Charlie Hebdo und die Folgen

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Charlie Hebdo und die Folgen
Charlie Hebdo und die Folgen
Die Meinungsfreiheit zwischen Terror und Respekt vor Religionen
Thomas Benedikter
„Je suis Charlie“, das war die Parole, die nach dem Terroranschlag vom 7.1.2015 auf das
französische Satiremagazin ausgegeben wurde. Eine Welle der Solidarität ging um die Welt,
fast alle verurteilten das Attentat, Trauer um die Mordopfer und Großkundgebungen in vielen
Großstädten für die Meinungsfreiheit und gegen die Gewalt.
Es folgten Mitte Februar die Angriffe gegen eine Kulturveranstaltung in Kopenhagen, wo der
ganze Karikaturenstreit 2006 ausgelöst worden war, als die Zeitung Jyllands-Posten 12
Mohammad-Karikaturen veröffentlichte. Seitdem müssen sich die Autoren unter
Polizeischutz verstecken, die Zeitung selbst wird geschützt wie ein Gefängnis. Einer der
Karikaturisten war auch eigentliche Zielscheibe dieses letzten Attentats.
„Je suis Charlie“ bedeutet also Solidarität mit den Opfern, bedeutet sie aber auch Zustimmung
zu den Aussagen, zur Haltung von Charlie Hebdo gegenüber dem Islam, zu seinen
Karikaturen gegen Religionen allgemein?
Quer durch die Welt der Medien, aber auch die Politik wurde die Pressefreiheit als Grundwert
beschworen, die auch das Recht auf Satire einschließt, also eine unbeschränkte
Meinungsfreiheit. Die Zeitung France Soir drückte es so aus: „Ja, wir haben das Recht, Gott
zu karikieren.“ Mit anderen Worten: das Recht auf Blasphemie.
Andere, z.B. Medien und Politiker der arabischen Länder, verlangen eine Selbstbeschränkung
der Presse im Westen, oder fordern Gesetzesartikel, die Schranken einführen, wie z.B. in
Deutschland das Verbot der öffentlichen Leugnung des Holocausts oder das Verbot der NaziWiederbetätigung eingeführt hat. Auch der Papst sprach sich für einen Verzicht auf Satiren
gegen Religionsgemeinschaften aus.
Deshalb einige grundsätzliche Gedanken zur Meinungs- und Pressefreiheit. Die Freiheit der
Gedanken, der Information, der Austausch von Meinungen, die Kunstfreiheit sind
grundlegend für eine offene Gesellschaft. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist in
Frankreich und Europa seit der Französischen Revolution tief verankert. Sie ist ein Grundstein
für alle anderen Freiheitsrechte, wie Pressefreiheit, Freiheit von Wissenschaft und Kunst.
Staat und Religion, Kirche und Staat sind in Europa nicht seit gerade seit 1789, aber nach und
nach in den meisten Ländern getrennt worden. Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist in
der Charta der Grundrechte der EU (Art.11) in der Europ. Menschenrechtserklärung (EMRK,
Art.10) grundlegend festgeschrieben, und auch in den nationalen Verfassungen. Ohne
Meinungsfreiheit keine Demokratie.
Doch werden damit zusammenhängend auch Pflichten und eine besondere Verantwortung
genannt. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist also in Verbindung mit einer ethischen
Grundpflicht des Respekts zu sehen. Dadurch sollen nicht nur die Religionsgemeinschaften
und die Gläubigen geschützt werden, sondern auch der Frieden zwischen der Religionen, also
der soziale Frieden als höheres Gut. Zwei wichtige Werte stehen hier gegeneinander,
scheinbar in Konflikt miteinander.
In Europa hat die Pressefreiheit höchsten Stellenwert. Doch gibt es auch ein Verbot der
Aufhetzung, der Diffamierung und der Verletzung der religiösen Gefühle von Menschen.
Allerdings gibt es kein klares Blasphemie-Verbot wie etwa in Pakistan und anderen
islamischen Ländern.
Das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist somit absolut geschützt, aber nicht völlig
unbeschränkt. Es wird beschränkt durch Persönlichkeitsrechte. Da gibt es ständige viele
Konflikte, Klagen und Prozesse.
Beschränkt wird die Meinungsfreiheit in Deutschland, Österreich und Italien auch das Verbot
der faschistischen und nationalsozialistischen Wiederbetätigung. Nazi-Propaganda steht in
Deutschland unter Strafe. Holocaust-Leugnung auch. Die Verhinderung einer neuen Diktatur
und die Verbreitung dieses menschen- und demokratiefeindlichen Gedankenguts sind somit
wichtiger als die absolute Meinungsfreiheit.
Wie steht es aber mit der Beleidigung einer ganzen Religionsgemeinschaft? Dürfen religiöse
Lehren, ihre Gründer, ihre heutigen Lehrer und Anschauungen herabgewürdigt und lächerlich
gemacht werden? Dürfen z.B. Muslime als solche beleidigt und gedemütigt werden? Wird
dadurch nicht der soziale Friede gestört und automatisch Rachegefühle der Beleidigten
provoziert?
Diese Frage geht über den rein rechtlichen Aspekt hinaus, und berührt die Ethik als
Wertehaltung. Es geht um die Achtung von Werten und Glauben Andersdenkender, um den
Respekt vor anderen Religionen und Kulturen. Es geht um die Frage: wie weit darf Satire und
Kunst gehen?
Kunst darf alles, Satire darf alles, hieß es oft, und Satire, die sie einen Maulkorb umhängen
lässt, ist keine Satire mehr. Doch war die Satire im Allgemeinen immer eine Waffe der
Schwachen und Machtlosen gegen die Mächtigen. Es muss nicht die Provokation der
Überlegenen gegen schon Gedemütigte sein. Man kann sich auch selbst Grenzen setzen, wo
es um die Verspottung ganzer Gruppen geht.
Es geht in diesem Fall konkret um den Koran und Mohammad, die für Muslime einen
absoluten Stellenwert einnehmen. Dazu kommt noch, dass es im Islam ein absolutes Bilderund Darstellungsverbot von Menschen gibt, also allein schon das Zeichnen von Gott und dem
Propheten als Blasphemie betrachtet wird. Man scheint im Islam, zumindest unter
fanatisierten Islamisten, auch noch nicht so weit zu sein, über den Dingen zu stehen, über die
Menschen im Westen lachen können, eine Zeichnung also einfach mit Humor zu nehmen,
oder wenn nicht als witzig empfunden einfach zu ignorieren. Der Dalai Lama würde über eine
Karikatur über sich nur lachen, Ayatollahs und andere islamische Würdenträger schaffen es
nicht.
Was bedeutet das konkret für den heutigen Konflikt zwischen fundamentalistischen Muslimen
und einigen Grundwerten unserer Gesellschaft in Europa?
Wenn man Islam-Satiren verbietet oder darauf verzichtet, wie es jetzt zahlreiche Zeitungen
zum Selbstschutz tun, ist als nächster Schritt zu befürchten, dass man nicht mehr kritisch über
den Terror der IS berichten darf, oder den Islam als solchen nicht mehr kritisieren darf? Lässt
sich die europäische Gesellschaft durch Gewalt und Terror erpressen?
Nein, man muss den Islamismus, den religiösen Fundamentalismus in all seinen Spielarten in
all seiner Menschenfeindlichkeit kritisieren. Man muss auch Religionen kritisieren dürfen.
Die Aufklärung, der säkulare Staat, die Menschenrechte, die demokratischen Grundrechte
sind große geschichtliche Errungenschaften, die nicht zur Disposition stehen. Sie sind ein
zivilisatorischer Fortschritt, den Europa zu verteidigen hat. Die ganze Welt kann davon
lernen. Keine Religion kann mehr in Europa eine totalitäre Herrschaft ausüben, wie es früher
die katholische Kirche getan hat. Europa hat dazu gelernt und darf dieses geschichtliche Erbe
nicht verleugnen.
Seit über 220 Jahren ist in Europa das Prinzip des säkularen Staats und der individuellen
Menschenrechte verankert, das sich in unterschiedlichem Maß in ganz Europa behauptet hat.
Sie sind verankert im UN-MR-Erklärung, in der Europ. MR-Konvention, im
Grundrechtekatalog der EU. Es gibt keine Gottesstaaten oder christliche Republiken, wenn
wir einmal vom Vatikan und von der Republik Athos absehen. Im säkularen Staat sind Staat
und Kirche getrennt, der Staat trifft höchstens Vereinbarungen mit den
Religionsgemeinschaften und garantiert die freie Ausübung der Religion. Keine
Religionsgemeinschaft kann eigenes öffentliches Recht aufstellen und durchsetzen, alle
müssen die Gesetze der Länder beachten, in welchen sie leben. Keine Religionsgemeinschaft
kann bei uns im Namen ihrer Religion gegen die Menschenrechte und das geltende Gesetz
verstoßen.
Gewalt im Namen der Religion hat keinen Platz weder in Europa noch anderswo. Das ist im
21. Jahrhundert im Namen der Menschenrechte nicht tolerierbar. Es sind heute nicht nur die
fehlgeleiteten Dschihadisten mit ihren Terrormilizen, es ist auch der ganz normale Islam, der
europäischen Wertvorstellungen und allg. Menschenrechten widerspricht. Vor allem dort, wo
im Namen des Islam die staatliche Herrschaft ausgeübt wird, also in islamischen Staaten, gibt
es massive Diskriminierung der Frauen, die Todesstrafe, Unterdrückung von Minderheiten,
körperliche Strafen wie bei uns im Mittelalter, ein Umgang mit Andersdenkenden, der uns
entsetzt. Man muss diese Praktiken kritisieren können. Das sind keine beleidigenden
Zeichnungen, die man auch ignorieren könnte, die man eben gar nicht ernst nehmen bräuchte,
sondern das sind die unmenschlichen Seiten von Herrschaftssystemen, die unter dem Banner
einer Religion ausgeübt werden. Das spüren tagtäglich tausende Menschen am eigenen Leib,
im Unterschied zu einer Zeichnung in einem fernen Land.
Zudem verstehen viele Muslime hier und in islamischen Ländern die Trennung zwischen
Staat und Religion nicht wirklich. Die Medien, das Internet sind frei, der Staat kann nur direkt
eingreifen, wenn Kriminalität z.B. Kinderpornografie bekämpft wird, oder höhere Werte
gefährdet sind.
Halten wir fest: es muss in einem säkularen, demokratischen Staat und in einer offenen
Gesellschaft erlaubt sein, Religionen genauso wie Ideologien zu kritisieren. Die christlichen
Kirchen müssen sich das schon lange gefallen lassen, vorbei sind die Zeiten der Inquisition
und der Zensur. Die Kirchen waren jahrhundertelang formidable Unterdrücker der
Meinungsfreiheit, viele Tausende sind auf den Scheiterhaufen der Inquisition umgekommen.
Das ist Geschichte. Das muss auch Geschichte für die islamischen Länder werden.
Andererseits können auch in liberalen, offenen, demokratischen Gesellschaften Grenzen der
Meinungsfreiheit ausgemacht werden. Man darf z.B. bei uns nicht Gewalt verherrlichen, nicht
andere Personen beleidigen und verleumden, nicht faschistisches Gedankengut verbreiten und
antidemokratische Propaganda betreiben. Auch das haben wir aus unserer Geschichte zu
lernen, denn diese Regime haben als erstes die Presse- und Meinungsfreiheit abgeschafft.
So bleibt die Frage offen: soll jeder Einzelne diese Grenzen von sich aus spüren und beachten
oder soll der Staat eingreifen? Manche sind der Auffassung, dass der Schutz der religiösen
Minderheiten, die Empathie für religiöse Menschen, eine ethische Verantwortung sei, die
jedem Einzelnen überlassen bleiben sollte, sie sollte dem Strafrecht entzogen bleiben und
nicht staatlich geregelt werden. Aber weil der soziale Frieden, die internationalen
Beziehungen, die religiösen Minderheiten anderswo auf dem Spiel stehen, kommen hier auch
allgemeine Rechtsnormen ins Spiel, weil ein höheres Gut bedroht wird.
Welche Grenzen oder welche Art von Selbstbeschränkung ist gefragt? Künstler, Satiriker und
Karikaturisten genießen den Schutz der Presse-, Kunst- und Meinungsfreiheit, doch begrenzt
vom Recht auf Persönlichkeitsschutz, also gegen persönliche Beleidigung. Meinungs- und
Pressefreiheit heißt also nicht, zu zeichnen und zu schreiben, was man will. Sie treffen dort
auf eine Grenze, wo in die Rechte anderer massiv eingegriffen wird: das Recht auf
Privatsphäre, die Integrität der Person.
Das Strafrecht geht aber auch darüber hinaus: z.B. sind im Paragraph 166 des deutschen
StGB bis zu 3 Jahre Haft vorgesehen für jenen, der „öffentlich oder durch Verbreitung von
Schriften den Inhalt des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses andere in einer
Weise beschimpft, die den öffentlichen Frieden stört.“
Das Recht, der Staat muss nicht eingreifen, wenn dieses Verantwortungsbewusstsein besteht,
nämlich die Meinungsfreiheit mit Rücksicht auszuüben. Das bedeutet auch, Empathie und
Verständnis für die anderen und das andere, die Rücksicht auf andere Kulturen. Rücksicht
erlaubt es demokratischen Staaten, halbwegs in Frieden miteinander zu leben. Erlaubt es auch
in multikulturellen Städten Europas, mit vielen verschiedenen Religionsgemeinschaften in
Frieden zu leben.
Unterscheiden wir also gut – und das ist mein Fazit: es gibt in Europa Religionsfreiheit, das
Recht als religiöse Minderheit geschützt zu werden vor Verfolgung und Verunglimpfung, das
Recht auf religiöse Stätten. Die muslimische Minderheit in Europa hat genauso Grundrechte
aufgrund der Menschenrechte wie die christlichen Minderheiten in den islamischen Ländern.
Andererseits ist die Meinungs- Presse- und Kunstfreiheit in den europ. Verfassungen fest
verankert. Die Satire ist frei, sie kann nicht bestraft oder einfach verboten werden, wie in
einem islamischen Land, der Spott gegenüber Religionen insgesamt ist nicht strafbar. Die
Vernunft, der ethische Wert des Respekts und die Selbstverantwortung der Journalisten und
Satiriker gebieten es, andere Religionsgemeinschaften nicht zu beleidigen.
Es geht um eine komplizierte ethische Frage: um aus dieser Konfrontation mit gewaltbereiten,
islamistischen Fanatikern herauszukommen, die sich überall in Europa bewegen können, ist
ein Waffenstillstand angesagt. Auf der Seite der freieren Kulturen ein Verzicht auf
Provokation und Beleidigung, auf der Seite der Religionsgemeinschaften die tiefere
Auseinandersetzung mit den modernen Menschen- und Freiheitsrechten. Es geht um den
sozialen Frieden in Europa, wo 20 Millionen Muslime leben, die allermeisten friedfertig und
unter Anerkennung unserer Rechtsordnung. Auch um den Frieden in mehrheitlich islamischen
Ländern, wo Christen als Sündenböcke für die Angriffe aus dem Westen hergenommen
werden. Die Auseinandersetzung mit dem Islam zu den grundlegenden Menschen- und
Freiheitsrechten ist zu führen, doch nicht auf der Ebene von Gewalt und Beleidigung.
Thomas Benedikter
FOS Meran, 24.2.2015
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