Rechtsrock-Szene in BW - Landtag Baden Württemberg

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Rechtsrock-Szene in BW - Landtag Baden Württemberg
Landtag von Baden-Württemberg
Drucksache 13 /
13. Wahlperiode
02. 07. 2002
1127
Antrag
der Abg. Stephan Braun u. a. SPD
und
Stellungnahme
des Innenministeriums
Rechtsrock-Szene in Baden-Württemberg
Antrag
Der Landtag wolle beschließen,
die Landesregierung zu ersuchen
zu berichten,
1. wie sich die Rechtsrock-Szene in Baden-Württemberg in den vergangenen
zehn Jahren entwickelt hat;
2. wie sich die Landesregierung erklärt, dass Baden-Württemberg bundesweit zu den Hochburgen der rechtsextremistischen Musikszene zählt;
3. ob es zutrifft, dass in Baden-Württemberg bestimmte Regionen Hochburgen des Rechtsrock sind und welche Regionen davon betroffen sind;
4. ob ihr Aktivitäten der Rechtsrock-Band
• „Aufbruch“,
• „Aufruhr“,
• „Aufwind“,
• „Blutrausch“,
• „Blut und Ehre“,
• „Carpe Diem“,
• „Diktator“,
• „Endsieg“,
• „Foierstoss“,
• „German-British-Friendship“,
Eingegangen: 02. 07. 2002 / Ausgegeben: 05. 08. 2002
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• „Hammer“,
• „Höllenhunde“,
• „Kampfgeist“,
• „KDF“,
• „Keltenturm“,
• „Noie Werte“,
• „Nordwind“,
• „Odins Erben“,
• „Propaganda“,
• „Race War“,
• „Racheakt“,
• „Ragnaröck“,
• „Schutt und Asche“,
• „Siegnum“,
• „Sperrzone“,
• „White Voice“,
• „Thors Hammer“,
• „Tonstörung“,
• „Triebtäter“,
• „Ultima Ratio“,
• „Volkszorn“,
• „Wolfsrudel“
• und des Liedermachers Frank Rennicke
bekannt sind;
5. in welchem Umfang die genannten Bands und Liedermacher personell und
strukturell Beziehungen zur rechtsextremistischen Szene haben und wie
diese geartet sind;
6. wie es zu bewerten ist, dass die Band „Siegnum“ als Senkrechtstarter der
Rechtsrock-Musikszene gilt, aber im Verfassungsschutzbericht nicht erwähnt wird;
7. was gegen ein weiteres Anwachsen von Rechtsrock-Bands in Baden-Württemberg unternommen wird.
01. 07. 2002
Braun, Bebber, Birzele, Kipfer, Maurer, Weckenmann, Wichmann SPD
Begründung
Baden-Württemberg zählt bundesweit zu den Hochburgen der rechtsextremistischen Musikszene. Derzeit sind dem Verfassungsschutz einige Rechtsrock-Bands bekannt, wobei die Dunkelziffer deutlich höher liegen dürfte. In
den meisten Fällen entsteht eine Musikszene in der Regel erst, wenn eine
rechte Szene etabliert ist. Darüber hinaus bildet sich um eine Band immer
auch eine Unterstützerszene. Vor diesem Hintergrund und angesichts der Tatsache, dass die Gruppe „Siegnum“ vor kurzem ins Leben gerufen wurde,
stellt sich die Frage, wie die Landesregierung mit dem Phänomen Rechtsrock-Szene umgeht und ein weiteres Anwachsen verhindern will.
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Stellungnahme
Mit Schreiben vom 24. Juli 2002 Nr. 5–1082.2/303 nimmt das Innenministerium zu dem Antrag wie folgt Stellung:
1. wie sich die Rechtsrock-Szene in Baden-Württemberg in den vergangenen
Jahren entwickelt hat,
Zu 1.:
Rechtsextremistisches, insbesondere neonazistisches Gedankengut wird in
der Musikszene fast ausschließlich von Skinbands verbreitet. Die Musik ist
ein sehr wichtiges Werbe- und Integrationsmittel, das immer jüngere Menschen anzieht. Die von einschlägigen Skinbands verbreiteten Texte sind nach
wie vor überaus aggressiv. Bei Konzerten, die häufig von mehreren Hundert
Jugendlichen besucht werden, spielen die Bands Lieder mit zum Teil massiv
volksverhetzendem, rassistischem Inhalt. Hinzu kommt, dass durch maßlosen
Alkoholkonsum die Hemmschwelle für Straftaten deutlich gesenkt wird.
In Baden-Württemberg werden Skinheadkonzerte erst seit Mitte der 90er
Jahre erfasst. Von 1997 bis 1999 war eine stetige Zunahme dieser Veranstaltungen zu verzeichnen, die sich seither auf etwa gleichem Niveau halten
(1994: 10, 1996: 0, 1997: 2, 1998: 5, 1999: 10, 2000: 8, 2001: 10). Eine ähnliche Entwicklung ist auf Bundesebene festzustellen, wo von 1997 bis 1999
jeweils über 100 rechtsextremistische Musikveranstaltungen pro Jahr stattfanden. Das Verbot der Skinheadorganisation „Blood & Honour“ (B&H)
durch den Bundesminister des Innern im September 2000 konnte dieser Entwicklung nicht nachhaltig entgegenwirken. Kurz danach sank zwar auf
Bundesebene die Zahl der Skinheadkonzerte auf etwa 80; sie blieb seither
aber in etwa gleich.
2. wie sich die Landesregierung erklärt, dass Baden-Württemberg bundesweit zu den Hochburgen der rechtsextremistischen Musikszene zählt;
Zu 2.:
Die unter Ziffer 1 angesprochene Entwicklung auf Bundesebene belegt, dass
der Anstieg rechtsextremistischer Musikveranstaltungen weder ein landesspezifisches Phänomen ist, noch Baden-Württemberg als eine bundesweite
Hochburg bezeichnet werden kann. So lag die Teilnehmerzahl bei den Skinheadkonzerten im Jahr 2001 in der Regel bei durchschnittlich rund 130 Personen (Ausnahme: Rottenburg-Hailfingen mit rund 500 Teilnehmern). Dagegen beträgt die Teilnehmerzahl außerhalb Baden-Württembergs häufig das
Doppelte. Außerdem kam es in Baden-Württemberg im Gegensatz zu anderen Bundesländern nicht zu gewaltsamen Übergriffen bei Skinheadkonzerten
oder im Umfeld solcher Konzerte.
3. ob es zutrifft, dass in Baden-Württemberg bestimmte Regionen Hochburgen des Rechtsrock sind und welche Regionen davon betroffen sind;
Zu 3.:
Wie unter Ziffer 2 ausgeführt, ist es nicht sachgerecht, bestimmte Regionen
in Baden-Württemberg als Hochburgen des Rechtsrock zu bezeichnen. Allerdings fielen drei Regionen Baden-Württembergs im vergangenen Jahr durch
jeweils zwei Skinheadkonzerte auf:
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– Im Raum Villingen-Schwenningen fanden zwei Konzerte statt, für deren
Organisation Angehörige der örtlichen Skinheadszene, insbesondere die
Mitglieder der in dieser Region beheimateten Skinband „White Voice“,
verantwortlich waren.
– In Wehr/Landkreis Waldshut-Tiengen gab es mit der Gaststätte „Reißverschluss“ eine Lokalität, die sich für die Durchführung von Konzerten eignete.
– In Wolpertswende/ Landkreis Ravensburg stand das elterliche Privatgrundstück eines Szeneangehörigen zur Verfügung.
Nach einem Pächterwechsel im Lokal „Reißverschluss“ und durch polizeiliches Einwirken auf die Eltern des Skinheads in Wolpertswende werden
diese Örtlichkeiten der Skinheadszene nicht mehr zur Verfügung stehen.
Im Jahr 2002 wurden bislang keine Auffälligkeiten festgestellt.
4. ob ihr Aktivitäten der Rechtsrock-Band
• „Aufbruch“,
• „Aufruhr“,
• „Aufwind“,
• „Blutrausch“,
• „Blut und Ehre“,
• „Carpe Diem“,
• „Diktator“,
• „Endsieg“,
• „Foierstoss“,
• „German-British-Friendship“,
• „Hammer“,
• „Höllenhunde“,
• „Kampfgeist“,
• „KDF“,
• „Keltentum“,
• „Noie Werte“,
• „Nordwind“,
• „Odins Erben“,
• „Propaganda“,
• „Race War“,
• „Racheakt“,
• „Ragnaröck“,
• „Schutt und Asche“,
• „Siegnum“,
• „Sperrzone“,
• „White Voice“,
• „Thors Hammer“,
• „Tonstörung“
• „Triebtäter“,
• „Ultima Ratio“,
• „Volkszorn“,
• „Wolfsrudel“
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• und des Liedermachers Frank Rennecke
bekannt sind;
Zu 4.:
Zu folgenden Skinheadbands sind aktuelle Aktivitäten bekannt:
• „Aufbruch“,
• „Kampfgeist“,
• „Keltensturm“,
• „Noie Werte“,
• „Propaganda“,
• „Race War“,
• „Schutt & Asche“,
• „Siegnum“,
• „White Voice“ und
• „Ultima Ratio“.
Nur wenige dieser Bands treten regelmäßig und über Jahre hinweg in Erscheinung. Oft veröffentlichen sie höchstens einen Tonträger und treten nur
bei wenigen Konzerten auf. Die Fluktuation ist – wie in der Skinheadszene
üblich – sehr groß.
Nachfolgende, ehemals in Baden-Württemberg ansässige Bands haben sich –
zum Teil schon vor Jahren – aufgelöst:
• „Aufruhr“,
• „Aufwind“ (Projekt der Skinbands „Gegenwind“ aus Rheinland-Pfalz
und „Aufbruch“ aus dem Jahr 1997),
• „Blutrausch“,
• „Blut und Ehre“,
• „Carpe Diem“,
• „Foierstoß“,
• „Höllenhunde“,
• „Racheakt“,
• „Sperrzone“,
• „Thors Hammer“,
• „Tonstörung“,
• „Triebtäter“,
• „Wolfsrudel“.
Die Skinbands
• „Diktator“,
• „Endsieg“,
• „KdF“,
• „Nordwind“,
• „Odins Erben“,
• „Ragnaröck“ und
• „Volkszorn“
sind nicht oder nicht mehr in Baden-Württemberg ansässig.
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Eine Skinband „Hammer“ ist hier nicht bekannt.
„German-British-Friendship“ war ein Projekt von Mitgliedern der Skinband
„Noie Werte“ mit englischsprachigen Musikern und existiert jetzt noch als
Label für Produktionen von „Noie Werte“.
Wegen der Aktivitäten des rechtsextremistischen Liedermachers Frank Rennicke wird auf die seit Jahren kontinuierliche Darstellung in den Verfassungsschutzberichten hingewiesen (so z. B. : 1996: Seite 63, 64; 1997: Seite 53,
54; 1998: Seite 49, 50; 1999: Seite 39; 2000: Seite 40, 41).
5. in welchem Umfang die genannten Bands und Liedermacher personell und
strukturell Beziehungen zur rechtsextremistischen Szene haben und wie
diese geartet sind;
Zu 5.:
Die Mitglieder der in Baden-Württemberg ansässigen Skinbands gehören der
rechtsextremistischen Skinheadszene im Land an. Sie pflegen in der Regel
Kontakte zu Szeneangehörigen in anderen Bundesländern und im Ausland.
Vereinzelt bestehen persönliche Kontakte zu Mitgliedern rechtsextremistischer Parteien und Organisationen. Neben dem Liedermacher Frank Rennicke, der regelmäßig bei Veranstaltungen der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“ (NPD) im Rahmenprogramm auftritt, wurden in der Vergangenheit auch einzelne der o.g. Skinbands im Umfeld von NPD und ihrer
Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN) festgestellt.
6. wie es zu bewerten ist, dass die Band „Siegnum“ als Senkrechtstarter der
Rechtsrock-Musikszene gilt, aber im Verfassungsschutzbericht nicht erwähnt wird;
Zu 6.:
Die Band „Siegnum“ ist seit Februar 2002 mit einer eigenen Homepage im
Internet vertreten. Laut Selbstdarstellung beschlossen Ende 2000 drei Jugendliche, gemeinsam Musik zu machen. Auf Grund des Umstandes, dass ihnen jegliche Erfahrung fehlte, wechselte die Besetzung im ersten Jahr sehr
häufig. Die Band spielte lediglich auf kleineren Partys, vornehmlich im eigenen Proberaum. Bislang trat „Siegnum“ weder auf einem Skinheadkonzert
auf noch erschien ein Tonträger von ihr. Die Entwicklung der Band bleibt abzuwarten. Von einem „Senkrechtstarter“ kann derzeit nicht die Rede sein.
7. was gegen ein weiteres Anwachsen von Rechtsrock-Bands in Baden-Württemberg unternommen wird.
Zu 7.:
Die Beobachtung der rechtsextremistischen Musikszene in Baden-Württemberg gehört zu den Schwerpunktaufgaben des Landesamts für Verfassungsschutz (LfV). Hierzu zählt die Analyse aktueller Entwicklungen und Tendenzen und die frühzeitige Unterrichtung der entsprechenden staatlichen Stellen,
damit rechtzeitig geeignete Maßnahmen getroffen werden können. Dies gilt
insbesondere für die Verhinderung von Fortsetzungsaktivitäten der verbotenen Skinheadorganisation „Blood & Honour“.
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Daneben wird eine intensive Öffentlichkeitsarbeit betrieben. So wurde im
März 2001 eine überarbeitete Fassung der bereits Ende 1991 erstmals herausgegebenen Broschüre „Rechtsextremistische Skinheads“ vorgestellt, um insbesondere über die Wirkung der Skinheadmusik als Mittel der Ideologisierung aufzuklären. Diese in großer Auflagenhöhe erschienene Publikation
fand bei Eltern, Lehrern, Schülern und in der Presse großen Anklang und
wird weiter auf aktuellem Stand gehalten. Darüber hinaus informiert das
Innenministerium mit dem jährlich erscheinenden Verfassungsschutzbericht
über aktuelle Entwicklungen im Rechtsextremismus, wobei die Skinheadszene einen breiten Raum einnimmt.
Außerdem hat das LfV in den letzten beiden Jahren seine Aufklärungsarbeit
an Schulen erheblich intensiviert. Dabei sind neben den Eltern und Lehrern
die Schüler direkt Adressat dieser Veranstaltungen. Über in den Unterricht
eingebaute Vorträge hinaus beteiligte sich das LfV an Projekttagen, wobei die
Musik in der rechtsextremistischen Musikszene ein zentrales Thema ist.
Die Landesregierung hat in September bzw. Dezember 2000 ein Bündel von
präventiven und repressiven Maßnahmen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Fremdenfeindlichkeit in Baden-Württemberg beschlossen
(siehe hierzu auch Drucksache 12/5456). Hierzu zählt auch das Programm
„Ausstiegshilfen Rechtsextremismus“ der Landesregierung. Wesentliches
Ziel dieses Programms ist die Beendigung rechtsextremistischer Karrieren
sowie die Verhinderung des Abgleitens von Randpersonen und Sympathisanten in den rechtsextremistischen Bereich.
Dr. Schäuble
Innenminister
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