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Katharina II.
Katharina II.
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KATHARINA II.
[U1–U3, 1f.: leer]
[3]
ODER
DER NEUE PARIS
Original Posse in 4 Akten.*
In tiefster Ergebung
und
aufrichtigster
Dankbarkeit
Seiner
Hochwohlgeboren
Herrn
Dr: med: [Artur] Kollmann
in Leipzig
gewidmet von
Johannes Wüstemann
Marionettentheater-Besitzer
1899.
[4: leer]
[5]
PERSONEN:
Katharina II., Kaiserin v. Rußland.
Fürstin Daschkoff, deren Vertraute und Hofdame.
Gräfin Saltikoff, Hofdame.
Graf Orloff, Feldzeugmeister und Hofcavalier.
Nikolaus Kasparellowitsch ein Roßhirte, später der neue Paris.
Katinka1, seine Geliebte.
Katharina II. oder Der neue Paris. Original Posse in 4 Akten. Handschrift. Format: 16,5 x 20,5cm; hart
gebunden. Puppentheatersammlung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Sign. Manuskript D4354. Herausgegeben von Thomas Murr und Beatrix Müller-Kampel. – Orthographie und Interpunktion
wurden im Haupttext beibehalten, im Nebentext (Regieanweisungen) der leichteren Lesbarkeit und Verständlichkeit halber vereinheitlicht und vervollständigt.
1 Später: Kathinka
*
Katharina II.
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IM III. AKTE:
Katharina als Göttin Venus.
Daschkoff ,, ,, ,, Minerva.
Saltikoff ,, ,, ,, Juno.
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Im Prunksalon sitzen KATHARINA II, links & rechts stehen Divan, auf einem Daselben sitzt
GRÄFIN DASCHKOFF.
KATHARINA. Ich weiß nicht, wie ich mich noch erheitern soll, Nichts, aber auch gar nichts kann
mich mehr reizen; ich verstehe mich selber nimmer.
DASCHKOFF. Aber Katharina, was fällt Dir ein?
KATHARINA. Ja, nenne mich wieder „Du“ wie damals, wo wir zusammen gegen den Kaiser konspirirten, wo ich noch geliebt, ja angebetet wurde; wo mein bloßes Erscheinen, mein Anblickt
genügte, um selbst rohe Menschen, gemeine Soldaten hinzureißen, Ihr Leben für mich aufs
Spiel zu setzen,
[7]
obwohl ich Ihnen nichts zu geben hatte, als höchstens einen dankbaren Blick. – O herrliche
Jugendzeit, du bist dahin!
DASCHKOFF. Was hast Du nur?
KATHARINA. Ich werde alt!
DASCHKOFF. Wer sagt das?
KATHARINA. Mein Spiegel!
DASCHKOFF. Dein Spiegel lügt! Du bist so jung wie Du damals warst, in jenen schönen, stürmischen Tagen.
KATHARINA. Aber zähle doch die Jahre!
DASCHKOFF. Du bist jung, weil Du schön bist, weil Du jeden Mann vor Dir knieen sehen
[8]
kannst, Du magst im kaiserlichen Hermelin oder im Scharafan der Bäuerin erscheinen.
KATHARINA. glaubst Du?
DASCHKOFF. Frage nur Orloff!
KATHARINA. Orloff? was ist er am Ende? mein Sclave! – Muß er mir nicht schmeicheln? Wenn
ich gnädig bin, so bedeutet das für Ihn Ehrenstellen, Ordeu, Reichtum; wenn ich die Stirn
runzle, Ketten, Sibirien, die Knute, ja vielleicht das Schaffot. – Was ist mir die Huldigung eines
Sclaven? – Wer sagt mir, daß ich noch schön bin? Doch siehe, da kommt ja Orloff!
Auftritt ORLOFF.
[ORLOFF.] Majestät, hab ich etwaige Befehle zu er-
Katharina II.
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warten?
KATHARINA. Nun, wie gefällt Ihnen meine Toillette?
ORLOFF. Sie wissen Majestät, daß ich stets nur Sie sehe und nur Ihre Toilette!
KATHARINA. Diesmal haben Sie Unrecht! Wirklich sehr Unrecht, Ihr so wenig Aufmerksamkeit
zu schenken, denn Sie ist ein Resultat der Wissenschaft; und wenn ich heute gut aussehe, so
danke ich es nur diesem Farbenkonzert.
ORLOFF. Vergeben Sie Majestät, aber davon verstehe ich nichts!
KATHARINA. Also geben Sie Acht. Das kräftige Grün dieses Atlasses hat die Aufgabe, ein sanftes Roth auf meine Wangen zu zaubern;
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das weiche, schwarze Pelzwerk erhöht die Weiße meiner Brüste; der Puder in den Haaren, welcher in demselben ein künstliches und anmuthiges Greisenalter hervorruft, läßt dafür mein
Gesicht jugendlicher erscheinen, als es wirklich ist und die Locken verbergen die Falten auf der
Stirn.
ORLOFF. Falten? Sie haben ja keine Falten!
KATHARINA. Doch!
ORLOFF. Nein!
KATHARINA. Ich aber sage „Ja!“
ORLOFF. Und ich sage nein!
KATHARINA. Sie finden mich also wirklich noch schön?
[11]
ORLOFF. Schöner als je!
KATHARINA. Weshalb sind Sie dann seit einiger Zeit so kalt?
ORLOFF. Kalt? ich? – Bete ich Sie nicht an?
KATHARINA. Es gibt aber Beter, welche vor dem Göterbild knieen, Gebete murmeln und etwas
ganz anderes dabei denken.
ORLOFF. Ich schwöre Majestät!
KATHARINA. Schwören Sie lieber nicht, ich glaube Ihnen doch nicht. Ja wenn Sie mir ernste
Proben Ihrer Huldigung geben wollten, wie jener französische Ritter, der für seine Dame in
den Löwenzwanziger hinabstieg. Dann – dann werde ich wieder
[12]
glauben, daß ich schön bin.
ORLOFF. Befehlen Sie mir jede Probe; ich bin bereit, mein Blut für Sie zu verspritzen.
KATHARINA. Ich nehme Sie beim Wort.
ORLOFF. Nun, was ich ihn thun? Soll ich dem Sultan in Mitten seiner Treuen den Bart ausreißen,
oder die Bären des Fürsten Radziwil zwingen Beißpfeffer zu schnupfen?
KATHARINA lacht. Ich danke Ihnen Orloff, ich bin mit Ihnen zufrieden. Ich sehe, es ist Ihnen
Ernst und will glauben, daß Sie für mich in den Vesuv hinabsteigen.
ORLOFF. In die Hölle, Majestät!
Katharina II.
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KATHARINA. Wer sagt mir aber, ob dies der Kaiserin gilt oder der Frau?
ORLOFF. Welch häßliche Zweifel?
KATHARINA. Ich zweifle ja nicht an Ihnen, ich zweifle an mir. – Ich werde alt Orloff, wenden
Sie nichts ein, ich werde häßlich. Als ich noch ein Kind war und zu Hause in Deutschland, da
erzählte mir meine Uja ein Märchen von einer Königin, die einen Spiegel hatte, einen Zauberspiegel, und wenn Sie ihn fragte:
„Spiegel an der Wand, Wer ist die Schönste im ganzen Land,“
so gab der Spiegel Ihr die Antwort. Ich gäbe gern mein halbes Kaiserreich für diesen Spiegel!
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ORLOFF. Aber Majestät, welche Scrubel? Denken Sie doch an die Folgen, im Betreff der Ihnen
verehrten Vase. Als wir das von Ew. Majestät gefertigte Stück „Der neue Paris“ auf der Kaiserlichen Privatbühne aufführen wollten, wurden „Sie“ mit der Rolle der Venus einstimmig
bedacht, denn durch das Loos sollte die schönste Frau gewählt werden zu dieser Rolle, auf
höchst Ihren eigenen Wunsch und einstimmig wurden Ew. Majestät als die schönste Frau
erklärt.
KATHARINA. Daß weiß ich und war ob dieser Wahl hocherfreut. Aber wollte man mir nicht nur
schmeicheln damit. Ist nicht die Fürsten Kathinka Daschkoff, oder die Gräfin Ivan Saltikoff
nicht schöner
[15]
als ich? Ich glaube wohl?
ORLOFF. Majestät, ich bitte, Ihrem Diener gnädig Ihr Ohr leihen zu wollen.
KATHARINA. Reden Sie Orloff, ich höre!
ORLOFF. Ew. Majestät erhielten vor einiger Zeit jene Vase aus Italien, welche die Sage aus dem
Griechichen darstellt, wie unser gelehrter Bateux vor Eurer Majestät die Ehre hatte, zu erklären. Demnach war der Inhalt der Darstellung folgender: „Der Mann in der phrygischen Mütze
ist Paris, der Sohn des Königs von Troja. Er weidet, wie es damals Prinzen thaten, während
Königstöchter die Wäsche wuschen, die Schafe auf dem Berge Ida. Da erschienen drei Frauen
vor Ihnen; alle
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stolz und schön und verlangen, Er soll Einer von Ihnen den Preis der Schönheit anerkennen,
um den Sie in Streit gerathen sind. Die drei Frauen sind Göttinen des Olymps. Die mit der
Krone ist Juno, die stolze Gemahlin Jupiters, des obersten der Götter; die mit dem Helm ist
Minerva, die Göttin der Weisheit; die Dritte, von den Tauben begleitet, Venus, die Göttin der
Liebe. Paris soll der schönsten Frau den Apfel reichen, den Er eben in der Hand hält, und er
überreicht Denselben der Venus. Ew. Majestät verfertigten nach diesem ein Theaterstück und
wurden einstimmig, wie ich mir schon vorhin zu bemerken erlaubte, zur Venus, also der
Schönsten auserkoren.
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KATHARINA. Ja, ja, ich weiß, und die Liebesgöttin belohnte ihn dafür mit dem schönsten Weibe
der Erde, der Helena, Gemahlin des Königs Menelaus von Sparta. Paris entführte Sie mit Hilfe
der Venus und gab so den Anlaß, zu dem trojanischen Kriege und dem Untergang Trojas.
Aber ich bin mit dem noch nicht zufrieden. Das, was wir aufführten, war eine Komödie, nichts
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mehr, ein eingebildeter Triumpf. Wer bürgt mir dafür, daß nicht Alles, auch die Abstimmung,
Schein und Trug war. – Ich will mein „Urtheil des Paris“ im Ernste haben, und ich ruhe nicht,
bis es mir gelungen ist, die Scene vom Berge Ida in unsern abstrackten Tagen auf russischem
Boden zu wiederholen.
[18]
ORLOFF. Ich zweifle nicht Majestät, daß Sie Alles, was Sie wollen, auch auszuführen im Stande
sind. Aber es dürfte doch einige Schwierigkeiten bieten, einen Mann zu finden, dessen
Geschmack maßgebend sein kann, und der zugleich nicht das schöne, gebietende Antlitz seiner Kaiserin kennt.
KATHARINA. Sie Schmeichler, darin sind Sie im Irrthum. Weshalb soll nur der Geschmack eines
Gebildeten gelten? Müßte nicht ein naives, von keinen Vorurtheilen beherrschtes, von keinen
akademischen Regeln irregeleitetes Kind der Natur, richtiger, unbefangner urtheilen können?
Wie meinst Du, meine Freundin?
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DASCHKOFF. Aber unsre Naturkinder riechen so nach Knoblauch!
KATHARINA. Nun, so parfümiert man Sie!
DASCHKOFF. Und Sie sind auch nicht so besonders – rein!
KATHARINA. Nun so läßt man Sie waschen. – Ich habe es mir nun einmal in den Kopf gesetzt,
und ich werde meinen Paris finden.
ORLOFF. Ist dies Ihr wirklicher Ernst?
KATHARINA. Mein voller Ernst! und wie ernst es mir ist, sollt ihr daraus sehen, daß ich noch
heute Kuriere nach allen Weltgegenden aussenden werde, mit
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der Aufgabe, einen Mann zu suchen, welcher jung, nicht grad häßlich, naiv, und womöglich –
gewaschen ist, und bei allen diesen hochwichtigen Eigenschaften, seine Zarin nie gesehen hat,
nicht einmal auf einem Silberrubel, geschweige denn von Angesicht zu Angesicht; einen Mann,
der, wenn ich vor ihm erscheine, nicht weiß, daß ich Kaiserin bin, der mich ohne Krone und
Hermelin schon [!] findet. Also Orloff, auf! Senden Sie Kouriere ab, die nach solch einem
Manne fahnden! aber gleich ohne Widerrede!
ORLOFF. Wie Sie befehlen Majestät! /ab./
KATHARINA. So meine Freundin wollen wir dann sehen, Wem das Glück
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blüht, unter uns die Schönste zu sein!
DASCHKOFF. Aber Majestät!
KATHERINA. Nun begebe Dich zur Gräfin Saltikoff, theile Ihr meinen Entschluß mit und lade
Sie ein, mit Mir und Dir einen Spaziergang zu machen.
DASCHKOFF. Der Wunsch meiner lieben, schönen Kaiserin ist mir stets Befehl. /ab./
KATHARINA. So, nun will ich sehen, ob ich wirklich die Schönste bin, oder Welche mir den
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Rang streitig macht. Wehe derselben, daß könnte ich nicht ertragen. Katharina, des großen
russischen Reiches Despotin muß die Schönste bleiben.
Der Vorhang fallt.
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II. AKT.
Mondscheinlandschaft. Wiesen, rechts Wald, an der Linken ein Baumstamm zum Sitzen.
KATHARINA II. im weißen Kleide, über den Schultern schwarze Mantille. KASPER in Hose und
Hemd aus grober Leinwand, schmutzigen Schlafpelz über der Achsel, auf dem Kopfe großen Strohhut.
KATHARINA tritt aus dem Walde.
KATHARINA. So, da wäre ich jetzt glücklich angelangt. Während mich meine Untergebenen,
Freunde und Höflinge im Parke wähnen, an meinem Lieblingsplatze, der dunklen Laube,
wohin mich Niemand, selbst nicht meine Vertrautesten begleiten dürfen, bin ich Ihnen entschlüpft, durch die geheime, kleine
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Pforte, zu welcher nur ich den Schlüssel führe. Nun will ich sehen, ob mir hier das Glück hold
ist, den neuen Paris zu finden. Hier in dieser Umgebung weiden die Hirten und Bauern ihre
Heerden und Rosse; vielleicht ist gerade der Gewünschte unter Ihnen. Bald wird sich wohl
Einer einstellen, denn erst um diese Zeit kommen Sie daher, und siehe, dort naht sich ja schon
Einer. Ha! jetzt springt Er ab von seinem Schimmel und bindet Ihm die Vorderfüsse zusammen, welches mit jedem Roß vorgenommen wird, daß Sie nicht entspringen können, und der
Hirt diese Zeit für sich benützen kann. Da – jetzt macht Er Anstalt, sich hieher zu begeben; Er
sieht mich nicht, will mich darum verstecken und Ihn belauschen, um Ihn dann zu überraschen. zieht sich zurück.
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Auftritt KASPER von Links und setzt sich unter starkem Schnaufer auf den Baumstumpf.
[KASPER.] Da wär ich jetzt; d’Roß’ fressen und ich will mich da ein wenig erholen. ’s ist heut’ ein
herrlicher Abend, wirklich schön; ganz gespenstig kommt mir alles vor. Brrrrr! mir wärs genug,
wenn da jetzt von ungefähr so eine Rusalka daher käme, so ’ne Nixe, welche jungen Männern
mit Ihrer silberhellen Stimme die Sinne verwirrt, Sie an sich lockt und dann mit Ihren goldenen
Haaren erwürgt.
Während dem hat sich KATHARINA neben Ihn gesetzt, ohne das Er es gemerkt hat. Sie spricht:
[KATHARINA.] Guten Abend!
KASPER rückt erschreckend weg.
KATHARINA. Fürchtest Du Dich vor mir?
Katharina II.
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KASPER. Nein, das gerade nicht; aber es ist doch nicht gut für eine Menschenseele, wenn Sie mit
einer Nixe oder Zauberin spricht.
KATHARINA. Du hältst mich also für eine Zauberin?
KASPER. Ich weiß noch nicht für was ich Dich halten soll, aber jedenfalls bist Du aus einer
andern Welt!
KATHARINA. Vielleicht hast Du Recht. Aber Wer sagt Dir, daß ich deshalb böse oder verderblich sein muß? – Im Gegentheil, ich bin Dir gut gesinnt! –
KASPER. Daß sagen alle bösen Geister!
KATHARINA. Aber ich bin kein böser Geist; ich will nur dein Bestes und Gott sei
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Dank habe ich auch die Macht, dein Glück zu begründen.
KASPER. Da Du den Namen Gottes angesprochen hast, kannst Du in der That kein gefallner
Engel sein, oder sonst ein böser Geist. Ich dank Dir also, daß Du es so gut mit mir meinst.
Aber wie willst Du mein Glück gründen und was habe ich dabei zu thun?
KATHARINA. Du hast nichts zu thun, als zu gehorchen. Willst du das?
KASPER. Sofern Du nichts Unrechtes oder Unchristliches von mir verlangst, ja!
KATHARINA. Gut, wie nennst Du Dich also?
KASPER. Wenn Du eine Zauberin bist, so
[27]
solltest Du es schon wissen!
KATHARINA. Ich frage auch nicht etwa, weil ich es nicht weiß.
KASPER. Weshalb also?
KATHARINA. Um zu sehen, ob Du in Allem die Wahrheit sprichst?
KASPER. Gut also; ich heiße Nikolaus Casparellowitsch.
KATHARINA. Leben Deine Eltern noch?
KASPER. Ja!
KATHARINA. Hier in der Nähe?
KASPER. Drüben im nächsten Dorfe, zehn Minu[28]
ten von hier.
KATHARINA. Sind Sie arm?
KASPER. Ja, ’s sind arme Leibeigene!
KATHARINA. Und Du? fühlst Du Dich sehr unglücklich?
KASPER. Nein, ich habe was ich brauche; ich singe, pfeife, höre zu wenn meine Mutter von jüngern Kindern Märchen erzählt und – – –
KATHARINA. Sage mir Alles!
KASPER. Nun ich habe auch ein Mädchen, ein hübsches Mädchen, die mir gut ist, und der ich
auch von Herzen gut bin; was brauche ich nur noch mehr?
Katharina II.
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KATHARINA. Und möchtest Du nicht frei sein? und reich und dein Mädchen zum Weibe nehmen und Sie in ein schönes Haus führen und Sie in schöne Gewänder kleiden?
KASPER. Jawohl, das möchte ich; für meine Kathinka wäre mir nichts gut genug. Sie müßte ein
Prunkkleid mit Zobel verbrämt, tragen, wie die Prinzessinen in den Märchen.
KATHARINA. Katharina nennt sich also dein Mädchen?
|KATHARINA.|[!]
KASPER. Ja Katharina!
KATHARINA. Und ist Sie schön?
[30]
KAPSER. Mir gefällt Sie!
KATHARINA. Und ich? eie gefalle ich Dir?
KASPER betrachtet sie schweigend.
KATHARINA. Nun findest Du mich schön? Aber sprich die Wahrheit! –
KASPER. Nun, für eine Alte gehts an!
KATHARINA. Du hälst mich für alt?
KASPER. Hast Du doch weißes Haar!
KATHARINA. Wie alt glaubst Du also, daß ich bin?
KASPER Sie musternd. So etwa bei siebenzig Jahre!
[31]
KATHARINA lachend. Aber ich bin ja gar nicht alt!
KASPER. Ja das meint Jede, und Jede macht sich jünger als Sie ist. Übrigens aber magst Du für
eine Zauberin, die tausend Jahre und noch älter werden, immerhin noch jung sein.
KATHARINA. Weißt Du was; ich bin alt und jung, wie ich gerade will. Nächstens sollst Du mich
mit blonden Haaren sehen.
KASPER. Da würdest Du mir schon besser gefallen, denn ich liebe das blonde Haar sehr. Meine
Kathinka ist auch blond und schön, weit schöner noch als unser Mütterchen, die Zarewna
Katharina!
[32]
KATHARINA. Hast Du denn die Zarewna schon gsehen?
KASPER. Nein!
KATHARINA. Wie kannst Du also urtheilen? Du kennst wohl Ihr Gesicht nur von den Silberrubeln her?
KASPER lacht. Wie käme ich zu Silberrubeln? Wenn ich hier und da ein paar Kopeken habe, bin
ich schon zufrieden, und die sind dann so schmierig, daß man von der Kaiserin nicht mehr
Viel oder gar nichts sieht.
KATHARINA. Man hat Dir also von Ihr erzählt?
KASPER. Allerdings!
Katharina II.
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[33]
KATHARINA. Aber es heißt doch, daß Sie sehr schön sei!
KASPER. Gewiß sehr schön; doch meine Kathinka ist doch noch schöner /sieht sich um/ Uebrigens kannst Du selbst urtheilen, denn da kommt Sie eben.
KATHINKA kommt von Links.
KATHINKA verwundert. Kasper Wen hast denn Du da bei Dir? Was will die Alte?
KASPER. Sie ist eine gute Zauberin. Sie will uns beschützen, und unser Glück begründen!
KATHINKA. Das ist schön von Ihnen, liebe, gnädige Frau Hexe!
[34]
KATHARINA. Ja ich will Euch glücklich machen. Jetzt aber verlasse ich Euch, denn Ihr habt
Euch gewiß Dinge zu sagen, bei denen ein Drittes und wäre es auch die beste Fee, überflüssig
ist. Lebt wohl, an einem der nächsten Tage, wieder um diese Zeit, will ich Euch wieder hier
besuchen.
geht schnell ab.
KASPER. Das war einmal eine schöne Erscheinung.
KATHINKA. Ich bin neugierig, welches Glück diese Hexe uns verschaffen wird. Aber jetzt komm
zu den Pferden, wir müssen heim, es ist schon spät.
KASPER. Ja komm mein Augenstern, auf mei[35]
nem Schimmel darfst du nach hause reiten.
KATHINKA. Das ist schön; da will ich gleich voraus eilen zu dem lieben Thiere.
schnell ab.
KASPER. Ein schönes Mädchen meine Kathinka. Wer weiß, ob unsere Zarewna wirklich so
schön ist. Und diese Hexe! bin nur begierig, was diese uns bringt, Gutes oder Böses; vor Allem
muß ich vorsichtig sein, daß besonders meiner Kathinka kein Leids geschieht. Ich will Ihr nun
folgen und mich dann heim begeben; aber siehe, Sie naht sich noch einmal.
Auftritt KATHINKA.
[KATHINKA.] Die Thiere fressen noch recht hungrig, und da kehrte ich nochmals daher
[36]
zurück, damit wir uns noch ein Wenig unterhalten können, denn am Tage haben wir so wenig
Gelegenheit.
KASPER. Sage mir Kathinka, was hältst Du denn eigentlich von dieser Hexe?
KATHINKA. Ich halte Sie doch für eine gute Hexe. Ueberhaupt war Sie ja so freundlich und hatte
ein feines Gesicht, daß ich unmöglich glauben kann, daß Sie eine böse Hexe sein kann.
Katharina II.
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KASPER. Ich halte Sie zwar auch nicht für bös, aber trauen thu ich Ihr auch nicht recht. Denn
gerade die recht bösen Hexen, verwandeln Ihr böses, häßliches Gesicht, in ein liebes, nettes,
Gesichtchen, um Einen leichter bethören
[37]
zu können. Darum sage ich, in Obacht nehmen muß man sich in jedem Falle, um nicht dem
Bösen in die Falle zu laufen.
KATHINKA. Natürlich ist Vorsicht nöthig und vor Allem müssen wir uns vorbereiten durch das
Gebet, damit der böse Feind keine Gewalt über Dich hat.
Es schlägt in der Ferne elf Uhr.
KATHINKA. Horch, die Dorfglocke schlägt!
KASPER. Wirklich; schon elf Uhr und die Anderen werden den Waideplatz schon lange verlassen
haben. Aber auch wir wollen aufbrechen, sonst könnte Vater und Mutter uns vermissen und
uns
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noch suchen wollen.
KATHINKA. Aber auf deinem Schimmel darf ich doch nach Hause reiten.
KASPER. Gewiß mein Augapfel, gewiß.
KATHINKA. Nun das freut mich. Ich will nun aber gleich voraus eilen und den Schimmel seiner
Fesseln frei machen. Juchhei! wie freue ich mich, daß ich auf deinem Schimmel reiten darf.
eilt ab.
KASPER. Ja, ja, wirklich ein nettes Mädchen meine Kathinka, und so lieb und brav. O wie würde
es mich freuen, wenn die gute Hexe uns glücklich machen würde, wenn
[39]
Sie es möglich machen könnte, daß ich bald mit meiner Kathinka vereinigt werde. Das wäre
mein größtes Glück, daß ich mir allein auf der Welt wünsche und was wollte ich noch mehr?
Ich bin zufrieden mit dem, was ich habe, und habe keinen Wunsch noch Verlangen nach etwas
Anderem; wüßte überhaupt nicht, was ich wünschen sollte. Höchstens einen blanken Silberrubel, den ich meiner Kathinka als Brautschatz verehren könnte. Aber jetzt will ich eilen, damit
das gute Kind nicht zu lange warten muß.
Er eilt KATHINKA nach.
Der Vorhang fallt.
Katharina II.
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III. AKT.
[40]
Dekoration wie im Vorigen.
Auftritt KATHARINA als Venus. [/] DASCHKOFF als Minerva [/] SALTIKOFF als Juno. [/]
ALLE ohne Puder.
KATHARINA. Halt meine schönen Freundinen, wir sind am Ziele; nun nehme ich das Gebot des
Schweigens zurück und will euch nun den Grund sagen, warum ich Euch in dieser Verkleidung
hieher gelockt habe. Wir stellen die drei Schönen vor und fand vorgestern Abend für den
neuen Paris, einen Hirten, welcher weder mich noch mein Bildniß gesehen hat, und habe die
Absicht, heute noch den Schiedsspruch auf dem Berge Ida zu wie[41]
derholen. Wenn ich auch alles daß, was mir über meine Schönheit gesagt wird, für höfische
Schmeicheleien nehme, so habe ich dagegen keine Ursache in die allgemeine Stimme Zweifel
zu setzen welche meine Freundinnen Daschkoff und Saltikoff nach mir – als die schönsten
Frauen Rußlands bezeichnet, und darf nur daher keinen so leichten Sieg versprechen, sondern
muß in Ihnen, meine Damen, ebenbürtige und gefährliche Rivalinnen begrüßen. Der Kampf
um den Preis der Schönheit ist somit ein ernster und sein Ausgang ein sehr zweifelhafter.
DASCHKOFF. Meine liebe Freundin Katharina, warum immer diese Zweifel? Ich
[42]
sage es fest und bestimmt, „Du“ gehst als Siegerin hervor.
SALTIKOFF. Ich zweifle nicht im Geringsten, daß sich auch der Unwissenste und Unbekannteste,
ohne Bedenken zu der Aeußerung hinreißen wird, daß Du, nur Du die schönste Frau in Rußland bist und bleibst.
KATHARINA. Ihr lieben Schmeichlerinen Ihr – – – aber stille, da naht sich der neue Paris; wir
wollen uns zurückziehen.
Verbergen sich hinter Gebüsch. [/] KASPER kommt und setzt sich.
[KASPER.] So, da ist derselbe Platz, wo ich mit der Hexe sprach und diese versprach, wieder zu
kommen. Gestern war
[43]
ich hier und wartete vergebens, und wie oft werde ich noch kommen müssen?
Von Aussen. Kasper!
KASPER sich umsehend. Wer ruft mich?
Von Aussen. Kasparellowitsch!
KASPER. Alle guten Geister – – –
Von Außen. Nikolaus Kasparellowitsch!
KASPER steht auf. Wer Ihr auch seid, kommt heraus in Gottes Namen, ich fürchte Euch nicht!
Katharina II.
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Von Außen lautes Lachen.
KASPER. Nun, wenn Ihr Euch nicht zeigen
[44]
wollt, dann habt Ihr wohl alle Ursache, euch zu verstecken, ihr alten Hexen.
Lachen von Außen.
KASPER zornig. Ja Hexen, alte Hexen seid Ihr, alte verschrumpfte Weiber mit Katzenbuckel,
zahnlosem Munde und Triefaugen, so rechte alte, uralte Hexen, tausend Jahre alt.
Von Außen. Zweitausend!
KASPER immer zorniger. Was Zweitausend? Zehntausend!
Von Außen spottent. Ja Zehntausend!
KASPER wild. Freilich Zehntausend! Drum kommts daher mit einem Krücken und Stelzen, ihr
alten, zahnlosen Menschenquäler.
[45]
Von Außen herrliches Lachen, dann tretten alle Drei hervor.
KATHARINA. Da sind wir, Nikolaus!
DASCHKOFF. Wir alten Hexen.
SALTIKOFF lachend. Zehntausend Jahre alt!
KATHARINA. Alt, verschrumpft, mit unsern Katzenbuckeln.
Sie tanzen um Ihn herum.
KASPER schreit. Bleibt mir vom Leibe! Ich bin ein guter Christ, ich will nichts von Euch!
Alle lachen.
KATHARINA. Erkennst Du mich denn nicht?
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KASPER. Ja ich erkenne Dich, du bist die Zauberin von vorgestern Abend.
KATHARINA. Ich versprach Dir, jung zu erscheinen; gefalle ich Dir so besser?
KASPER. So gefallst mir freilich besser, Du hast Dich schön gemacht, schöner noch als meine
Kathinka; aber deshalb bist Du doch eine alte Hexe! Und wer sind denn deine Begleiterinen?
KATHARINA. Es sind gute Zauberinen, so wie ich!
KASPER. Und was begehrt Ihr von mir?
KATHARINA. Das sollst Du sogleich erfahren. Vor Allem sage mir aber, wie Dir mei[47]
ne Begleiterinen gefallen?
KASPER. Nun Ihr seid Alle schön, da ist nichts zu sagen.
Katharina II.
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KATHARINA. Welche würdest Du aber nehmen, wenn Du zwischen uns Dreien die Wahl hättest?
KASPER. Das wäre schwer zu sagen; ich würde am liebsten alle Drei nehmen!
Alle lachen.
KASPER. Ihr seid Alle schön, die da /zeigt auf SALTIKOFF/ die ist so wie ein rechtes Mordsweib
und wäre gar tüchtig ins Haus und zur Arbeit. /Auf DASCHKOFF/ Die dafür, daß ist so ein
liebes Schneckchen, ein rechtes
[48]
Kätzchen; Die kann gewiß recht schön thun und herzen; und die da /deutet auf KATHARINA/
Die hat eine so stolze Figur und ein feines Gesicht und muthige Augen und ist so hübsch
und – –
/ALLE lachen/
aber was habt Ihr da zu lachen?
KATHARINA. Nun höre, um was es sicht handelt! Zwischen uns ist ein Streit entstanden, welche
wohl die Schönste sei, und wir haben Dich erwählt, in Demselben zu entscheiden, weil wir
Dich für einen ehrlichen und klugen Burschen halten, und Du sollst ohne Furcht ganz nach
Deinem Herzen den Schiedsspruch sprechen.
KASPER. Das wollte ich schon! Aber versichert
[49]
mich Dessen, daß, wenn ich sage: „Diese ist die Allerschönste unter Euch,“ mich die zwei
Andern dann nicht mit Ihrem Hasse verfolgen?
KATHARINA. Wir schwören es Dir, daß wir Dich nicht hassen noch verfolgen, sondern beschützen wollen, alle Drei, Du magst entscheiden wie Du willst!
KASPER. Nun so schwört!
ALLE DREI. Wir schwören bei Gott dem Allmächtigen!
KASPER. So ist es Recht!
KATHARINA. Wir sind alle Drei mächtig und welcher Du auch den Preis ertheilst, eine Jede ist
im Stande, dein Glück
[50]
zu begründen.
SALTIKOFF. Du sollst belohnt werden!
DASCHKOFF. Kaiserlich sogar!
KASPER. Werdet Ihr mir Geld geben?
ALLE. Ja!
KASPER. Wollt Ihr mir einen Schatz zeigen, und auch heben helfen?
ALLE. Jawohl, einen Schatz!
KASPER. Gut; also was soll ich thun?
Katharina II.
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KATHARINA. Hier ist ein Apfel; Diesen sollst Du jener von uns Dreien geben, welche Du für die
Schönste ansiehst!
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KASPER schaut alle Drei prüfend an und spricht zu KATHARINA:
[KASPER.] Du bist die Schönste, behalte nur den Apfel, ich lasse ihn Dir!
DASCHKOFF und SALTIKOFF. Bravo! Das hast Du klug gemacht, kluger Schäfer!
KASPER schaut erstaunt und lacht gewaltig.
KATHARINA. Weshalb lachst Du so?
SALTIKOFF. Was macht Dich denn so lustig?
DASCHKOFF. Bist Du denn von Sinnen?
KASPER lachend. Ich lache nur, aber es ist auch zu spaßig, daß Ihr Zwei so zufrieden seid mit
meinem Schiedsspruch, statt das Maul zu verziehen. Ich
[52]
dachte, die Beiden, welche den Apfel nicht bekommen, werden vor Zorn bersten und Ihr, ihr
freut euch noch! Hahaha! /lacht derb./
KATHARINA. Nun das ist köstlich!
KASPER. Nun, was bekomme ich also jetzt von Euch für einen Lohn? Ich habe das Meinige mit
bestem Wissen und Willen gethan; thut Ihr nun auch das Eure. Also wo ist der Schatz?
KATHARINA. Du sollst Ihn haben, aber das geht nicht so schnell! Zuerst mußt Du drei Tage und
drei Nächte fasten, auch beten, und dann will ich Dich unterweisen, wie Du den Schatz heben
kannst.
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KASPER. Nichts da! zuerst war vom Fasten und Beten keine Rede! Ich will meinen Schatz auf
der Stelle!
DASCHKOFF. Aber das geht nicht so ohne Weiteres!
KASPER. Das wäre gut, seid mir schöne Zauberinen, wenn Ihr nicht Alles zu Gelde machen
könnt, allenfalls so, daß ihr die Blätter von den Bäumen da berührt mit eurem Stäbchen, und
es werden lauter Rubel daraus.
SALTIKOFF. Was verstehst Du von unsern Zaubereien? Fasse Dich in Gedult.
KASPER bös. Ich will nicht Gedult haben; ich sehe, ihr treibt nur Scherz mit mir.
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KATHARINA. Beruhige Dich, wir geben Dir Geld was wir bei uns haben, und in drei Tagen sollst
Du den Schatz heben.
KASPER. Daß läßt sich hören!
DASCHKOFF. Ich habe meine Börse nicht bei mir!
SALTIKOFF. Ich vermisse die Meine gleichfalls!
KATHARINA. Und ich merke nichts von der Meinen! Du mußt Dich schon gedulten!
Katharina II.
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KASPER zornig. Aha! Ihr habt kein Geld, ihr habt nur einen Spaß mit mir gehabt? Wartet ihr
Weibsbilder,
[55]
ich will Euch schön den Pelz klopfen!
Er will auf Sie los.
KATHARINA zornig. Zurück, oder ich vernichte dich!
KASPER fällt auf die Knie. Oh thue nur das nicht, ich bitte Dich!
KATHARINA freundlich. Stehe auf, und merke: „Was ich verspreche, halte ich!“ Ist Dir mein Wort
genug?
KASPER stotternt. Ja, ja; schon – wenn – ich – ich habe es ja nicht so gemeint!
Er steht auf.
DASCHKOFF. So laß uns jetzt unseres Weges gehen!
KASPER. Wenn Ihr mir schon kein Geld oder Silber geben wollt, so müßt
[56]
Ihr mir doch jede mindestens einen Kuß geben.
Alle lachen und sprechen:
[ALLE.] „Was Dir doch nicht einfällt.“ Adjo, auf Wiedersehen!
Sie eilen schnell ab.
KASPER verdutzt. Wart, ich erwische Euch schon, ihr alten, schönen Hexen; fürchten werde ich
euch nicht mehr und den wohlverdienten Kuß müßt Ihr mir schon noch geben! Auf, Ihnen
nach.
Eilt Ihnen nach.
STIMME von Außen. Halt Schurke!
KASPER von Außen. Laßt mich los! Was habe ich denn gethan? Ein Kuß ist doch kein Verbrechen!
[57]
STIMME von Außen. Dieser Kuß aber ist ein Verbrechen, und dazu ein Majestätsverbrechen!
Der Vorhang fallt.
Katharina II.
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IV. AKT.
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Prunksaal mit Thronsessel, auf welchem KATHARINA sitzt, umgeben von DASCHKOFF und
SALTIKOFF, mit der Krone auf dem Haupte und dem Hermelin um die Schultern.
Nachdem der Vorhang gehoben tritt ORLOFF auf.
ORLOFF. Meine Kaiserin, was soll den mit dem Leibeignen geschehen, welcher ein so beispielloses, freches Attentat auf seine Herrin und Monarchin verübt hat?
KATHATINA. Attentat? Sie meinen doch nicht den einfältigen Burschen, der mir, ohne mich zu
kennen, einen Kuß gab, oder vielmehr ge[59]
raubt hat? Wenn an diesem Vorfall nach Ihrer Ansicht etwas Strafbares ist, so bin ich allein die
Schuldige, denn ich habe den jungen Menschen in Versuchung geführt.
ORLOFF bebend. Wie? Ew. Majestät haben – – –
KATHARINA schnell. Was ist mit dem Menschen geschehen?
ORLOFF. Er ist im Kerker!
KATHARINA. Gut, ich habe es gewußt und das Weitere schon verfügt. Rede meine Freundin,
was hast Du erlebt im Kerker?
DASCHKOFF. Ich hatte eine schwarze Larve vor das Gesicht genommen und trat
[60]
in den Kerker mit den Worten: „Nikolaus wie befindest Du Dich?“ Er antwortete: „Wie soll
ich mich befinden?“ Du hast jetzt leicht meiner spotten, verrätherrisches Frauenzimmer! Aber
ist das Recht, mich vorher zu bitten, daß ich einer von Euch Dreien, welche ich für die
Schönste halte, den Apfel gebe, und nachdem ich nach meinem Gewissen entscheide, Rache
nehmen? Ich habe es Euch angesehen, daß ihr alle Drei den Apfel möchtet, und wären deren
Dreie da gewesen, so hätte eine Jede ihr Obst bekommen, aber so war es nicht möglich.“ Ich
mußte lachen, aber da wurde Er bös. Wenn ich Dich unter meine Hände bekäme, böse Hexe,
schrie der Hirte, dann würdest du
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bei Gott nicht lachen; und wenn Er nicht gefesselt wäre, so hätte Er sich wahrlich an mir vergriffen. Ich sagte Ihm, Alles dies sei nur eine Prüfung und sein Unglück würde nun bald zu
Ende sein, und sein Glück anfangen; er aber erwiederte: „Ich glaube euch nichts mehr, treibt
eure Späße mit einem Andern.“ Ich ließ ihm von zwei Begleitern die Augen verbinden, die
Fesseln abnehmen und bis vor diesen Saal führen, und Er wird draußen harren auf das Weitere.
KATHARINA lacht. Gut, wir wollen den Burschen der Angst berauben, und ihn zum Dank glücklich machen, wie wir Ihm versprochen haben;
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auch seine Geliebte habe ich daher bestellt. Orloff, laßet zuerst Dieselbe eintretten!
ORLOFF. Zu Befehl Majestät!
Katharina II.
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Er geht ab.
KATHARINA lachend. Der Orloff ist anders in innerlicher Wuth verzerrt ob dieser unserer Belustigung; ich kenne es Ihm gut an. Eine Zornesfalte lag einen Augenblick auf seiner, sonst stets
geglätteten Stirn.
SALTIKOFF. Majestät, da kommt Orloff mit dem Mädchen!
Aufrtritt Dieselben.
KATHINKA kniet. Gnade Mütterchen, Gnade für meinen lieben Nikolaus!
KATHARINA. Sei ruhig Kind, es geschieht Ihm nichts. Heute will ich Euch glücklich machen.
Stehe auf und begebe Dich dorthin zum Grafen Orloff und warte hier das Weitere ab. – Nun
Orloff, laßt jetzt den Menschen eintretten!
ORLOFF ruft hinaus. Nikolaus, daherein!
Auftritt KASPER sich verwundert umschauend.
Ah, da ist’s schön! /sieht die Zarin/ Ha da bist du ja /tritt näher/ alte, wortbrüchische, verrätherische Hexe, sind da sind ja auch deine Genossinen!
KATHINKA leise. Nikolaus, bist Du denn von Sinnen? Das ist ja unser Mütterchen,
[63]
die Zarewna!
KASPER. Was hast Du? bist Du auch eine Hexe?
KATHINKA leise. Du machst uns unglücklich!
KASPER. Ach sie sollen mich nur gleich in einen Esel oder Hund verwandeln; ich sage es doch
heraus, diese da, diese Drei sind zu mir gekommen, Nachts, und haben mich bethört!
KATHARINA lachend. Genug des Scherzes und der Täuschung, Wir sind weder böse noch gute
Zauberinen mein Freund, aber immerhin mächtig genug, Dein Glück zu begründen. Du bist
hier in Zarskojezelo2[?] und ich bin deine Kaiserin, die Zarin Katharina II.
[64]
KATHINKA leise. Auf die Knie, vorwärts! /stoß ihn nieder/
KASPER kniet /weinerlich/. Gnade! Gnade!
KATHARINA. Stehe auf! /Er steht auf/ Ich habe Dir Glück und Reichtum verheißen und Du
kannst nun selbst urtheilen, ob ich Wort halte. In meiner Kanzlei liegt dein Freibrief, sowie
jener deines Mädchens.
BEIDE. O tausend Dank Mütterchen!
KATHARINA. Dies ist nur der Anfang. Nun Du ein freier Mann bist, erhebe ich Dich in den
Adelstand mit dem Namen, „Paris von Idanow“; da Du ein neuer Paris
Zarskoje Selo /Царское Село, das „Zarendorf“, rund 25 km südlich von Sankt Petersburg, Residenz
von Katharina II.
2
Katharina II.
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auf einem neuen Ida, den Schiedsspruch gesprochen und den Preis der Schönheit zuerkannt
hast. Ich schenke Dir und deinen Nachkommen das Dorf Zolotagara was soviel heißt, als goldener Berg. Dies ist der Schatz, den ich Dir versprach. Ueberdieß werde ich Kathinka auf
meine Kosten aussteuern, und Sie soll auch die Schule von Bildung bei mir durchmachen und
die Schuba3[?] von Zobelpelz erhalten, die Du Ihr gewünscht hast. Bis zu Eurer Hochzeit
müßt Ihr in meinem Palaste wohnen! – Nun freut Euch mit den Fröhlichen; und wenn Ihr
eurer Freude Ausdruck gegeben habt, so erwarte ich Euch in meinem Kabinet.
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Auf Wiedersehen, unterdessen! Folgt mir meine Freundinnen!
geht mit diesen ab.
ORLOFF. Also sputet Euch und laßt Ihre Majestät nicht zu lange warten auf euer Erscheinen.
geht ab. [/] BEIDE umarmen sich.
NIKOLAUS [KASPER] KATHINKA zugleich
KATHINKA[recte: KASPER]. Gelt meine liebe Kathinka, daß Glück hätten wir uns nicht träumen
lassen?
KATHINKA. Nun Gott sei Dank haben wir es hier nur diesmal mit Menschen zu thun gehabt,
aber
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nicht mit Hexen oder Zauberinen; dann wäre wohl die Geschichte anders ausgefallen. Nun
Gott sei Dank, daß wir frei und glücklich sind!
KASPER. Aber was wir jetzt für vornehme Leute worden sind? Nicht mehr Leibeigene, nein,
Freie sind wir und dazu noch vom Adel, und bald werden wir heißen: „Von“ und „Zu“, „gnädiger Herr“ und „gnädige Frau.“
KATHINKA. Und du besonders, anstatt Kasper oder Nikolaus „Paris von Idanow!“
KASPER. Das verdanke ich nächst Gott meinen guten Eltern, die mir gelehrt
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haben, nur Gott zu fürchten, an keine Hexen und solche Sachen zu glauben, vielweniger noch
vor solchen fürchten. Drum geht jetzt an uns das Gebot Gottes in Erfüllung: „Ehre Vater und
Mutter, auf daß es Dir wohlergehe auf Erden!“
KATHINKA. Amen!
BEIDE tanzen ab.
ENDE.
3
Schuba: russ. Pelzmantel