Al otro lado del mar – Auf der anderen Seite des Meeres

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Al otro lado del mar – Auf der anderen Seite des Meeres
Anna, Amal & Anousheh
Al otro lado del mar – Auf der anderen Seite des Meeres
Kurzfilm, ab 16 Jahren
Regie: Patricia Eleanne Ortega
Produktion: Kuba/Venezuela 2005
Sprachen: Spanisch
Untertitel: Deutsch, Französisch, Englisch
Dauer: 12 Minuten
Inhalt Ana, ein etwa zehnjähriges Mädchen in Maracaibo, Venezuela, macht Seifenblasen, spielt mit
ihrer Puppe und wird von den erwachsenen Frauen gescholten. Wenn sie kein Geld verdient, wird
sie ihre Unterkunft verlieren. Sie soll Geld beschaffen, egal wie. Die Kleine wird von einer etwas
älteren Freundin zuerst zum Verkauf von Gebäck angehalten. Da dies keinen Erfolg zeitigt, bleibt
ihr nichts anderes übrig, als ihren Körper zu verkaufen. Die Bildsprache ist voller Symbole und
zeigt die innere Welt, die seelische Befindlichkeit von Ana anhand von Kühlräumen, aufgehängter
Tierleiber, Blut und Schlachter auf dem Markt. Am Ende des Filmes schnüffelt Ana Drogen, um
den seelischen Schmerz abzutöten. Sie blickt einem jüngeren Mädchen beim Puppenspiel zu,
eben von der anderen Seite des Meeres.
Zur Regisseurin Patricia Eleanne Ortega ist 1977 in Venezuela geboren und erhielt 2005 ihr Diplom an der internationalen Filmschule FICTV in Havanna.
Zum Film Die venezolanische Filmschulabsolventin Patricia Ortega hat dramatische, symbolgeladene
Bilder für das schwierige Thema gewählt, um die Abscheulichkeit der Ausbeutung von Kindern
zu visualisieren. So findet zum Beispiel Ana ihren allerersten ‹Kunden› in einer Metzgerei. Das
rohe Fleisch geschlachteter Tiere weckt klare Assoziationen: Wenn Ana die Treppe hochsteigt,
ist es, als ob sie zur Schlachtbank schreite, sie verkauft ihr «Fleisch».
Diese deutliche Bildsprache evoziert die ganze Verwerflichkeit von Kinderprostitution und macht
den Ekel des Kindersexgewerbes fast physisch erfahrbar. Der Film ruft gerade deswegen möglicherweise kontroverse Reaktionen hervor. Dies ist aber auch eine gute Ausgangslage für eine
engagierte Diskussion. Sie sollte sich neben den inhaltlichen Aspekten auch mit formalen Kriterien (Bildsprache, Kameraführung, Einstellungen, Farben, Symbolik etc.) des Films befassen.
Der an der Filmschule Kuba entstandene Kurzfilm ist ein Appell gegen die Ausbeutung von Kindern weltweit und eine Anklage an die Gesellschaft, die es zulässt, dass Mädchen sich aus lauter
Armut prostituieren müssen.
Anna, Amal & Anousheh
Al otro lado del mar – Auf der anderen Seite des Meeres
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Hintergrundinformationen Venezuela
Fläche912 050 km2
EinwohnerInnen2006: 27 000 000 = 30 je km2
HauptstadtCaracas
Landessprachen
Spanisch, indianische Sprachen
Religion
86 % KatholikInnen, 5 % ProtestantInnen, Minderheiten von
Orthodoxen, Muslimen und Juden
Einkommen je Einw.4810 $ (Bruttonationaleinkommen pro Kopf, 2005)
AlphabetisierungMänner: 93 %; Frauen: 93 %
Lebenserwartung73 Jahre
Schwerpunkt Die seelische Not Anas mit den durch die Bildsprache ausgedrückten Gefühlen in Verbindung
bringen; Hintergründe der Kinderprostitution kennen; die Missachtung der Kinderrechte herausarbeiten.
Lernziele•Die Gefühle Anas und die Bildsprache miteinander in Verbindung bringen
• Die Symbolsprache des Filmes analysieren
• Hintergründe der Kinderprostitution in armen Ländern verstehen
• Körperliche und seelische Grenzverletzungen erkennen
• Die seelische Not und die Schwierigkeit der Identitätsentwicklung missbrauchter Kinder
in Zusammenhang bringen.
Anna, Amal & Anousheh
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Al otro lado del mar – Auf der anderen Seite des Meeres
Didaktischer Zugang
Teilziele
Methode
Zeit
Material
Einstimmung auf den Film
Gruppen bilden, jede Gruppe erhält 6 Bilder und
erfindet eine Geschichte (Reihenfolge der Bilder
nicht vorgeben)
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AB 1: Fotos
Geschichten erzählen
Sich die Geschichten erzählen, je nach Gruppengrösse entweder im Plenum oder jeweils zwei
Gruppen zusammen
10 – 15
Visionierung «Al otro lado del
mar»
Die SchülerInnen lassen die Bilder und die Stimmungen auf sich wirken.
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Gefühle in körperlichen Ausdruck umsetzen
Da der Film emotional sehr bewegend ist, wird bei
den Gefühlen angeknüpft.
Die Lehrperson gibt folgende Anweisungen:
«Sucht euch einen Platz im Stehen. Ich werde
euch einzelne Filmausschnitte nennen. Ihr versetzt euch in Ana und ahmt die Körperhaltung
nach, welche das Gefühl in dieser Situation wiedergibt. Versucht, die entsprechenden Gefühle
nachzuempfinden.» (Die Szene des sexuellen
Ausbeutung soll unbedingt ausgelassen werden!!) «Wem es zu unangenehm ist, darf gerne
aufhören. Die anderen versuchen, sich in Anas
Gefühlswelt zu versetzen.»
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Austausch
Durch welche Gefühlswelten geht Ana?
Variante: Evtl. ein Bild zeichnen, das Anas
Gefühle darstellt.
Eindrücke des Filmes
Der Film ist schwer und traurig. Ist es sinnvoll, ihn
trotzdem anzusehen?
Ansichten sammeln, sie mit den Aussagen der
Schülerinnen und Schüler aus Muttenz vergleichen.
Bildsprache und Symbole
erkennen
Zweite Visionierung des Films:
Ein Teil der Gruppe protokolliert den Auftrag: Der
Film nimmt mittels Symbolen vieles vorweg (zum
Beispiel wird der Puppe die Lippen bemalt und
die Hose hochgezogen, d.h. das Kind wird zur
sexualisierten Frau gemacht. Das Lutschen am
Lollipop weist auf das Lutschen des Penis hin, das
Blut auf die anstehende emotionale Verletzung).
Situationen:
• Ana pustet Seifenblasen.
• Sie wird geschüttelt und beschimpft.
• Der Junge will sie küssen.
• Sie verkauft kleine Kokosplätzchen
auf dem Markt.
• Sie wird von ihrer Freundin gehalten
und gestreichelt.
• Eine Frau stösst sie weg.
• Sie erhält vom Metzger einen Lollipop.
• Sie schläft alleine in einer Halle.
• Sie befindet sich alleine im Kühlraum.
• Sie schnüffelt Drogen.
• Sie schaut dem kleinen Mädchen zu,
das mit einer Puppe spielt.
AB 2: «Meine Eindrücke zum Film»
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AB 3: «Bild- und Symbolsprache»
AB 4: «Grenzverletzungen wahrnehmen»
Grenzverletzungen
wahrnehmen
Hier ist es wichtig, auch die Beobachtung von
Grenzverletzungen als eigentliche Verletzung
wahrzunehmen; also zum Beispiel die Freundin,
die im Kühlraum einen Mann bedienen muss oder
die Bilder der drogensüchtigen Jungen. Auch die
verletzenden Worte der Erwachsenen oder der
Hunger des Mädchens gehören dazu. Je genauer
man schaut, desto mehr Verletzungen werden
sichtbar.
Protokolle erstellen
Die Arbeitsblätter weiter bearbeiten
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Ergebnisse austau­schen
Im Plenum oder zwei Halbgruppen den Titel des
Films klären
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Weitere Informatio­nen
Bearbeiten der Unterlagen: Menschenhandel und
Zwangsprostitution
30–60
AB 5: «Menschenhandel und Zwangsprostitution»
Anna, Amal & Anousheh
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Weiterführende Ideen Brief schreiben
Schreibe einen Brief an eine der folgenden Personen oder Gremien (Ana, den Schlachter, die
Regierung Venezuelas, unsere Regierung). Drücke darin aus, was du wichtig findest, um die
sexuelle Ausbeutung und die Situation der Kinder dieser Welt zu verbessern.
Foto mit Symbolen erstellen
Erstelle mit Hilfe von Symbolen ein Bild zum Thema Kinderarmut, Strassenkinder oder Prostitution oder zu einem anderen Thema. Fotografiere es. Die anderen der Gruppe versuchen, die
Symbole zu entschlüsseln.
Internetrecherche
Welche Organisationen setzen sich zum Schutz der Kinder gegen sexuelle Ausbeutung ein? Was
tun sie genau?
Welche Probleme bei der Umsetzung des Kinderschutzes zeigen sich? Was ist heute noch nicht
gelöst?
Welche Programme zur Stärkung der persönlichen Grenzen gibt es? Was wäre zusätzlich nötig?
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Arbeitsblatt 1, Seite 1
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Arbeitsblatt 1, Seite 2
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Arbeitsblatt 1, Seite 3
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Arbeitsblatt 2, Seite 1
Meine Eindrücke zum Film
Wie hast du den Film erlebt? Welche Gefühle löst er bei dir aus? Was machst du mit diesen
Bildern und Informationen? Macht dich der Film traurig, wütend …?
Anna, Amal & Anousheh
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Arbeitsblatt 2, Seite 2
Stimmst du diesen Eindrücken zu?
Diese Eindrücke beschrieben achtzehnjährige Schülerinnen und Schüler der Fachmaturitätsschule
aus Muttenz. Nicht alle haben sich geäussert. Diskutiert zu zweit die untenstehenden Aussagen
und verfasst weitere eigene.
Ja
Zum Teil
Nein
Nur weil man die Augen und Ohren vor solchen Themen verschliesst,
bedeutet dies nicht, dass es sie nicht gibt. (Carmen)
Der Film versetzt uns für 10 Minuten auf die Strassen Venezuelas.
(Adina)
Ein eindrückliches Schicksal eines Mädchens, welches der Prostitution
zum Opfer fällt. (Stefanie)
Menschen, die Hunger leiden, weil sie keine andere Wahl haben, dürfen
stehlen. (Reto)
Kinderprostitution ist in einer solchen Situation die einzige Lösung.
(Viviane)
Ein Kinderlachen erstickt in den Strassen Venezuelas. (Adina)
Ein Kind zur Arbeit zu zwingen, auch wenn man in einer Notsituation
ist, ist unmenschlich. (Reto)
Wie krank ist die Welt eigentlich? (Raffael)
Der Film ist gut, weil er einen realistischen Einblick in die Welt
und das Leben eines mittellosen, zur Sexarbeit gezwungenen Kindes gewährt. (Martin)
Im Film wird gezeigt, wie Männer junge, hilflose Mädchen
benutzen. (Sara)
Jeder von uns ist mitschuldig, dass es Menschen gibt, die so leiden
müssen. (Carmen)
Unklar bleibt im Film, wer genau welche Rolle hat. Das finde ich
nicht gut. (Sara)
Kinderprostitution ist ein zunehmendes Problem. Es sollte mehr
darüber informiert werden. (Laura)
Man darf die Augen vor diesen Problemen nicht verschliessen.
Es ist wichtig, sich damit auseinander zu setzen. (Fabienne)
Ich schätze danach meine eigene Kindheit wieder. (Adina)
Eine Frau stösst sie weg und will in Ruhe gelassen werden.
Ana verkauft Esswaren auf dem Markt.
Der Junge nähert sich Ana, sie weist ihn zurück und rennt
davon. Sie will nichts mit die­sem Jungen zu tun haben.
Kleiner Junge bläst in die Tüte, im Hintergrund sieht man
Öd­land.
Der Junge küsst das andere Mädchen.
Ana wird beschimpft, sie soll Geld anschaffen gehen, sonst
hat sie keinen Schlafplatz mehr.
Sie zieht der Puppe die Hose hoch und bemalt die Lippen der
Puppe.
Genaue Beschreibung der Stimmung
Bild- und Symbolsprache Schritt für Schritt nachvollziehen
Al otro lado del mar – Auf der anderen Seite des Meeres
Ana bläst Seifenblasen, spielt mit der Puppe.
Bilder
Anna, Amal & Anousheh
Was wollen die Bilder aussagen?
Arbeitsblatt 3, Seite 1
Al otro lado del mar – Auf der anderen Seite des Meeres
Ana blickt das kleine Mädchen mit der Puppe an.
Der Blick auf die andere Seite des Meeres
Ana bläst die Tüte auf.
Das Bild eines roten Tierlei­bes
Dunkelheit, man hört nur das Herzpochen.
Im Kühlraum hängen die Tierleiber.
Das ältere Mädchen schickt Ana hinauf: «Geh und warte!»
Ana schläft alleine in diesem riesigen Raum.
Im Restaurant versucht Ana, Lebensmittel zu verkaufen: Nun
wird sie erneut fortgejagt.
Der Schlachter gibt Ana den Lollipop und zwinkert ihr zu.
Der Stand des Schlachters
Anna, Amal & Anousheh
Arbeitsblatt 3, Seite 2
Beschreibung der Szene
In den UNO-Kinderrechten kann man folgende Rechte nachlesen:
Körperliche und seelische Grenzen
Al otro lado del mar – Auf der anderen Seite des Meeres
1. Welche Möglichkeiten, sich zu wehren, gäbe es in der jeweiligen Situation?
2. Kennst du Situationen, in denen diese Rechte bei uns auch verletzt werden?
3. Beschreibe eine Situation, in welcher Kinderrechte bei uns verletzt werden. Was könnte man dagegen unternehmen?
Schau dir den Film an und beschreibe danach einzelne Szenen: Wo werden welche Kinderrechte verletzt?
1. Kinder haben ein Recht auf Gesundheit.
2. Kinder sollen vor Misshandlungen geschützt werden (Schläge, Verwahrlosung, unangenehme Berührungen).
3. Kinder haben ein Recht auf Spiel, Freizeit und Erholung.
Anna, Amal & Anousheh
Recht Nr.
Arbeitsblatt 4
Anna, Amal & Anousheh
Al otro lado del mar – Auf der anderen Seite des Meeres
Arbeitsblatt 5, Seite 1
Hintergrundinformationen Menschenhandel und Zwangsprostitution
Der Menschenhandel boomt weltweit
Der Handel mit Menschen in den unter­schiedlichsten Formen (Organhandel, Frauen und Kinderhandel, Sextourismus, Entführungen usw.) ist die kriminelle Akti­vität, die derzeit am schnellsten
zunimmt. Das globalisierte Geschäft mit dem Sex ist ‑ mehr oder weniger ‑ offen Teil der Ent­
wicklungsstrategie einiger Länder gewor­den. Dies betrifft vor allem Asien: In Thailand zählt man
jährlich über 800 000 Besucher, 2 Millionen Sexarbeitende, wovon 300 000 minderjährige Kin­der
sind.­Auch auf den Philippinen, in Malay­sia und in Indonesien ist das Geschäft mit dem Sex ein
entscheidender wirtschaftli­cher Faktor.
(Atlas der Globalisierung, 2006, S. 48–49)
Frauenhandel mitten in Europa
Das Geschäft mit dem weiblichen Körper boomt wie nie zuvor. Der Handel mit der «Ware Frau»
bringt den Profiteuren Milliardengewinne, die ähnlich hoch sind wie die aus illegalem Drogenund Waffenhandel. Jährlich wer­den in Europa ca. 500 000 Frauen, meist im Alter von 16 bis
25 Jahren, zur Prostitution gezwungen. Männer aus Deutschland oder anderen westlichen Ländern, die zum Beispiel in Tschechien oder Rumänien Kinder missbrauchen, müssen in der Praxis
nach wie vor kaum eine Strafe fürchten. Täter und Zuhälter werden nur selten dingfest gemacht.
Zwar haben in den vergangenen Jahren viele Staaten ihre Gesetzgebung zum Kinder­schutz verbessert. Doch es mangelt so­wohl an der Umsetzung als auch an einer wirksamen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbe­hörden. Die Folge: Für viele Kinder im
Grenzgebiet zwischen Ost- und Westeu­ropa gehört Kinderprostitution zum Alltag.
Eine von UNICEF unterstützte Studie in Tschechien ergab, dass in der Grenzregion zu Deutschland
jedem siebten befragten Kind schon einmal Geld für Sex angeboten wurde.
Über den Umfang der Kinderprostitution gibt es nur Schätzungen. UNICEF spricht von ca. 2 Millionen Kindern weltweit, davon sind 80% Mädchen betroffen.
(Kirchen Baselland: Ohne Glanz und Glamour: Frauenhandel und Zwangsprostitution im Zeitalter
der Globalisierung, 2006; www.kirchenbl.ch, > Download Begleitbroschüre)
In Deutschland erreichten Menschenrechts- und Kinderschutzorganisationen in den vergangenen
Jahren, dass sich einige Reiseveranstalter dazu verpflichteten, in den Vertragshotels keine sexuelle Ausbeutung von Kindern zuzulassen. Gleichzeitig konnten diese Organisationen eine
Gesetzesänderung des deutschen Strafrechts erwirken: Männer, die im Ausland Kinder sexuell
ausbeuten, können dafür auch in Deutschland vor Gericht gestellt werden. Das ist wichtig, da es
Männer gibt, die im Ausland Kinder missbrauchen und sie anderen Touristen zum Kauf anbieten.
Diese Täter befinden sich zum Tatzeitpunkt nicht in Deutschland und konnten deshalb bis vor
kurzem nicht vor Gericht gestellt werden.
Verschiedene Menschenrechts- und Frauenorganisationen lancierten die «Kampagne Euro 08
gegen Frauenhandel und Zwangsprostitution». Sie nutzen die Austragung der Fussball-Europameisterschaft im Juni 2008, um ein möglichst grosses Publikum zu erreichen. Alle Länder, deren
Fussballmannschaften an der Euro 08 mitspielen, sind entweder Herkunfts- oder Zielland von
Frauenhandel. «Wir wollen die Euro 08 nutzen, um die dringenden Probleme des Frauenhandels
und der Situation der Opfer zu einem Thema zu machen.»
Anna, Amal & Anousheh
Al otro lado del mar – Auf der anderen Seite des Meeres
Arbeitsblatt 5, Seite 2
Weitere Informationen unter www.unicef.ch / www.unicef.de / www.unicef.at
www.amnesty.ch / www.amnesty.de / www.amnesty.at
www.frauenrechte.de
www.ecpat.net
www.fiz-info.ch
Weitere Literaturhinweise Somaly Mam: Das Schweigen der Unschuld: Mein Weg aus der Kinderprostitution und der
Kampf gegen die Sex-Mafia in Asien, 2007.
FIZ Fraueninformationszentrum für Frauen aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa,
Zürich: Betrogen und verkauft. Frauenhandel in der Schweiz und anderswo, 2003.
Der Weg in die Zwangsprostitution
Ein Beispiel aus der Schweiz
«Janet kommt aus Argentinien und ist 26 Jahre alt. Früher arbeitete sie in einer Cafeteria und
sorgte mit ihrem Einkommen für ihre vierjährige Tochter und ihre Mutter. Doch der Lohn war
gering, er reichte kaum, um die Grundbedürfnisse zu be­f riedigen. Da erzählte ihr eine Bekannte
von einer Stelle in einem Restaurant in der Schweiz. Janet sah eine Möglichkeit, vertraute der
Bekannten und reiste in die Schweiz.
In Zürich angekommen, wurde Janet von einem Schweizer abgeholt und direkt in ein Bordell in
eine Kleinstadt gebracht. Pass und Ticket wurden ihr abgenom­men und sie erfuhr, dass sie
10 000 Franken Schulden habe, die sie nun abarbeiten müsse. Dies würde ungefähr fünf Monate
dauern, machte ihr der Schweizer klar. Danach könne sie auf eigene Rechnung arbeiten. Janet
leistete die Arbeit nur widerwillig, hatte aber immer das Ziel vor Augen, in ein paar Mo­naten ihrer
Familie endlich Geld schicken zu können.
Janet durfte das Haus nicht ohne Begleitung verlassen und wurde rund um die Uhr kontrolliert.
Sie arbeitete sieben Tage die Woche, musste alle Dienste leisten, welche die Freier verlangten
und erhielt keinen Lohn. Der Besitzer rechnete ihr re­gelmässig vor, wie viel er ihr für Unterkunft
und Essen abzog, und wie hoch ihre Schulden noch waren.
Auch andere Frauen lebten in diesem Bordell. Sie stammten aber aus osteuro­päischen Ländern,
weshalb sich Janet nicht mit ihnen verständigen konnte. Manchmal wurden die Frauen vom Besitzer oder der Aufseherin sogar ge­schlagen.
Nach acht Monaten erhielt Janet noch immer kein Geld, weshalb sie eines Nachts floh und in einen
Zug stieg. Mit Hilfe einer Passantin fand sie ins FIZ. Janet überlegte sich, eine Anzeige zu erstatten, entschied sich aber aus Angst vor Repressalien, dies nicht zu tun. Sie wollte so schnell wie
möglich wieder nach Argentinien zurück, das FIZ unterstützte sie bei ihrer Rückkehr.»
Selbst Frauen die zuvor wissen, dass sie als Sexarbeiterin tätig sein werden, kön­nen kaum ahnen,
welche Bedingungen sie in Kauf nehmen müssen. Sie dürfen häufig keine Freier ablehnen, müssen bis zu 15 Stunden täglich arbeiten und werden ständig überwacht. Häufig können sie nicht
einmal den sexuellen Kontakt ohne Kondom ablehnen. Auch der Zugang zur medizinischen Versorgung ist bei Zwangsprostituierten untersagt. Sie sind gezwungen, selbst perverse Wünsche
und Schläge zu akzeptieren.
Anna, Amal & Anousheh
Al otro lado del mar – Auf der anderen Seite des Meeres
Arbeitsblatt 5, Seite 3
Da erstaunt es nicht, dass diese Mädchen und jungen Frauen psychisch schwer traumatisiert
sind. Um die Schmerzen auszuhalten, werden sie zum Konsum von Al­kohol, Drogen und Medikamenten gezwungen, ihre Gesundheit wird durch Gewalt, Geschlechtskrankheiten, HIV Infektionen und Abtreibungen ruiniert.
Über die Freier weiss man wissenschaftlich wenig, es sind junge und alte, verheiratete und ledige
Männer, Inländer und Migranten, gut Situierte und Sozialhil­feempfänger. Kunden sind der Ehemann, der Kollege oder der Nachbar von ne­benan. Also ganz normale Männer: den typischen
Freier gibt es nicht.
Freier wissen häufig nicht, ob es sich um Zwangsprostitution handelt oder nicht. Um dies herauszufinden, können sie jedoch auf konkrete Zeichen achten:
Macht die Sexarbeiterin einen eingeschüchterten Eindruck?
Erfolgt die Zahlung an einen Zuhälter?
Spricht die Frau die Landessprache?
Hat sie die Freiheit, bestimmte Praktiken abzulehnen?
Der Freier kann in diesem Fall Hilfe anbieten, indem er einen Anruf an eine Hilfsor­g anisation oder
an die Polizei gewährt.
Quelle: Ohne Glanz und Glamour: Frauenhandel und Zwangsprostitution im Zeitalter der Globalisierung, 2006; Ausstellung und Begleitbroschüre: www.kirchenbl.ch

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