Legendary Harmonicat

Transcrição

Legendary Harmonicat
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TOOTS THIELEMANS
Legendary Harmonicat
Jean-Baptiste >Toots< Thielemans, Jahrgang tgzz, ist zweifelsohne der
weltbe rü h mteste M u n d ha rm on i l<avi rtuose a | | er Ze ite n.
1952 aus SETNER Helmnr Belgien in die USA immigriert, lesen
sich die Stationen seiner mittlerweile 55 lahre andauernden
Karriere wie ein lazzmärchen. Seine a1s Gitarrist begonnene
Laufbahn findet ihre Vollendung im Mundharmonikaspiel und
ihm allein ist es zu verdanken, dass die Mundharmonika, die
nicht nur laut Ciifford Brown - bevor Toots sie spielte - als
>zrveifelhaftes Instrument< galt, ihren Platz im Reigen der lazzinstlumente sichern konnte und heute lveit größere Bedeutung
genießt, a1s dem lazzfretnd im Allgemeinen beu.usst ist.
Besonders spannend wird es, bekommt man Auszüge aus der
prall gefüilten Anekdotensammlung vom N{eister persönlich erzählt: So hört man von seinen Beginnen bei Bennv Goodman,
der prägenden Zeit bei Lehrmeister George Shearing als Mitglied
dessen berühmten Quintetts, seinen Zusammenkünften mit
Bird, Jaco und Miles und erfährt, wie viel Freude es auch dem
Arriviertesten seines Fachs bereitet, r,venn Quincf ihn telefo-
nisch ereilt.
Da verwrindert es kaum mehr, dass ganz nebenbei auch seine
Welt- und Sprachgewandtheit kaum zu übertreffen ist: Toots ist
eine der rarenJazzpersönlichkeiten, die gleichermaßen auf eine
immense US- wie auch Europa-Karriere verweisen kann, spricht
6 Sprachen, hat seit Jahren den >Dor,rrn Beat Poll< in der Kategorie >Diverse Instrumente< für sich gepachtet und sprüht mit seinen knapp 84 }ahren geradezu vor Lebens- und Schaffensfreude.
Mal spitzbübisch, mal bescheiden, mit beinahe kindlicher
Begeisterung und stets liebevoll von seinem Credo ,Betr,r,een A
Smile and a Tear< erzählend, traf Sandra Rose Toots Thielemans
während seines letztenWien-Aufenthalts vor einigenWochen im
Vienna Hilton.
55 Jah re Jazzgeschichte
Toots, Sie sind sich seit beinahe 55 Jahren wichtiger Bestandteil
des lazzbusiness.Wie halten Sie sich in Schwung?
Nach all den Jahren bin ich nach wie vor neugierig. Ich höre mir
an, was ich selber spiele und bin immer noch am Lernen.
Das ist, was mich musikalisch jung und aktiv hält. Begonnen
habe ich 1942 während der deutschen Besetzung in Belgien und
die erste Platte, die ich je hörte, -"var >Louis Armstrong & The
Mills Brothersu. Da gab es noch keinen Charlie Parkerl
Denk dir, ich bin (und sagt lachend auf Deutsch) ,83 und
halb!< Was mich betrifft, kann ich nur sagen ,I do my best<: ich
DIAGO
NALE
hatte vor 25 lahren einen Schlaganfall und kann seither nicht gut
gehen und kaum mehr Gitarre spielen. Meine Frau und Veerle
[van de Poe1, seine Managerin, Anm. der Red.] passen aber gut
auf mich auf. Natürlich reise ich nach nie vor und bin z.B. gestern um 6h aufgestanden, um an-r Abend in Wien zu sein. Dann
setze ich mich zum Spielen einfach auf einen Hocker und tue auf
der Bühne das, was ich ansonsten auch täte, nämlich spielen.
So r,r,ie gestern im Birdland: Wir spielten zu Marianne Mendts
Geburtstag und die Leute schienen es zu mögen. Vor einer 30
Jahre andauernde Karriere habe icl-r Respekt, denn so etwas
kommt nicht von Ungefähr. lch sage >C'est pas de la chanceu
ldtsch: das ist nicht nur Glückl und in Arnelika sagen sie: >She
must be doing something rightu. Jedenfalls ist es fiir mich etwas
Besonderes, in dem Club zu spielen, wo Joe Za$/inul in den Kulissen ist, denn den kenne ich ja auch schon, seitdem ich vor paar
Jahren in die Staaten gekommen bir.r - das rvar Ende 52, als ich
schon mit George Shearing und Joe rnit Cannonball Adderly
spielte....(lacht schelmisch ob der Jahresangaben).
Wie gesagt: Ich spiele eben andauernd, ob mit Airto Moreira,
KennyWerner und Oscar Castro-Neves, anderen Projekten oder
meiner eigenen Band mit Hein van de Geyn am Bass und den
anderen. Oscar nenne ich übrigens ,Freddy Green<... Unvergesslich, als ich Fredd-v Ende der 50er im Birdland in NY traf:
Ich saß neben Billie Holiday und er daneben. Er redete nichts,
spielte aber mit George Shearing. Der Einzige, der die Rhl,thmusgitarre so spielt, wie es sein soll. Außer eben Oscar.. .
Durch den Schlaganfall bin ich rvirklich gläubig geworden,
immerhin habe ich mit allen, die schon gestorben sir.rd, gespielt:
1949 mlt Benny Goodman, der nach der Befreiung in Europa der
erste bekannte Namen war. Eine Zeit übrigens als noch wie
während unserer Europatournee 1950 mit Roy Eldridge und Zoot
Sims ein 3 Seiten-Artikel in der Tageszeitung keine Seltenheit
war. Oder mit Joe Williams, Miles, und 1953 mit Charlie Parker,
Tommy Flanagan, Bill Evans! Oder mit Jaco Pastorius, den ich'81
oder '82 in Berlin traf, als er gerade Weather Report verlassen hatte und erstmals auf Solotour rvar. Und jetzt erst Niels-Henning
Oersted Pedersen - der war ja gerade md 591
Um dennoch immer weiter zu lernen, lese ich derzert z.B.
Claude Debussys Musikkritiken. Ein großartiger Autor. Er redet
über Mendelssohn und Mozart so wie wir ietzt über den Jazzreden.
Und das inwunderschönem Französischl )
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Talkin'about Herbie
im uergangenen Sommer ein
Projekt mit Herbie Hancock gemacht.
Sie haben
netLes
Wie haben Sie siclt kennengelernt?
Herbie lernte ich schon bevor er mit Miles spielte
kennen! Das war 1962 und Herbie kam gerade nach
NervYork. Ich hatte ein einwöchiges Engagement in
einem italienischen Restaurant und brauchte noch
einen Pianisten. Herbie spielte in einem Proberaum vor sich hin und Donald Byrd probte nebenAKTU ELLE CD
Rio Branco< von Gilberto Gil überreicht bekom-
Zeit?u. Also spielten
men. Nur eine Medaille, aber (er kichert sichtiich
amüsiert) Oscar hat sie nicht! In Belgien bin ich sogar zum Baron erhoben lvorden. Das freut mich
zrvar, aber deshalb spiele ich auch nicht besser. Die
Belgier denken ja, ich sei Staatseigentum...
ganz gut
- hat der diese Woche
Island. Danach musste ich nach Schr'r,eden und er
One More For The Road
rvollte mitkommen. ,Schauen rvir mal, vielleicht
nächstes lahru 53g1s ich und im selben Sommer
(Universal, VÖ: Anfang März zoo6)
hatte sich das dann schon erübrigt! Das letzte Projekt ist großartig und es gibt auch weitere Pläne mit
Herbie, die ich aber noch nicht verraten kann.
l(urz mal angeben
Fiiltlert Slesrch dtrrch ihre lattgjältrige Arbeir
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Ss0irllt&. JAfi1li IUtl!hl . Ll,Jnl il[i . i:Ia riFi
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{Ält}l
0neMoreForThsRaad
Die soeben ers(hienene (D )T0ots & Fliends
Over
-
the Rainbow<< srhlägt gleich zwei Fliegen
mit einer l(lappe. Einerseits ist diese tD eine
Hommage an den vor too Jahren geborenen
Harold Arlen, einen der wirhtigsten l(0mp0nisten des "Great Ameriran 50ngb00k<, andefeßeits zeigt sich Dover the Rainbow< auch
als Generationen verbindendes Experiment,
das eine Auswahl der aktuellen lung-lazzer
an T00t's Seite stellt und somit ein gelungenes
Konzept-Album ist. Toots Gäste sind u.a.
die Vokalisten Madeleine Peyroux, Lizz Wright
und jamie [ullum wie auch der Trompeter
Till Brönner.
WEBSITE
www.tootsthielema ns.com
eine Auszeichnung, den >Ordem Commandador de
an. Also fragte ich: ,Hey, Donald, der Tvp spielt
nir in dem italienischen Mafia Restaurant in Long
Tooß Thielemans
neration wie Ivan Lins erweiterten das zur lvirkhchen Osmose zr'vischen Bebop und der brasiiianischen Tradition. Ivan Lins liebe ich besonders. Für
unser DBrasil Proiectu war ich in Rio und dort
möchte ich auch u'ieder hin. Oscar Castro-Neves
rief alle zusammen: mich, Milton Nascimento,
Lins, Caetano Veloso, Chico Buarce... Ich dachte,
die spielen doch nie mit mir, aber dann sind wir alle Freunde geworden. Mittlerweile habe ich sogar
rt Anter
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Natürlich auch. Darf ich mal kurz bisschen angeben? Quincy Jones sagt immer ,Du kannst nicht
aus Belgien stammen!- I think,vour Mama spoke to
a brother!< Das Beste war aber, als er mir mal auf
den Anrufbeantworter draufredete: >Hey Stink - I'
m here with Ray Charles and' we're talkin' 'bout
you, black assl<. Das ist ein riesiges Kompliment
und außerdem heißt es, dass er meine private Telefonnummer hat. "Stink< nennt er mich, rveil ich angeblich wie ein Farbiger, der mal dringend eine Dusche braucht, rieche... Manchmal nennen sie mich
5chöne neue alte Lieder
Bald erscheint lhre neue CD DToots and Friends Ouer the Rainbow<, ein Tribute an Harold Arlens
Werk und ein Trffin mit einigen der derzeit präsentesten Jwtgen wie Jamie CtLllum oder LizzWrigltt...
Einfach schöne Liederl Arlens "Come Rain or Shineu - herrlich! Mir war immer wichtig, zwischen einer Melodie und einem Thema zu unterscheiden.
Gershwins uSummertimen ist z.B. mehr ein Thema
denn ein Song und abgesehen von Arlen halte ich
Irving Berlin für den nGenius of Song<. Auf der
kommenden CD haben wir nun Arlens schönste Titel in neues Gewand gekleidet. Die Idee dazu war
zwar nicht ganz meine, vielmehr meinte der Chef
der Universal Holland, dass ich mal eine CD machen soll, die sich auch verkauft. Und jetzt kommt
sie eben raus. Eine schöne Sache.
aber auch Mister TI (Er lacht sich schief ).
Eine große musikalische Liebe
Abgeseh,en uom Jazz spielt die brasilianische Musik
in Ihrent Schaffen eine ganz besondere Rolle...
Ich liebe brasilianische Musik. Sie klingt in den Tie-
fen immer traurig und in den Höhen immer fröhlich, immer nBetween a smile and a tearu. So ist das
in Brasilien - und so ist das bei mir.
Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre kam der Bossa
Nova auf: Be-Bop Themen mit wunderschönen MeIodien. Über diese Harmonien Melodien zu schrelben, macht auch Iobims Genie aus. Die nächste Ge-
Vive la Chanson
Trotz der grotlen Affinität zum Great American
Songbook und der brasilianischen Musik sind Sie
auch dem Chanson trett geblieben.
A, oui, la chansonl Et Brel!
Er zitiert die letzten Zeilen von ,Ne me quitte pasn:
,Laisse moi devenir l'ombre de ta main, I'ombre de
ton chien...u ldtsch; lass mich der Schatten deiner
Hand, der Schatten deines Hundes seinl. Als ich
das letzte Mal mit Kenny Werner in Montreal war
und Pat Metheny samt dem wunderbaren Trompeter Paulo Fresu mitgespielt haben, spielten wir zum
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Schluss ,Ne me quitte pas(. Die Leute weinten und es
gab l0-minütige Ovationen. Ich spiele es gern und wir
splelen es wirklich gut. Da r'veine ich auch mal selber.
Eine l(unst für sieh"..
Sie gehören ztt den wenigen Grö$en des Jazz, denen es
gelungen ist, einen gesurLdenWeg ztuischen
,KLtnst uttd Kommerz( zu gehen...
Ja, ich bin fast ein Chamäleon. Pulisten sagen >bäh!<,
rvenn sie hören, dass ich das Thema von der uSesam
Strasseu gesplelt habe. Für die Einen bin ich zu kommerziell, tür die Andere n zu jazzig, Aber rvährenddes sen slch Andere das Maul zerrissen, habe ich immer
gearbeitet. Was soll's. Ich finde, man muss nur sich
selbst bleiben. Falls ich eine Qualität habe, dann vielleicht die, rvlrklich Emotionen transportieren zu können.
Probieren geht übef !tudiei-en
IUie haben Sie Ihre Instruntente erlernt?
Ich bin totaler Autodidakt. I learned by playing. 11su1g
kann ich erklären, rvelcher Ton zu rvelcher Skala, r'velchem Akkord gehört. Als man mir aber damals HolI1,'n'ood Filmmusik schickte, musste ich mir die Noten
zuvor ziemlich gut anschauen, damit im Studio a11es
auf Anhieb saß. George Shearing r'var meine Schule.
Und 5 Jahre lang neben Dave Brubeck im Bus sitzen
und über Musik reden. Oder mit Charlie Parker. Von
denen habe ich viel gelernt. lch rvar tatsächlich ,On
the Bird's rvingu. ...unglaubliche Erinnemngenl
Leberrsve rsiche!'ung im %-Takt
Ihre berührnteste Komposition, die >BltLesette<, bezeichnen Sie selbst gern als [hre "Lebensuersicherung(. . .
Ja, die besteVlsitenkarte, die ich habe! Mit ihr habe ich
den Blues und die Musette einander bekannt
Pa
pa Tcots
Wie ist es, eine ArtVaterfigur für andere Harntonikaspieler tuie den Deutschen Hendrik Mettrkens ocler
hierzulande Bertl NIayer zu sein?
Ich war einfach nur der erste, das ist alles. Die Jungen
haben ihren eigenen Stil aber vielleicht habe ich gezeigt, dass auf diesem Instrument Vieles möglich ist.
Dementsprechend bekommen andere Musiker Lust,
es auf diesem Instrument zu probieren. Gregoire
Marais, der mit Cassandra Wilson spielt, lst z.B. auch
ge-
macht. Geschrieben habe ich sie als ich 1962 eine Garderobe mit Stdphane Grappelli geteilt habe. Sie r,var
mehr eine Inspiration und ein Geistesblitz. Ich rvollte
sie gar nicht schreiben, sie r,r'ar einfach dal
Ein StcLndard!
Ja, fast ein Standard...
Nein, ganz sicher!
Ach so? Ist die Bluesette tatsächlich so ein Hit? (lacht)
Ich glaub', da bin zu nah am Thema dran...aber ich bin
einfach dankbar.
sehr gut.
Toots, vielen Dank für das Gesprächl
Rickard frtian
iguitarist/vacalist"
Bandmitglied vo*
The Li*tre witli*s)
iiberzeugl mi! seiner
Debuteinspielung
Slow Slew York
*
Sandra & Tooß
The f.ittte VHinäies;
*ie lifoerraschung des Jahres
v "ru#{;!r.
*k*"'d
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tj,,
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l. a{i*,'
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il**:
r*it ihreftl sensationätlen
derart aparte Stimmc" d*ss sie schan
lrtedesld Madin & sVmd:
Sie Flielxi;ghrs if"rrer S[*s Ft*te Zsit
Atbum thunderbird
mit Sit[ie Floliday verglicheri wurd*
vsn lggs-?+ü5
C"assa*dr* lff
bege istert
Corinste Seitey Ra* verfü$t über
ei*e