Kapitel 4.5 - Institut für Friedenspädagogik Tübingen eV

Transcrição

Kapitel 4.5 - Institut für Friedenspädagogik Tübingen eV
Kapitel 4.5
Amoklauf an
Schulen
In: Günther Gugel: Handbuch Gewaltprävention II.
Tübingen 2010.
Impressum
Günther Gugel: Handbuch Gewaltprävention II
Für die Sekundarstufen und die Arbeit mit Jugendlichen
Grundlagen – Lernfelder – Handlungsmöglichkeiten.
© 2010 Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. / WSD Pro Child e.V.
Gestaltung: Manuela Wilmsen, eyegensinn
Fotos: Alles Fotos Jan Roeder, Gauting, außer:
Druck: Deile, Tübingen
Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V
Corrensstr. 12, 72076 Tübingen
[email protected]
www.friedenspaedagogik.de
Das Handbuch Gewaltprävention II ist ein Projekt von WSD Pro Child e.V., als Kooperationsprojekt durch
das Institut für Friedenspädagogik entwickelt und durch die Berghof Stiftung für Konfliktforschung gefördert.
ISBN 978-3-93244452-4
Amoklauf an Schulen
Dieser Baustein enthält Informationen über Vorkommen und Hintergründe von Schulmassakern. Des Weiteren werden Hinweise zur Vorbereitung auf und zum Handeln in solchen extremen Situationen
gegeben, sowie Wege zum Umgang nach solchen Attacken aufgezeigt. Der Umgang mit Posttraumatischen Belastungsstörungen und
Trauer ist dabei von besonderer Wichtigkeit.
649
denn wenn ein solcher
iten,
esk
e
r
e
b
vor
e
l
fäl
lem
b
ro
r
„Die
u le
S ch
so
ll t
e
h
sic
fP
au
K.
Materialien
Für Lehrkräfte und Eltern
• M1: Warum läuft ein Mensch Amok? __________________S.668
• M2: Abschiedsbrief________________________________S.669
• M3: Meinungen __________________________________S.670
• M4: Offener Brief der Opferfamilien __________________S.671
• M5: Checkliste extreme Gewaltvorfälle_ _______________S.673
• M6: Gutes Krisenmanagement _______________________S.674
• M7: Verwaltungsvorschrift Verhalten _________________S.675
• M8: Notfallpläne für Berliner Schulen _ _______________S.676
• M9: Raster für einen Notfallplan _ ___________________S.677
• M10: Verhalten in einer Amoksituation _______________S.678
• M11: Posttraumatische Belastungsstörung_____________S.679
• M12: Erstkontakt mit Traumaopfern___________________S.680
• M13: Hilfreich im Krisenfall_________________________S.681
• M14: Trauer_____________________________________S.682
• M15: Reaktionen auf Verlust________________________S.683
• M16: Auseinandersetzung in der Klasse________________S.684
• M17: Schule als verlässlicher Ort_____________________S.685
t es zu sp
ät.
rt, is
“K
alie
a
e
in
ol
Grundwissen
• Schwere Gewalt_ _________________________________S.650
• School Shootings _ _______________________________S.652
• Umgang mit Krisenereignissen_______________________S.657
• Traumatische Gewalterlebnisse_ _____________________S.662
• Umsetzung______________________________________S.666
4 . H A N D E L N I N P R O B L E M - U N D G E WA LT S I T UAT I O N E N
Grundwissen
Nach dem Amoklauf in
Winnenden am 11.3.2009
Wir müssen aufmerksam
sein, das ist die Lehre, auf
alle jungen Menschen – das
gilt für Eltern, das gilt für
Erzieher. Wir müssen alles
tun, um zu schauen, dass
Kinder nicht an Waffen
kommen, dass ihnen auch
sicherlich nicht zu viel Gewalt zugemutet wird in den
verschiedenen Stellen.
Bundeskanzlerin Angela
Merkel, 15.3.2009.
Die Tat mahnt uns auch, darüber nachzudenken, ob wir
unseren Mitmenschen immer
die notwendige Aufmerksamkeit entgegenbringen.
Bundespräsident Horst
Köhler, 14.3.2009.
Schwere Gewalt
Obwohl krisenhafte Ereignisse, wie sog. Schulmassaker oder Amokläufe, nur selten vorkommen, ist ihre Anzahl in den letzten Jahren
gestiegen.
Das erste School Shooting fand am 13.12.1974 in Olean, New York,
(USA) statt als ein 18-Jähriger Schusswaffen und selbst gebastelte
Bomben mit in die Schule brachte (vgl. Wickenhäuser 2005, S. 13).
Über 100 weitere haben seitdem weltweit stattgefunden, 66 davon
in den letzten zehn Jahren. Fast 200 Schüler und Lehrkräfte fielen
den Gewalttaten zum Opfer. In Deutschland haben seit 1999 acht
Amoktaten an Schulen stattgefunden, bei denen über 40 Menschen
ums Leben kamen (vgl. Langer/Diehl 2009; Ludwig 2009).
Solche Ereignisse kommen meist – da mögliche Anzeichen nur unzureichend wahrgenommen und verstanden werden – unerwartet
und überraschend. Sie bringen die Betroffenen in eine existentielle
Stresssituation, die sofortiges Handeln erfordert, das über Leben
und Tod entscheiden kann.
Auch wenn solche Ereignisse wohl nie vollständig verhindert werden können, kann man ihnen präventiv begegnen und sich auf
sie vorbereiten. Hierzu gehören das Aufstellen von Notfallplänen,
das Einüben von günstigen Handlungsweisen in Extremsituationen
sowie der Umgang mit den Betroffenen nach dem Ereignis.
Ein Amoklauf ist in den seltensten Fällen nur blindwütige Raserei,
die sich impulsiv aus einer Situation heraus ergibt. Bei Amok handelt es sich in aller Regel um eine genau geplante und organisierte
Tat. Fast alle Täter beschäftigen sich vor der Tat einige Zeit gedanklich mit dem bevorstehenden Gewaltakt und planen diesen oft
sehr genau. Sie beschaffen sich gezielt die Tatwaffen, und wählen
ihre Opfer in den meisten Fällen bewusst aus.
Der Begriff „Amok“ ist das einzige aus dem Malaiischen entlehnte
Wort (amuk) in der deutschen Sprache. Es bedeutet ursprünglich
„wütend“, „rasend“, „im Kampf sein Letztes geben“. Amokkämpfer
in Südindien oder Malaysia warfen sich mit Todesverachtung in die
Reihen des Feindes. Gefallene Amokkrieger galten als Helden des
Volkes und als Lieblinge der Götter. Handlungsreisende berichteten
im 16. Jahrhundert über Malaien, die sich mit Opium berauschten,
plötzlich mit einem Dolch bewaffnet auf die Straße stürmten und
jeden niederstachen, der ihnen begegnete. Dabei riefen sie „Amok“
(vgl. Focus, 18/2002, S. 26).
[M] Person unkenntlich gemacht
650
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
4.5 AMOKLAUF AN SCHULEN
Tätertypen
Der Amokforscher Lothar Adler (2000) unterscheidet drei Tätertypen:
1. Die Schizophrenen: Sie bekämpfen aus einer Wahnvorstellung
heraus irgendwelche bösen Mächte oder Invasoren aus dem All.
2. Die Depressiven: Sie bilden sich ein, durch eine schandhafte
Tat etwa die Ehre ihrer Familie befleckt zu haben, und töten, um
den ihnen Nahestehenden die Schmach zu ersparen.
3. Die Persönlichkeitsgestörten: In der Regel verbergen sich dahinter narzistische Persönlichkeiten, die beziehungsgestört und
leicht kränkbar sind. Sie sind sehr bemüht, sich anzupassen.
Zugleich haben sie eine ganz genaue, hochstrebende Vorstellung
von sich selbst, die mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt.
Diese Menschen erleiden deshalb eine Kränkung nach der anderen, und im Gegensatz zu den meisten Menschen vergessen sie
keine davon. Die Schmach wühlt in ihnen, bis sie irgendwann
gegen die ihrer Meinung nach ungerechte Welt losschlagen.
Nahlah Saimeh, ebenfalls Amokforscherin, nennt als typische Merkmale von Amokläufern: Sie haben große Niederlagen erlebt und
empfinden sich als Looser. In Familie, Schule oder Beruf sind sie isoliert. Sie besitzen kein funktionierendes soziales Netz. Der Wunsch,
„ganz groß rauszukommen“, treibt sie zum Verbrechen.
Die Entwicklung eines Amoklaufes beschreibt der Psychiater Volker
Faust so (vgl. www.psychosoziale-gesundheit.de):
• Im Vorstadium finden sich gehäuft Milieu-Schwierigkeiten, chronische Erkrankungen, der Verlust der sozialen Ordnung oder
Demütigungen, Kränkungen, Beleidigungen bzw. eine Verminderung des persönlichen Ansehens.
• Auf dieser Grundlage bekommen dann akute Belastungen körperlicher, seelischer oder psychosozialer Art eine besondere, letztlich
verheerende Bedeutung.
• Danach droht aber (noch) kein aggressiver Durchbruch, sondern
das Gegenteil, nämlich Rückzug und Isolationsneigung. Dies
kann verstanden werden als ein dumpf-diffuses, missgestimmtreizbares bis depressiv-feindseliges Brüten über reale oder eingebildete (imaginierte) Kränkungen oder Demütigungen.
• Aus einem solchen Stadium der „verwirrten Sinne“ bricht plötzlich
der eigentliche Amok-Zustand hervor. Der Betroffene wird von
einem so genannten „Bewegungssturm“ ergriffen, mit planlosen
Angriffs- oder Fluchtbewegungen. Er tut alles, um das Ausmaß
an Zerstörung oder Tod möglichst extrem zu gestalten.
• Den Abschluss bildete früher ein stunden- bis tagelanger schlafähnlicher bis stuporartiger Zustand. Heute werden Amoktäter
i.d.R. während der Tat erschossen oder töten sich selbst.
651
Amok
Der Begriff Amok ist zwar in
aller Munde, wird aber inzwischen so breit und damit unscharf gebraucht, dass viele
gar nicht mehr wissen, was
er ursprünglich bezeichnete:
eine plötzliche, willkürliche,
nicht provozierte Gewaltattacke mit mörderischem
oder zumindest erheblich
zerstörerischem Verhalten.
Danach Erinnerungslosigkeit
und Erschöpfung, häufig
auch Umschlag in selbstzerstörerische Reaktionen
mit Verstümmelung oder
Selbsttötung.
Volker Faust
http://psychiatrie-heute.net/
psychiatrie/amok.html
Grundwissen
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
4 . H A N D E L N I N P R O B L E M - U N D G E WA LT S I T UAT I O N E N
Grundwissen
School Shootings
School Shootings bezeichnen
Tötungen oder Tötungsversuche durch Jugendliche
an Schulen, die mit einem
direkten oder zielgerichteten
Bezug zu der jeweiligen
Schule begangen werden.
Dieser Bezug wird entweder in der Wahl mehrerer
Opfer deutlich oder in dem
demonstrativen Tötungsversuch einer einzelnen Person,
insofern sie aufgrund ihrer
Funktion an der Schule als
potenzielles Opfer ausgewählt wurde.
„Amokläufe bzw. Massenmorde durch Jugendliche
an Schulen“ und „schwere
zielgerichtete Gewalttaten
an Schulen“ stellen geläufige Umschreibungen des
Begriffes dar.
Frank J. Robertz/Rubens
Wickenhäuser: Der Riss in
der Tafel. Amoklauf und
schwere Gewalt in der Schule.
Heidelberg 2007, S. 10.
[M]
School Shootings
Bei der systematischen Auswertung von Schulmassakern konnten
Kriminologen und Psychologen eine Reihe von Gemeinsamkeiten
feststellen, wenngleich von keinem einheitlichen Profil ausgegangen werden kann (vgl. Bannenberg 2009, Landeskriminalamt NRW
2007, Wickenhäuser 2007, S. 31):
•Junge Männer: Nahezu alle Täter waren junge Männer.
•Familie: Die Täter stammen nicht aus besonders schwierigen
oder „zerbrochenen“, sondern eher aus „funktionierenden“ Familien.
•Psychische Auffälligkeiten: Die Täterpersönlichkeiten sind wohl
in weitaus höherem Maße psychopathologisch (Depression/Schizophrenie) als bislang angenommen, wenngleich dies i.d.R. erst
nach der Tat diagnostiziert wurde.
• Einzelgänger: Es handelte sich bei den Tätern oft, aber nicht
immer, um introvertierte Einzelgänger, die in ihrer subjektiven
Sichtweise keine funktionsfähigen sozialen Strukturen aufweisen.
•Verhaltensauffälligkeiten: Nur ein kleiner Teil der Täter hat
bereits vor der Tat Gewalt gegen Menschen angewandt. Auch
sonst waren sie nicht überproportional auffällig.
•Schusswaffen: Die Mehrzahl der Taten wurden mit Schusswaffen
durchgeführt. Fast alle Täter waren von Waffen fasziniert und
hatten ungehinderten Zugang zu Waffen, die häufig den Vätern
gehörten. Der gekonnte Umgang mit diesen Waffen war zuvor
eingeübt worden.
•Medien: Gewalt verherrlichende Video- und Computerspiele sowie Gewalt glorifizierende Musik spielten im Leben der meisten
Attentäter zwar eine gewisse, aber nicht die dominante Rolle.
Anerkennungszerfall
Die dramatische Verengung und Vergeltung durch extreme Gewalt steht
am Ende eines Anerkennungszerfalls. Anerkennungszerfall bedeutet nicht
bloß den Verlust von Prestige, sondern löst die Persönlichkeit auf, weil
niemand auf Dauer ohne Anerkennung leben kann. Der Fall ins Bodenlose
steht zur Debatte.
Auf existenzielle Fragen der sozialen Integration (Wer braucht mich? Wer
nimmt meine Stimme ernst? Wohin gehöre ich?) gab es offensichtlich
keine sinnhaften Antworten mehr, so dass insbesondere aufgetürmte
Ungerechtigkeitsempfindungen sowohl den Kontrollverlust über den
weiteren Lebensweg, als auch den Kontrollverlust über die Konsequenzen
für andere in Gang setzt.
Wilhelm Heitmeyer, Professor für Sozialisation, in: Blickpunkt Bundestag,
5/2002, S. 3.
652
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
4.5 AMOKLAUF AN SCHULEN
•Kleidung: Häufig waren die Täter in einem martialischen schwarzen Outfit gekleidet und trugen Masken. Diese Maskierung dient
nicht nur der Anonymisierung, sondern oft auch der Identifikation mit Rächerfiguren und auch dem Ausdruck der eigenen Macht.
• Planung: Die Tat wurde lange vor der Durchführung detailliert
geplant und oft regelrecht inszeniert.
• Andeutungen: Die Täter haben kurz vor der Durchführung ihrer
Pläne Andeutungen oder Drohungen zur Umsetzung ihrer Tat gemacht, diese wurden jedoch vom Umfeld entweder nicht erkannt
oder nicht ernst genommen.
•Tatanlass: Als Tatanlass werden regelmäßige Kränkungen, Demütigungen, Verluste gesehen, die von den Tätern als schwerwiegend wahrgenommen werden.
• Nachahmer: Es zeigte sich, dass Gewalttaten, die den Täter
durch eine allgegenwärtige Medienberichterstattung prominent
machen, bei psychisch instabilen jungen Menschen den Wunsch
zur Nachahmung auslösen.
Schulmassaker in Deutschland
In den letzten Jahren haben an deutschen Schulen mehrere schwere
Amokläufe stattgefunden. Erklärungen und Ursachenerforschung
sind schwierig, und die Meinungen darüber gehen weit auseinander. Gewalt bildet fast immer den Endpunkt eines Weges, der bei
dem Täter durch eine schrittweise Verengung der Perspektiven
gekennzeichnet ist, bis nur noch die finale Tat als denkbare Option
erscheint.
Der jugendliche Amokläufer fühlt sich ausgegrenzt und verhöhnt
von einer ihn zurückweisenden Welt, in der er seine eigene Bedeutung und Macht schließlich in einem gewaltvollen Finale unter
Beweis stellen will.
• Meissen, 9.11.1999: Der 15-jährige Andreas S. stürmt maskiert
ins „Franziskaneum“, das städtische Gymnasium. In seiner Klasse
stürzt er sich auf die Deutsch- und Geschichtslehrerin Sigrun L.
und sticht 22-mal auf sie ein. Die 44-Jährige verblutet. Andreas
S. gibt als Motiv „Hass“ an. Er wird zu siebeneinhalb Jahren
Jugendstrafe verurteilt.
• Brannenburg, 16.3.2000: Der 16-jährige Schüler Michael F.
schießt im Treppenhaus des Schloss-Internats im oberbayerischen Brannenburg auf den Schulleiter Reiner G. und fügt sich
anschließend selbst schwere Verletzungen zu. Der 57-jährige
Pädagoge stirbt später an seinen Kopfverletzungen. Michael F.
liegt seit der Tat im Wachkoma.
• Freising, 19.2.2002: In Eching bei München erschießt der
22-jährige Adam L. seinen ehemaligen Chef und einen Vorarbeiter.
653
Nicht verstehen
Vorsicht ist bei Spekulationen über die Motivlagen
der Täter geboten. Außer
den äußerlichen Tatabläufen
und sehr wenigen Selbstäußerungen stehen dafür
keine verlässlichen Informationen zur Verfügung. Ganz
offensichtlich folgt die Logik
von Amokläufen einem anderen Muster als die in Form
von Abschiedsbriefen zumindest ansatzweise erläuterte
Selbsttötung. Amokläufe
von Jugendlichen erzeugen
deshalb neben dem Entsetzen der Sprachlosigkeit und
der Trauer über die Opfer
immer auch Erklärungsnöte,
weil man die Handlung nicht
nachvollziehen/verstehen
kann.
Deutsches Jugendinstitut: Der
Amoklauf von Winnenden.
Arbeitspapier, 18.3.2009.
Grundwissen
Aus dem Skizzenbuch der Täter des School
Shootings von Columbine. Jefferson County
Sheriff‘s Office: Columbine Documents.
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
4 . H A N D E L N I N P R O B L E M - U N D G E WA LT S I T UAT I O N E N
Grundwissen
Nachahmungstäter
Folgende Faktoren der
Berichterstattung über
Selbstmorde weisen eine
besondere Bedeutung für
Nachahmungstaten auf:
• Vereinfachte Erklärungen,
•eine Sinnzuweisung des
Selbstmordes,
•die Darstellung konkreter
Selbstmordmethoden,
•die Beschreibung von
positiven Eigenschaften
des Toten.
Studien weisen darauf hin,
dass dieser Nachahmungseffekt auch bei Schulmassakern auftritt. Daher ist
die Medienberichterstattung
bei School Shootings zu
überdenken.
Vgl. Frank J. Robertz/Rubens
Wickenhäuser: Der Riss in
der Tafel. Amoklauf und
schwere Gewalt in der Schule.
Heidelberg 2007, S. 98 f.
Anschließend fährt er nach Freising und wirft zwei Rohrbomben
ins Rektorat der Wirtschaftsschule. Er tötet den Direktor mit drei
Schüssen. Auf dem Flur begegnet er einem Religionslehrer, dem
er durch die Wange schießt. Dann begeht L. Selbstmord.
• Erfurt, 26.4.2002: Der 19-jährige Robert S. erschießt 12 Lehrer,
zwei Schüler, die Schulsekretärin und einen Polizisten und begeht
dann Selbstmord.
• Waiblingen, 18.10.2002: Der 16-jährige Marcel K. nimmt zehn
Schüler und eine Lehrerin als Geiseln. Er ist mit einer schusssicheren Weste, einer Luftpistole und Bombenattrappen ausgerüstet. Nach intensiven Verhandlungen lässt er die Geiseln frei
und ergibt sich.
• Coburg, 2.7.2003: Ein 16-jähriger Schüler schießt eine Lehrerin
an und tötet sich anschließend selbst. Die Waffe stammt aus dem
Waffentresor des Vaters.
• Emsdetten, 20.11.2006: Ein bewaffneter 18-Jähriger stürmt
maskiert und bewaffnet in seine ehemalige Schule, schießt wahllos um sich und wirft Rauchbomben. Elf Kinder werden durch
Schüsse verletzt. Danach erschießt er sich selbst.
• Winnenden, 11.3.2009: Der 17-jährige ehemalige Schüler
Tim K. dringt in die Albertville Realschule ein, erschießt neun
Schülerinnen und Schüler und drei Lehrkräfte. Auf der Flucht
erschießt er drei weitere Personen, bevor er sich selbst umbringt.
15 Personen werden z.T. schwer verletzt.
Vgl. Frankfurter Rundschau, 24.4.2007, S. 25; Stern, 20/2002, S. 44 f.; Die
Welt, 12.3.2009.
Warum Schule?
Die Wahl des Schauplatzes für die Inszenierung des Abgangs fällt auf den
letzten Arbeitsplatz oder eben die Schule, die als Symbol des misslungenen Lebens und als der Ort erscheint, an dem alles Unglück seinen Anfang nahm. Im Amoklauf werden die Kindheitstraumata in den Triumph
des Erwachsenen verwandelt und all die Niederlagen und die Ohnmacht
von einst verblassen angesichts der machtvollen finalen Demütigung der
Demütiger.
Warum beschränkt sich der Racheimpuls nicht auf Lehrer, sondern
schließt Schüler mit ein? Sie symbolisieren eine in die Zukunft weisende
Lebendigkeit, die, weil sie der Amokläufer nicht finden konnte, nun
keinem zuteil weden soll. Das Glück, das Kinder in guten Augenblicken
umgibt, kann in dem zu Lebzeiten bereits Gestorbenen und vom Leben
Enttäuschten, der sich zum Anwalt seiner Zerstörung gemacht hat, einen
unbändigen Vernichtungsimpuls hervorkitzeln. Sein Hass entlädt sich
gegen jene, die ihn an versunkene eigene Glücksversprechen erinnern
und schwach und ohne Schutz sind.
Götz Eisenberg: Tatort Schule. In: Frankfurter Rundschau, 24.4.2007, S. 25.
654
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
4.5 AMOKLAUF AN SCHULEN
Kann man Amokläufe verhindern?
Die Meinungen darüber, ob man Amokläufe verhindern könne, gehen auseinander. Verschiedene Fachleute vertreten die Ansicht,
dass derartige Ereignisse eher schicksalhaften Charakter hätten,
dass man sie weder verhindern oder „vorausahnen“ könne. Andere
weisen darauf hin, dass es im Vorfeld solcher Ereignisse immer
auch Hinweise und Symptome gäbe, die als Hilferufe zu verstehen seien, die zeigten, dass jemand mit seinen Problemen nicht
zurecht komme.
Begreift man schwere Gewalttaten und Amokläufe nicht als Schicksalsschläge, sondern als krisenhafte Entwicklungen, so gibt es
vielfältige Möglichkeiten auf Warnsignale zu reagieren. Hierzu gehören u.a. Gewaltdrohungen (mit konkreten Zeit und Ortsangaben),
Suizidäußerungen, Zugang oder Besitz von Waffen, Rückzug und
Isolation sowie das Gefühl der Ausweglosigkeit. Das Problem der
Erkennung solcher Frühwarnsignale liegt jedoch darin, dass sie oft
zu wenig trennscharf sind und dadurch auf viele Jugendliche zutreffen und somit die Gefahr besteht, ein Klima von Verdächtigungen zu schaffen. Solche Hinweise, die sich nach Amokläufen immer
rekonstruieren lassen und auch immer vorhanden sind, vor einer
Tat rechtzeitig zu erkennen, ist das Ziel des Berliner LeakingProjektes. „Beim Leaking lässt der Täter seine Tatfantasien oder
Pläne im Vorfeld ‚durchsickern‘. Somit bietet dieses Phänomen
einen Anhaltspunkt für ein präventives Eingreifen“ (www.leakingprojekt.de).
Leaking? „Leaking“ kann auf unterschiedliche Art erfolgen:
1. direkt
• mündlich (z.B. Ankündigungen/Drohungen am Telefon oder in einem
direkten Gespräch);
• schriftlich (per SMS, Email, Brief, in einem Aufsatz oder auf Internetseiten);
• zeichnerisch (z.B. Bilder, Comics, Graffitis).
2. indirekt = auffällige Verhaltensweisen eines Schülers in der letzten Zeit:
• übermäßiges Interesse an Waffen, Gewalt, Krieg; ständiger Bezug auf
diese Themen;
• Sammeln von Material über School Shootings, Amoktaten, Massenmörder etc.;
• demonstratives Tragen von Tarnkleidung;
• Suizidversuche und -drohungen.
www.leaking-projekt.de/index.php?id=10
655
Grundwissen
Die Begleitumstände
Amok ist ein Phänomen
jenseits von Krankheit,
Kriminalität und Kontrolle.
Die Begleitumstände des
modernen Amoklaufs treffen
auf zu viele zu, um für
Präventionsansätze tauglich
zu sein: Man(n) liebt Waffen
oder virtuellen Waffenersatz,
trainiert mit ihnen, man(n)
übt sich in der Entmenschlichung (Dehumanisierung)
der vermeintlichen Gegner,
man(n) teilt sich niemandem
mit. Kein Staat, keine Polizei kann das kontrollieren.
Joachim Kersten:
Jugendgewalt und Gesellschaft. In: Aus Politik und
Zeitgeschichte. Beilage zur
Wochenzeitung Das Parlament, B44/2002, S. 20.
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
4 . H A N D E L N I N P R O B L E M - U N D G E WA LT S I T UAT I O N E N
Grundwissen
Waffen
Ausgerechnet Deutschland,
das sich gern als friedliche
Nation bezeichnet, ist in
Wahrheit ein Land unter
Waffen, mit 8 bis 10 Millionen legalen Feuerwaffen und
mindestens 20 Millionen illegalen. Die Faszination Flinte
ist kaum geringer als die
Faszination Auto. Und so wie
das eine an den Urinstinkt
anknüpft, jederzeit flüchten
zu können, so das andere an
den, töten zu können, um zu
überleben.
Der Spiegel, 13/2009, S. 42.
Im Bereich der primären Prävention gilt es Verantwortlichkeiten in
vielfältigen Bereichen zu erkennen und wahrzunehmen:
•Eltern: Welchen Erwartungsdruck vermitteln Eltern? Bleibt Zeit
für Auseinandersetzung und Anerkennung?
•Freunde und Bekannte: Ist genügend Neugier vorhanden, den
anderen auch als Mensch kennenzulernen? Wird vom anderen
Rechenschaft für sein Verhalten verlangt? Wird eine gewisse Verantwortung für sein „Wohlergehen“ empfunden?
•Schule: Werden neben Leistung und Noten auch Mitmenschlichkeit und Solidarität vermittelt und gelebt? Werden Alarmsignale erkannt? Werden Konfliktlösungsmöglichkeiten eingeübt,
Schwächen nicht ausgenützt und Stärken gefördert?
•Medien: Werden alle Möglichkeiten der Unterbindung von Gewalt
verherrlichenden Medien ausgeschöpft? Wird die Produktion und
der Vertrieb solcher Medien auf ihre Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit geprüft?
•Waffen: Wie kann verhindert werden, dass Waffen problemlos
legal (und illegal) zu beschaffen sind? Wie kann sichergestellt
werden, dass Waffen „sicher“ aufbewahrt werden?
•Gesellschaft: Wie kann eine Kultur des Friedens und der Anerkennung entwickelt werden, die Gewalt auf allen Ebenen tabuisiert, die auch den Schwächeren eine erstrebenswerte Zukunft
und einen Platz in der Gesellschaft ermöglicht?
•Politik: Wie kann erreicht werden, dass Politik sich stärker um
die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen kümmert?
Warnsignale erkennen, Normen verdeutlichen, zur Seite stehen
Es kommt darauf an, die Warnsignale zu erkennen und den Jugendlichen
dann auf dreifache Weise zu begegnen. Weitere Informationen müssen
gesammelt werden, Normen des Zusammenlebens müssen verdeutlicht
werden, vor allem aber muss den Jugendlichen klargemacht werden,
dass ihre im Vorfeld subjektiv unlösbar erscheinenden Probleme nicht
unlösbar sind. Sie müssen begreifen, dass ihnen von diesem Zeitpunkt
an Erwachsene zur Seite stehen – nicht um zu strafen, sondern um
auch Hinweise zu geben auf die Lösung der immer gleichen Kernprobleme: Wege zu Anerkennung, Kontroll-Erleben, soziale Bezugspersonen,
Einbindung in die Gesellschaft und Umgang mit Kränkungen. Schwere,
zielgerichtete Gewalt ist immer die allerletzte Option für diese Jugendlichen, also muss ihnen eine Alternative aufgezeigt werden. Das können
Schulpsychologen, jedoch auch Lehrer tun, die das Wohlergehen ihrer
Schützlinge ernst nehmen.
Frank Robertz: Die Statistik des Leids. Nach dem Amoklauf in Winnenden.
Süddeutsche Zeitung, 16.3.2009.
www.sueddeutsche.de/,tt5m1/panorama/165/461787/text/
656
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
4.5 AMOKLAUF AN SCHULEN
Umgang mit Krisenereignissen
Notfallsituationen sind gekennzeichnet durch ihre geringe Wahrscheinlichkeit des Auftretens, durch ihre Unvorhersehbarkeit und
Unterschiedlichkeit, durch die Bedrohung für Leben und Wohlbefinden und die Notwendigkeit des schnellen Eingreifens.
„Die Schulleiterin oder der Schulleiter (Schulleitung), die Lehrkräfte, die sonstigen Bediensteten der Schule und die Schülerinnen
und Schüler müssen vorbereitet werden, Gewaltvorfälle wie Bombendrohungen, Geiselnahmen usw. und Schadensereignisse wie
Brände, Katastrophen, Unglücksfälle richtig einzuschätzen und
unter Einschaltung der dafür fachlich zuständigen Stellen zu bewältigen. Die Lehrkräfte und die sonstigen Bediensteten an Schulen
sind verpflichtet, sich rechtzeitig mit den dargelegten Verhaltensregeln vertraut zu machen und sie im Ernstfall zu beachten.“ So
die Verwaltungsvorschrift 1721.6-7/16 des Kultusministeriums
Baden-Württemberg über Gewaltvorfälle und Schadensereignisse
an Schulen.
In den letzten Jahren haben fast alle Bundesländer sog. Notfallpläne für Schulen als Verwaltungsvorschriften erlassen. Diese sind
unterschiedlich konkret und regeln (wie z.B. in Baden-Württemberg) oft nur Zuständigkeiten. Notfallpläne können Amokläufe
nicht verhindern. Sie können jedoch dazu beitragen, die Folgen
abzumildern.
Trotz dieser Pläne bleibt die Feststellung von Eikenbusch (2005,
S. 7) richtig, dass in vielen Krisen Lehrkräfte unvorbereitet, hilflos und unsicher sind. Dabei entscheidet sich, ob und wie eine
Krisensituation bewältigt werden kann, lange vor der Krise durch
die Art und Weise der Auseinandersetzung mit und der (inneren und
äußeren) Vorbereitung auf solche Notfallsituationen.
•Notfallpläne: Individuell ausgearbeitete Notfallpläne für Schulen
legen fest, wer bei Krisen/Notfällen welche Aufgabe übernimmt,
wie die Verantwortlichen in Krisenfällen erreichbar sind, was bei
bestimmten Ereignissen zu tun ist, wer welche Unterstützung
leisten kann, wer die Schüler, die Eltern, die Öffentlichkeit informiert usw. (vgl. Eikenbusch 2005). Um mit solchen Plänen
auch wirkungsvoll umgehen zu können, ist die Einrichtung von
Notfall- oder Krisenteams in der Schule Voraussetzung.
•Notfallordner: Als ein wichtiges konkretes Hilfsmittel haben
sich sog. Notfallordner erwiesen, die an einem leicht zugänglichen zentralen Ort aufgestellt werden und alle wesentlichen
Informationen in Form von Checklisten enthalten.
657
Notfallplan für Schulen
in NRW
Das NRW-Schulministerium
hat unter dem Stichwort
„Hinsehen und Handeln“
einen Notfallplan für die
Schulen des Landes erstellt.
Darin sind Handlungsvorschläge für Gewaltvorfälle,
Krisensituationen und extremistisch motivierte Vorfälle
enthalten. „Hinweise zum
Notfall können in akuten
Belastungssituationen nur
dann gefunden werden,
wenn der Umgang mit ihnen
geübt ist“, heißt es in einem
Anschreiben an die Lehrer.
Der 117 Seiten starke Ordner
unterscheidet zwischen drei
Gefährdungsgraden und enthält auch Hinweise für das
richtige Verhalten bei Mord/Amok- und Totschlagdrohungen im Internet oder per
SMS. Ebenfalls enthalten
sind Formulierungsvorschläge für einen Elternbrief nach
dem Tod eines Schülers.
Einzelheiten zu den Empfehlungen will das Schulministerium nicht mitteilen.
„Wir wollen vermeiden, dass
sich potenzielle Täter darauf
einstellen“, sagte Sprecher
Jörg Harm.
Kölner Stadtanzeiger,
28.11.2007
Grundwissen
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
4 . H A N D E L N I N P R O B L E M - U N D G E WA LT S I T UAT I O N E N
Grundwissen
Indikatoren, die auf eine
substantielle Drohung
hinweisen:
• Die Äußerung enthält spezifische Details wie etwa
Daten oder Orte.
•Sie wird wiederholt oder
vor unterschiedlichen
Menschen geäußert.
•Sie enthält konkrete
Handlungspläne.
•Der drohende Schüler hat
Komplizen oder versucht,
Zuschauer für seine Tat zu
werben.
•Es liegen konkrete materielle Hinweise vor, beispielsweise eine Schusswaffe oder eine Liste
potenzieller Opfer.
Sannah Koch: Wie erkennt
man School Shooter? In:
Psychologie heute, 11/2007,
S. 38.
Vgl. Frank J. Robertz/Ruben
Wickenhäuser: Der Riss in der
Tafel. Amoklauf und schwere
Gewalt in der Schule. Berlin
2007.
•Koordination der Abläufe: Zentral für das Handeln in Notfällen
ist der Personenschutz und die Mobilisierung von professionellen Einsatzkräften wie Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste.
Regelmäßige Übungen dienen dazu, Missverständnisse und
Schwierigkeiten zu beheben.
•Bedrohungsanalyse: Zur Einschätzung von Drohanrufen, Drohschreiben oder im Internet veröffentlichten Drohformulierungen
müssen Fachleute der Polizei hinzugezogen werden.
•Drohungen: Substantielle Drohungen müssen ernst genommen
werden. Mögliche Reaktionen reichen von Gesprächen mit dem
Betroffenen und seinen Eltern über Verhaltenstrainings bis hin
zu Strafanzeigen, Hausdurchsuchungen und – bei dringendem
Tatverdacht – Festnahme durch die Polizei.
•Pressearbeit: Der sensible Umgang mit den Medien, die bei Gewaltdrohungen und Gewaltvorfällen oft dazu neigen, nicht sachlich, sondern sensationsheischend und voyeuristisch zu berichten, ist wichtig. Es muss klar sein, über wen (ausschließlich) die
Presseinformation läuft.
•Verhalten in Gewaltsituationen: Eine der schwierigsten Aufgaben ist die Entwicklung von günstigen Handlungsweisen in Gewaltsituationen. Opferschutz hat Vorrang vor der Identifizierung
oder Verfolgung des Täters. Deckung und Schutz suchen, Klassen
zusammenhalten, Türen verschließen und Fenster und Türen zu
meiden sind dabei grundlegende Verhaltensweisen zu denen auch
gehört, dass Fluchtwege für Täter offengelassen und nicht abgeschlossen werden dürfen (vgl. Wickenhäuser 2007, S. 214). In
speziellen Trainings kann der Umgang mit Gewaltsituationen zwar
geübt werden, wie die eigenen Reaktionen in einer Realsituation
jedoch tatsächlich sein werden, ist nicht planbar.
658
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
4.5 AMOKLAUF AN SCHULEN
Amokprävention
Die folgenden Präventionsmaßnahmen zielen auf die Stärkung von
Schutzfaktoren ab:
• Schulpsychologische und sozialarbeiterische Konzepte;
•Förderung und Stärkung des Selbstbewusstseins;
•Vermittlung von Selbstwirksamkeitserleben und Erfolgserfahrungen
(die der Kränkbarkeit bzw. potenziellen Kränkungen als Tatauslöser
entgegenarbeiten);
•Abbau von Ängsten (z.B. bezüglich Noten oder Versetzung).
Als Präventionsmaßnahmen zur Verminderung von Risikofaktoren gelten
etwa:
•Zugangskontrolle zu Waffen.
•Verbot bzw. Kontrolle bestimmter Gewaltdarstellungen.
Die einzelfallbezogene Prävention (Krisenintervention) muss darin bestehen, die „Problemschüler“ zu erkennen, beispielsweise anhand von Vorbereitungshandlungen und Planungen, und zugleich Hilfen anzubieten.
Grundsätzlich sollten, nicht zuletzt aufgrund der fehlenden Spezifität
der Merkmale, produktive, helfende Maßnahmen den sanktionierenden
Maßnahmen vorgezogen werden.
Der „Weg eines Amoktäters“ (Hoffmann, 2007) lässt sich an den folgenden Stellen durchkreuzen, wobei die entsprechenden Maßnahmen
sukzessive von der Prophylaxe – zuerst Stärkung der Schutzfaktoren,
dann Abbau von Risikofaktoren – zur Krisenintervention übergehen:
•Verhinderung der sozialen und persönlichen Defizite;
•Verhinderung der Kränkung;
•Verhinderung der Nebenrealitätsbildung;
•Verhinderung der Entwicklung von Tötungsfantasien;
•Verhinderung der Voraussetzungen für die Realisierung der Tat
(Waffenzugang, Übung im Umgang);
•Verhinderung der Tatrealisierung.
Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen: Amoktaten – Forschungsüberblick
unter besonderer Beachtung jugendlicher Täter im schulischen Kontext.
Kriminalistisch-Kriminologische Forschungsstelle. Analysen Nr. 3/2007, S. 11 f.
[M]
Presserat rügt Berichte
über Tat in Winnenden
Der Deutsche Presserat
hat die Berichterstattung
der Bild- Zeitung und
ihrer Online-Ausgabe zum
Amoklauf von Winnenden
gerügt. Beanstandet wurde
unter anderem die mehrseitige Berichterstattung
der Bild unter den Überschriften „Seid ihr immer
noch nicht tot?“ sowie „Wie
wurde so ein netter Junge
zum Amokschützen?“. Ein
ganzseitiges Bild zeige den
Amokläufer mit gezogener
Waffe in einem Kampfanzug.
Diese Fotomontage verbunden mit der Überschrift
„Seid ihr immer noch nicht
tot?“ ist nach Ansicht des
Beschwerdeausschusses des
Presserates unangemessen
sensationell. Sie stelle den
Amoktäter in einer Heldenpose dar.
Süddeutsche Zeitung online,
22.5.2009.
Grundwissen
[M]
659
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
4 . H A N D E L N I N P R O B L E M - U N D G E WA LT S I T UAT I O N E N
Erfurt, 26. April 2002
Grundwissen
Der 19-jährige Schüler Robert S. tötet in seiner ehemaligen
Schule, dem Gutenberg Gymnasium in Erfurt, 16 Menschen
und sich selbst. Dieser Massenmord schockierte ganz
Deutschland.
Die Medienberichterstattung
In allen Programmen gierte
man nach authentischen
Bildern. Hatte man sie, wiederholte man sie permanent,
ohne ihre Widersprüche zu
erkennen. So lief am Tag der
Tat in allen Nachrichtensendungen ein fast identischer
Kurzfilm ab, dessen Bilder
nichts über die Tat verrieten,
meint der Journalist Dietrich
Leder (Funkkorrespondenz
Nr. 19, 10.5.2002).
Mangels Aufnahmen vom
Tatort ließ RTL die Morde in
einer Kölner Schule nachinszenieren. Andere Sender
rekonstruierten die Vorgänge
im Erfurter Gutenberg-Gymnasium am Computer.
Johannes B. Kerner reiste im
Auftrag des ZDF noch am Tag
der Tat nach Erfurt, um dort
live unter anderem einen
elfjährigen Augenzeugen
nach seinen Wahrnehmungen
und Überlegungen zu fragen.
Der Spiegel zum „Rauswurf“
„Es war ein hektischer Rauswurf ohne Netz und ohne
Boden, und für Robert war
es so etwas wie ein Todesurteil. Es war die endgültige
Niederlage. Und der Anstoß
zur Tat.“
Der Spiegel, 19/2002, S. 138.
Die Schule
Robert hatte sehr schlechte
Noten. Er sei faul, sagten
die Lehrer, mache die Aufgaben nicht. Doch statt Hilfe
gab es Demütigungen.
Die elfte Klasse machte Robert nochmal. Er versuchte
die Prüfung zum Realschulabschluss zu machen, gab
aber schnell wieder auf. Als
es im neuen Schuljahr nicht
besser lief, schwänzte er die
Schule. Um das Schwänzen
zu verstuschen, fälschte er
Atteste.
Als die Fälschung aufflog,
wurde er im September 2001
zu einem Gespräch bestellt,
und in seinem Beisein wurde
beschlossen, ihn an eine
andere Schule zu verweisen.
Der Schulpsychologische
Dienst des Schulamtes wurde
nicht eingeschaltet. Eine
Schulkonferenz hat es für
Robert S. nie gegeben.
Zuhause tat er so, als ob
er weiter ins GutenbergGymnasium ginge. Seinen
Freunden sagte er, er habe
die Schule gewechselt. Statt
in die Schule ging er ins
Café Marathon.
Seinen Eltern legte er ein
gefälschtes Zwischenzeugnis
vor. Der 26. April war der
Tag der letzten Klausur, und
bald wäre Robert aufgeflogen.
660
Gemeinsame Erklärung
der Kultusministerinnen
und Kultusminister zu
den Morden im Erfurter
Gutenberg-Gymnasium
(Auszug)
Die gesamte Gesellschaft
muss sich fragen, wie wir
Tag für Tag mit Gewalt
umgehen. Nicht nur in den
Medien wird Gewalt allzu
oft als einfaches Mittel zur
Problemlösung dargestellt.
Die Gewaltbereitschaft
insgesamt hat leider zugenommen. Sie kann auf
lange Sicht nur durch ein
grundlegendes Umdenken
der Gesellschaft gesenkt
werden. Dabei müssen
sowohl Eltern, Lehrerinnen
und Lehrer, Schülerinnen
und Schüler als auch alle
anderen gesellschaftlichen
Gruppen mitwirken.
Der Schützenverein
Robert S. besaß seine Waffen legal. Er war Mitglied im
Erfurter Polizeisportverein
Schützenverein Domblick
e.V. Am Schießstand wurde
Robert im zielsicheren Umgang mit Waffen ausgebildet. Robert schoss regelmäßig. Er wurde als guter
Schütze eingeschätzt.
Im Oktober 2001 erwarb er
die spätere Tatwaffe, die
9-mm-Glock. Danach wurde
er nicht mehr im Schützenverein gesehen.
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
4.5 AMOKLAUF AN SCHULEN
Gewalttaten entstehen nicht im luftleeren Raum. Es sind
oft lange Prozesse von Enttäuschungen, Demütigungen,
mangelnder Anerkennung, die das Leben ohne Hoffnung
erscheinen lassen und scheinbar keine Lebensperspektive
bieten. Kausale Zuschreibungen oder einseitige Schuldzuweisungen sind nicht angebracht, sie helfen nicht weiter.
Die Familie
In einem offenen Brief hat
die Familie des Todesschützen von Erfurt ihre Hilflosigkeit und Verzweiflung über
das Blutbad ausgedrückt:
„Seit dieser schrecklichen
Tat fragen wir uns immer
und immer wieder, woher der
Hass und die Verzweiflung
von Robert kamen, und warum wir nichts davon vorher
erfahren haben. Wir waren
bis zu dieser brutalen Wahnsinnstat eine ganz normale
Familie und haben Robert
anders gekannt. Bis jetzt haben wir noch nicht die Zeit
gefunden, um unseren Sohn
und Bruder zu trauern, wir
denken nur an die Opfer und
sind mit unseren Gedanken
bei ihren Familien.“
„Aus vollkommen heiterem
familiären Himmel geschehen solche Taten nicht. Viele
Familien, die nach außen
vollkommen ‚normal‘ aussehen, sind innen eine einzige
Szenerie von Gleichgültigkeit
und Kälte, das bloße Nebeneinander von Einsamkeiten.
Viele Eltern wissen selbst
nicht mehr, was richtig und
was falsch ist, woran sie sich
in puncto Erziehung halten
sollen.
Götz Eisenberg, Psychologe
PC Spiele
Robert S. spielte gern und
viel am Computer. Als Polizisten nach dem Amoklauf
sein Zimmer durchsuchten,
fanden sie unzählige Computerspiele. Unter den vielen
Ballerspielen waren auch
indizierte.
Schuld
Abschreckend ist ein Großteil der Debatte um Ursache
und Schuld. Man kann sich
des Eindrucks nicht erwehren, als wäre die Katastrophe
von Erfurt ein gefundenes
Fressen für notorisch heißhungrige Antwortmaschinen:
Schärfere Waffengesetze,
Verbot von Gewaltvideos,
Heraufsetzen der Volljährigkeit, mehr Schulpsychologen.
All diese Ursachen verstellen
das, was eben nicht dingfest
zu machen ist, weil es eben
kein Ding und keine Sache
ist, die Sprache der Worte
und der Beziehungen, die
Sprache der Ideen, der
Wünsche und der Relationen
zwischen den Menschen.
Reinhard Kahl in: Pädagogik
6/2002, S. 64.
Fragen
Gibt es einen Zeugen, der
sagt: Ich war in seiner Nähe,
ich habe versucht ihn zu
erreichen?
Friedrich Ani, Schriftsteller
661
Grundwissen
Die Politik
Sämtliche im Bundestag vertretenen Parteien sowie alle
führenden Politiker gaben
Erklärungen und Stellungnahmen zu dem Attentat in
Erfurt ab.
Dass Robert S. seine Tat genau an dem Tag verübte, an
dem der Deutsche Bundestag
ein neues – liberaleres –
Waffenrecht verabschiedete,
war sicher nicht beabsichtigt.
Die Clique
Robert gehörte zu einer
Clique, mit der er EgoShootings im Cyberspace
zelebrierte und Death-Metal
hörte. Sie trafen sich auf
dem Domplatz oder organisierten sog. LAN-Parties für
Computerspiele.
Einem Jungen aus der Clique
zeigte er auch stolz seine
Waffen und die Munition.
Mit einem aus der Clique war
er am letzten Abend vor dem
Amoklauf noch zusammen.
In der Clique durfte er sein,
wie er war, verschlossen
und einsilbig, denn hier
war das cool. Es gab keine
Nachfragen, keine Diskussion. „Es ist erschreckend, wir
wussten von Robert nahezu
nichts“, sagte einer aus der
Clique später.
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
4 . H A N D E L N I N P R O B L E M - U N D G E WA LT S I T UAT I O N E N
Grundwissen
Post Traumatic Stress
Disorder (P.T.S.D)
Post Traumatic Stress Disorder is a natural emotional
reaction to a deeply
shocking and disturbing
experience.
It is a normal reaction to an
abnormal situation.
www.ptsd.org.uk/what_is_
ptsd.htm
Traumatische
Gewalterlebnisse
Im Kontext von Gewalthandlungen kommt es oft zu traumatischen
Erlebnissen, die bei Opfern und Zuschauern zu sog. Posttraumatischen Belastungsstörungen führen können. Die Posttraumatische
Belastungsstörung ist eine mögliche Reaktion auf eines oder mehrere traumatische Ereignisse. Prinzipiell können vier verschiedene
Erfahrungszusammenhänge unterschieden werden (Bolt 2005,
S. 31):
•Erfahrungen im sozialen Nahraum, wie z.B. häusliche Gewalt,
sexualisierte Gewalt, Misshandlungen und Vernachlässigungen
in der Familie, Trennung durch Scheidung oder Tod.
•Erfahrungen im Gesellschaftskontext wie Krieg, Folter, Terrorakte,
Verfolgung.
•Erfahrungen mit Großschadensereignissen wie Naturkatastrophen, Unglücksfällen.
•Mittelbare Erfahrungen, wie Zeuge von Traumatisierungen von
anderen werden, Computerspiele, Horrorfilme.
Es kommt bei einer Traumatisierung oft zum Gefühl von Hilflosigkeit und zu einer existentiellen Erschütterung des Selbst- und
Weltverständnisses. Das Entscheidende an der Traumatisierung ist
der Verlust der Sicherheit und die Unterbrechung des Kontaktes
zu anderen. Die Welt und das eigene Leben sind nach dem Trauma
nicht mehr wie zuvor; Beziehungen müssen neu aufgebaut und
neu definiert werden.
Das Störungsbild ist u.a. geprägt durch:
•sich aufdrängende, belastende Gedanken und Erinnerungen an
das Trauma oder Erinnerungslücken (Albträume, Flashbacks, partielle Amnesie);
•Übererregung (z.B. Schlafstörungen, Schreckhaftigkeit, Konzentrationsstörungen);
•Vermeidungsverhalten (Vermeidung traumaassoziativer Eindrücke);
•emotionale Taubheit (z.B. allgemeiner Rückzug, Interesseverlust,
innere Teilnahmslosigkeit);
•Verhaltensauffälligkeiten (z.B. bei Kindern und Jugendlichen).
Die Symptomatik ist individuell sehr verschieden und kann auch
mit mehrjähriger Verzögerung noch auftreten. Die Häufigkeit des
Auftretens ist abhängig von der Art des Traumas.
662
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
4.5 AMOKLAUF AN SCHULEN
Umgangsmöglichkeiten
Die „Erstversorgung“ traumatisierter Personen wird als zeitnahe
Maßnahme (beginnend am Ort des Geschehens) oft von sog. Kriseninterventions-Teams vorgenommen. Die sich anschließenden Verarbeitungs- und Bewältigungsstrategien verlaufen i.d.R. in drei
Stufen:
1.Stabilisierung, Kommunikation, Sicherheit: Herstellung von
äußerer (und innerer) Sicherheit: Schutz vor Wiederholung der
traumatischen Ereignisse, Ausschluss von Kontaktmöglichkeiten
zum Täter, Herstellung einer sicheren Beziehung und einer verlässlichen Kommunikationsbasis durch feste Bezugspersonen,
bewusste aktive Planung (Strukturierung) des Alltags usw.
2.Verarbeitung und Erinnern des Traumas: Trauerarbeit durch
verbale und nonverbale Ausdrucksformen, Wiedererleben und
Durcharbeiten.
3.(Re-)Integration, Aktivierung eigener Ressourcen durch
Mobilisierung der Selbstheilungskräfte. Gewinnung neuer Sinnzusammenhänge und Lebensperspektiven.
Die erste Stufe wird dabei oft der traumapädagogischen Arbeit
zugeschrieben, während die Stufen zwei und drei als Aufgaben der
Traumatherapie bezeichnet werden.
Als Grundregel kann gelten: Es ist besser sich mit den belastenden Ereignissen auseinander zu setzen als diese zu verdrängen, zu
verleugnen oder zu verniedlichen, auch wenn dies für den Moment
schmerzhafter ist (vgl. Gugel/Jäger 1999, S. 123 ff.).
Alarmsignale
Das Verhalten der Schüler
beobachten, Alarmsignale
wahrnehmen:
• andauernde Apathie;
• andauerndes depressives
Verhalten;
• wiederkehrende – unmotivierte – Aggressivität;
• erhebliches und andauerndes Fehlen;
• Klagen über Schlaflosigkeit, Albträume, Appetitverlust, Magenschmerzen,
Kopfschmerzen, andere
psychosomatische Beschwerden.
Tritt solches Verhalten bei
Schülern auf, sollen Hilfsund Interventionsangebote
wahrgenommen werden.
Gerhard Eickenbusch/
Ragnhild Wedlin: „Jetzt
weiß ich, was ich tun muss,
wenn etwas passiert!“. In:
Pädagogik, 4/2005, S. 14.
Grundwissen
Albträume und mehr ...
Die Schüler hatten Albtraume und sahen Dinge, die sie gar nicht erlebt
hatten. Und was sie erlebt hatten, war zum Teil unbeschreiblich. Einige
haben mir erzählt, wie sie stundenlang unter Todesangst gewartet haben,
wie sie Lehrer oder Mitschüler haben sterben sehen. Es gab vereinzelte
Kinder, die mir anvertrauten, dass sie sich mit Rasierklingen verletzen,
aber ihren Eltern nicht davon erzählen. Manche Schüler und auch Lehrer
haben mir von ihren Selbstmordplänen und -versuchen berichtet, und
mehr als einmal war ich in Bedrängnis, wie ich mit dem mir anvertrauten
Wissen umgehen sollte. Anfangs war mir diese Suizidsucht ein Rätsel:
Das Glück, ein solches Ereignis zu überleben, muss doch dazu führen, das
eigene Leben ab jetzt bewusst und aktiv zu gestalten?! Die Traumatherapeutin Gabriele Kluwe-Schleberger hat mir erklärt, dass manche Überlebende einer solchen Katastrophe eben auch den verlorenen Menschen in
den Tod folgen wollen.
Jens Becker: Kurzschluß. Der Amoklauf von Erfurt und die Zeit danach.
Berlin 2005, S. 245.
663
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
4 . H A N D E L N I N P R O B L E M - U N D G E WA LT S I T UAT I O N E N
Grundwissen
Schritte, um mit einem
Todesfall in der Klasse
umzugehen
•Das Leid benennen;
•die Lücke beschreiben;
•Schuldgefühle abbauen;
•das aktive Trauern, z.B.
durch kleine Gaben, Schulzimmerrituale und eventuell die Teilnahme an der
Beerdigung.
Dorothea Meili-Lehner: „Wir
müssen nicht alle Antworten
wissen ...“ In: Pädagogik,
4/2005, S. 17.
Handlungsmöglichkeiten
•Den Hilferuf erkennen: Kinder, die zu klein sind, um komplexe
Gefühle verbal auszudrücken, formulieren ihren Hilferuf, indem
sie auf frühere Verhaltensstufen regredieren (z.B. wieder einnässen), indem sie vorübergehend bereits erworbene Fähigkeiten
verlieren oder indem sie sich an Elternteile oder andere Personen
klammern.
•Gedanken und Ängste ausdrücken: Ältere Kinder sollten ermutigt werden, ihre Gedanken und Ängste durch Erzählen, Singen,
Spielen, Malen usw. auszudrücken. Erwachsene haben dabei eher
die Rolle des aktiven Zuhörers. Neben Einzelgesprächen spielt
auch die Arbeit in Gruppen von Betroffenen eine wichtige Rolle.
Künstlerische Ausdrucksformen (Zeichnen, Basteln, Werken, Gestalten) stellen eine spezifische Art der Auseinandersetzung mit
den traumatischen Erlebnissen, sowie eine Möglichkeit der Bewältigung dar.
•Trauer und Abschied ermöglichen: Wenn Geschwister, Eltern
oder Bekannte ums Leben kamen, ist es wichtig Trauern zu ermöglichen. Hierzu gehört als erstes, dass die betroffenen Kinder
die Toten subjektiv auch als Tote (und nicht als Vermisste, die
irgendwann wiederkommen) wahrnehmen, sowie, dass sie wo
immer möglich, an den Todes-Zeremonien und -Ritualen beteiligt
werden.
664
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
4.5 AMOKLAUF AN SCHULEN
•Sicherheit geben: Ein wichtiger Weg, um bei diesen Kindern
die seelische Gesundheit wieder herzustellen, ist, ihnen wieder
die Sicherheit zu geben, dass ihre einst relativ stabile Welt, die
durch ein plötzliches Ereignis aus den Fugen geraten ist, wieder
eine neue Ordnung erhalten kann.
•Nähe und Geborgenheit vermitteln: Gerade Kinder benötigen
zwischenmenschliche Wärme, das Gefühl von Angenommensein
und Geborgenheit. Dies ist in Extremsituationen besonders wichtig und zugleich besonders schwierig zu vermitteln.
•Zur täglichen Routine zurückfinden: Bei der Herstellung von
Verlässlichkeit und Sicherheit spielen wiederkehrende Rituale
sowie gleichbleibende tägliche Routinen eine wichtige Rolle.
Die meisten Kinder können durch solche Maßnahmen innerhalb
weniger Monate die mit den traumatischen Erfahrungen verbundenen Ängste überwinden.
Wichtig ist es auch zu berücksichtigen, dass neue Geborgenheit
und Vertrauen sich am effektivsten die Traumatisierten selbst
gegenseitig geben können. Dies spricht dafür, vor allem bei Erwachsenen Selbsthilfegruppen anzubieten.
•Nichts ist wie vorher: Die durch krisenhafte Ereignisse (Verletzungen, Tötungen, Selbsttötungen) herbeigeführte Situation
verändert das Leben der Betroffenen grundlegend und dauerhaft.
Was bisher war, ist nicht mehr herstellbar. Das Leben „muss“
zwar (irgendwie) weitergehen, doch der Blick in den Abgrund,
die erfahrene Nähe des Todes und der Verlust von Angehörigen,
Freunden und/oder Bekannten veränderte alles, was wichtig war
und Sicherheit gab.
Wie der Opfer gedenken?
Vorschläge von Schülerinnen
und Schülern (nach einer
Brandkatastrophe in einer
Diskothek in Göteborg, bei
der 15 Schülerinnen und
Schüler ums Leben kamen):
•Alles, was über die
Katastrophe berichtet und
geschrieben wurde, soll
in einem Buch gesammelt
werden.
•Es soll ein gesonderter
Gedenkraum eingerichtet werden – mit einer
Gedenktafel und Bildern
der Verstorbenen.
•Ein Buch mit Gedichten
und Grüßen der Schüler
drucken.
•Die Verstorbenen mit einer
Schweigeminute ehren.
•Sich jedes Jahr am Unglückstag an der Brandstelle versammeln und
Kerzen anstecken.
Gerhard Eickenbusch/
Ragnhild Wedlin: „Jetzt
weiß ich, was ich tun muss,
wenn etwas passiert!“. In:
Pädagogik, 4/2005, S. 14.
Grundwissen
Trostworte, die nicht trösten
•„Ich weiß genau, wie du dich fühlst.“
Diese Aussage sollte nur gemacht werden, wenn wirklich Ähnliches erlebt wurde, ansonsten soll sie zwar Mitgefühl ausdrücken, verkleinert
aber den augenblicklichen Schmerz zu einem Allerweltsschmerz.
•„Du bist noch jung, das Leben geht weiter.“
Diese Worte nehmen den Schmerz nicht ernst.
•„Ein Glück, dass sie jetzt erlöst ist und keine Schmerzen mehr hat.“
Sie hat keine Schmerzen mehr, aber um welchen Preis?
•„Die Guten sterben immer jung.“
Schlussfolgerung: Dann hat man lieber schlechte Kinder!?
•„Die Zeit heilt alle Wunden.“
Nicht alle Wunden heilen, mit manchen muss man einfach leben
lernen.
Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.):
Vom Umgang mit Trauer in der Schule. Handreichung für Lehrkräfte und
Erzieher/innen. Stuttgart o.J., S. 33, Auszüge.
665
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
4 . H A N D E L N I N P R O B L E M - U N D G E WA LT S I T UAT I O N E N
Grundwissen
Debriefing
Vielfach wird von DebriefingSpezialisten suggeriert, dass
das Erzählen allein genüge,
dass es dem Opfer schon
besser gehen würde und
es darum keine posttraumatischen Symptome zu
befürchten habe. (...)
Allein durch mehrfaches
Wiedererzählen kann das Erlebnis nicht verarbeitet und
integriert werden, es bleibt
präsent und lähmt auch die
anwesenden Beteiligten.
(...)
Beim Debriefung ist der
traumatisierte Mensch den
vielen Experten hilflos ausgeliefert und kann sich nicht
wehren. In der großen Not
und Ohnmacht ist jedermann
froh, dass überhaupt jemand
hilft.
Horst Kraemer: Das Trauma
der Gewalt. Wie Gewalt
entsteht und sich auswirkt.
Psychotraumata und ihre
Behandlung. München 2003,
S. 274 f., Auszüge.
Umsetzung
Die Materialien (M1-M17) bieten Informationen und Auseinandersetzungsmöglichkeiten mit Amokläufen und schwerer Gewalt an
Schulen. Dabei geht es um die prinzipiell möglichen und notwendigen Klärungen und organisatorischen Vorbereitungen, um Verhalten in solchen Situationen sowie, um den Umgang mit den
Betroffenen und den Folgen solcher Taten.
Das Bedürfnis diese Ereignisse verstehen und erklären zu können
darf nicht zu vorschnellen und unterstellten einfachen Kausalzusammenhängen führen. Bei der Beschäftigung mit dem Thema
Amoklauf bleiben an vielen Punkten Erklärungsnöte, Hilflosigkeit
und Handlungsunsicherheit zurück.
• Erklärungsversuche
Warum ein Mensch Amok läuft, entzieht sich den gängigen Erklärungsmustern. In M1 berichtet der Kriminalpsychologe Thomas
Müller über seine Einschätzung. Der Abschiedsbrief des Amokläufers von Emsdetten (M2) vermittelt einen Einblick in dessen Gedankenwelt. Welche unterschiedlichen Erklärungsversuche
Internetnutzer haben, zeigt M3.
• Betroffenheit
In einem offenen Brief mit konkreten Forderungen wandten sich
am 13.3.2009 fünf der vom Attentat in Winnenden betroffenen
Familien an Politik und Öffentlichkeit (M4).
• Sich auseinandersetzen
Amokläufe wird man, wenn überhaupt, nur selten verhindern
können, aber man kann sich darauf vorbereiten, um die Folgen zu
begrenzen. Anhand der Checkliste „extreme Gewaltvorfälle“ (M5)
lässt sich der Stand der Krisenplanung in der Schule einstufen.
Anforderungen an ein gutes Krisenmanagement formuliert M6.
• Notfallpläne
Verschiedene Bundesländer haben Verwaltungsvorschriften über
das Verhalten an Schulen bei Gewaltvorfällen erlassen in denen
das Aufstellen von Notfallplänen geregelt ist. M7 zitiert aus der
Verwaltungsvorschrift für Baden-Württemberg und M8 zeigt, wie
die Notfallpläne in Berlin aufgebaut sind. Anhand des Rasters
von M9 kann die Notfallplanung für die Schule reflektiert werden.
666
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
4.5 AMOKLAUF AN SCHULEN
• Verhalten in Gewaltsituationen
Welche Verhaltensweisen in akuten Amoksituationen hilfreich
sein können, wird in M10 dargestellt.
Grundwissen
• Umgang mit Traumatisierungen
Ereignisse, die so überwältigend sind, dass sie das bisherige
Leben aus der Bahn werfen, wirken traumatisch. Bei welchen
auftretenden Symptomen man von einer posttraumatischen Belastungsstörung sprechen kann, führt M11 aus. Der Erstkontakt
mit Traumaopfern ist oft von entscheidender Bedeutung für den
weiteren Umgang mit dem Erlebten. Deshalb werden bei Amokläufen an Schulen speziell ausgebildete Kriseninterventionsteams
eingesetzt. Was beim Erstkontakt mit Traumaopfern zu beachten
ist, erläutert M12. Im Krisenfall in der Schule und bei traumatisierenden Ereignissen ist es wichtig Gefühle zu zeigen, die Schüler
nicht alleine zu lassen, sachlich zu informieren und besonders
belastete Schülerinnen und Schüler zu begleiten (M13).
• Trauerarbeit
Über die Toten und über den entstandenen Verlust muss getrauert werden. M14 informiert über die sechs Notwendigkeiten des
Trauerns mit Kindern und M15 greift die Reaktionen auf den
entstandenen Verlust auf.
Wie eine Auseinandersetzung innerhalb der Schulklasse (bei
Schülerinnen und Schülern, die nicht direkt betroffen sind)
aussehen kann, zeigt beispielhaft M16.
• Schule als verlässlicher Ort
Götz Eisenberg reflektiert Schulmassaker vor dem Hintergrund
gesellschaftlicher und schulischer Entwicklungen und fordert
ein von Empathie getragenes Klima der Aufmerksamkeit und der
wechselseitigen Sorge (M17).
Ergänzende Bausteine
2.3 Jugendliche in Krisensituationen
4.2 Verhalten in akuten Gewaltsituationen
667
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
4 . H A N D E L N I N P R O B L E M - U N D G E WA LT S I T UAT I O N E N
Lehrer,Eltern
M1 Warum läuft ein Mensch Amok?
Woran erkennt man einen Amokläufer?
Thomas Müller: Gar nicht.
Zeichen gibt es aber, oder?
Zweifellos. Im Vorfeld eines Amoklaufs bricht
die Kommunikation. Die Art der Kommunikation ist der Schlüssel zum Menschen, sie bestimmt sein Sein.
Inwiefern?
Wir kommunizieren inzwischen auf unterschiedlichen Ebenen. Das eine ist die technische
Kommunikation. Hier ist die Entwicklung unglaublich schnell. Das andere ist die psychologische Kommunikation von Angesicht zu Angesicht. Sie ist schwierig und braucht ihre Zeit.
Wir haben aber keine Zeit mehr für den anderen. Das führt zu Oberflächlichkeit, zum NichtErkennen zwischenmenschlicher Probleme. Es
gibt Menschen, die das frustriert. Sie werden
depressiv und bringen sich um oder bekommen
Angst. Und Angst führt zu Aggressionen.
Was passiert dann?
In unseren Studien zur Gewalt am Arbeitsplatz haben frustrierte Mitarbeiter häufig die
Vorgänge öffentlich gemacht, zum Teil den halben Betrieb über E-Mail informiert. Man kann
dann sicher sein, dass er in relativ kurzer Zeit
denkt: „Ich habe es euch allen gesagt.“ Es geht
dann schon nicht mehr um Kommunikation,
sondern um Schuldzuweisungen.
Zuspruch.
Eben. Dass jemand ehrlich Anteil nimmt. Aber
manchmal kommt es zu so einer Katastrophe
wie in Virginia. Am Anfang stehen immer länger andauernde Stresssituationen und ein Abbruch der Kommunikation, der Verlust der Identifikation mit Gesellschaft, Betrieb, Familie,
und dann kommt ein auslösendes Problem.
Eine gefährliche Konstellation.
Kann jeder von uns zum Amokläufer
werden?
Zum Amokläufer vielleicht nicht, aber jeder,
glaube ich, kann durch widrigste Umstände in
die Situation kommen, in der er sagt: Jetzt
raste ich aus. Das Entscheidende ist: Welche
Möglichkeiten habe ich, um mein Selbstwertgefühl aufzubauen? Der Täter in den USA sah
keine mehr.
Thorsten Thissen im Gespräch mit Thomas Müller. In:
Welt am Sonntag, 22.4.2007, S. 14.
Thomas Müller ist Europas renommiertester Kriminalpsychologe.
Kann man Amokläufe verhindern?
Behandle Menschen, wie du selbst gerne behandelt werden möchtest. In der größten
Stresssituation, wenn der Job auf dem Spiel
steht, es zu Hause nicht mehr läuft, was möchte man da haben?
Handbuch – Gewaltprävention II
668
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
4.5 AMOKLAUF AN SCHULEN
M2 Abschiedsbrief
Abschiedsbrief des Amokläufers von
Emsdetten 2006 (Auszüge)
Wenn man weiss, dass man in seinem Leben
nicht mehr glücklich werden kann, und sich
von Tag zu Tag die Gründe dafür häufen, dann
bleibt einem nichts anderes übrig, als aus diesem Leben zu verschwinden. Und dafür habe
ich mich entschieden. Es gibt vielleicht Leute,
die hätten weiter gemacht, hätten sich gedacht
„das wird schon”, aber das wird es nicht.
Man hat mir gesagt, ich muss zur Schule gehen,
um für mein Leben zu lernen, um später ein
schönes Leben führen zu können. Aber was
bringt einem das dickste Auto, das grösste
Haus, die schönste Frau, wenn es letztendlich
sowieso für’n Arsch ist. Wenn deine Frau beginnt dich zu hassen, wenn dein Auto Benzin
verbraucht, das du nicht zahlen kannst, und
wenn du niemanden hast, der dich in deinem
scheiß Haus besuchen kommt!
Das einzigste, was ich intensiv in der Schule
beigebracht bekommen habe war, dass ich ein
Verlierer bin. Für die ersten Jahre an der GSS
stimmt das sogar, ich war der Konsumgeilheit
verfallen, habe danach gestrebt, Freunde zu bekommen, Menschen, die dich nicht als Person,
sondern als Statussymbol sehen. Aber dann bin
ich aufgewacht! Ich erkannte, dass die Welt,
wie sie mir erschien, nicht existiert, dass sie
eine Illusion war, die hauptsächlich von den
Medien erzeugt wurde. Ich merkte mehr und
mehr in was für einer Welt ich mich befand.
Eine Welt, in der Geld alles regiert, selbst in
der Schule ging es nur darum. Man musste das
neuste Handy haben, die neusten Klamotten,
und die richtigen „Freunde”. Hat man eines
davon nicht, ist man es nicht wert, beachtet
zu werden. Und diese Menschen nennt man
Jocks. Jocks sind alle, die meinen, aufgrund
von teuren Klamotten oder schönen Mädchen
an der Seite über anderen zu stehen. Ich verabscheue diese Menschen, nein, ich verabscheue
Handbuch – Gewaltprävention II
Lehrer,Eltern
Menschen. (...) Wozu das alles? Wozu soll ich
arbeiten? Damit ich mich kaputtmaloche um
mit 65 in den Ruhestand zugehen und 5 Jahre
später abzukratzen? Warum soll ich mich noch
anstrengen, irgendetwas zu erreichen, wenn
es letztendlich sowieso für’n Arsch ist, weil
ich früher oder später krepiere? Ich kann ein
Haus bauen, Kinder bekommen und was weiss
ich nicht alles. Aber wozu? Das Haus wird irgendwann abgerissen, und die Kinder sterben
auch mal. Was hat denn das Leben bitte für
einen Sinn? Keinen! (...)
Ihr habt diese Schlacht begonnen, nicht ich.
Meine Handlungen sind ein Resultat eurer Welt,
eine Welt, die mich nicht sein lassen will wie
ich bin. Ihr habt euch über mich lustig gemacht, dasselbe habe ich nun mit euch getan, ich hatte nur einen ganz anderen Humor!
Von 1994 bis 2003/2004 war es auch mein
Bestreben, Freunde zu haben, Spass zu haben.
Als ich dann 1998 auf die GSS kam, fing es an
mit den Statussymbolen, Kleidung, Freunde,
Handy usw. Dann bin ich wach geworden. Mir
wurde bewusst, dass ich mein Leben lang der
Dumme für andere war, und man sich über
mich lustig machte. Und ich habe mir Rache
geschworen! Diese Rache wird so brutal und
rücksichtslos ausgeführt werden, dass euch das
Blut in den Adern gefriert. Bevor ich gehe,
werde ich euch einen Denkzettel verpassen,
damit mich nie wieder ein Mensch vergisst! Ich
will dass ihr erkennt, dass niemand das Recht
hat unter einem faschistischen Deckmantel aus
Gesetz und Religion in fremdes Leben einzugreifen!
Ich will, dass sich mein Gesicht in eure Köpfe
einbrennt! Ich will nicht länger davon laufen! Ich will meinen Teil zur Revolution der
Ausgestoßenen beitragen!
Ich will R A C H E !
www.mein-parteibuch.de/2006/11/21/abschiedsbrief-des-amoklaeufers-von-emsdetten
669
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
4 . H A N D E L N I N P R O B L E M - U N D G E WA LT S I T UAT I O N E N
Lehrer,Eltern
M3 Meinungen
Nach dem Amoklauf in Winnenden am
11.3.2009 fand im ARD die Sendung „Hart
aber Fair“ zu diesem Thema statt. Hier Auszüge aus dem Gästebuch der Sendung:
Mutter mit Spielerfahrung (32 J.)
Morde und Kriege hat es schon immer gegeben und wird es leider Gottes immer wieder
geben. Der Frust, der sich in diesen Kindern
und Jugendlichen ausbreitet, kommt so oder so
zur Explosion. Verbote und Zensuren sind nur
ein weiterer Schritt zum Überwachungsstaat.
Fängt man erstmal an, hört es sogar bei Kunst
und Literatur nicht auf, denn da die Amokläufe
nach den Verboten der Videospiele bestimmt
nicht aufhören werden, wird man neue Sündenböcke suchen.
Philipp Beck (16 J.)
Ich persönlich bin aktiver Counter-StrikeSource-Spieler. Ich fühl mich durch ihren Beitrag in gewisser Weise beleidigt. Es beeinflusst
mich nicht, wenn ich virtuell einen Menschen
töte.
Anonym
Die Beschäftigung mit dem Täter tritt immer
bizarrer in den Mittelpunkt. Eine Begründung
für seine Handlung wird sicherlich gefunden
werden. Ich frage aber, wer verantwortet die
Tat, den Tod der Opfer und des Täters? Alle
könnten noch am Leben sein, wenn der Täter
nicht in den Besitz der Waffe gekommen wäre!
Meleemaru (19 J.)
Die ganze Sache, und so ist es nun mal, hat weniger was mit Gewalt an sich zu tun. Der Junge
war innerlich kaputt, das war Verzeiflung, nicht
das Bedürfnis wen brutal zu töten. Und es war
Selbstmord, was dem Jungen bestimmt von
Anfang an klar war.
Handbuch – Gewaltprävention II
Anonym (68 J.)
Gewaltbereite Schüler habe ich schon in der
Nachkriegszeit kennengelernt, obgleich die
damals Erziehenden (in der Regel noch die
eigenen Eltern bzw. Elternteile) noch wesentlich mehr Wert auf Erziehung mit Geboten und
auch Verboten gelegt haben. Gewaltbereitschaft wird es immer geben, egal ob mit oder
ohne Computerspiele oder Fernsehsendungen.
Der eiserne Gustav
Man stelle sich vor, dass alle „Gewalt“-Märchenbücher verbannt werden, denn aus denen wird
schon 3-Jährigen vorgelesen. Also „Hänsel und
Gretel“ (Gewalt-Hexe), Rotkäppchen (räuberischer Wolf) usw. verbrennen.
Alexandra
Wenn das wirklich stimmt, dass der Junge in
psychiatrischer Behandlung war, dann frage
ich mich, was dazu beigetragen hat, dass der
Junge so psychisch instabil nach innen ist.
Bei allem Respekt vor der Familie, wie kann
ich dann als Eltern ungesichert eine geladene
Waffe in meinem Nachttischschrank haben, die
zugänglich ist?
Anonym
Mir tun neben allen Opfern und ihren Angehörigen auch die Eltern des Täters unendlich
leid. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, was
die zur Zeit durchmachen. Es ist einfach entsetzlich, wenn das eigene Kind zum Mörder
wird!
www.wdr.de/tv/hartaberfair/gaestebuch/index.
php5?buch=798
670
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
4.5 AMOKLAUF AN SCHULEN
M4 Offener Brief der Opferfamilien–1
Die Familien von fünf beim Amoklauf von
Winnenden getöteten Schülerinnen und
Schüler haben sich in einem offenen Brief
in der Winnender Zeitung an die Politik gewandt und Konsequenzen aus der Tat gefordert.
Sehr geehrter Herr Bundespräsident Köhler,
sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Merkel, sehr
geehrter Herr Ministerpräsident Oettinger,
die Trauer und die Verzweiflung nach dem
Verlust geliebter Kinder, Frauen und Männer
sind noch überall gegenwärtig. Insbesondere
bei uns, den Angehörigen. Der Gedanke, warum
es ausgerechnet unsere Liebsten getroffen hat,
und wie es überhaupt zu dieser Tat kommen
konnte, wird uns unser Leben lang begleiten.
In unserem Schmerz, in unserer Hilflosigkeit
und in unserer Wut wollen wir aber nicht untätig bleiben. Deshalb wenden wir – die Familien
von fünf getöteten Schülerinnen – uns an die
Öffentlichkeit. Wir wollen, dass sich etwas
ändert in dieser Gesellschaft, und wir wollen
mithelfen, damit es kein zweites Winnenden
mehr geben kann.
Schusswaffen und Sport
Wir wollen, dass der Zugang junger Menschen
zu Waffen eingeschränkt wird. Die derzeitige
gesetzliche Regelung ermöglicht die Ausbildung an einer großkalibrigen Pistole bereits
ab dem 14. Lebensjahr. Bedenkt man, dass ein
junger Mensch gerade in dieser Zeit durch die
Pubertät mit sich selbst beschäftigt und häufig
im Unreinen ist, so ist die Heraufsetzung der
Altersgrenze auf 21 Jahre unerlässlich.
Grundsätzlich muss die Frage erlaubt sein, ob
der Schießsport nicht gänzlich auf großkalibrige Waffen verzichten kann. Bis in die achtziger Jahre hinein genügten unseres Wissens
nach den Sportschützen kleinkalibrige Waffen.
Handbuch – Gewaltprävention II
Lehrer,Eltern
Bis heute sind die olympischen Wettkämpfe
auf Luftdruck- und Kleinkaliberwaffen beschränkt.
Sollte aus Gründen, die wir nicht kennen, der
Verzicht auf großkalibrige Waffen nicht möglich
sein, so muss die Schusskapazität verringert
werden. Bei der Jagd sind die Magazine der
automatischen Waffen auf maximal 2 Schuss
begrenzt. Warum nicht auch beim Sport?
Der Gesetzgeber hat die Vergabe von Waffenbesitzkarten und die daraus entstehenden Verpflichtungen, wie z.B. die Aufbewahrung von
Waffen und Munition, vollständig geregelt.
Die zu erwartenden Strafen bei Verstoß gegen
die entsprechenden Gesetze erfüllen aber nicht
ihren Zweck. Eine Ordnungswidrigkeit wird eher
wie ein Kavaliersdelikt betrachtet. Der Gesetzgeber muss Verstöße gegen das geltende Waffenrecht deutlicher und stärker ahnden.
Medien: Fernsehen
Wir wollen weniger Gewalt im Fernsehen. Das
Fernsehen, als noch wichtigste Informationsund Unterhaltungsplattform, hat einen sehr
großen Einfluss auf die Denk- und Gefühlswelt
unserer Mitbürger. Das Fernsehen setzt heute die ethischen und moralischen Standards.
Wenn wir es zulassen, dass unseren Mitbürgern
weiterhin täglich Mord und Totschlag serviert
werden, ist abzusehen, dass die Realität langsam, aber stetig dem Medienvorbild folgen
wird. Von den Sendern muss verlangt werden,
dass sie ein ausgewogenes Programm anbieten
und die Zurschaustellung von Gewalt reduziert
wird. Eine „Gewaltquote“, der Anteil von Sendungen mit Gewalt in Relation zur Gesamtsendezeit pro Sender, sollte eingeführt werden.
Die Zeiten, in denen Kinder und Jugendliche
fernsehen, sollten generell gewaltfrei sein.
671
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
4 . H A N D E L N I N P R O B L E M - U N D G E WA LT S I T UAT I O N E N
Lehrer,Eltern
M4 Offener Brief der Opferfamilien –2
Medien: Computerspiele
Wir wollen, dass Killerspiele verboten werden.
Spiele, ob über Internet oder auf dem PC, die
zum Ziel haben, möglichst viele Menschen umzubringen, gehören verboten. Gleiches gilt für
alle Gewalt verherrlichenden Spiele, deren Aufbau und Darstellung sehr realistisch sind und
bei denen viel Blut fließt.
Medien: Chatrooms und Foren
Wir wollen mehr Jugendschutz im Internet.
In der virtuellen Welt werden heute anonym
und gefahrlos Gedankengänge artikuliert und
diskutiert, die eine Bedrohung für unsere Gesellschaft darstellen. Wie diese Aktivitäten eingedämmt werden können, wissen wir nicht.
Es darf aber nicht sein, dass sich junge Menschen anonym gegenseitig aufhetzen und zu
Gewalteskalationen auffordern.
Berichte über Gewalttaten
Wir wollen, dass der Name des Amokläufers
nicht mehr genannt und seine Bilder nicht
mehr gezeigt werden. Am aktuellen Beispiel
von Winnenden zeigt sich, dass die derzeitige
Berichterstattung durch unsere Medien nicht
dazu geeignet ist, zukünftige Gewalttaten zu
verhindern. Auf nahezu jeder Titelseite finden
wir Namen und Bild des Attentäters. Diese werden Einzug finden in unzählige Chatrooms und
Internet-Foren. Eine Heroisierung des Täters
ist die Folge.
Bei Gewaltexzessen wie in Winnenden müssen die Medien dazu verpflichtet werden, den
Täter zu anonymisieren. Dies ist eine zentrale
Komponente zur Verhinderung von Nachahmungstaten.
Handbuch – Gewaltprävention II
Aufarbeitung der Vorgänge in Winnenden
und Wendlingen
Wir wollen, dass die Tat aufgeklärt und aufgearbeitet wird. Das Warum der Tat wird sicher nie vollständig geklärt werden können.
Wichtiger für die Angehörigen und unser aller
Zukunft ist die Frage: Wie konnte es geschehen? Wir wollen wissen, an welchen Stellen
unsere ethisch-moralischen und gesetzlichen
Sicherungen versagt haben. Dazu gehören auch
das Aufzeigen der persönlichen Verantwortung
und die daraus folgenden – auch juristischen
– Konsequenzen.
Winnender Zeitung, 31.3.2009.
www.aktionsbuendnis-amoklaufwinnenden.de
Ziele des Aktionsbündnisses Amoklauf
Winnenden
•Vorbeugende Tätigkeit, um eine Wiederholung
eines Amoklaufes zu verhindern.
•Unterstützung der Opfer und Angehörigen, sowie
aller traumatisierten Schüler, Lehrer, Helfer und
Betroffenen von Winnenden und Wendlingen.
•Eltern zu sensibilisieren, dass sie ihrer
Aufsichtspflicht im Umgang mit Killerspielen
ihrer Kinder nachkommen.
•Verbot von Killerspielen, die dazu dienen
Menschen zu ermorden.
•Generelles Verbot großkalibriger Waffen für
Privatpersonen.
•Verbot von Faustfeuerwaffen in privaten
Haushalten.
•Aufarbeitung der Vorgänge von Winnenden und
Wendlingen.
•Keine Verherrlichung der Gewalt in den Medien.
•Keine Heroisierung der Täter.
•Einführung einer Gewaltenquote im Fernsehen
bzw. den Medien.
•Besserer Jugendschutz im Internet.
•Gewaltprävention an Schulen.
www.aktionsbuendnis-amoklaufwinnenden.de
672
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
4.5 AMOKLAUF AN SCHULEN
M5 Checkliste „extreme Gewaltvorfälle“
ja
in Arbeit
Lehrer,Eltern
noch zu klären
Regelmäßige Kontakte zur und Gespräche mit
der Polizei.
Es gibt ein installiertes Krisenteam an der
Schule.
Die Aufgaben des Krisenteams sind allen klar.
Schriftliche/mündliche Informationen für alle
Lehrkräfte zum Thema „Verhalten in extremen
Gewaltsituationen“.
Fortbildungen für alle Lehrkräfte zum Thema
„Verhalten in extremen Gewaltsituationen“.
Ausgearbeiteter Notfallplan für die Schule.
Leicht zugänglicher Notfallordner mit allen relevanten Abläufen und Informationen.
Durchführung einer jährlichen Notfallübung.
Schnelle Kommunikationswege für extreme Gewaltfälle sind festgelegt und allen bekannt.
Erste Schritte bei extremen Gewaltfällen und
Aktivierung des Notfallplanes sind allen Lehrkräften vertraut.
Wie die Eltern informiert werden, ist festgelegt
und bekannt.
Handbuch – Gewaltprävention II
673
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
4 . H A N D E L N I N P R O B L E M - U N D G E WA LT S I T UAT I O N E N
Lehrer,Eltern
M6 Gutes Krisenmanagement
Anforderungen an ein gutes Krisenmanagement
•Krisenmanagement sollte Zugänge zu Experten für psychosoziale Belastungen, Stress,
Trauma und weitergehende psychische Störungen eröffnen, die gewährleisten, dass
aktuelle Befindlichkeiten angemessen beobachtet, ggf. getestet und bewertet werden.
•Krisenmanagement sollte eine umfassende
Beratung dahingehend leisten, dass den Betroffenen – in Kenntnis ihrer Befindlichkeiten – angemessene Hilfen empfohlen werden
und die Wege zu diesen Hilfen eröffnet werden. Dies setzt eine Stelle voraus, welche
die möglichen Angebote zur Verarbeitung
von Krisenerleben in ihren Konzepten und
Leistungsprofilen kennt und auch konkret
Zugänge eröffnen kann.
•Krisenmanagerinnen und -manager brauchen,
um wirksam handeln zu können, eine gute
Beziehung zu den betroffenen Personen. Sie
sollten in besonderen Fällen zu einer biografischen Begleitung imstande sein, die in
Vereinbarung mit den Betroffenen Bewältigungsprozesse, Hilfen und deren Erfolge
bzw. Misserfolge sichtbar hält und in die
Beratung der Betroffenen einspeisen kann.
Dies setzt eine vertrauensvolle Beziehung zu
den einzelnen Personen voraus, zumindest:
einen belastbaren und stetigen Kontakt zu
Personen, welche diese Rolle des biografischen Begleiters übernehmen können –
Verwandte, Freunde, Kollegen. Die Beratung
solcher „signifikanter Anderer“ ist ein wesentlicher Teil eines Managements.
•Krisenmanagement muss präsent, leicht erreichbar und gut ansprechbar sein. Dies
hat eine sozialräumliche Komponente. Die
Stelle bzw. Person sollte in unserem Fall in
der Schule oder nahe der Schule arbeiten,
in der alltäglichen Lebenswelt der potenziellen Nachfrager sozialräumlich präsent
Handbuch – Gewaltprävention II
sein. Erreichbarkeit hat auch eine zeitliche
Komponente; es sollte gesichert sein, dass die
Stellen zu bekannten Zeiten erreichbar sind.
•Nicht nur Personen, sondern auch soziale
Systeme wie die Schule, Behörden, Medien,
Öffentlichkeit sind in der Bewältigung einer Krise beratungsbedürftig. Sie zeigen die
Tendenz, auch in der neuen Situation auf alte,
vertraute Handlungspraktiken zurückzugreifen, meist ohne hinreichend Reflexivität aufzubringen, wie diese Routinen mit den neuen
Situationsgegebenheiten zusammenpassen.
Sie agieren nach ihren Möglichkeiten, mit ihren personellen und kulturellen Ressourcen,
die z.B. einem normalen Schulbetrieb, nicht
aber der Bewältigung einer Krise angemessen
sind, auch wenn unsere Ergebnisse zeigen,
dass herkömmliche Veranstaltungen wie z.B.
Gottesdienste neue Personen ansprechen und
neue Funktionen übernehmen können.
•Krisenbewältigung ist mit Suchbewegungen
verbunden, folgt einem Muster von Versuch
und Irrtum. Die Breite und Deutungsbedürftigkeit der Anlässe, die Vielfalt möglicher Bewältigungshandlungen und Hilfen
macht klare, rational zwischen Bedürftigkeit
und Hilfe kalkulierende Strategien eher unwahrscheinlich. Interaktivität und Emergenz
prägen das Geschehen. Unter diesen Voraussetzungen ist eine stetige Beobachtung der
Prozesse von großer Bedeutung: Sie erlaubt,
aus den Suchbewegungen und Versuchen zu
lernen. Diese Beobachtung verlangt wiederum Multiperspektivität; sowohl die Feststellung von subjektiven Befindlichkeiten als
auch die Zuschreibung von Wirkungen auf
Hilfen verlangt mehrere Blicke und intersubjektive Verständigung, die Beteiligung der
Betroffenen und fachliche Expertise.
Werner Schefold/Hans-Jürgen Glinka/Thomas Giernalczyk: Von der Krisenintervention zum Krisenmanagement. In: Dies. (Hrsg.): Krisenerleben und Krisenintervention. Ein narrativer Zugang. Tübingen 2008,
S. 346-348, Auszüge.
674
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
4.5 AMOKLAUF AN SCHULEN
M7 Verwaltungsvorschrift Verhalten
Verwaltungsvorschrift über das Verhalten an
Schulen bei Gewaltvorfällen und Schadensereignissen
Vorbereitende Maßnahmen zur Bewältigung
von Gewaltvorfällen und Schadensereignissen
2.1 Die Schulleitung beruft zu Beginn eines
jeden Schuljahres ein schulinternes Krisenteam
ein, um die notwendigen Vorkehrungen (Vorsorge, Bewältigung von Gewaltvorfällen und
Schadensereignissen, Nachsorge, Umgang mit
Medien) zu treffen. Das schulinterne Krisenteam wird auf Anforderung durch die Feuerwehr
oder die Polizei beraten.
2.1.1 Die Schulleitung erstellt in Abstimmung
mit dem Schulträger auf der Grundlage eines
von Innenministerium und Kultusministerium
gemeinsam herausgegebenen Rahmenkrisenplans unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse einen Krisenplan für das Verhalten
bei Gewaltvorfällen. Mit Blick auf polizeiliche
Maßnahmen soll dieser mit der zuständigen
Polizeidienststelle abgestimmt werden. Die
Schulkonferenz ist über das Ergebnis zu unterrichten. (...)
6. Verhalten bei sonstigen Gewaltvorfällen
an Schulen
6.1 Die Entscheidungen über erforderliche
Maßnahmen des Krisenplanes (Nr. 2.1.1) liegen
bei der Schulleitung. Wenn zeitlich möglich,
soll das schulinterne Krisenteam miteinbezogen werden. Bei Gefahr im Verzug sind die erforderlichen Schritte durch eine Lehrkraft oder
sonstige Bedienstete der Schule in die Wege
zu leiten.
Im Wesentlichen geht es darum
• Hilfe herbei zu rufen (Polizei) und erste Hilfe
zu leisten,
•Schülerinnen und Schüler und Schulpersonal
zu schützen.
Handbuch – Gewaltprävention II
Lehrer,Eltern
Ferner sind gegebenenfalls
•Fakten zu sichern und weiterzugeben,
•Betroffene und Schulaufsicht zu informieren.
Soweit erforderlich sind folgende Stellen einzuschalten:
•das Kriseninterventionsteam beim Regierungspräsidium (Abteilung 7 Schule und
Bildung),
•der Schulpsychologische Dienst.
Unbeschadet der vorstehenden Zuständigkeiten hat die Schulleitung zu gewährleisten,
dass bei Einsätzen des Polizeivollzugsdienstes
aus Anlass von Straftaten oder zur Gefahrenabwehr Maßnahmen nur im Einvernehmen mit der
Polizei erfolgen.
Dies gilt insbesondere für Räumungs- und Evakuierungsmaßnahmen sowie für die Öffentlichkeitsarbeit und die Information der Eltern.
Bei Geiselnahme und Bedrohungslagen ist den
Anweisungen des Polizeivollzugsdienstes umgehend Folge zu leisten.
6.2 Entsprechend dem Krisenplan der Schule
ist die Betreuung von Schülerinnen und Schülern, Lehrkräften und Betroffenen im Anschluss
an einen Gewaltvorfall einzuleiten und das
Kriseninterventionsteam beim Regierungspräsidium (Abteilung 7 Schule und Bildung) einzuschalten.
6.3 Die Pressearbeit wird im schulinternen
Krisenteam besprochen. Medienvertreter werden an die Pressestelle der Polizei und an
die Pressestelle der Schulaufsicht verwiesen.
Nach Einschaltung des Kriseninterventionsteams beim Regierungspräsidium (Abteilung
7 Schule und Bildung) wird die Pressearbeit
durch dieses eventuell begleitet oder übernommen. Die Pressearbeit ist stets im Hinblick auf
die einsatztaktischen Belange mit der Polizei
abzustimmen.
Kultusministerium Baden-Württemberg: VwV Gewaltvorfälle, Schadensereignisse an Schulen – Verhaltens
VwV vom 27.6.2006, Az.: 1721.6-7/16, Auszüge.
675
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
4 . H A N D E L N I N P R O B L E M - U N D G E WA LT S I T UAT I O N E N
Lehrer,Eltern
M8 Notfallpläne für Berliner Schulen
Die Notfallpläne für die Berliner Schulen sind
eine Handreichung zum Rundschreiben I Nr.
41/2003 „Hinsehen und Handeln“. Unprofessionelles Handeln hat seine Ursache selten im
Nichtwollen oder im Prestige, sondern im Mangel an Kenntnissen, was man tun kann und
muss. Die Notfallpläne bieten dafür klare Antworten und Hilfen.
Das Ziel der Handreichung ist es, dass Schulleiter und pädagogisches Personal in akuten
Notfällen, z.B. bei Amokdrohungen und in
schweren Krisensituationen wissen, was sie zu
tun haben und in welchen Fällen und bei wem
sie rasch Hilfe anfordern und erwarten können, wenn ein Vorfall weiterer Unterstützung
bedarf.
Neben dem Berliner Frühwarnsystem (Meldepflicht bei Gewalttaten innerhalb von 24 Stunden) existiert nun eine klare Handlungsempfehlung bei Gewalt- und Notfällen.
Das Konzept des Vorgehens folgt einem
5-Stufen-Plan:
1. Sofortreaktion
2. Eingreifen/Beenden
3. Opferhilfe/Einleitung von Maßnahmen
4. Informieren
5. Nachsorgen/Aufarbeiten
6. Ergänzende Hinweise
Die Notfallpläne enthalten darüber hinaus
konkrete Handlungsanweisungen und Hinweise
auf Hilfen, wenn Schulen mit minderschweren
Gewaltvorfällen, Krisensituationen oder extremistisch motivierten Vorfällen zu tun haben.
Sie helfen, die Vorgaben des Rundschreibens
I Nr. 41/ 2003 „Hinsehen und Handeln“ dem
Einzelfall entsprechend durchzusetzen.
Bei wem findet man die Notfallpläne?
•Schulleitung;
Handbuch – Gewaltprävention II
•Schulpsychologen für Gewaltprävention und
Krisenintervention;
•Schulaufsicht;
•Senatsverwaltung Bildung, Jugend und Sport,
Abteilung II E 5 Gewaltprävention.
Grundsätzlich gilt Opferhilfe vor Täterermittlung, Personenschutz vor Sachwertschutz.
Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung. Bildung für Berlin (Hrsg.): Verstehen und
Handeln X. Gewaltprävention im Miteinander. Berlin
2007, S. 43 f.
Krisenteams in Berlin
Wichtige Aufgaben von Krisenteams sind beispielsweise:
• Bereitstellung des Notfallordners an einem
festen zugänglichen Ort;
•Erstellung einer schulbezogenen Liste zur
Erreichbarkeit von schulnahen Helfern;
•Erstellung von Checklisten, Formblättern,
Informationen für Schulpersonal;
• Absprache von Kooperationen mit dem zuständigen Polizeiabschnitt, Rettungsdiensten und
Ärzten;
•Vorbereitung von Maßnahmen zur Notfallversorgung;
•Schulhausbegehung und Erstellung von aktuellen
baulichen Lage- und Gebäudeplänen;
•Weitergabe dieser Informationen an Polizei und
lokale Rettungskräfte;
•Verbesserung der technischen Sicherheit;
•regelmäßige Aktualisierung der Ordner und
Listen;
•regelmäßige Instruierung des Kollegiums;
•Ansprechbarkeit für Schüler und Schulpersonal;
•Schärfung der Aufmerksamkeit für Problemlagen
bei Schülern;
•Einrichtung gewaltpräventiver Maßnahmen.
Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung. Bildung für Berlin (Hrsg.): Verstehen und
Handeln X. Gewaltprävention im Miteinander. Berlin
2007, S. 43 f.
676
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
4.5 AMOKLAUF AN SCHULEN
M9 Raster für einen Notfallplan
Lehrer,Eltern
Folgende Themenfelder sollten detailliert
in einem Notfallplan beschrieben werden:
1. Verhalten in einer extremen Gewaltsituation
(Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler,
Schulleitung, Krisenteam, technische Mitarbeiter)
11.Medienarbeit
• Information und Umgang mit den Medien
12.Elternarbeit
• Information, Umgang und Betreuung der
Eltern
2. Aktivierung des Notfallplans
3. Notrufe an Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienste
4. Erste Hilfe
• Notfallkoffer, Telefonliste
13.Betreuung und Umgang mit direkten
Opfern/Zeugen von Gewalttaten
14.Unterstützung der Betroffenen bei der
Bewältigung ihrer Erlebnisse
5. Verantwortlichkeiten
• Checkliste/Übersicht: Wer macht was?
6. Bewertung von Drohungen
7. Personen/Stellen, die kontaktiert werden müssen
• z.B. Polizei, Notarzt, Feuerwehr
• Schulaufsicht
8. Absperrungen und Sicherungen
• durch wen, wann?
• Plan für Gebäuderäumung?
9. Dokumentation und Umgang mit Beweismitteln
• durch wen, wie?
10.Information
• durch wen, wie, wann?
• nach innen, Lehrerschaft, Schülerinnen
und Schüler
• nach außen, z.B. Eltern, Presse
Handbuch – Gewaltprävention II
677
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
4 . H A N D E L N I N P R O B L E M - U N D G E WA LT S I T UAT I O N E N
Lehrer,Eltern
M10 Verhalten in einer Amoksituation
Unerlässlich
•Vermeidung aller Handlungen, die Leben und
Gesundheit gefährden könnten!
•Notruf 110 tätigen (Polizei).
•Notruf 112 tätigen (Feuerwehr/Ambulanz).
Wichtig
Schutz suchen
•Deckung/Schutz suchen.
•Schüler in Klassen zusammenhalten sowie
Türen verschließen bzw. sichern.
•Verständigen der Polizei über Notruf 110.
•Fenster und Türen meiden.
•Provokation des Täters vermeiden.
•Ausschließlich der Polizei öffnen.
Hilfskräfte unterstützen
•Hilfskräften Zufahrt ermöglichen.
•Mögliche Verletzte an sicherer Sammelstelle
versorgen.
•Ansprechpartner für Polizei benennen und
ständige Erreichbarkeit garantieren.
•Bereitstellung der Gebäude- und Belegungspläne des Schulobjektes für die Polizei.
•Infos für die Polizei sammeln, falls es die
Lage zulässt.
Handlungsmöglichkeiten für die Schulleitung
•Hilfe herbeirufen.
•Schüler und Schulpersonal schützen.
•Fakten sichern und weitergeben.
•Betroffene informieren.
•Psychologische Betreuung der Betroffenen
einleiten.
•Verpflegung bei hinhaltenden Ereignissen
organisieren
•Einschaltung des Kriseninterventionsteams
beim Oberschulamt veranlassen.
•Eltern informieren.
•Zusammenarbeit mit der Presse organisieren
(mit Polizei und Pressesprecher des Oberschulamtes).
Dieter Glatzer/Helmut Nock: Informationen zur Krisenbewältigung an Schulen. Arbeitspapier, o.J.
Frank J. Robertz/Ruben Wickenhäuser: Der Riss in der
Tafel. Amoklauf und schwere Gewalt in der Schule.
Heidelberg 2007, S. 214.
Handbuch – Gewaltprävention II
678
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
4.5 AMOKLAUF AN SCHULEN
M11 Posttraumatische Belastungsstörung
A. Die Person wurde mit einem traumatischen Ereignis konfrontiert, bei dem die beiden folgenden
Kriterien vorhanden waren:
(1) Die Person erlebte, beobachtete oder war mit
einem oder mehreren Ereignissen konfrontiert,
die tatsächlichen oder drohenden Tod oder ernsthafte Verletzung oder eine Gefahr der körperlichen Unversehrtheit der eigenen Person oder
anderer Personen beinhalteten.
(2) Die Reaktion der Person umfasste intensive
Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen.
B. Das traumatische Ereignis wird beharrlich auf
mindestens eine der folgenden Weisen wiedererlebt:
(1) Wiederkehrende und eindringliche belastende Erinnerungen an das Ereignis, die Bilder,
Gedanken oder Wahrnehmungen umfassen
können.
(2) Wiederkehrende, belastende Träume von dem
Ereignis.
(3) Handeln oder Fühlen, als ob das traumatische
Ereignis wiederkehrt (beinhaltet das Gefühl,
das Ereignis wiederzuerleben, Illusionen,
Halluzinationen und dissoziative FlashbackEpisoden, einschließlich solcher, die beim
Aufwachen oder bei Intoxikationen auftreten).
(4) Intensive psychische Belastung bei der
Konfrontation mit internalen oder externalen
Hinweisreizen, die einen Aspekt des traumatischen Ereignisses symbolisieren oder an
Aspekte desselben erinnern.
(5) Körperliche Reaktionen bei der Konfrontation
mit internalen oder externalen Hinweisreizen,
die einen Aspekt des traumatischen Ereignisses
symbolisieren oder an Aspekte desselben
erinnern.
C. Anhaltende Vermeidung von Reizen, die mit
dem Trauma verbunden sind, oder eine Abflachung
der allgemeinen Reagibilität (vor dem Trauma
nicht vorhanden).
Mindestens drei der folgenden Symptome liegen vor:
(1) Bewusstes Vermeiden von Gedanken, Gefühlen
oder Gesprächen, die mit dem Trauma in Verbindung stehen.
(2) Bewusstes Vermeiden von Aktivitäten, Orten
Handbuch – Gewaltprävention II
Lehrer,Eltern
oder Menschen, die Erinnerungen an das Trauma
wachrufen.
(3) Unfähigkeit, einen wichtigen Aspekt des Traumas
zu erinnern.
(4) Deutlich vermindertes Interesse oder verminderte Teilnahme an wichtigen Aktivitäten.
(5) Gefühl der Losgelöstheit und Fremdheit von
anderen.
(6) Eingeschränkte Bandbreite des Affekts (z.B. Unfähigkeit, zärtliche Gefühle zu empfinden).
(7) Gefühl einer eingeschränkten Zukunft (z.B. erwartet nicht, Karriere, Ehe, Kinder oder normal
langes Leben zu haben).
D. Anhaltende Symptome erhöhten Arousals (vor
dem Trauma nicht vorhanden).
Mindestens zwei der folgenden Symptome liegen
vor:
(1) Schwierigkeiten, ein- oder durchzuschlafen.
(2) Reizbarkeit oder Wutausbrüche.
(3) Konzentrationsschwierigkeiten.
(4) Übermäßige Wachsamkeit (Hypervigilanz).
(5) Übertriebene Schreckreaktionen.
E. Das Störungsbild (Symptome unter Kriterium
B, C und D) dauert länger als 1 Monat.
F. Das Störungsbild verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in
sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen
Funktionsbereichen.
Bestimmen Sie, ob:
Akut: Wenn die Symptome weniger als 3 Monate
andauern.
Chronisch: Wenn die Symptome mehr als 3 Monate
andauern.
Bestimmen Sie, ob:
Mit verzögertem Beginn: Wenn der Beginn der Symptome mindestens 6 Monate nach dem Belastungsfaktor liegt.
Diagnostische Kriterien für die Posttraumatische Belastungsstörung nach DSM-IV, 1996 (309.81)
www.polizeieinsatzstress.de/was_ist_ptsd.htm
679
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
4 . H A N D E L N I N P R O B L E M - U N D G E WA LT S I T UAT I O N E N
Lehrer,Eltern
M12 Erstkontakt mit Traumaopfern
Nicht die Dramatik und das Spektakuläre einer
Situation sind verantwortlich dafür, ob und wie
stark eine Situation traumatisierende Wirkung
erzeugt, sondern die subjektiv erlebte Bedrohung und der subjektiv erlebte Zusammenbruch
des Grundsicherheitsempfindens.
Achten Sie auf Zeichen
Körpersprache, Stimme, Mimik und Gestik,
Atmung usw. vermitteln einen Eindruck, wo der
andere gerade steht. Versuchen Sie einen Zustand maximaler Entspannung herzustellen.
Strukturieren Sie das Gespräch.
Erkennen eines traumatisierten Menschen
Das Erkennen, dass ein Mensch traumatisiert
ist und seine Körperempfindungen, Wahrnehmungen und Verhaltensweisen damit zusammenhängen, ist der erste Schritt zum weiteren
Umgang.
Erklären Sie dem Betroffenen, was mit ihm
passiert ist
Dieses Wissen gibt ihm eine Erklärung für das,
was er spürt, was er bisher nicht erklären konnte, was ihn aber so stark belastet.
Vermeiden Sie die eigene Traumatisierung
Wahren Sie die nötige innere Distanz. Bleiben
Sie in Bewegung, machen Sie gezielt Atemübungen. Beobachten Sie sich selbst genau.
Vermeiden Sie jeden direkten oder indirekten Schuldvorwurf oder jede Schuldzuweisung
Schnell Schuldige oder einfache Erklärungen
zu finden entlasten, verdrängen aber die Realität.
Schicken Sie den betroffenen Menschen an
einen Ort, wo er ein effizientes TraumaCoaching erhalten kann
Wenn ein Betroffener frühzeitig kompetente
Hilfe erfährt, hat er gute Chancen, das Trauma
zu bewältigen.
Nach: Horst Kraemer: Das Trauma der Gewalt. Wie
Gewalt entsteht und sich auswirkt. Psychotraumata
und ihre Behandlung. München 2003, S. 285 ff.
Nehmen Sie das Opfer ernst
Geben Sie dem Opfer das Gefühl, dass es in
seiner Notlage willkommen ist. Seien sie offen und aufnahmebereit. Nehmen Sie sich Zeit.
Vermeiden Sie Beurteilungen.
Achten Sie auf das totale Selbstbestimmungsrecht Ihres Gegenübers
Die Hilfe suchende Person muss die totale
Kontrolle über die Situation behalten. Sie darf
nicht gezwungen werden, irgendetwas zu tun
oder zu sagen. Machen Sie Vorschläge.
Handbuch – Gewaltprävention II
680
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
4.5 AMOKLAUF AN SCHULEN
M13 Hilfreich im Krisenfall
Lehrer,Eltern
Hilfreiche Verhaltensweisen im Krisenfall
und bei traumatisierenden Ereignissen in
der Schule sind:
Gefühle zeigen
Alle Beteiligten, einschließlich der Lehrer,
sollten ihre Gefühle, ihre Einschätzung und
ihre Befürchtungen offen zeigen können. Das
heißt Wut, Angst, Traurigkeit, Tränen, Fassungslosigkeit sollten mit Respekt wahrgenommen und erlaubt sein, ja es sollte sogar
dazu ermuntert werden.
Niemals allein
Die Schüler sollten niemals in und nach Notfallsituationen allein gelassen werden. In jeder Klasse, im Schulgebäude, auf dem Gelände
sollten so viele Lehrer wie möglich präsent
und ansprechbar sein. Denn ein Notfall betrifft immer die Gesamtheit der Gemeinschaft.
Diese Präsenz- und Auseinandersetzungspflicht
hilft übrigens auch den Lehrkräften bei der
Selbststrukturierung.
Besondere Begleitung
Bereits belastete Schülerinnen und Schüler
sollten besonders angesprochen und betreut
werden, da hier die Gefahr einer Dauerüberlastung durch Symptomausbildung groß ist.
In den ersten Tagen nach einem schweren
traumatisierenden Ereignis sollte es in jedem
Fall in den Klassen Gruppengespräche geben,
die einem strukturierten Ablauf folgen, z.B.:
Verankern in dem noch heilen Teil des Alltags:
„Was habt ihr gerade gemacht, als ihr von dem
Ereignis erfahren habt?“, „Welches ist eurer
Erinnerung nach der letzte Moment, wo ihr
euch noch wohl gefühlt habt?“, „Ab wann war
für euch der Schrecken vorbei?“ ...
Friedegunde Bolt: Junge Menschen stark machen gegen Widrigkeiten und Belastungen. In: Pädagogik,
4/2005, S. 32.
Sachlich informieren
Je früher ausreichend und konkret über ein
traumatisierendes Geschehen in und um die
Schule informiert wird, desto mehr Sicherheit
und Zusammenrücken kann entstehen. Ohnmachtsgefühle und Angst können so reduziert
werden. Also das Beantworten der Fragen: Was
ist geschehen? Wie soll man sich verhalten?
Welche Hilfe wird bereitgestellt? Was kommt
danach? ist unentbehrlich.
Handbuch – Gewaltprävention II
681
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
4 . H A N D E L N I N P R O B L E M - U N D G E WA LT S I T UAT I O N E N
Lehrer,Eltern
M14 Trauer
Die sechs Notwendigkeiten des Trauerns verstehen
Die Realität des Todes anerkennen
Das Kind muss sich behutsam mit der Realität auseinander setzen, dass jemand, den es
liebte, tot ist und nie mehr physisch bei ihm
sein wird. Kindern ist es möglich, die Realität
des Todes nach und nach, in einer dosierten
Form zu akzeptieren.
Den Schmerz des Verlustes annehmen
Wie alle Trauernden müssen auch Kinder den
Schmerz des Verlustes zulassen. Sie können
dem Kind helfen, indem Sie es ermutigen, über
seine schmerzlichen Gedanken und Gefühle zu
sprechen, und indem Sie, ohne zu urteilen oder
gar zu verurteilen, einfach zuhören.
Sich des verstorbenen Menschen erinnern
Wenn ein geliebter Mensch stirbt, lebt er durch
die Erinnerung in uns weiter. Trauernde Kinder
müssen sich aktiv an die verstorbene Person
erinnern und dazu beitragen, des Lebens, das
gelebt wurde, zu gedenken.
Die Suche nach dem Sinn
Wenn ein geliebter Mensch stirbt, fragen wir
natürlich nach dem Sinn und Zweck des Lebens.
Kinder tun dies in der Regel ganz einfach, indem sie Fragen stellen wie: Warum sterben
Menschen? Versuchen Sie nicht, Antworten
auf alle Fragen des Kindes nach dem Sinn des
Lebens zu haben.
Unterstützung von anderen erhalten
Trauer ist ein Prozess, kein Ereignis. Kinder
trauern genau wie Erwachsene noch lange nach
dem Tod des geliebten Menschen. Das trauernde Kind braucht nicht nur in den Tagen und
Wochen nach dem Tod, sondern noch Monate
und Jahre Ihre mitfühlende Unterstützung und
Anwesenheit.
Alan D. Wolfelt: Für Zeiten der Trauer. Wie ich Kindern
helfen kann: 100 praktische Anregungen. Stuttgart
2002, Auszüge.
Eine neue Identität entwickeln
Die Identität des Kindes wurde zum Teil durch
die Beziehung, die es mit der verstorbenen
Person hatte, geprägt. Niemand kann die Lücke
füllen, die die verstorbene Person hinterlassen
hat. Unterstützende Beziehungen – ja! Ersatz
– nein!
Handbuch – Gewaltprävention II
682
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
4.5 AMOKLAUF AN SCHULEN
M15 Reaktionen auf Verlust
Trauer ist eine außerordentlich individuelle
Angelegenheit. Kinder, Jugendliche und Erwachsene reagieren höchst unterschiedlich auf
einen schweren Verlust. Trotzdem gibt es einige Reaktionen, die bei einem Großteil der
Trauernden ähnlich sind.
Schock
Der Gedanke an den Tod ist so überwältigend,
dass manche Kinder sich verhalten, als sei gar
nichts geschehen. Im Gegenteil, sie sind besonders aufgedreht und albern. Diese Betäubung ist gesund, da sie das Kind davor schützt
mit zuviel Schmerz und Realität auf einmal
fertig werden zu müssen.
Körperliche Erscheinungen
Manche Trauernde werden körperlich krank.
Sie leiden unter Kopf- und Bauchschmerzen,
manche bekommen Fieberschübe. Viele leiden
außerdem unter Schlafproblemen, Müdigkeit,
mangelnder Energie und Appetitlosigkeit, was
sich wiederum direkt auf die Schulleistungen
auswirken kann.
Zorn
Wenn der erste Schock nachlässt, werden viele
Trauernde unglaublich wütend. Wut, Hass,
Schuldzuweisungen, Zorn und Eifersucht sind
für sie oftmals einfach ein Weg, um gegen die
Realität des Todes zu protestieren. Ihre Wut
kann sich gegen die Ärzte richten, gegen Gott
oder den Verstorbenen selbst, von dem sie sich
im Stich gelassen fühlen.
Schuldgefühle
Oftmals leiden trauernde Kinder und Jugendliche unter Schuldgefühlen. Sie denken dann,
dass der Tod etwas damit zu tun hat, dass sie
sich falsch verhalten haben, dass sie nicht
Handbuch – Gewaltprävention II
Lehrer,Eltern
artig waren. Oder ein zurückbleibendes Geschwisterkind macht sich Vorwürfe, weil es
mit dem Bruder oder der Schwester gestritten
hat.
Angst
Die Kinder fürchten oft, dass sie selbst oder
ein anderes Familienmitglied sterben könnten.
Angst lähmt. Sie bindet die Energie, die Kinder
für ihre Entwicklung brauchen. Kinder, die einen nahen Verwandten durch einen schweren
Verkehrsunfall verloren haben, und die womöglich noch selbst dabei waren, sind meist
traumatisiert.
Entwicklungsrückschritte
Verhaltensauffälligkeiten können auftreten
oder sich verstärken. Die Konzentration kann
nachlassen, das Kind, der Jugendliche, vergisst mitunter auch schon Gelerntes. Unter
der Angst, den Verstorbenen zu vergessen,
leiden besonders Grundschulkinder. Oft wissen sie nach einem Jahr wirklich nicht mehr,
wie der Verstorbene ausgesehen hat oder wie
seine Stimme klang. In Gedanken versuchen
sie dann das, was sie noch wissen, „festzuhalten“. Sie leben nicht, wie andere Kinder, in der
Gegenwart, sondern in der Vergangenheit und
in einer Traumwelt.
Auch das behindert eine „normale“ Entwicklung. Andere trauernde Jugendliche werden
wiederum übermäßig reif. Manche übernehmen zu Hause die Rolle der verstorbenen Mutter oder des verstorbenen Vaters. Für sie ist es
besonders wichtig, dass sie in der Schule auch
einmal unbefangen herumalbern dürfen.
Ministerium für Kultus, Jugend und Sport BadenWürttemberg (Hrsg.): Vom Umgang mit Trauer in der
Schule. Handreichung für Lehrkräfte und Erzieher/
innen. Stuttgart o.J., S. 6 f.
683
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
4 . H A N D E L N I N P R O B L E M - U N D G E WA LT S I T UAT I O N E N
Lehrer,Eltern
M16 Auseinandersetzung in der Klasse
Ergebnisse eines Rückblicks auf den Amoklauf am
11. März 2009 in Winnenden mit Schülerinnen
und Schülern der Klassen 10c und 10d
Einstieg über ein kurzes Klassengespräch
In einer ersten Blitzlichtrunde wurde ausgetauscht,
wie die einzelnen Schülerinnen und Schüler von dem
Vorfall am Vortag erfahren haben und welches ihre
erste Reaktion war.
Gruppenphase
Die Klasse verteilte sich im Raum an 6 Stationen
in Kleingruppen. An den Stationen lagen die unten
stehenden Fragen. Die Antworten der Schülerinnen
und Schüler blieben an den jeweiligen Stationen zur
Ansicht für die anderen liegen.
Station 1: Tim K. tötete 15 Menschen: neun Schülerinnen und Schüler im Alter von 15-16 Jahren, drei
Lehrerinnen, drei Passanten. Notiere einen Kommentar zur Tat, deine ersten spontanen Gedanken, ein
Gebet, dein erstes Gefühl.
Antworten der Schülerinnen und Schüler:
•Eine kranke Vorstellung von Gerechtigkeit, um Aufmerksamkeit zu bekommen.
•Mein erster Gedanke ist, dass die Schüler eben in
unserem Alter waren und dass es auch uns hätte
treffen können. Hoffentlich ist meine Freundin
nicht unter den Opfern.
•Die armen Eltern: Auf einmal ist ihr Kind weg,
gestern hat man noch geredet, heute ist sie tot.
•Schock. Kenne ich jemand?
Station 2: Was sind die Motive für eine solche Tat?
Warum verübt ein Jugendlicher eine solche Tat? Notiere erste Vermutungen.
Antworten der Schülerinnen und Schüler:
•Ich möchte die Gründe für eine solche Tat auch gar
nicht wissen.
•Hass auf sich und auf seine Umgebung, Mobbing,
wird abgewiesen von Mädchen und hat deshalb fast
nur Mädchen gekillt.
•Ausgrenzung, Einsamkeit, der Wunsch nach Aufmerksamkeit.
Station 3: Welche Botschaft sendet der Täter mit
seiner Tat? Was drückt er mit ihr aus gegenüber sei-
Handbuch – Gewaltprävention II
nem Umfeld? Notiere vage Vermutungen.
Antworten der Schülerinnen und Schüler:
• Ich denke, er möchte ein Zeichen setzen.
• Ihm stinken sein Leben und seine Mitmenschen.
• Ich will Aufmerksamkeit!
• Ich habe keine Lust mehr, ich bin frustriert, lasst
mich in Ruhe
Station 4: Welche Formen von Gewalt gibt es in
unserer Gesellschaft? Notiere die Erscheinungsformen
von Gewalt bei uns.
Antworten der Schülerinnen und Schüler:
•Körperliche Gewalt (Schläge usw.)/psychische Gewalt und seelische (Mobbing)/Ausgrenzung.
•Es gibt ziemlich viele Formen.
Station 5: Was hilft den Hinterbliebenen der Opfer
und den Betroffenen in dieser Situation?
Antworten der Schülerinnen und Schüler:
• Eigentlich gar nix: Die haben einen riesen seelischen Schock.
• Mitgefühl/das Gefühl, dass sie nicht alleine dastehen/Helfende/psychische Hilfe.
Station 6: Welche Konsequenzen müssten deiner
Meinung nach aus einer solchen Tat gezogen werden
für das Leben an Schulen?
Antworten der Schülerinnen und Schüler:
•Es sollte nicht so viel darüber berichtet werden,
nicht so viele Einzelheiten wie es abgelaufen ist,
denn das könnte andere dazu animieren.
•Kontrollieren, wer ins Schulhaus geht.
•Ich denke, dass man eigentlich so gut wie nichts
tun kann. Es kann jede Schule treffen.
•Übungen an Schulen: Wie verhalte ich mich?
Fluchtwege!
Klassengespräch zum Austausch der Ergebnisse
Abschließend wurden die Ergebnisse der einzelnen
Stationen im Plenum ausgetauscht. Einiges wurde
untereinander kommentiert. Mancher Diskussionsstrang wurde nur kurz angerissen.
Heike Bosien: Unterrichtsstunde Evangelische Religion am 12.3.2009. Klasse 10c und 10d, RiegelhofRealschule Nellingen, unveröffentlichtes Manuskript,
Auszüge.
684
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
4.5 AMOKLAUF AN SCHULEN
M17 Schule als verlässlicher Ort
Nach dem Erfurter Schulmassaker gab es einen
breiten Konsens darüber, dass ein Zusammenhang zwischen einem einseitig leistungsfixierten Schulklima und der wachsenden Gewaltbereitschaft von Schülern existiert. Als
Konsequenz folgte daraus: Schulen sollten der
sozialen und emotionalen Entwicklung ihrer
Schüler mehr Raum und Zeit gewähren. Aber
die Konsequenzen aus dem so genannten PisaSchock haben schnell die Schlussfolgerungen
aus dem Massaker von Erfurt beiseite gedrängt.
Seither wird weiter an der Leistungsschraube
gedreht.
In dem Maße, in welchem Schulen sich als effiziente Zulieferbetriebe für Industrie und Markt
begreifen, werden sie verschärft zu Orten der
Konkurrenz, der Selektion und damit auch der
Kränkung. Gleichzeitig sind Heranwachsende
immer weniger in der Lage, Kränkungen angemessen zu verarbeiten. So entsteht hier jede
Menge (schulischer) Sprengstoff.
Wenn die Elternhäuser ihre erzieherischen Aufgaben nicht mehr mit ausreichender Zuverlässigkeit wahrnehmen, müssen Schulen kompensieren und sich zu geschützten, verlässlichen Orten entwickeln, aus denen ein Schüler
auch dann nicht vertrieben werden darf, wenn
er leistungsschwach ist oder „stört“. Kinder
und Jugendliche brauchen Zuwendung dann
am meisten, wenn sie sie am wenigsten „verdienen“. Wir dürfen es nicht länger hinnehmen, dass Subjektivität und Innerlichkeit in
Schulen meist nur als Störung vorkommen, dass
also die Lernenden selbst als etwas betrachtet
werden, das am Lernort „nicht zur Sache“ gehört. Das einzige Antidot aber gegen Gewalt
sind emotionale Bindungen der Schüler an ihre
Schule und ein lebendiges, offenes Schulklima.
Eine Atmosphäre, die verhindert, dass einzelne Schüler oder ganze Gruppen aus von der
Schule gestifteten Bezügen herausfallen und
Handbuch – Gewaltprävention II
Lehrer,Eltern
dauerhaft an den Rand gedrängt werden.
„Es hätte nur jemand mit mir reden müssen“,
hat ein amerikanischer „School Shooter“ auf
die Frage geantwortet, was hätte passieren
müssen, um seinen Amoklauf zu verhindern.
Schulen benötigen das, was bürokratischen
Institutionen eigentlich wesensfremd ist: Einfühlungsvermögen und Sensibilität für besondere Umstände. Nur so sind Schulgemeinschaften imstande, die Folgen von Verletzungen
wahrzunehmen, die die Schule einzelnen Schülern zufügt, und die Warnsignale aufzufangen,
die die Verletzten und Gekränkten aussenden,
bevor sie zur Gewalt greifen.
Routine, Bequemlichkeit und Indifferenz sorgen im Schulalltag dafür, dass solche Vorzeichen übersehen werden: die Äußerung
von tiefer Ausweg- und Hoffnungslosigkeit,
das Abdriften in gewaltgesättigte virtuelle
Welten, versteckte oder offene Andeutungen,
dass „demnächst irgendetwas passieren wird“,
die intensive heroisierende Beschäftigung mit
anderen Amokläufern und die Übernahme von
deren Zeichen- und Symbolsystemen.
Was wir benötigen, ist ein von Empathie getragenes Klima der Aufmerksamkeit und wechselseitigen Sorge. Jedes hysterische Agieren aber,
das auffällige Schüler vorschnell verdächtigt,
droht das informelle Frühwarnsystem zu zerstören. Nicht jede Verhaltensauffälligkeit darf
Nachstellungen durch Behörden und psychotherapeutische Zuwendung auslösen. Vor dem
Hintergrund alltäglicher Gewalt an Schulen,
aus der als „Spitzenleistung“ das „School
Shooting“ hervorgeht, müssen wir uns fragen:
Was wird aus den Schülern, die im Rennen um
Chancen auf rare Ausbildungs- und Arbeitsplätze auf der Strecke bleiben?
Götz Eisenberg: Verlässliche Orte. In: Frankfurter Rundschau, 24.4.2007, S. 25, Auszug.
685
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
6 . L I T E R AT U R
Klärner, Andreas/Michael Kohlstruck (Hrsg.): Moderner Rechtsextremismus in Deutschland, Hamburg
2006.
Klug, Brian: The collective Jew: Israel and the new
antisemitism. In: Christina von Braun/Eva-Maria
Ziege (Hrsg.): Das „bewegliche“ Vorurteil. Aspekte
des internationalen Antisemitismus. Würzburg
2004.
Kural, Mahmut: Rechtsrock – Einstiegsdroge in rechtsextremes Gedankengut? Saarbrücken 2007.
Lempa, Günter: Der Lärm des Ungewollten. Psychoanalytische Erkundungen zu Fremdenfeindlichkeit,
Gewalt und politischem Extremismus. Göttingen
2001.
Lenk, Kurt 2005: Rechtsextreme Argumentationsmuster. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B42/2005,
S. 17-22.
Möller, Kurt/Nils Schuhmacher: Rechte Glatzen. Wiesbaden 2006.
Nandlinger, Gabriele: Wann spricht man von Rechtsextremismus, Rechtsradikalismus oder Neonazismus? Bundeszentrale für politische Bildung, Dossier Rechtsextremismus. Bonn 2008. <www.bpb.
de/themen/VSBMKQ.html>
Palloks, Kerstin: Große Erwartungen – zur Wirkungsfrage. In: Michaela Glaser & Silke Schuster (Hrsg.)
Evaluation präventiver Praxis gegen Rechtsextremismus. Positionen, Konzepte und Erfahrungen.
Halle 2007.
Pfahl-Traughber, Armin: Antisemitismus in der deutschen Geschichte. Berlin 2002.
Rabold, Susann/Dirk Baier/Christian Pfeiffer: Jugendgewalt und Jugenddelinquenz in Hannover.
Hannover 2008.
Rieker, Peter: Fremdenfeindlichkeit und die Bedingungen der Sozialisation. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B37/2007, S. 31-38.
Schubarth, Wilfried: Pädagogische Konzepte als Teil
der Strategien gegen Rechtsextremismus. In: Aus
Politik und Zeitgeschichte, B39/2000, S. 40-48.
Sitzer, Peter/Wilhelm Heitmeyer: Rechtsextremistische Gewalt von Jugendlichen. In: Aus Politik
und Zeitgeschichte, B37/2007, S. 3-10.
Stöss, Richard: Rechtsextremismus im Wandel. Berlin
2007.
Wahl, Klaus (Hrsg.) 2001: Fremdenfeindlichkeit,
Antisemitismus, Rechtsextremismus. Drei Studien
zu Tatverdächtigen und Tätern. In: Bundesministerium des Innern: Texte zur Inneren Sicherheit.
III/2001. Berlin 2001.
Zerger, Johannes: Was ist Rassismus? Eine Einführung. Göttingen 1997.
Handbuch – Gewaltprävention II
4.5 Amoklauf an Schulen
Adler, Lothar: Amok. Eine Studie. München 2000.
Bannenberg, Britta: Sogenannte Amokläufe. In: DJIOnline, 25.3.2009. <www.dji.de/cgi-bin/projekte/
output.php?projekt=538&Jump1=LINKS&Jump2=
267>
Barkowski, Thomas/Gerborg Drescher/Gabriele Rüttiger (Hrsg.): „Wenn der Notfall eintritt“ – Handbuch
für den Umgang mit Tod und anderen Krisen in der
Schule. Heilsbronn 2006.
Becker, Jens: Kurzschluß. Der Amoklauf von Erfurt
und die Zeit danach. Berlin 2005.
Bolt, Friedegunde: Junge Menschen stark machen gegen Widrigkeiten und Belastungen. In: Pädagogik,
4/2005, S. 31-39.
Christians, Heiko: Amok: Geschichte einer Ausbreitung. Bielefeld 2008.
Diagnostische Kriterien für die Posttraumatische
Belastungsstörung nach DSM-IV, 1996 (309.81).
<www.polizeieinsatzstress.de/was_ist_ptsd.htm>
Eikenbusch, Gerhard: Was passiert, wenn das Unfassbare passiert ... Mit Katastrophen, existentiellen Krisen und Unglücken in der Schule umgehen.
In: Pädagogik, 4/2005, S. 6-10.
Eickenbusch, Gerhard/Ragnhild Wedlin: „Jetzt weiß
ich, was ich tun muss, wenn etwas passiert!“ In:
Pädagogik, 4/2005.
Eisenberg, Götz: Amok – Kinder der Kälte. Über die
Wurzeln von Wut und Hass. Reinbek 2000.
Fischer, Gottfried/Peter Riedsesser: Lehrbuch der Psychotraumatologie. 4. akt. Aufl., München 2009.
Faust, Volker: Amok. In: www.psychosoziale-gesundheit.net; Online: <www.psychosoziale-gesundheit.
net/psychiatrie/amok.html>
Geipel, Ines: Für heute reicht es. Amok in Erfurt.
Berlin 2004.
Gugel, Günther/Uli Jäger: Global Handeln für Frieden
und Entwicklung. Tübingen 1999.
Hessisches Kultusministerium/Hessisches Ministerium des Innern und für Sport: Handeln in Krisensituationen. Ein Leitfaden für Schulen. 2007.
Hoffmann, Jens: Wenn die Hoffnung schwindet, müssen Menschen sterben, Psychologie Heute, 8/2002,
S. 28-32.
Hoffmann, Jens/Isabel Wondrak (Hrsg.): Amok und
zielgerichtete Gewalt an Schulen: Früherkennung/
Risikomanagement/Kriseneinsatz/Nachbetreuung.
Frankfurt 2007.
Koch, Sannah: Wie erkennt man School Shooter? In:
Psychologie Heute, 11/2007, S. 34-39.
724
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.
Kraemer, Horst: Das Trauma der Gewalt. Wie Gewalt
entsteht und sich auswirkt. Psychotraumata und
ihre Behandlung. München 2003.
Kultusministerium Baden-Württemberg: VwV Gewaltvorfälle, Schadensereignisse an Schulen – Verhaltens VwV vom 27.6.2006, Az.: 1721.6-7/16
Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen: Amoktaten
– Forschungsüberblick unter besonderer Beachtung
jugendlicher Täter im schulischen Kontext. Kriminalistisch-Kriminologische Forschungsstelle, Analysen, Nr. 3/2007, Düsseldorf 2007. <www.polizeinrw.de/lka/stepone/data/downloads/d3/00/00/
amoktaten.pdf>
Langer, Annette/Jörg Diehl: Schutz vor Schulmassakern. Mobbingopfer und Amoktäter. In:
Spiegel-online, 12.3.2009. <www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,612730,00.html>
Langer, Jürgen: Auf Leben und Tod. Suizidalität bei
Jugendlichen als Herausforderung für die Schülerseelsorge. Frankfurt/M. u.a. 2001.
Lempp, Reinhard: Nebenrealitäten. Jugendgewalt
und Zukunftsangst. Frankfurt/M. 2009.
Ludwig, Astrid: Klare Verhaltensmuster. Der Darmstädter Psychologe Jens Hofmann untersucht
Amokläufe an Schulen. In: Frankfurter Rundschau,
7.4.2009, S. D6.
Luwe-Schleberger, Gabriele: Nach der Katastrophe
kommt die Krise. Wie Lehrer helfen können, kritische Lebenssituationen zu verarbeiten. In: Pädagogik, 4/2005.
Ministerium für Kultus, Jugend und Sport BadenWürttemberg (Hrsg.): Vom Umgang mit Trauer in
der Schule. Handreichung für Lehrkräfte und Erzieher/innen. Stuttgart o.J.
National Research Council and Institute of Medicine.
Moore, M.H./Petrie, C.V./Braga, A.A./McLaughlin,
B.L. (Eds.): Deadly Lessons. Understanding Lethal
School Violence. Case Studies of School Violence
Committee. Washington D.C. 2003.
Robertz, Frank J.: School Shootings. Über die Relevanz der Phantasie für die Begehung von Mehrfachtötungen durch Jugendliche. Frankfurt/M.
2004.
Robertz, Frank J./Ruben Wickenhäuser: Der Riss in
der Tafel. Amoklauf und schwere Gewalt in der
Schule. Heidelberg 2007.
Handbuch – Gewaltprävention II
Saimeh, Nahlah: Die sind so unglaublich viel weniger wert als ich – Maligner Narzissmus und Gefährlichkeit am Beispiel der Kasuistik eines verhinderten Amokläufers. In: Saimeh, Nahlah (Hrsg.):
Zukunftswerkstatt Maßregelvollzug. 23. Eickelborner Fachtagung. Bonn 2008, S. 299-313.
Schefold. Werner/Hans-Jürgen Glinka/Thomas
Giernalczyk (Hrsg.): Krisenerleben und Krisenintervention. Ein narrativer Zugang. Tübingen 2008.
Schmidbauer, Wolfgang: Der Mensch als Bombe. Eine
Psychologie des Terrorismus. Reinbek 2003.
Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und
Forschung. Bildung für Berlin (Hrsg.): Verstehen
und Handeln X. Gewaltprävention im Miteinander.
Berlin 2007.
Vossekuil, Bryan u.a.: Abschlussbericht und Ergebnisse der Initiative für Sicherheit an Schulen
(Safe School Initiative): Auswirkungen auf die
Prävention von Gewalttaten an Schulen in den
USA. Washington D.C. 2002.
Waldrich, Hans-Peter: In blinder Wut: Warum junge
Menschen Amok laufen. Köln 2007.
Wolfelt, Alan D.: Für Zeiten der Trauer. Wie ich Kindern helfen kann: 100 praktische Anregungen.
Stuttgart 2002.
725
©2010, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. – WSD Pro Child e.V.