Echo Nr 19 - April 2012

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Echo Nr 19 - April 2012
Die Zeitung der kaufmännischen Praxisfirmen
echo
Die Qualitätsstandards in
kaufmännischen Praxisfirmen als
effizientes Instrument zur Steigerung
der Firmendynamik.
Perspektiven
Interview
Nr. 19 - April 2012
www.helvartis.ch
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Vernetztes Denken
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Meeting
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Editorial
Open Space im Visier: Sind diese offenen
Landschaften wirklich effizient?
Annick Weber Richard
Leiterin des Bereiches Presse & Kommunikation
Helvartis
Impressum
Verlag : Hauptsitz von Helvartis
CH - 2300 La Chaux-de-Fonds
Tel. +41 (0)32 910 94 04
[email protected]
www.helvartis.ch
Chefredakteurin : Annick Weber Richard
Die englische Bezeichnung für Open Space-Büro ist eine durchgehende Bürofläche ohne Trennwände. So wird für zahlreiche
Unternehmen die Flächenwirtschaftlichkeit drastisch erhöht und
die Gebäudekosten gesenkt. Denn Büroflächen sind meist knapp
und teuer. Da viele Firmen Wert auf Teamwork legen, setzen sie
auf Open Space und schaffen somit offene Landschaften für ihre
Mitarbeiter. Diese hellen Grossraumbüros sind voll im Trend – ohne
richtige Trennwände können sie mal als belebend, aber auch als
sehr hemmend empfunden werden.
Open Space-Büros für Sitzungen, Konferenzen oder informelle
Gespräche sind für eine gute Arbeitsqualität zwar sinnvoll, können
aber unter Umständen bei bestimmten Personen starkes Unbehagen
auslösen. Dieses hautnahe Zusammensein mit anderen Menschen
auf engstem Raum zwingt einen dazu, die Kollegen den ganzen Tag
zu sehen und mit ihnen umgehen zu müssen. Das Hauptproblem
liegt jedoch daran, sich einer Umgebung anzupassen, in welcher
Rückzugsmöglichkeiten einfach nicht mehr gegeben sind und die
Privatsphäre überhaupt keinen Platz mehr hat – sei es nur für ein
Privattelefonat. Dieses kann als störend und unpassend empfunden
werden, obwohl wir im Büro mit jedem jederzeit mittels modernster Kommunikationsmittel, auch durch Instant Messager, in Verbindung stehen. Aus der Sicht des Unternehmens kann der persönliche
Anruf auf ein Handy als störend empfunden werden – denn in dem
Moment richtet sich die volle Aufmersamkeit nur auf den externen
Privatanrufer. Aus der Sicht des Mitarbeiters stellt man fest, dass
parallel zu den erweiterten Kommunikationswegen Arbeitsräume
grösser, zwischenmenschliche Beziehungen komplexer werden
und auseinanderbrechen. Aus Sicht der angeblichen Förderung
des internen Kommunikationsflusses kann man hinterfragen, ob
diese offenen Landschaften eher geschlossene Strukturen sind?
So wird jegliches Eindringen des Privatlebens der Mitarbeiter in
die Berufssphäre verhindert...
Autoren : Leïla Weber, Annick Weber Richard
Übersetzung : Brigitte Piel, Reto Ruetsch
Annick Weber Richard
Fotografie : Helvartis
Logistik : Laurence Chételat,
Marie-Claire Gigon
Layout : Imprimerie Rapidoffset
Druck : Imprimerie Rapidoffset
Fotolithografie: Imprimerie Rapidoffset
Auflage : 4’500 Exemplare, Deutsch
und Französisch. „ECHO“ erscheint zweimal jährlich.
Der Hauptsitz von Helvartis ist
Bestandteil des KV
La Chaux-de-Fonds · Neuchâtel.
www.helvartis.ch
Perspektiven
Espace Entreprise Genf; Lernen heisst Arbeitsraum gestalten
Bei Espace Entreprise in Genf lernen die Studierenden seit Oktober 2011 mit der Arbeitswelt, dem Beruf Kauffrau/Kaufmann,
acht Stunden am Tag, fünf Tage die Woche umzugehen. Zudem lernen sie die Verhaltensweisen am Arbeitsplatz kennen. Sechs
kaufmännische Praxisfirmen (PF) gehören zum Espace Entreprise und sind dem Netzwerk von Helvartis angegliedert.
Das Projekt Espace Entreprise wurde anlässlich der neuen Bundesverordnung über die Berufsbildung initiiert und soll den neuen
Anforderungen entsprechen können. Die sechs kaufmännischen
Praxisfirmen, in der Avenue du Bouchet, empfangen permanent
etwa 150 Studierende aus Handelsmittelschulen mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis EFZ und Berufsmaturität. Basierend auf
dem Konzept der kaufmännischen Praxisfirmen wird die berufliche
Praxis im zweiten Ausbildungsjahr mit vier zweiwöchigen Praktika
für Studierende mit EFZ und einem zweiwöchigen Praktikum für
Studierende mit Berufsmaturität in einer PF umgesetzt. In der
Praktikumszeit haben die Lernenden die Möglichkeit durch
die kaufmännische Praxisfirma aus der Schulumgebung in die
Arbeitswelt einzutauchen. Von Anfang an war Alexandre Kovacs,
Geschäftsleiter von Espace Entreprise, von der Vermittlung einer
grundlegenden Praxiserfahrung im Schulrahmen überzeugt. Das
war leichter gesagt als getan. Denn im Frühjahr 2011 musste einerseits dem Grossen Rat ein kantonaler Gesetzesentwurf vorgelegt werden. Andererseits sollten sich am Projektaufbau Behörden, Vertreter des Schulbereichs, Organisationen der Arbeitswelt,
Arbeitgeberverbände und selbstverständlich Vertreter des
Helvartis-Hauptsitzes beteiligen. Die Zielsetzung war zwar
anspruchsvoll, Alexandre Kovacs konnte aber durch seine Kämpfernatur überzeugen, das Vertrauen sämtlicher Beteiligten gewinnen und Argumente von Skeptikern entkräften.
Jugendliche, die Stil haben
Im Gegensatz zu jeglichem lässigen Verhalten in einem üblichen
Unterricht treten die Genfer Studierenden in der PF seriös und fest
entschlossen auf – dort wird vierzig Stunden die Woche arbeiten
gelernt. In dieser Umgebung eignen sich die Lernenden Fachkompetenzen an; sie sehen ihre Nachbarn als Kollegen an und respektieren voll und ganz die Fachkräfte – diese besitzen eine langjährige Berufserfahrung in kaufmännischen Berufen. Ohne Chichi,
aber in gepflegter Erscheinung, tragen die Jungs Krawatte und
die Mädchen ein passendes Outfit. Dazu werden sämtliche Studierende/Mitarbeiter bereits zu Praktikumsbeginn durch eine E-Mail
von der Administration jeder einzelnen PF aufgefordert! Da sie
richtig instruiert werden, passen sie ihre Verhaltensweise sofort
dem Arbeitsplatz an und identifizieren sich völlig mit der Rolle
einer Kauffrau/eines Kaufmanns. Fachkompetenzen werden bei
Espace Entreprise gemäss einem realen Unternehmen durch
konkrete Aufgaben erworben und umgesetzt.
Die kaufmännische Praxisfirma Mobicool ist im Verkauf von
Fahrzeugen im Bereich des Langsamverkehrs tätig. Zu Beginn des
Praktikums läuft der erste Arbeitstag bei der Praxisfirma auf Hochtouren: In der Personalabteilung wird eifrig an der Erstellung von
Firmenausweisen, der Stempeluhr entsprechend, für jeden einzelnen Mitarbeitenden gearbeitet. Parallel dazu werden in der Buchhaltungsabteilung Konten geführt, Buchungssätze getätigt und
in der Einkaufs-/Verkaufsabteilung Bestellungen bearbeitet,
beziehungsweise verschickt. Eine Tür weiter verschafft sich die
Marketingabteilung eine Übersicht über Marktentwicklungen und
überprüft die Preispolitik der Firma Mobicool. Durch die Koordination sämtlicher Tätigkeiten eignen sich die Studierenden einerseits
Berufs- und Methodenkompetenzen an. Andererseits verschaffen
sie sich einen Gesamtüberblick über Firmenabläufe und verstehen die enge Vernetzung zwischen sämtlichen Abteilungen. Laut
Alexandre Kovacs können für die Studierenden die 40-StundenWochen sehr anstrengend sein, dennoch empfinden sie ihre Arbeit
als wertvoll und werden als Person aufgewertet. Praktische Berufserfahrungen steigern die Motivation, sind sehr sinnvoll für die
Berufsorientierung und fördern somit einen erfolgreichen Berufseinstieg.
Den Beruf realitätsgetreu erlernen.
Ein zukunftsorientiertes Projekt
Die Studierenden/Mitarbeiter als Nachwuchskräfte werden für
die Arbeitsmarktfähigkeit sensibilisiert. In diesem Sinne hat das
Ausbildungsteam einen entsprechenden Rahmen aufgebaut. Die
Lernenden können sich selbst besser kennen lernen, stärken ihr
Selbstvertrauen und lernen selbstbewusst aufzutreten. Darüber
hinaus werden sie durch Erika Wiget und Miguel Fernandez, Fachleute aus dem Theaterbereich, in richtige Bahnen gelenkt. Durch
praktische Übungen werden die Studierenden dazu aufgefordert,
neugierig zu sein, kurzfristige Ziele festzulegen und im Erwachsenenalter zu wissen, worum es in dieser Welt geht.
Annick Weber Richard
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Interview
Mit der Sprache spielerisch umgehen
Vorwiegend Jugendliche schreiben hemmungslos mit neuen Schreibformen SMS und auf soziale Netzwerke und erfinden so die
Sprache neu. Laut Marie-José Béguelin, Professorin für französische Linguistik an der Universität Neuenburg und Leiterin des
Instituts für Sprach- und Kommunikationswissenschaft, ist dieses Phänomen überhaupt nicht beunruhigend – im Gegenteil.
Die Kurzform SMS wird im Volksgebrauch in drei verschiedenen Varianten geschrieben: Durch Lautschrift von Ziffern
und Buchstaben, durch Spezialzeichen und Abkürzungen.
Inwieweit sind diese Kommunikationsformen relevant?
Die SMS, auch als Kurzform bezeichnet, wird mit gewissen
Einschränkungen geschrieben – diese soll nämlich so kurz wie
möglich verfasst werden. Dabei werden selbstverständlich die
oben genannten Formen angewendet. Früher waren Telegramme
auch kostspielig und mussten daher möglichst in gekürzter Form
geschrieben werden.
Die SMS-Kurzform ist allerdings nicht die gängigste Schreibweise
– im Gegenteil: Aus dem in der Schweiz gesammelten SMS-Korpus
geht hervor, dass Kurznachrichten orthografisch eher Standard
geschrieben werden. Dabei wird die Funktion T9 als integriertes
Lexikon von vielen SMS-Sendern verwendet – so wird orthografisch korrekt geschrieben. In Smartphones letzter Generation
werden automatisch beim Textschreiben Korrekturen angezeigt
– diese werden bestätigt oder nicht. Nichtsdestotrotz können
sich möglicherweise noch einige „Rechtschreibfehler“ in den Text
einschleichen…
Andere SMS-Sender dagegen, darunter Jugendliche, schreiben
ohne Lexikon. Sie verwenden nur wenige Abkürzungen, schreiben aber sehr vielfältig, mit viel Fantasie, eigener Kreativität und
erfinden sozusagen die französische Sprache neu (Anm. d. Verf.: In
der Deutschschweiz werden Mundart, Hochdeutsch, Französisch,
Italienisch und Englisch bunt gemischt). Infolgedessen werden
manche Kurznachrichten schwer entzifferbar sein, zum Beispiel
für Ungeübte oder für Französischlernende, die mit dieser neuen
Schreibform nicht richtig umgehen können. Doch mit ein bisschen
Praxis gewöhnt man sich schnell daran und das Lesen wird
einfacher. Mit der Anwendung von Spezialzeichen und der Phonetisierung von Ziffern wird in der französischen Sprache die Präposition de (von) phonetisch mit der Ziffer 2 (deux) übertragen.
Mit Buchstaben wird genauso verfahren: Mit den drei Buchstaben NRV wird das Adjektiv énervé (gereizt) geschrieben. (Anm. d.
Verf.: In der Deutschschweiz wird Gn8 für gute Nacht geschrieben).
Anderes Beispiel: Die Ziffer 4 wird lautgetreu aus dem Englischen
für for übernommen... Schreiben mit Spezialzeichen wurde bereits
in früheren Zeiten, wie in der sumerischen Schrift, dokumentiert.
Dennoch werden in Kurznachrichten alltägliche Abkürzungen
verwendet, wie zum Beispiel, js für „jamais“ (nie) oder ac für „avec“
(mit): Man schreibt nur den Anfangs- und Endbuchstaben. (Anm.
d. Verf.: In der Deutschschweiz wird beispielsweise lg für „liebe
Grüsse“, mfg für „mit freundlichen Grüssen“ oder mr für „mir“
geschrieben). Diese Abkürzungen werden auch in bestimmten
Schreibsituationen, wie beim Mitschreiben oder Stenografieren,
angewendet. In zahlreichen alltäglichen SMS werden diese
altbekannten, eher konventionellen Kurzformen gebraucht.
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Interessiert sich die
Linguistik für die SMSSchreibform?
Gewiss, denn es ist sehr
interessant zu sehen, wie
sich Leute von der Standardsprache
freimachen und Sprachstrategien entwickeln. Denn
die französische Sprache ist, auch wegen der
komplizierten
Rechtschreibung, schwierig zu
lernen. Jugendliche und
Ältere tun sich schwer
sich fehlerfrei in der
französischen
Sprache Frau Marie-José Béguelin
auszudrücken – das Schreiben wird eher als eine Last empfunden.
Darüber setzen sich die Jugendlichen in gewisser Weise hinweg
– sie machen sich ohne Komplexe neue Schreibformen zu eigen.
Diese Schreibformen sind beim Austauschen von SMS mit
Freunden meistens vielfältig – dennoch wird an die eigenen Eltern
in der Standardsprache geschrieben. In dieser Hinsicht können
wir eher zuversichtlich sein. Denn gewisse Bedenken tauchen
regelmässig auf, dass SMS zum Verfall der geschriebenen
Standardsprache führen werden. Dies hat sich bis jetzt nicht
bewahrheitet.
SMS-Schreibung ist also Gegenstand wissenschaftlicher
Untersuchungen…
Ja, in der Tat. Im Rahmen des nationalen Projektes „sms4science“
wurde ein Korpus von SMS verfasst. In Zusammenarbeit mit der
Universität Zürich haben wir 2008 schweizweit 23’000 mehrsprachige SMS zusammengestellt. Dieses Korpus enthält Erkenntnisse
aus der SMS-Kommunikation in den offiziellen Landessprachen
der Schweiz und in den verschiedenen Sprachen der Migration.
Dieses Projekt wird unter Federführung der Universität Zürich
vom Nationalfonds unterstützt. Das SMS-Korpus wurde in eine
Datenbank gestellt und wird zurzeit von Forschern genau unter
die Lupe genommen. Daraus versprechen wir uns eine Fülle von
äusserst interessanten Informationen.
Wenn ein Jugendlicher meint, er könne nicht mehr richtig
schreiben – was erwidern Sie darauf?
Wenn sich die häufige Nutzung seiner Schreibformen vorrangig
auf soziale Netzwerke einschränken lässt, in welchen auf die
Rechtschreibung überhaupt nicht geachtet wird, können tatsächlich gewisse Probleme auftreten. Wir verfügen dennoch über
Instrumente, wie Rechtschreibprogramme, welche Fehler anzeigen und entsprechende Korrekturen vorschlagen. Dadurch kann
eine Person ihren Text fehlerfrei schreiben. Weiter kann sie ihre
Schreibkompetenz steigern, indem sie durch Gegenlesen aus
ihren Fehlern lernt. In der Schule wird den Schülern keine
elektronischen Schreibformen, wie im „Chat“ oder in Diskussionsforen, beigebracht, sondern noch Standardfranzösisch unterrichtet. Heutzutage liegt die Gewichtung nicht mehr so stark
wie früher auf der Rechtschreibung. Damals wurde von den
12-13 Jährigen fehlerfreies Schreiben verlangt. Dabei wurde das
Partizip Perfekt stundenlang geübt. Nun wissen wir, dass diese
Regeln auch von den Lehrern schwer zu beherrschen sind.
Jugendliche schreiben fehlerhafter, dafür haben sie keine Schreibhemmung. An der Universität legen die Studenten den Schwerpunkt auf den Inhalt – an der Form können sie immer noch im
Nachhinein arbeiten. Professoren beklagen sich zwar über die
Qualität der Schreibung, man weiss aber, dass man dazu neigt,
sich von Generation zu Generation immer wieder zu beklagen.
Gar auf Hieroglyphen beklagte sich damals ein Schreiber, dass die
Jugend nicht mehr richtig schreiben konnte… Dieses Phänomen
wiederholt sich permanent. Man könnte ebenfalls zu der Ansicht
tendieren, dass die Sprachfähigkeiten der heranwachsenden
Generation weniger gut seien – wir vergessen aber, wie sich das
Wissen bei Jugendlichen, gegenüber früheren Generationen, stark
entwickelt hat.
Wäre es denkbar, dass Kurzschreibweisen in Schulprogrammen unterrichtet werden?
Auf diese Frage kann ich nicht antworten. Aber in meiner Generation hatte die Rechtschreibung ein grosses Gewicht – Diktatschreiben war für uns eine schreckliche Aufgabe, insbesondere für
Schüler, die damit Schwierigkeiten hatten. Im Umgang mit Schreibung waren sie völlig gehemmt. Heutzutage stelle ich fest,
dass man dank elektronischen Kommunikationswegen sehr
viel hemmungsloser schreibt – bestimmt hat man noch nie so
viel geschrieben... Denn vor dreissig Jahren wurde prognostiziert, dass das Schreiben durch neue Medien, Fernsehen, usw.,
verkümmern würde. In dieser Hinsicht hat man sich getäuscht,
weil man dank Internet und dem Handy sehr viel schreibt – so
bleibt die Schriftsprache lebendig. Es stimmt aber, dass die Standardsprache etwas angekratzt ist. Dieses Phänomen beunruhigt
mich jedoch nicht. Linguisten haben Sprachgeschichten studiert
und wissen, dass Sprachen eng mit der Technologieentwicklung zusammenhängen. Wenn man bedenkt, dass man seit Millionen von Jahren spricht, liegt die Erfindung der Schriftsprache
vor circa 5000 Jahren noch sehr nah! Die Erfindung des Buchdrucks brachte ebenfalls riesige Auswirkungen mit sich, weil
früher sämtliche Texte durch Schreiber an die nächste Generation
weitergegeben wurden. Mit der Erfindung des Buchdrucks wurde
beispielsweise die Kodifizierung eingeführt: Die Zeichensetzung
wurde verwendet, Schriftsetzer konnten bei der Textgestaltung
mitreden – sie haben Texte standardisiert, da Rechtschreibregeln sehr abweichend waren. Eine weitere Revolution findet mit
Internet statt. Heutzutage finden wir wieder Sprachvariationen
in der Rechtschreibung – die Lage ist aber nicht dramatisch. Die
französische Sprache wird es überleben. Schon im Mittelalter hat
sich die Sprache mit zahlreichen Rechtschreibvariationen weiterentwickelt – damit konnte man umgehen. Was jeder Einzelne
Fehler nennt, wird von uns Linguisten als Sprachvariationen
bezeichnet. Typisch dafür sind Schriftformen des Wortes jamais
(nie), jms in Kurzschrift, js als kürzeste Form oder jamai, ohne den
stummen Buchstaben s. Man könnte noch als Variation jamet
schreiben. Je grösser manche Variationen von der Standartsprache auseinander liegen, desto mehr werden sie als gravierender
Fehler angesehen. Wenn die sprachliche Entgleisung, beispielsweise in Internetforen, im Vergleich zur Standardsprache, zu gross
wird, reguliert sich die Situation von selbst. Das heisst, wenn die
Entzifferung der Nachrichten zu kompliziert wird, wird dagegen Protest erhoben. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es für
mich ausgeschlossen, dass diese neuen Schriftformen in sämtliche Schreibsituationen integriert werden. Standardsprache wird in
Zeitungen oder beim Bewerbungsschreiben verwendet. Wenn das
Bewerbungsschreiben zu fehlerhaft ist, wird der Kandidat schnell
ausser Acht gelassen… Es lässt sich daraus ableiten, dass die
Standardsprache bei der Ausübung bestimmter Berufe, sei es
beim Textverfassen oder beim personellen Auswahlverfahren,
eine entscheidende Rolle spielt. Auf die fehlerfreie Rechtschreibung sollte man unbedingt achten.
Kann die SMS-Schreibung zur Internationalisierung führen?
Da spricht tatsächlich einiges dafür: Wenn man beispielsweise
eine gute Nacht wünscht, werden im Netzjargon in Deutsch,
Französisch, Englisch und Rumantsch Zahlen verwendet, wie die
Zahl 8 für Gn8 (gute Nacht). In der englischen Sprache werden
Zahlenspiele allerdings nicht so häufig wie angenommen
gebraucht – bis auf die Ziffer 4 (four, phonetisch für for). Zum SMSSprachausdruck gehört hingegen eine bunte Mischung von Sprachen. Zahlreiche Kurznachrichten fangen mit Caramba an, werden
teilweise in Deutsch, Französisch oder Italienisch weitergeschrieben
und mit I love you beendet. Man geht mit Mehrsprachigkeit
spielerisch um. Emoticons, oder auch Smileys genannt, sind
Universalzeichen und gelten als Symbole für die Gemütslage des
Schreibers. Diese werden in zahlreichen Sprachen als Ideogramme
verwendet. Im Gegensatz dazu werden aber auch Dialekte und
regional geprägte Sprachen gebraucht. Im verfügbaren SMSKorpus geht eindeutig hervor, dass in der Deutschschweiz 80%
der SMS im Dialekt verfasst werden (Anm. d. Verf.: Man wählt die
Sprache, die man auch im Gespräch brauchen würde. Wenn man
unter Freunden ist, wird Mundart gesprochen). In der Welschschweiz schreibt man phonetisch nach Aussprache der Wörter,
wie zum Beispiel déjà (bereits), wird dja geschrieben. Diese Wörter
werden so geschrieben wie man spricht. Deshalb lässt sich meist
erkennen woher der Verfasser kommt. Bemerkenswert ist dieses
„Hin und Her gerissen werden“ zwischen der Internationalisierung
und der Herkunft der Sprache. Wir leben aber auch in einer Gesellschaft im Wandel. Mit dieser Globalisierung entsteht gleichzeitig
eine angespannte Situation zwischen dem weltweiten Handelsaustausch, der Bevölkerungswanderung und dem Bedürfnis nach
der eigenen regionalen Identität. Im verfügbaren SMS-Korpus
geht ebenfalls hervor, dass bestimmte Kurznachrichten in Sprachen verfasst werden, die unsere Forscher noch nicht identifiziert
haben. Diese Sprachen stammen wahrscheinlich aus Afrika. Die
Schweiz zeichnet sich also durch eine extreme Sprachmischung
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aus. Im Vergleich zur Situation vor dreissig oder vierzig Jahren ist
dieses Phänomen neu. Damals brachte die italienische Einwanderung einen Hauch von „Exotik“ ins einheimische Leben... Dieser
Wandel spiegelt sich in der SMS-Schreibform wider. Hinzu kommt
auch noch, dass man heutzutage viel verreist: Ein Fernreisender
schickt Ihnen eine Postkarte in Kreolisch von der Insel Mauritius.
Dieses Zusammenspiel aus den verschiedenen Kulturen und
Sprachen verleiht der SMS-Sprache eine typische Note.
Offenbar kommunizieren Randgruppen der Bevölkerung kurz
und anders. Was hat dies zu bedeuten?
Es sind meistens Schüler, Jugendliche, die eine Art Geheimsprache
entwickeln. Der SMS-Gebrauch stärkt auch das Gefühl der
Gruppenzugehörigkeit. Zur sozialen Identität gehört ebenfalls der Milieujargon. Der Sprachgebrauch ist also ein positiver,
interessanter Aspekt der Sozialisation, gar der Integration. Bei
den 14-18-Jährigen kann sich dies auch im schulischen Umfeld
positiv auswirken. Man könnte leicht dazu tendieren, die SMSSchreibform zu verachten, als nebensächlich, gar oberflächlich zu
Rechtschreibvariationen…
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betrachten. Ich bin allerdings der Ansicht, dass man SMS als ein
wichtiges Werkzeug zur Beziehungspflege betrachten sollte.
In bestimmten Denkströmungen wird behauptet, dass es
künftig nicht mehr erforderlich sein wird, schreiben zu
können. Wir könnten Multiplechoice-Standardsätze verwenden. Was halten Sie davon?
Ich zweifle stark daran, denn man hat sich in diesem Punkt bereits
geirrt. Die Angst, dass die geschriebene Standardsprache zerfallen
würde, hat sich nicht bewahrheitet – im Gegenteil: Die neuen
elektronischen Kommunikationsmittel bescheren dem schriftlichen Austausch eine Hochblüte. Die SMS-Schreibform ist durch
neue Instrumente, wie iPhones, mit welchen die Anzahl der
Schriftzeichen unbegrenzt ist, bereits veraltet. Die Zukunft der
geschriebenen Sprache ist vielversprechend – dank automatischen Übersetzungsmöglichkeiten und dem Potenzial neuester
Entwicklungen.
Interview durch Annick Weber Richard
Ve r n e t z t e s D e n k e n
Burnout – individuelle oder kollektive Verantwortung?
Die heutige Multimediazeit bringt tiefgreifende Veränderungen bei den Anforderungen in unserem beruflichen Umfeld. Die
Neudefinition des Arbeitnehmerstatus gehört zu den Konzepten, die laufenden sozioökonomischen und kulturellen Veränderungen ausgesetzt sind. Zweifellos das aussagekräftigste Beispiel
dafür ist die industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts: Mit der
Industrialisierung hat die Rolle des Arbeiters in gewissen Fabriken
durch den Einsatz von Maschinen im Laufe der Zeit eine deutliche
Abwertung erfahren. Solch grosse Umwandlungen, die auf neue
technische Erfindungen zurückzuführen sind, haben einen bedeutenden Einfluss auf die bestehenden sozialen Strukturen. Unsere
Gesellschaft spiegelt diesen Prozess wider, was sich unter anderem
in der Entwicklung von Technik und Informatik, in den jüngsten
Wirtschaftskrisen und deren Auswirkungen sowie in der Entwicklung der Sozialeinrichtungen zeigt. Dieses Klima übt einen schwer
quantifizierbaren Druck auf die Unternehmen aus, die diesem
entgegenwirken, indem sie angemessene Strukturen schaffen. Als
Folge dieser Entwicklungen und des Druckes, dem ein Unternehmen dadurch ausgesetzt sein kann, stellt auch der Wettbewerb
einen nicht vernachlässigbaren sozioökonomischen Faktor dar.
Unter diesen Bedingungen können Arbeitgeber und Arbeitnehmer
in katastrophale Verhältnisse geraten, in denen Einige unter dem
hohen Druck und der Last der Verantwortung zusammenbrechen.
Dieses Phänomen, das seit den 70er und 80er Jahren intensiver
beobachtet wird, ist vor allem bekannt unter dem Namen Burnout
– oder „Ausgebranntsein“ –, nach Herbert Freudenberger, dem
ersten Psychologen, der die Symptome dafür beschrieb.
Aber wer trägt bei einem Burnout die Verantwortung? Zahlreiche Fälle
scheinen in die Richtung zu weisen, dass, wenn ein Arbeitnehmer dem
Druck nicht standhalten kann, eher der Arbeitgeber und nicht er selbst
dafür verantwortlich gemacht wird. Aber ist das richtig so? Im Prinzip ist es Aufgabe des Individuums, sich im Umfeld, in dem es
sich bewegt, zurechtzufinden, indem es seine beruflichen Ziele und
seine Bedürfnisse in Einklang bringt. Inmitten der Anforderungen
der Arbeitswelt vergessen wir viel zu oft unsere persönlichen Ambitionen. Aber gerade diese haben einen entscheidenden Einfluss
auf unseren beruflichen Erfolg. Unsere eigentlichen Kompetenzen werden durch ein verzerrtes Realitätsbild ersetzt, das die Anforderungen so hoch ansetzt, dass sie nicht mehr mit dem übereinstimmen, was auch wirklich von uns erwartet wird. Die Folge davon
sind vergebliche Anstrengungen, die den Arbeitnehmer zur totalen
Erschöpfung, dem Burnout, führen. Es gibt natürlich auch Fälle von
Stress, Mobbing und Belästigung, die ein unzumutbares Arbeitsumfeld verursachen und für die der Arbeitgeber die volle Verantwortung trägt. Aber auch hier ist es Aufgabe des Betroffenen, sich nicht
ausbrennen zu lassen und entsprechend zu handeln. Es kommt vor,
dass wir es aus persönlichen Gründen, beispielsweise in einer schwierigen finanziellen Situation, für eine gewisse Zeit zulassen, unter
enormem Druck zu stehen. Doch auch hier tragen wir die Verantwortung dafür, diesem Druck ein Ende zu setzen, bevor wir die
Kontrolle verlieren. Dieses Beispiel zeigt zudem auf, dass die Gründe,
die uns dazu bringen, ein bedrückendes Arbeitsklima zu akzeptieren, persönlicher Natur sind. Dies bedeutet, dass die tatsächlichen inneren Beweggründe nicht auf den Auftraggeber zurückzuführen sind, auch wenn dieser in keiner Weise zur Verbesserung der
Umstände beiträgt. Für die Psychologin Christina Maslach, ebenfalls
eine Wegbereiterin auf diesem Gebiet, besteht kein Zweifel: „Wie
die Diagnose auch immer ausfällt, es betrifft immer das Individuum.“
Auch wenn die Umwelt einen grossen Einfluss auf Stress hat, bleibt
dessen Bewältigung Aufgabe des Individuums und nicht des Unternehmens. Ausserdem besteht gemäss Christina Maslach in Bezug
auf die Verantwortung folgender fester Zusammenhang: Wenn wir
uns die Verdienste unserer Erfolge zurechnen, müssen wir uns auch
unsere Misserfolge eingestehen und die Verantwortung dafür übernehmen: „Diese Philosophie verherrlicht das Individuum, das jedes
Hindernis, das ihm in den Weg gestellt wird, bewältigen kann. Die
Menschen müssen sich den Herausforderungen stellen und die
Hindernisse nicht einfach auf die Seite schieben, sondern überwinden. Im Fall eines Burnouts bedeutet dies zu lernen, die Ursachen
des Stresses am Arbeitsplatz in den Griff zu bekommen und sie nicht
zugunsten eines Umfeldes ohne Stress beiseitezuschieben.“ Auch
den Druck einfach auszuschalten, ist keine tragfähige Lösung. Es ist
besser, damit leben zu lernen und stets darauf vorbereitet zu sein.
Diesen Ausführungen zufolge ist die unablässige Schuldzuweisung an
den Arbeitgeber weniger als eine begründete Anschuldigung, sondern
vielmehr als eine Flucht vor sich selbst anzusehen, denn die Lösung
des Problems des Burnouts liegt in unseren persönlichen Ressourcen.
Aber genau darin liegt die ganze Komplexität des Burnout-Syndroms,
denn wenn wir an unsere Grenzen kommen, sind unsere persönlichen
Ressourcen erschöpft. Es gibt jedoch zahlreiche effiziente Möglichkeiten, sich in solchen Situationen helfen zu lassen, unter anderem Selbsthilfegruppen, Stressbewältigungskurse, Persönlichkeitsentwicklung
und Therapien. Unsere moderne Gesellschaft bietet entsprechende
soziale Strukturen an. Zahlreiche Unternehmen schliessen sich dieser
Tendenz an und führen von sich aus erwiesene Lösungen ein, um das
Wohlbefinden des Individuums an seinem Arbeitsplatz zu verbessern.
Wir müssen also lernen, uns nicht mehr von äusseren Einflüssen
unter Druck setzen zu lassen und uns innerlich zu sammeln, um uns
auf unsere echten Ziele zu konzentrieren. Der von der Gesellschaft
diktierte Zwang, immer noch mehr zu leisten, führt zu einem Zerfall der
Individualität in den Grossunternehmen und schliesslich zur Schwächung des Arbeitnehmers. Wenn das Interesse für die erzielten Resultate vor das Interesse an der geleisteten Arbeit gestellt wird, wo kann
der Arbeitnehmer da noch seinen Platz finden? In diesem Fall suchen
wir die Bestätigung, die uns fehlt, anderswo und orientieren uns dabei
an den sogenannten Anforderungen des Unternehmens. Das Ergebnis sind äussere Zeichen der Erfüllung und des Erfolges, aber wir selbst
sind auf der Strecke geblieben. Indem wir, basierend auf solchen
Werten, zu immer mehr Leistung gezwungen werden, führt man uns
paradoxerweise gnadenlos zum Burnout. Aus diesem Grund dürfen wir
uns auf keinen Fall verlieren, denn die Arbeit soll unsere persönliche
Entwicklung fördern und nicht gefährden.
Leïla Weber
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Meeting
Qualitätsstandards
Bei der starken Konkurrenzsituation ist es für jedes Unternehmen notwendig Geschäftsstrategien zu entwickeln und effiziente
Qualitätsstandards bei der Kundschaft sowie bei den Mitarbeitenden zu erarbeiten, um nachhaltig auf dem Markt weiterbestehen
zu können.
In diesem Sinne haben die Geschäftsleitenden der Schweizerischen PF am 28. & 29. März am Seminar Erfa-RoTi in Magglingen teilgenommen. Dabei wurden die Qualitätsstandards der Versicherungsgesellschaft Groupe Mutuel durch die Call-Center-Leitenden, Pierre Rossier und Mario Wohlgemuth auf Deutsch und
Französisch näher erläutert.
In einer PF spielen die Qualitätsstandards eine äusserst wichtige
Rolle: Mit diesem Instrument wird die Dynamik in den verschiedenen Abteilungen (z.B. Verkauf/Einkauf) gesteigert. Das Image
der Firma wird ebenfalls dadurch gestärkt, indem einerseits die
Arbeitsqualität in den Vordergrund gestellt und andererseits den
Firmenanforderungen entsprochen wird. So werden die Fach- &
Sozialkompetenzen der Teilnehmenden gefördert. Die Qualitätsstandards in den PF wurden während des Seminars durch entsprechende Kriterien geprüft, überdacht und weiterentwickelt.
Qualitätsrichtlinien im Helvartis - Netzwerk.
Leïla Weber
Agenda
26. & 27. September 2012
RoTi-Sitzung
30. & 31. Oktober 2012
Erfa-Sitzung
www.helvartis.ch

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