Kriminalliteratur

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Kriminalliteratur
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136/21
FEUILLETON
rma. Dieser Rückblick auf die Kultur der
Westschweiz in der Zwischenkriegszeit knüpft
an die Ausstellung «Dreissiger Jahre Schweiz»
an, die 1981/82 in Zürich zu sehen war. Anregungen zweier Universitätsdozenten aufnehmend und weiterführend, haben sich die vier
Museen von Lausanne zu einer gemeinsamen
Schau zusammengefunden. Dabei werden im
Musee de l'Ancien-Eveche Literatur, Musik,
Radio und Film, im Musee des arts decoratifs
Architektur, Urbanismus und Keramik, im
Kunstmuseum (Palais de Rumine) Malerei, Plastik und sakrale Kunst, im Musee de l'Elysee
schliesslich die Photographie vorgestellt. Der
Katalog zu dieser grossangelegten Schau ist bei
den Editions Payot, Lausanne, erschienen.
Literatur und Theater
Dass das Ausstellungsplakat das Ramuz-Klischee aufgreift, ist für den literarischen Bereich
im (neuerdings wohltuend erweiterten) Musee
de l'Ancien-Eveche nicht typisch. Hier wird bei
aller gebührenden Berücksichtigung des grossen
Rhodanien der Besucher vielmehr mit einer
Fülle von Ausdrucksformen bekannt gemacht.
Es geschieht dies vor allem über die Zeitschriften; so stösst man hier auf die «Revue de Geneve», auf «Aujourd'hui» und manche andere Titel. Dabei fehlt es
meist leider ephemere
nicht an wertvollen Exponaten, etwa einem Autograph Jean-Paul Zimmermanns (bei «Les
Voix») oder Werner Renfers (bei «Feuillets»);
einem Manuskript Charly Clercs (bei «Suisse
romande») oder einem Brief Jean Gionos (beim
Bulletin der «Guilde du Livre»). Die literarischen Grössen sind aber auch über Porträts
(Charles-Albert Cingria gemalt von seinem Bruder Alexandre; Edmond Gilliard gemalt von
Gustave Buchet) gegenwärtig oder über Tonbänder, die man sich an Kassettengeräten anhören kann.
Noch dominierender, nicht zuletzt dank den
vielen zeitgenössischen Plakaten, ist der dem
Theater gewidmete Teil der Ausstellung. Hier
fällt auf, dass die Stadttheater von Genf und
Lausanne gar nicht berücksichtigt sind, dafür
hingegen kleinere Truppen, die für Neuerungen
(Copeau; Jaques-Dalcroze) offenbar aufgeschlossener waren. So bewundert man die Theaternummern der Studentenverbindung «BellesLettres», deren Lausanner Sektion 1933 eine
Bühnenfassung von Andre Gides «Caves du
Vatican» aufführte. Gut vertreten ist sodann das
ins Volkskundliche weisende Festspiel. So werden die Aufführungen des «Theatre de Mezieres» vergegenwärtigt, angefangen mit dem «Roi
David» (1921). Zwei Panneaux von Auberjonois erinnern an die Feier zum 200. Todestag
Davels (1923). Bemerkenswerterweise wird an
damals neue Festformen erinnert: an das Narzissenfest von Montreux und an die Genfer
«Fetes de Mai»^ die von touristischen bzw. parÜberlegungen inspiriert
teipolitischen
-
gestalteten Bereich der Ausstellung Abbe Bovet,
Komponist des Murten-Festspiels von 1926.
Musik und Film
Ebenfalls reich an Dokumenten ist der dem
musikalischen Leben in der Westschweiz gewidmete Saal. Hier stösst man auf Plakate von Sinfoniekonzerten
das Konzertleben war durch
die Rivalität zwischen Ansermet (Genf) und
Doret (Lausanne) gekennzeichnet -, von Chören und von Kammermusik. Autographen von
Aloys Fornerod, Andre-Francois Marescotti
und Joseph Lauber rufen die kreativen, freilich
nicht immer auch von der Publikumsgunst getragenen Kräfte in Erinnerung. Das Manuskript
von Honeggers «Pacific 231» und die Partitur
von Strawinskys «Feuervogel», ein Arbeitsexemplar Carl Schurichts, weisen in- den zweiten Bereich dieses Teils der Ausstellung, der
kurz die dank der Anwesenheit von Komponisten (Hindemith), Dirigenten (Bruno Waiter)
und Interpreten (Clara Haskil) vielfältigen Beziehungen zum Ausland antönt. Der kleinere
Saal nebenan ist dem seit 1922 in Lausanne und
seit 1926 in Genf wirkenden Radio gewidmet.
Unter Kopien aus der Zeitschrift «Le Radio»
stehen - wie kleine Altare - die zeitgenössischen
Apparate.
Auch im einen der beiden dem Film gewidmeten Räume stehen Apparate von den Bolex
und den Paillard zum Pathe Baby, das auch Gustave Roud schätzte -, doch führt hier die Ausbeute weit über die Geschichte der Technologie
hinaus. Zeitschriften, Kritiker, Plakatkünstler
(Paul Perrenoud) werden ebenso vorgestellt wie
die Filmemacher-Kameraleute (Brocher, Porchet Vater und Sohn, Duvanel). Dabei wird die
Vielfalt der Gattungen sichtbar, die weit über
den Dokumentar- und den Gebirgsfilm hinausreichte und auch burleske und didaktische Streifen umfasste. Nicht vergessen sind architektonisch-soziologische Aspekte wie die Kinopaläs t jener Zeit und das etwas megalomane Proe
tj e k eines «Studio national» in Montreux.
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Klick über Lausunne und Genf hinaus
So bietet diese Schau im Musee de l'AncienEveche eine Fülle von Einblicken. Bemerkenswert ist auch, dass die Organisatoren den Blick
über Lausanne und Genf hinaus etwa nach La
lenkten. Freilich wirkt die
Chaux-de-Fonds
Präsentation stellenweise etwas gedrängt und
konventionell. Nur selten werden die Querverbindungen der einzelnen Bereiche zueinander
angedeutet. Der ganze Bereich der Wissenschaft
fehlt. Die Beziehungen von Universität und Kirche zum kulturellen Leben werden nicht sichtbar gemacht. Die Geldgeber damals vor allem
private Mäzene
treten nicht in Erscheinung.
Das ändert indessen nichts am gesamthaft posiEindruck,
tiven
den diese vielseitige, sorgfältig
dokumentierte und anregende Ausstellung vermittelt, die hoffentlich nicht nur von Veteranen
waren. und Nostalgikern besucht wird. (Bis 14. SeptemNicht vergessen ist in diesem auch didaktisch ber)
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Felix Mendelssohn Bartholdy: Konzert für Violine und Orchester e-Moll op. 64; Konzert für
Violine und Streichorchester d-Moll (1822). Frank
Peter Zimmermann (Violine), Radio-SymphonieOrchester Berlin; Leitung: Gerd Albrecht. EMI
06727 0366 1.
F. Me. Nach Mozart und Paganini wendet sich der
heute einundzwanzigjährige deutsche Geiger Frank
Peter Zimmermann auf seiner neuesten Schallplatte
den n
b e i d e Violinkonzerten Felix Mendelssohns zu.
Das Ergebnis ist wiederum bemerkenswert, zumal der
Geiger das d-Moll-Konzert, das erst 1951 von Yehudi
Menuhin wiederentdeckt wurde, mit der gleichen instrumentalen Sorgfalt und dem gleichen gestalteri-
schen Ernst interpretiert wie das berühmte e-MollKonzert. In diesem reizvollen, handwerklich erstaunlich vollendeten Frühwerk des dreizehnjährigen Mendelssohn trifft Zimmermann vor allem den innigen
Ton des Andante-Mittelsatzes sehr gut; die spielerische Heiterkeit der Ecksätze hingegen kommt etwas
zu kurz, da das Spiel des Geigers zu gleichbleibend
intensiv und nicht ganz frei von «Drückern» ist die
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Grumiaux-Aufnahme mit ihrer luftigen Eleganz bleibt
hier unerreichtes Vorbild.
Im e-Moll-Konzert jedoch kommen Zimmermanns virtuose Beweglichkeit und seine Neigung zu
intensivem Ausspielen zu einer glücklichen Synthese:
Der Kopfsatz erklingt vorwärtsdrängend-pulsierend,
die weiten melodischen Bögen im Andante haben
Spannkraft, und im Finale gerät trotz aller Spielfreude das atmosphärische Moment nie ins Hintertreffen. Auch Gerd Albrecht und das Radio-Symphonie-Orchciter Berlin, deren orchestraler Beitrag im dMoll-Konzert zwar akkurat, aber auch etwas prosaisch-nüchtern ausfallt, erweisen sich hier als einfühlsame, aufmerksame Partner. Und wenn auch dieser durch und durch seriösen Interpretation letztlich
wohl
ein gewisses charismatisches Element abgeht
nicht zuletzt wegen des ein wenig uncharakteristischen Tons von Zimmermann -, so braucht sie, trotz
-
Dandy-Dieb und Gentleman-Gauner
Arsene Lupin, in der Rolle des englischen Privatdetektivs Jim Barnett auftreten und agieren.
Für Chandlers frühe Erzählung «Killer in the
Rain» (1935) ist das Glossar besonders wichtig.
« yp e
r i v a t e - story» der sogenannDenn diese e
ten hard-boiled school ist in der slangdurchsetzten Umgangssprache geschrieben, die hier noch
ein anonymer Privatdetektiv spricht, die später
als Philip-Marlowe-Ton für Chandlers sieben
Romane charakteristisch sein wird. Herausgegeben hat diesen Band Bernd Neumeyer.
Weitere neue Titel in der Reihe «Fremdsprachentexte» sind: Gustave Flauberts «Un coeur
simple», Pierre Damnos' «Vacances ä tous
prix», Harold Pinters «Old Times», Jean Websters «Daddy-Long-Legs» und der letzte Band
einer dreibändigen Ausgabe mit «Modern English Short Stories».
1er, den
-
Aktenstücke der Zeit
In der Geschichte der Kriminalliteratur
spielt die zwanzigbändige Sammlung «Causes
celebres et interessantes, avec les jugements qui
les ont decidees» eine entscheidende Rolle. Der
Name des Autors, der des französischen Juristen Francois Gayot de Pitaval (1673-1743),
wurde zum Begriff. So trägt eine im 19. JahrNeue Taschenbücher
hundert von Julius Eduard Hitzig und Wilhelm
Häring herausgegebene Kollektion den Titel:
Die Taschenbuchverlage sorgen auch für Ferienlektüre. In die Sommermonate hinein kommt
«Der neue Pitaval - Eine Sammlung der intereseine Reihe von Kriminalromanen und Thrillern wobei die Qualität des Stoffes nicht schon von
gegeben
santesten Kriminalgeschichten». Der erste Band
selbst
ist und der literarische Anspruch auch enttäuschen kann. Spannende und intellidieses gleichsam «mörderischen» Kompendigente Unterhaltung wird angepriesen; zu prüfen bleibt, wie das Versprechen im
eingeEinzelfall
ums in 60 Bänden, die in den Jahren 1842-1847
löst wird. - Auch finden im folgenden Bücher zum Thema der Gewalt in der Historie und in der
erschienen sind, liegt als Insel-Taschenbuch
Erwähnung.
klassischen Literatur
vor. Ihr Werk sei, so bemerkten die Herausgekriminalgeschichtlichen DokumentaGanz ohne Morde läuft die Chose nicht. klienten, denen in jedem Fall
so lautet die ber der
tion,
weniger
Versprechen
der Gegenwart gewidmet. Als erster Fall
spannende
Diese
bekannten Quintessenz aller
einem mehr oder
und
Operettenschlager nachempfundene - zweifel- intelligente Unterhaltung geboten werden soll. kommt der politische Mord Karl Ludwig Sands
an August von Kotzebue, Deutschlands zu jener
los ein wenig salopp-makaber klingende For- Und in manchen Fällen auch geboten wird.
mulierung fällt einem unwillkürlich ein, wenn
Zeit berühmtestem Lustspieldichter, zur Darstellung. Der am 23. März 1819 begangene
flüchtigen
Chronique
als
auch
sehr
Blick
Krimi
nur
einen
auf
scandaleuse
man
Taschenbuchproduktion
Mord ist ein typisches Beispiel für das, was Hitdie monatliche
wirft.
Stellvertretend für die vielen Kriminalroma- zig und Häring den ausgewählten KriminalfälDenn eine Unmenge von Neuerscheinungen ne,
die Monat für Monat erscheinen und hier len gerne attestieren: Er ist «ein Aktenstück der
(auch zahlreicher alter oder älterer Titel) sorgt
nicht aufgezählt werden können, sei zunächst Zeit, dem ein nicht wegzulöschendes Siegel der
durch Mord und Morde und immer noch mehr hingewiesen
auf eine Kassette mit zehn Banden, historischen Anerkennung aufgedrückt ist».
Morde dafür, dass spannungssüchtige Nerven,
denen ein gewisser Martin Beck im Zentrum
mordlüsterne Seelen und spürsinnig-divinato- in
Die im ersten Band des «Neuen Pitaval»
Aufklärungsaktionen steht:
der
detektivischen
begabte
Unterernährung,
dargelegten Fälle zweier Gattenmörderinnen
Geister nicht an
risch
ein für Krimikenner kaum weniger populärer
Spanierin Mendieta und der Französin Tian Reizmangel oder fehlendem Thriller-feeling
der
Spurensucher
und Entdecker
zugrunde gehen, sondern - um ein Taschen- kriminalistischer
legendären, fast schon mythischen Figu- quet werden gesehen als «ein Spiegelbild des
buchquantum reicher an Lebens- und Todeser- als die
zeitweiligen Sittenzustandes ihrer Nationen».
fahrung das gerade ausgelesene Buch beiseite ren: Sherlock Holmes und Father Brown, Miss
Von da aus führt der Weg direkt zu der 1980 in
legen können, nur um sich den nächsten Mord Marple uüd Lord Peter, Jules Maigret und HerPoirot, Sam Spade, Philip Marlowe und den USA publizierten umfangreichen und
grundlegenden
aufzuhalsen und sich seiner aufregenden, cule
Studie von Ann Jones mit dem
Es geht bei den zehn Bän- lapidaren
manchmal abenteuerlichen Aufklärung zuzu- wie sie alle heissen.
Titel: «Frauen, die töten» (Suhrden um das anerkannte, aber (wegen gewisser kamp). Ausgangspunkt
wenden.
der Untersuchung ist
ideologisch-sozialkritischer
Implikationen)
auffällige
Faktum, «dass die von Frauen
Bei den angesprochenen Neuerscheinungen, nicht unumstrittene Werk von Maj Sjöwall und das
<;anders>; sind. Im Unterschied
gut
verübten
Morde
wie nichts läuft und Per Wahlöö. Die genau eine Dekade umfassenin denen ohne Mord so
mindestens eine Leiche als Conditio sine qua non den Kriminalromane können als eine «Chroni- zu Männern (. . .) töten wir Frauen in der Regel
auftritt, ist ausschliesslich an die sei's klassi- que scandaleuse der Klassengesellschaft» gele- die, die uns am nächsten stehen: Wir töten unKinder, unsere Ehemänner, unsere Geliebschen, sei's modernen - Kriminalromane, Thril- sen werden. So
sieht es jedenfalls Rudi Kost in sere
ler oder Detektivgeschichten gedacht, nicht an einem Aufsatz zu dem Martin-Beck-Zyklus. Zu- ten.» Auch für Ann Jones sind die geschilderten
analysierten
Fälle so etwas wie Aktenstücke
die ebenfalls mit Leichen oft überreich ausge- sammen mit einem Interview mit Maj Sjöwall und
gesellschaftlichen
statteten Spionage-, Western-, Fantasy-, My- ist der Aufsatz in einem Heft abgedruckt, das der Zeit. Sie treffen «einen
stery- und (manchmal auch) Science-fiction- der Kassette beigegeben
Nerv».
wurde (Rowohlt).
Texte. Dank den Taschenbüchern wird die
Vexierbild
Das Krimithema gibt Gelegenheit, wieder
deutschsprachige Krimigemeinde reichlich mit
einmal auf die ausgezeichnete Reihe der (mit
Bei so viel Mord und Totschlag, deren Zeuge
nationalem und internationalem Nachschub
versorgt ob freilich immer bestens, das bleibt einem hilfreichen Glossar versehenen und da- der Leser freiwillig wird, wundert es dann nicht,
gemachten)
«Fremdsprachentexte»
durch
lesbar
wenn man sich bald unfreiwillig so konditiodie Frage.
des Reclam-Verlages hinzuweisen. Zwei Klassi- niert sieht, dass man bei der Durchsicht von
Jedenfalls haben sich beispielsweise die Ver- ker der Kriminalliteratur kommen in ihr zu Taschenbuchneuerscheinungen mehr Mord und
lage Rowohlt, Diogenes, Fischer, Heyne,
Gold- Wort: Maurice Leblanc und Raymond Chand- Totschlag bemerkt, als einem vielleicht lieb ist.
mann, Ullstein und andere um das Genre vor- ler. In den von Monika Schlitzer herausgegebeEs ist wie bei einem Vexierbild: Hat man erst
bildlich verdient gemacht. Sie mühen sich red- nen Kriminalerzählungen «La partie de bacca- einmal den versteckten Gegenstand ausfindig
lich und durchaus nicht ohne Erfolg um das ra La Lettre d'amour du roi George» lässt Le- gemacht, sieht man fast nur noch ihn; jedenfalls
ausgesuchte (Un-)Wohlergehen
ihrer Thriller- blanc seinen Helden und Verwandlungskünst- ist er nicht mehr wegzudenken. Greift man nur
Und immer noch mehr Morde
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16.
Juni 1986
Nr. 136
21
Neue Schallplatten
Die Kultur der Westschweiz von 1919 bis 1939
Eine Retrospektive in vier Lausanner Museen
Montag,
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grosser Konkurrenz, sowohl instrumental als auch
musikalisch kaum einen Vergleich zu scheuen.
Tomas Luis de Victoria: Officium Hebdomadae
Sanctae. Escolania Montserrat, Leitung: P. Ireneu Segarra OSB. EMI-Deutsche harmonia
mundi 16 9572 3 (3 Platten in Kassette).
Fz. Diese Musik zur Karwoche stellt zweifellos einen Kristallisationspunkt von Victorias Schaffen während seines zwei Jahrzehnte dauernden Wirkens in
Rom (1565 bis 1585) dar. Melodischer Erfindungsreichtum, kontrapunktische Meisterschaft und harmonische Differenzierung, alles vor dem Hintergrund
des grossen Vorbildes Palestrina, erreichen einen Höhepunkt. Gleichzeitig signalisiert aber eine besondere,
ganz persönliche, mitunter beinahe leidenschaftliche
Expressivität eine gewisse Distanzierung von eben
diesem Vorbild - spanisches (altkastilisches!) Erbgut?
Der Chor von Montserrat ist beispielhaft in seiner
Klangkultur, in der vollendet kontemplativen Haltung, in der er diese Musik singt. Beides spiegelt wohl
die Absichten seines Dirigenten. Ob ihr «ruhiger
Redefluss», den er in seinem kurzen Kommentar
(«Zur Interpretation») im sehr sorgfältig zusammengestellten, informativen Begleitheft erwähnt, vom
Komponisten wirklich so ruhig gemeint war? Dirigent
und Chor scheinen uns in der Vermeidung der «geringsten Übertreibung» in Dynamik und Rhythmik
denn doch zu weit zu gehen. Man vermisst, über allem
Streben nach Einfachheit und angemessener Mystik,
die der Dirigent für diese Musik reklamiert, doch ein
wenig die «eifernde Leidenschaft», die «gezügelte
Kraft», Eigenschaften, die er ihr auch zumisst. Und
über dem ausgeprägten Legato, das er mit seinem
Chor pflegt, scheint auch ein guter Teil jenes Wortverständnisses verlorenzugehen, das, nach den Forderungen des Tridentiner Konzils, eine neue Kirchenmusik
hätte haben sollen. Immerhin sei zugestanden: lebendig und nuanciert wirkt die Interpretation, und sie ist
von vollkommener Klangschönheit und -reinheit. Sie
gilt einem wahren Meisterwerk, das man gern in seiner Gesamtheit zur Verfügung .h a t
hinein ins volle Menschenleben, wie es sich in
der Fülle der monatlichen Taschenbücherangebote präsentiert, so stösst man unerwartet
schnell und oft auf Mord und Totschlag als
Konstante mit Variationen. Man findet sie,
auch wenn man sie nicht sucht.
Da sind beispielsweise vier Biographien oder
biographische Porträts von Männern, die ermordet wurden und deren Leben und Werk
durch den Mord eine andere «historische Anerkennung», Qualität und Bedeutung erhielten.
Das zeigt sich deutlich in den analogen Untertiteln der beiden Serie-Piper-Porträts: Heinz
Aboschs «Jean J aures
Die vergebliche Hoffnung» und Herbert von Borchs «John F. Kennedy - Amerikas unerfüllte Hoffnung».
Vor
«Fragen über Fragen» zum Mord an Johann
Joachim Winckelmann (1717-1768) sieht sich
Wolfgang Lippmann gestellt im ersten Kapitel
seines Buches über «das rätselhafte, dramatische Lebensschicksal des Mannes, der als «Vater
der Archäologie) und Begründer der deutschen
Klassik Epoche machte»: «Winckelmann Ein
Leben für Apoll» (Fischer). Was Milieu und
Mordmotiv angeht, so hat Winckelmanns «Tod
in Triest» möglicherweise Ähnlichkeiten mit
dem Tod in Rom des Filmregisseurs, Literaten
und existentiellen «Freibeuters» Pier Paolo Pasolini. Über ihn hat Otto Schweitzer eine biographische Studie geschrieben, die als RowohltBildmonographie erschienen ist.
Ohne an Mord und Totschlag zu denken,
sind auch vier Taschenbuchneuerscheinungen
nicht zu lesen, in denen Frauen im Mittelpunkt
stehen, die als mythische oder reale Gestalten
der Weltgeschichte das mörderische Gesetz jener Geschichte entweder am eigenen Leibe erfahren haben oder es vollzogen bzw. geschehen
Hessen. Im ersten der beiden modernen Commedia-dell'arte-Theaterstücke von Dario Fo
«Elisabetta/Isabella, drei Karavellen und ein
Scharlatan» (Rotbuch) imaginiert Elisabeth I.
von England im Schlussmonolog die Hinrichtung ihrer Rivalin Maria Stuart als albtraumati
Den letzten ihrer
sche Selbstenthauptung.
(von Benedikt Kautsky edierten) «Briefe an
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Neue Zürcher Zeitung vom 16.06.1986
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