zum gesamten Artikel - Deutsches Fussball Internat

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SCHULE
FUßBALL-INTERNAT
"Mach weiter, Finn!"
Ein Junge will Profi werden, dafür verlässt er seine Heimat und
zieht in das Deutsche Fußball Internat nach Bad Aibling. Ein
Besuch
VON Martin
Langeder | 06. Februar 2014 - 07:00 Uhr
© Julian Baumann
Passen, dribbeln, schießen – Finn Modler (hinten) trainiert jeden Tag
Ronaldo! Maradona! Zidane! Es sind die Namen der Stars, die über den Fußballplatz hallen
an diesem kalten Januarmorgen, kurz nach acht Uhr. Die Sonne schiebt die grauen Wolken
zur Seite und gibt den Blick frei auf die Alpen. Doch das interessiert Finn gerade nicht. Er
konzentriert sich auf den Ball, den er vor sich herschießt. "Und jetzt Ronaldo!", ruft ihm
sein Trainer zu. Finn täuscht einen Schuss an, tänzelt kurz mit seinem rechten Fuß über
dem Ball und dribbelt ihn dann mit dem linken Fuß weg.
Eine Finte nennen Fußballer das, einen Trick, mit dem sie die gegnerischen Spieler
irritieren wollen. Benannt sind diese Tricks nach Spielern, die sie besonders gut
beherrschen. Wenn einer der Namen dieser Fußballer über das Feld gebrüllt wird, weiß
Finn, was zu tun ist. Er wischt sich den Schweiß von der Stirn und krempelt die Ärmel
seiner Trainingsjacke hoch. Dann läuft er wieder los. Finn ist zwölf Jahre alt – noch kein
Zidane oder Ronaldo, aber vielleicht irgendwann einmal. Seit eineinhalb Jahren besucht
Finn das Deutsche Fußball Internat in Bad Aibling. Das Internat, eine Autostunde südlich
von München, gilt als Kaderschmiede für den Fußballnachwuchs, 80 Jungen aus aller Welt
trainieren hier – und träumen von einer ganz großen Fußballkarriere. Finn, sagen seine
Trainer, könnte es tatsächlich schaffen. Sie loben seine spielerischen Fähigkeiten und das,
was sie "Biss" nennen: den unbedingten Willen, sich nach ganz oben zu kämpfen.
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SCHULE
32 Fußball-Eliteschulen gibt es in Deutschland, einige bieten ihren Schülern auch
Schlafplätze an wie das Internat in Bad Aibling, das 2011 durch eine rein private
Gründungsinitiative entstand. Vereine wie Bayern München oder Schalke 04 haben
eigene Leistungszentren, in denen sie ihren Nachwuchs ausbilden. Es ist ein harter Kampf
um diese wenigen Plätze. Meistens sind es die Trainer in den lokalen Vereinen, die ein
vielversprechendes Talent ermutigen, sich um einen Platz in einer der Fußballschulen zu
bemühen.
Finn spielt schon, seit er fünf Jahre alt ist, im Verein. "Ich hatte da immer Bock drauf",
sagt er und grinst. Dass er heute am Deutschen Fußball Internat ist, war eher ein Zufall.
Bei einem Fußballcamp in den Ferien fiel den Trainern seine Begabung auf. Sie luden ihn
zu einem Probewochenende ins Internat ein, wie 250 andere Jungen auch. Unter ihnen
allen wollten sie den Spieler des Jahres küren. Am Ende fiel die Wahl fast einstimmig auf
Finn. Der Preis: ein Vollstipendium für ein Jahr am Internat. Normalerweise kostet ein
Platz hier zwischen 22.800 und 27.600 Euro pro Jahr. Viel Geld, das Finns Eltern niemals
hätten aufbringen können. Sein Vater verkauft Küchen in einem Möbelhaus, seine Mutter
arbeitet halbtags als Putzfrau. "Wir wollten ihm dieses eine Jahr gönnen", erzählt Katja
Modler, Finns Mutter. "Gleichzeitig sagten wir ihm, geh bitte davon aus, dass du danach
zurückkommst." Nicht nur aus finanziellen Gründen, auch weil die Eltern genau wissen,
wie hart umkämpft die Plätze in den Teams sind, schon in jungen Jahren. Es kann immer
ein Besserer kommen.
Seit er von Nordrhein-Westfalen ins Internat nach Bayern gezogen ist, fast 700 Kilometer
von seinen Eltern und seinen drei Geschwistern entfernt, kämpft er dafür, dass genau dies
nicht passiert. Der Start im Internat fiel Finn nicht leicht. Trotz der fünf Fußballplätze,
von denen einer sogar auf dem Dachboden des Internats errichtet wurde. Trotz des
Fitnessstudios mit Wärmekabine. Trotz des hauseigenen Physiotherapeuten. Das Heimweh
ließ sich von alldem nicht aufhalten. Jeden Abend, wenn er mit seiner Familie telefonierte,
weinte Finn. Sechs Wochen lang ging das so. Nicht nur gutes Zureden der Eltern und seiner
Betreuer halfen ihm darüber hinweg, auch der "vollgepumpte" Stundenplan, wie Finn ihn
nennt. Mittlerweile wohnt seine Familie im selben Ort wie er. "Nur zu telefonieren war
uns zu wenig", sagt Finns Mutter. Sie entschied sich mit ihrem Mann, das Haus mit Garten
in Nordrhein-Westfalen zu verkaufen und Finn hinterherzuziehen. "Wir wollten endlich
wieder alle zusammen sein." Die Modlers hatten Glück und fanden eine Wohnung in der
Straße, in der auch Finns Internat liegt. Wieder bei seiner Familie einziehen wollte er aber
nicht. Das würde ihn zu sehr ablenken, fürchtet er. Seine Eltern sieht er trotzdem jeden Tag.
Sie haben den Putzdienst im Internat übernommen.
"Wollt ihr was trinken?", ruft Maik Blankenhorn, er ist einer der Trainer der Mannschaft.
"Nee", antworten Finn und seine Mitspieler, sie wollen lieber weiter trainieren. Passen
unter Druck, lautet die Aufgabe. In Dreierteams spielen sich die Jungen die Bälle zu.
Einmal, zweimal, dreimal, zehnmal. Dann ist Zeit, durchschnaufen. Und für die Analyse.
"Jungs, das reicht, wenn wir gegen Kolbermoor spielen, aber wir wollen gegen die Großen
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SCHULE
gewinnen", sagt der Trainer. "Eure Pässe müssen sauberer und fester werden." Die nächste
Übung: Torschusstraining. Finn läuft an, zieht ab, der Ball segelt durch die Luft ... und
knallt oben an den Pfosten. "Nein!", ruft er und greift sich mit den Händen an seinen Kopf.
Als er ausatmet, bilden sich kleine Wolken, so kalt ist es. "Mach weiter, Finn!", muntert ihn
sein Trainer auf. "Du hast noch viele Bälle, die du reinschießen kannst." Doch nicht mehr
heute. Nach knapp 90 Minuten endet das morgendliche Training. Finn trabt die 400 Meter
zurück ins Internat. Ab unter die Dusche.
Wenn alles gut läuft, kann er bis zum Abitur hierbleiben und weiter im Doppelzimmer mit
seinem neuen besten Freund Julian wohnen. Ein Stockbett, zwei Kleiderschränke, zwei
Schreibtische – mehr brauchen die beiden nicht. Die meiste Zeit verbringen sie ohnehin in
der Schule oder auf dem Fußballplatz. Zusätzlich zu den vormittäglichen Sporteinheiten auf
dem Internatsgelände trainiert Finn dreimal in der Woche am Nachmittag beim TSV 1860
München, in dessen U13-Kader er spielt. Oft kommt er erst nach 21 Uhr wieder ins Internat
zurück. Am Wochenende warten Ligaspiele oder weitere Trainings. Ein anstrengendes
Pensum, aber Finn hat sich daran gewöhnt. "Da muss man durch, wenn man Profi werden
möchte", sagt er, und für einen Zwölfjährigen klingt das etwas zu abgeklärt. Auch ein
Persönlichkeitstraining gehört zu seiner Ausbildung. Nicht nur, wie sie richtig grüßen,
erfahren die Schüler da, sondern auch, wie sie ihr Selbstbewusstsein steigern können und
wie sie sich vor einer Kamera präsentieren. So wie ihre Idole, denen sie überall im Internat
begegnen. Gleich beim Eingang prangt ein riesiges Bild, das die Spieler des FC Bayern
München zeigt, die mit der Meisterschale posieren. Im ersten Stock gibt es Jubelbilder
von Borussia Dortmund und der Nationalmannschaft Spaniens. In den Fluren hängen
lebensgroße Porträts von Fußballhelden wie Lionel Messi, Bastian Schweinsteiger und
Mesut Özil.
© Julian Baumann
Finn in seinem Zimmer im Fußball-Internat
Dass in Finn trotz allen Ehrgeizes und aller Disziplin noch ein Kind steckt, zeigt sich an
seinem Bett, das er sich mit Teddybären und einem Plüsch-SpongeBob teilt. Auf dem
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SCHULE
Regal liegen zwei Taschenbücher mit Disney-Comics. Über Finns Kopfkissen baumelt ein
Traumfänger. Die Wand daneben hat er mit dem Schal der Münchner Löwen dekoriert,
seiner derzeitigen Mannschaft. Auch Fahne und Wimpel vom 1. FC Köln hängen da,
seinem alten Lieblingsverein. Zwischen Familienfotos hat Finn einen kleinen Notizzettel
geklebt. Mit bunten Filzstiften hat jemand darauf geschrieben: "Jeden Abend und Morgen
50 Sit-ups. Ich glaube an mich!!!!!!"
FUßBALLVEREINE
1,8 Millionen Jungen spielen deutschlandweit in einem Verein. An 366 Stützpunkten des
Deutschen Fußball-Bundes kümmern sich die Trainer darum, besondere Talente zu entdecken und
zu fördern.
SCHULEN
In den 32 Fußball- Eliteschulen wird versucht, Schule und Training besser miteinander zu
verbinden. Einige dieser Einrichtungen haben auch Internatsplätze. Besonders gute Chancen
auf einen Profivertrag haben jene Nachwuchsspieler, die einen Platz in den Internaten der
Bundesligavereine ergattern.
Das tun auch seine Eltern. "Finn wird weit kommen", sagt seine Mutter. "Da bin ich mir
sicher. Aber man muss ihm Zeit geben." Und wenn es doch nicht klappt mit der großen
Karriere? "Och, es gibt immer einen anderen Weg. Wir verlassen uns da nicht auf Finn. Das
wäre auch eine zu große Bürde für ihn."
Im Moment hat Finn ganz andere Sorgen. Er sitzt im Matheunterricht der 7a. Die Lehrerin
will ihm und seinen Mitschülern das Bruchrechnen beibringen. Wie alle Jungen trägt er
einen grauen Kapuzenpulli mit dem Logo des Internats, dazu eine schwarze Trainingshose
und Sportschuhe. Jeans mag Finn nicht so, die findet er unbequem, da gefällt ihm die
legere Schuluniform schon besser. Sie ist nicht das Einzige, was hier anders ist als an
anderen Schulen. In jeder Klasse sitzen höchstens 16 Schüler. Die meisten Fächer werden
in jeweils zwei aufeinanderfolgenden Einheiten unterrichtet. In den Klassenzimmern gibt
es keine Bilder an den Wänden oder anderen Schnickschnack – nichts soll die Schüler vom
Unterricht ablenken. Zur Mittagspause treffen sich Schüler, Trainer und Lehrer im Bistro,
wie der Speisesaal hier heißt. Auf dem Weg dorthin, keine zwei Minuten zu gehen, dribbelt
Finn einen Fußball vor sich her. "Fußball ist mein Leben. Ich brauche das", sagt er, als er
sich Salat auf den Teller schaufelt und sich dann in die Schlange stellt, an deren anderem
Ende die Köchin gefüllten Schweinebauch mit Gemüse austeilt. Frisch gekocht, aus
Zutaten der Region. Danach folgen noch zwei Stunden Erdkunde und Hausaufgabenzeit.
Den Rest des Tages hat Finn heute frei und "kann ein bisschen runterkommen", wie er sagt.
Mit seiner Mutter ist er noch zum Shoppen verabredet. Er braucht neue Fußballschuhe.
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