Florierendes Berner Rap-KMU
Transcrição
Florierendes Berner Rap-KMU
13 FREITAG, 24. JUNI 2005 KULTUR Florierendes Berner Rap-KMU THEATER Der in Berlin lebende Berner Schauspieler Jonathan Loosli bringt mit «Freaks For Free» eine theatralisch-musikalische Schau nach Bern. Seite 15 AUSSTELLUNG Die Fondation Beyeler präsentiert mit «Picasso surreal» Werke von Picasso, die zwischen 1924 und 1934 entstanden sind. Seite 15 JUKEBOX Chronische Erotomanie SHAKIRA Shakira singt spanisch: Eine Disposition, die nicht etwa überraschend ist. Schliesslich veröffentlichte die Kolumbianerin, bevor sie zum globalen Millionenseller wurde, bereits zwei Alben in ihrer Muttersprache und machte damit halb Lateinamerika stiefelsinnig. Mit «Fijación Oral» (Sony) schwappt die spanische Version ihres neuesten Schaffens über den Atlantik, im November wird eine internationale Variante davon erscheinen. Doch die CD ist ein bizarres Vergnügen: Die Frau, die einst als heissester Südamerika-Export seit Pelé gehandelt wurde, fällt darauf vor allem durch eine seltsam verzweifelt wirkende Liebestollheit auf. Sie schnauft, schnalzt und schmachtet, und manchmal überschlägt es ihr gar ihr kehliges Gesangsorgan vor lauter lüsternem Herrjesses. Shakiras Liedkollektion schlenkert unfokussiert von anstrengenden Latin-Balladen für den gefühlsduseligen Goldkettenträger über sonderbaren B-52-Punk bis zu Pop für die kolumbianische Diskothek. «Fijación Oral» wird nur ganz seichte Pop-Wellen schlagen – ganz egal, ob Shakira nun auf Spanisch oder international scharwenzelt. Mirakulöser Soul LIZZ WRIGHT Kaum jemand hätte mehr zu hoffen gewagt, dass in der Sparte «Pop im jazzverwandten Milieu» noch jemals Musik entstehen könnte, die über den Status des verbraucherfreundlichen SchönerWohnen-Jazz hinausragt. Und nun kommt diese 25-jährige Lizz Wright und haut der Welt mit den ersten beiden Songs ihres Albums «Dreaming Wide Awake» (Universal) eine Musik ums Wohlfühlzentrum, wie sie nur von einer glorios schillernden Soul-Göttin stammen kann. Zwei Stücke, die in ihrer Pracht an die kurze Glanzzeit der Cassandra Wilson gemahnen (Wrights Produzent Craig Street erschuf deren Paradealbum «Blue Light ’til Dawn»). Im Gegensatz zu Wilson ist Lizz Wrights Stimme angenehm frei von Schnörkeln, stets leicht unterkühlt und voll von reizvoll gedämpfter Leidenschaft. Der Einstiegssong «A Taste Of Honey» ist verziert von der Gitarre von Bill Frisell, ein minimal instrumentierter, sagenhaft schöner Blues. Für das Nachfolgestück «Stop» hätte Leonard Cohen Pate stehen können. Eine CD, die sich in ihrer naturbelassenen Grazie über das Mass des Grossartigen hinaus hebt. Von den Fans geliebt, von den Kritikern zerrissen: Das erste Album des Berner Rapkollektivs Chlyklass Das berühmt-berüchtigte Berner Rapkollektiv Chlyklass hat sich in den letzten Jahren ein Imperium auf dem Schweizer Rapmarkt aufgebaut. Nun erscheint die erste gemeinsame Platte von Wurzel 5, PVP und Baze. SIMON JÄGGI Mit der Chlyklass verhält es sich ein bisschen wie mit Francine Jordi: Die Fans liegen ihr zu Füssen, und die Musikkritiker rümpfen angewidert die Nase. Daran wird auch die erste gemeinsame Platte «Ke Summer» (Sony/BMG) von Wurzel 5, PVP und Baze nichts ändern. Im Gegenteil. Die Rezensionen und die Reaktionen der Hörer könnten konträrer nicht sein. Während die Platte in den Kritiken hochkant durchgefallen ist («Weltwoche»: «Schlampenreime»), singt die Kopfnicker-Community wie gewohnt das Loblied. Ein «Meilenstein», findet die Website Aightgenossen.ch, die als Pulsmesser der Szene gilt. Im Forum schreibt «Sheikong»: «Eifach Hammer das Ding», und stimmt damit in den Kanon anderer Beiträge ein. Auf der Liste der bestverkauften Produkte vom «Hip-Hop-Store» – den inoffiziellen Schweizer Rapcharts – startet die Chlyklass-Scheibe auf Platz 1. «Wosch guete Rap, muesch bi Kutti MC sueche», reimt Phantwo in «Ke Summer» und bringt die Wahrnehmungsdifferenzen zwischen Presse und Publikum auf den Punkt. Die Zeile ist nämlich kein ironischer Seitenhieb gegen Kutti MC, Phantwo frotzelt über die Musikjournalisten, die den Nonkonformisten Kutti zur Rettung des Schweizer Raps hochjubelten. Kutti MC hat gegen 1500 Alben verkauft, Wurzel 5 kommen mit ihren beiden Werken auf die zehnfache Stückzahl. Noch nie waren Verkaufszahlen ein Qualitätsmerkmal, aber sie sagen etwas über Bedeutung und Berechtigung. Um dem Werk gerecht zu werden, lässt sich «Ke Summer» eigentlich nur mit vier Ohren hören – zwei für den Kritiker und zwei für Böse Blicke, feine Nase fürs Geschäft: Das Berner Rapkollektiv Chlyklass mit Manager Baldy Minder (2. von rechts). den Kopfnicker. Etwa bezüglich der Frage, ob ein gemeinsames Werk von Wurzel 5, PVP und Baze das Hörvergnügen auch entsprechend potenziert. Viel versprechende Sampler wie «Prestige» (Greis, Taz, Claud mit Deutschrapper Curse) haben nämlich in der Vergangenheit wenig fruchtbare Kollaborationen hervorgebracht. So kommen auch auf «Ke Summer» die Refrains meist nicht über Allgemeinplätze hinaus. «Das isch Chlyklass, Chlyklass, was weit dir au? Chlyklass macht d Schwiz platt, figg aus, Chlyklass Aubum gli i dire Stadt und, immer no dran u gli i de Charts», heisst es im Eröffnungsstück. Bissiger, witziger, hinterhältiger zeigen sich Poul Prügu, Serej und Konsorten erst in den Strophen. Und in so manchem 16-Zeiler kann der geneigte Hörer sich eine Perle ertauchen. Zum Beispiel dort, wo Krust über die Schwierig- [i] KONZERT Lizz Wright am 15. 10. im Kaufleuten Zürich. Ein Berner Rap-KMU Bei einem Blick ins Handelsregister käme man eher auf die Bezeichnung «Kleinunternehmen», doch in der Schweizer Rapszene gilt die Berner Chlyklass schon fast als Imperium. Das florierende Berner Rap-KMU gehört im bescheidenen hiesigen Markt zu den grossen Playern, oder wie man im Rapjargon sagen würde: Die Chlyklass ist «fett im Biz». Seit der Gründung 1999 hat das Kollektiv 35 000 Platten verkauft und 450 Konzerte gegeben. Klassenprimus ist dabei Wurzel 5: Mit 8500 verkauften Exemplaren hält ihr letztes Album «Verdächtig» den internen Verkaufsrekord. National spielen nur wenige Acts in der Chlyklass-Liga: Bligg, Stress, Brandhärd. Den lokalen Markt beherrscht das Kollektiv in unangefochtener Monopolstellung. Sonst bäckt der Berner Rap, speziell die Lehrlingsabteilung, nur kleine Brötchen. Unerfreuliche Folge: Monokultur und kaum geschmackliche Alternativen. Nachwuchsrapper imitieren die Marktführer, statt mit frischen Produkten die Konkurrenz zu beleben. Über Umsatzzahlen mag er nicht sprechen, Baldy Minder, Manager, Vaterfigur und eine Art Pate des Rapsyndikats. Keiner der Chlyklass könne seinen Unterhalt mit der Musik bestreiten, zu bescheiden sind die Umsätze im Rap-Geschäft. Wenn die Chlyklass-Rapper die Wirtschaft ankurbeln, dann ohnehin vor allem in der Beiz. Geschäftssinn weist die berüchtigte Chaotentruppe aber durchaus auf. Die einzelnen Bands haben ihre Alben auf verschiedenen Labels veröffentlicht und damit das alte Musikmarktgesetz genutzt, dass jede Plattenfirma will, was die andere schon hat. Fast jedes grosse Label hat damit seinen Chlyklass-Act, und jeder Chlyklass-Act hat einen hoch dotierten Plattenvertrag. [i] PLATTENTAUFE heute Freitag 20.30 Uhr im Bierhübeli. Santa subito! Rätselhafter Sog JEAN-LOUIS MURAT Im ersten Moment drohen die schmucklosen Chansons von JL Murat an einem vorbeizuwehen wie ein laues Sommerlüftchen. Bis klar wird, dass das gar kein Lüftchen ist, sondern der intime Seelenhauch dieses von über 20 Jahren französischer Subkultur gebleichten Sängers aus dem Zentralmassiv. Auf der neuesten CD «Moscou» (EMI) zelebriert JL Murat die Leichtigkeit des entspannten Musizierens, ohne dabei in Belanglosigkeit unterzugehen. Dabei schenkt er den Chansons nicht nur seine Stimme, sondern kitzelt auch die Mandoline, lässt das Akkordeon schnaufen, spielt Piano, Vibrafon, Flöte, oder er inszeniert Duette mit der hübschen Carla Bruni. Bloss die Poesie hat er delegiert, an einen Mann, der Dinge schreibt wie: «J’aime la fille d’un capitaine – et je dors dans un buisson de clous.» Ein rätselhafter Sog geht von diesen fast schon unanständig unaufdringlichen Liedern aus, die auf dem schlanken Grat zwischen musikalischer Ereignislosigkeit und purer Schönheit oszillieren. Ane Hebeisen keiten des Zurückrufens sinniert, da er beim Fussballschauen stets so vertieft sei. «Ladies meine när i händli das gschisse, doch mis Handy wird aube klaut vo Storchefamilie». Die bösen Buben des Schweizer Raps, die sich genüsslich als saufende Prolls inszenieren, haben mehr Sinn für Selbstironie, als die Kritiker-Zunft denkt. Für beide Seiten, für Kritik und Kopfnicker, erfüllt «Ke Summer» die Erwartungen. Durch die wenig mutige Beat-Auswahl sehen sich jene bestätigt, die dem Berner Rap Innovationsmangel vorwerfen. Für die anderen, die am liebsten Konzerte lang Hände in die Luft werfen, liefert die Scheibe hymnische Nummern wie «Gib/Nimm» oder Bouncer-Kracher wie «Närvös». ZVG Der erst 34-jährigen russischen Opernsängerin Anna Netrebko widmen sich gleich zwei unautorisierte Biografien Nach der Lektüre der beiden praktisch zeitgleich erschienenen Biografien über Anna Netrebko müsste man die russische Sopranistin sofort heilig sprechen. Während das eine Buch wenigstens den Versuch macht, gelegentlich auch hinter die glänzende Marketingfassade und die Mechanismen der PRIndustrie zu schauen, ergeht sich das andere in purer Hagiografie. Bei den Salzburger Festspielen 2002 konnte man den beispiellosen Karrierestart einer jungen Sängerin beobachten. Bis zur Premiere von «Don Giovanni» war Anna Netrebko im internationalen Sängerzirkus ein unbekannter Name, danach war sie der neue Sopranstar mit Auftritten in allen möglichen Blättern und Sendungen. Nur an ihrer wirklich phänomenalen sängerischen und darstellerischen Leistung als Donna Anna konnte das nicht liegen und auch nicht an Netrebkos Aussehen – liest man allerdings Marianne Reissingers Porträt, deutet kaum etwas auf andere Faktoren: «Fast möchte man an Wunder glauben. Bis sich zwischendurch dann umso erschütternder die Erkenntnis einstellt, dass die Dreiunddreissigjährige mit Sicherheit noch nicht auf dem Gipfel ihrer technischen Möglichkeiten und folglich der Karriere angekommen ist.» – Als würde es bei Netrebko primär darum gehen. Kein Wort fällt da über die im Klassikbereich beispiellose Vermarktung. Brav wird das PR-Märchen der Provinzschönheit und ihres kometenhaften Aufstiegs nachkolportiert. Es wird dabei oft nicht einmal klar, welche Informationen denn nun aus den «langen Gesprächen mit Anna Netrebko» stammen und welche nicht. Reissinger schreibt unkritisch die moderne Opernlegende weiter – höchst verzichtbar. Blick hinter die Fassade Auch Gregor Dolak, «Focus»Journalist, kann sich der Legende nicht entziehen. Immerhin ver- nagement allerdings scheint das schon auszureichen, um laut der FAZ sein Buch als «nicht autorisiert» zu verurteilen. «Strategie Superdiva» Anna Netrebko – wenn die Oper ZVG den Superstar sucht. sucht er immer wieder, wenigstens anzudeuten, dass es ihm nur beschränkt gelungen ist, hinter die glänzende Fassade zu schauen. Netrebko oder vor allem ihrem Ma- Es dürfte vor allem das 7. Kapitel sein, das für Unmut sorgt: «Strategie Superdiva». Nach fast 200 Seiten Beschreibung der Person und der Karriere von Netrebko aus der Perspektive auch ihres Umfelds (die ein paar kritische Seitenblicke ermöglicht), versucht Dolak hier den ökonomischen Masterplan aufzudecken, mit dem Agent Jeffrey Vanderveen seinen Schützling vermarktet. Wie wenig es dabei um Kunst und wie viel es um Geld geht (pro Auftritt aktuell bis zu 45 000 Euro allein an Gage), ist zwar nicht überraschend, aber doch desillusionierend zu lesen. Mit den hier präsentierten Voraussetzungen wird man diesen Sommer die bereits sieben Monate vor der Premiere x-fach überbuchte Traviata bei den Salzburger Festspielen mit an- dern Augen sehen, deren Vermarktung auf CD und DVD bereits angekündigt ist. Diesen Zugang hätte man sich auch schon in den vorhergehenden Kapiteln entschiedener gewünscht. Aber das liegt im Objekt begründet: Schauen wir doch in zwanzig oder dreissig Jahren zurück auf Anna Netrebkos Karriere – wenn sie sich bis dann im Geschäft halten kann, hat sie ihre hervorragenden stimmlichen und darstellerischen Fähigkeiten (die in beiden Büchern nicht wirklich analysiert werden) auch ausgenutzt. Wer jetzt schon Biografien über eine Sängerin Mitte dreissig herausgibt, spielt lediglich beim PRGame «Opernbusiness sucht den Superstar» mit. (tg) [i] DIE BÜCHER Gregor Dolak: «Anna Netrebko. Opernstar der neuen Generation». Heyne, München 2005, 255 S., Fr. 35.–. Marianne Reissinger: «Anna Netrebko». Ein Porträt, Rowohlt, Reinbek b. Hamburg 2005, 203 S., Fr. 34.90.