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PETITION an
DIE TÜRKISCHE REGIERUNG,
Den Türkischen Premierminister RECEP TAYYIP ERDOGAN,
Den Türkischen Präsidenten ABDULLAH GÜL,
Und alle weiteren Mitglieder der Regierung
EUROPÄISCHE JURISTINNEN PROTESTIEREN GEGEN UNBEGRÜNDETE UND RECHTSWIDRIGE
VERHAFTUNGEN SOWIE DIE BEHINDERUNG VON ANWÄLTINNEN UND ANWÄLTEN IN DER
TÜRKEI
Seit vielen Jahren werden schwere Menschenrechtsverletzungen aus der Türkei berichtet. Nicht
nur Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch,
sondern auch die Europäische Union im Zusammenhang mit den Beitrittsbemühungen der Türkei
haben diese Menschenrechtsverletzungen verurteilt, die vom türkischen Staat begangen oder
toleriert wurden.
Diese Menschenrechtsverletzungen wurden nicht nur gegenüber politischen Gegnern der
Regierung begangen, sondern auch gegenüber Minderheiten, insbesondere der kurdischen
Bevölkerung in der Türkei. Sie sind auch gerichtet gegen Anwältinnen und Anwälte, die den Mut
haben, Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu vertreten, die durch den Staat - begangen
wurden. Wenn solche Anwältinnen und Anwälte Opfer werden von willkürlicher staatlicher
Verfolgung, werden ihre MandantInnen Opfer in zweifacher Hinsicht. Beide sind Opfer
staatlicher Willkür und sie werden um die Chance eines gerechten Verfahrens gebracht. Wenn
Anwältinnen und Anwälte gehindert werden ihre gesetzlichen Pflichten zu erfüllen, ist nicht
nur ihre persönliche Zukunft und die ihrer MandantInnen in Gefahr, sondern die Gerechtigkeit
insgesamt ist bedroht.
Nach inoffiziellen Schätzungen wurden seit 2009 fast 8.000 angebliche Mitglieder der KCK
verhaftet auf der Grundlage der Anti-Terror-Gesetze aus dem Jahre 1991. Die KCK bzw. die
Union der Kurdischen Gemeinden ist eine kurdische Organisation, die von Abdullah Öcalan
gegründet wurde, und der von der türkischen Regierung Verbindung zur PKK vorgeworfen wird.
Mehr als die Hälfte der Festgenommenen sollen immer noch in Haft sein. Die türkische
Regierung hat auf eine besorgte Anfrage der EU Kommission allerdings nur 605 noch Inhaftierte
eingestanden.
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Das Verfahren gegen angebliche Mitglieder der KCK wurde am 18. Oktober 2010 in Diyarbakir
vor der 6. Großen Strafkammer eröffnet. Von 151 Angeklagten sind 103 immer noch inhaftiert.
8 von ihnen sind Anwälte. Am 19. Oktober 2010 ebenso wie bei den folgenden Terminen
bestand die Verteidigung auf „Verteidigung auf Kurdisch“, was vom Gericht zurückgewiesen
wurde. Stattdessen wurden 100 Anwälte – die meisten Mitglieder der Diyarbakir
Anwaltskammer – wegen diese Antrags verhört.
An zahlreichen Gerichtsterminen nahmen Anwälte aus verschiedenen Europäischen Ländern als
Beobachter teil, darunter auch Mitglieder der AED-EDL und der EJDM. Ein Anwalt aus Italien,
der den KCK Prozess in Diyarbakir beobachten wollte wurde am Flughafen in Istanbul
festgenommen und einen Tag später abgeschoben. Die aktuelle KCK-Operation der Regierung
wurde auf der Basis der Anti-Terror-Gesetze von 1991 durchgeführt.
Die Menschenrechtsverletzungen haben einen Höhepunkt erreicht mit der Massenverhaftung
von 36 Anwältinnen und Anwälten, die im Rahmen von parallel durchgeführten Razzien in
vielen Türkischen Städten und Provinzen am 22. November 2011, im Zuge der sogenannten
KCK-Operation durchgeführt wurden. Ähnliche Aktionen wurden am 20. Dezember 2011
gegenüber Journalisten durchgeführt, von denen 20 verhaftet wurden. Viele der jetzt
verhafteten Anwälte waren aktiv als Verteidiger im KCK Verfahren oder für Abdullah Öcalan.
Bei den festgenommenen Anwälten handelte es sich um:
Şaziye ÖNDER (Ağrı), Yaşar KAYA (Ardahan), Muhdi ÖZTÜZÜN (Batman), Mehmet Deniz BÜYÜK
(Bursa), Faik Özgür EROL (Diyarbakır), Muharrem ŞAHİN (Diyarbakir), Osman ÇELİK (Diyarbakir),
Serkan AKBAŞ (Diyarbakir), Fuat KOŞACA Kandıra (Diyarbakir), Mehmet AYATA (Diyarbakir),
Mehmet Nuri DENİZ (Diyarbakir), Aydın ORUÇ (Denizli), Davut UZUNKÖPRÜ (Hakkari), İbrahim
BİLMEZ (İstanbul), Mustafa ERASLAN (Istanbul), Emran EMEKÇİ (Istanbul), Cengiz ÇİÇEKÇİ
(Istanbul), Asya ÜLKER (Istanbul), Doğan ERBAŞ (Istanbul), Hatice KORKUT (Istanbul), Hüseyin
ÇALIŞÇI (Istanbul), Ömer GÜNEŞ (Istanbul), Mehmet Sani KIZILKAYA (Istanbul), Mehmet
BAYRAKTAR (İzmir), Servet DEMİR (İzmir), Mizgin IRGAT (İzmir), Mahmut ALINAK (Kars), Bedri
KURAN (Mersin), Mensur IŞIK (Muş), Şakir DEMİR (Siirt), Mehmet Sabır TAŞ (Siirt), Veysel VESEK
(Şırnak), Hakzan SADAK (Şırnak), Cemo TÜYSÜZ (Urfa), Sabahattin KAYA (Van), Cemal DEMİR
(Van).
Alle von ihnen sind noch in Haft.
Diese staatlichen Aktionen verletzen das grundlegende Recht auf einen Anwalt, und das Recht
der Anwälte ihren Beruf ohne Angst und Einschüchterung ausüben zu können.
Die drei nachfolgenden europäischen Dachverbände von JuristInnen wenden sich daher mit
ihrer Petition an die türkische Regierung: die EUROPÄISCHE DEMOKRATISCHE ANWÄLTE (AEDEDL, www.aed-edl.net ), die EUROPÄISCHE VEREINIGUNG VON JURISTINNEN UND JURISTEN FÜR
DEMOKRATIE UND MENSCHENRECHTE (EJDM www.ejdm.eu ) und das INSTITUT FÜR
MENSCHENRECHTE DER EUROPÄISCHEN ANWÄLTE (IDHAE, www.idhae.org ). Sie repräsentieren
Anwältinnen und Anwälte in ganz Europa und haben sich entschieden in 2012 am „Tag des
bedrohten Anwalts“ mehr öffentliche Aufmerksamkeit auf die schwierigen Arbeitsbedingungen
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zu lenken, denen Anwältinnen und Anwälte in der Türkei unterliegen. Deswegen werden
Anwältinnen und Anwälte in verschiedenen europäischen Ländern vor türkischen Botschaften
und Konsulaten protestieren.
Der Tag des bedrohten Anwalts ist eine Initiative, die vom AED-EDL im Jahr 2010 initiiert
wurde, zur Unterstützung der Anwälte im Iran. Der 24. Januar wurde als Datum in diesem Jahr
ausgewählt in Erinnerung an die Ermordung von 4 Gewerkschaftsanwälten und einen
Angestellten in Madrid im Jahr 1977 (Massaker von Antocha) in der Übergangszeit nach dem Tod
des spanischen Diktators Franco (1975). Die verhafteten Täter standen extrem rechten Parteien
und Organisationen nahe.
AED-EDL, EJDM und IDHAE verurteilen aufs Schärfste die oben genannten Maßnahmen der
türkischen Regierung und fordern:
•
Das türkische Anti-Terror-Gesetz aus dem Jahr 1991 schützt die Sicherheit des Staates
auf Kosten der Freiheit und Sicherheit der Individuen. Es verletzt die internationalen
Menschenrechte und muss daher aufgehoben werden.
•
Die unverzügliche Freilassung aller aus politischen Gründen inhaftierten Anwältinnen
und Anwälte.
•
Ein faires Verfahren für die Angeklagten in den KCK Prozessen, einschließlich der
Zulassung ausländischer Beobachter
•
Eine internationale, unabhängige Untersuchung der oben genannten Maßnahmen der
türkischen Regierung, mit dem Ziel die Verantwortlichen für begangene
Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen.
Professor Bill Bowring, Rechtsanwalt, Präsident der EJDM, London
www.ejdm.eu
Gilberto Pagani, Rechtsanwalt, Präsident der AED-EDL, Mailand
www.aed-edl.net
Bertrand Favreau, Rechtsanwalt, Präsident der IDHAE, Paris
www.iedae.org
Thomas Schmidt, Rechtsanwalt, Generalsekretär der EJDM, Düsseldorf
Hans Gaasbeek, Rechtsanwalt, Vizepräsident der AED-EDL, und Koordinator der Kommission „Défense de la
Défense“, Haarlem
Ivonne Leenhouwers, Rechtsanwältin, Ko-Koordinatorin der Kommission „Défense de la Défense“, Utrecht
Für weitere Informationen:
Thomas Schmidt, EJDM, PHONE 0049-211-444 001, eMail: [email protected]
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Anhang:
Rechtliche Verpflichtungen der Türkei bezüglich der politischen und bürgerlichen Rechte
Die Türkei hat den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom
19.Dezember 1966 ratifiziert, der unter anderem vorsieht:
Artikel 1
(1) Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie
frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale
und kulturelle Entwicklung.
Artikel 2
(1) Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, die in diesem Pakt anerkannten Rechte zu achten
und sie allen in seinem Gebiet befindlichen und seiner Herrschaftsgewalt
unterstehenden Personen ohne Unterschied wie insbesondere der Rasse, der Hautfarbe,
des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung,
der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen
Status zu gewährleisten.
Artikel 9
(1) Jedermann hat ein Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit. Niemand darf
willkürlich festgenommen oder in Haft gehalten werden. Niemand darf seiner Freiheit
entzogen werden, es sei denn aus gesetzlich bestimmten Gründen und unter Beachtung
des im Gesetz vorgeschriebenen Verfahrens
Artikel 18
(1) Jedermann hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses Recht
umfasst die Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung eigener Wahl zu haben
oder anzunehmen, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung allein oder in
Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Beachtung
religiöser Bräuche, Ausübung und Unterricht zu bekunden.
Artikel 19
(1) Jedermann hat das Recht auf unbehinderte Meinungsfreiheit.
(2) Jedermann hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit
ein, ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen Informationen und Gedankengut jeder Art in
Wort, Schrift oder Druck, durch Kunstwerke oder andere Mittel eigener Wahl sich zu
beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben.
Die oben beschriebenen Aktivitäten der türkischen Regierung verletzen diese Bestimmungen
des internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte.
Darüber hinaus haben die AED-EDL, EJDM und IDHAE über Jahre hinweg bei ihren
Beobachtungen im Hinblick auf die kurdische Bevölkerung festgestellt, dass die türkische
Regierung und bestimmte rechte politische Kräfte in der Türkei diejenigen dämonisieren, die
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sich selbst als kurdisch ansehen, und alle kurdischen Aktivistinnen und Aktivisten mit dem breit
gefassten Terrorismus Begriff des Anti-Terror-Gesetzes diffamieren.
AED-EDL, EJDM und IDHAE erinnern die türkische Regierung an die Rechte der Anwälte, ihre
Mandanten nachdrücklich zu verteidigen, ohne nachteilige Folgen befürchten zu müssen:
1. Das absolute Privileg von Richtern, Zeugen und Anwälten bezüglich ihrer Erklärungen im
Zuge eines gerichtlichen oder quasi-gerichtlichen Verfahrens. Das Prinzip und die
Immunität die es verschafft vor zivilrechtlicher oder strafrechtlicher Verfolgung ist seit
über 300 Jahren von vorrangiger Bedeutung für die Integrität des gewöhnlichen
Rechtssystems. Die Kriterien dieser Doktrin des absoluten Privilegs, welche unverändert
geblieben sind, wurden in England bereits 1772 von Lord Mansfield in dem Verfahren R.
./. Skinner aufgestellt. „Weder die Parteien, Zeugen, rechtliche Berater, die
Geschworenen oder die Richter können weder zivilrechtlich noch strafrechtlich zur
Rechenschaft gezogen werden für Äußerungen die sie im Verfahren getätigt haben.“
2. Die grundlegenden Prinzipien der Vereinten Nationen über die Rolle der Anwälte,
welche vom 8. Kongress der Vereinten Nationen über die Verhütung von Verbrechen und
den Umgang mit Straftätern vom 27. August bis 7. September 1990 in Havanna
angenommen wurden. Sie legen internationale rechtliche Standards über die Rechte,
Verantwortlichkeiten und den Schutz der Anwälte fest. Zu diesen Grundsätzen gehören:
14. Beim Schutz der Rechte seines Mandanten und beim Eintreten für die Sache der
Gerechtigkeit muß der Rechtsanwalt bestrebt sein, die im staatlichen Recht und im
Völkerrecht
anerkannten Menschenrechte und Grundfreiheiten zu wahren und jederzeit unabhängig
und sorgfältig im Einklang mit dem Recht und den anerkannten Verhaltensregeln und
Ehrenpflichten des Anwaltsstandes handeln.
15. Der Rechtsanwalt hat stets loyal die Interessen seines Mandanten zu achten.
16. Der Staat stellt sicher, daß der Rechtsanwalt
a) in der Lage ist, alle seine beruflichen Aufgaben ohne Einschüchterung, Behinderung,
Schikanen oder unstatthafte Beeinflussung wahrzunehmen;
b) in der Lage ist, zu reisen und sich mit seinen Mandanten frei zu beraten, sowohl im
eigenen Lande als auch im Ausland; und
c) wegen Handlungen, die mit anerkannten beruflichen Pflichten, Verhaltensregeln und
Ehrenpflichten im Einklang stehen, keine Verfolgung oder verwaltungsmäßige,
wirtschaftliche oder andere Sanktionen erleidet oder damit bedroht wird.
17. Wo die Sicherheit eines Rechtsanwalts infolge der Wahrnehmung seiner Aufgaben
bedroht
ist, haben die Behörden ihn angemessen zu schützen.
18. Der Rechtsanwalt darf wegen der Wahrnehmung seiner Aufgaben nicht mit seinen
Mandanten oder den Angelegenheiten seiner Mandanten identifiziert werden.
20. Der Rechtsanwalt genießt zivilrechtliche und strafrechtliche Immunität für
sacherhebliche
Äußerungen, die er bona fide in schriftlichen oder mündlichen Stellungnahmen oder bei
persönlichem Erscheinen vor einem Gericht oder einer anderen Rechts- oder
Verwaltungsinstanz getan hat.
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22. Der Staat anerkennt und beachtet, daß jede Kontaktnahme und Beratung zwischen
dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten innerhalb der beruflichen Beziehung
vertraulich ist.
23. Der Rechtsanwalt hat wie andere Bürger einen Anspruch auf Meinungsäußerungs-,
Glaubens-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit. Insbesondere hat er das Recht, sich
an öffentlichen Erörterungen über Angelegenheiten des Rechts, der Rechtspflege und
der Förderung und des Schutzes der Menschenrechte zu beteiligen und sich örtlichen,
nationalen oder internationalen Organisationen anzuschließen oder solche zu gründen
und ihre Veranstaltungen zu besuchen, ohne wegen dieses rechtmäßigen
Handelns oder seiner Mitgliedschaft in einer rechtmäßigen Organisation berufliche
Beschränkungen zu erleiden. Bei der Ausübung dieser Rechte hat sich der Rechtsanwalt
stets im Einklang mit dem Recht und den anerkannten Verhaltensregeln und
Ehrenpflichten des Anwaltsstandes zu verhalten.
3. Dieselben Prinzipien wurden anerkannt durch die Resolution 53/144 der Vereinten
Nationen „Recht und Verpflichtung von Einzelpersonen, Gruppen und Organen der
Gesellschaft die allgemein anerkannten Menschenrechte und Grundfreiheiten zu fördern
und zu schützen“.