Text der Petition (pdf
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Amsterdam, Berlin, Bern, Brüssel, Düsseldorf, Haarlem, London, Mailand, Rom, Utrecht PETITION an DIE TÜRKISCHE REGIERUNG, Den Türkischen Premierminister RECEP TAYYIP ERDOGAN, Den Türkischen Präsidenten ABDULLAH GÜL, Und alle weiteren Mitglieder der Regierung EUROPÄISCHE JURISTINNEN PROTESTIEREN GEGEN UNBEGRÜNDETE UND RECHTSWIDRIGE VERHAFTUNGEN SOWIE DIE BEHINDERUNG VON ANWÄLTINNEN UND ANWÄLTEN IN DER TÜRKEI Seit vielen Jahren werden schwere Menschenrechtsverletzungen aus der Türkei berichtet. Nicht nur Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch, sondern auch die Europäische Union im Zusammenhang mit den Beitrittsbemühungen der Türkei haben diese Menschenrechtsverletzungen verurteilt, die vom türkischen Staat begangen oder toleriert wurden. Diese Menschenrechtsverletzungen wurden nicht nur gegenüber politischen Gegnern der Regierung begangen, sondern auch gegenüber Minderheiten, insbesondere der kurdischen Bevölkerung in der Türkei. Sie sind auch gerichtet gegen Anwältinnen und Anwälte, die den Mut haben, Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu vertreten, die durch den Staat - begangen wurden. Wenn solche Anwältinnen und Anwälte Opfer werden von willkürlicher staatlicher Verfolgung, werden ihre MandantInnen Opfer in zweifacher Hinsicht. Beide sind Opfer staatlicher Willkür und sie werden um die Chance eines gerechten Verfahrens gebracht. Wenn Anwältinnen und Anwälte gehindert werden ihre gesetzlichen Pflichten zu erfüllen, ist nicht nur ihre persönliche Zukunft und die ihrer MandantInnen in Gefahr, sondern die Gerechtigkeit insgesamt ist bedroht. Nach inoffiziellen Schätzungen wurden seit 2009 fast 8.000 angebliche Mitglieder der KCK verhaftet auf der Grundlage der Anti-Terror-Gesetze aus dem Jahre 1991. Die KCK bzw. die Union der Kurdischen Gemeinden ist eine kurdische Organisation, die von Abdullah Öcalan gegründet wurde, und der von der türkischen Regierung Verbindung zur PKK vorgeworfen wird. Mehr als die Hälfte der Festgenommenen sollen immer noch in Haft sein. Die türkische Regierung hat auf eine besorgte Anfrage der EU Kommission allerdings nur 605 noch Inhaftierte eingestanden. 2 Das Verfahren gegen angebliche Mitglieder der KCK wurde am 18. Oktober 2010 in Diyarbakir vor der 6. Großen Strafkammer eröffnet. Von 151 Angeklagten sind 103 immer noch inhaftiert. 8 von ihnen sind Anwälte. Am 19. Oktober 2010 ebenso wie bei den folgenden Terminen bestand die Verteidigung auf „Verteidigung auf Kurdisch“, was vom Gericht zurückgewiesen wurde. Stattdessen wurden 100 Anwälte – die meisten Mitglieder der Diyarbakir Anwaltskammer – wegen diese Antrags verhört. An zahlreichen Gerichtsterminen nahmen Anwälte aus verschiedenen Europäischen Ländern als Beobachter teil, darunter auch Mitglieder der AED-EDL und der EJDM. Ein Anwalt aus Italien, der den KCK Prozess in Diyarbakir beobachten wollte wurde am Flughafen in Istanbul festgenommen und einen Tag später abgeschoben. Die aktuelle KCK-Operation der Regierung wurde auf der Basis der Anti-Terror-Gesetze von 1991 durchgeführt. Die Menschenrechtsverletzungen haben einen Höhepunkt erreicht mit der Massenverhaftung von 36 Anwältinnen und Anwälten, die im Rahmen von parallel durchgeführten Razzien in vielen Türkischen Städten und Provinzen am 22. November 2011, im Zuge der sogenannten KCK-Operation durchgeführt wurden. Ähnliche Aktionen wurden am 20. Dezember 2011 gegenüber Journalisten durchgeführt, von denen 20 verhaftet wurden. Viele der jetzt verhafteten Anwälte waren aktiv als Verteidiger im KCK Verfahren oder für Abdullah Öcalan. Bei den festgenommenen Anwälten handelte es sich um: Şaziye ÖNDER (Ağrı), Yaşar KAYA (Ardahan), Muhdi ÖZTÜZÜN (Batman), Mehmet Deniz BÜYÜK (Bursa), Faik Özgür EROL (Diyarbakır), Muharrem ŞAHİN (Diyarbakir), Osman ÇELİK (Diyarbakir), Serkan AKBAŞ (Diyarbakir), Fuat KOŞACA Kandıra (Diyarbakir), Mehmet AYATA (Diyarbakir), Mehmet Nuri DENİZ (Diyarbakir), Aydın ORUÇ (Denizli), Davut UZUNKÖPRÜ (Hakkari), İbrahim BİLMEZ (İstanbul), Mustafa ERASLAN (Istanbul), Emran EMEKÇİ (Istanbul), Cengiz ÇİÇEKÇİ (Istanbul), Asya ÜLKER (Istanbul), Doğan ERBAŞ (Istanbul), Hatice KORKUT (Istanbul), Hüseyin ÇALIŞÇI (Istanbul), Ömer GÜNEŞ (Istanbul), Mehmet Sani KIZILKAYA (Istanbul), Mehmet BAYRAKTAR (İzmir), Servet DEMİR (İzmir), Mizgin IRGAT (İzmir), Mahmut ALINAK (Kars), Bedri KURAN (Mersin), Mensur IŞIK (Muş), Şakir DEMİR (Siirt), Mehmet Sabır TAŞ (Siirt), Veysel VESEK (Şırnak), Hakzan SADAK (Şırnak), Cemo TÜYSÜZ (Urfa), Sabahattin KAYA (Van), Cemal DEMİR (Van). Alle von ihnen sind noch in Haft. Diese staatlichen Aktionen verletzen das grundlegende Recht auf einen Anwalt, und das Recht der Anwälte ihren Beruf ohne Angst und Einschüchterung ausüben zu können. Die drei nachfolgenden europäischen Dachverbände von JuristInnen wenden sich daher mit ihrer Petition an die türkische Regierung: die EUROPÄISCHE DEMOKRATISCHE ANWÄLTE (AEDEDL, www.aed-edl.net ), die EUROPÄISCHE VEREINIGUNG VON JURISTINNEN UND JURISTEN FÜR DEMOKRATIE UND MENSCHENRECHTE (EJDM www.ejdm.eu ) und das INSTITUT FÜR MENSCHENRECHTE DER EUROPÄISCHEN ANWÄLTE (IDHAE, www.idhae.org ). Sie repräsentieren Anwältinnen und Anwälte in ganz Europa und haben sich entschieden in 2012 am „Tag des bedrohten Anwalts“ mehr öffentliche Aufmerksamkeit auf die schwierigen Arbeitsbedingungen 3 zu lenken, denen Anwältinnen und Anwälte in der Türkei unterliegen. Deswegen werden Anwältinnen und Anwälte in verschiedenen europäischen Ländern vor türkischen Botschaften und Konsulaten protestieren. Der Tag des bedrohten Anwalts ist eine Initiative, die vom AED-EDL im Jahr 2010 initiiert wurde, zur Unterstützung der Anwälte im Iran. Der 24. Januar wurde als Datum in diesem Jahr ausgewählt in Erinnerung an die Ermordung von 4 Gewerkschaftsanwälten und einen Angestellten in Madrid im Jahr 1977 (Massaker von Antocha) in der Übergangszeit nach dem Tod des spanischen Diktators Franco (1975). Die verhafteten Täter standen extrem rechten Parteien und Organisationen nahe. AED-EDL, EJDM und IDHAE verurteilen aufs Schärfste die oben genannten Maßnahmen der türkischen Regierung und fordern: • Das türkische Anti-Terror-Gesetz aus dem Jahr 1991 schützt die Sicherheit des Staates auf Kosten der Freiheit und Sicherheit der Individuen. Es verletzt die internationalen Menschenrechte und muss daher aufgehoben werden. • Die unverzügliche Freilassung aller aus politischen Gründen inhaftierten Anwältinnen und Anwälte. • Ein faires Verfahren für die Angeklagten in den KCK Prozessen, einschließlich der Zulassung ausländischer Beobachter • Eine internationale, unabhängige Untersuchung der oben genannten Maßnahmen der türkischen Regierung, mit dem Ziel die Verantwortlichen für begangene Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen. Professor Bill Bowring, Rechtsanwalt, Präsident der EJDM, London www.ejdm.eu Gilberto Pagani, Rechtsanwalt, Präsident der AED-EDL, Mailand www.aed-edl.net Bertrand Favreau, Rechtsanwalt, Präsident der IDHAE, Paris www.iedae.org Thomas Schmidt, Rechtsanwalt, Generalsekretär der EJDM, Düsseldorf Hans Gaasbeek, Rechtsanwalt, Vizepräsident der AED-EDL, und Koordinator der Kommission „Défense de la Défense“, Haarlem Ivonne Leenhouwers, Rechtsanwältin, Ko-Koordinatorin der Kommission „Défense de la Défense“, Utrecht Für weitere Informationen: Thomas Schmidt, EJDM, PHONE 0049-211-444 001, eMail: [email protected] 4 Anhang: Rechtliche Verpflichtungen der Türkei bezüglich der politischen und bürgerlichen Rechte Die Türkei hat den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19.Dezember 1966 ratifiziert, der unter anderem vorsieht: Artikel 1 (1) Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung. Artikel 2 (1) Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, die in diesem Pakt anerkannten Rechte zu achten und sie allen in seinem Gebiet befindlichen und seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen ohne Unterschied wie insbesondere der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status zu gewährleisten. Artikel 9 (1) Jedermann hat ein Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit. Niemand darf willkürlich festgenommen oder in Haft gehalten werden. Niemand darf seiner Freiheit entzogen werden, es sei denn aus gesetzlich bestimmten Gründen und unter Beachtung des im Gesetz vorgeschriebenen Verfahrens Artikel 18 (1) Jedermann hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses Recht umfasst die Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung eigener Wahl zu haben oder anzunehmen, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Beachtung religiöser Bräuche, Ausübung und Unterricht zu bekunden. Artikel 19 (1) Jedermann hat das Recht auf unbehinderte Meinungsfreiheit. (2) Jedermann hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen Informationen und Gedankengut jeder Art in Wort, Schrift oder Druck, durch Kunstwerke oder andere Mittel eigener Wahl sich zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben. Die oben beschriebenen Aktivitäten der türkischen Regierung verletzen diese Bestimmungen des internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte. Darüber hinaus haben die AED-EDL, EJDM und IDHAE über Jahre hinweg bei ihren Beobachtungen im Hinblick auf die kurdische Bevölkerung festgestellt, dass die türkische Regierung und bestimmte rechte politische Kräfte in der Türkei diejenigen dämonisieren, die 5 sich selbst als kurdisch ansehen, und alle kurdischen Aktivistinnen und Aktivisten mit dem breit gefassten Terrorismus Begriff des Anti-Terror-Gesetzes diffamieren. AED-EDL, EJDM und IDHAE erinnern die türkische Regierung an die Rechte der Anwälte, ihre Mandanten nachdrücklich zu verteidigen, ohne nachteilige Folgen befürchten zu müssen: 1. Das absolute Privileg von Richtern, Zeugen und Anwälten bezüglich ihrer Erklärungen im Zuge eines gerichtlichen oder quasi-gerichtlichen Verfahrens. Das Prinzip und die Immunität die es verschafft vor zivilrechtlicher oder strafrechtlicher Verfolgung ist seit über 300 Jahren von vorrangiger Bedeutung für die Integrität des gewöhnlichen Rechtssystems. Die Kriterien dieser Doktrin des absoluten Privilegs, welche unverändert geblieben sind, wurden in England bereits 1772 von Lord Mansfield in dem Verfahren R. ./. Skinner aufgestellt. „Weder die Parteien, Zeugen, rechtliche Berater, die Geschworenen oder die Richter können weder zivilrechtlich noch strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden für Äußerungen die sie im Verfahren getätigt haben.“ 2. Die grundlegenden Prinzipien der Vereinten Nationen über die Rolle der Anwälte, welche vom 8. Kongress der Vereinten Nationen über die Verhütung von Verbrechen und den Umgang mit Straftätern vom 27. August bis 7. September 1990 in Havanna angenommen wurden. Sie legen internationale rechtliche Standards über die Rechte, Verantwortlichkeiten und den Schutz der Anwälte fest. Zu diesen Grundsätzen gehören: 14. Beim Schutz der Rechte seines Mandanten und beim Eintreten für die Sache der Gerechtigkeit muß der Rechtsanwalt bestrebt sein, die im staatlichen Recht und im Völkerrecht anerkannten Menschenrechte und Grundfreiheiten zu wahren und jederzeit unabhängig und sorgfältig im Einklang mit dem Recht und den anerkannten Verhaltensregeln und Ehrenpflichten des Anwaltsstandes handeln. 15. Der Rechtsanwalt hat stets loyal die Interessen seines Mandanten zu achten. 16. Der Staat stellt sicher, daß der Rechtsanwalt a) in der Lage ist, alle seine beruflichen Aufgaben ohne Einschüchterung, Behinderung, Schikanen oder unstatthafte Beeinflussung wahrzunehmen; b) in der Lage ist, zu reisen und sich mit seinen Mandanten frei zu beraten, sowohl im eigenen Lande als auch im Ausland; und c) wegen Handlungen, die mit anerkannten beruflichen Pflichten, Verhaltensregeln und Ehrenpflichten im Einklang stehen, keine Verfolgung oder verwaltungsmäßige, wirtschaftliche oder andere Sanktionen erleidet oder damit bedroht wird. 17. Wo die Sicherheit eines Rechtsanwalts infolge der Wahrnehmung seiner Aufgaben bedroht ist, haben die Behörden ihn angemessen zu schützen. 18. Der Rechtsanwalt darf wegen der Wahrnehmung seiner Aufgaben nicht mit seinen Mandanten oder den Angelegenheiten seiner Mandanten identifiziert werden. 20. Der Rechtsanwalt genießt zivilrechtliche und strafrechtliche Immunität für sacherhebliche Äußerungen, die er bona fide in schriftlichen oder mündlichen Stellungnahmen oder bei persönlichem Erscheinen vor einem Gericht oder einer anderen Rechts- oder Verwaltungsinstanz getan hat. 6 22. Der Staat anerkennt und beachtet, daß jede Kontaktnahme und Beratung zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten innerhalb der beruflichen Beziehung vertraulich ist. 23. Der Rechtsanwalt hat wie andere Bürger einen Anspruch auf Meinungsäußerungs-, Glaubens-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit. Insbesondere hat er das Recht, sich an öffentlichen Erörterungen über Angelegenheiten des Rechts, der Rechtspflege und der Förderung und des Schutzes der Menschenrechte zu beteiligen und sich örtlichen, nationalen oder internationalen Organisationen anzuschließen oder solche zu gründen und ihre Veranstaltungen zu besuchen, ohne wegen dieses rechtmäßigen Handelns oder seiner Mitgliedschaft in einer rechtmäßigen Organisation berufliche Beschränkungen zu erleiden. Bei der Ausübung dieser Rechte hat sich der Rechtsanwalt stets im Einklang mit dem Recht und den anerkannten Verhaltensregeln und Ehrenpflichten des Anwaltsstandes zu verhalten. 3. Dieselben Prinzipien wurden anerkannt durch die Resolution 53/144 der Vereinten Nationen „Recht und Verpflichtung von Einzelpersonen, Gruppen und Organen der Gesellschaft die allgemein anerkannten Menschenrechte und Grundfreiheiten zu fördern und zu schützen“.