in der Sächsischen Zeitung
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DIE SEITE DREI FREITAG 27. JUNI 2014 SÄCHSISCHE ZEITUNG 3 Der Hüter des DDR-Rock Götz Hintze weig nahezu alles über jede Band, die einst zwischen Suhl und Zingst tourte. Auf Ostrock hat er dennoch keinen Bock. VON ANDY DALLMANN (TEXT) UND KAY HERSCHELMANN (FoTo) anchmal geht Götz Hintze volles Risiko und lässt den Sachsen raushängen. Mit inbrünstigem Schreien und buntem Schal in der hektisch kreisenden Hand. Der in Hohen Neuendorfbei Berlin lebende 52-Jährige ist einer der härtesten Fans des VFC Planen in der preugischen Diaspora. Kein Spiel, das die Vogtländer Regionalliga-Nord-Kicker halbwegs in seiner Nähe absolvieren, lässt Hintze aus. Standhaft leidet, begeistert jubelt er im Gästeblock. Ein durchaus sonderbares Gebaren aus Sicht seiner Nachbarn. Doch was ihn wirklich besonders macht, ist, dass er sich wie kein Zweiter mit der Rockszene der DDR auskennt. Hintze brachte 1999 das Rocklexikon der DDR heraus, aktuell gibt es davon die dritte Auflage. Die erste, die er im Selbstverlag veröffentlichte. Die erste, die er f-fir richtig gelungen hält. Und ganz schnell betont er: ,Dieses Ostalgische geht mir völlig ab, das wollte ich aus meinem Buch anfjeden Fall raushalten." Hintze schüttelt den Kopf, dass die in den durchgrauten Haaren parkende Lesebrille fast abstürzt. ,Es ist doch unglaublich, was es bei Facebook alles für DDR-Gruppen gibt. DDR-Rezepte, DDRAlltagsbilder, DDR-Diesunddas; alle verklären irgendwas. Ich habe mein Buch ganz sachlich, ohne Wertung geschrieben. Die reinen Fakten und die aber möglichst komplett- nichts anderes interessiert mich." Kein Wunder, ist Hintze doch nicht in erster Linie Fan, sondern einer, der alle re- levanten Daten von Berufs wegen im Blick hat. Der gelernte Koch (,Der grögte Fehler meines Lebens!") war Anfang der 80er-Jahre auf der Suche nach einem wirklich coolen Job. Weil er jemanden kannte, der jemanden kannte, sag er plötzlich im Keller des DDR-Rundfilnks. Da war er 21, dieser Fakt allein reichte als Qualifikation. ,Die haben damals die Musikdokumentationsabteilung aufgebaut, mit so riesigen russischen Rechnern", erzählt Hintze. ,Den al- ten Hasen in Sachen Archivierung sollten ein paar junge Leute zur Seite stehen, die einfach Bock auf Technik hatten." Ihn lockten weniger diese Computer-Urzeitmonster, er hatte tatsächlich Interesse an dem, was dort zu tun war. Tag für Tag wfihlte sich Hintze durch Musik; sortierte, erfasste, archivierte. ,Alles, was zwischen 1978 und 1990 erschienen ist, habe ich sozusagen in die Datenbank reingeknfippelt." Frank Schöbel ging durch seine Hände, Stem Meißen, N055 und Feeling B. Doch nicht nur DDR-Titel, sondern al- Der Archivar beim Archivieren: 6ötz Hintze hat in seinem Rocklexikon fast alle Bands und Solisten der DDR erfasst. Und manchmal spielt er selbst deren Hits. • kam er wieder in Schwung. ,Das fand ich ist Götz Hintze Musikdokumentar bei Deutschlandradio Kultur. Und mit dem Rocklexikon der DDR hat er in seiner Freizeit etwas zusammengestrickt, was in seiner Berufswelt keinen Platz mehr hatte. ùNach der Wende sollte alles, was wir erfasst hatten, in die ARD-Datenbank übernommen werden. Das funktionierte nicht, und irgendwann waren die Magnetspeicherbänder weg." Das hat Hintze erst nur unverschämt und wollte diese Preistreiber mit einem besseren Buch auskontem." dys - gerade die gehen total ab." Hat der Ar- chivar also auch einen Hang zum Ostrock? Hintze schnauft• ,Ostrock ist für mich total negativ belegt, schon der Begriff hat etwas Kein Verlag sollte ihm dabei reinreden, weshalb Hintze alles in den eigenen Händen behielt, Mails verschickte, telefonierte. Von Agentur Null bis Zwitschermaschine nahezu niemand, der bis 3. Oktober 1990 Ahnung, ich weiß nur über DDR-Rock Be- etwas bei Rundfunk, Fernsehen oder auf scheid." Realitätsfernes." Ostrock könne ja schließ- lich auch aus Polen, Bulgarien oder der Mongolei kommen. ,Davon habe ich keine Platte veröffentlichte, fehlt. Freunde küm- geärgert, später unruhig und nach gutem merten sich ums Layout, ums Lektorat, ei- Zureden von Freunden aktiv gemacht. ,Irgendwann wäre das ganze Wissen weg gewesen - das wollte ich verhindern." ne Hamburger Firma übernahm Druck und Vem'ieb nach seinen Vorgaben. Und Hintze qualifizierte sich endgültig zum Hüter des DDR-Rock. ,Die meisten Daten habe ich im bseits aller Fakten hat er zudem ein sicheres Gefiihl dafür, warum der Erfolg der Puhdys einfach nicht abreißt. Hintze: ,Die sind echt. Punkt." Er hält zudem deren Front- haben damals die Musikdokumentationsabteilung aufgebaut, mit so riesigen russi- ist Götz Hintze Musikdokumentar bei Deutschlandradio Kultur. Und mit dem Rocklexikon der DDR hat er in seiner Frei- schen Rechnem", erzählt Hintze. ,Den al- ten Hasen in Sachen Archivierung sollten ein paar junge Leute zur Seite stehen, die einfach Bock auf Technik hatten." Ihn lock- kam er wieder in Schwung. ,Das fand ich mit einem besseren Buch auskontern." ten weniger diese Computer-Urzeitmonster, er hatte tatsächlich Interesse an dem, was dort zu tun war. Tag für Tag wühlte erfasst hatten, in die ARD-Datenbank übernommen werden. Das funktionierte nicht, sich Hintze durch Musik; sortierte, erfass- und irgendwann waren die Magnetspei- te, archivierte. ,Alles, was zwischen 1978 und 1990 erschienen ist, habe ich sozusa- cherbänder weg." Das hat Hintze erstnur Kein Verlag sollte ihm dabei reinreden, weshalb Hintze alles in den eigenen Händen behielt, Mails verschickte, telefonierte. Von Agentur Null bis Zwitschermaschine nahezu niemand, der bis 3. Oktober 1990 etwas bei Rundfunk, Fernsehen oder auf Platte veröffentlichte, fehlt. Freunde küm- geärgert, später unruhig und nach gutem merten sich ums Layout, ums Lektorat, ei- Zureden von Freunden aktiv gemacht. ,Irgendwann wäre das ganze Wissen weg gewesen - das wollte ich verhindern." ne Hamburger Firma übernahm Druck und Vertrieb nach seinen Vorgaben. Und Hintze qualifizierte sich endgültig zum Hüter des DDR-Rock. ,Die meisten Daten habe ich im m Sommer 1998 nahm er zwei Wo- Kopf'', sagt er überraschend ernsthaft. Und chen Urlaub und recherchierte im wieder mit einem Grinsen: ,Bei Jauch wäre ich der perfekte Telefonjoker. Zehn Pro- zeit etwas zusammengestrickt, was in seiner Berufswelt keinen Platz mehr hatte. ùNach der Wende sollte alles, was wir gen in die Datenbank reingeknüppelt." Frank Schöbel ging durch seine Hände, Stem Meißen, NO55 und Feeling B. Doch nicht nur DDR-Titel, sondern alles, was der Rundfunk auf Lager hatte. ùÿuch Musik aus dem Westen, bei der manchmal völlig unklar war, wie die hier- Pressearchiv des Rundfunks. Er aktivierte alte Kontakte zu Interpreten, hergekommen ist." Manches sei einfach von Schallplatte auf Band überspielt und dann gesendet worden. ,Ich habe mal den Justiziar gefragt, wie das alles denn rechtlich ist." Hintze feixt dabei, als hätte er diesen spitzfindigen Spaß eben erst erfunden. ùNatürlich bekam ich keine Antwort, aber bestimmt gleich einen schwarzen Strich auf meiner Liste..." Der Mann berlinert lustig drauflos, nur das A hat manchmal einen speziellen Einschlag, ein kleiner Rest Vogtland-Idiom. Als Einjähriger war er nach Planen zur Groß- umgehend unter Druck. ,Die wollten, dass ler-Eltern ständig auf Achse und mit einem Kleinkind überfordert waren. Den Halbstarken bekam wiederum die Oma nicht in den Griff. Hintze zog also mit 14 zurück nach Hohen Neuendorf, war für alle Gleichaltrigen nur das Sachsenschwein. Trotzdem blieb er, nicht zuletzt weil er seine Leidenschaft für den VFC auch in der ieser Mann ist ganz klar einer, noch waren innerhalb von vier Wochen al- mit dem man gerne auf der Ter- le Bücher verkauft. Für den Verlag alles an- rasse seines lauschig gelegenen Hauses sitzt. Der Späge oft auf eigene Kosten macht und Fragen regelmägig mit Gegenfragen beantwortet. Er ist seit über 25 Jahren verheiratet, hat zwei erwachsene Töchter und den einmal gefundenen Traumjob konsequent durchgezo- dere als ein Grund, Geduld zu zeigen. ,Die zweite Auflage musste zur Buchmesse im März 2000 fertig sein", so Hintze. ,Da konnte ich einiges ergänzen - zufrieden war ich nicht." Bis 2004 gingen 6 000 Exemplare über den Ladentisch, dann schien die Sache aus- gen. Das Femstudium, anfangs noch mit Marxismus-Leninismus als Fachschul- gereizt, der Verlag schickte Hintze eine ma- Pflichtfach, beendete er 1993 mit dem Diplom der Humboldt-Uni. Ohne größere Ortswechsel ging es vom DDR-Rundfunk zum Deutschlandsender Kultur, seit 1992 sich die Anfragen von Interessenten." Als gere Mail, dass er wieder die Rechte am Buch habe. Erledigt. ,Doch ab 2007 häußen Götz Hintze, DDR-Rock-Experte er schließlich mitbekam, dass sein Lexikon im Intemet teilweise für 250 Euro wegging, Hintze schnauft. ,Ostrock ist für mich total negativ belegt, schon der Begriff hat etwas Realitätsfernes." Ostrock könne ja schließ- lich auch aus Polen, Bulgarien oder der Mongolei kommen. ,Davon habe ich keine Ahnung, ich weiß nur über DDR-Rock Bescheid." bseits aller Fakten hat er zudem ein sicheres Gefühl dafür, warum der Erfolg der Puhdys einfach nicht abreißt. Hintze: ,Die sind echt. Punkt." Er hält zudem deren Frontmann Dieter ,Maschine" Birr für einen ausgezeichneten Komponisten. ,Der schreibt volkstümliche Musik wie kaum ein ande- zent - und die Sache ist geritzt." ließ sich dabei von einstigen DT64-Redakteuren helfen und hatte bald einen soliden Grundstück für sein Lexikon beisammen. Der Berliner Verlag Schwarzkopf und Schwarzkopf sprang an und setzte Hintze das Buch am 7. Oktober 1999, also zum Fünfzigsten der DDR, erscheint. In der Hektik fiel das Ergebnis eher dünn aus." Den- dys - gerade die gehen total ab." Hat der Archivar also auch einen Hang zum Ostrock? unverschämt und wollte diese Preistreiber mutter verfrachtet worden, weil die Künst- rer. Das ist keine große Kunst, aber die Leute fahren nun mal darauf ab." Und so steht auch für Götz Hintze fest, dass er nächstes Jahr beim finalen Konzert der Puhdys in Berlin dabei sein wird. ,Weil das dann ja wirklich ein historisches Ereignis ist." Und was bleibt langfristig vom DDR-Rock, wenn eine Band nach der anderen aufgibt? ,Die Texte", sagt Hintze. ,Die haben das Beson- dere ausgemacht und oft unabhängig von der Musik Bestand." Gerade in den Siebzigern seien meist Profi-Poeten am Werk gewesen, die schon eine Generation weiter als die Musiker waren. ,Deshalb klang das Ferne ausleben konnte. Und weil er als Gi- so reif, so erwachsen, so lyrisch." In den tarrist und Sänger der Schulband Desohr wie bei den Puhdys wurden die Anfangs- selbst Texte verfasst oder sich eigene Auto- buchstaben der Musikemamen aneinan- ren gesucht und dabei oft danebengelangt. dergereiht- letztlich doch ausreichend Anerkennung bekam. Die Combo hielt nicht lange zusammen, erfand sich jedoch 1997 neu. ,Zehn, fünfzehn Mal im Jahr spielen wir, am liebsten bei Dorffesten", sagt Götz ùEs war eben nicht alles besser", so Hintze. ùAuch wenn manches gut war." Hintze. ,Songs von Deep Purple, CCR, Tom Petty und auch ein paar Hits von den Puh- 80ere änderte sich das. Die Bands hätten • über zwei Dresdner Bands hat Götz Hintze wenig in Erfahrung bringen können. Wer Näheres über Studio 66 und Agentur Mercur weiß, kann sein Wissen gerne mit dem Autor teilen und eine E-Mail an [email protected] schicken. ù . DDR-Rocker und Artverwandte dl Hansi Biebl (r.) mit 4 PS 1977 beim Schlagerfestival Ohne Dieter ,Maschine" Birr sind die Puhdys nichts, sagt Götz Hintze, der Birr für einen im Kulturpalast Dresden. Weil der Gitarrist eine Aufnahme aus dem Rundfunk-Archiv suchte, rief er Götz Hintze an. Biebl, seit Jahren abgetaucht, ließ sich im Gegenzug fürs Rocklexikon ausfragen. Sein Fazit: ùIch habe keine Lust mehr auf Bands, außerdem Ralf ,Bummi" Bursy offenbarte Gedächtnislücken. Der Sänger, der mit der Hardrockband Regenbogen startete, war sich sicher, diese hätte sich nach seinem Ausstieg aufgelöst. Mltnichten. Während Bursy Ende der 80er-Jahre dem gelackten Pop verfiel, machte die alte Truppe einfach mit einem neuen Kaum zu glauben, aber Hartmut Englers Combo Pur sieht Lexikon-Autor Götz Hintze klar in der Tradition des DDR-Rocks. ,Die klingen wie eine DDR-Band aus den Siebzigern", sagt er. ,Bildhafte Texte und musikalisch mit viel Aufwand inszeniert - auch wenn natürlich die musikalischen Mittel inzwischen etwas ausgezeichneten Komponisten hält. Foto:R.PlauI weiß ich, dass ich der Größte war." Sänger weiter. andere sind." Foto:lmago Foto: Imago Foto: Andreas Weihs