Einfluss der Prozessführung auf die Bauteileigenschaften bei der

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Einfluss der Prozessführung auf die Bauteileigenschaften bei der
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Zeitschrift Kunststofftechnik
Journal of Plastics Technology
© 2012 Carl Hanser Verlag, München
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archivierte, peer-rezensierte Internetzeitschrift des Wissenschaftlichen Arbeitskreises Kunststofftechnik (WAK)
archival, peer-reviewed online Journal of the Scientific Alliance of Polymer Technology
www.kunststofftech.com; www.plasticseng.com
eingereicht/handed in:
angenommen/accepted:
21.07.2011
05.12.2011
Prof. Dr.-Ing. Dietmar Drummer, Dipl.-Ing. Alexander Schmidt,
Dipl.-Ing. Andreas Seefried, Prof. em. Dr.-Ing. Dr. h.c. Gottfried W. Ehrenstein,
Lehrstuhl für Kunststofftechnik, Universität Erlangen-Nürnberg,
Dr.-Ing. Ines Kühnert, Leibniz-Institut für Polymerforschung Dresden e.V.
Einfluss der Prozessführung auf die
Bauteileigenschaften bei der
Druckverfestigung amorpher Thermoplaste
Linsen sind aus kunststofftechnischer Sicht nicht fertigungsgerecht gestaltet, da sie oft enorme
Wanddickenänderungen aufweisen. Aufgrund der stark unterschiedlichen Schwindungskoeffizienten
von Schmelze und Festkörper kommt es bei der Standardverarbeitung von Kunststoffen zu
Einfallstellen und Eigenspannungen. Bei der Druckverfestigung wird bei homogener Schmelzetemperatur der Glasübergang durch hohen Druck gleichzeitig im ganzen Bauteil unterschritten. Das
Bauteil unterliegt ab dem Zeitpunkt der Verfestigung nur noch dem Ausdehnungskoeffizienten des
Festkörpers und Effekte durch lokal unterschiedliche Schwindungskoeffizienten werden minimiert. In
diesem Beitrag werden die Einflüsse durch Druck, Temperatur und Prozessführung während des
Kühlens bei der Druckverfestigung von Polycarbonat betrachtet.
Influence of process strategy on part quality in
compression induced solidification of
amorphous thermoplastics
Lenses do not have an ideal design for plastic processing because of their varying wall thickness.
Melt and solid state show great differences in shrinkage which lead directly to warpage and residual
stresses with state of the art processing techniques. Compression induced solidification (CIS) is a
process which compresses melt at a homogenous temperature until it solidifies. That brings a
isochronic solidification of the whole part even at high temperatures and reduces residual stresses
and warpage due to the cooling of a body with an homogenous shrinkage. In this article the influence
of pressure, temperature and process strategy are to be observed in compression induced
solidification of polycarbonate.
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Einfluss der Prozessführung
Einfluss der Prozessführung auf die
Bauteileigenschaften bei der Druckverfestigung
amorpher Thermoplaste
D. Drummer, A. Schmidt, A. Seefried, G.W. Ehrenstein, I. Kühnert
1
EINLEITUNG
Im Bereich der Optik sind Glaslinsen für Präzisionsanwendungen der Stand der
Technik. Für sphärische Linsen ist die Fertigung von Glaslinsen weitgehend
gelöst. Allerdings werden für viele Anwendungen asphärische oder gar Linsen
mit Freiformflächen benötigt. Durch Asphären können Abbildungsfehler wie
sphärische Aberration und Astigmatismus vermieden werden [1]. Freiformflächen werden meist im Bereich der nichtabbildenden Optik eingesetzt, um
eine gewünschte Strahlform zu generieren, wie zum Beispiel bei Frontscheinwerfern von Kraftfahrzeugen. Aufgrund der hohen Gestaltungsfreiheit, dem
geringen Gewicht, sowie der relativ geringen Fertigungszeiten bei der Spritzgießverarbeitung empfehlen sich Kunststoffe für solche Anwendungen [2].
Allerdings bergen die Standard-Formgebungsverfahren für optische Kunststoffbauteile, Spritzgießen und Spritzprägen [3, 4, 5], auch Nachteile gerade im
Bereich hochwertiger und dickwandiger Optiken. Bauteilgestalt und innere
Eigenschaften werden vor allem durch die zeitabhängigen Verarbeitungsparameter Druck und Temperatur sowie daraus resultierender Werkzeugdeformation bestimmt [6]. Weitere Einflüsse ergeben sich aus werkstoffspezifischen Eigenschaften, wie Wärmeleitfähigkeit, Viskosität und spezifischem Volumen. Das Zusammenspiel dieser Größen führt aufgrund der sich
einstellenden Temperatur- und Druckverteilung zu Dichte- und Schwindungsgradienten über die Bauteildicke [7, 8, 9].
Ein Verfahren, das die beim üblichen Spritzgießen und Spritzprägen auftretenden Probleme der zeitlich und lokal unterschiedlichen Zustandsänderungen vermeidet, ist die sogenannte Druckverfestigung. Bei konstant
gehaltener Temperatur erfolgt ausschließlich durch Einwirkung von Druck eine
homogene und schnelle Verfestigung der Schmelze. Der Abkühlvorgang erfolgt
ausschließlich in der festen Phase. Somit ist das Verfahren wanddickenunabhängig [10, 11, 12].
Ein möglicher Einfluss auf druckverfestigte Bauteile resultiert aus den vergleichsweise hohen Drücken und der damit verbundenen Deformation der
Kavität. Grundsätzlich zeichnen sich zwei verschiedene Prozessführungsvarianten ab, die zu unterschiedlichen Entformungszuständen führen können –
die näherungsweise isobare und isochore Abkühlung nach der Verfestigung. Im
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Folgenden sollen die beiden Prozessführungsvarianten und der Einfluss auf die
resultierenden Bauteileigenschaften gegenübergestellt werden.
2
STAND DER TECHNIK
2.1 Verarbeitungsrelevantes Werkstoffverhalten
Bei der Formteilherstellung aus Kunststoffen müssen die werkstoffinhärenten
Eigenschaften der Kunststoffe im Speziellen berücksichtigt werden. Kunststoffe
haben ein stark temperatur- und druckabhängiges Verhalten während der
Verarbeitung. Diese beiden Einflussparameter wirken sich signifikant auf die
Dichte bzw. deren inversen Wert, das spezifische Volumen, aus. Man spricht
hier vom pvT-Verhalten der Kunststoffe. Dieses Verhalten wird standardmäßig
in einem pvT-Messgerät erfasst. Dabei werden durch isobare Abkühlung von
Verarbeitungstemperatur her kommend die Werte des spezifischen Volumens v
bei stufenweise variierenden, je Messung konstanten Drücken p über der
Temperatur T erfasst. Amorphe Thermoplaste, wie sie in der Optik vornehmlich
zum Einsatz kommen, weisen einen Glasübergangsbereich auf, an dem die
Makromoleküle soweit in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt werden, dass das
Material erstarrt.
2.1.1
Schmelze-Zustand
Oberhalb der Fließtemperatur Tf sind die Moleküle amorpher Thermoplaste
durch ausreichende thermische Energie in der Lage, Platzwechselvorgänge,
sogenannte makrobrownsche Bewegungen [12] zu vollziehen [13]. Zusätzlich
steht genügend freies Volumen zur Verfügung. Sind die thermische Energie und
das freie Volumen ausreichend hoch, verhält sich der Kunststoff nahezu wie
eine homogene Flüssigkeit. Die Relaxationszeit der Moleküle für Umlagerungen
ist sehr kurz und die Kettenbeweglichkeit groß, so dass aufgebrachte
Verformungen und dadurch bewirkte Spannungen durch Umlagerung der
Moleküle bzw. Fließen ausgeglichen werden können [14].
2.1.2
Entropieelastischer Bereich
Zwischen der Fließtemperatur Tf und der Glasübergangstemperatur Tg befindet
sich der entropieelastische bzw. gummielastische Bereich. Der Werkstoff liegt
hier in einer gummiartigen Form vor und zeigt das Bestreben, nach dem
Aufbringen von Deformationen seine Ausgangsform zurückzubilden. Dies kann
dadurch erklärt werden, dass die Moleküle einen chaotischen und damit
energetisch möglichst günstigen Zustand einnehmen wollen. Ein Strecken der
Ketten durch Deformation führt zu einer Verringerung der Entropie. Wird die
äußere Belastung entfernt, so versucht das Material die Entropieänderung auszugleichen und in seinen Ausgangszustand zurückzukehren. Der entropieelastische Bereich ist von sogenannten mikrobrownschen Bewegungen
geprägt.
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2.1.3
Einfluss der Prozessführung
Glasübergang
Beim Abkühlen der Schmelze nehmen das Schwingungsausdehnungsvolumen
der Moleküle und das freie Volumen kontinuierlich ab, zwischenmolekulare
Bindungen und innere Reibung zu, bis keine Platzwechselvorgänge mehr
möglich sind [14, 15]. An diesem Punkt erstarrt der Kunststoff und die Viskosität
steigt um mehrere Größenordnungen [12].
Da weder die Makromoleküle, noch ihre Bewegungen, noch das freie Volumen
überall gleich sind, erstreckt sich der Vorgang des Glasübergangs je nach
Kunststoff über einen Bereich von bis zu 20 °C. Bild 1 beschreibt die prinzipielle
Änderung des spezifischen Volumens v amorpher Kunststoffe über der
Temperatur mit gleichbleibendem Druck. Unterhalb Tg im festen Zustand sind
lediglich in begrenztem Umfang Rotationen und Schwingungen mit kleinen
Amplituden möglich, und das freie Volumen ist weitgehend konstant. Dies zeigt
der Übergang (in Bild 1 schematisch als Knick dargestellt) im Verlauf des
spezifischen Volumens. Der Glasübergang selbst ist wiederum von den
Parametern Druck und Abkühlgeschwindigkeit abhängig. Mit zunehmendem
Druck nimmt die Beweglichkeit der Molekülketten ab und die Glasübergangstemperatur verschiebt sich hin zu höheren Werten (nicht in Bild 1 dargestellt,
siehe Bild 2). Ebenso verschiebt sich der Glasübergang durch schnellere
Abkühlgeschwindigkeiten hin zu höheren Temperaturen. Zusätzlich werden
aufgrund der Behinderung der vollständigen Umlagerung der Moleküle größere
spezifische Volumina eingefroren. [12, 14, 15, 16, 17]
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Bild 1:
Zusammenhang zwischen Volumen und Temperatur bei amorphen
Thermoplasten [nach 12, 16]
v0 = Molekülvolumen bei 0 K, vS = Schwingungsausdehnungsvolumen,
vf = freies Volumen, Tg(s) = Glasübergangstemperatur bei schneller
Abkühlung, Tg(l) = Glasübergangstemperatur bei langsamer Abkühlung
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2.1.4
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Fester Zustand
Unterhalb von Tg ist die Änderung des spezifischen Volumens nur durch die
Abnahme des Schwingungsausdehnungsvolumens bestimmt. Wird Druck auf
den Festkörper ausgeübt, wird vornehmlich das besetzte Volumen verringert,
das aus dem Molekülvolumen und dem hochfrequenten Anteil des Schwingungsausdehnungsvolumens zusammengesetzt ist, und in geringerem Maße
das freie Volumen [12, 18].
2.2
Einfluss des pvT-Verhaltens auf die
Bauteileigenschaften beim Spritzgießen
Beim Spritzgießen wird der werkstoffinhärenten thermischen Schwindung
während der Abkühlung nur durch den Nachdruck über das Plastifizieraggregat
entgegengewirkt. Dabei wird schmelzeflüssiges Material solange nachgedrückt,
bis der Anschnitt eingefroren ist. Wanddickenänderungen sowie der
Temperaturgradient über den Fließquerschnitt haben eine inhomogene Druckverteilung entlang des Fließwegs zur Folge, die sich auf die Formteileigenschaften auswirkt [3, 19]. Bild 2 zeigt schematisch den Verlauf des spezifischen
Volumens während des konventionellen Spritzgießprozesses für ein Bauteil mit
großen Wanddickenunterschieden in einem pvT-Diagramm. Die dunkelgraue
Kurve beschreibt dabei den Verlauf im dünnwandigen Rand am Anguss,
hellgrau gestrichelt das dickwandige Zentrum. An Punkt 1 wird in das im
Gegensatz zur Schmelze kalte Werkzeug eingespritzt bis der Spritzdruck
erreicht ist (Punkt 2) und anschließend auf Nachdruck umgeschaltet. Wegen
des mit steigender Entfernung vom Angusspunkt abnehmenden Drucks wird im
dickwandigen Zentrum (hellgraue Kurve) ein geringeres Nachdruckniveau
erreicht. Während der Nachdruckzeit wird der Druck gehalten und Schmelze in
die Kavität nachgeführt. Somit erfolgt die fortschreitende Abkühlung annähernd
isobar. Sobald der Anschnitt eingefroren ist (Punkt 3), beginnt die sogenannte
isochore Schwindung, das heißt, das Bauteilvolumen entspricht dem
Kavitätsvolumen und der Druck wird durch thermische Schwindung abgebaut.
Wird Atmosphärendruck erreicht (Punkt 4) kann das Bauteil frei schwinden [6,
20]. Aufgrund der geringen Wärmeleitfähigkeit der Kunststoffe und der hohen
Wanddicke ist die Abkühlgeschwindigkeit im Zentrum des dickwandigen
Bauteils wesentlich langsamer. Dadurch ergeben sich zu gleichen Zeiten
deutlich unterschiedliche Temperaturen und spezifische Volumina (Punkt 4)
sowie durch die zusätzlich geringeren Drücke im Zentrum ein höheres
Schwindungspotential (hellgraue Kurve). Diese Gradienten führen zu
Einfallstellen und geringeren spezifischen Volumina in den dickeren Bereichen
(Punkt 5) [8].
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Bild 2:
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Schematische Darstellung des Spritzgießverlaufs bei Linsen im pvTDiagramm (zentral und angussnah),
amorpher Thermoplast [nach 8, 12]
Die an verschiedenen Positionen im Bauteil zeitlich versetzt eintretende
Erstarrung führt aufgrund der etwa dreimal größeren thermischen Ausdehnung
der Schmelze unvermeidlich zu Schwindungsunterschieden und Eigenspannungen [3, 8]. Linsen sind aufgrund ihrer Funktion in allen Ausführungen
Bauteile mit meist kontinuierlicher Wanddickenänderung und damit an sich nicht
spritzgießfertigungsgerecht auslegbare Bauteile [21, 22]. Bild 3 zeigt eine
spannungsoptische Aufnahme einer Kunststofflinse. Die durch Doppelbrechung
hervorgerufenen farbigen Linien, sogenannte Isochromaten, deuten auf Eigenspannungen und Orientierungen hin, die auf die heterogenen Abkühl- und
Erstarrungsvorgänge sowie auf Fließvorgänge zurückzuführen sind. Einfallstellen im Bereich der dicksten Stellen der Linsen können beim klassischen
Spritzgießen kaum oder nur durch einen hohen und zeitlich langen Nachdruck
während der Abkühlphase des Spritzlings ausgeglichen werden. Diese
Maßnahme führt allerdings zu Orientierungen im Angussbereich (Bild 3, Bereich
unten) und damit verminderter optischer Qualität des Formteils. [3, 23]
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Bild 3:
Linse aus amorphem Polyamid mit Eigenspannungen,
zirkular polarisiertes Licht
2.3
Spritzprägen zur Verbesserung der
Bauteileigenschaften
Ein alternatives Verfahren, mit dem die Nachteile der Nachdruckführung über
das Spritzaggregat umgangen werden können, ist das Spritzprägen. Die
Druckaufbringung wird dabei meist von einer beweglich gestalteten Schließseite
des Werkzeugs realisiert, zum Beispiel über Tauchkanten- oder Prägerahmenwerkzeuge. Es gibt hierbei verschiedene Verfahren die seit den 1960er Jahren
beschrieben werden. Ein Vorteil des Spritzprägens liegt darin, dass das
Formteil einem flächig wirkenden Druck während der Abkühlung, auch nach
dem Einfrieren des Angusses, unterliegt. Der gleichmäßig über das Bauteil
aufgebrachte Druck führt zu einer verbesserten Abformgenauigkeit. Unterstützt
der Prägevorgang den Füllvorgang, können fließbedingte Orientierungen
reduziert werden. Vergleiche mit dem Spritzgießen zeigen, dass durch
Spritzprägen Bauteile mit verringerten Doppelbrechungserscheinungen, die von
Spannungen und Orientierungen in einem amorphen Bauteil hervorgerufen
werden, hergestellt werden können. Um ein Rückströmen von Schmelze in den
Zylinder zu vermeiden, werden beim Spritzprägen die Angusskanäle vor der
Prägephase oft mechanisch verschlossen. [3, 23]
2.4 Druckverfestigung
Die Ursache der meisten negativen Einflüsse auf die Bauteilqualität, zum
Beispiel inhomogene Schwindung und Eigenspannungen, ist, wie in 2.2 gezeigt,
auf die abkühlungsbedingte, zeitlich und lokal ungleichmäßige Erstarrung des
Bauteils zurückzuführen. Wenn es möglich ist, die Erstarrung der Schmelze von
der Abkühlung zu trennen, sollten diese Einflüsse verringert oder sogar
vermieden werden können. Breuer und Rehage [17] haben bereits gezeigt,
dass durch genügend hohen Druck eine Erstarrung der Schmelze auch
oberhalb der Glasübergangstemperatur bei Umgebungsdruck bewirkt werden
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kann. Von Rudolph u. a. [10, 11, 12, 24] wurden am Lehrstuhl für Kunststofftechnik (LKT) die Effekte bei der Druckbeaufschlagung von Schmelzen weiter
untersucht und die Bedingungen zur Verfestigung von Schmelzen durch hohen
Druck beschrieben. Diese Effekte werden unter der Bezeichnung Druckverfestigung für ein neuartiges Verfahren zur Herstellung von präzisen Bauteilen mit homogenen Eigenschaften, insbesondere für optische Bauteile wie
Linsen, genutzt [25].
2.4.1
Prozessdarstellung Druckverfestigung
Der grundlegende Prozessablauf der Druckverfestigung ist in Bild 4
schematisch anhand eines pvT-Diagramms gezeigt. Die vorher beschriebene
druckabhängige Verschiebung der Glasübergangstemperatur hin zu höheren
Temperaturen wird dazu genutzt, den Glasübergang der Schmelze
ausschließlich durch Druck und nicht durch Abkühlung zu unterschreiten.
Ausgehend von einer modellhaft homogenen Massetemperatur wird der Druck
soweit erhöht, bis sich die Schmelze verfestigt. Eine homogene
Massetemperatur ist nötig, damit einerseits die Druckeinwirkung und -verteilung
auf die Schmelze gleichmäßig erfolgen kann und andererseits ein zeitgleiches
Unterschreiten des Glasübergangs gewährleistet ist, da der erforderliche Druck
stark von der Temperatur abhängig ist. Das auf diese Weise erstarrte Bauteil
unterliegt nun über dem gesamten Querschnitt einer geringeren und
einheitlicheren Schwindung als beim Standardspritzgießen, nämlich der
thermischen Kontraktion des Festkörpers. Parallel dazu kann durch Variation
der Druckführung bzw. -höhe die Kompression des Materials variiert werden
und damit eine gewünschte Maßhaltigkeit erreicht werden. Durch diesen
gleichzeitigen Phasenübergang können unterschiedliche Dichten im Bauteil,
Einfallstellen und Eigenspannungen aufgrund heterogener Phasenübergänge
verringert bzw. gänzlich vermieden werden. [12, 24]
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Einfrierlinie (Tg)
fest (<Tg)
Abkühlung
(Schwindung, Expansion)
flüssig (>Tg)
Kompression
p0
p1
p2
Druck p
p0 < p1 < p 2 < p 3 < p4
spez. Volumen v
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p3
p4
Temperatur T
Bild 4:
Schematischer Prozessablauf der Druckverfestigung in einem pvTDiagramm [nach 12]
Während der Kompression kommt es zu einer Erwärmung der Schmelze. Diese
Wärme wird je nach Kompressionsgeschwindigkeit und Bauteilgröße unterschiedlich schnell in das umgebende Werkzeug abgeführt. Rudolph et al. [26]
haben für verschiedene Werkstoffe eine Kennzahl eingeführt, die das Verhältnis
von Tg-Verschiebung und Kompressionserwärmung unter adiabaten Bedingungen beschreibt. Ist diese Kennzahl größer Eins, ist eine Druckverfestigung
des Kunststoffes möglich. Je größer diese Kennzahl ist, desto weniger Druck
wird zur Unterschreitung des Glasübergangs benötigt. Für Polycarbonate
beträgt die Kennzahl etwa 4,7, wobei typische amorphe Thermoplaste mit
Anwendungen in optischen Bauteilen zwischen 2 und 5,5 liegen. Somit sind
Polycarbonate für dieses Verfahren gut geeignet. [12, 26]
2.4.2
Entformungszustand
Aufgrund der unterschiedlichen Werkzeugtemperaturen und Drücke während
des Prozesses stellen sich im Werkzeug verschiedene Durchmesser zum
jeweiligen Prozesspunkt ein. Durch thermische Ausdehnung und Deformation
aufgrund des Schmelzedruckes kommt es zu einer Aufweitung der Kavität. Aus
der veränderten Kavität und dem einwirkenden Prozessdruck ergibt sich ein
Einflussfeld auf die endgültige Bauteilgeometrie. Sie bestimmt sich durch die
abzuformende Geometrie der Kavität und der von der Verdichtung der
Schmelze resultierende Restschwindung. Je nach Temperatur, eingestelltem
Druck und Restschwindung des Formteils ergeben sich somit verschiedene
Entformungszustände nach dem Abkühlen. Diese sind in Bild 5 schematisch
dargestellt. Eine Entformung unter Restdruck bzw. eine Expansion des Bauteils
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auf eine größere Kontur als die der Kavität nach der Entformung ist für
hochpräzise Bauteile nicht ideal, da mit Deformationen und mechanischer
Belastung des Bauteils gerechnet werden muss.
a) Werkzeugkavität
+T
b) Aufheizen
+p
c) Einspritzen/
Druckaufbau
-p, -T
d) Abkühlen:
Druckabbau / Schwindung
-T
-T
e) Abkühlen bei
Umgebungsdruck
1
freie
Schwindung
Kavität,
aktuelle Maße
2
Volumenkonstanz
3
Entformung unter
Restdruck
Kavität, Maße aus
vorherigem Schritt
Kunststoff
Bild 5:
Schematische Darstellung des Verhaltens einer Kavität unter Druck
und Temperatur und die resultierenden Entformungszustände
[nach 12]
2.4.3
Prozessführung
Bei einem Kompressionsprozess können verschiedene Prozessformen realisiert
werden. Die isobare Prozessführung ist beim Spritzprägen Stand der Technik.
Das heißt, es wird nach dem Spritzgießen ein Druck auf die Schmelze
aufgebracht, der während der Kühlphase aufrechterhalten wird. Ein Druck-
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verlust durch auftretende thermische Schwindung soll somit geometrieabhängig
durch einen Prägevorgang möglichst umfassend ausgeglichen werden. Je nach
Höhe des Prägedrucks kann diese ggf. „überkompensiert“ werden, so dass
durch das elastische Verformen der Kavität bei der Entformung mit erhöhten
Entformungskräften zu rechnen ist. Letzteres kann zu einer Entformung unter
Restdruck führen. Dieser Restdruck, der von der Kavität auf das Bauteil
ausgeübt wird, kann in einer plastischen Deformation des Bauteils beim
Entformen resultieren, die sich negativ auf innere wie auch geometrische
Eigenschaften auswirkt. [3, 12]
Eine alternative Prozessführung entsteht beim Spritzgießen nach dem
Einfrieren des Anschnitts in Form einer isochoren Phase während der
Abkühlung (v = const.). Dieser Zustand dauert so lange an, bis die Schwindung
des Kunststoffs das Bauteil soweit verkleinert und damit Druck abgebaut hat,
bis Umgebungsdruck vorliegt. Ab diesem Zeitpunkt kann das Bauteil frei
schwinden. Übertragen auf die Prozessführung bei der Druckverfestigung kann
ebenfalls nach Erreichen des Zieldrucks dieser aufrecht oder aber das
Kavitätsvolumen konstant gehalten werden. Das Ziel der isochoren Prozessführung ist, dem Bauteil eine größere Kavität zur Schwindung zur Verfügung zu
stellen. Damit soll eine freie Schwindung, zumindest jedoch eine geringere
Klemmwirkung der Kavität auf das Bauteil und somit bessere innere Eigenschaften als mit isobarer Prozessführung erreicht werden. [12]
3
MOTIVATION
Die Druckverfestigung bietet ein neuartiges Verfahren zur Fertigung von
Bauteilen mit unterschiedlichen Wanddicken. Wie unter 2.2 beschrieben, wirkt
sich gerade bei dickwandigen bzw. Bauteilen mit Wanddickenunterschieden die
abkühlungsbedingte Erstarrung aufgrund zeitlich inhomogener Glasübergänge
negativ auf die Bauteileigenschaften aus.
Aufgrund der Trennung der Erstarrung von der Abkühlung können durch Druckverfestigung Schwindungsunterschiede kompensiert und Eigenspannungen
reduziert werden. Jedoch rückt durch vergleichsweise hohe Drücke bei gleichzeitig hohen Werkzeugtemperaturen das Zusammenspiel von Werkzeugdeformation und resultierenden Bauteileigenschaften weiter in den Vordergrund. Eine Überkompression wird zu einer Entformung unter Restdruck und
anschließender Expansion des Bauteils führen, die sich negativ auf die Bauteilqualität auswirken [3, 12].
Um den Einfluss des Entformungszustandes auf die Bauteileigenschaften zu
charakterisieren, sollen die Auswirkungen von Massetemperatur und Druck im
Zusammenhang mit der Prozessführung während der Abkühlung – isobar und
isochor – betrachtet werden. Bild 6 beschreibt hierzu schematisch den
Zusammenhang der Eingangsgrößen Druck und Druckführung (p (TM, t)) mit
der Erstarrungsform der Schmelze und den möglichen Auswirkungen auf die
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resultierenden Bauteileigenschaften bei der Druckverfestigung. Ein nicht ausreichender Kompressionsdruck wird zur inhomogenen, abkühlungsbedingten
Erstarrung führen, während ein zu hoher Druck zu Überkompression und damit
auch zu negativen Einflüssen auf die Bauteileigenschaften führen könnte.
Bild 6:
Modellhafte Einflüsse von Druckhöhe und Druckführung auf die
resultierenden Bauteileigenschaften
4
EXPERIMENTELLES
In den nachfolgenden Untersuchungen sollen die Einflüsse der Prozessparameter Druck und Massetemperatur sowie der Prozessführung auf die
resultierenden Eigenspannungen, die Maße und die Dichte herausgearbeitet
werden. Dazu wird eine Materialcharakterisierung zur Ermittlung der Grenzen
des Glasübergangsbereichs und zur Festlegung der Parameter durchgeführt.
Anschließend werden Probekörper bei Massetemperaturen von 170 °C und
190 °C innerhalb und außerhalb dieser Grenzen hergestellt und die
resultierenden Eigenschaften charakterisiert. Zum Vergleich mit der konventionellen Spritzgussverarbeitung werden zusätzlich Referenzproben mit an den
Spritzguss angelehnten Prozessparametern gefertigt. Die Charakterisierung der
Bauteile erfolgt anhand ihres spannungsoptischen Verhaltens und der
Geometrie sowie mittels Spannungsrissprüfung. Für weitere Vergleiche werden
zusätzlich Dichte und thermischer Längenausdehnungskoeffizient bestimmt.
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4.1 Werkstoff
Für die Untersuchungen wird ein Polycarbonat der Fa. Bayer MaterialScience
AG vom Typ Makrolon LQ 2647 verwendet. Eine Übersicht über generelle
Eigenschaften ist in Tabelle 1 aufgeführt.
Anwendungsgebiet
optische Bauteile, Linsen
Glasübergangstemperatur [°C]1)
143
Dichte [g/cm³]2)
1,2017
MVR (300 °C, 1,2 kg) [g/min]3)
12,5
Tabelle 1: Materialeigenschaft des untersuchten Materials
1)
: eigene Messung; DSC, 2. Aufheizen, 20 K/min, Granulat
: eigene Messung; Gaspyknometer, 23 °C, Granulat
3)
: Herstellerangabe [27]
2)
4.2 Materialcharakterisierung
Für die Bestimmung des druck- und temperaturabhängigen Glasübergangsbereichs des verwendeten Werkstoffes werden Kompressionsmessungen in
einem Versuchswerkzeug durchgeführt. Das Vorgehen ist hier analog zu den
von Rudolph [12, 20, 24, 28] beschriebenen Untersuchungen.
Für Polycarbonat werden bei 150, 170, 190, 210 und 230 °C Kompressionsmessungen bis 3500 bar Werkzeuginnendruck durchgeführt und die generierten
v-p-Verläufe ausgewertet. Wie bei Breuer und Rehage [17] beschrieben,
können aus diesen Verläufen die Kompressionsmoduln berechnet werden, aus
denen wiederum der Beginn und das Ende der glasigen Erstarrung durch Druck
entnommen werden können. Die auf diese Weise mit einer Kompressionsgeschwindigkeit von 10.000 bar/min ermittelten Grenzen der Verfestigung durch
Druck werden für die nachfolgenden Versuche herangezogen.
4.2.1
Werkzeug
Die folgenden Untersuchungen wurden auf einem eigens für diesen Prozess
konzipierten Versuchswerkzeug durchgeführt. Dieses ist an den Aufbau eines
pvT-Messgeräts angelehnt und besteht aus einer zylindrischen Kavität, die von
zwei Stempeln abgedichtet ist, wobei nur der obere in der Kavität beweglich
ausgeführt ist, Bild 7. Für die Druckaufbringung, die Messung des Kompressionswegs und die Sicherstellung wiederholbarer Versuchseinstellungen wird
dieses Versuchswerkzeug in eine Universalprüfmaschine Zwick Roell 1484
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eingebaut. Somit ist ein Erstellen von Programmen für den jeweiligen
Versuchsablauf möglich. Die Temperaturregelung des Versuchswerkzeugs
erfolgt durch Heizpatronen und Temperatursensoren, die um die Kavität und
unter den Stempeln verbaut sind, sowie durch ein Kühlgebläse, das
Aluminiumringe mit Kühlrippen anströmt. Diese Kühlstrukturen sind um die
beheizbaren Baugruppen angeordnet. Die angewendete und maximale Heizund Kühlrate beträgt 40 K/min.
Bild 7:
Schematischer Aufbau des Versuchswerkzeugs [nach 12]
4.2.2
Probekörperabmessungen
Der Durchmesser der zylindrischen Kavität beträgt 15,00 mm, gemessen mit
einer Innenmikrometerschraube (Messbereich 14-17 mm, Auflösung 0,005 mm)
bei Raumtemperatur. Die Probenhöhe ist vom Werkzeugprinzip her variabel
und wird über die Füllmenge des Granulats eingestellt. Bei den durchgeführten
Versuchen wird für eine Vergleichbarkeit der Bauteile die Probenhöhe auf
12 mm festgelegt. Dafür wird über das Kavitätsvolumen und die Dichte des
verwendeten Materials das Einfüllgewicht des Granulats bestimmt. Die
Berechnung ergibt für die verwendete PC Type 2,5447 g.
4.3 Herstellung der Bauteile
4.3.1
Grundsätzlicher Prozessablauf
Das Material wird unter Vakuum bei 70 °C für 24 h vorgetrocknet. Die durch
Karl-Fischer-Titration ermittelte Restfeuchte nach dem Trocknen lag unter
0,05 Gew.-%. Für jeden Versuch wird Granulat mit einer Präzisionswaage,
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151
Einfluss der Prozessführung
ME254S, Sartorius AG Göttingen, auf etwa 2,55 g abgewogen und in die
Kavität gefüllt. Anschließend wird das Werkzeug auf 260 °C aufgeheizt und
über die Traverse der Universalprüfmaschine mit dem Oberstempel
verschlossen. Die Temperatur wird für 6 min bei einem Druck von 300 bar
gehalten, damit das Granulat vollständig aufschmelzen kann. Anschließend
wird das Werkzeug über das Gebläse auf Versuchstemperatur abgekühlt und
die Versuchstemperatur für 7 min gehalten, damit sich in der Schmelze eine
homogene Temperatur einstellen kann. Die Dauer bis zur Einstellung der
Werkzeugtemperatur im Zentrum der Probe wurde in Vorversuchen mit einem
Thermoelement ermittelt. Nach Ablauf der Haltezeit wird über die Steuerung der
Universalprüfmaschine das Versuchsprogramm gestartet. Dieses startet bei
Umgebungsdruck und komprimiert auf einen Haltedruck von 200 bar bis der
Versuchsdruck mit einer Kompressionsgeschwindigkeit von 10.000 bar/min
angefahren wird, damit keine Luftblasen in das Bauteil kommen. Bei Erreichen
des Versuchsdrucks wird an der Temperaturregelung die Abkühlung des
Werkzeugs eingeschalten, Bild 8.
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Bild 8:
Schematischer Prozessablauf der Versuche
4.3.2
Versuchseinstellungen
Der Versuchsplan zur Herstellung von Probekörpern wurde auf der Basis des
erarbeiteten adiabaten pvT-Diagramms (Kapitel 4.2) erstellt. Um den Einfluss
unterschiedlicher Druckhöhen sowie Massetemperaturen herauszuarbeiten,
wurden bei jeweils zwei Massetemperaturen fünf verschiedene Kompressionsdrücke angefahren, Tabelle 2. Je ein Druck liegt oberhalb des Glasübergangsbereichs, drei Drücke innerhalb und wiederum ein Druck unterhalb. Die
Prozessführung nach dem Erreichen des Solldrucks erfolgte isobar und isochor.
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Einfluss der Prozessführung
Bei isobarer Prozessführung wird der Versuchsdruck während der Abkühlung
über die Maschinensteuerung aufrecht erhalten. Für eine isochore Prozessführung wird die Stempelposition nach Aufbringen des Versuchsdrucks konstant
gehalten. Je Einstellung wurden drei Proben gefertigt.
Drücke bei 170 °C
Versuchstemperatur
400 bar
Drücke bei 190 °C
Versuchstemperatur
900 bar
Prozessführung
isochor/isobar
Beginn des Glasübergangsbereichs
700 bar
800 bar
900 bar
1200 bar
1300 bar
1500 bar
isochor/isobar
isochor/isobar
isochor/isobar
Ende des Glasübergangsbereichs
1800 bar
2400 bar
isochor/isobar
Tabelle 2: Versuchseinstellungen
Um die Ergebnisse mit den Standardverfahren vergleichen zu können, wurde in
Anlehnung an das Spritzgießen zudem eine Referenzprobe hergestellt. Diese
wurde bei einer homogenen Massetemperatur von 260 °C mit einem Druck von
400 bar beaufschlagt und abgekühlt. Während der Abkühlung wurde der Druck
isobar gehalten, da eine isochore Prozessführung bei diesem Druck nicht
ausreicht, um das Bauteil ohne Lunker herzustellen.
4.4 Bauteilcharakterisierung
4.4.1
Spannungsoptik
Die Spannungsoptik dient der Visualisierung der Doppelbrechung eines
transparenten Materials. Diese wird in Werkstoffen entweder durch äußerlich
aufgebrachte Spannungen, fertigungsbedingte Eigenspannungen oder Orientierungen hervorgerufen. Eine transparente, doppelbrechende Probe, zwischen
Polarisator und Analysator in den Strahlengang der Lampe gebracht, bewirkt
ein Bild, in dem die vorhandenen Spannungen oder Orientierungen durch einen
Wechsel zwischen charakteristischen Farben, bei Weißlicht gemäß der MichelLévy-Farbtafel, sichtbar werden. Linien gleicher Farbe werden Isochromaten
genannt. Die Verteilung und die Anzahl der Isochromaten gibt einen qualitativen
Aufschluss über die im Bauteil vorhanden Spannungen. Zusätzlich können
Lambda-Viertel-Plättchen verwendet werden, die das Licht zirkular polarisieren
und störende Isoklinen filtern [29].
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Einfluss der Prozessführung
Alle Probekörper wurden in einem spannungsoptischen Großflächenprüfer der
Fa. Dr. Heinrich Schneider Messtechnik jeweils unter zirkular polarisiertem
Weiß- und monochromatischem Licht mit einer Digitalkamera (Canon EOS 5D
Mark II) aufgenommen. Die Bilder wurden anschließend anhand der Anzahl der
Isochromaten ausgewertet. Über die Dicke bzw. Höhe des Bauteils und die
materialspezifische spannungsoptische Konstante, kann aus der Michel-LévyFarbtafel die vorliegende Isochromatenordnung bestimmt und damit auf die
Hauptspannungsdifferenz zurückgerechnet werden. Die Probenhöhe wurde mit
einer Bügelmessschraube bestimmt. Für Polycarbonat liegt die spannungsoptische Konstante im Bereich von 7,5-10 N/mm*Ordnung [29]. Dazu werden
die Wiederholungen der für den Ordnungsübergang charakteristischen Farben
abgezählt und anhand der Hauptgleichung der Spannungsoptik (1)
(1)
mit
S = spannungsoptische Konstante
d = Bauteilhöhe
n = Isochromatenordnung,
in die maximale Hauptspannungsdifferenz umgerechnet [29]. Für S wird der
Wert von 8 N/mm*Ordnung gewählt. Aufgrund der sehr langen Halte- und damit
Relaxationszeiten bei Schmelzetemperatur wird angenommen, dass die
orientierungsbedingte Doppelbrechung bei der Druckverfestigung keine Rolle
spielt [12].
4.4.2
Spannungsrissprüfung
Neben der Spannungsoptik kann auch die Bewertung der Rissbildung bei
Lagerung in einem spannungsrissauslösenden Medium zur Charakterisierung
der in einem Probekörper vorliegenden Spannungen dienen. Bei Polycarbonat
können Medien wie z.B. Propylencarbonat oder ein Gemisch aus Ethylacetat
und Propanol bei vorliegenden Zugspannungen zur Bildung von Spannungsrissen führen [30].
Durch Abkühlung induzierte schwindungsbedingte Eigenspannungen in den
zylindrischen Probekörpern lassen vornehmlich Druckspannungen an der
Bauteiloberfläche und Zugspannungen im Inneren vermuten. In Vorversuchen
mit einem Gemisch aus Ethylacetat und Propanol im Verhältnis 1:1 konnte
keine Rissbildung bei der Medienlagerung vollständiger Probekörper festgestellt
werden.
Zum Vergleich der im Inneren der Probekörper vorhandenen Zugspannungen
wurden zylindrische Bohrungen mittig in die Bauteile eingebracht, Bild 9. Hierzu
wurden die Proben mit möglichst geringer Klemmkraft auf einer Drehmaschine
eingespannt. Mit einem 2,8 mm HSS-Spiralbohrer Typ N nach DIN 338 und
einer Drehzahl von 1250 min-1 wurde die Bohrung schrittweise unter Wasser-
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154
Einfluss der Prozessführung
kühlung hergestellt, um eine thermische Beeinflussung der Proben möglichst zu
vermeiden.
Bild 9:
Lage und Geometrie der zur Spannungsrissprüfung in die
Probekörper eingebrachten Bohrung
Nach Einbringen der Bohrungen wurden die Proben erneut spannungsoptisch
begutachtet und anschließend in eine Reihe spannungsrissauslösender Medien
eingelagert. Die Einlagerungszeit in jedem einzelnen Medium betrug 15
Minuten. Nach jeweiliger Reinigung der eingelagerten Proben mit Leitungswasser erfolgte eine optische Überprüfung auf Rissbildung im Makroskop. Die
Einlagerung wurde wie in Tabelle 3 aufgeführt in Medien steigender spannungsrissauslösender Wirkung fortgesetzt, bis eine Rissbildung feststellbar war. Zum
Vergleich der Spannungszustände in unterschiedlichen Proben wurde ausgewertet bei welchem Medium eine Spannungsrissbildung auftrat.
Medium
Isopropanol
Ethylacetat:Propanol – 1:20
Ethylacetat:Propanol – 1:10
Ethylacetat:Propanol – 1:5
Ethylacetat:Propanol – 1:3
Ethylacetat:Propanol – 1:2
Ethylacetat:Propanol – 1:1
Propylencarbonat
steigende
spannungsrissauslösnede Wirkung
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Tabelle 3: Spannungsrissauslösende Medien
Die Prüfungen wurden für diejenigen Versuchseinstellungen durchgeführt, bei
denen spezielle spannungsoptische Erscheinungen auftraten, die eine
Auswertung der spannungsoptischen Aufnahmen erschwerten. Als Referenzen
für die Spannungsrissprüfungen wurde je eine Probe gewählt bei der besonders
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Einfluss der Prozessführung
hohe (260 °C, 400 bar, isobar) und besonders niedrige Spannungen (190°C,
800 bar, isochor, 8h getempert bei 140 °C) zu erwarten sind. Eine Übersicht der
mittels Spannungsrissprüfung untersuchten Proben zeigt Tabelle 4.
Probe
170 °C, 900 bar, isobar
170 °C, 1800 bar, isobar
170 °C, 1800 bar, isochor
190 °C, 900 bar, isochor
190 °C, 1500 bar, isobar
190 °C, 2400 bar, isobar
190 °C, 2400 bar, isochor
260 °C, 400 bar, isobar
getempert 8h, 140 °C
Tabelle 4: Mittels Spannungsrissprüfung untersuchte Proben
4.4.3
Bestimmung der Dichte
Wie aus pvT-Diagrammen zu entnehmen ist, bewirkt ein höherer Kompressionsdruck eine stärkere Verdichtung des Materials. Um die resultierende
Bauteildichte der hergestellten Proben zu ermitteln, wurden Messungen mit
dem sogenannten Auftriebsverfahren gemäß DIN EN ISO 1183 Teil 1 [31]
durchgeführt. Dazu wurden die Proben jeweils an Luft und in Wasser auf einer
Laborwaage, Sartorius basic RR 100, Sartorius AG, Göttingen, gewogen. Über
das Gewicht an Luft und den Auftrieb im Wasser kann die Dichte berechnet
werden. Zum Vergleich mit den Ausgangswerten wurde die Dichte des Granulats mit einem Gaspyknometer, Accu Pyc 1330, Micromeritics GmbH,
Aachen, gemäß DIN EN ISO 1183 Teil 3 [32] ermittelt.
4.4.4
Bestimmung des Durchmessers
Zur Ermittlung des Einflusses der Prozessparameter und der Prozessführung
auf die geometrischen Bauteileigenschaften wurden nach dem Entformen und
dem Abkühlen der Proben auf Raumtemperatur (Wartezeit mindestens 10 min)
am Umfang der Proben mit einer Bügelmessschraube mit Messbereich 25 mm
und Auflösung von 0,01 mm an je drei Stellen der Durchmesser gemessen und
anschließend der Mittelwert bestimmt. Die Fehlergrenzen von Bügelmessschrauben für einen Messbereich bis 25 mm betragen nach DIN 863-1
4 µm [33].
4.4.5
Ermittlung des Längenausdehungskoeffizienten mittels TMA
Die Entformung der Bauteile erfolgte im Gegensatz zur Messung der
Durchmesser bei 50 °C. Ein direkter Vergleich der Durchmesser zum
Entformungszeitpunkt bzw. bei Entformungstemperatur ist nur sinnvoll, wenn
Werkzeugdurchmesser und Bauteildurchmesser bei der gleichen Temperatur
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vorliegen. Zur Berechnung der Durchmesser bei Entformungstemperatur
wurden mittels thermomechanischer Analyse (TMA) die Längenausdehnungskoeffizienten gemäß ISO 11359 Teile 2 [34] auf einer TMA 2940 der Firma TAInstruments bestimmt.
Dazu wurden aus den hergestellten Proben mehrere Stücke mit einer
wassergekühlten Präparationssäge für die Mikroskopie so herausgearbeitet,
dass in Durchmesserrichtung zwei planparallele Flächen entstehen. Die Proben
wurden aus der Bauteilmitte mit einer Probenhöhe von etwa 5 mm
herausgearbeitet und in einem Vakuumofen 24 h bei 70 °C getrocknet, um eine
Verfälschung der Ergebnisse durch aufgenommenes Wasser bei der
Präparation auszuschließen.
4.5 Analyse der Entformungszustände
Der Innendurchmesser des Werkzeuges bei Raumtemperatur wurde mit Hilfe
einer Innenmikrometerschraube (Messbereich 14-17 mm, Auflösung 0,005 mm)
gemessen und beträgt 15,00 mm.
Zum Vergleich von resultierenden Bauteildurchmessern und der Verformung
der Werkzeugkavität aufgrund von Temperatur wurde der Innendurchmesser
des Werkzeugs mit einem optischen Koordinatenmessgerät (DeMeet 400, SGM
Schut Geometrische Messtechnik GmbH, Trossingen) bei Raumtemperatur,
50 °C, 100 °C und 150 °C vermessen. Für das Messgerät kann eine räumliche
Genauigkeit von 0,12 µm für die Messlänge von 15 mm berechnet werden [35].
Die Bestimmung des Absolutwertes des Werkzeuginnendurchmessers im
optischen Koordinatenmessgerät wird durch Radien an den Kavitätsrändern
erschwert, so dass eine definierte Bezugskante fehlt. Daher wurde als Innendurchmesser bei Raumtemperatur der mittels Innenmikrometerschraube
ermittelte Wert von 15,00 mm herangezogen. Die temperaturbedingte Durchmesseränderung wurde anhand der optisch gemessenen Daten ausgewertet.
Bei 150 °C wurde bereits ein starkes Flimmern zwischen Kamera und
Messobjekt festgestellt, so dass keine höheren Temperaturen mehr eingestellt
wurden.
Deshalb wurden zusätzlich analytische Berechnungen der Temperaturverformung anhand des Ausdehnungskoeffizienten des verwendeten Warmarbeitsstahls 1.2343 (11,4·10-6 m/mK für 20-100 °C und 12,4·10-6 m/mK für 100190 °C [36]) sowie eine FEM-Simulation der Kavität unter Temperatur durchgeführt. Die Simulation wurde anhand eines CAD-Modells der WerkzeugDruckzelle mit dem Programm SolidWorks Simulation erstellt.
Die bei Raumtemperatur ermittelten Bauteildurchmesser wurden anhand der in
der TMA ermittelten Längenausdehnungskoeffizienten auf Entformungstemperatur hochgerechnet. Somit können Werkzeug- und Bauteildurchmesser
verglichen werden.
Durch den Vergleich der gemessenen, berechneten und simulierten Werkzeugdehnungen konnte eine gute Übereinstimmung festgestellt werden, so dass im
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157
Einfluss der Prozessführung
Folgenden für die Dehnungen der Kavität die Ergebnisse der Simulation
herangezogen werden, Tabelle 5.
Temperatur
Messung [mm]
Berechnung [mm] FEM-Simulation [mm]
[°C]
Werkzeuginnendurchmesser
15,009 ± 0,002 1)
23
15,00 2)
15,00
15,00
Wärmedehnung
50
0,006 ± 0,003 1)
0,005
0,006
100
0,017 ± 0,004 1)
0,013
0,013
150
0,026 ± 0,004 1)
0,022
0,021
170
-
0,027
0,025
190
-
0,031
0,028
Tabelle 5: Werkzeuginnendurchmesser und Vergleich Messung, Berechnung
und Simulation der Wärmedehnung
1)
2)
: optisches Koordinatenmessgerät
: Innenmikrometerschraube
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Einfluss der Prozessführung
5
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
5.1
Ermittlung des adiabaten pvT-Diagramms und der
Versuchspunkte
Bild 10 zeigt das Ergebnis der Materialcharakterisierung in Form eines
adiabaten pvT-Diagramms. Die Isobaren beschreiben hier im Gegensatz zu
einem Standard-pvT-Diagramm nicht den Verlauf der isobaren Abkühlung
sondern verbinden die bei gleichem Druck erreichten spezifischen Volumina.
Somit ist dieses Diagramm abhängig vom Prozessweg, das heißt, bei welcher
Temperatur die Kompression der Schmelze stattfindet. Dabei werden im
Vergleich zur isobaren Messung größere spezifische Volumina erreicht. Nur bei
hohen Schmelzetemperaturen stellen sich aufgrund der höheren Kettenbeweglichkeit die gleichen Werte wie bei isobaren pvT-Messungen ein [12, 28].
Zusätzlich sind in diesem adiabaten pvT-Diagramm die Grenzen des
Glasübergangsbereichs eingezeichnet (Beginn des Glasübergangs pg,A, Ende
des Glasübergangs pg,E) anhand derer die im Versuchsplan verwendeten
Prozessdrücke (P1 bis P10) festgelegt wurden.
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Bild 10:
Adiabates pvT-Diagramm von Makrolon LQ 2647
pg,A = Beginn des Glasübergangs, pg,E = Ende des Glasübergangs,
P1 - P10 = Prozessdrücke
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159
Einfluss der Prozessführung
5.2 Einfluss der Prozessführung auf Eigenspannungen
Die Referenzprobe, die für einen Vergleich mit dem Standardverfahren Spritzgießen hergestellt wurde, weist in der spannungsoptischen Aufnahme viele
Isochromaten und damit große Hauptspannungsdifferenzen auf, die aus einem
kleinen Bereich im Zentrum heraus konzentrisch immer stärker zunehmen, so
dass im Weißlicht die Übergänge zwischen den einzelnen Ordnungen kaum
noch zu unterscheiden sind, Bild 11. Zur Verdeutlichung ist ein Ausschnitt
vergrößert. Dieses Bild zeigt die Schwierigkeit, durch Standardverfahren hohe
Eigenspannungen und Inhomogenitäten in dickwandigen Bauteilen zu vermeiden.
Bild 11:
Spannungsoptische Aufnahme der in Anlehnung an den Spritzguss
hergestellten Referenzprobe (260 °C, 400 bar, isobar) in zirkular
polarisiertem Weißlicht mit Vergrößerung des Randbereichs
In Bild 12 sind die spannungsoptischen Aufnahmen der Bauteile, die mit unterschiedlichen Drücken und Prozessführungen bei 170 °C hergestellt wurden,
gegenüber gestellt. An den Bildern der isochor hergestellten Proben ist klar zu
erkennen, dass unterhalb des Glasübergangsdrucks mehr Isochromaten im
Bauteil vorliegen, als bei den Druckstufen, die innerhalb des Glasübergangsbereichs liegen (Bild 12, links). Der Versuchsdruck oberhalb des Glasübergangsbereichs, 1800 bar, führt zu einem Bauteil, das große schwarze
Bereiche aufweist. Allerdings bietet dieses ein chaotisches Bild, da überlagerte
Isochromaten auftreten, die in den schwarzen Flächen zu erkennen sind und
eine Auswertung erschweren.
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Bild 12:
Spannungsoptische Aufnahmen der isochor und isobar hergestellten
Proben bei 170 °C Versuchstemperatur
Zur Verdeutlichung dieses Effektes zeigt Bild 13 eine vergrößerte Darstellung.
Es sind zur Bauteilmitte hin Isochromaten mit geringer Farbintensität erkennbar
die von höheren Ordnungen direkt in das Schwarz nullter Ordnung übergehen.
Dieser digitale Übergang ist mit vorliegenden Spannungszuständen nicht
erklärbar, die Ursache dieses Effektes konnte nicht geklärt werden. Eine
mögliche Erklärung für das Auftreten dieser überlagerten Isochromaten können
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161
Einfluss der Prozessführung
Spiegelungen an den Bauteilrändern darstellen. Da die Proben nicht flächig
sind, d.h. ihre Dicke nicht klein im Verhältnis zur betrachteten Fläche ist,
können Anteile des polarisierten Weißlichts reflektiert werden und die Probe
schief durchstrahlen. Zur Bewertung der maximal in den Proben vorliegenden
Isochromatenordnung und der daraus berechneten maximalen Hauptspannungsdifferenz wurden die überlagerten Isochromaten nicht herangezogen.
Bild 13:
Spannungsoptische Aufnahme einer bei 170 °C und 1800 bar bei
isochorer Prozessführung hergestellten Probe in zirkular
polarisiertem Weißlicht mit Vergrößerung des Randbereichs
Die Aufnahmen der isobar hergestellten Proben (Bild 12, rechts) zeigen
grundsätzlich einen vergleichbaren Verlauf der Isochromaten zu den isochor
hergestellten Proben. Im Unterschied zu diesen treten aber bereits unterhalb
des Glasübergangsbereichs weniger Isochromaten auf. Überlagerte Isochromaten, ähnlich wie bei druckverfestigten Proben (z.B. 1800 bar isochor), sind
hier schon bei einem niedrigeren Druck von 800 bar zu erkennen.
Die Auswertung der Aufnahmen anhand der spannungsoptischen Konstante
und der Bauteilhöhe zum Vergleich der Isochromatenordnungen und der
maximalen Hauptspannungsdifferenzen ist in Bild 14 dargestellt. Dabei erfolgt
die Auftragung der Isochromatenordnung und der maximalen Hauptspannungsdifferenz im gleichen Maßstab.
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Bild 14:
Einfluss der Prozessführung
Isochromatenordnung und maximale Hauptspannungsdifferenz der
Proben bei 170 °C Versuchstemperatur
Die isochor und isobar hergestellten Proben in Bild 14 zeigen deutlich
niedrigere Isochromatenordnungen und damit auch niedrigere Hauptspannungsdifferenzen im Vergleich zur in Anlehnung an den Spritzguss
hergestellten Referenzprobe, die als gestrichelte Linie dargestellt ist.
Tendenziell ist eine Abnahme der Isochromatenordnung mit steigendem Druck
festzustellen. Insbesondere oberhalb des Glasübergangs treten geringere
maximale Hauptspannungsdifferenzen auf. Zudem zeigt sich ein Trend, dass
die isobare Prozessführung zu homogeneren inneren Eigenschaften führt als
die isochore.
Die Versuche bei der höheren Massetemperatur von 190 °C zeigen
entsprechende Verläufe der Isochromatenordnungen bzw. Hauptspannungsdifferenzen, Bild 15. Insgesamt ergibt sich bei 190 °C ein minimal höheres
Niveau an Isochromaten bzw. Hauptspannungsdifferenzen.
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Bild 15:
Einfluss der Prozessführung
Isochromatenordnungen und maximale Hauptspannungsdifferenzen
bei 190 °C Versuchstemperatur
Die Auswertung der spannungsoptischen Aufnahmen wird durch die bereits
beschriebenen überlagerten Isochromaten erschwert. Da die Ursache für das
Auftreten überlagerter Isochromaten in den Bauteilen nicht geklärt werden
konnte, wurden zusätzlich Spannungsrissprüfungen an ausgewählten Proben
durchgeführt.
Als Referenzen für die Spannungsrissprüfungen wurde je eine Probe gewählt
bei der besonders hohe (260 °C, 400 bar, isobar) und besonders niedrige
Spannungen (190°C, 800 bar, isochor, 8h getempert bei 140 °C) zu erwarten
sind. Der Einfluss der eingebrachten Bohrungen auf die Proben in der
Spannungsoptik ist in Bild 16 exemplarisch dargestellt.
Vor dem Bohren weist die getemperte Probe deutlich weniger Isochromaten als
die in Anlehnung an den Spritzguss hergestellte Referenzprobe (260 °C,
400 bar, isobar) auf. Durch das Einbringen der Bohrungen wird der Spannungszustand in der Bauteilmitte deutlich verändert, was infolge des Materialabtrags
zu erwarten war. Es ist keine signifikante Änderung der Isochromaten am
Bauteilrand festzustellen, wie sie z.B. eine plastische Deformation durch zu
festes Einklemmen in der Drehmaschine hervorrufen könnte. Die Referenzprobe zeigt an der Bohrung deutlich höhere Isochromatenordnung als die
getemperte Probe. Analoge Auswirkungen des Bohrens zeigten sich bei den
übrigen untersuchten Proben.
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Bild 16:
Einfluss der Prozessführung
Spannungsoptische Aufnahmen von Proben vor (links) und nach
(rechts) dem Einbringen der Bohrung im zirkular polarisierten Licht
oben: Referenzprobe, 260 °C, 400 bar, isobar
unten: 190 °C, 900 bar, isochor, getempert 8h, 140 °C
Wie Tabelle 6 zeigt, führt die Spannungsrissprüfung zu indifferenten Ergebnissen. Vor der Medienlagerung waren in keiner der untersuchten Proben Risse
vorhanden. Bei der Mehrzahl der Proben, unter anderem bei der getemperten
Probe, treten Spannungsrisse bereits in Propanol auf. Die Risse entstehen
vornehmlich in der Probenmitte und verlaufen in radialer Richtung, Bild 17. Bei
der Referenzprobe (260 °C, 400 bar, isobar), die mit Abstand die höchste Isochromatenordnung vor wie auch nach dem Bohren hat, treten Risse erst in
einem stärkeren spannungsrissauslösenden Medium auf.
Eine Korrelation der Isochromatenordnungen mit der Spannungsrissbildung ist
demnach nicht möglich. Im Gegensatz zur spannungsoptischen Analyse lässt
die Spannungsrissprüfung keinerlei Trends erkennen. Es kann nicht
ausgeschlossen werden, dass mechanische und thermische Beeinflussungen
der Proben beim Bohren den Spannungszustand im Bohrungsbereich
verändern und die herstellungsbedingten Spannungen überlagern. Zudem
weisen die beiden Verfahren grundsätzlich unterschiedliche Spannungszustände nach. Während Spannungsrisse im Bereich von Zugspannungen
entstehen, visualisieren Isochromaten die Hauptspannnungsdifferenzen senkrecht zur Durchstrahlungsrichtung. In Bauteilbereichen mit Isochromaten nullter
Ordnung können somit beispielsweise hohe äquibiaxiale Zugspannungen
vorliegen. Dass dies im vorliegenden Fall für die Unterschiede zwischen
Spannungsoptik und Spannungsrissprüfung verantwortlich ist erscheint auf-
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165
Einfluss der Prozessführung
grund der Spannungsrissbildung in der Referenzprobe (260 °C, 400 bar, isobar)
und der getemperten Probe jedoch als unwahrscheinlich.
Prüfmedium
n0 [-]
keines
Propanol
170 °C, 900 bar, isobar
4
0
X
170 °C, 1800 bar, isobar
2
0
X
170 °C, 1800 bar, isochor
3
0
0
190 °C, 900 bar, isochor
8
0
X
190 °C, 1500 bar, isobar
4
0
X
190 °C, 2400 bar, isobar
3
0
0
190 °C, 2400 bar, isochor
2-3
0
X
260 °C, 400 bar, isobar
24
0
0
getempert 8h, 140 °C
1
0
X
Probe
Ethylacetat:Propanol 1:20
X
X
X
Tabelle 6: Spannungsrissbildung in gebohrten Proben in Abhängigkeit des
Einlagerungsmediums
n0: max. Isochromatenordnung vor dem Bohren
0: keine Risse nach Medienlagerung
X: Spannungsrissbildung nach Medienlagerung
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Bild 17:
Spannungsrisse in einer bei 190 °C und 900 bar bei isochorer
Prozessführung hergestellten Probe nach 15 min Lagerung in
Propanol
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5.3 Dichte der Bauteile
Mittels Auftriebsverfahren wurden die Dichten der verschieden hergestellten
Probekörper bestimmt. Der Ausgangswert, die Dichte des Granulats, wurde mit
einem Gaspyknometer ermittelt. Laut Datenblatt beträgt die Dichte dieser Type
1,20 g/cm³, gemessen wurde ein Wert von 1,2017 g/cm³.
Bei den Proben der Versuchstemperatur von 170 °C liegen die gemessenen
Dichten unterhalb der Dichte des Granulats, einzig die Bauteile, die mit einem
Druck von 1800 bar hergestellt wurden, weisen Dichten im Bereich des
Granulats bzw. sogar darüber auf (Bild 18).
Bild 18:
Dichte der Bauteile, 170 °C Versuchstemperatur
Bei 170 °C findet die Kompression im entropieelastischen Bereich des
verwendeten Polycarbonats statt. Die Zustände amorpher Thermoplaste
können in den energieelastischen Bereich unterhalb Tg, entropie- oder
gummielastischen Bereich zwischen Tg und Fließtemperatur Tf und
Schmelzebereich oberhalb Tf eingeteilt werden. Wegen der im entropieelastischen Bereich bereits eingeschränkten Kettenbeweglichkeit werden durch
schnelle Kompression geringere Dichten erreicht als bei höheren Temperaturen
[12].
Bei der höheren Versuchstemperatur von 190 °C werden insgesamt höhere
Dichten durch die Kompression erreicht, Bild 19. Das Ende des
entropieelastischen Bereichs zum Fließ- oder reinen Schmelzebereich hin fällt
mit dieser Versuchstemperatur zusammen, wodurch die Kettenbeweglichkeit
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167
Einfluss der Prozessführung
höher als bei 170 °C ist und somit auch höhere Dichten erreicht werden
können.
Bild 19:
Dichte der Bauteile, 190 °C Versuchstemperatur
Wie bei Rudolph [12], Schwarzl [15] und Struik [37] beschrieben, streben
Kunststoffe zu einer energetisch idealen Dichte. Diese wird jedoch aufgrund der
eingeschränkten Kettenbeweglichkeit im glasigen Bereich nie erreicht. Dieser
Effekt, der bei erhöhten Temperaturen beschleunigt wird, ist als physikalische
Alterung bekannt bzw. äußert sich als Nachschwindung der Bauteile über einen
langen Zeitraum. Eine große Abweichung von dem idealen Zustand führt zu
einer verstärkten Annäherung. Bei Standardverfahren ist mit einer
Dichteverteilung über den Bauteilquerschnitt zu rechnen, die bereits durch die
Abkühlerstarrung bedingt ist.
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Einfluss der Prozessführung
5.4
Wärmeausdehnungskoeffizienten in Abhängigkeit des
Drucks
Bild 20:
Längenausdehnungskoeffizienten der Proben bei 170 °C
Versuchstemperatur
Bild 20 zeigt die mittels TMA ermittelten Längenausdehnungskoeffizienten bei
170 °C Versuchstemperatur. Eine schwache jedoch nicht signifikante Tendenz
zu einer Abnahme der Längenausdehnung bei 1800 bar und damit auch bei
einer höheren Dichte kann dem Diagramm entnommen werden. Die Werte
wurden zur Berechnung der Bauteildurchmesser bei erhöhten Temperaturen
herangezogen.
5.5
Probendurchmesser bei RT und
Entformungstemperatur
Der Vergleich der gemessenen Bauteildurchmesser nach Abkühlung auf
Raumtemperatur zeigt, dass sich der Bauteildurchmesser mit steigendem Druck
immer näher an den gemessenen Werkzeuginnendurchmesser bei 23 °C
annähert und diesen bei genügend hohem Druck schließlich übersteigt (Bild 21,
Bild 22). Die Bauteilmaße lassen sich demnach durch den Prozess der
Druckverfestigung über die Druckhöhe und die Art der Prozessführung gezielt
einstellen.
Zeitschrift Kunststofftechnik 8 (2012) 2
169
Einfluss der Prozessführung
Bild 21:
Bauteildurchmesser bei Raumtemperatur, 170 °C Versuchstemperatur
Bild 22:
Bauteildurchmesser bei Raumtemperatur, 190 °C Versuchstemperatur
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Einfluss der Prozessführung
In den Diagrammen sind neben dem Werkzeugdurchmesser bei Raumtemperatur jeweils die simulativ ermittelten Durchmesser bei Versuchs- (170 °C
bzw. 190 °C) und Entformungstemperatur (50 °C) eingetragen. Das Übermaß
der Bauteildurchmesser bei hohen Drücken zu den Werkzeugdurchmessern
lässt auf eine Entformung unter Restdruck schließen. Im Abgleich zu den
spannungsoptischen Aufnahmen kann somit gefolgert werden, dass auch eine
Entformung unter Restdruck zu keiner signifikanten Steigerung des
Eigenspannungszustandes führt.
Alleine anhand der Ergebnisse der Durchmesserbestimmung bei Raumtemperatur kann allerdings nicht auf den Entformungszustand aller Proben
geschlossen werden. Zum besseren Verständnis des Entformungszustands
wurden deshalb die Durchmesser der Bauteile bei Entformungstemperatur
(50 °C) ermittelt. Die Werte der Wärmeausdehnungskoeffizienten wurden
hierfür mittels TMA bestimmt. Die Wärmeausdehnungen von Stahl und
Polycarbonat unterscheiden sich im relevanten Temperaturbereich um etwa das
Fünffache. Dadurch verformt sich das Werkzeug unter Temperatur in deutlich
geringerem Maß als die Bauteile.
Die Gegenüberstellung der Maße von Werkzeug und Kunststoffbauteil bei der
Entformungstemperatur von 50 °C zeigt, dass die Durchmesser der isobar
hergestellten Proben ab 800 bar Versuchsdruck nahe am Werkzeugdurchmesser, bei 50 °C bzw. bei 900 bar, isobar bereits knapp oberhalb liegen,
Bild 23.
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Bild 23:
Vergleich der berechneten Durchmesser bei 50 °C Entformungstemperatur, 170 °C Versuchstemperatur
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In Korrelation mit der Auswertung der Spannungsoptik bestärkt dies, dass sich
eine Entformung von Bauteilen mit Übermaß nicht negativ auf den
Spannungszustand auswirkt.
Die Aufweitung der Kavität ist abhängig von Temperatur und Druck, die
Prozessführung (isobar/isochor) spielt dabei keine Rolle. Der Unterschied
besteht allerdings darin, dass die Drucknachführung der isobaren Versuche das
Bauteil während der gesamten Abkühlung der Schrumpfung der Kavität und
damit einer höheren Druckeinwirkung aussetzt als bei isochorer
Prozessführung. Hier bleibt das eingestellte Kavitätsvolumen – bis auf die
Rückstellung der Verformung – gleich und es steht somit mehr Raum zur
Verfügung, der für die Schwindung und den Ausgleich des aufgebrachten
Drucks durch die Rückstellung der Kavität genutzt werden kann.
6
ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK
Die vorliegenden Untersuchungen zeigen, dass durch die Anwendung der
Druckverfestigung verschiedene Effekte auftreten können. Eine Erhöhung des
Verfestigungsdrucks führt, insbesondere im Vergleich zur Referenzprobe, die
den Spritzgießprozess darstellen soll, zu einer Verringerung der Doppelbrechung, was auf eine Abnahme der Eigenspannungen in den Bauteilen hinweist. Tendenziell führt eine isobare Prozessführung im Vergleich zur isochoren
zu verminderten Isochromatenordnungen. Bei hohen Drücken traten allerdings
spannungsoptische Erscheinungen auf deren Ursache nicht geklärt werden
konnte. Geometriebedingt sind die untersuchten Probekörper nicht ideal
geeignet für spannungsoptische Analysen. Aus ergänzend durchgeführte Spannungsrissprüfungen an Probekörpern mit Bohrloch konnten keine signifikanten
Aussagen abgeleitet werden. Eine negative Auswirkung einer Entformung unter
Restdruck auf druckverfestigte Bauteile wurde basierend auf der spannungsoptischen Analyse nicht festgestellt.
Neben Eigenspannungen sind weitere Auswirkungen auf optische Eigenschaften aus lokalen Dichteunterschieden bedingt, die beim Standardspritzgießen nicht zu vermeiden sind. Aufgrund des Prozessablaufs bei der
Druckverfestigung, nämlich der Kompression einer homogen temperierten
Schmelze, ist eine gleichmäßige Dichteverteilung zu erwarten. Es konnte
aufgezeigt werden, dass sowohl die Dichte, als auch die Abmaße der
hergestellten Proben gezielt durch die Versuchstemperatur, die Prozessführung
als auch durch den Verfestigungsdruck eingestellt werden können.
Die erarbeiteten Erkenntnisse sollen auf ein im Bau befindliches Werkzeug zur
Abbildung und Überprüfung der generellen Umsetzbarkeit der Druckverfestigung für Modellprobekörper sowie optische Linsen in einem Spritzgießprozess übertragen und die erzielbaren Zykluszeiten ermittelt werden. Die mit
diesem Werkzeug möglichen Bauteile werden zur Bestimmung der Maßhaltigkeit druckverfestigter Bauteile mit Wanddickenunterschieden heranZeitschrift Kunststofftechnik 8 (2012) 2
172
Einfluss der Prozessführung
gezogen sowie zur lokal aufgelösten Analyse der Dichte über den Bauteilquerschnitt.
7
DANKSAGUNG
Der Dank gilt der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die finanzielle
Unterstützung
des
Projektes
DFG-KU2421/1-2
sowie
der
Bayer
MaterialScience AG für die Bereitstellung des Materials. Weiterhin danken die
Autoren Frau Dr.-Ing. Natalie Rudolph, die über die Arbeiten ihrer Dissertation
am Lehrstuhl für Kunststofftechnik hinaus, stets für Diskussionen und manchen
hilfreichen Rat zur Verfügung stand.
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Stichworte:
Druckverfestigung,
unterschiede
Einfluss der Prozessführung
optische
Bauteile,
Eigenspannungen,
Wanddicken-
Keywords:
Compression induced solidification, optical parts, residual stress, varying
wall thickness
Autor/author:
Prof. Dr.-Ing. Dietmar Drummer (Autor)
Dipl.-Ing. Alexander Schmidt (Autor)
Dipl.-Ing. Andreas Seefried (Autor)
Prof. em. Dr.-Ing. Dr. h.c. Gottfried W. Ehrenstein (Autor)
Dr.-Ing. Ines Kühnert * (Autor)
Lehrstuhl für Kunststofftechnik
Universität Erlangen-Nürnberg
Am Weichselgarten 9
91058 Erlangen
*) Leibniz-Institut für Polymerforschung Dresden e.V.
Herausgeber/Editor:
Europa/Europe
Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. Gottfried W. Ehrenstein, verantwortlich
Lehrstuhl für Kunststofftechnik
Universität Erlangen-Nürnberg
Am Weichselgarten 9
91058 Erlangen
Deutschland
Phone: +49/(0)9131/85 - 29703
Fax.:
+49/(0)9131/85 - 29709
E-Mail-Adresse: [email protected]
Verlag/Publisher:
Carl-Hanser-Verlag
Jürgen Harth
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Kolbergerstrasse 22
81679 Muenchen
Tel.: 089/99 830 - 300
Fax: 089/99 830 - 156
E-mail-Adresse: [email protected]
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E-Mail-Adresse: [email protected]
Webseite: www.lkt.uni-erlangen.de
Tel.: +49(0)9131/297-05
Fax: +49(0) 9131/297-09
Amerika/The Americas
Prof. Prof. h.c. Dr. Tim A. Osswald,
responsible
Polymer Engineering Center,
Director
University of Wisconsin-Madison
1513 University Avenue
Madison, WI 53706
USA
Phone: +1/608 263 9538
Fax.:
+1/608 265 2316
E-Mail-Adresse:
[email protected]
Beirat/Editorial Board:
Professoren des Wissenschaftlichen
Arbeitskreises Kunststofftechnik/
Professors of the Scientific Alliance
of Polymer Technology
178
Einfluss der Prozessführung
1 Thöniß
2 Michaeli, W.;Heßner, S
3 BÖL
4 BÜR,WOHL
5 Bäumer
6 RADUSCH
7 MICH, Prozesskette
8 CHANG
9 EHR, TRA
10 EHR, RUD1
11 RUD Pol Eng Science
12 Diss RUD
13 Weymann
14 Engelsing: freies Vol
15 Schwarzl
16 Batzer
17 Breuer
18 Menges pvT
19 Thienel
20 RUD2
21 Forster ungetrübte Sicht
22 Liu
23 BÜR2
24 RUD KU 2011
25 Patent DVF
26 RUD3
27 LQ2647
28 RUD4
29 Wolf
30 Bayer_ESC
31 1183-1
32 1183-3
33 863-1
34 11359-2
35 DeMeet
36 Doerrenberg
37 Struik
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