Pseudonym „Halbe Lunge“ schreibt dort ein Nutzer: „Amelie Fried ist ein Agent der Tabakfirmen. Sie nimmt Bestechungsgeld damit in der Sendung ,3 nach 9' geraucht werden darf. Dadurch ist sie ein schlechtes Vorbild für alle.“ Fried, selbst Nichtraucherin, wies sämtliche Vorwürfe zurück und beklagte die Form der Kritik als unangemessen. „Die Anti-Raucher sind heute das, was früher die radikalen Tierschützer waren“, sagte Fried dem Magazin „Spiegel Online“ am 28. Mai. „Die Formulierungen der Proteste erinnern mich an Gesinnungsterrorismus, das ist doch einfach krank.“ Es sei nicht ihre Aufgabe als Moderatorin, erwachsene Gäste zu disziplinieren, so Fried. Nach Auskunft von Radio Bremen werden auch andere Talkshows, in denen Gäste rauchen dürfen, seit geraumer Zeit von Nichtrauchern angeprangert. Dies geschehe durch meist ähnlich lautende Briefe oder EMails. Einige Nichtraucheraktivisten träfen ihre Verabredungen in speziellen Diskussionsforen im Internet. Sie wendeten sich auch direkt an prominente Gäste und forderten diese zu Protesten auf, sagte „3 nach 9“-Redakteur Jörn Wöbse dem epd am 24. Mai. Die Radio-Bremen-Talkshow stellt es ihren Gästen frei, während der Sendung zu rauchen, sofern alle Teilnehmer damit einverstanden sind. Wahrscheinlich wird sich nun der Rundfunkrat des Senders mit dem Thema befassen. rid Die tatsächlichen Versorgungsgebiete in München, Südbayern und im Großraum Nürnberg entsprächen den Empfangsprognosen der Netzbetreiber Bayerischer Rundfunk (BR) und T-Systems Media&Broadcast. Die Erwartungen seien bei ersten BR-Testmessungen bestätigt und in Einzelfällen sogar übertroffen worden. 6,2 Millionen Einwohner in Bayern hätten nun die Möglichkeit, digital über Antenne fernzusehen. Seit Start von DVB-T strahlen die privaten TVAnbieter ihre Fernsehprogramme über Antenne nur noch digital aus. Auch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten senden ihre Programme vom Sender Wendelstein (südbayerischer Raum) und vom Sender Dillberg ab dem 30. Mai nur noch digital. Die Stadtgebiete München und Nürnberg sollen noch für drei Monate vom Olympiaturm München und vom Fernsehturm Nürnberg sowohl digital mit 24 TVProgrammen als auch analog mit den drei öffentlichrechtlichen Programmen Das Erste, ZDF und Bayerisches Fernsehen versorgt werden, teilte das Projektbüro weiter mit. Danach würden die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die analoge Versorgung auch an diesen beiden Senderstandorten einstellen. Über das verbleibende Sendernetz des BR und der T-Systems würden in Bayern aber weiterhin die drei öffentlich-rechtlichen TV-Programme Das Erste, ZDF und Bayerisches Fernsehen analog verbreitet. Anlässlich des Starts der digitalen Terrestrik forderte BR-Intendant Thomas Gruber, die Umstellung auf digital-terrestrische Verbreitung dürfe „nicht an der Stadtgrenze halt machen“. Jürgen Doetz, Präsident des Verbandes Privater Rundfunk und Telekommunikation, betonte die hohe Akzeptanz des digitalen Antennenfernsehen in der Bevölkerung. Für den künftigen „scharfen Wettbewerb“ alter und neuer Distributionswege müsse man DVB-T „auf der Rechnung haben“, so Doetz. INLAND Wolf-Dieter Ring, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien, betonte, die Entscheidung für DVB-T bedeute keinesfalls eine politische Festlegung auf die Fernsehübertragung via Antenne. Die BLM unterstütze die Digitalisierung „unabhängig vom Übertragungsweg“. Der Zuschauer sei es, der über die künftige Bedeutung der unterschiedlichen Übertragungswege entscheide. Der Deutsche Kabelverband hatte jüngst wieder eine Bevorzugung und Subventionierung von DVB-T zu Lasten der Kabelnetze kritisiert (vgl. Meldung in dieser Ausgabe). Helmut Egenbauer, Sprecher der Geschäftsleitung von T-Systems Media&Broadcast, erklärte, mit den Regionen München/Südbayern und Nürnberg habe sich die Reichweite von DVB-T in Deutschland auf jetzt insgesamt 43 Millionen Einwohner erhöht. Diese „rasante Entwicklung“ sei auch im internationalen Vergleich „beispielhaft“. lili Kabelnetzbetreiber investieren 185 Millionen Euro Verband hebt Vorteile gegenüber anderen Techniken hervor – Kritik an ASTRA Berlin/Köln (epd). Die großen Kabelnetzbetreiber investieren nach eigener Darstellung „massiv“ in den Ausbau der digitalen Infrastruktur. Einer Mitteilung des Deutschen Kabelverbands vom 30. Mai zufolge belief sich das Investitionsvolumen von Kabel Deutschland, ish (NRW), iesy (Hessen) und Kabel Baden-Württemberg im vergangenen Jahr auf insgesamt rund 172 Millionen Euro. Für 2005 planen die Unternehmen demnach Aufwendungen von weiteren 185 Mio. Euro. Das Geld werde für den breitbandigen Ausbau der Kabelnetze und für die Einführung von Digital-TV, schnellem Internet und Telefondiensten als so genanntes Triple Play im Kabel verwendet. Über die Netze der großen Kabelbetreiber (der so genannten Netzebene 3) sollen dem Kabelverband zufolge bis Ende 2005 rund 4,1 Millionen Haushalte in der Lage sein, neben dem Fernsehempfang auch Internet und Telefon aus dem Kabelnetz zu beziehen; Ende 2004 seien es 3,65 Mio. gewesen. Die Mitglieder des Deutschen Kabelverbands setzten laut Mitteilung im vergangenen Jahr vor Steuern rund 1,9 Milliarden Euro um und beschäftigen aktuell rund 4180 Mitarbeiter; Arbeitsplätze in nachgelagerten Branchen wie Callcenter, technische Dienstleister und 1.6.2005 Nr. 42 ■ epd medien Lieferanten seien dabei nicht mitgerechnet. Der Interessenverband äußerte sich kurz vor Beginn der Branchenmesse „ANGA Cable“ vom 31. Mai bis 2. Juni 2005 in Köln. Der Verbandsdarstellung zufolge sind die Internetangebote aus dem Kabel konventionellen Übertragungstechniken in Preis und Geschwindigkeit deutlich überlegen, und zwar je nach Anbieter bis zu 78-mal schneller als ISDN. Bei Telefondiensten böten die Kabelbetreiber erhebliche Preisvorteile gegenüber den etablierten Festnetz-Anbietern. Die Kabelbetreiber nutzten die Vorteile der internetbasierten Voice-OverIP-Technologie, böten dabei jedoch den gewohnten Komfort und die volle Gerätekompatibilität von ISDNTelefonanschlüssen. Der DVB-T-Technik „deutlich überlegen“ Digitales Fernsehen und Radio seien in allen Netzen der großen Kabelbetreiber flächendeckend verfügbar. Die Mitglieder des Deutschen Kabelverbands speisen laut Mitteilung bis zu 130 digitale TV-Programme und 23 digitale Radiosender in ihre Netze ein. Dazu gehörten unter anderem auch die 28 digitalen Programme von Premiere, bis zu 60 Fremdsprachenprogramme sowie zum Teil 47 moderations- und werbefreie Audiokanäle. Zusätzlich verblieben die vertrauten analogen Angebote ebenfalls im Kabel: Mit bis zu 37 TV- und 34 Radiosendern sei das gewohnte analoge Kabel der „durch Steuer- und Gebührenmittel hoch subventionierten“ digitalen terrestrischen Übertragung (DVB-T) „deutlich überlegen“, hob der Kabelverband im Hinblick auf den neuen konkurrierenden Übertragungsweg hervor. Der Deutsche Kabelverband äußerte sich aktuell auch zum marktbeherrschenden Satelliten-Direktempfang. Entgegen einer Mitteilung des Satellitenbetreibers ASTRA sei die Zahl der an die Kabelnetze von iesy, ish, Kabel Baden-Württemberg und Kabel Deutschland angeschlossenen Haushalte in Deutschland stabil geblieben. ASTRA habe in einer im Februar veröffentlichten Pressemitteilung Zuwachsraten für den Satelliten- auf Kosten des Kabel-Empfangs gemeldet, bei den Erhebungen jedoch lokale, über Satellit versorgte Kabelhaushalte (so genannte „SMATV“-Haushalte) als Sat-Haushalte deklariert (epd 16/05). Dies hält der Kabelverband für irreführend. Mit einem stabilen Marktanteil von 55,9 Prozent und einem „vielfältigen und hochmodernen Produktportfolio“ bleibe das Kabel „die wichtigste und wachstumsstärkste Medieninfrastruktur in Deutschland“. Rüttger Keienburg, Präsident des Deutschen Kabelverbands, äußerte am Rande der „ANGA Cable“ in Köln: 21 22 epd medien ■ Nr. 42 · 1.6.2005 INLAND „Wenn wir das Kabel jetzt aus seiner derzeitigen politischen und medienrechtlichen Überregulierung befreien, kann es seine Rolle als Innovations- und Jobmotor für den Medien- und Technologiestandort Deutschland richtig entfalten.“ Der Deutsche Kabelverband hatte im vergangenen Jahr einen DreiPunkte-Plan zur Liberalisierung des Medienrechts vorgelegt (epd 82/04). lili Kabel Deutschland plädiert für Gleichbehandlung bei Digitalisierung DVB-T-Werbung führt Verbraucher irre – Neuer Infokanal über Digital-TV München (epd). Anlässlich des DVB-T-Starts in Bayern hat die Kabel Deutschland GmbH für eine Gleichbehandlung des Kabels bei der Digitalisierung des Fernsehens plädiert. Der Vorsitzende der Geschäftsführung, Roland Steindorf, erklärte am 30. Mai in München, DVB-T werde völlig zu Unrecht als Einstieg in das digitale Fernsehen bezeichnet. Die TV-Zuschauer würden durch die derzeitigen massiven Werbemaßnahmen für DVB-T völlig verunsichert. Den Verbrauchern sei nicht klar, dass DVB-T auf 24 Programme begrenzt sei, nicht überall in Deutschland empfangen werden und keine zusätzlichen AboProgramme wie Premiere oder Kabel Digital Home verbreiten könne. Zudem wüssten sie auch nicht, dass DVB-T den Einsatz neuer Technologien wie das Hochauflösende Fernsehen HDTV, interaktives Fernsehen oder die Nutzung von Festplattenrecordern verhindere. Um den Informationsdefiziten zu begegnen, kündigte Kabel Deutschland zum 1. Juni einen Informationskanal für digitales Fernsehen an, den Kabel Deutschland Infokanal. Er soll den Zuschauern neben der visuellen und textlichen Erklärung des Wechsels von der analogen zur digitalen Empfangstechnik auch Informationen zu den bereits digital empfangbaren Programminhalten im Abo-Paket „Kabel Digital Home“ bieten. Die Zuschauer sollten in die Produktwelt von Kabel Digital hineinschnuppern und sehen können, was auf den einzelnen Sendern laufe, sagte Manuel Cubero, Direktor Kabel TV von Kabel Deutschland. Gezeigt würden dort kurz- und langformatige Programmausschnitte, Infos zu Programmhighlights, Imagetrailer und Senderinfos. Der Kabel Deutschland Infokanal werde ab dem 1. Juni in die Kabelnetze in Bayern und Hamburg sowie ab dem 1. Juli auch in die von Niedersachsen eingespeist. Eine Ausdehnung auf das ganze Versorgungsgebiet von Kabel Deutschland sei geplant. Laut Cubero sendet der Kabel Deutschland Infokanal auf Basis einer Pilotprojektlizenz der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) täglich von 12 bis 24 Uhr. Man sei jedoch auch mit anderen Landesmedienanstalten in Verhandlungen, um das im analogen Kabelspektrum verbreitete Infoprogramm als Mediendienst lizenzieren zu lassen. Mit dem Infoangebot sollen laut Cubero ab 1. Juli 4,7 Millionen Kabel-Haushalte erreicht werden können. Durch Verhandlungen mit Betreibern der Netzebene 4 versuche Kabel Deutschland, diese Zahl weiter zu erhöhen. Angestrebt sei die Zahl von 10 Millionen erreichbaren Haushalten. Produziert wird der Kabel Deutschland Infokanal von Plazamedia, einem Tochterunternehmen der EM.TV-Gruppe. Noch keine Einigung mit Privatsendern Steindorf bestätigte, dass Kabel Deutschland nach wie vor mit den großen privaten Sendergruppen RTL und ProSiebenSat.1 über den Umstieg von der analogen zur digitalen Programmverbreitung im Kabel verhandele. „Wir wollen das Signal der privaten Sendergruppen zu den gleichen Bedingungen wie es andere Infrastrukturen bereits zur Verfügung gestellt wird – und zwar kostenlos“, forderte er. Kabelkunden sollten weder bevorteilt noch benachteiligt werden. Es gehe darum, das digitale Signal im Kabel allen Zuschauern ohne Zusatzkosten sobald wie möglich zur Verfügung zu stellen und die bisherige Wettbewerbsverzerrung zu Ungunsten des Kabels zu beenden. Die „immer wieder angesprochene Verschlüsselung des digitalen Signals im Kabel ist für uns nicht mehr vorrangig“, sagte er. Kabel Deutschland beabsichtige nicht, das bisherige freie analoge Signal im Kabel durch eine Verschlüsselung kostenpflichtig zu machen. Vielmehr gehe es nur darum, zu wissen, wer überhaupt das Programm von Kabel Deutschland schaue. Nur so könne man die TV-Kunden künftig besser adressieren. Steindorf zeigte sich zuversichtlich, noch im Laufe des Juni zumindest mit RTL eine einvernehmliche Lösung hinsichtlich einer kostenlosen Übergabe des RTLSendesignals erzielen zu können. „Das kann dann später auch noch zu anderen Geschäftsmodellen führen“, meinte er. Auch in den Gesprächen mit ProSiebenSat.1 sei man auf gutem Wege. Hier sei die Gesamtproblematik nur anders gelagert, weil ProSiebenSat.1 seinerseits das Thema Abo-Fernsehen verfolge. eck INLAND BDZV kritisiert Zypries-Pläne für Handelsregister Daten nur noch im Internet? – Studie: Zeitungen wichtigste Informationsquelle Berlin (epd). Die Pläne von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD), sämtliche Handelsregisterdaten ab 2007 nur noch im Internet zu führen, stoßen beim Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) auf starke Kritik. Mit dem neuen Konzept würden den Tageszeitungen wichtige Anzeigeneinnahmen entzogen, so der BDZV. Nach einer Studie, die der Verband in Auftrag gegeben hatte, recherchieren zudem nur 30 Prozent der Unternehmer im Internet nach Handelsregisterdaten. 80 Prozent hätten die Zeitung als wichtigste Informationsquelle genannt, teilte der BDZV am 24. Mai mit. Bisher besteht für Unternehmen die Pflicht, Handelsregisteranzeigen in Zeitungen zu veröffentlichen; in Zukunft soll das nur noch freiwillig geschehen. Der Referentenentwurf des Justizministeriums für ein Gesetz über Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister sieht vor, dass Handels-, Genossenschafts- und Partnerschaftsregister bis zum 1. Januar 2007 auf elektronischen Betrieb umgestellt werden. Die Daten sämtlicher deutscher Handelsregister sollen dann über das Suchformular des Länderportals www.handelsregister.de abgerufen werden können. Über dieses Portal sollen die Unternehmen ihre Handelsregisterdaten veröffentlichen. Das Ministerium erklärt in einer Mitteilung, der Rechts- und Wirtschaftsverkehr erhalte mit dem neuen Modell einen „schnellen, komfortablen und preiswerten Zugriff“ auf die wichtigsten veröffentlichungspflichtigen Unternehmensdaten. Das stärke den Wirtschaftsstandort Deutschland, denn Investoren könnten ihre Entscheidungen künftig anhand leicht zugänglicher Informationen treffen. Außerdem erhielten Existenzgründer erheblich schneller den Eintrag ihrer Gesellschaften in das Register. Probleme für kleinere Unternehmen Der BDZV führt eine Reihe von Argumenten gegen den Referentenentwurf an. Die Tageszeitungen verfügten über eine wesentlich höhere Reichweite in der Bevölkerung als das Internet, so der Verband. Interessierte, die keinen Internetzugang hätten – hierzu gehörten viele kleinere Unternehmen – würden vom direkten Zugang zu Handelsregisterinformationen abgeschnitten, wenn diese ausschließlich im Netz bereitgestellt werden. 1.6.2005 Nr. 42 ■ epd medien Eine Studie des Hamburger Instituts BIK Umfrageforschung, die der BDZV in Auftrag gegeben hatte, untermauert nach Ansicht des Verbandes die Kritik am Entwurf. Fast 80 Prozent der befragten Unternehmen betrachteten demnach die Handelsregisterdaten in der Zeitung als wichtige Informationsquelle, teilte der BDZV mit. Lediglich 30 Prozent hätten angegeben, im Internet zu recherchieren. Rund 70 Prozent befürchteten, dass Informationen über Unternehmen nicht mehr genügend beachtet würden, wenn sie nur noch im Internet stünden. Laut BDZV wurden für die Untersuchung Geschäftsführer und leitende Angestellte aus 304 bayerischen Unternehmen in den Bereichen Handel, Handwerk, Dienstleistung und Hersteller befragt. Die Studie sei aus Gründen der Vergleichbarkeit der Mediennutzung in Bayern durchgeführt worden, weil dort bereits Handelsregistereinträge über das Internet abgerufen werden könnten. Für BDZV-Hauptgeschäftsführer Dietmar Wolff liefert die Studie den Beweis, dass die Pläne der Bundesjustizministerin „im totalen Widerspruch“ zu den Interessen der meisten Unternehmen stünden. „Gerade dem Mittelstand erweist Frau Zypries mit ihrem Vorhaben einen Bärendienst“, erklärte Wolff. Zugleich würden den Zeitungen wichtige Anzeigeneinnahmen entzogen. Wirtschaft und Politik müsse daran gelegen sein, dass Handelsregistereintragungen sowohl in der Zeitung als auch im Internet präsentiert werden. rid Medienmacher äußern Zweifel am Medien-Boom des Religiösen „Zenit durch Ereignishäufung“ – Kirchentagsdebatte zur Sinnsuche in den Medien Hannover (epd). Das Sterben des alten Papstes, die Neuwahl seines Nachfolgers, islamistischer Terror und auch die Tsunami-Katastrophe haben dem Thema Religion hohe Einschaltquoten und Schlagzeilen in den Zeitungen beschert. Von einer „Renaissance der Religion“ wollten Medienmacher während einer Podiumsdiskussion am 27. Mai auf dem 30. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Hannover dennoch nicht sprechen. Für Claus Strunz, Chefredakteur der „Bild am Sonntag“, haben sich religiöse Themen in jüngster Zeit lediglich gehäuft. Von einer Renaissance könne keine Rede sein, eher von einem „Zenit durch Ereignishäufung“. Mittelfristig gebe es allerdings eine zyklische Entwicklung „weg von der Sehnsucht nach Unsinn hin 23 24 epd medien ■ Nr. 42 · 1.6.2005 INLAND zu einer Sehnsucht nach Ernsthaftigkeit“. Religion habe in Deutschland eine viel geringere Bedeutung als etwa in den USA und sei für viele Menschen Teil der Privatsphäre. Kurt Kister, stellvertretender Chefredakteur der „Süddeutschen Zeitung“, sieht lediglich einen Trend zur Unterhaltung, und Religion sei Teil dieser Entwicklung. Die Berichterstattung über den Papst sei kein religiöses Ereignis, sondern Unterhaltung. Das Christentum spiele in den Medien keine größere Rolle als früher. Ein Kanzler, der viermal verheiratet war, sei beispielsweise in den USA undenkbar. Kister: „In den USA bekennen sich die Menschen, in Deutschland die Institutionen.“ Auch Talkmasterin Sandra Maischberger nannte Religion ein „Geländerthema“, das nie wirklich weg war. Es gebe ein großes Bedürfnis nach gemeinsamen Erlebnissen in der Gesellschaft wie etwa in Konzerten oder beim Fußball. Doch habe die Kirche ein verklemmtes Verhältnis zu Massenevents. Auch der Kirchentag sei eine Summe vieler kleiner Veranstaltungen. Die Empfindlichkeit der Menschen bei religiösen Themen sei außerordentlich groß, so Maischberger. Schon die leiseste Kritik am neuen Papst habe bei ihr zu „hasserfüllten Reaktionen“ geführt. Rutz: Suche nach religiöser Orientierung Lediglich Michael Rutz, Chefredakteur des „Rheinischen Merkur“, sieht ein stärkeres Bedürfnis nach religiösen Themen. Papst Johannes Paul II. sei für viele Menschen ein Vorbild und ein Idol, das Frömmigkeit ausstrahlt. Dies sei keine Suche nach Unterhaltung, sondern nach religiöser Orientierung. Die Menschen spürten eine Grenze, dass die Demokratie allein aus sich heraus nicht das Gute hervorbringen kann. Prof. Johanna Haberer, Hochschullehrerin für Christliche Publizistik, warnte davor, kirchliche Events mit Religion zu verwechseln. Wenn die Inszenierung im Vordergrund stehe, trete der Inhalt zurück. Auch bei den Nazis habe es große Inszenierungen gegeben. Spürbar sei eine neue Akzeptanz der Religion. Jemand, der religiös sei, müsse sich heute nicht mehr dafür entschuldigen. Nach den Worten der US-Journalistin Melinda Crane gibt es in den USA ein enormes Anwachsen religiöser Medien, die Evangelikale vor allem zur Mitgliederbindung nutzen. Seit 30 Jahren wachse diese „Graswurzelbewegung“ vor allem in den Mittelstaaten der USA. Demgegenüber hätten die traditionellen Kirchen Verluste zu verzeichnen. Crane: „Die Religiösen werden religiöser, die anderen gehen weg.“ Präsident Bush baue auf diese religiöse Bewegung, er brauche jedoch auch die konservativen Nicht-Evangelikalen. Nach den Worten des Theologen und Schriftstellers Prof. Klaus Huizing gibt es in der unübersichtlichen Gesellschaft ein großes Bedürfnis nach Legenden und Heiligenbildern. Dies werde durch die Kirchen nur unzureichend abgedeckt. Die Universitätstheologie überfordere die Gläubigen und mache sie zu „Reflexions- Gangstern“. Stattdessen wandere die Religion in die Filmkunst ab. „Forrest Gump“ etwa sei eine JesusGeschichte über Solidarität und Toleranz, und „Italienisch für Anfänger“ eine zärtliche Erzählung über das Heilige im Alltag. tm Thierse ermuntert Medien zu mehr positiven Nachrichten Kirchentag in Hannover: Pfeiffer warnt vor „Dramatisierung des Bösen“ Hannover (epd). Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) hat die Medien ermuntert, häufiger positive Nachrichten zu verbreiten. Gelegentlich sollte von dem Dogma abgewichen werden, wonach nur schlechte Nachrichten gute Nachrichten seien, empfahl er am 27. Mai in Hannover bei einer Kirchentagsveranstaltung über Gewalt und Medien. Sein Wunsch für Deutschland sei es, dass öfter auch Geschichten über Gelungenes erzählt würden. Thierse rügte, dass in der politischen Berichterstattung häufig nicht zwischen Information und Unterhaltung getrennt werde. Der Trend zu Infotainment trage zur Verflachung der Politik bei und diene nicht der Aufklärung. Vor einer „Dramatisierung des Bösen“ durch die Medien warnte Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut Hannover: „Wir tun so, als ob die Zukunft des Landes im Ausbau von Gefängnissen liegt.“ Gefragt sei hingegen der Ausbau von Ganztagsschulen, um den zunehmenden Medienkonsum unter männlichen Jugendlichen einzudämmen und damit zusammenhängende schlechtere schulische Ergebnisse zu verbessern. rc AUSLAND 1.6.2005 Nr. 42 ■ epd medien AUSLAND Schrumpfprozess Die BBC muss effizienter und kreativer werden / Von Jürgen Krönig London (epd). Bei der BBC scheinen weitere Streiks erstmal abgewendet zu sein. Geschäftsführung und Gewerkschaften wollen weiter verhandeln, auch wenn niemand überrascht sein sollte, wenn BBCGeneraldirektor Mark Thompson am Ende keine Zugeständnisse machen wird. Es geht um die Entlassung von 3780 der 27.000 Mitarbeiter. Nur die Gangart wird eine Spur sanfter ausfallen. Zwölf Monate lang will man auf Zwangsentlassungen verzichten. So wird denn die BBC bald schrumpfen, wobei es dabei nicht bleiben dürfte. Mehr tut Not. Die BBC befindet sich in einer prekären Situation. Sie muss ihre privilegierte Stellung als einziger Nutznießer der Fernsehgebühren verteidigen, die bislang so reichlich in ihre Kassen flossen. Das ist schwerer geworden in der Ära des digitalen Multikanalfernsehens und angesichts eines stetig schrumpfenden Zuschaueranteils. Der ist in den letzten zwölf Monaten weiter gesunken, von 37 auf nunmehr 33 Prozent. Die BBC leistet sich zudem eine „Diversity Unit“, die das Recht hat, in allen Programmbereichen auf „ethnische und geschlechtliche Gleichbehandlung“ zu achten. Was sich lähmend auf Kreativität und Programme auswirkt. Die BBC dürfe nicht, warnt der frühere „Panorama“- Redakteur Tom Bower, wie eine „Abteilung der Regierung agieren, besessen von politischer Korrektheit“. Bevor ein Programmvorschlag grünes Licht erhält, müssen Redakteure in der überzentralisierten BBC von heute unzählige Formulare ausfüllen. Ende der 80er war die BBC unter riesigen Kosten in den Westen Londons umgezogen, in die neue Fernsehstadt White City, die nicht zuletzt deswegen benötigt wurde, um die Heerscharen von Bürokraten unterzubringen. Nun werden die Nachrichten und aktuellen Hauptabteilungen wieder ins Broadcasting House im Zentrum der Metropole zurückverlegt, auch wenn das leere Bürofluchten in White City bedeutet. Kostenpunkt der Übung: an die zwei Milliarden Pfund. Die BBC so aufgebläht wie nie zuvor Seichter und langweiliger geworden Die BBC muss also effizienter und zugleich kreativer werden. An beiden Fronten hat es gehapert. Deshalb will Thompson Stellen abbauen und Personalkosten in Ausgaben für Programme verwandeln; rund 370 Millionen Pfund sollen dank des Effizienzprogrammes in den nächsten drei bis vier Jahren in Dokumentarsendungen, Serien und Komödien fließen (epd 97/04, 40/05). Der Personalabbau ist überfällig. Die Personal-, Verwaltungs- und Strategieabteilungen der BBC sind aufgebläht wie nie zuvor. Selbst unter Greg Dyke, der als Kämpfer gegen den bürokratischen Wust angetreten war, sind noch einmal zusätzlich 3000 Mitarbeiter festangestellt worden. Im letzten Jahr hat die BBC zudem für so genannte Führungskurse 75 Millionen Euro ausgegeben; viele Redakteure meinen, diese Kurse seien nicht nur wirkungslos verpufft, sie hätten sich als geradezu kontraproduktiv erwiesen. Bei der Corporation laufen zu viele Bürokraten und Manager herum, es wird zu viel Geld für „Expertisen“ eigener Strategie- und „Policy“Abteilungen sowie aushäusiger Unternehmensberatungen aufgewendet, erstellt von einer Heerschar hochbezahlter Eierköpfe, die oft keinerlei Programmerfahrung haben. Was es den Verteidigern des öffentlich-rechtlichen Prinzips in der Politik nicht leichter macht. Zumal das inhaltliche Argument zu Gunsten einer gebührenfinanzierten BBC, dass sie immerhin durch die Bank weg bessere Programme mache als die kommerzielle Konkurrenz, erheblich an Überzeugungskraft eingebüßt hat. Die BBC ist in den 90ern stetig seichter und langweiliger geworden und hat nur noch in einigen Sparten und Programmen die erwartete hohe Qualität geboten. Mark Thompson verspricht das zu ändern. Die Regierung Blair ihrerseits hat bereits seit längerem signalisiert, dass sie nicht an der privilegierten Stellung der BBC rütteln und ihr die Gebühren weiter exklusiv zufließen werden. Doch dafür muss die Führung der Corporation ihre Sparpläne verwirklichen, die Kommerzialisierung zurückdrehen, die unter Greg Dyke beschleunigt vorangetrieben worden war, und den Standard des öffentlich-rechtlichen Rundfunks anheben. So lautet die stillschweigende Vereinbarung zwischen Regierung, Parlamentsmehrheit und der BBC. Insgeheim dürften dies auch die Gewerkschaften begriffen haben. 25 26 epd medien ■ Nr. 42 · 1.6.2005 AUSLAND Prozess gegen Fallaci wegen „Verunglimpfung des Islam“ Ankläger ist der umstrittene Konvertit Adel Smith Rom (epd). Die italienische Schriftstellerin Oriana Fallaci muss sich wegen ihres letzten Buchs „Die Kraft der Vernunft“ in ihrem Heimatland wegen „Verunglimpfung des Islam“ vor Gericht verantworten. Die Forderung der Staatsanwaltschaft, den Fall zu den Akten zu legen, ist von Untersuchungsrichter Armando Grasso abgelehnt worden. Fallaci lebt seit zehn Jahren in New York. Justizminister Roberto Castelli hat die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen Fallaci auf das Schärfste verurteilt. Die Journalistin habe den Mut gehabt, zu sagen, was sie denke, so der Politiker von der ehemaligen Separatistenpartei Lega Nord, die ebenso wie Fallaci in der Masse der islamischen Einwanderer eine Bedrohung für Europa sieht. Castelli wertete das Verfahren als Indiz für eine europäische Bewegung, die alle mundtot machen wolle, die nicht mit linkem Einheitsdenken übereinstimmten. „Ihre Ablehnung der Muslime“ Ankläger ist Adel Smith, der Präsident der Union der Muslime Italiens, der seinerseits wegen abfälliger Äußerungen über das Christentum äußerst umstritten ist. Smith, Sohn eines schottischen Vaters und Konvertit, war in der Vergangenheit wegen spektakulärer Aktionen wiederholt in die Schlagzeilen geraten. So wollte Smith erreichen, dass die Kruzifixe aus der Schule seines Sohnes entfernt werden. Ein Kruzifix, das im Krankenhauszimmer seiner Mutter hing, hatte er aus dem Fenster geworfen, zuletzt wollte er Johannes Paul II. und den damaligen Kardinal Ratzinger vor Gericht bringen, weil deren Aussage über die Überlegenheit des Christentums gegen die italienische Verfassung verstoße. In dem Prozess soll es speziell um achtzehn Sätze des Fallaci-Buchs gehen, in denen von islamischen Terroranschlägen die Rede ist, die mit dem Gehorsam gegenüber Allah begründet worden seien und denen insgesamt 6.000 Menschen zum Opfer gefallen waren. Den Italienern hatte Fallaci in ihrem ersten islamkritischen Buch „Die Wut und der Stolz“ vorgeworfen, aus Mangel an Stolz zuzulassen, dass islamische Einwanderer auf ihre Denkmäler urinieren und ihre Kirchenplätze besudeln. Über die Muslime hatte sie geschrieben, dass sie sich vermehrten „wie die Rat- ten“. Richter Grasso sieht u.a. in dem Satz „Der Islam tötet uns, um uns zu unterwerfen“ einen Versuch der Autorin, „ihre Ablehnung der Muslime auf die Leser zu übertragen“. Staatsanwältin Maria Cristina Rota hatte mit dem Argument, bei den scheinbar verächtlichen Äußerungen handle es sich um literarische Mittel, eine Archivierung des Falles beantragt. Sie muss nun bis zum 2. Juni ihre Anklage formulieren, mit der das Hauptverfahren gegen Fallaci eröffnet wird. Kernaussage von Fallacis letztem Buch ist, dass es trotz der Gefahr einer Islamisierung Europas durch den „demographischen Faktor“ immer noch Grund zur Hoffnung gebe. Und zwar auf Grund der Überlegenheit des abendländischen Denkens: der Kraft der Vernunft. bg Dassault verkauft den „Express“ an Roularta Der Rüstungsunternehmer will sich ganz auf den „Figaro“ konzentrieren Paris (epd). Der französische Rüstungskonzern Dassault verkauft das politische Wochenmagazin „L'Express“ an die belgische Roularta Media Group (RMG). Nach einem Bericht der Wirtschaftszeitung „La Tribune“ soll der Verkauf „in den nächsten Tagen“ erfolgen. Roularta ist Belgiens größter Medienkonzern. Dassault hatte vor genau einem Jahr die Kontrolle über Frankreichs größte Zeitungsgruppe Socpress übernommen, zu der u.a. „L'Express“ und die Tageszeitung „Le Figaro“ gehört. Laut „La Tribune“ sei der Verkauf des „Express“ ein Beweis dafür, dass Serge Dassault sich verstärkt auf den „Figaro“ sowie die Beilage „Figaro Magazine“ und „Figaro Madame“ konzentrieren wollte. Dassault (79), Hersteller u.a. des Kampfjets Mirage, hatte damals öffentlich erklärt, dass er seine „Ideen“ in seiner „Lieblingszeitung“, dem „Figaro“, publiziert sehen wollte. Zwei Jahre zuvor, hatte er im Fernsehen erklärt: „Ich sage nicht, dass die Journalisten des Figaro zu links sind, ich sage nur, dass sie die Realität nicht gut genug erläutern.“ Der „Express“ war erst zwei Jahre zuvor von Vivendi an Socpresse verkauft worden. Der damalige VivendiChef Messier hatte schon 1967 versucht, „L'Express“, KRITIK 1.6.2005 Nr. 42 ■ epd medien Frankreichs älteste politische Wochenzeitschrift, an Dassault zu verkaufen und war politisch derart unter Druck geraten, dass er sein Vorhaben wieder aufgeben musste. Wenn Messier den „Express“ an Dassault verkaufe, soll damals ein Politiker gesagt haben, werde „Blut an den Wänden“ sein. Der „Express“ ist mit einer Auflage von 435.000 nach dem „Nouvel Observateur“ Frankreichs Nummer zwei auf dem Magazinmarkt. gz KRITIK Radio beiten]“. Mayröcker teilt dieses Ziel mit Gertrude Stein, der klassischen Avantgardistin und Freundin von Picasso, die die Wörter durch einen überraschend neuen spielerischen Gebrauch an ihren magischen Ursprung – die Sprachmusik – zurückführen wollte. Schreiben und Leben „Gertrude Stein hat die Luft gemalt“, Hörspiel von Friederike Mayröcker, Musik: Maurizio Kagel, Regie: Klaus Schöning (DLF, 17.5.05, 20.10–21.00 Uhr) epd „Und ich sage zu Gertrude Stein, ich lese viel in Ihren Büchern...“, lautet der erste Satz in diesem Hörspiel. Normalerweise zuckt man zusammen bei so einem Einstieg: es droht „Bekenntnisliteratur“. Aber hier ist es komischerweise genau umgekehrt: Man spitzt die Ohren, hört genauer hin und fühlt sich direkt angezogen, als belausche man ein spannendes Gespräch. Dass dieser Einblick in die Werkstatt einer Spracherfinderin weit über die pure Selbstauskunft hinausgeht, liegt vor allem an der schwebenden Intonation, mit der die achtzigjährige Friederike Mayröcker ihren Text vorträgt. Denn sie liest ihr Stück nicht einfach so vom Blatt, wie es weniger mikrofonerfahrene Autoren manchmal tun, sondern lässt ihre Stimme unter der Regie von Klaus Schöning zu einem natürlichen Instrument werden. Nie weiß man, wie einen der nächste Satz treffen wird, und diese Ungewissheit hält die Spannung. Gleichzeitig ist nichts zu spüren vom sonst oft düsterkratzigen „Runterlesen“ des eigenen Textes, mit dem sich Mayröcker auch schon mal von ihren Hörern distanziert. Hier spricht die Dichterin so überzeugend leicht, fast sogar beiläufig, wie jemand, der schon in sich hineingeredet hat, bevor man dazugeschaltet ist. Genau genommen ist das ja auch so, denn seit ihrer ersten Veröffentlichung im Jahre 1939 kreisen Prosa, Lyrik und die Essays Mayröckers immer wieder um ihr einziges großes Thema: das Erfassen des Lebens durch unverbrauchte Wörter. Immer wieder neu geht es ihr um die Frage, wie man „einer poetischen Wahrheit sprachlich gerecht werden kann; gleichzeitig mit größter Maßlosigkeit und größter Maßhaltung [ar- Es ist eine zurückhaltende und bestimmte, reife und forschende Frauenstimme, die uns in Mayröckers Hörspiel geradezu konspirativ dazu einlädt, ihr umherschweifendes Bewusstsein zu belauschen. Wobei sich das Credo der Dichterin, dass Schreiben und Leben, Kopf und Körper eins seien, mit großer Leichtigkeit und überzeugend gegenständlich entfaltet. Nach längerem Hören hypnotisiert der melodisch kreisende Textstrom des schwingenden Bewusstseins auch seine Ohrenzeugen. Bei all dem dichtet Mayröcker nicht einfach autistisch vor sich hin, sondern sie teilt und vor allem: teilt mit. Präzise beobachtete kleine Alltagsszenen: „Da waren Erdbeeren an der Außenseite des Eisglases“, bettet sie ein in ihr Reden über das Erfinden, das Auswählen und Verdichten des Gesehenen. Aber vor allem spricht die Schriftstellerin vom Schreiben einer Wahlverwandten, in deren Sätzen sie sich selbst spiegelt. Wie man sich eben zusammensetzt aus dem, was andere sagen, und dem, was man so um sich herum sieht oder liest. (Schon vor Jahren bezeichnete Mayröcker das Ich als „Worteinmarschzone“). „Ich lese viel in Ihren Büchern“, sagt sie also zu Gertrude Stein und verschmilzt mit ihr in einem rhythmisch-wiegenden Wechsel von „sie sagte“ und „ich sage“. Das zu hören ist faszinierend, denn man erlebt die Leselust der Autorin am eigenen Leib. Konsequent spricht Mayröcker immer wieder von den Büchern als Droge, so dass es leitmotivisch heißt: „Ich erhöhe die Dosis.“ Der Gedanke von Literatur als Suchtmittel ist seit Jahrzehnten aus der Popliteratur vertraut, aber selten ist er so leicht, undogmatisch und selbstverständlich ausgesprochen worden wie hier. Komponist Maurizio Kagel, selbst altgedienter Hörspiel-Avantgardist, unterlegt den Text sparsam mit Vokalgesang. Das ver- 27 28 epd medien ■ Nr. 42 · 1.6.2005 KRITIK leiht dem Ganzen nicht nur eine archaische Würde, sondern ist wohl als Hommage an „Voyelles“ („Vokale“) zu verstehen, das frühmoderne Lautgedicht Arthur Rimbauds. Erinnern und Schreiben heißt Leben für Friederike Mayröcker. Und ihr Duett mit der Gertrude Stein wird in seinen gut 48 Minuten Dauer tatsächlich zu einem KRITIK Fernsehen Kraft und Gegenkraft „Nicht ohne Risiko“, Dokumentarfilm von Harun Farocki (WDR, 18.5.05, 23.15–0.05 Uhr) epd Das Wort vom Kapitalismus ist in der Welt und dabei fliegen die Metaphern wie die Heuschrecken durch die Debatte. Wie die Sache mit dem Kapitalismus im Einzelnen und konkret funktioniert, jedenfalls in einem Teilsektor, das zeigt der neue Film von Harun Farocki „Nicht ohne Risiko“. Es geht um Geschäftsverhandlungen und um venture capital, also Risiko-Kapital – und das klingt zunächst nicht grade aufregend. Aber der Autor, Filmemacher und Essayist Harun Farocki hat immer schon einen besonderen Blick gehabt auf das Wirtschaftsleben. In „Die Bewerbung“ etwa drehte er Arbeitssuchende, die sich für den Arbeitsmarkt fit machen. „Die Schöpfer der Einkaufswelten“ (2002) demonstrierten, wie in Einkaufszentren Käufer und Verkäufer für den Umsatz zugerichtet werden Auch „Nicht ohne Risiko“ liefert einen Blick in die öffentlich selten zugängliche Zone der Wirtschaft. Hinter der abschwächenden doppelten Verneinung steckt Brisanz. Zwei Verhandlungsgruppen stehen sich gegenüber. Auf der einen Seite Herr Mey, Chef von NCTE, ein Unternehmer-Erfinder. Er hat einen berührungslosen Drehmoment-Sensor entwickelt, der in Lastkräne, aber auch in Rennautos eingebaut werden kann. Die Erfindung hat Zukunft, aber Herr Mey hat grade kein Geld. Sicherheiten für einen Bankkredit kann er nicht aufbringen. Das ist die Stunde des Risikokapitals, und das funktioniert so: Die Investoren übernehmen Teile eines kapitalschwachen Unternehmens, berechnen für das Risiko hohe Verzinsungen und wollen in absehbarer Zeit ihren Anteil mit guten Gewinn wieder verkaufen. Um die Rahmenbedingungen des Deals geht es in den Stück greifbarer Wirklichkeit. Irgendwann erzählt die Autorin von Gertrude Steins Vorliebe für Garagen und erinnert selbst eine kleine Garagen-Geschichte, die mit dem Satz endet: „Und man hörte ein Hupen.“ Genau in diesem Augenblick hupt es durchdringend vor dem Fenster der Rezensentin. Das ist natürlich kein Zufall! Nein, hier greift die Dichtung nach der Realität. Gaby Hartel Verhandlungen: 750.000 Euro braucht Herr Mey, dafür würde er 20 Prozent der Firma abgeben. Aber die Herren von Buchanan wollen für diese Summe 25 bis 30 Prozent der Firma und verweisen auf ihr Risiko, die Erfindung könnte auch floppen. NCTE fühlt sich unterbewertet, will sich zu Beratungen zurückziehen und der Verhandlungsführer von Buchanan sagt: „Das ist das Angenehme an uns: Wir sind so leicht berechenbar. Wir sind zwar nicht angenehm, aber leicht berechenbar.“ Nicht angenehm, aber leicht berechenbar. Farockis Film ist wie eine Versuchsanordnung. Zwei Verhandlungsrunden in zwei Tagen, kein Kommentar, nur einige Begriffe aus dem Wirtschafts-Denglisch müssen erklärt werden. Eine kurze, technisch aussehende kleine animierte Graphik zeigt, wie ein DrehmomentSensor arbeitet, einen Moment fühlt man sich wie in einem Lehrfilm. Von diesen wenigen Hilfsmitteln abgesehen, arbeitet Farocki mit den Methoden des direct cinema. Unauffällig, aber nahe dran. Auf den ersten Blick sieht sein Film fast aus wie eine leidenschaftslose Abbildung. Aber die Einstellungen sind beredt und der Film ist raffiniert montiert. Die Kamera von Ingo Kratisch bewegt sich wie selbstverständlich zwischen den Kontrahenten, fängt Gesten und Blicke ein. Zum Teil vergessen die Männer, dass sie gefilmt werden. Zum Teil bewegen sie sich in diesem Spiel auch mit einer großen Darstellungslust. So erlaubt es Farockis Film, beim Tauziehen zuzusehen und entwickelt dabei eine immer stärker werdende Sogwirkung. Er fokussiert die Aufmerksamkeit auf das Verhalten der Männer, auf das Spiel von Kraft und Gegenkraft, auf den richtigen Moment, auf die Pause, auf die Zwischentöne. Man kann beobachten, wie Gespräche stocken und wieder lebhaft werden. Besonders, als sich plötzlich neue Gewinnaussichten auftun, weil ein großes Unternehmen vielleicht die kleine Firma des Unterneh- KRITIK mer-Erfinders wird kaufen wollen. Es geht zu wie in Brechts „Lied von der belebenden Wirkung des Geldes“. Und so kommen die vier Herren sich auch allmählich näher in ihren Vorstellungen. Eine nicht von der Kamera beobachtete Begegnung der beiden Rechtsanwälte hat es noch gegeben, wo sie den Kurs absteckten. Doch auch dieses Verhandlungsergebnis hält nicht – bis dann ein überraschender Vorschlag von Buchanan das Geschäft zu einem guten Ende bringt. Das größere Risiko bleibt der kapitalsuchenden Firma, es geht eben „nicht ohne Risiko“. Man möchte auch gern auf der Seite des produktiven Unternehmers stehen, aber so einfach ist es nicht in Farockis Film. Auch Herr Mey hat kein anderes Ziel, als die Firma nach einigen Jahren zu verkaufen und reich zu werden. Die Angestellten spielen bei der Risikoabwägung keine Rolle. Als der Kompromiss gefunden ist, geht es sehr schnell. Die Unterschrift wird per Fax erledigt, der Tisch beim Italiener ist schon reserviert. Die Herren entledigen sich nun ihrer Jacketts und Farocki gelingt noch eine wunderbare kleine Verhaltensstudie. Dem Unternehmer läuft bei Pasta und Rotwein das Herz über und er will von so viel weiteren Plänen erzählen, dass ihn sein Rechtsanwalt stoppen muss. Derweil schauen die Herren vom Risikokapital ein wenig gelangweilt an die Decke. Ihr Geschäft ist unter Dach und Fach. Jetzt muss nur noch ihr Geld arbeiten. Wie es eben im Kapitalismus üblich ist. Fritz Wolf Bruchstückwerk „Wiedergeburt im Kaukasus – Eine Reise durch Armenien“, Reportage von Christoph-Michael Adam (SWR, 25.5.05, 21.45–22.15 Uhr) epd Nicht nur der Ton, auch die Reihenfolge verweist auf das Genre bunte Reisereportage. ChristophMichael Adam eröffnet seinen armenischen Reisebericht mit einer Visite bei Radio Eriwan, in dessen deutschem Programm noch immer Hörerfragen mit dem legendären „Im Prinzip ja“ beantwortet werden. Erst danach werden die 1,5 Millionen Opfer erwähnt, die der 1915 von Türken verübte Genozid an den Armeniern forderte. Mehrfach auch wird die Armut des Landes erwähnt: zunächst sind es die 50 Euro, die ein Radioredakteur im Monat verdient – und gegen Ende des Berichts werden auch noch die 15 Euro Rente erwähnt. Chris- 1.6.2005 Nr. 42 ■ epd medien toph-Michael Adam begibt sich während seiner Armenien-Tour wohlgemut auf dünnes Eis. Er dreht einen typischen Reisefilm, wähnt sich aber bei einer politischen Reportage. Das Resultat: beide Erwartungen werden enttäuscht. Vor allem jene der interessierten Zuschauer, die sich ein aktuelles Meinungsbild zu dem Genozid-Thema erwarteten. Dies, zumal Politiker aller Fraktionen zum 90. Jahrestag im Bundestag die Türkei aufgefordert haben, das Massaker an der armenischen Bevölkerung als Teil ihrer Geschichte zu akzeptieren. Der CDU-Abgeordnete Christoph Bergner, Initiator des Antrags der Unionsfraktion, verwies auf die Mitschuld des deutschen Kaiserreichs, das Informationen seiner Botschaft in Konstantinopel über die Massaker, die am 24. April 1915 begannen, nicht an die Öffentlichkeit brachte. Bergner zitierte im Bundestag die Sätze des damaligen Reichskanzlers Theobald von Bethmann-Hollweg an den deutschen Botschafter, wonach „unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Kriegs an unserer Seite zu halten, gleichgültig ob darüber Armenier zugrunde gehen oder nicht“. Dies sollte man eigentlich wissen, bevor man unkommentiert armenische Studenten zu Wort kommen lässt, die „Deutschland soll sich zu seine Mitschuld bekennen“ fordern. Unerwähnt bleibt sowohl, dass es ein Massaker an Christen war, als auch, dass es in der angeblich so europäisch orientierten Türkei noch immer unter Strafe gestellt ist, das Massaker auch nur zu erwähnen. Dies zieht Strafverfahren, Morddrohungen und Bücherverbrennungen nach sich – so im Fall des Schriftstellers Orhan Pamuk. Diese Problematik greift der Autor erst gar nicht auf. Er lässt aber die Historikerin Tessa Hofmann zu Wort kommen, die salomonisch meint, Deutschland habe den Schlüssel für die türkisch-armenischen Beziehungen. Was wohl meint, die Berliner EU-Fürsprache könne das Eis abtauen, das längst schon wieder nachfrostet. Es ist eben stets heikel, wenn komplexe politische Themen quasi en passant gestreift werden. Adam wechselt von der Genozid-Thematik auf die landesweit sichtbare Armut, besucht eine Familie, in der zwei junge Leute autistisch vor dem Fernseher sitzen, sie sind ratlos, doch auch der Autor ist es, fragt nicht nach, wie das Lebensgefühl im Lande ist. Dafür räumt er ungeniert ein, dass das Filmteam sich „einen Traum“ erfüllt habe, nämlich auf der legendären Sei- 29 30 epd medien ■ Nr. 42 · 1.6.2005 KRITIK denstraße zu fahren – die dann aber ein ganzes Stück vor Georgien auf einer vereisten 2500-MeterPassstraße endet. Schwierig, schwierig, hier durchzukommen. Doch das ist kein Problem, denn es ist „Frühling im Tal“, wo die Felsenkirche von Gekart besichtigt werden kann. Welcher Konfession sie diente, bleibt unerwähnt, auch, dass das Bauwerk aus dem 13. Jahrhundert deutliche islamische Architekturspuren trägt. Es muss also in diesem Lande eine friedliche Koexistenz der Glauben gegeben haben. Warum also kam es zu dem Genozid? Auch andere Fragen bleiben offen. Der Autor sieht sich in Eriwan um, entdeckt angesichts erschreckender Armut den stolzen Besitzer eines Maybach, eine der teuersten Nobelkarossen überhaupt. Adam fragt naiv nach, wie das möglich sei. „Casinos, Hotels, ein bisschen Business“, antwortet der Mann. Und Adam sieht sein osteuropäisches Weltbild vom sozialistischen Staatskapitalismus bestätigt, bei dem die nationalen Reichtümer privatisiert und versilbert werden. Doch das bleibt bloßer Augenschein und Vermutung, ebenso wie das als segensreich präsentierte Wirken von Auslands-Armeniern, die viel Geld ins Land schicken. Doch die Beispiele bleiben plakativ, lassen auch die soziale Nachhaltigkeit etwas vermissen. Was der Luxus-Cognac von Charles Aznavour und die vom US-Milliardär Kirk Kerkorian gesponserten Innenstadt-Verhübschungen mit der maroden wirtschaftlichen und sozialen Lage zu tun haben, erschließt sich auch dem reisenden Reporter nicht, aber es sieht gut aus, gibt dem Trip ins Armenhaus ein bisschen Edelflair. Die Rolle der christlichen Kirche greift der Beitrag erst ganz zum Schluss auf, in einem Kurzinterview mit dem Katholikas Karekin II., der auf die tragende Rolle der Kirche in Armeniens wechselhafter Staatsgeschichte zwischen den politischen Mächten hinwies. Doch auch dort zeigten die Bilder mehr, als der Autor erkunden wollte: eine volle Kirche, in der sich die neuen Reichen und die verarmte Frau mit Plastikfolien als Schuhen vereinen. Die soziale Realität, in der sich dies abspielt, das kulturelle Leben an der Bruchstelle zwischen Europa und Asien, das alles blieb unerforscht und vergessen. So blieb es bei einem journalistischen Bruchstückwerk aus dem fernen, pittoresken Kaukasus, einer Puppenbühne aus Armut, Archaik und Mafiatum. Dieter Deul Gut aussehendes Fernsehen „Windstärke 8 - Das Auswandererschiff 1855“, sechsteiliger Serie von Dominik Wessely, Arne Sinnwell, Gabriele Wengler, Kamera: Knut Schmitz, Rüdiger Kortz, Produktion: Caligari Film (ARDWDR/ARTE, seit 23.5.05, 21.45–22.30 Uhr) epd Zeitreisen sind in Mode, „Living history“ lebt. Nach „Schwarzwaldhaus 1902“ und „Abenteuer 1900 – Leben im Gutshaus“ geht die ARD jetzt noch ein halbes Jahrhundert zurück und dann gleich noch mit dem Segelschiff über den Atlantik mit „Windstärke 8 Das Auswandererschiff 1855“. Die Auswanderer sind nicht die einzigen Zeitreisenden. Derzeit spielen auch im ZDF Schüler und Lehrer, wie sich Pädagogik der Adenauerzeit anfühlt („Harte Schule“). Und auf RTL trampen in der Erlebnis-Doku „Peking Express“ einige Abenteuerlustige auf gut kamerakontrollierten Wegen von Moskau nach Peking. Von derlei Reise-Show hat auch „Windstärke 8“ etwas. Der Film kombiniert „Living History“ mit kalkuliert-dosiertem Abenteuertum. Ein Film wie eine Reise also, abgepackt in sechs Etappen (auf ARTE als Doku-Soap in fünf kürzeren Etappen, für den ARD-Vorabend noch geplant in 16 Etappen), vom Einschiffen bis zur Landung nach 70 Tagen, mit Sturm und Delphinen, mit Bad im Meer und Seekrankheit, mit Bordfesten und Konflikten im Zwischendeck. 37 Menschen waren unterwegs auf dem Segelschiff „Bremen“, darunter 19 Zeitreisende, ausgewählt aus mehr als 5000 Bewerbern. Ferner 19 Mann Besatzung. Unsichtbar im Film die achtköpfige Filmcrew und ein Reporter des „Stern“. Die Reise fand statt unter Bedingungen von 1855, jedenfalls weitgehend. Kleidung, Hygiene, Essen wie damals. Kein Strom, keine moderne Toilette. Natürlich war dennoch modernes Gerät an Bord: ein Dieselmotor, Radar, Bordcomputer, Medizin - wurde auch alles gebraucht. Die Fernsehsender wären ja verrückt, wenn sie ihre Protagonisten so ganz ohne auf die Reise schickten. Das Risiko würde ihnen keine Versicherung abdecken. „Viele überlebten die Reise nicht“ heißt es gleich eingangs in dramatischem Tonfall über die realen Reisebedingungen der Auswanderer von 1855; so viel historische Rekonstruktion durfte doch nicht sein. Aber ein Abenteuer ist es. Eine solche Atlantiküberquerung im historischen Kostüm hat schon was. Man sieht der Expedition und dem Experiment nicht ungern zu. Die Bilder sind spektakulär, die Natur mischt KRITIK 1.6.2005 Nr. 42 ■ epd medien mit Stürmen, Flauten und dramatischen Sonnenuntergängen im Geschehen kräftig mit. Die ARD hat das Projekt auch historisch unterfüttert, nicht nur in der Recherche, sondern auch im Film selbst. schwierige Hygiene - das alles kennt man auch schon aus „Schwarzwaldhaus“ und „Gutshof“ und hier wie da ist immer auch eine Portion Eskapismus dabei: Seht her, wie gut es uns doch heute geht. In Text und Bildern werden die Zuschauer über die reale Lage von Auswanderern damals in Kenntnis gesetzt. Geschickt lenken Bildüberblendungen den Blick zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Das ist anschauliches und aktionsreiches Bildungsfernsehen, weniger aufdringlich etwa als die „Harte Schule“ im ZDF. Fernsehen mit hohem Schauwert: HochglanzDokumentation. Das Personal der Zeitreisenden ist sorgfältig gecastet und hat mit dem Gynäkologen und Hobbykoch Hans-Peter Ammann, der als Bordkoch arbeitet, auch eine zentrale Integrationsfigur. Auch sonst sind die Charaktere sorgfältig ausgesucht, nach Alter, Geschlecht, Ost und West, sozialer Herkunft, alles schön repräsentativ. Dagegen ist der dokumentarische, der beobachtende, dem Zufall und der Intuition überlassene Anteil an den Bildern dieser Reise geringer als man von einem Dokumentarfilmregisseur wie Dominik Wessely erwarten durfte. Man lernt die Menschen nicht wirklich kennen, erfährt von ihnen jedenfalls deutlich weniger als etwa von den Boros in „Schwarzwaldhaus 1902“, bei freilich überschaubarerer Versuchsanordnung. Der Film ist an der dokumentarischen Beobachtung der Menschen nicht sehr interessiert. Er ist daran interessiert, gut aussehendes Fernsehen zu sein. „Windstärke 8“ ist aber auch typisches Formatfernsehen. Ein übermächtiger Kommentar hält alle Bilder und Erzählstränge zusammen und betet den Zuschauern vor, was sie zu sehen und wie sie es zu interpretieren haben. Eingangs wirft treibende Musik und eine aggressive Kommentarstimme die Maschine an, mit der die Emotionen in die gewünschten Bahnen gelenkt werden. Und wenn die zeitreisenden Rollenspieler auch von der Regie locker und nicht wie im Laientheater geführt werden, so trifft man sie doch meist in gesetzten Situationen an. Das Bordfest. Der Streit. Das Bad im Meer. Der Mathe-Unterricht im Zwischendeck, das Schlachten der Hühner und Hasen. Vieles kommt wie erwartet. Oft stellt sich das Gefühl ein, man sähe jetzt genau die Bilder, von denen die Macher gedacht haben, dass die Menschen vor den Bildschirmen erwarten würden, sie zu sehen. Es sind so viele Situationen dramaturgisch gesetzt, dass in der letzten Folge, als noch einmal Sturm aufkommt, nicht einmal der Gedanke abwegig erscheint, diesen Orkan könnte die Produktionsfirma noch rechtzeitig organisiert haben. Bei allem Versuch, historisch genau zu rekonstruieren, spielt der Film aber eben doch in der Gegenwart und die Zeitreisenden selbst sind seine Protagonisten. Ihre Erfahrungen, ihr Erlebnis, ihr Verhalten ist das Interessanteste. Und eben dort lässt der Film uns im Stich. Der Erkenntniswert der individuellen Erfahrungen ist eher gering. Der zivilisatorische Fortschritt von der Baumwollbinde zum Tampon, das Schlachten der Haustiere, die Verderblichkeit von Lebensmitteln, die Einmal spricht der Kapitän zu den Zeitreisenden, dass es nicht so einfach sei, aus seiner Zeit auszusteigen. Dass die Menschen die Langsamkeit erst entdecken und Geduld mit sich und den anderen aufbringen müssten. Davon, von der Geduld, vom Entdecken, von Lust und Unlust an diesem Experiment an sich selbst, davon würde man gerne etwas sehen. Aber man sieht es nicht. Es wird nur behauptet. Vieles wird in diesem Film nur behauptet. Formatfernsehen ist Fernsehen, das behauptet, nicht zeigt. Dass es übrigens auch anders geht, hat vor zwei Jahren Thorsten Truscheit mit der Doku-Serie „Junge Herzen auf großer Fahrt ins Leben“ gezeigt. Das war zwar keine Zeitreise, aber eine Schiffsreise, übrigens unter Leitung des gleichen Kapitäns und auf dem gleichen Schiff, aber eben sehr dokumentarisch umgesetzt, voller Spannung und Überraschungen. Das ZDF hat diese kleine Kostbarkeit seinerzeit zu miserabler Sendezeit versenkt. Vermutlich weil es eben kein Formatfernsehen war. Am Ende der letzten Folge, nach dem ausführlichen Abspann, werden die Rollen auch einmal umgekehrt. Jetzt spielen die Protagonisten die Kameracrew nach, amüsieren sich köstlich über deren Sprechweise und Anordnungen, imitieren den Jargon und stellen sich selbst lustvoll dar als die Spieler, die sie selbst auch die ganze Reise über gewesen sind. In dieser kleinen ausgelassenen Szene spürt man plötzlich etwas von dem spontanen, spielerischen Potential, das der Film nicht entfesselt hat. Einmal abgesehen davon, dass ihm solche gelegentlichen ironischen Brechungen der Zeitreisen-Illusion auch zwischendurch gut getan hätten. Fritz Wolf 31 epd medien Postvertriebsstück / Entgelt bezahlt NOTIERT „Es gibt viele Möglichkeiten, sich öffentlich und medienwirksam den Restruf zu ruinieren. Zu den populärsten Methoden gehört es, ein Traktat zu schreiben und es unter der Genrebezeichnung ,Roman' oder ,Erzählung' in Umlauf zu bringen. ... Nun ist Michel (,Mischu') Friedman an der Reihe, ehemaliger stellvertretender Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, ehemaliger..., und weil das alles nicht genug ist, um in der German Hall of Fame einen Platz zwischen Daniel Küblböck und Jenny Elvers zu finden, hat Friedman ,Kaddisch vor Morgengrauen' geschrieben, einen Roman von 160 Seiten. ... Das ist Sonnenbank-Prosa der Luxusklasse, keiner leidet auf einem so hohen Niveau wie Michel Friedman. Mit den reinen Fakten hapert es noch ein wenig - den Auszug der Juden aus Ägypten versetzt er in die Zeit von Jesus und kürzt die jüdische Geschichte damit um über tausend Jahre -, aber die Haltung ist großartig.“ – Henryk M. Broder im „Spiegel“. „Viele bei den Grünen sind sehr besorgt und sagen: ,Joschka ist so fett – wenn das so weitergeht, kauft er sich nächste Woche eine Strickjacke und macht Urlaub am Wolfgangsee.' Sat.1 hat spontan reagiert und dreht ab morgen die neue Telenovela ,Der Bulle von Berlin'.“ – Harald Schmidt. „Wer eine Reise durch das sagenumwobene Land Absurdistan machen will, der soll sich nicht weit wegbewegen. Er kann im Fernsehsessel sitzenbleiben und muß nur heute abend mit der Fernbedienung das dritte Fernsehprogramm des Südwestrundfunks einschalten. Dort zeigt der Chefreporter Thomas Leif nicht nur in bester Aufklärermanier, wie dieses GEP Postfach 50 05 50 Land auf die Berater und also für hundert Millionen Euro pro Legislaturperiode für zweifelhafte Gutachten ausgegebener Steuergelder auf den Hund gekommen ist. Er zeigt auch, wie unterhaltsam eine solche Recherche dargeboten werden kann, wie man ein großes Thema anhand kleiner Beispiele mit nachhaltiger Wirkung (in diesem Fassungslosigkeit und Wut) präsentiert. Und er zeigt, was die ARD im zunehmend informationsentleerten ersten Programm zeigen sollte – und nicht um 22.30 Uhr beim SWR.“ – Michael Hanfeld in der FAZ. „Meine Frau studiert das TVProgramm sehr gründlich, sie streicht an, was wir ihrer Ansicht nach sehen sollten. Aber häufiger noch macht sie nur ein Fragezeichen. Alles, was mit den Nazis zu tun hat, markiert sie. Sie kann sich, so pervers das anmuten mag, an Hitler, an marschierenden SS- und SA-Truppen nicht satt sehen. ,Das ist mein Leben', sagt sie, ,alles war davon determiniert.'“– Marcel Reich-Ranicki in einem „Spiegel“Interview. „Grundlage ist das Motto des Kirchentags selbst: ,Wenn dein Kind dich morgen fragt...', ein Satz aus 5. Mose 6, 1-25. Dort wird dem Volk Israel nach dessen Befreiung aus ägyptischer Sklaverei das Gelobte Land verheißen. Das Programmheft bietet dazu zwei Textversionen: die modernisierte Luther-Übersetzung und eine eigens für den Kirchentag neu erstellte Übertragung - natürlich noch moderner. Sie nimmt Rücksicht auf sämtliche Empfindlichkeiten außer denen der Traditionalisten, und so heißt es denn ,Göttinnen und Götter' statt bloß ,Götter', ,Kind' statt ,Sohn', ,Mütter und Väter' statt ,Väter', ,Gottheit' statt ,Gott' und vor allem, mit der authentischen Anrufung, ,Adonai' statt ,Herr'. 60394 Frankfurt am Main 20109 Man darf es wohl als Akt theologischen Ungehorsams gegen den herrenlosen Text werten, daß Frau Vollmer wie Schorlemmer ihren Zuhörern die Luther-Übersetzung zur Lektüre empfehlen.“ – Andreas Platthaus in der FAZ. „Wir haben am Montag einen Blick gesehen, den kannten wir. Es war der Blick, mit dem Claudia Roth einen Interviewwunsch ablehnte. Fassungslos, vorwurfsvoll, beleidigt: ,Jetzt höre ich der Landesvorsitzenden der Grünen zu und dann habe ich Zeit für Sie'. Wie gesagt, wir kannten diesen Blick. Wenn man im Kindergarten mit anderen Kindern das Spielzeug nicht teilen wollte oder später beim Kindergeburtstag den Kuchen oder wenn man noch später in der Schule oder an der Uni die Flugblätter der Nicaragua-Gruppe nicht annehmen wollte, war da immer dieser Blick und eigentlich kam er immer von Claudia Roth. Dieser Blick ist eine Benotung, er sagt: ,Wie kann man nur?'. Er ist eine Maschinerie zur Erzeugung schlechten Gewissens. Es ist eine der wirkungsvollsten Apparaturen, die es je in Deutschland gegeben hat.“ – Frank Schirrmacher in der FAZ. „Die Hoffnung war trügerisch: Sabine Christiansen ist doch als Moderatorin der ARD bei dem geplanten ,Kanzlerduell‘ mit Angela Merkel und Gerhard Schröder gesetzt. Das gab gestern der ARDChefredakteur und Politikkoordinator Hartmann von der Tann bekannt. Einen anderen Kandidaten habe es bei der ARD nie gegeben, sagte er. ... Hört das denn nie auf? Und soll erst ein anderer Sender einen versierten Fragesteller wie Frank Plasberg abwerben, bevor er im Hauptprogramm in den Ring darf?“ – Michael Hanfeld in der FAZ.