Das Bodenreform-Urteil des EGMR, ein juristischer Flop?

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Das Bodenreform-Urteil des EGMR, ein juristischer Flop?
Prof. Dr. Rolf Steding, Potsdam
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Das Bodenreform-Urteil des EGMR,
ein juristischer Flop?
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Die Pressemitteilung des
Kanzlers des
EGMR zu dem
besprochenen
Urteil lesen Sie
auf S. 377 ff.
diesen Heftes.
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ie Große Kammer des Europäischen
Gerichtshofes für Menschenrechte
(EGMR) hat am 30. 6. 2005 zur Abwicklung der Bodenreform in Ostdeutschland
gemäß Art. 233 §§ 11 bis 16 EGBGB
mehrheitlich ein Urteil gefällt, das nicht
nur politisch, sondern auch juristisch eine
denkbar fragwürdige und kaum mehr nachvollziehbare Entscheidung sein dürfte. Das
Gericht stellte dabei in seinem Urteil fest,
dass in der Entziehung des Eigentums an
Bodenreformgrundstücken durch den Fiskus
der Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf den Schutz des Eigentums zwar
eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu erkennen sei, dass dieser Eingriff jedoch dem
öffentlichen Interesse diene, um die ungerechten Auswirkungen des so genannten
Modrow-Gesetzes zu korrigieren.
Das Modrow-Gesetz vom 6. 3. 1990, das
auf eine Initiative der Regierung des vorletzten Ministerpräsidenten der DDR, Hans
Modrow, zurückgeht, hatte festgeschrieben, dass es sich bei der Übertragung des
Bodenreformlandes an die Neubauern zwischen 1945 und 1949 um vererbbares Volleigentum handele. Der Vorwurf der Großen
Kammer des EGMR indessen, die ModrowRegierung sei 1990 nicht demokratisch
legitimiert gewesen, greift nach Lothar de
Maizière, dem letzten DDR-Ministerpräsi-
M. Schlegel, Bodenloses Unrecht?, Das Urteil von Straßburg erzürnt die Erben der Neubauern – und erfreut den
Fiskus, Lothar de Maizière spricht von einem Fehlurteil,
PNN v. 1. 7. 2005, S. 4.
Vgl. insbes. H. Döring, Von der Bodenreform zu den
Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften – Erläuterung und Kommentierung des neuen Agrarrechts,
Berlin 1953.
Vgl. ganz besonders E. Röper, Die Bodenreformen in allen
vier Besatzungszonen, NJ 2005, S. 296.
Vgl. zur Gesamtproblematik K. Grabarse, Vermögensrechtliche Behandlung von Bodenreformland I/II, BuW 2001,
S. 864, sowie S. 903.
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denten, nicht; denn „schließlich habe seine,
die Maizère-Regierung, das Gesetz bestätigt und dafür gesorgt, dass das besagte
Gesetz in den Einigungsvertrag aufgenommen würde“ 1. In Anbetracht dieser Lage
und der Tatsache, dass die Bundesrepublik
Deutschland durch das Zweite Vermögensrechtsänderungsgesetz von 1992 den Einigungsvertrag teilweise dahingehend revidierte, dass eine bestimmte Kategorie Erben
von Bodenreformland ihr Eigentum an den
Fiskus der deutschen Bundesländer entschädigungslos abzutreten habe, ist die Entscheidung der Großen Kammer des EGMR
schon eine juristische Fata Morgana.
Zum historischen Hintergrund
des Bodenreform-Urteils
Die Bodenreform spielte in der Geschichte
der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und
der späteren DDR eine bedeutende Rolle.
Die Gesetzgebung zur Bodenreform bildete
nämlich das entscheidende Fundament der
Entwicklung einer strukturell neuen Landwirtschaft. 2 Dennoch war die Enteignung
von Boden auf besatzungsrechtlicher und
-hoheitlicher Grundlage kein Spezifikum
für Ostdeutschland; sie stand vielmehr auf
der besatzungspolitischen Agenda der Siegermächte in Deutschland, weshalb die Bodenreform in allen vier Besatzungszonen von
1945 bis 1949 ein Thema zur künftigen Ausschaltung des Einflusses der Junker und nazistischen Großgrundbesitzer auf Staatsangelegenheiten war. 3
Dennoch war die Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone mit einigen
grundsätzlichen juristischen Fragezeichen
behaftet. 4 Das durch die Enteignung großen
Privateigentums am Boden begründete kleine
Privateigentum verstand sich so z.B. nicht
als Eigentum im Sinne des § 903 BGB, da
den Bodeneigentümern in Ostdeutschland
nur das Besitz- und Nutzungsrecht, nicht jedoch das Verfügungsrecht zustand.
Die durch den Beitritt zur BRD vertraglich
vollzogene Selbstauflösung der DDR ließ,
wie das kaum anders zu erwarten war, das
Bodenreformeigentum in Ostdeutschland
zu einem Streitpunkt vor allem zwischen
den früheren und den neuen Eigentümern
werden. Der in einer gemeinsamen Erklärung der Regierungen der damaligen BRD
und der damaligen DDR vom 15. 6. 1990
vertretene und in den Einigungsvertrag übernommene Standpunkt, dass „die Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage (1945 bis 1949)
nicht mehr rückgängig zu machen sind“ 5,
hat zwar Klarheit im Hinblick auf die Eigentumsverhältnisse an den Bodenreformgrundstücken geschaffen. 6 Er vermochte
indessen nicht zu verhindern, dass die erklärte und vertraglich vereinbarte Irreversibilität der Enteignungen in der Sowjetischen
Besatzungszone immer wieder angezweifelt
und angegriffen wurde. 7
zu erwarten war – unmittelbar nach deren
Verkündung ein. 9
Ohne eine Rechtsgüterabwägung überhaupt
ins Auge zu fassen, die der deutsche Einigungsprozess in vielerlei Hinsicht bitter
nötig gehabt hätte, haben Vertreter verschiedener Coleur alle Kraft aufgewandt, um
eine Korrektur der BVerfG-Entscheidung
bzw. eine mögliche Restitution oder eine
hohe Entschädigung herauszuholen.10 Indessen blieb der Kernsatz des Urteils des
BVerfG: „Die Enteignungen im Gebiet der
Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands
können, unabhängig davon, ob sie unmittelbar von der sowjetischen Besatzungsmacht veranlasst wurden oder ob den von
dieser Besatzungsmacht eingesetzten deutschen Stellen insoweit ein eigener Spielraum
zustand, nicht dem Verantwortungsbereich
der dem Grundgesetz verpflichteten Staatsgewalt der Bundesrepublik Deutschland
zugerechnet werden.“
Die Bodenreform im Spiegel der
Rechtsprechung des BVerfG
Eine grundlegende verfassungsrechtliche
Prüfung der Legitimation der Bodenreform
erfolgte durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 23. 4. 1991 8.
Mit dem Mandat von 1.500 ehemaligen
Gutsbesitzern, die durch die Bodenreform
enteignet worden waren und ihren Grund
und Boden wiederzuerlangen trachteten,
hatten sich 12 Beschwerdeführer an das
BVerfG gewandt, um die Übereinstimmung
der Regelung des Einigungsvertrages zur
Bodenreform mit dem Grundgesetz prüfen
zu lassen und gegebenenfalls einen Rückgabeanspruch durchzusetzen. Daraufhin
entschied das BVerfG, dass die Bodenreform
endgültig bleibende Eigentumsverhältnisse
schuf und dass die Bauern, denen Bodenreformland zugewiesen worden war, dessen
Eigentümer geworden waren. Eine Pflicht,
dieses Eigentum den von der Enteignung
im Rahmen der Bodenreform Betroffenen
wieder zurückzugeben, bestehe nach dem
Grundgesetz nicht. Schließlich hatten die
Betroffenen zum Zeitpunkt der deutschen
Vereinigung ihr Eigentum ohnehin längst
und endgültig verloren.
Das Bemühen, die Entscheidung des BVerfG
auszuhebeln, setzte allerdings – wie schon
Gesetzliche Kategorisierung
der Bodenreformeigentümer
und ihre Folge
Der deutsche Gesetzgeber hat einige Zeit
nach der Wiedervereinigung ebenso wie
eine Reihe von Bodeninteressenten darüber nachgedacht, wie auch er die in der Bodenreformfrage bereits ohnehin vorhanden
gewesene Unruhe noch weiter anschüren
kann. Ein Ergebnis dieses Nachdenkens reflektierte sich im Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetz, das vom Deutschen Bundestag am 14. 7. 1992 verabschiedet wurde.
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Gemeinsame Erklärung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zur
Regelung offener Vermögensfragen vom 15. 6. 1990,
Einigungsvertrag, Anl. III, BGBl. II 1990, S. 1237.
Vgl. dazu B. Schildt, Bodenreform und deutsche Einheit, DtZ 1992, S. 97.
Vgl. z. B. H. Krüger, Die Rechtsnatur des so genannten
Siedlungseigentums der Neubauern der kommunistischen Bodenreform in der ehemaligen SBZ/DDR, DtZ
1991, S. 385.
BVerfG, Urteil vom 23. 4. 1991 – 1 BvR 1170/90 u. a..
R. Steding, Bodenreform-Urteil des BVerfG ohne
Nachspiel?, WR 1991, S. 358.
Vgl. z. B. H. Maurer, Die Eigentumsregelung im Einigungsvertrag, JZ 1992, S. 138; auch dazu: M. Andrae/
R.Steding, Das Bodenreform-Urteil des BVerfG und
der Versuch seiner Demontage, WR 1992, S. 135.
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Danach wurden Erben von Bodenreformgrundstücken zu deren entschädigungsloser
Abtretung an den Fiskus ihres jeweiligen
Bundeslandes verpflichtet und zwar dann,
wenn sie zum 15. 3. 1990 oder in den letzten zehn Jahren davor nicht in der Land-,
Forst- oder Nahrungsmittelwirtschaft tätig
waren bzw. in der DDR keiner LPG angehört hatten. Damit wurden viele Erben quasi
aus dem Grundbuch herausgeklagt.
Der daraufhin von Bodenreform-Erben in
mehreren ostdeutschen Ländern aufgekommene Protest mündete schließlich in
der Bildung von Vereinen zur Durchsetzung der Vererbbarkeit von Bodenreformland und in Interventionen beim EGMR.
Am 22. 1. 2004 entschied dessen Kleine
Kammer, dass die nunmehrige Enteignung
der so genannten Neubauern-Erben nicht
rechtens sei und die Bundesregierung daher
die Entscheidung in Verbindung mit dem
Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetz
zu korrigieren habe. Die Bundesregierung
indessen legte dagegen Rechtsmittel ein,
woraufhin die Angelegenheit an die Große
Kammer des EGMR verwiesen wurde. Auf
diesem Wege kam es zur letztinstanzlichen
Entscheidung des EGMR über die entschädigungslose Enteignung von Bodenreformland.
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Die EGMR-Entscheidung von 2005
und ihr Dilemma
Das Urteil des Straßburger EGMR ist ein
Judikat, mit dem sich die 17 Richter der
Großen Kammer sehr schwer getan haben.
Der Gerichtshof entschied mit elf gegen
sechs Stimmen, dass keine Verletzung der
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Eigentumsklausel der EMRK und mit fünfzehn gegen zwei Stimmen, dass keine Verletzung der Diskriminierungsklausel der EMRK
vorliegt. Dass dabei auch der deutsche Richter Georg Ress abweichend votierte, dürfte
ein Fingerzeig auf die Fragwürdigkeit der
Entscheidung aus deutscher Rechtsperspektive sein. Die eigentliche Malaise ist jedoch
das der Entscheidung zugrunde liegende
Eigentumsverständnis, das vor allem insofern geradezu peinlich ist, als es dem fragwürdig gewesenen Bodenreform-Eigentumsbegriff der DDR entspricht und sich dann
sogar noch auf die Vermeidung der ungerechten Auswirkungen des angeblich demokratisch nicht legitimierten Modrow-Gesetzes stützt. Insofern kann man wohl davon
ausgehen, dass es sich bei dem Straßburger
Urteil um eine eklatante Fehlentscheidung,
einen juristischen Flop handelt.
Das Urteil vom 30. 6. 2005 ist gemäß Art. 44
Abs. 1 EMRK endgültig. Die rechtlichen
Möglichkeiten weiterer Klagen dürften ausgeschöpft sein. Nicht ausschließbar ist vielleicht noch eine Sammelklage in den USA;
sie ist aber kaum vorstellbar. Die Folgen für
die Bodenreform-Erben sind hingegen schwer
hinnehmbar, wenn man zudem bedenkt,
dass auch von Straßburg aus im Hinblick auf
Deutschland Recht mit zweierlei Ellen gemessen wird und dass selbst das Eigentumsverständnis des DDR-Rechts wieder eine
Renaissance erlebt. Es ist überdies auch
nicht auszuschließen, dass nunmehr bestimmte Kräfte versuchen werden, eine Anwendung der Prinzipien des Urteils auch
auf ähnliche Verhältnisse z. B. in Polen oder
Tschechien zu erreichen.

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