Nebel ist auch Wasser

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Nebel ist auch Wasser
Scienza e mondo alpino
Science et montagne
UNESCO-Jahr des Süsswassers
Nebel ist auch Wasser
Ein treuer, wenn auch nicht immer
gewünschter Begleiter jedes Alpinisten ist der Nebel. Welch ein Gefühl,
über dem Nebelmeer zum Gipfel emporzusteigen, mit einem Blick zurück
auf die weissgraue Masse, die den zu
Hause Gebliebenen den wohltuenden Sonnenschein vorenthält. Nebel
hat aber auch andere Seiten, die
insbesondere im UNESCO-Jahr des
Wassers von Interesse sind.
Von Nebel spricht man, wenn eine Wolke
die Erdoberfläche berührt und die Sichtweite unter 1000 Meter fällt. Was im
Volksmund auch als Nebel bezeichnet
wird, nämlich die winterliche weissgraue
Suppe über dem Mittelland, ist also genau genommen ein Hochnebel. Wenn
man als Alpinist durch diese Zone auf-
steigt, stellt man einen dichten Nebel
fest, der dann plötzlich der Sonne weicht.
Von oben blickt man streng genommen
auf eine Schichtwolke hinunter. Also
dreimal dasselbe Wasser, das sich wie
Zuckerwatte über dem Tal ausbreitet,
und das mit drei unterschiedlichen Begriffen bezeichnet wird.
Feucht und trotzdem fast kein
Wasser
Nebel besteht aus feinsten Wassertröpfchen, die einen Durchmesser zwischen
2 und 50 Mikrometer aufweisen, womit
sie so klein sind, dass sie kaum zu Boden
fallen. Ganz im Gegensatz zu Regentropfen, die typischerweise zehn- bis hundertmal grösser sind. Im Nebel wird man
rasch feucht und vergisst dabei leicht,
dass auch im dichtesten Nebel kaum je
mehr als ein halbes Gramm Wasser pro
Kubikmeter Luft vorhanden ist. Der
grösste Anteil Wasser ist im Nebel als
gasförmiger Wasserdampf vorhanden,
der je nach Temperatur im Winter rund
zehnmal grösser ist als der Anteil des
Wassers in den Tröpfchen. Deshalb ist es
möglich, dass bei guter Sonneneinstrahlung der Nebel plötzlich verschwindet.
Denn kann die Luft weitere 10% Wasserdampf aufnehmen, reicht dies bereits,
um alle Nebeltröpfchen verdunsten zu
lassen. Gefühlsmässig hat man natürlich
einen anderen Eindruck. Wasserdampf
bleibt durchsichtig, auch wenn die Wassermenge ein Vielfaches des Nebelwassers ausmacht. Die Nebeltröpfchen hingegen absorbieren das sichtbare Licht.
Sobald das flüssige Nebelwasser verdunstet ist, der Nebel sich aufgelöst hat,
die Fernsicht aber getrübt bleibt, spricht
man von Dunst. Beim Dunst handelt es
sich zu einem wesentlichen Teil um den
Feinstaub, der in den Nebeltröpfchen gelöst oder als Feststoff vorhanden war
und der beim Verdunsten des Wassers in
Form kleinster Salz- und Schmutzkörner zurückbleibt.
Viele Kretenlagen wie hier bei
Kutumsang in Nepal haben häufig Nebel in der Nacht und am
frühen Morgen, die für die Gewinnung von Trinkwasser genutzt werden könnten.
Foto: Werner Eugster
Wissenschaft und
Bergwelt
Foto: zvg/Robert Schemenauer
Sammelnetze für Nebelwasser
am Gebirgskamm des El Tofo,
Chile. Diese Netze entstanden
1987 im Rahmen eines kanadisch-chilenischen Pilotprojekts zur Trinkwassergewinnung. In einem zehnjährigen
Versuchsbetrieb wurden täglich
durchschnittlich 15 000 l Trinkwasser gewonnen. Die rund einhundert Netze sind jeweils 12 m
breit (24 m pro Einheit).
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Bei Kaltlufteinbrüchen wird der
Alpinist häufig von Nebel überrascht, wenn neblige oder kalte
Luft über die Kreten schwappt
wie hier im Val Medel am Lukmanierpass.
Fotos: Werner Eugster
Typischer herbstlicher Hochnebel
über dem Schweizer Mittelland,
vom Chasseral aus gesehen
Trinkwasser aus Nebel
In den Hochgebirgen der Erde gibt es
Gebiete, die zwar häufig Nebel, aber
selten Regen erhalten. In Chile, Bangladesh, Ecuador, Peru, Mexiko, Yemen,
Guatemala, Nepal, Südafrika, Israel, auf
den Kapverdischen Inseln und der Ile de
la Réunion gibt es deshalb Entwicklungsprojekte, in denen mit grossen Nebelnetzen das Tröpfchenwasser gesammelt und
von der lokalen Bevölkerung als Trinkwasser verwendet wird. Jeder Quadratmeter eines grossen Nebelnetzes, das
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günstig auf einer Krete, über die der Nebel hinwegstreicht, platziert ist, kann
17 bis 42 Liter Trinkwasser pro Tag
schöpfen. Damit kann beispielsweise in
einem Projekt in Nepal dank sieben Netzen zu 40 m2 eine Siedlung mit 75 Einwohnern ganzjährig mit Trinkwasser
versorgt werden.
Günstige Standorte für Nebelsammler finden sich nicht nur in Gebirgen,
sondern auch entlang der trockenen
Westküsten Südamerikas und Afrikas. In
der Namib-Wüste lebt eine spezielle Käferart, die durch den kunstvollen Bau
von Sandwällen das fürs Überleben notwendige Trinkwasser aus dem häufig
auftretenden Nebel gewinnt. Von der
Atacama-Wüste in Chile weiss man, dass
Spuren von prähistorischen Siedlungen
praktisch nur in der Nähe von Nebelfelsen zu finden sind, den so genannten
Nebeloasen. An diesen Felsen, die günstig zur Windrichtung stehen, aus der der
Nebel hergeführt wird, konnte das Nebelwasser abperlen und wurde in einer Vertiefung im Fels gesammelt.
Der Nebel auf einer Hochtour
lässt die Konturen der riesigen
Schneewechten verschwinden.
Zusätzliche Vorsicht und fehlerlose Orientierung sind deshalb
für den Alpinisten ein Muss wie
hier am Pik Bajankol im TienShan-Gebirge.
<
Lokaler Bodennebel in Schwedisch-Lappland. Diese Nebelart,
sehr gefürchtet in der Luftfahrt
und im Strassenverkehr, ist für
Nebel und Schadstoffe
Wieso wird aber in den Alpen Nebelwasser nicht als Trinkwasser genutzt? Das
hat zwei wichtige Gründe. Zum Ersten
erhalten die Alpen regelmässig und ausgiebig Niederschläge, die zudem durch
Gletscher und Schneedecke gespeichert
werden und auch bei längeren Trockenperioden unsere Trinkwasserquellen
nicht versiegen lassen. Zum Zweiten
liegen die Alpen in einem hochindustrialisierten Teil der Erde, das Nebelwasser
ist dementsprechend stark mit Schadstoffen belastet. Nebelwasser, das im
Winter 2001/2002 am östlichsten Ausläufer des Kettenjuras, der Lägeren, gesammelt und untersucht wurde, enthielt
im gewichteten Durchschnitt rund
zweieinhalbmal so viel Nitrat wie im
Trinkwasser toleriert werden kann, mit
Maximalwerten um 250 Milligramm
Nitrat pro Liter. Auch andere Substanzen
sind im Nebelwasser noch 3 bis 66 Mal
stärker konzentriert als etwa im Regenwasser. Wer jetzt befürchtet, mit einer
Schutzmaske in die Berge gehen zu müssen für den Fall, dass man in einen Nebel
gerät, kann aber teilweise beruhigt werden. Nebel ist vermutlich weniger problematisch für den Menschen als etwa
Feinstaub und Ozon, die immer dann
relevant sind, wenn kein Nebel anzutreffen ist. Aber man muss davon ausgehen,
dass Ökosysteme speziell im Gebirge
durch die hohen Schadstofffrachten im
Nebel langfristige Veränderungen oder
gar Schäden erleiden können. Wir Alpinisten können unser Trinkwasser eben
auswählen, die Pflanzen nicht. a
den Alpinisten eher ein Schönwetterzeichen, da sich der Nebel
am frühen Vormittag rasch auflösen wird.
Kaltlufteinbrüche im Gebirge
sind häufig mit Nebel in den
Talbereichen verbunden. Blick
ins Onsernonetal (TI)
Literatur
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Osses P., Schemenauer R. S., Vitez F., Kowalchuk
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We r n e r Eu g s t e r u n d Re t o B u r k a rd ,
Bern
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