Technologietrends, zukünftige Herausforderungen und

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Technologietrends, zukünftige Herausforderungen und
Gesundheitswesen . Michael Nusser
Technologietrends, zukünftige
Herausforderungen und Qualifizierungsbedarf in der Gesundheitswirtschaft
Die Gesundheitswirtschaft steht zukünftig vor großen Herausforderungen
wie z. B. neue Technologietrends, Innovationsnetzwerke, Kundenorientierung,
Internationalisierung von Wissen und Märkten oder Fachkräftemangel. Bei den
Aus- und Weiterbildungsangeboten in den Gesundheitsberufen müssen in der
Breite viele strategische Weichen für den Erfolg von morgen neu gestellt werden,
um existierende Wettbewerbsvorteile beim Standortfaktor „Qualifiziertes
Personal“ mittel- bis langfristig zu sichern.
1. einleitung und Methodik
Der Gesundheitswirtschaft (u. a. Pharma- und Medizintechnikindustrie, gesundheitsbezogene Dienstleistungen im ersten und zweiten Gesundheitsmarkt) in Deutschland stehen künftig große Veränderungen und damit neue
Herausforderungen bevor. Vor allem neue Technologietrends bei der Wissensbasis, die zunehmende Bedeutung
von Innovationsnetzwerken, die Internationalisierung von
(technologischem) Wissen und Absatzmärkten, ein stark
zunehmendes Gesundheitsbewusstsein in Teilen der Bevölkerung, eine stärkere Kundenorientierung sowie zukünftige Engpässe beim qualifizierten Personal („Fachkräftemangel“) sind hier zu nennen (vgl. [1], Kap. IV).
Diese Veränderungen wirken sich u. a. auf die erforderlichen Qualifikationen in den unterschiedlichen Gesundheitsberufen (z. B. Ärzte/Ärztinnen, Krankenschwestern,
Arzthelferinnen, Apotheken- und Pflegedienstpersonal)
aus. Denn technologisches Wissen, die erfolgreiche Zusammenarbeit in Netzwerken sowie die Kenntnisse über
nationale und internationale Märkte und Kundensegmente
(u. a. Patienten und Versicherte) sind oftmals zu großen
Teilen an Mitarbeiter und Organisationsstrukturen gebunden. Zur Generierung und Umsetzung von technologischem Wissen bzw. Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten (F&E) und Marktkenntnissen in international
wettbewerbsfähige Produktionsprozesse, Produkte und
Dienstleistungen müssen daher ausreichend hoch qualifizierte Arbeitskräfte mit passfähigen Qualifikationsprofilen
verfügbar sein.
Derzeit kann im Bereich der Gesundheitswirtschaft
die Verfügbarkeit und Qualität von (hoch) qualifiziertem
Personal in Deutschland im internationalen Vergleich als
Standortvorteil angesehen werden ([1], Kap. IV.4.1.2). Vor
allem aufgrund der neuen Technologietrends und zukünftigen Herausforderungen können aber mittel- bis langfristig
zunehmend Qualifizierungslücken entstehen. Ein zuneh-
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mender Fachkräftemangel könnte z. B. dazu führen, dass
der Einsatz neuer (Produkt- und Prozess-)Technologien
behindert wird oder F&E-Erkenntnisse von Wirtschaftsakteuren aus dem Ausland schneller genutzt und in international wettbewerbsfähige Produktionsprozesse, Produkte
und Dienstleistungen umgewandelt werden. Innovationsund Beschäftigungspotenziale in Deutschland bleiben
dann ungenutzt.
Viele Experten sehen daher für die Gesundheitswirtschaft Handlungsbedarf im Bereich der Bildung und Qualifikation. Zum Teil werden erhebliche Optimierungspotenziale in folgenden Aus- und Weiterbildungsbereichen
gesehen:
• Interdisziplinarität und Technologieschwerpunkte der
Bildungsangebote,
• Internationalisierung,
• Netzwerk-Management und Sozialkompetenz,
• Patienten- und Versichertenorientierung, sowie der
• Mobilisierung von qualifizierten Fachkräften für die
Gesundheitssektoren.
Die nachfolgenden Ergebnisse basieren, sofern nicht
andere Quellen genannt werden, auf der Studie „Forschungs- und wissensintensive Branchen: Optionen zur
Stärkung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit“[1],
die vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) im Auftrag des Deutschen Bundestages
durchgeführt wurde. In dieser Studie wurden u. a. die für
die Gesundheitswirtschaft (insb. für die Pharmaindustrie)
zukünftigen Technologietrends und Herausforderungen
sowie der künftig benötigte Qualifizierungsbedarf untersucht (insb. [1], Kap. IV). Hierzu wurden eine schriftliche Befragung von 77 Pharma- und Gesundheitsakteuren
aus Industrie und Wissenschaft sowie Experteninterviews
durchgeführt. Die Ausführungen zur Medizintechnik basieren auf Literaturauswertungen (u. a. [2]).
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2. herausforderung neue technologietrends und
Qualifizierungslücken hinsichtlich interdisziplinarität
und Bildungsinhalten
ser, Photonik, Informations-, Kommunikations- und Produktionstechniken sowie Bio-, Zell- und Gentechnologie.
Folgende Forschungsgebiete sind dabei von großer Bedeutung: (implantierbare) Mikrosysteme (mit Sensor- und
Für die Gesundheitswirtschaft sind eine hohe wissenAktorfunktionen, telemetrisch, „Neural Engineering“), Inschaftliche und technologische Dynamik sowie eine zuvitro-Diagnostik (insb. DNA- und Protein-Chips, „Labor
nehmende Anzahl relevanter Schlüsseltechnologien und
auf dem Chip“, Mikrofluidik, „Point-of-Care“-Diagnostik,
Fachdisziplinen zu beobachten. Da viele Innovationen zuZelldiagnostik), Mikrosysteme für die Medikamentenkünftig in Überlappungsbereichen von unterschiedlichen
verabreichung (Mikrodosierer, Mikroinjektion, MikroTechnologien und Disziplinen (z. B. Nano-Bio-Neurozerstäuber), bildgebende Verfahren (insb. biomolekulare,
IuK) stattfinden ([1], Kap. IV.3.1.2; [2]), ist eine stärker
funktionelle und optische Bildgebung, 4D-Bildgebung,
als bislang interdisziplinär ausgerichtete TechnologieentMarker und „Probes“), minimalinvasive Chirurgie und
wicklung künftig immer wichtiger für die Innovationskraft
Eingriffe in den Körper (insb. bildgeführt, stereotaktisch,
der gesundheitsbezogenen Industrie- und Dienstleistungskatheterbasiert, endoskopisch), computerunterstützte Diagnose, Therapieplanung und Therapiebegleitung, Regenesektoren.
rative Medizin (z. B. Zell- und Gewebezüchtung) sowie
Die Pharma- und Medizintechnikindustrie z. B. umAnwendungen und Dienstleistungen auf Basis von Inforfassen viele Schlüsseltechnologien. Die Entwicklungen in
mations- und Kommunikationstechniken (u. a. e-Health,
der Medizintechnik sind u. a. von einer zunehmenden MiVernetzung, Telemedizin).
niaturisierung, Computerisierung und Molekularisierung
In der Pharmaindustrie erwarten die Akteure den größgekennzeichnet.[2] Die Beherrschung folgender Technologien ist dabei von hoher Relevanz: Mikrosystemtechnik
ten Bedeutungszuwachs für die Verknüpfung und Integration von Technologien (Abb. 1). Eine deutliche Bedeuund -elektronik, Neue Materialien und biofunktionelle
tungssteigerung zeichnet sich für Bildgebende Verfahren,
Werkstoffe, Nanotechnologie, Optische Technologien, LaBioinformatik, Immunologie, Pharmakogenetik/-genomik
ab, für viele andere Forschungs- und Technologiebereiche wird eine (leicht) steigende Bedeutung erwartet. Eine
Ausnahme bilden die Bereiche der klassischen und kombinatorischen Chemie, deren aktuell hohe Bedeutung in
Zukunft abnehmen wird.
Bedeutungsverschiebungen in der Technologielandschaft können Auswirkungen auf die Wettbewerbsposition der deutschen Gesundheitswirtschaft haben, wenn
Deutschland bei wichtigen Forschungs- und Technologiebereichen komparative Vor- oder Nachteile besitzt, weil
z. B. öffentliche F&E-Einrichtungen oder Bildungsinstitutionen (u. a. Universitäten und Fachhochschulen) diese Technologietrends frühzeitig oder aber unzureichend
bzw. zu spät in ihre Aus- und Weiterbildungsprogramme
aufnehmen. Die Gesundheitsakteure wurden deshalb zur
aktuellen Wettbewerbsposition Deutschlands in den verschiedenen Technologie- und Forschungsbereichen befragt. Die Ergebnisse zeichnen folgendes Bild (Abb. 2):
Deutschlands Position ist in vielen Forschungs- und Technologiebereichen im Vergleich zu den wichtigsten Konkurrenzländern überdurchschnittlich. Am stärksten ist der
Standort Deutschland in den Bereichen Verfahrens-/Anlagentechnik, Messtechnik/Diagnostik/Analytik, klassische Chemie und Bildgebende Verfahren. Leichte Schwächen zeigen sich hingegen bei Data-Mining, Genomik,
Metabolomik, Toxikologie und transgenen Tiermodellen.
Vergleicht man das Stärkenprofil Deutschlands mit
den Forschungs-/Technologiebereichen, so sind vereinzelt
„strategische Lücken“ zu erkennen. Die Akteure sehen
z. B. für Deutschland Stärken in den Chemiebereichen
und der Verfahrens-/Anlagentechnik. Den BedeutungszuAbbildung 1 Pharmaindustrie − Zukünftiger Bedeutungszuwachs von Forschungs-/ Tech-wachs für diese Gebiete schätzen sie allerdings gering ein.
Abbildung
1
nologiebereichen
bis 2015-2020. (Quelle: [1], Kap. IV.3.1.2)
Andererseits erwarten die Akteure für die Integration von
Pharmaindustrie – Zukünftiger Bedeutungszuwachs von Forschungs-/TechnoTechnologien oder die Bereiche Data Mining, Metabologiebereichen bis 2015-2020. (Quelle: [1], Kap. IV.3.1.2)
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lomik, Pharmakogenetik/-genomik oder Toxikologie eine
(zum Teil stark) steigende Bedeutung. Deutschlands Position bewerten sie aber schwächer als in anderen Bereichen.
Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass Deutschland auch
auf diesen Gebieten im internationalen Vergleich zu den
wichtigsten Konkurrenzländern meist immer noch (leichte) Vorteile besitzt; diese so Expertenmeinungen „sind jedoch nicht in Zement gegossen“.
Zudem sind nachhaltige Strukturverschiebungen bis
zum Jahr 2015 hinsichtlich der Bedeutung verschiedener
Krankheitsklassen zu erkennen ([3]; [1], Kap. IV.5.1.2):
Neubildungen/Krebs z. B. weist seit 1995 eine sehr hohe
Dynamik auf und ist aktuell das wichtigste Forschungsgebiet der Pharmaunternehmen (Anteil 2004/05: Präklinik knapp 24 %, klinische Phasen I-III ca. 19 %). Weitere künftig wichtige Krankheitsklassen, in denen bereits
intensiv geforscht wird, sind die Bereiche Nervensystem/
psychische und Verhaltensstörungen, infektiöse und parasitäre Krankheiten, endokrine und Stoffwechselerkrankungen/Verdauungssystem, Muskel-Skelett-System/Bindegewebe und Herz-Kreislauf-System. Die Ergebnisse der
schriftlichen Befragung deuten auf einige „strategische
Lücken“ aufgrund von Pfadabhängigkeiten oder „Lock
in“-Effekten hin: Vergleicht man aktuelle Bewertungen
mit den Bewertungen für 2015, so fällt auf, dass die Befragten bei Krankheitsbildern wie z. B. infektiöse und
parasitäre Krankheiten sowie bei psychischen und Verhaltensstörungen derzeit noch nicht in größerem Umfang aktiv sind, obwohl sie diesen Gebieten zukünftig eine (sehr)
hohe Bedeutung beimessen.[3]
Des Weiteren wird neben der Therapie- und Wirkstoffforschung vor allem die Präventions- und Diagnostikforschung künftig stark an Bedeutung hinzugewinnen.[3]
lität in der Breite (z. B. technisches Fachpersonal für die
Produktion). So sollte z. B. in der akademischen Ausbildung von Ärzten die Medizintechnik stärker als bislang
betont werden, um so das Verständnis der Ärzte für die
Funktionsweise, Chancen und Risiken bzw. Grenzen von
Medizintechnikinnovationen zu verbessern.
Zudem sollten z. B. techniknahe Bildungsinstitutionen
gezielt wichtige betriebswirtschaftliche Inhalte (u. a. neue
Finanzierungsmodelle und Risikomanagementinstrumente
bei kapitalintensiven Multitechnologie-Produktionsprozessen, Management von jungen Hightech-Unternehmen)
sowie „Soft Skills“ (z. B. Befähigung zu interdisziplinärer
Teamfähigkeit, Kommunikationskompetenz) vermehrt mit
in die Lehrpläne aufnehmen.
Neben Bildungs- bzw. Lehrinhalten sind auch Strukturen der Bildungsinstitutionen anzupassen (z. B. Aufbau interdisziplinärer F&E-Netzwerke an Fachhochschulen und
Universitäten). Zur Stärkung von Interdisziplinarität und
Vernetzung sollten Anreizsysteme geschaffen werden, die
interdisziplinäre und akteursübergreifende F&E belohnen.
Hierbei könnten u. a. „konzertierte und zeitlich begrenzte
Aktionen“ dazu dienen, um disziplinenübergreifend Perspektiven themenspezifischer Kooperationen zu entwickeln
(z. B. für einzelne Indikationsgebiete).
Im Kontext Interdisziplinarität (sowie in den nachfol-
bildgebende Verfahren
Biochemie
Bioinformatik
Data Mining
Qualifizierungsbedarf
Genomik
Diese Strukturverschiebungen in den Forschungs- und
Technologiebereichen sowie bei den Krankheitsklassen
müssen laut Expertenmeinungen künftig in den Aus- und
Weiterbildungsangeboten der Gesundheitsberufe stärker
berücksichtigt werden als dies bislang der Fall ist. Dies
erfordert künftig Anpassungen sowohl bei den Bildungsinhalten als auch bei den institutionellen Strukturen. Ansonsten können künftig Qualifizierungslücken entstehen,
wenn Bildungsinstitutionen (z. B. Universitäten und Fachhochschulen) und/oder öffentliche F&E-Einrichtungen
unzureichend (d. h. nicht oder zu spät) diese neuen technologie- und/oder krankheitsklassenspezifischen Trends
in ihre F&E-Aktivitäten und Bildungsinhalte aufnehmen.
Dies erfordert eine Fein-Justierung der Bildungsinhalte, in
dem z. B. bei den Bildungsangeboten verstärkt die zukünftig wichtigen Technologie- und Forschungsbereiche sowie
Krankheitsklassen berücksichtigt werden.
Auf übergeordneter Ebene zeigt sich, dass Deutschland zukünftig mehr interdisziplinäre Tertiärausbildung im
Bereich der Spitzen- bzw. Zukunftstechnologien benötigt
(z. B. hinsichtlich der Schnittstellen zwischen Bio-, Nano-,
IuK- und Produktionstechnologien), aber auch mehr Qua-
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Hochdurchsatztechnologien
(HTS, UHTS)
Immunologie
„klassische“ Chemie
kombinatorische Chemie
Messtechnik/Diagnostik/Analytik
Metabolomik
„molecular design“
Pharmakogenetik/-genomik
Pharmakologie
Proteomik
Toxikologie
transgene Tiermodelle
Verfahrenstechnik/Anlagentechnik
Verknüpfung/Integration der
Technologien
sehr
ungünstig
Abbildung 2
ungünstig
durchschnittlich
günstig
sehr
günstig
Position Deutschlands in Forschungs-/Technologiebereichen im Vergleich zu
Abbildung 2 den wichtigsten Konkurrenzländern. (Quelle: [1], Kap. IV.3.1.2)
Position Deutschlands in Forschungs-/Technologiebereichen im Vergleich zu
den wichtigsten Konkurrenzländern. (Quelle: [1], Kap. IV.3.1.2)
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genden Abschnitten 3 bis 5) stellt sich stets die Frage, wie
Aus- und Weiterbildungsangebote und Qualifikationen
in den Gesundheitsberufen technologie- und krankheitsklassenspezifisch optimal ausgerichtet werden können?
Die Akzeptanz von Abschlüssen auf allen Bildungsebenen kann erhöht werden, wenn sich Ausbildungsinhalte
(z. B. Studienfächer/-inhalte) stärker an künftigen Bedarfsstrukturen potenzieller Arbeitgeber ausrichten. Bildungsinstitutionen und Arbeitgeber(gruppen) aus Wirtschaft,
Wissenschaft und Öffentlichem Dienst sollten sich daher
im Bereich der Gesundheitswirtschaft zukünftig in einem
auf Langfristigkeit ausgerichteten kontinuierlichen Prozess früher und intensiver darüber abstimmen, welches die
zukünftigen Qualifikationsbedarfe in den Gesundheitsberufen sein könnten. Diese Prozesse dürfen nicht nur industriegetrieben sein, sondern anzustreben ist ein institutionalisierter Diskurs aller Beteiligten auf Basis von Prognosen
bzw. Foresight-Prozessen zum Qualifikationsbedarf sowie
Soll/Ist-Abweichungsanalysen zwischen künftigem Qualifikationsbedarf und künftigem Arbeitsangebot. Anzustreben sind langfristige Partnerschaften zwischen Bildungsinstitutionen, Wissenschaft, Industrie und öffentlichem
Dienst (z. B. gemeinsame F&E-Projekte, Dissertationen,
Diplomarbeiten sowie Experten aus der Wirtschaft als Dozenten, Betreuer von Diplomarbeiten/Praktika, Vortragende bei Exkursionen).
3. herausforderung innovationsnetzwerke
und Qualifizierungslücken hinsichtlich
netzwerk-Management und sozialkompetenz
Viele Studien belegen die positive Wirkung von Netzwerken und Clustern auf den Unternehmenserfolg bzw.
die Überlebensfähigkeit vor allem technologieorientierter
Unternehmen ([1], Kap. IV.6.1). Das Management von interdisziplinär ausgerichteten akteursübergreifenden Innovationsnetzwerken wird daher für alle Gesundheitsakteure
zukünftig zu einem der zentralen strategischen Erfolgsfaktoren: z. B. um über einen effizienten Wissens- und Technologietransfer schnell international wettbewerbsfähige
Prozesse, Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln
und so eine nachhaltige Innovationsfähigkeit sicherzustellen. Die Ursachen für die zunehmende Bedeutung von Innovationsnetzwerken in der Gesundheitswirtschaft lassen
sich wie folgt zusammenfassen:
i) Da Innovationen in den Gesundheitssektoren verstärkt
in Überlappungsbereichen von Technologien stattfinden
werden (vgl. Abschnitt 2), sind künftig immer mehr strategische interdisziplinäre Kooperationen zwischen Universitätskliniken, Ärzten, Krankenhäusern, Krankenversicherungen, Pflege- und Rehabilitations-Institutionen sowie
Pharma-, Biotechnologie-, Medizintechnik-Unternehmen
die Folge. Der Wissens- und Technologietransfer erfolgt
dabei von Einrichtungen der Wissenschaft in die Wirtschaft ebenso wie der rekursive Transfer von Erkenntnissen und Problemstellungen der Wirtschaft (u. a. Hersteller)
und Versorgungsakteure in die Wissenschaft. Innerhalb
dieser interdisziplinär ausgerichteten Innovationsnetz-
werke (u. a. „Ballung“ einer Vielzahl von Wissenschaftsund Industrieakteuren in regionalen Gesundheitsclustern)
werden integrierte, kosteneffiziente Versorgungskonzepte
mit optimierten Behandlungspfaden bzw. strukturierten
Behandlungsprogrammen entwickelt, bei denen Patienten und Versicherte gemeinsam mit Gesundheitsakteuren
(z. B. Ärzten, Pflegediensten) individuelle Therapieziele
festlegen und aktiv an der Umsetzung mitwirken. Dadurch
verringern sich künftig u. a. Schnittstellenprobleme zwischen ambulanter und stationärer Versorgung, wodurch
Kosten eingespart werden.
Vor allem die Nähe zur Wissensbasis in der Gesundheitswirtschaft (u. a. in der Pharmaindustrie) gewinnt
weiter an Bedeutung. Das Ausmaß und die Effizienz des
Wissens- und Technologietransfers hängen sowohl von
exzellenten F&E-Ergebnissen und der Transferbereitschaft und -fähigkeit öffentlicher F&E-Einrichtungen
(z. B. Max Planck- und Fraunhofer-Institute) ab als auch
von der Bereitschaft und Fähigkeit der Gesundheitsakteure aus der Wirtschaft und Versorgung, dieses externe Wissen von öffentlichen F&E-Einrichtungen zu integrieren
(„technologische Absorptionsfähigkeit“). Dies erfordert
u. a. eine systematische akteursübergreifende Informationsbeschaffung über neue Technologien, Prozesse, Produkte und Dienstleistungen sowie fundierte Kenntnisse
über nationale und internationale Märkte. Dies erfordert
möglichst permanente Interaktionsprozesse mit nationalen
und internationalen Wissenschafts-, Industrie- und Versorgungsakteuren. Dadurch ergeben sich viele neue Schnittstellen zu externen Partnern.
Hierbei ist zu beachten, dass F&E-aktive Gesundheitsakteure neben möglichst permanenten Interaktionsprozessen mit externen Partnern auch künftig weiterhin ein
ausreichendes Niveau an kontinuierlichen internen F&EAktivitäten sowie technologische Inhouse-Kompetenzen
und F&E-Prozesswissen (wie z. B. die effiziente Steuerung
von Innovationsprojekten) benötigen, um Wissen, das außerhalb der eigenen Unternehmensgrenzen generiert wird,
aufnehmen und verarbeiten bzw. für die eigenen spezifischen Zwecke weiterentwickeln zu können. Dies erfordert
intern eine Innovationskultur mit geeigneten innovationsorientierten Organisations- und Anreizstrukturen.
ii) In der Gesundheitswirtschaft ändern sich die erforderlichen Kompetenzen entlang der Wertschöpfungsstufen (Forschung, Entwicklung, Produktion, Marketing&Vertrieb).
Das hierfür erforderliche Wissen kann in der Regel nicht
mehr von einzelnen F&E-Einrichtungen oder Unternehmen
(insb. von Pharma-KMU oder Biotech-KMU) vorgehalten
bzw. kurzfristig bei Bedarf intern aufgebaut werden, sondern ist über viele Wissenschafts- und Industrieakteure verteilt und muss zusammengeführt und organisiert werden.
iii) Neben weiteren Fusionen von Pharmaunternehmen
werden zukünftige Fusionswellen auch die Generika-Anbieter erfassen. Auch Fusionen von Leistungserbringern
(u. a. Krankenhausketten, Versorgungszentren) und Leistungsträgern (u. a. Fusionen von Krankenkassen) werden
zunehmen. Viele Pharma- und Medizintechnikunternehmen werden sich im Zuge dieser Fusionen voraussichtlich
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von reinen Lieferanten von Gesundheitsgütern zu größeren patienten- und serviceorientierten integrierten Gesundheitskonzernen entwickeln mit Produkt-, Dienstleistungs- und Serviceangeboten (z. B. im Präventions- und
Diagnostikbereich). Die Zahl dezentraler Organisationseinheiten (z. B. krankheitsklassenspezifische oder technologiespezifische Profit Center) wird dabei voraussichtlich
ansteigen und damit die Anzahl konzerninterner Schnittstellen. Dies erfordert stärker als bislang das Management
dezentraler interner Netzwerke.
iV) Derzeit sind die F&E-Aktivitäten der Hochschulen
und außeruniversitären F&E-Institute in der Gesundheitswirtschaft über sehr viele verschiedene Standorte bzw.
Institute und medizinische Schwerpunktthemen verteilt.
Redundante F&E-Aktivitäten sind derzeit noch die Folge. Für die Zukunft ist zu erwarten, dass Einzelaktivitäten vermehrt koordiniert und abgestimmt werden und der
Ausbau institutsübergreifender Strukturen (bereits zum
Teil im Gange) sowie themenbezogener Untergruppen
(z. B. „Personalised E-Health“, In-Vitro-Diagnostik, OP
der Zukunft) vorangetrieben wird. Die Zahl organisatorischer Schnittstellen innerhalb dieser Netzwerke wird im
Zuge dieser Entwicklungen zunehmen.
Qualifizierungsbedarf
Der Erfolg bzw. Misserfolg von Netzwerken und Clustern ist sehr oft an die „Befähigung“ der jeweils integrierten Mitarbeiter gekoppelt. Um sowohl die Neigung bzw.
Bereitschaft zu Kooperationen als auch die Befähigung zu
erfolgreichen Kooperationen innerhalb von Netzwerken
und Clustern zu stärken, müssen laut Expertenmeinungen
Mitarbeiter in der Gesundheitswirtschaft frühzeitig adäquat aus- und weitergebildet werden. Neben gezielten betriebswirtschaftlichen Inhalten (u. a. Inhalte zu Chancen/
Nutzen, Gefahren und Erfolgsfaktoren von Netzwerken
sowie effizientes Netzwerkmanagement, akteursübergreifendes Projektmanagement, Evaluierung bzw. quantitative
Messung und Kontrolle von Netzwerkerfolgen) müssen
vor allem „Soft Skills“ (z. B. Kommunikationskompetenz,
Sozialkompetenz, Konsensbildungsmechanismen, interkulturelles Teamplaying, Sprachenkompetenz) ausreichend in Aus- und Weiterbildungsangeboten berücksichtigt und stärker als bislang gefördert werden.
4. herausforderung Globalisierung von wissen
und Absatzmärkten und Qualifizierungslücken
hinsichtlich internationalisierung
Hinsichtlich der technologischen Wissensbasis sind Gesundheitsakteure (insb. die F&E-aktiven Pharma- und Medizintechnikunternehmen) auf neueste Erkenntnisse und
Impulse sowie komplementäres Wissen und Ressourcen
aus der Wissenschaft und von anderen Industrieakteuren
angewiesen. Dieses Wissen wird in zunehmendem Maße
international generiert. Insbesondere im Bereich Pharmazie/Biotechnologie ist die internationale Vernetzung am
weitesten fortgeschritten. Nationale F&E-Akteure aus
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Wissenschaft und Industrie besitzen daher oft eine „Antennenfunktion“ (z. B. Forschungsstandorte oder F&ENetzwerke im Ausland): Sie absorbieren neues Wissen aus
dem Ausland und geben es an nationale Unternehmen bzw.
ihre F&E-Abteilungen im Inland weiter. Dies ist vor allem
für inländische KMU bedeutend, die häufig nicht über die
finanziellen, personellen und zeitlichen Ressourcen verfügen, eigene F&E-Aktivitäten im Ausland aufzubauen.
Im Produktionsbereich sind ebenfalls starke Internationalisierungstendenzen zu erkennen: Nur komplexe F&Eund Produktionsprozesse (z. B. auf Basis von Biotechnologie-Know how) verbleiben künftig in Deutschland,
wohingegen standardisierte Produktionsprozesse immer
öfter an kostengünstigere Standorte verlagert werden.
Auch bei den Absatzmärkten ist eine zunehmende Globalisierung zu erkennen. Global miteinander verflochtene
Absatzmärkte bieten künftig enorme Potenziale. Vor allem
der wachsende Wohlstand in neuen aufstrebenden Ländern
(z. B. die schnell wachsenden BRIC-Märkte Brasilien,
Russland, Indien, China) tragen immer stärker zum weltwirtschaftlichen Wachstum in der Gesundheitswirtschaft
bei (u. a. in Generika-Marktsegmenten). Dieser Trend wird
sich auch in Zukunft fortsetzen. In diesen neuen attraktiven Absatzmärkten, so Expertenmeinungen, wird zunächst
vor allem das Generika-Marktvolumen stark anwachsen,
um so zu „geringen Kosten einer breiten Masse der Bevölkerung den Zugang zu Arzneimitteln zu ermöglichen“.
Globale Marketing- und Vertriebsstrategien werden daher
für deutsche Gesundheitsakteure immer wichtiger, um so
einerseits die zum Teil stagnierenden bzw. langsam wachsenden Märkte in etablierten Ländern zu kompensieren.
Andererseits steigen die F&E-Kosten vieler Gesundheitsakteure immer stärker an (z. B. aufgrund der Erforschung
immer komplexerer Krankheitsbilder wie z. B. Krebs), so
dass globale Vertriebsstrategien erforderlich sind, um die
hohen F&E-Ausgaben möglichst schnell amortisieren zu
können.
Qualifizierungsbedarf
Trotz positiver Entwicklungen sind in der Breite im
Bereich Bildung und Qualifizierung Internationalisierungsaspekte noch unzureichend berücksichtigt. Um diese
Qualifizierungslücken zu schließen, sollten in den Ausund Weiterbildungsangeboten international ausgerichtete
betriebswirtschaftliche Bildungsinhalte (u. a. international
ausgerichtete Marktforschungs- und Technologie-Monitoring-Analysemethoden, Bewertung von internationalen
F&E- und Produktionsstandorten) ebenso wie „Soft Skills“
(z. B. interkulturelles Management, Sprachenkompetenz)
noch stärkere Berücksichtigung finden.
Neben Lehrinhalten sind auch die Strukturen der Bildungsinstitutionen anzupassen (z. B. Aufbau internationaler F&E-Netzwerke, Förderung des internationalen
Studenten- und Lehrkräfteaustauschs). In diesem Kontext deuten einige Experten darauf hin, dass im Zuge des
Überganges zu Bachelor-Studiengängen entgegen den
ursprünglich gewünschten Internationalisierungseffekten
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Anze
Proze
:29 Uhr
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aktuell anteilsmäßig weniger Studierende ins Ausland gehen als noch bei den Diplomstudiengängen. Hier besteht
Handlungsbedarf.
5. herausforderung kundenorientierung
und Qualifizierungslücken hinsichtlich
Patienten- und Versichertenorientierung
Das deutsche Gesundheitssystem und dessen Akteure
(z. B. Ärzte, Krankenhäuser, Kliniken, Apotheken- und
Pflegedienstpersonal) sollten sich in Zukunft stärker auf
Versicherte und Patienten als kompetent und aktiv Handelnde ausrichten und dabei Versicherte und Patienten als strategische Partner ansehen. Diese Neuausrichtung umfasst
u. a. ein ganzheitliches Gesundheitsverständnis sowie eine
ganzheitliche Berücksichtigung des individuellen Bedarfs.
Die Ursachen für diese zunehmende Bedeutung einer Patienten- und Versichertenorientierung in der Gesundheitswirtschaft („Kunde als strategischer Partner“) werden im
Folgenden zusammenfassend dargestellt ([1], Kap. IV.5.1):
Erkenntnisse der Innovationsforschung zeigen, dass
zur Erzielung dauerhafter dynamischer Wettbewerbsvorteile neben der Technologie vor allem der Kundennutzen
im Vordergrund stehen sollte. Existiert ein spezifischer,
innovationstreibender Problemdruck (z. B. neue Krankheit, neues Gesundheitsbewusstsein), so werden von der
Nachfrageseite (möglichst durch viele unabhängige Kunden) neue Bedarfe artikuliert, die bestehende Prozesse
und/oder Produkte und/oder Dienstleistungen nicht abdecken können. Existieren in einem Land eine Nachfrage
mit hohen Qualitätsansprüchen und großer Bereitschaft,
Innovationen aufzunehmen, eine Innovationsneugier und
hohe Technikakzeptanz, so geben anspruchsvolle, kritisch
fordernde und qualitätsbewusste Kunden bzw. Nutzer
z. B. an Gesundheitsakteure aus Industrie und Wissenschaft Informationen über ihre spezifischen Bedürfnisse
weiter und rückkoppeln die Passfähigkeit neuer (technologischer) Problemlösungen. Durch enge Kunden-Produzenten-Dienstleister-Beziehungen und/oder die Einbindung in
Versorgungsnetzwerke und (Gesundheits-)Cluster könnten Versicherte und Patienten bereits früher in die F&EProzesse einbezogen werden („effizientes ExplorationsMarketing“). Derartige Innovationspotenziale werden in
der Gesundheitswirtschaft in der Breite (z. B. bei KMU,
Gesundheitsdienstleistern) noch unzureichend genutzt.
Der demografische Wandel, d. h. rückgängige Geburtenzahlen und steigende Lebenserwartungen, die Zunahme
chronischer Krankheiten sowie der medizinisch-technische
Fortschritt führt künftig zu weiter steigenden Gesundheitsausgaben sowie einem sinkenden Anteil an Beitragszahlern auf der Einnahmenseite. Eine umfassende gesetzliche
Gesundheitsversorgung für alle wird sich immer schwerer
finanzieren lassen. Die private, eigenverantwortliche Gesundheitsvorsorge (ähnlich wie beim Rentensystem) sowie
privat finanzierte präventive Gesundheitsleistungen gewinnen daher weiter an Bedeutung. Für viele wird Gesundheit
und deren Erhaltung bzw. Förderung zunehmend zu einem
Lifestyle-Thema (u. a. Care, Wellness, Vitalität). Neben
krankheitsorientierten Strategien gewinnen dadurch gesundheitserhaltende bzw. gesundheitsfördernde Strategien
zunehmend an Bedeutung. Der passiv akzeptierende und
bevormundete Patient entwickelt sich im Zuge dieser Entwicklungen mehr und mehr zum mündigen, informierten,
kompetenten und aktiv mitbestimmenden Konsumenten
bzw. Kunden von Gesundheitsgütern. Neue Medien wie
z. B. Gesundheits-Internetportale und Telemedizin unterstützen diesen Prozess.
Ärzten und Apothekern stehen zunehmend austauschbare Präparate zur Verfügung. Neue patienten- bzw. versichertenorientierte Gesundheitsdienstleistungen und Serviceangebote (z. B. präventive Diagnostika, Gesundheitstourismus, Gesundheitsberatung) werden dadurch wichtiger für den Erfolg der Gesundheitsakteure. Neue maßgeschneiderte Medikamente und Therapien („Individuelle
Medizin“) sowie die ambulante Behandlung vor Ort, maßgeschneiderte und bedarfsgerechte Präventions- und Pflegemaßnahmen gewinnen weiter Marktanteile.
Die Konsequenz dieser Trends ist, dass (wie es bereits
in vielen Wirtschaftssektoren tägliche Praxis ist) für die
Gesundheitsakteure neben „Technology Push“-Strategien
zusätzlich auch „Demand Pull“-Strategien (u. a. „Direct
from Consumer“) immer mehr an Bedeutung hinzugewinnen werden (z. B. bedarfsgerechte Präventions- und
Pflegeangebote bei Demenz). Dies impliziert neue Marketing- und Vertriebskanäle auf Basis einer stärker patienten- und versicherten- bzw. gesellschaftsorientierten
Marktforschung. Pharma- und Medizintechnikunternehmen müssen sich im Zuge dieser Entwicklungen von reinen
„Push“-Lieferanten von Gesundheitsgütern zu patienten-,
kunden- und serviceorientierten integrierten Gesundheitskonzernen entwickeln mit umfassenden Produkt-, Dienstleistungs- und Serviceangeboten (z. B. im Prävention-/
Diagnostikbereich, „Alles aus einer Hand“-Philosophie
bzw. Anbieter von Komplettlösungen), die sich neben der
medizinischen Notwendigkeit zunehmend an den persönlichen, gesellschaftlichen und finanziellen Bedürfnissen
der Versicherten und Patienten ausrichten müssen.
Qualifizierungsbedarf
Die Untersuchungsergebnisse deuten darauf hin, dass trotz
positiver Entwicklungen bzw. „Best Practice“-Beispielen
die Bereiche Patienten- und Versichertenorientierung
(„Kundenorientierung“), gezielte betriebswirtschaftliche
und gesundheitsökonomische Bildungsinhalte (u. a. Methoden zur Identifizierung von Versichertenbedürfnissen, Messung von Patientennutzen, Qualitätssicherung
bei Versorgungsprozessen auf Basis patientenbezogener
Bewertungskriterien) sowie „Soft Skills“ (z. B. Kommunikationskompetenz bei den Gesundheitsberufen, Fragetechniken zur Feststellung von Kundenbedürfnissen,
zielgruppenspezifische Aufbereitung von Informationen
aus wissenschaftlichen Studien zu Behandlungs- bzw. Versorgungsfragen) in der Breite noch unzureichend in den
Aus- und Weiterbildungsangeboten der Gesundheitsberufe berücksichtigt werden. Die stärkere Orientierung an
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den Versicherten- und Patientenbedürfnissen könnte u. a.
durch eine stärkere Verzahnung der F&E an öffentlichen
Bildungs- und F&E-Instituten einerseits mit den Innovationsstrategien der Industrie und andererseits mit der klinischen Forschung bzw. dem klinische Alltag („patientenorientierte Forschung am Krankenbett“) erfolgen.
Die (betriebswirtschaftlichen) Bildungsinhalte sollten
dahingehend (neu-)justiert werden, dass sich ein neues
Rollenverständnis bei Patienten/Versicherten und Gesundheitsberufen hin zu einem umfassenden Gesundheitsmanagement des Einzelnen mit Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse und Potenziale entwickelt. Dies
erfordert auch ein Anpassung der institutionellen Strukturen, um z. B. Versicherte/ Patienten bzw. deren Vertretungen systematisch und frühzeitig in Entscheidungsprozesse (z. B. in den Bereichen F&E, Versorgungssteuerung
und individuelle Behandlung) einzubeziehen oder um
z. B. transparente und wissenschaftlich neutrale Informationen zur Versorgungsqualität für Versicherte und Patienten bereitzustellen.
6. herausforderung fachkräftemangel und Lücken
hinsichtlich der Mobilisierung von qualifiziertem
Personal
Obgleich es beim qualifizierten Personal auch Engpässe in den Gesundheitssektoren gibt (insb. bei KMU), wird
die Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte in Deutschland derzeit noch als Standortvorteil gesehen.[4]
Zukünftig wird sich dieses positive Bild voraussichtlich
eintrüben ([1], Kap. IV.4.1.2). Viele forschungsintensive
Industriebranchen, in denen ingenieurwissenschaftliches
Know-how eine besondere Rolle spielt, hatten in Deutschland bereits große Rekrutierungsschwierigkeiten in der
wirtschaftlichen Aufschwungsphase 2003 bis 2007 (z. B.
Medizin-, Mess- und Steuertechnik). Diese bereits existierenden Personalengpässe beim hoch qualifizierten Personal
(u. a. bei Naturwissenschaftlern, Ingenieuren, Technikern,
Mathematikern und Informatikern) werden sich voraussichtlich weiter verschärfen (vor allem in Wachstumsphasen), da eine weiter steigende Arbeitsnachfrage aus
Industrie und Wissenschaft zu erwarten ist (u. a. durch die
zunehmende Bedeutung neuer Querschnittstechnologien).
Im Kontext der Wissensintensivierung von Arbeitsprozessen haben sich seit 1975 die Erwerbstätigenzahl mit Fach-/
Hochschulabschluss etwa verdreifacht; dieser Trend setzt
sich auch in Zukunft fort.
Das Arbeitsangebot an qualifizierten Arbeitskräften
hingegen hält mit der steigenden Arbeitsnachfrage in den
nächsten Jahren wahrscheinlich nicht Schritt (z. B. aufgrund stark sinkender Studienabsolventen zwischen 1996
und 2001 oder hoher „Verrentungszahlen“ älterer Naturwissenschaftler und Ingenieure bis 2015). Bis 2020 könnten dem Innovationsstandort Deutschland hunderttausende
Fachkräfte fehlen, sowohl in der F&E, aber auch in der
Produktion oder im Marketing und Vertrieb. Auch die
Gesundheitssektoren werden hiervon betroffen sein, da
sie mit anderen forschungs- und wissensintensiven Wirt-
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schaftsbranchen im Wettbewerb um (hoch) qualifizierte
Arbeitskräfte stehen.
Zukünftige Personalengpässe könnten gemildert werden, wenn vorhandene Arbeitskräftepotenziale effizient
genutzt würden. Deutschland hinkt jedoch im Vergleich
zu wichtigen Konkurrenzländern abgeschlagen hinterher,
was die Integration hoch qualifizierter Frauen und älterer
Arbeitskräfte, Jugendlicher aus sozial schwachen Verhältnissen sowie die Ausschöpfung der Potenziale aus Fortund Weiterbildung betrifft ([1], Kap. IV.4.2.1).
Mobilisierungsbedarf
Es gibt viele Optionen zur Mobilisierung qualifizierter
Arbeitskräfte ([1], Kap. IV.4.3), die auch für die Gesundheitswirtschaft von Bedeutung sind. Die Engpässe beim
qualifizierten Personal, insbesondere in den natur- und ingenieurwissenschaftlichen Bereichen, können durch eine
verstärkte Durchlässigkeit des Bildungssystems abgemildert werden. Um die Studentenanzahl kurzfristig zu erhöhen besteht die Möglichkeit, Schülern ohne Abitur oder
Fachhochschulreife z. B. über Aufnahmetests den Zugang
zur Hochschule zu ermöglichen. Dies impliziert Weiterbildungsmaßnahmen des dualen Systems, die verstärkt Qualifikationen vermitteln, die den Zugang zur Hochschulbildung ermöglichen. Zudem sollten weiche Instrumente,
die das Image techniknaher Berufe unter Jugendlichen
verbessern (z. B. Schülerlabors, Integration von „Success
Stories“ erfolgreicher Naturwissenschaftler in den Schulunterricht), verknüpft werden mit direkten Anreizen (z. B.
geringere Studiengebühren für techniknahe Fächer oder
Gesundheitsberufe). Dadurch könnten junge Menschen
frühzeitig für die Gesundheitsberufe begeistert werden.
Um hochqualifizierte Frauen in Deutschland besser zu
integrieren, sind ähnlich wie in skandinavischen Ländern
solche Instrumente noch besser zu verzahnen, die familienfreundlichere Strukturen schaffen. Neben einem Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung, einer qualitativ hochwertigen
Kleingruppen-Kinderbetreuung mit sehr flexiblen Betreuungszeiten (dies impliziert Kindertagesstätten mit langen
Öffnungszeiten) wirken familienfreundlichere Arbeitsformen (z. B. Telearbeit) aber auch die Beseitigung von existierenden Gehaltsdifferenzen unterstützend. Die Bereitstellung
der Infrastruktur scheint hierbei wichtiger zu sein als finanzielle Förderinstrumente (z. B. Elterngeld). Um speziell
den Frauenanteil in techniknahen Fächern zu erhöhen, sind
punktuelle Maßnahmen (z. B. „Girls go Informatik“, „Girls
Days“) zu ergänzen durch eine stärkere Verankerung des
Gender-Themas in Hochschulen und F&E-Einrichtungen.
Des Weiteren sind auch in den Gesundheitsberufen
Anreizstrukturen zu etablieren, die Weiterbildungsaktivitäten und das Prinzip des lebenslangen Lernens auf breiter
Front fördern (z. B. Weiterbildungsgutscheine, spezielle
Hochschulkurse für Ältere). Bei der Weiterbildung hat
sich bewährt, Wissensvermittlung, Erfahrungsaustausch
zwischen den Teilnehmern und Coaching (z. B. bei der
Lösung veränderter betrieblicher Aufgaben) unmittelbar
miteinander zu verbinden.
dzkf 11/12-2009
02.11.2009 16:01:23
A
Gesundheitswesen
7. zusammenfassung
Derzeit wird für die Gesundheitswirtschaft, trotz bereits zu erkennender Engpässe (z. B. bei KMU), die Verfügbarkeit und Qualität qualifizierter Arbeitskräfte in
Deutschland noch als Standort- und Wettbewerbsvorteil
gesehen. Allerdings sieht sich die Gesundheitswirtschaft
künftig mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Vor allem neue Technologietrends, die zunehmende Bedeutung
von Innovationsnetzwerken, die Internationalisierung von
Wissen und Märkten, ein zunehmendes Gesundheitsbewusstsein, eine zunehmende Kundenorientierung sowie
der Fachkräftemangel sind hier zu nennen. Trotz vieler positiver Einzelbeispiele im Bereich der Bildung und Qualifizierung sind vor allem in der Breite viele Weichen für
den Erfolg von morgen noch nicht in die richtige Richtung
gestellt. So sind die Bereiche Patienten- und Versichertenorientierung, interdisziplinäre, betriebswirtschaftliche
und internationale Bildungsinhalte sowie „Soft Skills“
noch unzureichend in den Aus- und Weiterbildungsangeboten der Gesundheitsberufe verankert. Auch institutionelle Strukturen sind noch unzureichend justiert, um den
zukünftigen Herausforderungen vollständig Rechnung zu
tragen. Die dadurch möglicherweise entstehenden Qualifizierungslücken gilt es künftig frühzeitig durch adäquate Aus- und Weiterbildungsangebote zu schließen, um zu
verhindern, dass die derzeit existierenden internationale
Wettbewerbsvorteile deutscher Gesundheitsakteure beim
Standortfaktor „Qualifiziertes Personal“ aufgrund des
verschärften internationalen Wettbewerbs mittel- bis
langfristig erodieren und sich die Wettbewerbsposition
Deutschlands in der Gesundheitswirtschaft zunehmend
verschlechtert.
PROf. dR. MiChAeL nusseR
Fachhochschule Hannover
Fakultät IV – Wirtschaft und Informatik
Ricklinger Stadtweg 120
D-30459 Hannover
Tel.: +49 511 9296 1572
E-Mail: [email protected]
Quellen
[1] Nusser, M., Wydra, S., Hartig, J., Gaisser, S., Forschungs- und wissensintensive Branchen: Optionen zur Stärkung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen
Bundestag - TAB-Arbeitsbericht 116 (2007). Die Gesamtstudie des Fraunhofer ISI ist als Download verfügbar unter http://publica.fraunhofer.de/
documents/N-67169.html
[2] Farkas, R.; Becks, T. et al., Situation der Medizintechnik in Deutschland im
internationalen Vergleich. BMBF-Studie. Berlin (2005).
[3] Nusser, M., Gaisser, S., Internationale Trends in Forschung und Entwicklung
– Ein Länder-Benchmarking auf Basis von Innovationsindikatoren, in: DZKF
– Deutsche Zeitschrift für Klinische Forschung 12 (9/10) (2008), S. 21-31
[4] Nusser M., S. Wydra, J. Hartig, Wissensbasis, Technologietransfer und
Marktattraktivität – Wettbewerbsposition Deutschlands im internationalen Vergleich. In: DZKF – Deutsche Zeitschrift für Klinische Forschung
12 (11/12) (2008), S. 22-33
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E-mail: [email protected]
(for all locations)
02.11.2009 16:01:25
Abbildung 1
Pharmaindustrie − Zukünftiger Bedeutungszuwachs von Forschungs-/ Technologiebereichen bis 2015-2020. (Quelle: [1], Kap. IV.3.1.2)
bildgebende Verfahren
Biochemie
Bioinformatik
Data Mining
Genomik
Hochdurchsatztechnologien
(HTS, UHTS)
Immunologie
„klassische“ Chemie
kombinatorische Chemie
Messtechnik/Diagnostik/Analytik
Metabolomik
„molecular design“
Pharmakogenetik/-genomik
Pharmakologie
Proteomik
Toxikologie
transgene Tiermodelle
Verfahrenstechnik/Anlagentechnik
Verknüpfung/Integration der
Technologien
sehr
ungünstig
Abbildung 2
ungünstig
durchschnittlich
günstig
sehr
günstig
Position Deutschlands in Forschungs-/Technologiebereichen im Vergleich zu
den wichtigsten Konkurrenzländern. (Quelle: [1], Kap. IV.3.1.2)

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