Friedensdienst in Costa Rica Mit EIRENE bei CENDEROS in

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Friedensdienst in Costa Rica Mit EIRENE bei CENDEROS in
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Friedensdienst in Costa Rica
Mit EIRENE bei CENDEROS
in
Sabanilla, San José
Dienstzeiten: 15.07.2012–22.09.2013
Zweiter Rundbrief
Krischan Oberle
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Zeitraum: November– Januar
Liebe UnterstützerInnen, Familie und FreundInnen, liebe Interessierte
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Nicaragua! Was für ein Land! Der November stand
durch das EIRENE-Zwischenseminar, einige freie
Reisetage und tolle Begegnungen in dem nördlichen Nachbarland unter nicaraguanischen Vorzeichen. Auf die Nachfragen von KollegInnen und
EnglischschülerInnen musste ich immer wieder antworten: „¡Me enamoré de tu país!“ (Ich habe mich
in dein Land verliebt!) Auch die Weihnachtsferien
habe ich zum größten Teil in Nicaragua verbracht.
Deshalb wird sich auch dieser Rundbrief auf dieses Land konzentrieren. Ich hoffe, ich kann Euch
bzw. Sie an meiner Faszination teilhaben lassen!
Bitte bedenkt/bedenken Sie, dass meine Darstel- Windiger Aufstieg in
Tisey, Nicaragua
lung sehr subjektiv ist, lediglich einen einzigen und
dazu noch externen Blickwinkel abbildet. Als knappe Zusammenfassung dieser Perspektiven-Problematik möchte ich Dir/Ihnen
die kurze Broschüre „Mit kolonialen Grüßen…“ ans Herz legen, die vom glokal
e. V. herausgegeben wird und auch online zur Verfügung steht.1 Ich wünsche
Dir/Ihnen viel Freude beim Lesen!
Nicaragua, Nicaragüita…
…ist ein Lied Carlos Mejía
Godoys, das nach der sandinistischen Revolution von
1979 Kultstatus erlangte. In
nationalem Eifer besingt der
Künstler die Schönheit Nicaraguas und fügt hinzu: „¡Pero ahora que ya sos libre, Nicaragüita, yo te quiero mucho más!“ (Aber jetzt,
da Du endlich frei bist, Nicaragua, liebe ich Dich umso mehr!) Godoy, der dem
EIRENis in Las Peñitas
FSLN, also dem Hauptakteur der Revolution nahe gestanden hatte, distanzierte sich später, da er keinen „ladrón“, also keinen Dieb
an der Regierung sehen wollte.
Vom fünften bis zum neunten November fand in Las Peñitas das EIRENEZwischenseminar statt. Hier am nicaraguanischen Pazifikstrand nahe der wunderschönen Kolonialstadt León trafen sich die Freiwilligen aus Costa Rica und
Nicaragua mit den Fachkräften sowie der EIRENE-Geschäftsfüherin und dem
Lateinamerikareferenten, die sich auf Projektbesuchsreise befanden.
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Revolutionäre Straßenschilder: Die Präsenz des FSLN in Nicaragua
Verglichen mit Costa Rica hatte ich persönlich den Eindruck,
dass das Politische im nicaraguanischen Alltag eine stärkere Präsenz hat. Viele Bushaltestellen
und Wände waren für die Präsidentschaftswahlen 2011 mit den
Farben und Wahlversprechen des
FSLN (Sandinistische Nationale
Befreiungsfront) bemalt worden.
Der Slogan „christiano, socialista y solidario“ begegnete mir auf
Die neuen Farben des FSLN
Schritt und Tritt.
Selbst Straßenschilder erfreuen sich oftmals eines
in den revolutionären Farben Schwarz und Rot
bemalten Pfostens. Weitere Beispiele dieser Gegenwärtigkeit sind die Vielzahl von Denkmälern,
die „Helden und Märtyrern“ der sandinistischen
Revolution gewidmet sind oder das am Präsidentenpalast prangende Transparent der Regierungspartei. Am Grenzübergang El Espino zwischen
Honduras und Nicaragua begrüßen nicaraguanische und FSLN-Flaggen den Ankömmling. Trotz
der bei meiner Ankunft stattfindenden landesweiten Wahl zur alcaldía (Bürgermeisteramt), habe
Sandino an der Casa ich Wahlplakate der Opposition nicht wahrgenomPresidencial
men. Besprühte Bordsteine schreien dem Passanten entgegen, dass die Revolution weiterzugehen
habe. In einem Bus schmetterte mir ein Aufkleber entgegen: „Patria libre o
morir“ (Freies Vaterland oder der Tod). Die Ortega-Familie übt außerdem
einen starken Einfluss auf die Medien Nicaraguas aus. Mehrere Kinder des
Präsidentenpaars sind in leitender Funktion bei verschiedenen TV- und
Radiokanälen tätig.
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Mauer in Estelí. FSLN: Von Sieg zu Sieg – Die Freude in Frieden zu leben
Glücklicherweise hatte ich die Chance ein wenig früher anzureisen und länger
zu bleiben. So konnte ich endlich erste Eindrücke von Nicaragua gewinnen – so
intensive Eindrücke, dass mein Interesse nachhaltig geweckt wurde. Seitdem
verwende ich viel Zeit darauf, mich beispielsweise über das Gesundheitssystem, Parteien und Wahlen zu informieren. Vor dem Seminar verbrachte ich
3
zwei Nächte in der Hauptstadt Managua, wo ich großzügig-liebevolle Aufnahme bei einer Freundin und ihrer Familie fand, die ich über das Internetportal
couchsurfing kennengelernt hatte. Als ich auf dem Rückweg nach Costa Rica
noch eine Nacht in ihrem Haus verbrachte, lud mich die Familie zu Weihnachten ein!
Als ich in Nicaragua ankam, fanden gerade landesweit Wahlen zur alcaldía, zum „Bürgermeisteramt“ statt. Gespräche mit meiner Gastgeberin, die
als Wahlhelferin teilnahm, gewährten mir interessante Einblicke. Im Vorfeld
waren Ausschreitungen befürchtet, einige Tage vorher ein Alkoholverbot verhängt worden. Die Wahlnacht ist letzten Endes jedoch ruhig verlaufen. Der
FSLN konnte mit 68% der Stimmen 134 von 153 Bürgermeistern stellen. Die
Wahlbeteiligung lag bei dem für Lokalwahlen vergleichsweise hohen Wert von
57,7%. Dieser Wert wird jedoch aufgrund von Unregelmäßigkeiten in den Wahlregistern von Teilen der Opposition angezweifelt.2
Parteien und Wahlen in Nicaragua: „Formaldemokratie ohne
sozialpolitischen Konsens“3
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Nach der Revolution 1979, die mit breiter Unterstützung aus verschiedenen politischen Lagern die repressive Somoza-Diktatur beendete, nahm der
FSLN alle zentralen Machtpositionen ein. Erst 1984 baute er in einem auf
dem neuen Wahlgesetz basierenden Urnengang auf eine neue, demokratische Legitimationsbasis. Da der Kampf gegen die Contras (Kontrarevolutionäre verschiedener Couleur, die massiv von den USA unterstützt wurden) immer mehr Ressourcen verschlang, gelang es dem FSLN nicht, seine
vorrangig sozialpolitischen Ziele zu erreichen. Darauf verlor er in den Präsidentschaftswahlen 1990 die Macht, die er bis 2006 nicht zurückerobern
konnte.4 In der Oppositionszeit kooperierte der FSLN mit den jeweiligen
Präsidenten. Die Kooperation gipfelte in dem berühmt-berüchtigten pacto
1999 mit dem sich über jegliche Maße bereichernden Präsidenten Alemán,
dessen politische Wurzeln im somozismo, der Diktatur liegen. In dieser Zeit
wurde die Herrschaft der beiden Parteien PLC (Partido Liberal Constitucionalista) und FSLN gestärkt, die Macht des Präsidenten ausgebaut.5
Das Seminar an sich war für mich
ein freudiges Wiedersehen und erneutes Kennenlernen der lieben Mitfreiwilligen. Durch den Austausch über
die Erfahrungen in den sehr unterschiedlichen Projekten, über Probleme und Erfolge, über Freizeitgestaltung, Freundschaft und Erfahrung
mit Einsamkeit konnte ich eine ganz
andere Perspektive auf meine eigeAtmosphärische Agapefeier am Strand ne Situation gewinnen. In vielen Gesprächen auf einer sehr persönlichen
Ebene konnte ich eingeschlafene Freundschaften wiederbeleben. Inhaltlich
drehte sich das Seminar hauptsächlich um „interkulturelle“ Kommunikation.
Es wurde auch Selbstkritik und Kritik an der Außendarstellung EIRENEs
4
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geübt. Besinnliches wie Tai-Chi oder die Agapefeier am Strand trugen zum
allgemeinen Wohlbehagen bei. Die vielen schönen Begegnungen und die theoretische Informationsflut gab mir neue Kraft, in der Arbeit durchzustarten.
Meine Arbeit im Wandel
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Ich möchte ein besonderes Ereignis hervorheben. Am 25.
November nahmen wir, nachdem wir bei revolutionärer Musik und bester Stimmung ein
Transparent gemalt hatten, an
der Demonstration zum Internationalen Tag zur EliminieUnser Transparent in Aktion
rung der Gewalt gegen die Frau
teil. „Jedes mal, wenn eine Frau
einen Schritt nach vorne macht, kommen wir alle voran!“ – Unter diesem
Motto präsentierten wir uns. Nach anfänglicher Skepsis fand sich doch eine
große Menge von unterschiedlichen Gruppen ein, die einen bunten Demonstrationszug bildeten. Neben CENDEROS und dem Red de las Mujeres Migrantes (Netzwerk der Migrantenfrauen), nahmen unter anderen auch kirchliche
Gruppen, studentische Gruppen, die einen laizistischen Staat forderten und
Arbeiter-Organisationen teil. Leider änderten die Behörden in letzter Minute
die Route, wodurch die am eigentlichen Ende aufgestellten Informationsstände
hinfällig wurden. Bei der Durchsicht der Berichterstattung hatten Kolleginnen
das Gefühl, dass die MigrantInnen bewusst invisibilisiert worden seien.
Der Jahresabschluss bei CENDEROS verlief, wie man sich das vorstellt,
stressig. Neben Abschlussberichten und Anträgen auf internationale Gelder
stand auch eine Evaluation an. Mein erstes Monitoring-Gespräch, in dem meine bisherige Arbeit reflektiert wurde, ist sehr gut verlaufen und deutete eine
Ausweitung meines Arbeitsfeldes zum neuen Jahr an. Ich so werde ich zukünftig auch für die Sicherung der Computer-Archive verantwortlich sein. Recherche zum Thema Migration und komprimierte Weitergabe von Information an
die KollegInnen wird ein weiteres Betätigungsfeld sein. Meine Beteiligung bei
Workshops soll ausgebaut werden; von einer lediglich begleitenden zu einer
auch planenden Rolle. So sehr ich mich auch auf die neuen Aufgaben freue, so
wird mir doch die Zeit fehlen, um mich wie bisher ausgiebig der Literatur zu
Nicaragua, Migration und anderen spannenden Themen zu widmen. Zusätzlich fand im Januar im Büro ein zweitägiges organisatorisches Treffen statt,
wobei die Arbeit des letzten Jahres reflektiert und die Prioritäten für 2013
abgesteckt wurden. Seitdem bin ich außerdem in einem Organ tätig, das für
Planung von Projekten und deren Finanzierung zuständig ist. Auch die Situation im Büro hat einen tiefgreifenden, auch personellem Wandel durchlaufen, da
die EIRENE-Fachkraft Evarossa im Dezember ihren Einsatz bei CENDEROS
beendete. Ihr Abschied wurde im Büro natürlich gebührend begangen.
5
Süd-Süd-Migration – Das Beispiel Nicaragua – Costa Rica
Der „Normalfall“ von Migrationen, so zumindest in der breiten Wahrnehmung,
weist vom Globalen Süden in den Globalen Norden. Der Löwenanteil wissenschaftlicher Literatur zum Thema Migration widmet sich diesem Ausschnitt –
insbesondere der Migration aus México in die Vereinigten Staaten. Angesichts
des hohen Anteils von Migranten aus Entwicklungsländern, die in anderen
Entwicklungsländern leben – die Weltbank ging 2007 von knapp 50% aus6 –
ist diese einseitige Fokussierung der Forschungsliteratur nicht zu rechtfertigen.
Um die meist von jungen NicaraguanerInnen getroffene Entscheidung nach
Costa Rica zu emigrieren zu verstehen, sind soziale und wirtschaftliche Eckdaten unerlässlich. 2005 ist das letzte Jahr, indem für Nicaragua Daten zur Armutsgrenze von 1,25 bzw. 2 US-$ pro Tag zur Verfügung stehen. Der Vergleich
der Daten Nicaraguas mit denen Costa Ricas macht die vielen persönlichen
Einzelentscheidungen plausibel.
Jahr: 2005
Anteil der Bevölkerung, der mit 1,25 US$/Tag lebt(%)
Anteil der Bevölkerung, der mit 2 US$/Tag lebt(%)
Armutsrate nach nationalen Maßstäben
(%)
BIP/Kopf (US-$)
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Nicaragua
11,9
Costa Rica
3,9
31,7
8,1
48,3
23,8
1166
4633
Um das Wohlstandsniveau mit Deutschland in Relation zu setzen, ist das
BIP/Kopf ein Grundindikator. Es beträgt in Deutschland 33543 US-$.7
2011 machten Geldsendungen an Familien in Nicaragua 911,6 Mio. US-$ aus,
was 12% des Bruttoinlandsproduktes (BIP) entspricht8 . Allgemein formuliert
José Luis Rocha, dass derartig hohe Anteile ausländischer Mittel Staaten dazu
verleiteten, ihrer sozialen Verantwortlichkeiten nicht gerecht zu werden.9 Im
Kontext der Süd-Süd-Migration sind Geldsendungen mit spezifischen Problemen verbunden. Nur MigrantInnen mit regulärem Aufenthaltsstatus (Arbeitserlaubnis, Aufenthaltsgenehmigung) ist es möglich, ein Bankkonto in Costa
Rica zu eröffnen. Hinzu kommt, dass auch in Nicaragua viele Familien über
kein Konto verfügen. Selbst über offizielle Kanäle kosten Überweisungen zwischen 1,5 und 11% des gesendeten Betrags – abhängig vom Geldinstitut.10
Viele MigrantInnen sind aufgrund der Kontenproblematik jedoch auf kleine
private Dienstleister angewiesen, die weitaus größere Anteile verlangen.
Weiter sind die (nicaraguanischen) MigrantInnen in Costa Rica rassistischen
Stereotypen ausgesetzt. Unter anderem wird ihnen vorgeworfen, Einheimischen die Arbeit wegzunehmen, vom Sozialsystem profitieren zu wollen oder für
die Kriminalität verantwortlich zu sein. Dass es sich dabei um Mythen handelt,
zeigt ein Informationsblatt des Servicio Jesuita para Migrantes: Nicaraguanische MigrantInnen in Costa Rica tragen 80 Mrd. US-$ zum Gesundheitssystem
bei, nehmen jedoch nur Leistungen von 36 Mrd. US-$ in Anspruch. Sie arbeiten
in Bereichen, für die zu wenig costarricanische Arbeiskräfte vorhanden sind.
Lediglich ein kleiner Bruchteil der Delikte wird von ausländischen Personen
verübt.11 Gindling konnte 2008 in seiner empirischen Studie zur Auswirkung
der nicaraguanischen Migration nach Costa Rica keine negativen Folgen für
die Durchschnittslöhne der costaricanischen Arbeitnehmer feststellen.12
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Zwischen den Jahren – Weihnachten in der Ferne, und die weite Welt
Nach Schließung des Büros verabschiedete ich mich mit einem viel
zu schweren Rucksack, einem vagen
Reiseplan und weihnachtlicher Vorfreude, die durch die von den Eltern geschickten Basler Leckerli weiter genährt wurde, in den Urlaub.
Erste spontan gewählte Station war
der Nationalpark Santa Rosa, wo
ich für einen Gewaltmarsch mit einem wunderschön-einsamen Strand,
der Sichtung wilder Affen und der
selbstlosen Aufnahme im Haus eines
Parkrangers belohnt wurde.
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Das Ziel aus weiter Ferne.
Noch 12 km bis zum Strand!
Dann ging es weiter ins nicaraguanische Jinotepe, wo ich mich bei Jan, einem EIRENE-Freiwilligen auf einer Finca bei der Kaffeeernte nützlich machte. Es
war ein schönes Erlebnis, die vielen Verarbeitungsschritte kennenzulernen, die nötig
sind, bis das „Getränk der Getränke“ endlich begleitet von verführerischen Duftwolken in die Tasse rinnt. Mit einem Päckchen „eigenem“ Kaffee und guten Wünschen zog ich nach einem Zwischenstopp
in Estelí weiter nach Jalapa. Dort feierte ich mit Amalias Familie und weiteren
Freiwilligen ein etwas anderes WeihnachtsJan und ich beim Entfernen des fest. Unter anderem standen Schwimmen
in Goldstaub führenden Bächen, DiskusFruchtfleischs
sionen über Geschlechterbeziehungen in
Nicaragua und eine Piñata für die Kinder auf dem Programm. Weihnachtsplätzchen, Relleno, Glühwein und der in Tisey erstandene Queso tipo suizo
(Schweizer Käse) stellten den auch in Deutschland obligatorischen Weihnachtsspeck sicher. Lediglich das in meiner Familie übliche Singen von Weihnachtsliedern fehlte mir.
Nach Weihnachten stand eine Reise in den Nordwesten Honduras’ an, wo ich
Copán, beeindruckende Mayaruinen, besuchte. Die Rückreise führte mich über
El Salvador zurück nach Nicaragua, wo ich meinen Geburtstag beim Schwimmen durch den Canyon von Somoto beging. Vor meiner Rückkehr nach Costa
Rica verbrachte ich noch zwei wunderschöne Tage auf Ometepe, einer Insel
im Nicaraguasee, deren Bild von zwei beeindruckenden Vulkanen geprägt ist.
Obwohl es sich um Süßwasser handelt, kommt bei Wellengang und Sandstrand
perfektes Meerfeeling auf.
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Grupo Pellas, Flor de Caña und die Zuckerarbeiter13
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Die reichste Familie Nicaraguas sind die Pellas. Sie sind unter anderem Generalimporteur von Toyota, große Anteilseigner der internationalen BAC Florida Bank und America Seguros (Versicherungsunternehmen), verfügen über
Fernseh- und Rundfunkanstalten und sind vor allem Besitzer der beiden nicaraguanischen Brauereien sowie von Flor de Caña, dem legendären, international prämierten Rum, der aufgrund seines Geschmacks bei keinem Fest fehlen
sollte.14 Seine Macht auch auf dem Markt für Grundnahrungsmittel nutzt der
Familienkonzern, um die Preise agrarischer Produkte zu diktieren.
Zu dem weichen, charkterstarken Geschmack der Gran
Reserva mischt sich stets der bittere Beigeschmack von
blutigem Unrecht. In den Jahren ab 2006 wurde medial
aufgedeckt, dass auf den Zuckerfeldern der Pellas menschenverachtende Zustände herrschen. Neben weit unterdurchschnittlichen Löhnen von 20 Córdoba (ca. 70
Eurocent) pro Tonne geschnittenen Zuckerrohrs und unmenschlich langen Schichten in den heißesten Anbaugebieten Nicaraguas haben die Arbeiter unter dem hohen
Einsatz von Agrochemikalien zu leiden. Sie wurden sowohl durch direkten Kontakt mit Giften sowie durch das
Eindringen derselben in den Wasserkreislauf geschädigt.
Der Angabe der ANAIRC (Assoziation Betroffener) zufolge starben in den letzten Jahren 3000 Zuckerarbeiter an chronischem Nierenversagen. 5000 weitere seien
erkrankt. Grupo Pellas weigerte sich stets den Zusammenhang zwischen Arbeitsbedingungen bzw. Gifteinsatz
und dem starken Auftreten von Nierenversagen anzuerGran Reserva – 7 kennen. Dieser sei wissenschaftlich nicht nachgewiesen.15
Jahre
Als sich die Erkrankungen in einer Arbeitersiedlung zu
sehr häuften, wurde sie evakuiert und die Arbeiter auf
„grüner Wiese“ neu angesiedelt. Unterstützung beim Bau von Häusern und
Infrastruktur wurde laut Julio César Paz Cruz nicht geleistet.16 Vor diesem
Hintergrund schmeckt der gute Schluck mit 2 Eiswürfeln und einem (nicht zu
großen) Spritzer Limone nicht mehr so frei-leicht. Selbst eine lau-sommerliche
Strandnacht kann das unangenehme Frösteln nicht verhindern…
…und es bebt wieder
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Seit meiner Ankunft hier in Costa Rica ist die Erde stark in Bewegung. Gerade hat ein leichter Stoß das Büro erschüttert. Neben dem starken Beben vom
5. September 2012, das 2 Todesopfer gefordert hatte und dem starken Nachbeben im Oktober kommt es immer wieder zu kleinen Erschütterungen, die
auftreten und innerhalb von Sekunden(bruchteilen) vorüber und kein Grund
zur Beunruhigung sind.
Aufgrund der schrecklichen Erdbebenerfahrungen von 1972 können einige
Kolleginnen diese ungefährlichen Stöße nicht achselzuckend hinnehmen. 1972
wurden weite Teile der nicaraguanischen Hauptstadt Managua durch ein Erdbeben der Stärke 6,2 zerstört. Neben den Tausenden menschlichen Schicksalen
8
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ging die Katastrophe als „Brandbeschleuniger“ der sandinistischen Revolution
in die Geschichte ein, denn die Somoza-Diktatur steckte große Teile der internationalen Hilfsgelder in die eigene Tasche. Der Widerstand konnte sich daher
breiten Zulaufs aus allen politischen Lagern erfreuen, was 1979 im Sturz der
Diktatur gipfelte.
Ich hoffe, ich konnte Dir/Ihnen mit diesem Einblick in meinen Friedensdienst
bei CENDEROS eine Freude bereiten und einige Fragen beantworten. Natürlich halte ich Dich/Sie auch in Zukunft auf dem Laufenden. An dieser Stelle
möchte ich mich nochmals für die grandiose Unterstützung und das große Interesse bedanken, das mir im Vorfeld und auch jetzt während des Dienstes
entgegengebracht wird. Zu erreichen bin ich unter:
[email protected]
.
Ganz liebe Grüße aus dem windig-kalten San José,
Krischan Oberle
Da mein Dienst sich nur teilweise über staatliche Gelder finanziert und EIRENE den Restbetrag zu stemmen hat, werde ich von einem großzügigen Unterstützerkreis begleitet. Falls
auch Du/Sie meinen Dienst finanziell unterstützen willst/wollen, lasse ich Dir/Ihnen gerne
weitere Informationen zukommen. Unterstützung ist über das Konto
EIRENE e. V.
Kontonr. 10 11 38 00 14
KD Duisburg
BLZ 350 601 90
Betreff: Freiwilliger Krischan Oberle
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möglich. Auf Nachfrage bekommst Du/bekommen Sie selbstverständlich eine Spendenquittung.
9
Anmerkungen
1
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glokal e. V. (Hrsg.): Mit kolonialen Grüßen…. Berichte und Erzählungen von Auslandsaufenthalten rassismuskritisch betrachtet, Berlin März 2012, url: http://www.glokal.
org/?edmc=498 (besucht am 29. 11. 2012).
2
Vgl. zusammenfassend auf Deutsch Timm B. Schützhofer: FSLN gewinnt bei Kommunalwahlen in Nicaragua, 7. Nov. 2012, url: http://amerika21.de/nachrichten/2012/
11/67396/kommunalwahlen-nicaragua-2012 (besucht am 13. 01. 2013).
3
Übersetzung des Untertitels des Aufsatzes Andrés Pérez-Baltodano: Nicaragua. Democracia electoral sin consenso social, in: Revista de ciencia política 32.1 (2012), S. 211–228.
4
David Close/Salvador Martí i Puig: Introducción. Los sandinistas y Nicaragua desde
1979, in: Salvador Martí i Puig/David Close (Hrsg.): Nicaragua y el FSLN [1979–2009].
¿Qué queda de la revolución?, Barcelona 2009, S. 11–31, S. 16–22.
5
Die Rechenschaftspflicht des Präsidenten wurde geschwächt, Institutionen geschwächt,
das Wahlrecht auf die Herrschaft der Parteien PLC und FSLN zugeschnitten. Bei Präsidentschaftswahlen reicht nun unter Umständen die einfache Mehrheit von 35% der abgegebenen
Stimmen, ohne dass ein zweiter Wahlgang nötig würde. Vgl.: ebd., S. 24. Der Pakt hatte
auch unter dem Präsidenten Bolaños (2001–06) bestand.
6
Dilip Ratha/William Shaw: South-South Migration and Remittances, Washington D. C.
19. Jan. 2007, S. 3.
7
Alle Daten von Worldbank: World dataBank. World Development Indicators (WDI),
13. Jan. 2013, url: http : / / databank . worldbank . org / ddp / editReport ? REQUEST _
SOURCE=search&CNO=2&topic=11 (besucht am 13. 01. 2013)
8
CEMLA/OMIN u. a.: Nicaragua (Programa de aplicación de los principios generales
para los mercados de remesas de América Latina y el Caribe), Mexico D. F. Nov. 2012,
S. 10
9
José Luis Rocha: Migración y desarrollo. Temas e implicaciones desde una perspectiva
centroamericana, in: Envío-Honduras 7.23 (Nov. 2009), S. 6–11, S. 8.
10
CEMLA/OMIN u. a.: Nicaragua (wie Anm. 8), S. 32f.
11
Servicio Jesuita para Migrantes: 10 mitos sobre las personas nicaragüenses que viven en
Costa Rica.
12
Tim H. Gindling: South-South Migration. The Impact of Nicaraguan Immigrants on
Earnings, Inequality and Poverty in Costa Rica (IZA Discussion Papers 3279), Jan. 2008,
S. 21.
13
Ich spreche hier bewusst von Männern, da der Löwenanteil, der in der Zuckerernte
Tätigen männlichen Geschlechts sind. Natürlich haben die mit der Arbeit verbundenen
Probleme auch Auswirkungen auf die (weiblichen) Angehörigen der Arbeiter.
14
Grupo Pellas: Empresas afiliadas, 2008, url: http://www.grupopellas.com/empresas.
htm (besucht am 22. 01. 2013).
15
Giorgio Trucchi: El Cónsul de los agrotóxicos. La prensa italiana escandalizada por
el caso IRC y la condecoración a Carlos Pellas, 26. März 2009, url: http://www6.reluita.org/agricultura/agrotoxicos/irc/con_julio_paz.htm (besucht am 22. 01. 2013).
16
ders.: La gente moría y no sabíamos por qué, 2. Feb. 2009, url: http://www6.reluita.org/agricultura/agrotoxicos/irc/pellas- consul_de_agrotoxicos.htm (besucht am 22. 01. 2013).
10
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