Kommentar - Perspectivia.net

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Lelewel­Gespräche 8/2012
Gerhard Hirschfeld
Kommentar
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Die Kollaboration, also die Zusammenarbeit der einheimischen Bevölkerung mit dem Feind, ist so alt wie der Krieg und die Besetzung fremder Gebiete. Wann und wo auch immer eine Armee ein gegnerisches Land eroberte, existierten Formen einer Zusammenarbeit und ein gewisses Maß an Fraternisierung zwischen der unterworfenen Bevölkerung und der Besatzungsmacht. In einem Statut König Edwards III. (erlassen auf Bitten seiner Lords) aus dem Jahr 1351 wird der Verrat am König als eine Form der Kollaboration mit dem Feind bestimmt: "If a man do levy war against our Lord the King in his realm or be adherent to the King's enemies in his realm giving them aid and comfort in the realm or elsewhere" war der Betreffende des Verrats schuldig. Es war, keineswegs zufällig, eben jenes mittelalterliche Gesetz, das nahezu 500 Jahre später Sir Hartley Shawcross, Anwalt seiner britischen Majestät, als Grundlage für dessen Anklage gegen William Joyce diente, den berüchtigten Nazi­
Kollaborateur und Radio­Propagandisten ("Lord Haw­Haw") des Großdeutschen Reiches. 1
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Die französische Revolution und die Verkündung des Prinzips der Volkssouveränität durchsetzten die tradierten Begriffe von Loyalität und Gehorsam mit neuen Inhalten. "La trahison, c'est une question du temps" (Der Verrat ist eine Frage der Umstände), bemerkte dazu der Meister des politischen Pragmatismus, Charles­Maurice de Talleyrand. Mit dem Aufkommen des Nationalismus im 19. Jahrhundert veränderten sich erneut die Bedeutungen von Loyalität / Illoyalität, Treue / Untreue, Gehorsam / Verrat, nunmehr in ihren jeweiligen nationalen Kontexten. Landesverrat war damals keineswegs verwerflicher als die Absicht oder der Versuch, ein politisches Regime zu stürzen.2
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Der Begriff der Kollaboration in seiner heutigen Bedeutung ist wesentlichen jüngeren Datums: er entstand vor nunmehr 72 Jahren, im Herbst 1940, und zwar als Ergebnis der Waffenstillstandsverhandlungen zwischen dem besiegten Frankreich und Nazi­Deutschland. Am 24. Oktober 1940 war der französische Ministerpräsident Marschall Pétain mit dem Führer des Deutschen 1
Treason Act 1351, zit. nach Rebecca West: The meaning of treason, London 1982, 17.
Vgl. Margret Boveri: Der Verrat im XX. Jahrhundert. Für und gegen die Nation – Das sichtbare Geschehen, Hamburg 1956, 15­18. Hierzu und zum Folgenden auch Gerhard Hirschfeld: Kollaboration in Frankreich – Einführung, in: Gerhard Hirschfeld / Patrick Marsh (Hg.) Kollaboration in Frankreich. Politik, Wirtschaft und Kultur während der nationalsozialistischen Besatzung 1940­1944, Frankfurt 1991, 7­22.
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Reiches Adolf Hitler in Montoire­sur­le­Loir (Arrondissement Vendome) zusammengetroffen. Wenige Tage später, am 30. Oktober, erklärte Pétain über den französischen Rundfunk, dass er "in Ehren und zur Aufrechterhaltung der Einheit Frankreichs, einer in zehn Jahrhunderten gewachsenen Einheit, im Rahmen einer konstruktiven Rolle in der neuen politischen Ordnung Europas den Weg der Kollaboration einschlagen" werde.3 Kollaboration schien damit festgelegt als eine politische Übereinkunft zwischen zwei Nationen – der siegreichen, die ein fremdes Land erobert und besetzt hält, und der besiegten, welche ein Höchstmaß an Unabhängigkeit und Selbständigkeit zu erhalten sucht. Diese enge Definition schloss zunächst alle anderen Formen einer Zusammenarbeit aus und überließ sie damit einer moralischen Beurteilung bzw. ­ in der Regel ­ Verurteilung. Mit der Verwendung des Wortes "Kollaboration" als ideologischem Kampfbegriff in der politischen Alltagssprache geriet der Begriff erst recht ins semantische Abseits. Er diente jetzt nur noch dazu, den jeweiligen Gegner bloßzustellen oder ihn zu diskreditieren. Wie später beim "Faschismusverdacht" verstellte auch hier die Deduktion des Begriffs den Weg zu einer rationalen Auseinandersetzung mit dem historischen Tatbestand.
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Deshalb also hier noch einmal eine kurze begriffliche Klärung: Kollaboration – die Zusammenarbeit von Teilen der Bevölkerung eines besetzten Landes oder einzelner Gruppen und Individuen mit dem Feind respektive der Besatzungsmacht – ist ein komplexes historisches Phänomen. Kollaboration artikuliert sich politisch (seltener auch ideologisch) und militärisch ebenso wie wirtschaftlich und kulturell, aber sie ist auch eine gesellschaftliche, mitunter sogar sehr private Angelegenheit. Als solche umfasst sie nicht nur das keineswegs geringe Ausmaß sexueller Beziehungen zwischen Angehörigen, vorzugsweise also Soldaten, der Besatzungsmacht und einheimischen Frauen, sondern kann selbst Formen einer naiven Bewunderung des Feindes (etwa über den von diesem errungenen militärischen Sieg oder dessen Personal) einschließen. Die Übergänge zu analogen oder verwandten historischen Verhaltensweisen und Begriffen (Illoyalität, Untreue, Landesverrat, "Fünfte Kolonne") sind fließend und allein von den divergierenden Motiven respektive von deren Bewertungen abhängig. 4
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Grundsätzlich bleibt festzuhalten, dass Kollaboration stets abhängig ist von der konkreten Besatzungspolitik und ihrem Verlauf. Allerdings wäre es falsch, nur von einem schlichten Aktions­
Reaktions­Modell auszugehen, dazu sind die Variablen im Verhalten der Menschen insgesamt zu vielschichtig: historische Feindbilder bestimmen die Einstellung der Menschen ebenso wie das Text der Ansprache zit. nach Jean­Pierre Azéma: La Collaboration 1940­1944, Paris 1975, 86­88; zur Bedeutung von Montoire vgl. Marc Olivier Baruch: Das Vichy­Regime. Frankreich 1940­1944, Stuttgart 1999, 75ff.
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Vgl. hierzu Gerhard Hirschfeld: Collaboration, in: I.C.B. Dear / M.R.D. Foot (Hg.): The Oxford Companion to World War II, Oxford 2001, 191ff. sowie die Einleitung zu meinem Buch Fremdherrschaft und Kollaboration. Die Niederlande unter deutscher Besatzung, Stuttgart 1984, 7ff.
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Vorhandensein stabiler sozialer und politischer Strukturen, die zahlenmäßige Stärke der mit den Invasoren ideologisch verwandter Gruppen oder das Verhalten der Besatzungsmacht gegenüber der Zivilbevölkerung.5 Insgesamt aber gilt: Chancen und Ausmaß ebenso wie Grenzen einer Kollaboration orientieren sich an den jeweiligen Interessen der Besatzungsmacht.
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Während des Zweiten Weltkriegs entwickelten die Menschen in den von der deutschen Wehrmacht besetzten, höchst unterschiedlich regierten und verwalteten Ländern zunächst ihre ganz eigenen kollaborativen Verhaltensweisen, wobei die Unterschiede zwischen Ost­ bzw. Ostmitteleuropa und West­ und Nordeuropa erheblicher Natur waren. Manche Länder nahmen eine akzeptierte Sonderstellung ein (etwa Vichy­Frankreich, aber auch die besetzten Niederlande oder Norwegen), anderen billigten die Deutschen die Möglichkeit der Kollaboration nur in sehr eingeschränkter Weise zu (beispielsweise in Polen, der Ukraine und Weißrussland auf der unteren Verwaltungsebene, etwa als Kooperation zwischen den Kommandanturen der Wehrmacht und den einheimischen Bürgermeistern respektive den Dorfschulzen).6
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Darüber hinaus jedoch lassen sich auch Reaktionen der Bevölkerungen feststellen, die über den nationalen Einzelfall weit hinausgehen. So wuchs unter dem Eindruck der deutschen militärischen Anfangserfolge in den meisten europäischen Ländern nach einer kurzen Phase des Abwartens und Auf­Zeit­Spielens – die Franzosen nannten diese Haltung später "attentisme": die Strategie des Abwartens – sehr rasch die Bereitschaft, sich mit den Siegern auf der Basis des Status quo zu arrangieren. Man gab den Deutschen nach, wo immer dies notwendig schien und suchte so viel wie möglich an nationaler Eigenständigkeit zu bewahren. Belgische Beamte erfanden hierfür den Begriff "la politique du moindre mal" (die Politik des kleineren Übels). Der französische Schriftsteller André Gide notierte Anfang September 1940 in sein Tagebuch: "Sich mit dem Feind von gestern zu vertragen ist nicht Feigheit, sondern Klugheit; auch, das Unvermeidliche anzunehmen." 7 Nach der fehlgeschlagenen Invasion Englands und mehr noch nach dem Scheitern des Vormarsches der Wehrmacht im Osten begann sich der politische Sog der Blitzkriegsphase (1939­1941) allmählich zu verflüchtigen. Die Praxis der deutschen Besatzungspolitik tat ein Übriges. Statt des von den meisten Vgl. Gerhard Hirschfeld: Formen nationalsozialistischer Besatzungspolitik im Zweiten Weltkrieg, in: Joachim Tauber (Hg.): „Kollaboration“ in Nordosteuropa. Erscheinungsformen und Deutungen im 20. Jahrhundert, Wiesbaden 2006, 40­55, sowie Hagen Fleischer: Nationalsozialistische Besatzungsherrschaft im Vergleich. Versuch einer Synopse, in: Wolfgang Benz u.a. (Hg.): Anpassung, Kollaboration, Widerstand, Berlin 1996, 257­
302.
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Hierzu die Übersichtsdarstellung in Gerhard Hirschfeld: Zwischen Kollaboration und Widerstand – Europa unter deutscher Besatzung, in: Brockhaus. Die Weltgeschichte, Bd. 5: (Aufbruch der Massen – Schrecken der Kriege 1850­1945, Leipzig/Mannheim 1999, 634­643. 6
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André Gide: Tagebuch 1939­1949, Stuttgart 1967, 61.
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Menschen erwarteten einvernehmlichen Miteinanders dominierten Verordnungen und Forderungen, die eine zunehmende Abhängigkeit von Deutschland implizierten. Immer deutlicher wurde auch, dass politische Anpassung schlicht Unterwerfung und Zusammenarbeit lediglich Indienstnahme durch die Besatzungsmacht bedeuteten.
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Das mussten selbst jene politischen Kollaborateure erfahren, die aus höchst unterschiedlichen Motiven heraus eine zeitweise oder auf Dauer angelegte Zusammenarbeit mit dem NS­Regime respektive mit dessen Stellvertreter vor Ort anstrebten. In kaum einer anderen sozialen Gruppierung wird die Bandbreite kollaborierenden Verhaltens deutlicher, nirgends zeigt sich eindrucksvoller, dass Chancen wie Grenzen der Kollaboration stets an die handfesten Interessen der Besatzungsmacht gekoppelt waren. Sofern die Besatzungsmacht politische Zugeständnisse machte, so waren diese meist zeitlich begrenzt und stellten nur selten eine grundsätzliche Änderung der deutschen Politik dar. Rechts­nationalistische und faschistische Bewegungen und deren Führer wurden von Hitler und seinen Satrapen in den besetzten Ländern ausnahmslos als Werkzeuge (wir können auch sagen: als nützliche Idioten) angesehen, mit deren Hilfe die Indienststellung der jeweiligen wirtschaftlichen und administrativen Ressourcen für die Besatzungsmacht zu organisieren waren.
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Ungeachtet der offenkundigen Instrumentalisierung der Besatzungsverhältnisse seitens der deutschen Machthaber entwickelten sich in nahezu allen besetzten Territorien Formen einer mehr oder weniger engen Kollaboration mit den Besatzern, die sich wiederum aus sehr unterschiedlichen Motiven speisten. Sofern überhaupt politische oder gar ideologische Beweggründe dabei im Spiel waren, so scheinen diese eher nachgeordnet gewesen zu sein. Entscheidend waren vielmehr pragmatische Überlegungen, die sich wiederum aus der Schnittmenge der Interessen zwischen Besatzer und Besetzten ergaben. Kennzeichnend für diese eher pragmatische Art der Kollaboration war eine durchgehende Ambivalenz der Argumente wie der Handlungsweisen. Dies gilt insbesondere für die Zusammenarbeit zwischen der deutschen Kriegswirtschaft und den meisten privaten wie auch staatlichen Unternehmen in den besetzten Ländern, insbesondere in West­ und Nordeuropa. Für die zeitweise in erheblichem Umfang praktizierte ökonomische Kollaboration mit Deutschland sprachen sowohl unternehmerische als auch volkswirtschaftliche Gründe. Eine Schließung von Fabriken und ein Stopp der Produktion hätten zwangsläufig zum Abtransport von Maschinen, Gütern und noch vorhandenen Rohstoffen geführt. Die dann nicht weiterbeschäftigten Arbeiter mussten damit rechnen, zum Arbeitseinsatz nach Deutschland geschickt zu werden. 8 Eine ähnliche Ambivalenz kennzeichnete aber auch das Verhalten der öffentlichen Verwaltungen (etwa das der meisten Bürgermeister) sowie Hierzu und zum Folgenden vgl. Hirschfeld: Fremdherrschaft und Kollaboration, 200f; vgl. auch Dietrich Eichholtz (Hg.): Krieg und Wirtschaft. Studien zur deutschen Wirtschaftsgeschichte 1939–1945, Berlin 1999.
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der Polizei, soweit diese als ausführendes Organe der einheimischen Behörden und zuvorderst als Exekutivorgan der Besatzungsmacht tätig war: Die Aufrechterhaltung von (natürlich relativer) Ruhe und Ordnung sowie der Dienstleistungen und der allgemeinen Versorgung war eben – so lautete die ständige Argumentation – nur zum Preis einer einvernehmlichen Zusammenarbeit mit der Okkupationsmacht möglich. Dass hierbei auch die reine Existenz und das Auskommen sichernde (Verwaltungen, Polizei) bzw. kapital­ und profitorientierte (Wirtschaft) Überlegungen eine Rolle spielten, erscheint evident, sollte aber durch eingehende Forschungen noch erhärtet werden.
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Soweit diese allgemeinen Feststellungen, die gleichsam den Rahmen setzen für die folgenden Anmerkungen zu den interessanten Ausführungen von Ryszard Kaczmarek und Rafał Wnuk. Es ist unschwer zu übersehen, dass ich durchgehend den Begriff Kollaboration verwende. Dass dieser Begriff eher diffus und "unscharf" ist (wie Wnuk dies für die polnische Sprache zu Recht betont) ist mir nur zu bewusst, dennoch gibt es angesichts seiner weltweiten Verwendung in der Wissenschaft wie in der Alltagssprache derzeit keine sinnvolle Alternative. Das in einigen romanischen Sprachen (frz., span., ital.) existierende Suffix –ism oder ­ismo zur Kennzeichnung einer extremen Variante der Kollaboration halte ich für wenig zielführend. Soweit ich sehe, hat sich diese semantische Differenzierung in der internationalen historischen Betrachtung kaum durchsetzen können (lediglich einige Politikwissenschaftler haben diese übernommen). Stanley Hoffmanns Unterteilung beispielsweise in einen Kollaborationismus als ideologische bzw. politische Identifizierung mit dem NS­Regime sowie die Kollaboration als "begrenzte Förderung von Kriegszielen des Dritten Reiches vom Standpunkt der eigenen Staatsräson aus" (so Wacław Długoborski) erscheint mir viel zu eng, da sie in erster Linie nur nach politischen Beweggründen und Motiven fragt.9 Sie schließt insbesondere jene Verhaltensweisen aus, die ich als pragmatisch­existentiell motivierte Entscheidungen skizziert habe (Wirtschaft, Verwaltung, Polizei), ungeachtet der Tatsache, dass hierbei zugleich den veritablen Interessen der Besatzungsmacht zugearbeitet wurde.
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Dagegen plädiere ich für eine funktionale Betrachtung des Phänomens der Kollaboration in all ihren Facetten unter dem Blickpunkt der Stabilisierung respektive Destabilisierung von Herrschaft und deren Zielsetzungen. Dies setzt zugleich die notwendige Beschäftigung mit den unterschiedlichen Besatzungs­ und Verwaltungsformen voraus (Czesław Madajczyk beispielsweise definierte "sechs Typen der nazistischen Okkupation"10), sowie mit deren Repräsentanten und Exekutoren und ihrem Stanley Hoffmann: Decline or Renewal? France since the 1930s, New York 1974, 26­39, sowie Wacław Długoborski: Einleitung. Faschismus, Besatzung und sozialer Wandel. Fragestellung und Typologie, in: ders. (Hg.): Zweiter Weltkrieg und sozialer Wandel. Achsenmächte und besetzte Länder, Göttingen 1981, 11­61.
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Czesław Madajczyk: Die Besatzungssysteme der Achsenmächte. Versuch einer komperativen Analyse, in: Studia Historiae Oeconomicae 14 (1980), 105­122, sowie Hirschfeld (wie Anm. 5).
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jeweiligen Handeln. Hier stimme ich ausdrücklich Rafał Wnuk zu, der für eine "am Schlüssel der Gebietsaufteilung" orientierte Betrachtung plädiert. In den vom Deutschen Reich annektierten Gebieten führte es dazu, dass den Schlesiern, Kaschuben und Masuren von deutscher Seite sozusagen ein "positives" Angebot (Wnuk) zur Kollaboration gemacht wurde, während die dort ansässigen Juden und Polen per se hiervon ausgeschlossen waren und gleichsam als nutzlose Existenzen betrachtet wurden, mit denen man ganz nach Belieben verfahren konnte. Im kolonialen Sklavenstaat des Generalgouvernements kam es nur zu einigen regionalen bzw. lokalen Initiativen einer politischen Kollaboration, wobei wir die immer wieder angeführten Fälle (hierzu gehört auch das seinerzeit "neu entdeckte" sog. "Goralenvolk" südlich von Krakau) nicht überstrapazieren sollten. Aber auch hier erweist sich erneut die stets von der Besatzungsmacht definierte politische Bewegungsfreiheit als die entscheidende Voraussetzung für jegliche Betätigung.
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Aus diesem Grund ist die Ryszard Kaczmarek (wohl mehr rhetorisch) gestellte Frage, ob es eine polnische "collaboration d' état" gegeben habe, eindeutig zu verneinen. Polnische Angebote zu einer "staatspolitischen Kollaboration" kamen nur von wenigen Einzelpersonen und Intellektuellen, darunter befanden sich die üblichen Verdächtigen wie der Publizist Władysław Studnicki, der ehemalige Ministerpräsident Professor Leon Kozłowski oder der Schriftsteller Józef Mackiewicz, der zeitweise mit den deutschen Besatzern in Wilna kooperierte. Wesentlich aufschlussreicher, vor allem angesichts der von den Besatzungsbehörden sukzessive verengten Betätigungsfelder, sind die unteren Verwaltungsebenen und das Genossenschaftswesen, das an manchen Orten, wie Klaus­Peter Friedrich anschaulich beschrieben hat, an die Stelle der aus dem Wirtschaftsleben ausgeschalteten jüdischen Kaufleute trat.11 Neben dem bereits vor dem Krieg beachtlichen polnischen Genossenschaftswesen (Społem ­ 1.800 Genossenschaften mit 400.000 Mitgliedern) war der nach einem Vorbild aus dem Ersten Weltkrieg gebildete Hauptfürsorgerat (Rada Główna Opiekuńcza, RGO) die bedeutendste Organisation, die im Generalgouvernement unter extrem schwierigen Bedingungen tätig war. Die Argumente, die von den Vertretern dieser Organisationen, insbesondere vom Vorsitzenden der RGO, Graf Adam Feliks Ronikiers, zur Rechtfertigung der Existenz wie der angestrebten Kooperation mit der Besatzung vorgebracht wurden, ähneln verblüffend den auch in West­ und Nordeuropa anzutreffenden, von den Bürgermeistern und leitenden Staatsbeamten vorgetragenen Rechtfertigungen für eine administrative Kollaboration zur Absicherung der allgemeinen Versorgung und der öffentlichen Dienstleistungen. Es wäre zu untersuchen, wie weit hierbei versucht wurde, an eine pragmatische Zusammenarbeit mit den Deutschen, wie sie mancherorts schon im Ersten Weltkrieg bestanden hatte, anzuknüpfen.
Zu Recht betont Kaczmarek auch die extremen Verhaltensweisen der Kollaboration, wie sie sich in der Klaus­Peter Friedrich: Zusammenarbeit und Mittäterschaft in Polen 1939­1945, in: Christoph Dieckmann u.a. (Hg.): Kooperation und Verbrechen. Formen der „Kollaboration“ im östlichen Europa 1939­1945, 113­150.
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Zusammenarbeit respektive beim Zusammenwirken mit dem nationalsozialistischen Terror­ und Vernichtungsapparat zeigten: Arbeiten innerhalb des Polizeiapparats sowie die Beteiligung an der von den Nationalsozialisten vor Ort betriebenen Vernichtung der Juden. Dazu ist in den letzten Jahren intensiv geforscht und publiziert worden, so dass ich hierauf nicht näher eingehen werde. Allerdings sei darauf verwiesen, dass eine derartige Partizipation in der Regel arbeitsteilig erfolgte. Die neueren Forschungen zur Verfolgung und Vernichtung der Juden in Westeuropa haben gezeigt, dass die Deportationen der Juden aus Frankreich und den Niederlanden ohne die logistische Hilfe und Zuarbeit der (keineswegs nationalsozialistisch gesinnten) Verwaltungen wohl kaum mit der erwiesenen Effizienz möglich gewesen wären. Ob die von Max Weber in anderem Zusammenhang konstatierte "Effizienz der Bürokratie" auch für die Umstände des Judenmords in Ost­ und Ostmitteleuropa gelten kann, bedarf der weiteren Überprüfung.
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Dass die Bereitschaft zur Kollaboration in erheblichem Maße mit der ethnischen Zugehörigkeit einerseits und andererseits dem sozioökonomischen Status der Angehörigen einer Ethnie korreliert, liegt nahe, verdient in jedem Fall eine nähere Betrachtung. Dabei ist es aufschlussreich, dass Rafał Wnuk unter Hinweis auf die sowjetische Besatzung Ostpolens auf die gesellschaftlichen Aufstiegsmöglichkeiten und den Zugewinn an kultureller Autonomie verweist, die durch Kollaboration bzw. bereits durch deren Erwartung möglich wurden. Allerdings sei hier angemerkt, dass derartige Offerten jederzeit von der Besatzungsmacht wieder kassiert werden konnten bzw. durch den Verlauf des Krieges mehr oder weniger rasch obsolet wurden. Was die Rolle der Ideologie angeht, so kam dieser in den von der Sowjetunion von 1939 bis 1941 besetzten Territorien eine ungleich stärkere Bedeutung zu als in den nationalsozialistischen Besatzungsgebieten. Von einer internationalistisch ausgerichteten, egalitären kommunistischen Weltanschauung fühlten sich auch Polen und Juden angesprochen, während die nationalsozialistisch­rassistische Exklusivität nur ausgewählten Gruppierungen eine, zudem hierarchisch­eingeschränkte, Partizipationsmöglichkeit einräumte.12
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1943 war an der Ostfront jeder dritte Uniformträger auf deutscher Seite ein Ausländer, darunter Angehörige zahlreicher ehemals sowjetischer Völkerschaften. Besonders hoch waren die Freiwilligenmeldungen aus den okkupierten Gebieten der Ukraine (nach Rolf­Dieter Müller betrug der Beitrag der Ukraine zu Hitlers Ostkrieg insgesamt etwa 2.500.000 Mann ­ eine kaum vorstellbare Größenordnung). Rafał Wnuk gibt die Zahl der ukrainischen Freiwilligenmeldungen für die Waffen­SS 1943 mit etwa 80.000 an, von denen allerdings nur jeder vierte für die neu aufgestellte 14. Waffen­
Hierzu auch Tanja Penter: Die lokale Gesellschaft im Donbass unter deutscher Okkupation 1941­1943, in: Dieckmann (Hg.): Kooperation und Verbrechen (wie Anm. 11), 183­223, sowie dies.: Kohle für Stalin und Hitler. Arbeiten und Leben im Donbass 1929 bis 1953, Essen 2010.
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Grenadier­Division "Halytschyna" (auch: Galizische Nr. 1) ausgewählt wurde. Der Namenszusatz "Ukrainische" war von Himmler verboten worden, der sehr darauf bedacht war, den "Bazillus" des ukrainischen Nationalismus zu unterdrücken.13 Gleichwohl handelte es sich bei den Angehörigen der später auch in Kriegsverbrechen verstrickten Division "Galizien" um nationalistische Freiwillige, die nach eigenem Verständnis bereits den Nukleus einer ukrainischen Nationalarmee bildeten. 14 Goebbels Propaganda pries die nicht­deutschen Soldaten an der Ostfront stets als "europäische Kämpfer gegen den Bolschewismus", tatsächlich jedoch waren es oftmals weniger politische und nationale Motive als private Lebensumstände, die den Ausschlag für die militärische Kollaboration von Ausländern gaben. Dies gilt vermutlich auch für die etwa 20.000 Polen, die von der Wehrmacht als Panjefahrer verpflichtet wurden, um die untermotorisierten Infanteriedivisionen beweglich zu machen. Ich würde hierin also weniger den Tatbestand einer politisch begründeten Kollaboration sehen, als eine überwiegend durch persönliche Sachlagen und Beweggründe motivierte Handlungsweise.
Autor:
Prof. Dr. Gerhard Hirschfeld
Universität Stuttgart
[email protected]
Rolf­Dieter Müller: An der Seite der Wehrmacht. Hitlers ausländische Helfer beim „Kreuzzug gegen den Bolschewismus“ 1941­1945, Berlin 2007, 192­203.
13
Frank Golczewski: Die Kollaboration in der Ukraine, in: Dieckmann (Hg.): Kooperation und Verbrechen (wie Anm. 11), 151­182.
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