Worüber man(n) nicht spricht: Sexualisierte Kriegsgewalt und ihre
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Worüber man(n) nicht spricht: Sexualisierte Kriegsgewalt und ihre
Christine Buchwald - Worüber man(n) nicht spricht: Sexualisierte Kriegsgewalt und ihre Folgen Manuskriptentwurf zum Vortrag im Rahmen der Jahrestagung 2015 der Arbeitsgemeinschaft der Friedens- und Konfliktforschung e.V. Worüber man(n) nicht spricht: Sexualisierte Kriegsgewalt und ihre Folgen von Christine Buchwald Inhalt 1. Einleitung ............................................................................................................................... 2 2. Was heißt eigentlich sexualisierte Kriegsgewalt an Männern?.............................................. 3 3. Theoretische Einbettung......................................................................................................... 4 3.1. Bourdieus männliche Herrschaft ..................................................................................... 5 3.2. Connells hegemoniale Männlichkeit ............................................................................... 6 4. Übertragungsansätze .............................................................................................................. 8 5. Fazit ........................................................................................................................................ 9 6. Literaturangaben................................................................................................................... 10 1 Christine Buchwald - Worüber man(n) nicht spricht: Sexualisierte Kriegsgewalt und ihre Folgen 1. Einleitung Wenn im Rahmen von Kriegsberichterstattung von Gewalt gesprochen wird, dann ist diese oft geschlechtlich kodiert. Männer werden dann als Krieger thematisiert. Sie werden gefangen genommen, gefoltert, ermordet. Frauen (und Kinder) werden dagegen oft als Zivilpersonen wahrgenommen und neben oben benannten Gewalttaten auch spezifische Formen der Folter wie Vergewaltigung, sexuelle Versklavung oder ähnliches thematisiert. Männer scheint diese sexualisierte Form der Gewalt nicht zu passieren. Oder wird darüber einfach nicht gesprochen? Der Umstand, dass darüber nicht gesprochen wird, möchte ich zum Anlass nehmen zu fragen, wieso noch immer männliche Opfer sexualisierter Kriegsgewalt ein Tabu zu sein scheinen. Über sexualisierte Kriegsgewalt wird bereits seit Jahrzehnten (verschärft seit 1992 und durch die Taten in Ruanda und dem ehemaligen Jugoslawien) gesprochen, doch selbst in der UN-Resolution 1325 heißt es hierzu "especially women and children" seien vor sexualisierter Gewalt zu schützen (UN Security Council 2000). Im Rahmen dieses Vortrages möchte ich deshalb auf männliche Opfer zu sprechen kommen. Da ich mich am Anfang meiner Dissertationsphase befinde, kann ich hier keine entgültigen Ergebnisse vorstellen, sondern möchte gerne mit Hilfe der Betrachtung zweier Männlichkeitstheorien den Fragen nachgehen: Wieso schweigen die Männer über ihre Gewalterfahrung und welche Konsequenzen hat es für die betroffenen Männer? Um mich dieser Fragen zu nähern, möchte ich kurz darüber sprechen, was sexualisierte Kriegsgewalt ist, ohne jetzt alle mit allzu detaillierten Beschreibungen verschrecken zu wollen. Daran anschließend möchte ich auf die Grundideen der Theorien von Bourdieu und Connell eingehen, die für die weitere Betrachtung relevant sind. Die Theorien in aller Gänze vorzustellen, würde den Rahmen sprengen, weshalb hier insbesondere auf die homo- und heterosoziale Dimension (nach Meuser 2003) und der Zusammenhang zwischen Männlichkeit und Gewalt im Mittelpunkt stehen. Aus diesen Theorien ableitend sollen dann Erklärungsansätze abgeleitet werden, die es ermöglichen, sich der Ausgangsfrage zu nähern. 2 Christine Buchwald - Worüber man(n) nicht spricht: Sexualisierte Kriegsgewalt und ihre Folgen 2. Was heißt eigentlich sexualisierte Kriegsgewalt an Männern? Um der Frage nachzugehen, was sexualisierte Kriegsgewalt an Männern bedeutet, muss zuerst klar gemacht werden, was sexualisierte Gewalt eigentlich ist. Dabei orientiere ich mich an der Definition von Mischkowski. In vielen wissenschaftlichen und praxisnahen Diskursen zu diesem Thema taucht statt "sexualisierte Gewalt" oft der Begriff "sexuelle Gewalt" oder verkürzt "Vergewaltigung" auf. Beide Begriffe betonen die sexuelle Komponente des Übergriffs, während "sexualisierte Gewalt" stärker die instrumentelle Nutzung der geschlechtlichen Komponente fokussiert. Nach Mischkowski verschiebt "der Begriff 'sexualisierte Gewalt' [...] die Betonung vom Sexuellen auf die Gewalttat. Sexualisierte Gewalt ist eine Form von Gewalt, die sich in voller Absicht gegen den intimsten Bereich eines Menschen richtet, und deren Ziel die Demonstration von Macht und Überlegenheit durch die Erniedrigung und Entwürdigung des anderen ist" (Mischkowski 2004:18). Sexualisierte Gewalt kann, der Definition folgend, auch als eine Version von Folter verstanden werden. In der wissenschaftlichen und medialen Betrachtung stellt sexualisierte Kriegsgewalt gegen Frauen ein wichtiges Betrachtungsfeld dar. Die Literatur zu sexualisierter Kriegsgewalt an Frauen ist vielfältig und umfangreich: Auf theoretischer, auf praktischer und auf empirischer Ebene wurde beleuchtet, wieso es dazu kommt, was es mit den Menschen macht, wie mit Betroffenen umgegangen werden sollte, welche rechtlichen Konsequenzen entwickelt wurden und was Betroffene selbst dazu sagen. Es wurde diskutiert, welche Begriffe verwendet werden sollten, welche Konzepte von Weiblichkeit und Männlichkeit herangezogen werden, welche Rolle Frauen, Männer und andere Akteure spielen - und hier insbesondere auch, wer Opfer und wer Täter ist, und wie über die Ereignisse berichtet wurde. In der Regel wurden diese Phänomene aber mit der klaren Teilung der Geschlechter in Frauen als Opfer und Männer als Täter diskutiert, wobei letzte in den meisten Analysen nicht vorkommen (Buchwald 2013). Wenn Männer als Opfer sexualisierter Gewalt benannt werden, dann als sogenannte "sekundäre Opfer" oder aber es erfolgt ein Hinweis (oft als Fußnote) darauf, dass die Anzahl der Betroffenen so gering sei, dass dies vernachlässigt werde (Buchwald 2013). Nur wenige Autor*innen beschäftigen sich mit sexualisierter Kriegsgewalt gegen Männern. Zu nennen sind hier insbesondere Dubravka Zarkov, die mit Medienberichten die schwierige Situation von männlichen Opfern aufzeigt (Zarkov 2010), und Loncar et. al., dessen Team Interviews mit Betroffenen nach dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien 3 Christine Buchwald - Worüber man(n) nicht spricht: Sexualisierte Kriegsgewalt und ihre Folgen führte und Systematiken zur Klassifikation der Erfahrungen entwickelte (Loncar et. al. 2010). Bei einem Vergleich von sexualisierter Kriegsgewalt gegen Männer und Frauen zeigt sich, dass sie sich auf mehreren Ebenen unterscheiden: In der Gewaltart, im Handlungsrahmen und in den Zielen. Während Frauen am häufigsten vergewaltigt werden und seltener sekundäre Geschlechtsorgane abgetrennt werden, herrscht bei der Gewalt gegen Männer der Zwang zu sexuellen Handlungen an anderen Gefangenen und die Kastration bzw. das Abtrennen von Genitalien vor. Der Rahmen, in denen Frauen sexualisierte Kriegsgewalt erfahren ist vielfältig und geht von Gefangenschaft und sogenannten rape camps bis hin zu "öffentlichen" Vergewaltigungen. Bei männlichen Opfern dagegen ist dies bis heute unklar. In der Regel handelt es sich aber eben nicht um Gewalttaten, die im öffentlichen Raum stattfinden (Buchwald 2013). Über die Ziele, die Täter verfolgen, kann nur spekuliert werden. Bei sexualisierter Kriegsgewalt an Frauen kann dies die Schwangerschaft und damit die ethnische Zerstörung sein, bei Männern dagegen will man durch eine Homosexualisierung ihr eigenes Empfinden ihrer Männlichkeit zerstören (Zarkov 2010). 3. Theoretische Einbettung Sicherlich lassen sich Phänomene wie Folter und sexualisierte Kriegsgewalt aus vielerlei theoretischen Perspektiven betrachten - zu nennen wären hier die Gewaltforschung, die Psychologie und auch die Geschlechterforschung. Da ich mich hier aber gerade auf männliche Opfer beziehen möchte, nutze ich die Theorien der kritischen Männlichkeitsforschung, selbst wenn diese sich nicht explizit auf Krieg oder (sexualisierte) Gewalt beziehen. Die Theorien, die ich hierfür heranziehe, sind die "Männliche Herrschaft" von Bourdieu und die "Hegemoniale Männlichkeit" von Connell. Beide Theoretiker*innen bieten unterschiedliche Ansatzpunkte, die sich auf den Kontext der sexualisierten Kriegsgewalt übertragen lassen. Hier sollen die Theorien auf die Aspekte der homosozialen und heterosozialen Dimension sowie der Rolle des Körpers und der Gewalt betrachtet werden. 4 Christine Buchwald - Worüber man(n) nicht spricht: Sexualisierte Kriegsgewalt und ihre Folgen 3.1. Bourdieus männliche Herrschaft Pierre Bourdieu als Männlichkeitstheoretiker zu bezeichnen ist vielleicht ein bisschen zu hoch gegriffen. Allerdings hat er mit seinen Abhandlungen über die männliche Herrschaft eines der Werke vorgelegt, die heute noch weitreichend für die kritische Männlichkeitsforschung genutzt werden. Bekannter ist Bourdieu aber für seine Habitustheorie, die - wie könnte es anders sein - auch in der männlichen Herrschaft eine tragende Rolle spielt. Die männliche Herrschaft ist nach Bourdieu das Paradigma aller Herrschaft (Bourdieu 1997: 216) und stark durch den Habitus geprägt. Aufgrund dieser starken Prägung durch den inkorporierten Habitus wird die männliche Herrschaft auch als vermeintlich natürlich wahrgenommen. Essentiell für die männliche Herrschaft ist die symbolische Gewalt. Diese ist keine physische Gewalt. Vielmehr stellt sie die Gewalt dar, mit deren Hilfe die soziale Rangordnung eingehalten wird und ist damit vergleichbar mit der strukturellen Gewalt nach Galtung. Sie trägt also in erster Linie dazu bei, dass männliche Herrschaft nicht hinterfragt wird. Die symbolische Gewalt prägt dadurch die Gesellschaftsordnung und ist gleichzeitig geprägt durch die Gesellschaftsordnung. Dieser Zyklus zeigt, dass sich männliche Herrschaft und symbolische Gewalt gegenseitig brauchen und ohne einander nicht funktionieren würden. Durch diesen Zyklus, der nicht durchbrochen werden kann, sieht Bourdieu die männliche Herrschaft als unveränderlich. Der Körper dient dabei nach Bourdieu als "Gedächtnisstütze" und "vergeschlechtlichte Wirklichkeit". So seien in den Körper durch gesellschaftliche Riten, wie etwa das Haare scheren, geschlechtliche Attribute eingeschrieben und erinnern in sozialen Interaktionen das Gegenüber an das Geschlecht des/der Anderen. Der Kern von Bourdieus Theorie sind aber die "ernsten Spiele". Diese haben sowohl eine homosoziale als auch eine heterosoziale Dimension. Die homosoziale Dimension zeichnet sich dadurch aus, dass nur Männer an diesen ernsten Spielen teilnehmen können. Gleichzeitig müssen aber auch alle Männer qua Geschlecht an ihnen teilnehmen. "Die zwanghafte Anspannung ihre Männlichkeit zu beweisen, führt sie dazu an den ernsten Spielen teilzunehmen" (Buchwald 2013: 26). Den Männern ist es verwehrt, zu erkennen, dass sie an diesen Spielen teilnehmen, obwohl sie Teil dieser Spiele sind. Der Krieg ist nach Bourdieu das ernste Spiel par excellence. 5 Christine Buchwald - Worüber man(n) nicht spricht: Sexualisierte Kriegsgewalt und ihre Folgen Die heterosoziale Dimension der "ernsten Spiele" zeigt sich darin, dass Frauen nach Bourdieu fähig sind, die ernsten Spiele zu erkennen und ihre Bedeutung und Konsequenzen zu verstehen. Trotzdem können sie die ernsten Spiele nicht durchbrechen, da sie an ihnen nur durch Stellvertreter (etwa Ehemänner, Söhne) teilnehmen können und somit ebenfalls nicht frei von ihnen sind. Auch Frauen hinterfragen dabei nicht die männliche Herrschaft als Ganzes, sondern akzeptieren nach Bourdieu diese Vorherrschaft und tragen dadurch selbst dazu bei, sich zu Opfern zu machen. Die ernsten Spiele bringt Bourdieu in einem Satz auf den Punkt: "Es ist die Größe und das Elend des Mannes [...] als Wunsch, die anderen Männer zu dominieren, und sekundär, als Instrument des symbolischen Kampfes, die Frauen" (Bourdieu 1997: 215). In den ernsten Spielen ist auch Gewalt implizit. Da Bourdieu von Krieg als dem ernsten Spiel par excellence spricht, scheint die physische Gewaltanwendung eingebunden zu sein, da Kriegsführung ohne physische Gewalt in den seltensten Fällen durchgeführt wird. 3.2. Connells hegemoniale Männlichkeit Entgegen der Konzeption von Bourdieu geht Raewyn Connell davon aus, dass Männlichkeit bzw. Geschlecht im Allgemeinen etwas Veränderbares ist. Dies lässt sich insbesondere anhand zweier Aspekte verdeutlichen: Connells Theorie arbeitet mit vier verschiedenen Typen von Männlichkeit - es gibt somit nicht die einzig wahre Männlichkeit. Gleichzeitig gibt es bei einer historischen Betrachtung auch nicht die eine hegemoniale Männlichkeit, sondern je nach Gesellschaft und vorherrschendem Gesellschaftsideal ist auch die hegemoniale Männlichkeit eine andere. Woran macht Connell die hegemoniale Männlichkeit fest? Sie nutzt dazu drei Dimensionen: Machtbeziehungen, Produktionsbeziehungen und die emotionale Bindungsstruktur. Diese drei Aspekte spiegeln sich also in den Faktoren Macht, Kapital und Heterosexualität wieder. Diese verdeutlichen sowohl die homo- als auch die heterosexuelle Dimension ihrer Theorie. Die heterosexuelle Dimension zeichnet sich dadurch aus, dass diese Dimensionen dazu beitragen, um Männlichkeit an sich aufzuzeigen und zu analysieren. Gleichzeitig dient es auch dazu die verschiedenen Männlichkeiten voneinander abzugrenzen. Was genau meint die Abgrenzung? Connells Theorie geht davon aus, dass es ein Leitbild bzw. einen Idealtypus von Männlichkeit gibt, an dem sich orientiert wird. Diesen nennt Connell 6 Christine Buchwald - Worüber man(n) nicht spricht: Sexualisierte Kriegsgewalt und ihre Folgen "hegemoniale Männlichkeit". Die weiteren Typen von Männlichkeit wie marginalisierte und untergeordnete Männlichkeit stellen dagegen Abstufungen im Hinblick auf die drei Kategorien Macht, Kapital und Heterosexualität dar. Die häufigste Form der Männlichkeit ist nach Connell die Komplizenschaft, bei der das Ideal der hegemonialen Männlichkeit zwar nicht erreicht ist, die aber von der patriarchalen Dividende - also dem strukturellen Vorteil - profitieren. Nach Döge (2000: 89) bezeichnet hegemoniale Männlichkeit demnach "den jeweils dominanten Typus von Männlichkeit, der keineswegs an eine reale Person gebunden sein muss, sondern ein fiktives Konstrukt darstellen kann. Hegemoniale Männlichkeit markiert das jeweils dominante männliche Geschlechterprojekt, welches die bestehenden Geschlechterhierarchie absichert". Das Ziel des Mannes ist das Erreichen dieses Ideals. Ein Aspekt, der hierfür nach Connell ebenfalls wichtig ist, ist der Körper. Nach Connell stellt der Körper eine Projektionsfläche dar und wird durch Sport und Muskelaufbau geformt. Somit ist der Körper bei Connell nicht wie bei Bourdieu eine rituell geschaffte Gedächtnisstütze in Bezug auf das Geschlecht, sondern es bedarf eine aktive Herstellung eines bestimmten Ideals. Somit ist die Handlung der Herstellung wichtiger als der durch Riten geschaffene Habitus. Der Begriff der Gewalt ist bei Connell stark an die Definition von Männlichkeit gekoppelt. So sagt Connell selbst über Gewalt: "Gewalt ist ein Teil eines Unterdrückungssystems, gleichzeitig ist sie aber auch ein Maß für seine Mangelhaftigkeit. Eine vollkommen legitimierte Herrschaft hätte Einschüchterung weniger nötig. Das derzeitige Ausmaß an Gewalt deutet auf die 'Krisentendenz' [....] der modernen Geschlechterordnung." (Connell 2000a: 105). Somit ist die Androhung von Gewalt nach Connell als Stabilisator von Unterdrückungssystemen zu verstehen. "Die Gewaltbegriffe sind bei Connell eng miteinander verbunden: funktioniert das eine, braucht es das andere nicht, funktioniert es aber nicht, so kommt das andere zum Einsatz, um das eine wieder herzustellen" (Buchwald 2013: 30). Gewalt und Männlichkeit sind also eng verbunden, da bei Gefährdung der männlichen Vorherrschaft (also das Aussetzen der strukturellen Gewalt) auf physische Gewalt zurückgegriffen wird, um das Geschlechterverhältnis wieder ins der Norm entsprechende Gleichgewicht zu bringen. 7 Christine Buchwald - Worüber man(n) nicht spricht: Sexualisierte Kriegsgewalt und ihre Folgen 4. Übertragungsansätze Beide Theorien liefern vor der Folie der sexualisierten Kriegsgewalt an Männern unterschiedliche Blickwinkel und Ansatzpunkte. Hierbei möchte ich sowohl für die Theorie von Bourdieu wie auch für Connell jeweils drei Aspekte hervorheben. Bei Bourdieu zeigt sich, dass Männer qua Geschlecht "Gefangene" in den ernsten Spielen sind. Durch die Unmöglichkeit der Erkenntnis an ernsten Spielen teilzunehmen, sind sie gezwungen, an ihnen teilzunehmen. Durch die Gewalttat an ihnen und die damit verbundene Homosexualisierung durch die Handlungen anderer, kommt es dazu, dass sie nicht über die ihnen erfahrene Gewalt sprechen können. Denn darüber sprechen würde sie als verletzbare Wesen im Sinne der ernsten Spiele festlegen. Bei den ernsten Spielen begegnen sich Männer aber auf Augenhöhe (reziproke Struktur, Meuser 2003). Dies wäre nach dem Sprechen über die erfahrene Gewalt nicht mehr möglich. Gleichzeitig würde durch das Aussprechen der erfahrenen Gewalt nicht nur die eigene Position im Geschlechtergefüge gestört, sondern auch das Geschlechterverhältnis an sich. Durch die Zuschreibung der Opferposition käme es zu einer Auflösung der symbolischen Gewalt. Diese wäre nicht mehr für die gesamte Gesellschaft tragfähig und das Geschlechterverhältnis würde ins Wanken geraten. Selbstverständlich sind beide Prozesse keine bewussten und wissenden Entscheidungen, sondern unterbewusste und aufgrund der Geschlechterstruktur habitualisierte Verhaltensweisen. Gleichzeitig bietet Bourdieu auch einen Blick auf die Täterseite. Denn, wenn es nach Bourdieu das Ziel des Mannes ist, Frauen und Männer zu unterdrücken, so gelingt dies durch sexualisierte Kriegsgewalt durchaus. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit sexualisierter Kriegsgewalt deutet ebenfalls darauf hin, dass eines der Ziele, das Täter mit dieser Gewaltart beabsichtigen, die Unterdrückung des Gegenübers und die Machtdemonstration darstellt. Auch bei Connell zeichnen sich drei miteinander verknüpfte Aspekte ab. Durch die Homosexualisierung des Betroffenen kommt es automatisch zu einer Fremdzuschreibung zur "untergeordneten Männlichkeit". Diese steht zukünftig in Konflikt mit dem eigenen Streben nach dem Erreichen des Männlichkeitsideals in Form der "hegemonialen Männlichkeit". Spricht der Betroffene nun über seine erfahrene Gewalt, so setzt er sich der Fremdzuschreibung zur untergeordneten Männlichkeit aus, während das eigene Ziel der 8 Christine Buchwald - Worüber man(n) nicht spricht: Sexualisierte Kriegsgewalt und ihre Folgen hegemonialen Männlichkeit in weite Ferne rückt. Der innere Konflikt im Hinblick auf diesen Aspekt bleibt aber auch ohne das Aussprechen erhalten. Damit verbunden zeigt sich, dass durch den Übergriff die Konstruktionsfaktoren für Männlichkeit "Macht", "Kapital" und "Heterosexualität" wegbrechen. Die Konstruktion der eigenen Männlichkeit gerät somit ins Wanken. Die "Macht" wird genommen, indem der Andere als die Person angesehen wird, die - zumindest zu dem Zeitpunkt des Übergriffs - Macht über den Betroffenen hatte. Die "Heterosexualität" wird genommen, indem der Betroffene zu sexuellen Handlungen mit Gleichgeschlechtlichen gezwungen wird. Das "Kapital" könnte erhalten bleiben bzw. ist nicht direkt mit der Gewalthandlung verknüpft, oft gehen die Gewalthandlungen aber mit Plünderungen einher bzw. sie zerstören die Psyche des Betroffenen soweit, dass auch im Nachhinein ggf. keine Erwerbstätigkeit mehr möglich ist und so das ökonomische Kapital einbrechen kann. Gerade im Hinblick auf die Nachkriegssituation zeichnet sich ebenfalls ab, dass die Zerstörung der Männlichkeit zu einer subjektiven Gefährdung der Geschlechterordnung und damit auch des Unterdrückungssystems werden kann. Dies kann dazu führen, dass die Betroffenen selbst zu Tätern werden und sich mit Hilfe von physischer Gewalt ihre Machtposition und ggf. auch ihre Heterosexualität (durch eigene Vergewaltigungen von Frauen) vergewissern. 5. Fazit Insgesamt zeigt sich, dass die Betrachtung der beiden Theorien verschiedene Aspekte verdeutlichen, weshalb das Sprechen über die erfahrene sexualisierte Kriegsgewalt gerade auch für Männer so schwer ist. Die tief in den Menschen verwurzelte Geschlechterordnung und die damit verbundenen scheinbar natürlichen Verhaltensweisen führen dazu, dass das Aufbrechen dieses Tabus nach wie vor nicht geschieht. Die Betrachtung der Theorien ermöglicht neben dem Blick auf die Wirkmechanismen des Geschlechterverhältnisses aber auch Ansatzpunkte für die Betrachtung von Opfern sowie Tätern. Das Dilemma, was hier versucht wurde zu zeigen, soll keineswegs besagen, dass dies nicht veränderbar ist. Es verdeutlicht aber, dass die Prozesse zu einer Veränderung langwierig sind. Die Frage, die dabei bleibt ist, wie geht man ein solches Problem an. Wenn die Männer nicht darüber sprechen, so können sie die posttraumatischen Belastungsstörungen, die damit einhergehen, nicht verarbeiten. Sie bleiben gefangen in ihren eigenen 9 Christine Buchwald - Worüber man(n) nicht spricht: Sexualisierte Kriegsgewalt und ihre Folgen Erfahrungen. Es erscheint aber auch nicht möglich - und nicht wünschenswert, sie zum Reden zu zwingen, da ein solcher Zwang nicht nur die Wunden aufbricht, sondern auch das Problem (das sozialisierte und fest verwurzelte Geschlechterverhältnis und Männlichkeitsverständnis) nicht löst, sondern ggf. nur verstärkt. 6. Literaturangaben Bourdieu, Pierre: Die männliche Herrschaft. In: Dölling, Irene und Beate Krais (Hrsg.): Ein alltägliches Spiel. Geschlechterkonstruktionen in der sozialen Praxis. Frankfurt/Main: suhrkamp 1997. S. 153-217. Buchwald, Christine: „Frauen und Kinder zuerst!“ Aber was ist mit den Männern? Zur Auflösung der stereotypen Geschlechtszuschreibungen von Opferrollen am Beispiel sexualisierter Kriegsgewalt. In: Langer, Phil C. (Hrsg): Schriftenreihe zur soziologischen Sozialpsychologie Heft 02, 2013. Connell, Raewyn: Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften 2000. Döge, Peter: Männlichkeit und Politik. Ansatzpunkte und Perspektiven einer politikwissenschaftlichen Männlichkeitsforschung. In: feministische Studien 2000, Jh. 11, Heft 2. S. 87-97. Loncar, Mladen, Neven Henigsberg und Pero Hrabac: Mental Health Consequences in Men Exposed to Sexual Abuse During the War in Croatia and Bosnia. In: Journal of Interpersonal Violence. Heft 25, 2010. Meuser, Michael: Geschlecht und Männlichkeit. Soziologische Theorie und kulturelle Deutungsmuster. Opladen: Leske+Budrich 1998. Mischkowski, Gabriela: Sexualisierte Gewalt im Krieg. Eine Chronik. In: medica mondiale e.V. (Hrsg.): Sexualisierte Kriegsgewalt und ihre Folgen. Handbuch zur Unterstützung traumatisierter Frauen in verschiedenen Arbeitsfeldern. Frankfurt: Mabuse 2004. S. 17-56. Zarkov, Dubravka: Enthüllungen und Unsichtbarkeiten. Medien, Männlichkeitskonzepte und Kriegsnarrative in intersektioneller Perspektive. In: Lutz, Helma u.a. (Hrsg.): Fokus 10 Christine Buchwald - Worüber man(n) nicht spricht: Sexualisierte Kriegsgewalt und ihre Folgen Intersektionalität. Bewegungen und Verortungen eines vielschichtigen Konzeptes. Wiesbaden: VS Verlag 2010. S. 125-144. 11