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F. E. FALLSTUDIE STADT WILHELMSHAVEN F. Fallstudie Stadt Wilhelmshaven 242 F.1 Kristin Klaudia Kaufmann Strukturwandel und Wandel des Wohnungsmarktes Im Folgenden wird ein Überblick über wichtige Kennziffern der demographischen und wirtschaftlichen sowie wohnungsmarktbezogenen Entwicklung der direkt an der Nordsee gelegenen, niedersächsischen kreisfreien Mittelstadt Wilhelmshaven mit zeitlichem Schwerpunkt zwischen 1999 und 2009 gegeben. F.1.1 Demographische und wirtschaftliche Entwicklung Wilhelmshaven verzeichnet seit vielen Jahren erhebliche Bevölkerungsverluste. Diese resultieren insbesondere aus einem seit den 1970er Jahren anhaltenden natürlichen negativen Bevölkerungssaldo. So wurden bereits seit dem Jahr 1970 weniger Kinder geboren als Personen starben. Räumliche Wanderungssalden dagegen unterlagen starken Schwankungen und waren vor allem an die lokale Arbeitsmarktlage gekoppelt. Wie aus Abb. F-1 ersichtlich, schrumpfte zwischen 1999 und 2009 die Bevölkerung um über 5.300 Einwohner (-6,1 %). Im Jahr 2010 war dagegen ein leichter Bevölkerungsanstieg zu verzeichnen. 81.300 Einwohner lebten mit Hauptwohnsitz in der Stadt. 95.000 106,0 90.667 Einwohner mit Hauptwohnsitz 90.561 104,0 90.000 102,0 86.453 100,0 85.287 85.000 98,0 81.324 96,0 81.137 80.000 94,0 92,0 75.000 relative Bevölkerungsentwicklung (1999=100%) 108,0 90,0 1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008 Abb. F-1: Bevölkerungsentwicklung der Stadt Wilhelmshaven (1990-2010) Unterstreichung: Jahr des Verkaufs des kommunalen Wohnungsunternehmens (2000) Fett: Zeitraum der Untersuchung Quelle: Internetauftritt Statistik und Wahlen Wilhelmshaven 2010. Eigene Darstellung. Wenngleich die Stadt nach der deutschen Wiedervereinigung von nationalen und internationalen Wanderungen profitieren konnte und einen kurzfristigen Anstieg der Bevölkerung verzeichnete, war sie insgesamt seit Anfang der 1990er Jahre durch eine negative Bevölkerungsentwicklung geprägt. So konnte auch die seit dem Jahr 2004 gegebene positive Wanderungsbilanz441 den seit mehreren Jahrzehnten anhaltenden Trend nicht umkehren. So erzielte Wilhelmshaven zwar insbesondere durch die Gruppe der 18-25-jährigen Bildungswanderer (häufig Studierende der Fachhochschule) zumeist zeitlich befristete Zuwanderungsgewinne, verzeichnete aber gleichzeitig nahräumliche Wanderungsverluste durch zumeist suburbane Wohnorientierung. Wichtigster Abwanderungsgrund aus der Stadt war die regionale Arbeitsplatzsuche. Räumliche Wanderungsgewinne insbesondere durch Zuwanderung aus dem Ausland, die in den letzten Jahren vornehmlich zeitlich befristet durch Montagearbeiter auf den Großbaustellen Jade-Weser-Port sowie den Neubau eines Kraftwerkes zurückzuführen waren (Stadt Wilhelmshaven 2011d, 06). 441 Fallstudie Stadt Wilhelmshaven 243 Die Bevölkerung Wilhelmshavens altert. Bereits im Jahr 2008 zählte sie mit einem Durchschnittsalter von 45,3 Jahren zu den ältesten Niedersachsens (Landesbetrieb für Statistik und Kommunikationstechnologie Niedersachsen 2011, 09). Im Jahr 2009 war beinahe jeder vierte Einwohner im Seniorenalter. 1999 traf dies noch auf jeden fünften Einwohner zu. Während die Gruppe der Kinder und jungen Erwachsenen bis unter 21 Jahre sowie der älteren Erwerbstätigen (45- bis unter 65 Jährige) zwischen 1999 und 2009 relativ konstant blieb, sank die Gruppe der jungen Erwerbstätigen 21- bis unter 45-Jährigen kontinuierlich (Internetauftritt Statistik und Wahlen Wilhelmshaven 2010). Die kleinräumige Bevölkerungsvorausberechnung des Niedersächsischen Landesamtes für Statistik442 sagt Wilhelmshaven zwischen 2009 und 2019 bzw. 2031 weitere Verluste voraus (- 7,3 % bzw. 15,3 %). Auch zukünftig zählt Wilhelmshaven damit zu den demographisch intensiv schrumpfenden und alternden Städten Deutschlands. Sie ist die am stärksten schrumpfende kreisfreie Stadt Niedersachsens. Im Rahmen des bundesdeutschen Experimentellen Wohnungs- und Städtebau-Forschungsfeldes [ExWoSt] Stadtumbau West wurde die Stadt Wilhelmshaven dem Stadttyp „Stadt in der Strukturkrise“443 zugeordnet. Prägend für diesen Typ waren Prozesse der wirtschaftlichen und demographischen Schrumpfung, die mit Wohnungsleerständen und Brachfallen von Gebäuden und Flächen sowie der Unterausnutzung von sozialer Infrastruktur einhergingen. Dagegen zählte nach Analysen der Bertelsmann Stiftung (2011a: 03) Wilhelmshaven zum Demographietyp der „Stabilen Mittelstädte und regionalen Zentren mit geringem Familienanteil“. Für die Stadt wird eine Abnahme der Bevölkerung zwischen 2009 und 2030 um 8,4 % prognostiziert. Auch die wirtschaftliche Entwicklung ist von Strukturbrüchen geprägt. Zwei Drittel der Untersuchungsstadt sowie große Teile der wirtschaftsprägenden Werftanlagen wurden im II. Weltkrieg zerstört bzw. nach Kriegsende demontiert. Die Stadt war gezwungen, ihre wirtschaftliche Entwicklung durch die Ansiedlung mittelständischer Unternehmen neu auszurichten. Die Weichenstellung erfolgte bis Mitte der 1950er Jahre. Eine der wichtigsten Ansiedlungen war die 1956 durch deutsche und ausländische Ölgesellschaften erfolgte Gründung der Nordwest Ölleitung GmbH mit Sitz in Heppenser Groden. Mit dieser Ansiedlung stieg Wilhelmshaven aufgrund seiner Lage am Wasser „ins Ölgeschäft“ ein. Unterstützt durch die Bundesregierung entstand so der einzige Tiefwasserhafen Deutschlands – das bis heute wichtigste wirtschaftliche Standbein der Stadt. Parallel zum Ausbau und der Errichtung neuer Hafenanlagen wurde durch das neue Marinearsenal (1957) die Grundlage für einen der heute größten lokalen Arbeitgeber geschaffen. Die wirtschaftliche Entwicklung in den 1970er Jahren war durch eine intensive Orientierung auf großindustrielle Investitionen geprägt. So wurde das nordwestliche Gebiet um das Jadefahrwasser sukzessive durch die Stadt zum Gewerbe- und Industriegebiet für Großindustrie mit Schwerpunkt Raffinierie und Chemie (z. B. Chemiewerke der Alusuisse Atlantik GmbH oder Imperial Chemical Industries Ltd, Raffiniere der Mobil Oil AG, 720 MW-Kohlekraftwerk der Nordwestdeutschen Kraftwerke AG etc.) ausgebaut. Der wirtschaftliche Strukturwandel traf Wilhelmshaven jedoch bereits in den 1980er Jahren und wurde durch die Schließung der Raffinerie (1985) und dem damit verbundenen Auftragsverlust vieler Zulieferer im Bereich des Klein- und Mittelstandes eingeleitet444. Bereits zu Für 2019: Niedersächsisches Landesamt für Statistik 2011b; für 2031: Niedersächsisches Landesamt für Statistik 2011, 20 [bei leicht modifizierter Grundannahme der Bevölkerung im Jahr 2009: 81.137 (2011) vs. 81.411 (2011b). 443 BMVBS/ BBR 2008a, 11. Aufgabe dieser Städte ist es allgemein, einen Strukturwandel und die strukturelle Neuordnung von Nutzungen einzuleiten. 444 Z B. Schließung der nach 1945 angesiedelten Maschinenfabrik Schlafhorst & Co., Kammgarnspinnereien Wilhelmshaven AG, Insolvenz der Maschinenbaufirma Helmut Lotze, Schließung der Firma Präzisionsmechanik und Maschinenbau Franz Kuhlmann, der Firma Kocks Krane GmbH, der Firma Förderanlagen und Maschinenbau GmbH (FMW) sowie die AEG Olympia GmbH 442 244 Kristin Klaudia Kaufmann diesem Zeitpunkt entwickelten sich Beschäftigtenzahlen und Demographie der Stadt entkoppelt von Entwicklungstrends des Landes Niedersachsen. Eine auf Internationalität und Großprojekte orientierte Ansiedlungspolitik war gescheitert. Denn während der wirtschaftliche Fokus Wilhelmshavens auf der Ansiedlung von Großindustrie lag, hatte man es strategisch versäumt, lokale Wirtschaftskreisläufe zu fördern und den ökonomischen Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsorientierung zu begleiten. Bis Mitte der 1990er Jahre war die Quote der Arbeitsuchenden auf knapp 20 % angestiegen. Allein zwischen 1988 und 2003 wurden 5.600 zivile und militärische Arbeitskräfte (- 43 %) in Wilhelmshaven freigesetzt (Stadt Wilhelmshaven 2007b, 12). Neben der steigenden Arbeitslosigkeit führten die mit Unternehmensaufgaben verbundenen Verluste an Gewerbesteuer zu einer wachsenden Schieflage des städtischen Haushaltes. Ende der Nullerjahre zählten öffentliche Verwaltungen und Dienstleister zu den wichtigsten Arbeitgebern der Stadt. Umso verständlicher war es, dass die Stadt seit 2008 auf die 2012 geplante Eröffnung des Jade-Weser-Ports (Tiefseehafen für Containerschiffe) setzte. Um auf einen wirtschaftlichen Zuwachs vorbereitet zu sein, wurden neue Gewerbeflächen und Wohnbauflächen ausgewiesen. „…wir werden und haben auch schon sehr viel Gewerbegebiete ausgewiesen. Ungefähr 280 ha insgesamt über das Stadtgebiet verteilt. Daraus sind 140 Hektar städtisch in unserem Eigentum und wir sind daran, jetzt auch noch zusätzliche Wohnbauflächen auszuweisen, vor allem im Rahmen von Verdichtung, aber auch Erweiterung. […] das Baurecht tut ja nicht weh und wenn Bedarf da ist, das heißt wenn Firmen sich hier ansiedeln und Mitarbeiter dann hier herziehen, dann möchten sie bitte auch in der Stadt gleich bleiben…“ [\WHV_SV_02.-6\] Sowohl vom Jade Weser Port als auch der Neuerrichtung eines Kohlekraftwerks wurden sich neue wirtschaftliche und demographische Impulse durch Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte erhofft. Neben diesen Großinvestitionen gelten zudem unterschiedliche Forschungseinrichtungen sowie die im Jahr 2009 gegründete Jade-Hochschule mit 4.000 Studierenden als neue Zuwanderungsmagneten445. Gleichzeitig hat man lokal auf den weiteren Abbau von Bundeswehr- und Marinearbeitsplätzen sowie überregional festgelegte wirtschaftliche Standortveränderungen keinen Einfluss. Dieses Spannungsverhältnis aus Wachstumshoffnungen und wirtschaftlicher sowie demographischer Realität hemmte das strategische Agieren der Stadt im Bereich der Stadtentwicklung. Prozesse des Strukturwandels wurden wenig kritisch gesteuert und begleitet: „Das heißt also wir gehen erst mal davon aus, dass es uns demografisch ähnlich schlecht geht wie auch anderen Städten, eher schlechter. Das wir aber unter diesen Städten immer noch die besten Voraussetzungen haben für die Zukunft, in dem wir den Jade-Weser-Port hier ansiedeln. […] Und denken eigentlich schon Richtung Erweiterung [des Ports] […] Auf diese Nachfrage [Arbeitsplätze/ Wohnraum] wollen wir eingerichtet sein.“ [\WHV_SV_02.-6\] „… das [Verdichtung, Ausweisung neuer Wohngebiete] ist eigentlich nicht mehr für den Wilhelmshavener Bedarf, das ist eigentlich für den Bedarf für Leute die wir von außerhalb ranziehen wollen bzw. die als Arbeitnehmer zu den Firmen kommen, die jetzt entstehen.“ [\WHV_SV_02.-24\] Der sich vollziehende wirtschaftliche Strukturwandel ist auch anhand der Arbeitsmarktlage und damit die Entwicklung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten ab dem Jahr 1999 darstellbar. Im Untersuchungszeitraum gab es ein wellenförmiges Auf und Ab der wirtschaftlichen Entwicklung. Während Anfang der Nullerjahre die Zahl der Erwerbstätigen anstieg, fiel sie bis zum Jahr 2005 und stieg ab 2006 erneut an (Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2011). Im Jahr 2009 wurden etwa 45.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in der Stadt Wilhelmshaven und damit ca. 2.500 mehr Erwerbstätige als 1999 registriert (+ 5,9 %). Im Untersuchungszeitraum ging die Bedeutung des produzierenden Gewerbes für den Erwerbsstandort leicht zurück. Dagegen stieg insbesondere im Bereich des tertiären Sektors die Zahl der Erwerbstätigen leicht an. Mehr als 80 % der Jade-Hochschule: Gründung 2009, bestehend aus aktuell (2012) 40 Studiengängen in in sechs Fachbereichen an drei Standorten (Wilhelmshaven, Oldenburg, Elsfleth) (siehe Jade Hochschule 2012). 445 Fallstudie Stadt Wilhelmshaven 245 Arbeitsplätze waren somit im Dienstleistungssektor gebunden. Die Stadt besaß einen relativ geringen, jedoch stabilen und wachsenden wirtschaftlichen Bedeutungsüberschuss für den Arbeitsmarkt der Region. Mehr als jeder dritte in Wilhelmshaven sozialversicherungspflichtig Beschäftigte pendelte in die Stadt. Erwerbslosigkeit und Armut Seit 1999 waren 5.200 Erwerbspersonen (14,4 %) im langjährigen Mittel in Wilhelmshaven erwerbslos. Die höchsten Erwerbslosenzahlen sowohl im Land Niedersachsen als auch in der Stadt wurden mit 18,0 % im Jahr 2005 erreicht. Wie Abb. F-2 zeigt, lagen städtische Erwerbslosenquoten durchschnittlich fünf Prozent über dem Landesdurchschnitt. Im Juni 2010 galten hier 12,8 % der Bevölkerung im Erwerbsalter als arbeitslos. Die Zahl der seit mehr als einem Jahr arbeitslosen Erwerbspersonen (SGB II) betrug durchschnittlich über 40 % aller Erwerbssuchenden. Damit war die Stadt insgesamt intensiv von Problemlagen der Armut betroffen. Im Jahresmittel 2010 erhielten etwa 19 % der Bevölkerung Leistungen nach dem SGB II. Davon bezogen über 12.700 Personen – und damit über 600 mehr als im Jahr 2005 – Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Diese Zahl entsprach etwa 16,0 % der Stadtbevölkerung und einer Steigerung von ca. 1,5 % gegenüber dem Jahr 2005446. Nach Analysen der Bertelsmann Stiftung (2011a: 05) zählten im Jahr 2009 14,8 % aller privaten Haushalte zur Gruppe der Haushalte mit geringem Einkommen. Abb. F-2: Entwicklung der Erwerbslosigkeit in Wilhelmshaven und Niedersachsen (1999-2010) Quelle: Agentur für Arbeit 2011. Eigene Darstellung. Sowohl die hohe Zahl einkommensschwacher Personen bzw. Haushalte als auch der hohe Anteil von Personen im Seniorenalter hat einen direkten Einfluss auf die Art der Wohnraumnachfrage sowie das qualitative Wohnraumangebot in der Stadt. Monatsstatistik 06/ 2010 „Grundsicherung für Arbeitsuchende SGB II“ sowie „Statistik der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach SGB II“ (12/ 2005) [Wilhelmshaven] der Bundesagentur für Arbeit sowie Kommunale Statistikstelle Wilhelmshaven 06/ 2010 (Einwohner mit Hauptwohnung) 446 246 F.1.2 Kristin Klaudia Kaufmann Entwicklung des Wohnungsmarktes Der Wohnungsmarkt Wilhelmshavens galt seit vielen Jahren als ein Markt, bei dem das Angebot die Nachfrage mit wachsender Tendenz überstieg. Wenngleich zu Beginn der 1990er Jahre durch Zuwanderung eine starke Verknappung des Wohnraumangebotes zu beobachten war, zeichneten sich spätestens zum Zeitpunkt des Verkaufs der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft JADE GmbH (2000) erste Entspannungstendenzen ab. F.1.2.1 Entwicklung des Wohnungsbestandes Ende des Jahres 2010 verfügte der Wohnungsmarkt über einen Bestand von mehr als 47.300 Einheiten. Dabei wurden etwa 40 % des Gebäudebestandes vor 1949, weitere 40 % in den 1950-1970er Jahren errichtet. Ab 1990er begann die Stadt, sich einer strategischen Wohnflächenentwicklung im Bereich Neubau bzw. als Maßnahmen der Nachverdichtung (Aktivierung von Brachflächen) zu widmen [\WHV_SV_02.-18\]. Seit 1999 wurden über 2.400 Wohnungen durch Neubzw. Umbau, was einem Zuwachs von über 4,2 % entspricht, realisiert. Abb. F-3: Entwicklung des Wohnungsbestandes in Wilhelmshaven (1999-2010) Quelle: Internetauftritt Statistik und Wahlen Wilhelmshaven 2011. Eigene Darstellung. Auch wenn in Wilhelmshaven Ein- und Zweifamilienhäuser das städtische Erscheinungsbild dominierten und mehr als zwei Drittel der Wohngebäude darunter zählten, befanden sich mehr als 70 % der Wohnungen in Wohngebäuden mit mehr als drei Wohneinheiten. Der größte Teil des Wohnungsbestandes war damit in Mehrfamilienhäusern gebunden. Trotz schrumpfender Bevölkerung wuchs der Wohnungsmarkt sowohl im Segment des Wohneigentums als auch im Segment des Mietwohnungsbaus. Ab 1999 prägte insbesondere die Errichtung von Einfamilienhäusern das Wohnbaugeschehen, wenngleich der gesamtstädtische Wohnungsneubau seit 2002 stark rückläufig war. Im Jahre 2010 wurden erstmalig wieder im Mietwohnbereich Neubauten in integrierten Lagen dem Markt zugeführt. 247 Fallstudie Stadt Wilhelmshaven F.1.2.1.1 Anbieterseite Der lokale Wohnungsmarkt ist durch eine Vielzahl von privaten Einzeleigentümern geprägt. Im Untersuchungszeitraum stieg diese Zahl insbesondere durch Mieterprivatisierung der JADE GmbH und der Deutschen Annington Immobilien GmbH (im Folgenden Deutschen Annington) leicht an [\WHV_IV_02.-32\]. Genaue Zahlen liegen nicht vor. Nach eigenen Schätzungen lebten private Anbieter entweder als Selbstnutzer in der eigenen Wohnung oder vermieteten als Klein- und Amateurmieter bzw. als privater Anleger mit Hilfe wohnungswirtschaftlicher Dienstleister Wohnraum an Dritte447. Diesen privaten Vermietern stand eine übersichtliche Anzahl von fünf Vermietern der unternehmerischen Wohnungswirtschaft gegenüber (siehe Abb. F-4). Sie verwalteten etwa 14.200 Mietwohneinheiten, was 42,4 % des Miet- bzw. 30,0 % des Gesamtwohnungsbestandes der Stadt (ohne Anstaltswohnungen) entsprach. Ein Anbieter war der Dritterwerber der kommunalen JADE GmbH, welcher trotz Verkäufe im Dezember 2009 19,3 % des lokalen Mietwohnungsbestandes bewirtschaftete. Im Herbst 2011 war der Wohnungsmarkt nach eigenen Recherchen damit durch ca. 29 % selbstnutzende Eigentümer sowie ca. 71 % semiprofessionelle bzw. professionelle Vermieter geprägt. Damit wurde mehr als jede zweite Mietwohnung durch Akteure bewirtschaftet, die sich aus unbekannten Kleinvermietern, Wohnungsunternehmen, privaten Beteiligungsgesellschaften, Immobilienfonds und Wohneigentumsverwaltern zusammensetzten. Wohneinheiten Anteile in % 47.256* 100,0 13.756 29,3 33.500 70,7 14.211 42,4 Wohnungsbaugesellschaft Jade GmbH [Jade GmbH] (12/ 2009) 6.452 19,3 Deutsche Annington Immobilien GmbH [Deutsche Annington] (12/ 2006)* 1.143 3,4 Bauverein Rüstringen eG [Bauverein eG] (12/ 2010) 2.934 8,8 Wilhelmshavener Spar- und Baugesellschaft eG [Spar&Bau eG] (12/ 2010) 3.132 9,3 550 1,6 19.289 57,6 Wohnungsbestand (aktueller Stand) Wohnungsbestand an selbstgenutztem und vermieteten Wohneigentum (12/ 2009) Davon Bestand an selbst genutztem Wohneigentum in Wilhelmshaven – eigene Schätzung Bestand an Mietwohnungen (2009) – Schätzung Stadt Wilhelmshaven* Darunter institutionell verwalteter Mietwohnungsbestand: Darunter 448 Bundesanstalt für Immobilienaufgaben [BImA] (09/ 2011) Darunter: sonstige/ unbekannte Vermieter des Mietwohnungsbestandes Abb. F-4: Vermieter des Wilhelmshavener Wohnungsmarktes Quelle: *Internetauftritt Statistik und Wahlen Wilhelmshaven 2010; Geschäftsberichte einzelner Unternehmen in Wilhelmshaven, telefonische Anfrage an BImA (2011-09-29) In Wilhelmshaven erschien insbesondere die Gruppe nicht ortsansässige Privatbesitzer relativ groß. Sie hielten häufig in Form von Erbengemeinschaften Eigentum zu Renditezwecken, in Form von Wohneigentumsgemeinschaften oder Teilbestände waren in Besitz von von Immobiliengesellschaften und Investmentfonds. Letztere Akteure agierten als ‚Verwerter‘ indem sie Verfügungsrechte an Dritte weiterreichten und zumeist aufgrund steuerrechtlicher Überlegungen Immobilien erwarben, ohne investiv vor Ort tätig zu sein. 448 steuerbefreite Vermietungsgenossenschaft, die kein Flächeneigentum besitzt. Flächen wurden per Erbbaupacht vom Deutschen Reich bzw. vom Bund erworben. 447 248 Kristin Klaudia Kaufmann Es fanden keine umfänglichen Transaktionen von Wohnimmobilien durch institutionelle Anleger statt. Neben der Mehrfachveräußerung des Wohnungsunternehmens JADE GmbH war nur die Deutsche Annington als ein weiterer großer, international agierender Investor auf dem Markt aktiv. Seit Mitte der Nullerjahre ist die Investitionsbereitschaft auf dem Mietwohnungsmarkt sehr wechselhaft. Nach einem Hoch im Jahr 2005 sank diese bis 2008 und stieg seitdem wieder kontinuierlich an.449 In den letzten Jahren wurden vor allem die beiden Wohnungsgenossenschaften durch umfängliche Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen sowie durch Neubau aktiv. So war bspw. die Spar&Bau eG seit 2009 im Begriff, 120 in guter Wohnlage gelegene innerstädtische Mietwohnungen zu errichten.450 Private Investitionen in den Wohnungsbestand erfolgten dagegen sehr verhalten. Während in beiden Genossenschaften aufgrund des guten Bauzustandes beinahe kein Leerstand gegeben war, wiesen Bauzustände privater Anbieter durchschnittlich höhere Risiken an Investitionsstau und Leerstand auf [\WHV_PV_01.-98\]. Neben Befürchtungen privater Eigentümer, Investitionen – vor allem auch energetische Sanierungsmaßnahmen – aufgrund gegebener Leerstände nicht rentierlich gestalten zu können ([\WHV_IV_02.-8\]; WZ (31.03.2010); [\WHV_IV_01\]), erschwerte eine zögerliche Kreditvergabe der Banken in der Region sowie das durchschnittliche Alter der privaten Eigentümer Investitionsbereitschaft und Investitionen [\WHV_SES.-46\]. Es wird deshalb insgesamt eingeschätzt, dass eine geringe Investitionsneigung privater Eigentümer gegeben ist. Diese spiegelt sich auch in einer großen Anzahl von Wohnraum mit einfachen Standards und hoher Investitionsnotwendigkeit wider. Das Aufarbeiten von Investitionsstaus durch Instandhaltungs- als auch Modernisierungsmaßnahmen erschien unter gegebenen Marktbedingungen – sowohl relativ geringen Mieterlösen als auch Verkaufserlösen –wenig lukrativ. „Diejenigen, die auf die Mieten angewiesen sind oder eben davon leben müssen, die überlegen sich sehr genau, ob sie investieren sollen und können und ob das jemals wieder reinkommt“ [\WHV_IV_02.-23\]. F.1.2.1.2 Nachfragerseite Während Ende der 1980er Jahre/ Anfang der 1990er Jahr die Nachfrage nach Wohnraum das Angebot überstieg und Wohnungen mit Hilfe von Wartelisten vermittelt werden mussten, entspannte sich der Markt bis Ende der 1990er Jahre [\WHV_SV_01.-6\] und verblieb in dieser Situation bis Ende der Nullerjahre Jahre. Im Jahr 2004 wurden erstmals durch das Einwohnermeldeamt der Stadt Daten zu privaten Haushalten erhoben451. Demnach sank die Zahl zwischen 2004 und 2008 leicht um 0,8 % auf 46.561 Haushalte, während im gleichen Zeitraum die Bevölkerung um 3,3 % schrumpfte. Dies deutet auf eine fortschreitende Reduzierung der durchschnittlichen Personenanzahl pro Haushalt hin. Diese Singularisierung bei gleichzeitig intensiver demographischer Schrumpfung verändert damit nicht nur die Wohnraumnachfrage relativ, sondern lässt auch die Zahl der wohnraumnachfragenden Haushalte absolut sinken. Werden Haushalte und verfügbarer Wohnraum in Relation gesetzt, konnte im Zeitraum 2004-2008 ein Trend zu einer weiterhin ansteigenden Marktentspannung nachgewiesen werden: Dieser strukturelle Angebotsüberhang setzt sich auch zukünftig fort. So wurde bereits Ende 2005 ein stadtweiter Leerstand von 5,2 % ermittelt (plan-werkStadt 2007, 09). Unterschiedlichste Leerstandsanalysen gingen zudem davon aus, dass im Jahr 2010 Wohnungsleerstände zwischen vier bis Alle Erkenntnisse siehe NBank 2011c, Wohnungsmarktbarometer, Wohnungsmarktlage Wilhelmshaven Das Investitionsvorhaben „Wohnen im Parkgarten“ stellte nach eigenen Angaben des Unternehmens (2011) das größte Wohnungsbauvorhaben in ganz Nordwest-Niedersachsen dar und soll im Jahr 2012 fertiggestellt werden. 451 Die Zahl der Haushalte wird mit Hilfe des Einwohnermelderegisters ermittelt. Lebens- und Wohngemeinschaften werden nicht als Haushalte erfasst, die sogenannte Anstaltsbevölkerung – wie Bewohner von Wohnheimen – werden herausgerechnet. 449 450