Turn Around und Fusion im Change Management

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Turn Around und Fusion im Change Management
Turn around und Fusion im Change Management1
Univ.Prof. Dr. Helmut Kasper
Institut für Change Management und Management Development,
Wirtschaftsuniversität Wien
Im folgenden Beitrag wird – ausgehend vom
„radikalen Wandel“ – das Turn Around Change
Management bei Fusionen thematisiert, um anschließend das 8-Stufen-Modell von Kotter als
das gegenwärtige robusteste Tool für die Handhabung von Change Management Prozessen
auf den Prüfstand zu stellen. Dieses wurde und
wird schließlich von Führungskräften sowohl bei
der Planung von Change Management Prozessen als auch bei deren Evaluierung eingesetzt.
Fazit: Auch auf der Basis der gemachten Erfahrungen beim Post Graduate Management MBA
der Wirtschaftsuniversität Wien können die auf
diesem Modell basierenden Managementpraktiken empfohlen werden.
Begriffsklärung und Problemstellung
Change Management (Veränderungsmanagement) ist keine Mode als die sie vielfach gerne
abgetan wird. Der Begriff „Mode“ impliziert eine
zeitlich begrenzte Aktualität eines Themas. Und
dies ist bei Change Management Prozessen
prinzipiell nicht der Fall. Schon der griechische
Philosoph Heraklit (rund 500 v. Ch.) wusste:
„Das einzig Stetige, die einzige Konstante ist die
Veränderung!“ Alles sei in Fluss, alles in Bewegung, alles im Werden. Etwas Gleichbleibendes
gibt es im Leben nie!
Faktum ist weiters, dass absichtsvolle Gestaltung und Veränderung von Unternehmungen
seit Bestehen von Organisationen existiert. Unternehmen haben sich im Laufe der Zeit in ihrer
1
Organisation zu verändern, Geschäftsbereiche
werden erweitert oder gestrichen, strategische
Kooperationen werden geknüpft und wieder
aufgelöst und auch Zusammenschlüsse (Fusionen) hat es immer gegeben. Keines dieser
Themen ist demnach neu. Neu ist vielmehr die
Radikalität und sprunghafte Zunahme von Veränderungsmanagement und -prozessen seit
etwa 20 Jahren, die sich in Bezeichnungen wie
radikale Neustrukturierung, Lean Management,
Steuerung von Organisationen über Normen und
Werte (Organisationskultur, symbolisches Management), Business Process Reengineering,
die Lernende Organisation oder Wissensorganisation ausdrückt. Diese Sprünge kamen nicht
von ungefähr. Schließlich haben sich die Rahmenbedingungen für Organisationen radikal geändert: Durch große Innovationssprünge in der
Informatik und Telekommunikation, die Ausbreitung des Internets und der Mobilfunktechnologie
sowie durch die Verknappung der Ressourcen
Zeit und Geld bzw. durch die enorme Steigerung
der Komplexität. (Doppler 2003, S. 10 f.)
Kaum jemand wird bestreiten, dass Veränderungen immer häufiger, immer schneller und
vielfach auch immer radikaler vollzogen werden.
Das Ausmaß, die Geschwindigkeit und der Umfang solcher Veränderungsprozesse sprengen
alle bisher bekannte Dimensionen. Mit ein Grund
ist die anhaltende Globalisierung, die den weltweiten Wettbewerb verschärft und durch den daraus resultierenden Kostendruck die einzelnen
Unternehmen zur umfassenden Anpassung an
Überarbeitete Fassung des Vortrages im Rahmen des Topseminars „Dialog Wirtschaft und Verwaltung: Turn Around und
Fusion – erfolgreicher Wandel in Wirtschaft und Verwaltung“, 2.-3. November 2006, Schloss Rothschild in Reichenau.
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TURN AROUND UND FUSION IM CHANGE MANAGEMENT
die sich rasch ändernde Umwelt zwingt. Die Fähigkeit sich zu verändern bzw. sich immer wieder neu zu orientieren wird zu einem zentralen
unternehmerischen Erfolgsfaktor.
Die Ursachen für eingeleitete Veränderungsprozesse in Unternehmen sind oft weniger „proaktiv“ als vielmehr „re-aktiv“. Somit ist nicht die
„Lust“ (Vision!) auf Neues der entscheidende
Antrieb für Veränderungen. Die Impulse und
Änderungstreiber kommen zumeist von außen
und der Motor der Veränderung ist sehr oft der
Leidensdruck. Diese Herausforderungen an das
Management decken sich mit der Selbsteinschätzung des Managements, die die „Change
Management Kompetenz“ als Erfolgsfaktor in
Veränderungsprozessen belegt. (Kasper/Mühlbacher 2004, S. 309)
Allerdings wird „Change Management“ insbesondere in den letzten beiden Jahrzehnten
sowohl in der Managementlehre als auch in der
Praxis inflationär für jedweden Veränderungsprozess verwendet. Sehr oft für allerlei – auch
banale – Veränderungen: Change oder Veränderung ist, was sich als solche „verkauft“. Dieser
Tatbestand verlangt eine knappe Begriffsklärung:
Unter Change Management sind alle Aufgaben,
Maßnahmen und Tätigkeiten zu subsumieren,
die eine umfassende, bereichsübergreifende
und inhaltlich weit reichende Veränderung – zur
Umsetzung von neuen Strategien, Strukturen,
Systemen, Prozessen oder Verhaltensweisen
– in einer Organisation bewirken sollen. Der Begriff Change Management ist mit Gestalten von
Veränderungsprozessen gleichzusetzen. Change Management impliziert damit einen aktiven,
gestalterischen Teil. Würde das Management
tatsächlich nichts bei Veränderungen gestalten
bzw. den Veränderungsprozess nicht gezielt beeinflussen wollen, dann passiert zwar ebenfalls
Wandel und Veränderung. Es handelt sich in
diesen Fällen aber um zufälligen, ungeplanten
Wandel. Change Management hingegen impliziert das aktive Planen, Initiieren, Begleiten, Realisieren, Reflektieren und Verankern von Veränderungsprozessen.
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Bei extremen Veränderungen in und von Unternehmen wie Turn Around und Fusion spielt
„Change Management“ eine besonders herausragende Rolle. Da diese beiden Formen in der
jüngsten Vergangenheit aber auch in Gegenwart und in der Zukunft eine besonders große
Rolle spielen, werden sie in einem Atemzug mit
Change Management genannt und bedingen
Radikale Organisationstransformationen.
Turn Around steht für Richtungsänderung
oder – noch radikaler – für Umschwung. In der
Managementliteratur wird dieser Terminus für
den Prozess verwendet, aus einer schlechten,
negativen Entwicklung den „Turn Around“ in
eine gute positive Entwicklung zu schaffen: Das
Umkehren einer Abschwungsituation in eine Aufschwungsituation, am häufigsten bezogen auf
die Gewinn- und Umsatzsituation bei einzelnen
Unternehmen. Aktivitäten zu einem Turn Around
werden also insbesondere dann eingesetzt,
wenn das Unternehmen sich in einer Krise befindet. Sie gehen Hand in Hand mit Sanierungen,
Einsparungen, Abbau von Arbeitsplätzen und
sind daher auch zu Recht negativ wertgeladen.
Entscheidend ist die konsequente Anpassung
der Unternehmensstrategie an die veränderten
Rahmenbedingungen.
Fusionen (Merger und Acquisitions, Konzentrationen und Kooperationen) stehen im
wirtschaftlichen Sprachgebrauch für den Zusammenschluss von zwei oder mehreren Unternehmen zu einem einzigen. Der Ablauf erfolgt
in verschiedenen Schritten: Strategische Suche
nach geeigneten Unternehmen, Übernahme und
Post Merger Integration. In den verschiedenen
Schritten und Aufgaben werden Unternehmen
zumeist von einer Vielzahl von Beratern und
Dienstleistern unterstützt. Fusionen betreffen
alle Branchen. Das Change Management von
neuen Organisationen „muss“ die damit verbundenen neuen Herausforderungen auf der
Basis des Strategischen Managements, bei den
organisationsstrukturellen und –prozessualen
Ebenen sowie bei der Gestaltung der Organisationskultur in Richtung „Lernende Organisation“
annehmen.
Radikales Change Management: Radikale Organisationstransformation bei Turn
Around und Fusionen
Beispiele des radikalen Change Managements
sind Sanierungen, Business Process Reengineering der Kernprozesse, Redimensionierungen aufgrund radikal veränderter Marktlagen
aber auch Fusionen. Radikales Change Management in Form der radikalen Organisationstransformation kann – im medizinischen „Wording“ – als „Notoperationen“ (Wimmer 2004, S.
178) bezeichnet werden: Es geht schlichtweg
um das Überleben der Unternehmung, um
Veränderungen der Grundüberzeugungen, der
handlungsleitenden Normen und Werte. Change Management hat stets unter sehr hohem
Zeitdruck zu erfolgen und erfordert zentrale
Eingriffe in Strategie-, Kultur und Strukturfragen. Wichtig daher: Das Management ist selbst
davon betroffen! Die Einschnitte können – wie
eben bei Notoperationen – auch nachhaltig sehr
schmerzhaft sein.
Solche Change Managementmaßnahmen
sind besonderes dann erforderlich, wenn die
Unternehmung in massive Erfolgs- oder gar
Liquiditätskrisen gerät. Abbildung 1 zeigt den
lebensbedrohlichen Krisenverlauf einer Unternehmung und welche Maßnahmen seitens des
Change Management unternommen werden
müssen.
ENTWICKLUNG
EINER
LERNENDEN
ORGANISATION
+
Unternehmenslage
-
Strategische Krise
Erfolgskrise
Aufgrund der radikalen Einschnitte und des bisweilen sehr heftigen Veränderungsdrucks von
außen hat das Change Management nicht viel
Zeit für Reflexionen – d. h. innezuhalten, zu diskutieren, zu entwickeln und entwickeln lassen
– sondern muss rasch entscheiden.
Etablierung einer lernenden, wissensbasierten Organisation
Völlig anders verlaufen Veränderungsprozesse,
wenn das Unternehmen im positiven Bereich
liegt oder sich – schlimmstenfalls! - in einer
„strategischen Krise“ befindet (s. Abb. 1) In solch
einer Situation kann Change Management sich
(noch) in Richtung lernende, „wissende“ Organisation entwickeln, und zwar durch Schaffung
von Reflexions- und Reflexivitätsräumen, Etablierung von Community of Practice, Knüpfung
von Kundenpartnerschaften, Netzwerken, exakte Analyse und Pflege von Kernkompetenzen
und die Etablierung von Wissensmanagement.
Der Unterschied zur radikalen Unternehmenstransformation liegt vor allem darin, dass
noch Zeit vorhanden ist bzw. dass man sich seitens des Change Managements für reflektierende Veränderungsmaßnahmen Zeit verschafft.
Der Druck zu Veränderungen kommt in diesem
Fall von der Organisation selbst und nicht von
außen.
Liquiditätskrise
Zeit
Frühwarnsignale
Marktanteilsverluste
Veränderungen
des Umfeldes
Umsatzrückgang
Ertragsrückgang
Kapazitätsunterauslastung
Technologische
Veränderungen
Liquiditätsmangel
Veränderungen der
Wettbewerbsanforderungen
Überschuldung
Unternehmensinterne
Veränderungen
• Strategische
Neupositionierung
im Wettbewerb
• Kostensenkungsprogramme
• Umsatzsicherungsprogramme
• Sofortmaßnahmen
zur Verbesserung
der kurzfristigen
Liquiditätssituation
RADIKALE ORGANISATIONSTRANSFORMATION
Zusammenbruch
Abb. 1: Change Management
(eigene Darstellung 2007,
adaptiert nach Bock 1996)
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Post Merger Integration nach Fusion:
Radikale Organisationstransformation
oder Entwicklung einer lernenden Organisation?
Eine Fusion zweier oder mehrerer Unternehmungen ist die Koppelung zweier oder mehrerer Systeme, die jeweils ihrer eigenen, selbstständigen Logik folgen. Diese Koppelung
unterschiedlich ausgeprägter Kulturen sollte
möglichst ohne Reibungsverluste erfolgen. Im
Idealfall sollte es gelingen, eine gemeinsame
Konstruktion von Wirklichkeit zu entwickeln.
Ob bei Fusionen rasche radikale Organisationstransformationen oder ein geplanter Change
Management Prozess in Richtung lernende Organisation Platz greift, hängt auch von der „Ideologie“ der Unternehmenszusammenführung in
Bezug auf den Organisationskultur-Merger ab.
Grob gesagt können 2 konträre „Ideologien“ unterschieden werden.
1. Die dominante Unternehmung „schluckt“ die
andere Organisation.
2. Es kommt zur Entwicklung einer „New Family“, wobei keine der zuvor selbstständigen
Unternehmungen nun dominieren.
Im 1. Fall wird wohl eine radikale Organisationstransformation Platz greifen, im 2. Fall besteht
im Zuge der „Post Merger Integrationsarbeiten“
zumindest die (theoretische) Chance, eine lernende Organisation entwickeln zu können, wobei auf dem Weg zu einer „New Family“ vorab
die „relative“ Selbstständigkeit beider Unternehmen gegeben sein muss.
Der 1. Fall (Abb. 2) impliziert, dass eine “dominierende” Organisation die andere “schluckt”,
bzw. versucht, ihr die eigenen Spielregeln aufzudrücken. Dies ist primär dann der Fall, wenn
eine Unternehmung in ganz entscheidenden Belangen (Gewinn, Umsatz, Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter) deutlich Oberhand hat. In solchen
Fällen wird versucht, Tempo zu machen, um die
Kooperation so rasch und effizient wie möglich
über die Bühne in Richtung Fusion laufen zu
lassen. Es handelt sich hier um eine asymmetrische Unternehmensbeziehung, wie sie bei
den meisten Mergers und Akquisitionen vorkommt. Das bedeutet, dass es ein dominantes
Unternehmen und ein ihm untergeordnetes Unternehmen gibt.
Im 2. Fall sind die fusionierenden Unternehmungen gleich gewichtet, d. h. keine Seite dominiert. Die kulturellen Unterschiede der
einzelnen Organisationen bleiben faktisch weiter bestehen, obwohl sich in gewissen Teilbereichen durchaus eine neue Schnittmenge, eine
Art Subkultur, herausbilden kann. Denkbar wäre
dies insbesondere zwischen Divisionen mit inhaltlich ähnlichen Funktionen, etwa im Vertrieb.
Voraussetzung dafür ist zweifellos ein Mindestmaß an Offenheit, Änderungen zu akzeptieren.
Dass es sich dabei um einen Prozess handelt,
der ohne bestimmtes Zeitbudget nicht bewerkstelligt werden kann, liegt vor dem Hintergrund
organisationskultureller Ansätze klar auf der
Hand.
Kultur vorher
A
Kultur vorher
B
A
B
Kultur nachher
A
A
Kultur nachher
B
B
Hinweise:
• A zeigt neue Spielregeln auf (A dominiert)
• schnell transferieren
• umfassende Information und Kommunikation über Vision und Strategien
Abb. 2: Unternehmen A „schluckt“ Unternehmen B
(nach Schertler 1993)
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Hinweise:
• Unterschiede respektieren
• Modifikationen respektieren (Offenheit)
• langsam transferieren
Abb. 3: Unternehmen A und Unternehmen B bleiben
„relativ“ selbstständig (nach Schertler 1993)
Im Idealfall entwickelt sich aus den zwei bestehenden Organisationen eine „New Family“ mit
ureigenen Spielregeln. Unterstellt wird dabei
eine symmetrische Beziehung. Grundlage einer
symmetrischen Beziehung zweier Unternehmen ist Gleichberechtigung, Interdependenz
und gegenseitige Anpassung. Bei einem Unternehmenszusammenschluss auf symmetrischer
Basis zwingt keines der Unternehmen dem anderen sein eigenes Unternehmenssystem auf,
sondern beide Unternehmen entwickeln ein
“drittes Unternehmen”. (Abb. 4)
A
B
Dispositionelle Zwischenbemerkungen
Es gibt eine Vielzahl von Phasenmodellen, wie
ein erfolgreicher Change Prozess gemanagt
werden soll. Im Folgenden wird das in der Praxis auf Grund seiner empirisch abgesicherten
Entwicklung und auf Grund seines erfolgreichen
Einsatzes gewürdigte 8 Stufen Phasenkonzept
nach Kotter vorgestellt, wobei jeweils empirisch
festgestellte häufige Fehlerquellen aufgezeigt
werden.
C
Hinweise:
• weder A noch B dominieren (echte Partnerschaft)
• Vision und Strategie für gemeinsame Zukunft werden miteinander entwickelt
• gemeinsames PMI-Team (“Integrationsteam”)
Abb. 4: Aus Unternehmen A und Unternehmen B
wird „New Family“ (nach Schertler 1993)
Gegenüber einer asymmetrischen Unternehmensbeziehung ist das Konfliktpotenzial hier
bei weitem höher. Das Fehlen eines dominanten
Unternehmens führt zu einer höheren Anforderung an die Anpassungsfähigkeit beider Unternehmen aneinander, da Uneinigkeit nicht durch
einseitiges Bestimmen der dominanten Unternehmung “gelöst” werden, sondern Lösungen
auf dem Konsensweg gesucht werden. Es gilt
primär, strategische Ziele des neuen Unternehmens zu entwickeln und ein gemeinsames Managementverständnis aufzubauen.
Es klingt völlig plausibel, dass all diese Kooperationsmuster nicht auf Knopfdruck, nicht auf
Befehl und schon gar nicht von heute auf morgen implantiert werden können. Die gewünschten Prozesse müssen sich ja zumindest auf vier
Ebenen abspielen, auf der Ebene der Werte, der
Sprache, der Handlungen und der Gegenstände. Mit umfassender Information oder gemeinsam entwickelten Visionen und Zukunftsstrategien allein ist es nicht getan. Das sind lediglich
notwendige, aber keineswegs hinreichende
Bausteine bei der Konstruktion eines gemeinsamen kooperativen Hauses. Solange sich nicht
die neuen Werte in Handlungen niederschlagen,
bleiben sie letztlich unwirksam.
Das 8 Stufen Phasenkonzept des Management of Change nach Kotter
Basis für das 8 Stufen Phasenkonzept von
Kotter (1996, 1997; Kotter/Cohen 2002) bilden
seine jahrzehntelangen Untersuchungen und
Beobachtungen verschiedenster Unternehmen, die alle das Ziel hatten, Veränderungen
gezielt zu erreichen, um sich auf einem neuen
„Marktumfeld“ (Marktbedingungen, bessere
Umweltbedingungen) behaupten zu können.
Die herausragende Erkenntnis, die er aus seinen Beobachtungen zog, ist, dass erfolgreiche
Change-Prozesse stets eine Reihe von Phasen
durchlaufen, die vor allem auch Zeit beanspruchen. Außerdem empfiehlt Kotter nachdrücklich, keine dieser Phasen zu „überspringen“,
da sonst der Veränderungsprozess nicht zu
einem befriedigenden Ergebnis führen würde.
Die strukturierte achtstufige Vorgangsweise des
Change Management Ansatzes ist ein gut dokumentierter Ansatz, die Komplexität von Veränderungsprozessen sinnvoll zu reduzieren. Die
schrittweise, checklistenartige Abarbeitung von
Veränderungen ermöglicht ein Vorgehen, bei
dem die Zielerreichung durch eine abgesicherte, in der Praxis bewährte Methodik unterstützt
wird. Diese schützt vor überhasteter Projektbzw. Veränderungsarbeit und stellt die Qualität
und Nachhaltigkeit in den Vordergrund aller Aktivitäten.
Erst wenn eine Veränderungsstufe erfolgreich abgeschlossen ist, wird die nächste zur
Realisierung gebracht. Meilensteinartig wird
eine Reflexion über erreichte Ergebnisse gefor-
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dert und gefördert, die gerade bei Veränderungsprozessen einen sehr wichtigen Erfolgsfaktor
darstellt. Anfänglich zu rasches Vorantreiben
von Veränderungen, ohne Rücksicht auf die von
Kotter dargestellte Reihenfolge von ProzessSchritten, führt unmittelbar zu entsprechenden
Zeit- und Qualitätsverlusten in späteren Prozess-Schritten. Gleiches trifft auf das gänzliche
Weglassen von Prozess-Schritten zu, die ebenfalls exakt das Gegenteil des vielleicht damit
beabsichtigten Zeitspar-Effektes mit sich bringen. Eine wesentliche Stärke dieses Modells
liegt in der Bewusstseinsbildung genau dieser
Wechselwirkung zwischen der Reihenfolge von
Prozess-Schritten im Change Management und
der Zielerreichung. (Loebbert 2006, S. 27 f.)
Diese Methodik hat sich damit in der Praxis zu
einem vielfach angewandten und geschätzten
Managementtool entwickelt. Im Folgenden werden die 8 Stufen einzeln inhaltlich dargelegt und
die häufigen Fehlerquellen nach Kotter/Cohen
(2002, S. 15 ff.) angeführt2:
1. Gefühl für die Dringlichkeit erzeugen
Wie?
■ Zukünftige Marktchancen untersuchen
■ Potenzielle Krisen erkennen und diskutieren
■ Grundsätzliche Chancen erkennen und diskutieren
■ Veränderungsbedarf anhand eines greifbaren Ziels aufzeigen
■ „Sell the Problem“ und die Frage
■ „Was geschieht, wenn nichts geschieht?“
75 %. Im Topmanagementbereich müssen praktisch alle von der Veränderungsnotwendigkeit
überzeugt sein. Neben rein rationalen Argumenten ist es auch wichtig, auf die Gefühle und
Ängste der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einzugehen. Wie schon erörtert, ist es sehr oft der
Leidensdruck, der dieses Gefühl der Dringlichkeit für eine erforderliche Veränderung erzeugt.
(Kotter 1996, S. 35 ff.)
Häufige Fehlerquellen (Kotter/Cohen 2002, S.
15 ff.) in der 1. Stufe sind:
■ die Selbstüberschätzung, wie sehr man von
Seiten des Managements große Veränderungen herbeiführen kann (Irrglaube der
„Machbarkeit“)
■ die Unterschätzung, wie schwer es ist, die
Organisationsmitglieder aus ihren „Komfortzonen“ herauszuführen
■ Das Management erkennt nicht, wie sehr das
eigene Verhalten unbeabsichtigt den Staus
Quo bestärkt und damit gegen die Veränderung wirkt.
■ zu wenig Geduld
■ Annahme, dass Veränderung nur möglich ist,
wenn „der Hut brennt“
■ Fokussieren auf Rationales und Ignorieren
von Gefühlen
■ Vermengung von Dringlichkeit mit Angst,
Sorge und Angstmacherei
■ Erarbeitung von Vision und Strategie ohne
entsprechende Dringlichkeit zu erzeugen
2. Führungsteam aufbauen
In dieser ersten Phase geht es um eine eingehende Diagnose und Analyse der Ist-Situation,
inklusive Markt- und Wettbewerbsanalyse, sowie um die Identifizierung und ausführliche Diskussion der vorhandenen Krise, möglicher Krisen aber auch der wesentlichen Chancen. Die
Überzeugung der Dringlichkeit des Change ist
eine unabdingbare Voraussetzung des Wandels,
nicht nur bei den entscheidenden Führungskräften sondern auch bei den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern einer Organisation. Kotter (1996,
S. 48) beziffert die erforderliche MA-Anzahl mit
2
Wie?
■ Gruppe von Führungskräften zusammenstellen, die genug Kompetenzen haben, um Veränderungen herbeizuführen
■ Gemeinsame Einsicht in die Realität schaffen
■ Teamarbeit und Teamlernen fördern
Die Unternehmensleitung kann nicht alleine erfolgreich tiefgreifende Veränderungen durchführen, sondern es bedarf der Zusammenarbeit einer ausreichend großen Anzahl einflussreicher
Vgl. auch Dragosits (2003) und Lenzeder (2007). Sehr gute Zusammenfassungen finden sich in den Master Thesen von
Dragosits und Lenzeder. Allerdings sind diese Arbeiten mindestens bis 2012 gesperrt und daher nicht zugänglich.
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Managerinnen und Manager (Kotter/Cohen
2002, S. 15 ff.). Hier ist eine starke und kompetente Gruppe von Fachleuten gefragt, die mit
der nötigen Expertenautorität, entsprechender
Sachkenntnis, Glaubwürdigkeit und Macht das
geplante Ziel erreichen. (Kotter 1997, S. 66 f.)
Entscheidend ist, dass diese Gruppe tatsächlich
als Team funktioniert. Dazu ist gegenseitiges
Vertrauen und ein gemeinsam getragenes und
verfolgtes Ziel unabdingbar. (Kotter 1996, S. 61
ff.) Letzteres muss sich nicht nur in verbalen Bekenntnissen, sondern auch in Taten und Verhaltensweisen niederschlagen.
änderungsvision ist laut Kotter (1996, S. 71 ff.)
durch folgende Punkte charakterisiert:
■ vorstellbar
■ anstrebenswert
■ machbar / erreichbar
■ fokussiert
■ flexibel
■ leicht kommunizierbar
Häufige Fehlerquellen in der 2. Stufe sind (Kotter/Cohen 2002, S. 37 ff.):
■ Irrglaube, dass einzelne Personen (z. B. der
CEO) alleine den Veränderungsprozess initiieren und vorantreiben können
■ Kein ausreichendes „Commitment“ der
Teammitglieder zu den Veränderungszielen
■ Zu schwache Arbeitsgruppe
■ Veränderungsteam setzt sich ausschließlich
aus Stabsmanagerinnen und Stabsmanagern zusammen. Keine Vertreter des operativen Managements
■ Ignoranz gegenüber Machtkämpfen und Eigendynamik, die die Bildung des „richtigen“
Teams verhindern.
Häufige Fehlerquellen in der 3. Stufe sind (Kotter/Cohen 2002, S. 61 ff.):
■ keine Vision
■ schwer verständliche Vision
■ zu analytische oder finanzlastige Vision
3. Führungskräfte haben eine Vision der
Veränderungen und Strategien zur Umsetzung dieser Vision zu entwickeln
Wie?
■ Eine Vision schaffen, die für Veränderungsbestrebungen richtungsweisend ist
■ Strategien entwickeln, die diese Vision umsetzen
Neben dem Leidensdruck stellt die Vision die
zweite entscheidende Kraft dar, wieso es zu
Veränderungen kommt. Die Vision als das übergeordnete Ziel, als positive Zug-Kraft, die sich
daraus ableitenden Strategien, Pläne und Budgets sollen Orientierung, Richtung und Energie
vermitteln (Janz 1999, S. 71). Eine effektive Ver-
Eine gelungene Vision sollte dabei folgende drei
Funktionen erfüllen: die Orientierungs-, die Motivations- und die Koordinationsfunktion. (Janz
1999, S. 72)
4. Führungskräfte haben dafür zu sorgen,
dass die Vision der angestrebten Veränderungen auf breiter Basis kommuniziert
wird
Wie?
■ Jedes nur mögliche Element dazu nutzen,
die neue Vision und ihre Strategien zu kommunizieren: formale und informelle Kommunikation
■ Symbolisches Management = Vorbildverhalten: Das Rollenverhalten des Führungsteams
entspricht den Erwartungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
■ Veränderungsbedarf anhand eines greifbaren Ziels aufzeigen
Nur wenn auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überzeugt werden können und daran glauben, dass die Veränderung möglich und wichtig
ist, können sie als Unterstützung gewonnen
werden. Andernfalls hat man mit massiven Widerständen zu rechnen, die mitunter das Veränderungsvorhaben zu Fall bringen. Kotter (1996,
S. 89 ff.) nennt folgende sieben Kernelemente
für eine effektive Kommunikation der Vision:
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1. Einfachheit, d.h. Verwendung einer einfachen
Sprache und Ausdrucksweise
2. Verwendung von Metaphern, Analogien und
Beispielen
3. Einsatz von vielen unterschiedlichen Kommunikationskanälen
4. Ständige Widerholung
5. Vorleben: Führung durch Vorbildwirkung
(„walk the talk“) (Symbolisches Management
– Führung ist symbolisiert, Führung heißt
„An-Sehen“)
6. Erklärung vermeintlicher Inkonsistenzen
7. Zuhören um selbst gehört zu werden.
Häufige Fehlerquellen in der 4. Stufe sind (Kotter/Cohen 2002, S. 83 ff.):
■ Das Veränderungskonzept ist zwar gut, wird
aber nur von einer kleinen Gruppe entwickelt
und mangelhaft kommuniziert
■ Die Unternehmensspitze kommuniziert zwar
die Vision, aber noch immer ungenügend.
Die zentrale Botschaft der Veränderungsvision erreicht die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht.
Viel Energie wird für die Kommunikation (Reden, Newsletter, E-mails) aufgewendet, aber
das Verhalten vieler einflussreicher Organisationsmitglieder ist offensichtlich konträr zur Veränderungsvision. Dies mündet in Zynismus der
einfachen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und
der Glaube an eine erfolgreiche Veränderung
schwindet.
5. Empowerment auf möglichst breiter Basis schaffen
Wie?
■ Hindernisse beseitigen
■ Systeme und Strukturen verändern, die die
Vision der Veränderungen zerstören
■ Konfliktkultur („Streitkultur“) fördern
■ Querdenker fördern
■ Zu Risikobereitschaft und ungewöhnlichen
Ideen, Aktivitäten und Handlungen ermutigen
■ Fehler tolerieren
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Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben den
Veränderungsprozess tatkräftig zu unterstützen,
denn sonst lässt sich Wandel in Unternehmen
nicht erfolgreich durchführen. Wenn sich die
Belegschaft jedoch machtlos fühlt und ihr keine Spielräume ermöglicht werden, wird sie den
Prozess nicht mittragen. Ziel dieser Phase ist
die Bevollmächtigung und Motivation der betroffenen Personen, um so möglichst viele Barrieren
der Umsetzung der Vision zu beseitigen. Dabei
ist es wichtig, Hindernisse wie etwa zu viele Hierarchie- und Entscheidungsebenen zeitgerecht
abzubauen, denn sonst besteht die Gefahr der
Frustration der Beteiligten, die wiederum das
gesamte Projekt gefährden kann. (Kotter 1997,
S. 142 ff.)
In dieser Phase findet die Veränderung im
engeren Sinn statt. Entscheidend dabei ist, den
negativen Einfluss mächtiger Managerinnen
und Manager zu verringern, die sich gegen den
Veränderungsprozess stellen und damit auch
ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am konstruktiven Mitwirken am Veränderungsprozess
hindern.
Häufige Fehlerquellen (Kotter/Cohen 2002, S.
123):
■ Ignorieren von einflussreichen Führungskräften, die alles daran setzen, das Veränderungsvorhaben zum Scheitern zu bringen
und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter daran hindern, konstruktiv am Veränderungsprozess mitzuwirken
■ Lösung des „Chefproblems“, indem man diese einfach entmachtet bzw. ihrer Position
enthebt, wobei man einen ihrer Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter an ihrer Stelle zum
neuen Chef ernennt.
■ Versuch, alle Hindernisse zu beseitigen
■ Den eigenen Bedenken und Ängsten nachgeben („Das schaffen wir nie!“).
6. Führungskräfte müssen dafür sorgen,
dass kurzfristige Ziele und Erfolge sichergestellt werden
7. Führungskräfte sollen erreichte Ziele
bzw. Erfolge sichern und für weitere
(permanente) Veränderungen sorgen
Wie?
■ Möglichst „kleine“ sichtbare Erfolge planen
■ Diese Erfolge sichtbar machen, kommunizieren und hervorheben
■ Die dafür verantwortlichen Führungskräfte,
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anerkennen
(„auszeichnen“)
Wie?
■ Die wachsende und erreichte Glaubwürdigkeit dazu nutzen, um weitere Veränderungsprojekte (Systeme, Strukturen und Verfahren) in Angriff zu nehmen
■ Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entwickeln,
befördern und einstellen, die die Vision der
Veränderungen umsetzen können
■ Die unteren Hierarchieebenen übernehmen
immer stärker das Management von Veränderungsprojekten.
■ Den Prozess mit neuen Projekten, Themen
und Veränderungsimpulsen immer wieder
beleben
Ergebnisse müssen sowohl sichtbar, als auch
eindeutig, frei von Kritik und in deutlichem Bezug zu den Veränderungsbestrebungen sein.
Kurzfristige Erfolge rechtfertigen in erheblichem
Maße die mit dem Change verbundenen kurzfristig anfallenden Kosten.
Es ist besonders wichtig, das bislang schon
Erreichte, die so genannten „quick wins“, die für
alle erkennbar und nachvollziehbar sind, klar
hervorzustreichen. Weiters baut positives Feedback nach vielen Mühen und harter Arbeit die
Motivation auf. Diese Erfolge unterstützen auch
die Feinabstimmung von Visionen und Strategien, da sie der Führungskoalition konkrete Daten über die Durchsetzbarkeit ihrer Ziele vermitteln.
Eine weitere Bedeutung betrifft die eindeutige Leistungsverbesserung, die es „Gegnern“
und „Bremsern“ erheblich erschwert, den erforderlichen Wandel zu blockieren. Kurzfristige
Erfolge sichern des Weiteren die Unterstützung
der Entscheidungsträger, da sie ihnen den Beweis liefern, dass die Veränderung planmäßig
verläuft.
Häufige Fehlerquellen (Kotter/Cohen 2002, S.
141):
■ zuviel auf einmal wollen
■ zu spätes Erreichen der ersten Zwischenziele
Tiefgreifende Veränderungen nehmen viel Zeit
und Energie in Anspruch und viele Kräfte können
den Prozess kurz vor der Zielerreichung noch
zum Stillstand bringen: etwa ein Umdenken der
Vermittlerinnen und Vermittler der Transformation oder eine Erschöpfung der Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger. Kurzfristige
Erfolge (Phase 6) sind absolut wichtig, doch
kann ein zu großer Eifer den Erfolg ausbleiben
lassen. Dabei darf das Gefühl der Dringlichkeit
nicht verloren gehen (Kotter 1997, S. 181), denn
Veränderungsdruck und die Wichtigkeit der
Dringlichkeit der Veränderung müssen weiterhin
aufrechterhalten werden.
Häufige Fehlerquellen (Kotter/Cohen 2002, S.
159):
■ zu starres Festhalten an alten Plänen
■ Selbstbetrug: sich selbst einreden, dass die
Veränderung erfolgreich beendet ist, obwohl
man weiß, dass noch ein gutes Stück Weg
fehlt
■ Eigener Einsatz bis zur vollkommenen
physischen und psychischen Erschöpfung
(„Burnout“)
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TURN AROUND UND FUSION IM CHANGE MANAGEMENT
8. Die erreichten Veränderungen in der
Unternehmenskultur verankern
Wie?
■ Veränderungen der Kultur (Normen, Werte)
treten am Ende und nicht am Anfang eines
Veränderungsprozesses ein
■ Die Beziehung zwischen neuem Verhalten
und Unternehmenserfolg durch Kommunikation und Dialog herausstellen
Laut Kotter finden die meisten Veränderungen
in einer Unternehmenskultur, den Verhaltensnormen und gemeinsamen Werten am Ende
eines Change Management-Prozesses statt
und nicht am Anfang. Neue Ansätze manifestieren sich erst dann in einer Kultur, wenn sie
funktionieren und besser sind als die vorherigen
Methoden. Oftmals ist jedoch der Kern der alten
Kultur nicht unbedingt unvereinbar mit der neuen Vision.
Erst wenn es gelingt, die allseits anerkannten
und akzeptierten Normen, Werte und darauf
beruhenden Verhaltensweisen der Organisationsmitglieder entsprechend der durchgeführten
Veränderungsziele in der Unternehmenskultur
fix zu verankern, kann von einem erfolgreich
durchgeführten Change Management Prozess
gesprochen werden. Unternehmenskulturen
sind jedoch etwas extrem Zähes und schwer
Abänderbares. Folglich nimmt jede Änderung,
jeder Wandel solcher Unternehmenskulturen
auch entsprechend viel Zeit in Anspruch. Selbst
wenn die einzelnen Veränderungsmaßnahmen
oder -projekte schon abgeschlossen sind und
ihre Erfolge transparent und nachvollziehbar gemacht wurden, kann es noch lange Zeit dauern,
bis diese auch in einer geänderten Unternehmenskultur ihren Niederschlag finden. (Kotter
1996, S. 145 ff.)
Häufige Fehlerquellen (Kotter/Cohen 2002, S.
177):
■ Unzureichende Verankerung in der Unternehmenskultur, indem der Veränderungs3
■
prozess zu sehr an eine einzige oder wenige
Personen geknüpft wird
Änderung der Unternehmenskultur als ersten
Schritt im Transformationsprozess ansehen
und verwirklichen wollen
Kritische Würdigung des Lebenswerkes
von Kotter:
Der entscheidende Vorteil des Kotter-Modells:
Es bietet Führungskräften ein sehr hohes Maß
an Orientierung. Es ist ein plausibles und „machbares“ Konzept zum Change Management. Für
Führungskräfte ist es auch entlastend, dass die
Änderung der Organisationskultur erst in der 8.
Stufe kommt und quasi „automatisch passiert“,
wenn alle vorangegangenen Stufen erfolgreich
bewältigt worden sind! Österreichische Führungskräfte, die im Post Graduate Management
(PGM) MBA Universitätslehrgang der WU mit
dem Kotter-Modell im Rahmen ihrer MasterThesen gearbeitet haben, haben dessen positive Wirkung eindrucksvoll bestätigt3.
Dennoch ist gerade an diesem Punkt Kritik
angebracht. Laut Kotter sind Change Managerinnen und Change Manager, die versuchen,
Veränderungsprozesse mit einer Beeinflussung der Unternehmenskultur zu starten, auf
dem falschen Weg. Vielmehr bringt Kotter die
Normen als Veränderungshebel erst in der letzten und 8. Stufe ins Spiel. Begründung: zuerst
strukturale und personale Anpassung und dann
erst Normensetzung, weil Normen- und dadurch
Organisationskultur-Veränderung immer sehr
schwierig ist und darüber hinaus Zeit benötigt.
Dieses Hintanstellen der Organisationskultur
entspricht zwar der Logik der „Evolutions-Strategie“, die es ja ablehnt, Kultur zu definieren
oder gar zu thematisieren. Auch bei Fusionen
wird tunlichst darauf verzichtet, Kulturaspekte in
Workshops zu thematisieren, um zu vermeiden,
dass sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
ihrer organisationskulturellen Unterschiedlichkeit so richtig bewusst werden und sich verstärkt
voneinander abgrenzen. Um eine Kulturverän-
Im Rahmen des PGM MBA für Executives kommt Kotter in Projektarbeiten und in Feldstudien beim Modul
„Change Management“ zum Einsatz. Darüber hinaus findet das Modell auch bei Master Thesen Verwendung.
Im Anschluss an meinen Vortrag am 2. Nov. 2006 wurde in Arbeitsgruppen das Kotter-Modell reflektiert und in der anschließenden Diskussion im Plenum von allen Seiten als höchst praxisrelevant gewürdigt.
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derung einzuleiten, werden nach evolutionstheoretischem Verständnis nur allgemeine Rahmenbedingungen vorgegeben, vor allem neue
herausfordernde Ziele gesetzt. Es wird so getan, als würden sich Kulturelemente mit der Zeit
von selbst in einer Weise entwickeln, dass sie
das Erreichen der vorgegebenen Ziele quasi
automatisch fördern. Mit diesem evolutionstheoretischen Ansatz greift Kotter zu kurz. Die mühsamere Alternative ist das sogenannte Konzept
der Reformstrategie. Diese erkennt die Komplexität sozialer Gebilde an und lehnt deswegen
reine Machbarkeitsideologien ab. Sie versucht
Veränderungen insoweit zu steuern, als sie Anregungen und einen großen Rahmen vorgibt,
um Neuerungen entstehen zu lassen. Die Ausarbeitung von konkreten Maßnahmen geschieht
stets mit Partizipation der von den Änderungen
betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. (v.
Rosenstiel et al. 2005, S. 385)
Hier schließt sich der Kreis zur eingangs
angeführten Gegenüberstellung „Radikale Organisationstransformation“ versus „Entwicklung
einer lernenden Organisation“. Die rechtzeitige
Entwicklung einer lernenden Organisation ist
anzustreben, noch bevor der Organisation von
außen abrupte und hektische Transformationsmaßnahmen aufgezwungen werden. Kotters
Modell ist ein brauchbares Gerüst, wenn es gelingt, den Kulturwandel als grundlegend mitlaufende Tangente auf allen Stufen einzubauen.
Zusammenfassung
Dragosits, Andreas: Change Management – Die
Rolle des Topmanagements beim Gestalten von
Veränderungsprozessen. Master Thesis, MBA
WU, Wien 2004 (unveröffentlicht und gesperrt
bis mindestens 2012)
Kotter bietet – auf dem ersten Blick – ein einfaches, leicht nachvollziehbares Modell an, das
sich in der Praxis ausreichend bewährt hat. So
verlockend es für Führungskräfte auch sein
mag, stößt seine Anwendung auf Grenzen.
Denn je tiefgreifender und komplexer ein Veränderungsprozess ist, desto weniger kann er vom
Management aus geplant und direkt gesteuert
werden. Es geht bei Organisation nicht um „triviale Maschinen“ sondern um komplexe soziale
Systeme, die – sofern sie nicht zerschlagen werden wie etwa bei radikalen Transformationen
- behutsam durch Kontextsteuerung entwickelt
werden müssen.
Es geht somit nicht um die Beherrschbarkeit
und unmittelbare Steuerbarkeit des Change Management Prozesses, sondern um die Handhabung des Prozesses durch Interventionen. Das
entsprechende Führungsverhalten ist von der
Einsicht geleitet, dass die bewusste Veränderung
komplexer, sozialer und autonomer Systeme nur
indirekt durch Interventionen und das Setzen
von Rahmenbedingungen vonstatten geht.
Literatur
Bock, Friedrich: Evaluierung und Controlling von
Change Management Prozessen. Vortrag im
Rahmen der Handelsblatt Veranstaltung „Change Management“, Wien 1996
Doppler, Klaus: Der Change Manager. Frankfurt/Main, New York 2003
Janz, Andreas: Erfolgsfaktor Topmanagement.
Anforderungen und Aufgaben im Change Management, Wiesbaden 1999
Kasper, Helmut / Holzmüller, Hartmut H. / Wilke, Claus: Unternehmenskulturelle Voraussetzungen der Kooperation. in: Zentes, Joachim
/ Swoboda, Bernhard / Morschett, Dirk (Hrsg.)
Kooperationen, Allianzen und Netzwerke. 2.
Aufl., Wiesbaden 2005, S. 963 – 985
Kasper, Helmut / Mühlbacher, Jürgen: Konturierung zukünftiger Management-Kompetenzen.
in: Kasper, Helmut (Hrsg.), Strategien realisieren – Organisationen mobilisieren. Das neueste
Managementwissen aus dem PGM MBA, Wien
2004, S. 299 – 317
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TURN AROUND UND FUSION IM CHANGE MANAGEMENT
Kotter, John P.: Leading Change. Boston 1996
Kotter, John P.: Chaos, Wandel, Führung – Leading Change. Düsseldorf 1997
Kotter, John P. / Cohen, Dan S.: The Heart of
Change. Real-Life Stories of how People Change their Organizations, Boston 2002
Lenzeder, Volker: Interkulturelle Veränderungsprozesse – Kulturstandards als Einflussgrößen
auf die Anwendung der Change Management
Methodik. ‘The Eight Stage Process’ gemäß
John P. Kotter. Master Thesis, MBA WU, Wien
2007 (unveröffentlicht und gesperrt bis mindestens 2012)
Loebbert, Michael: The Art of Change – Von der
Kunst, Veränderungen in Unternehmen und Organisationen zu führen. Leonberg 2006
Rosenstiel, Lutz von / Molt, Walter / Rüttinger,
Bruno: Organisationspsychologie. 9. Aufl., Stuttgart 2005
Schertler, Walter: Strategisches Management.
Manuskript Post Graduate Management Universitätslehrgang der Wirtschaftsuniversität Wien,
Trier 1993
Wimmer, Rudolf (1999): Wider den Veränderungsoptimismus. Zu den Möglichkeiten und
Grenzen einer radikalen Transformation von Organisationen, in: Wimmer, Rudolf: Organisation
und Beratung, Systemtheoretische Perspektiven für die Praxis, Heidelberg 2004
Kontakt:
Univ.Prof. Dr. Helmut Kasper
Institut für Change Management und
Management Development,
Wirtschaftsuniversität Wien
[email protected]
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