Wo steht das Rot-, Dam-, Reh- oder Schwarzwild bei ruhi

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Wo steht das Rot-, Dam-, Reh- oder Schwarzwild bei ruhi
Rotwild zieht grundsätzlich gegen beziehungsweise mit halbem Wind. Das hat für den Waidwerle. Der Vorteil dabei ist, daß es dadurch kalkulierbarer wird. Nachteilig ist, daß es vom Ansitzenden
I
m Herzen der Lüneburger Heide, dort, wo man die
schönen und großen Vollhöfe findet, hatte mein alter
Freund Horst über eine Pachtperiode die Jagd eines solchen zweihundert Hektar großen Hofs gepachtet. Dessen Fluren schoben sich wie ein Handtuch zwischen
die gleichgroßen Nachbargemarkungen.
ROTWILD
52 J 7/2006
DAMWILD
Beim Damwild spielt der Wind, wie überhaupt das Wetter, eine
noch größere Rolle als beim Rotwild. Wind und Regen, ja schon
ein Wind, der die Bäume rauschen läßt und den man auf dem
Waldboden oder auf der Leiter kaum noch spürt, macht das Damwild heimlich, läßt es erst spät aus der Deckung treten. Es kann
in der Brunft zu Unterbrechungen führen. Wind in der Kombination mit Regen, vielleicht sogar einem Landregen, läßt den
Eindruck aufkommen, das Damwild sei verschwunden. Einzelstücke wie auch ganze Rudel stehen dann im Schutz tiefbeasteter Fichten, rühren sich nicht von der Stelle und verlassen erst
bei grober Störung ihren Unterstand.
Nun ist Damwild von Haus aus viel unsteter als Rotwild, zieht
innerhalb seines Einstandsgebiets auch ohne jede vorherige Stö-
Oben: Egal, wie stark der
Wind auch pustet, während
der Brunft verlassen die
besseren Damhirsche den
Brunftplatz nicht. Ob das
Kahlwild allerdings dort erscheint, hängt von den örtlichen Begebenheiten ab.
Links: Von allen Schalenwildarten ist das Damwild am
wetterempfindlichsten. Regen und Wind liebt es nicht.
7/2006 J 53
L
In den zwölf Jahren der Pachtdauer hatte er nur in drei oder
vier Jahren die Freude an einer gelungenen Hirschbrunft, nämlich dann, wenn wenigstens eine Woche lang Ostwind herrschte.
Bei andauerndem Westwind zogen die Rudel weit gegen den
Wind durch drei oder vier Jagden hindurch. Man saß und saß
auf den Leitern und holte sich Schwielen an gewissen Stellen,
hörte dem Brunftkonzert von Ferne zu und sah fast immer
nichts! War aber Ostwind, so drehte sich das Karussell um
180 Grad, alles Wild von weit und breit stand in Horsts Handtuchjagd. Die Hirsche schrien fast 24 Stunden lang. Was Wunder auch bei einer fast unvorstellbaren Wilddichte in den wenigen Dickungen, die alle dicht vor dem Feld lagen, bis zu dem
das Wild gegen den Wind ziehen konnte. „Dem Enen sin Uhl
ist dem Annern sin Nachtigall!”
In meinem Wald in der Oberlausitz ist es so, daß das Rotwild
bei Ostwind schnurstraks aus seinen beiden Einstandsdickungen
in direkter Linie zum Feld zieht, aber in riesigen Bögen und immer mit halbem Wind vom Feld heimwärts in die Deckung. Ist
dagegen Westwind, so zieht es entweder erst gegen Mitternacht
auf die Felder oder macht auch dann die großen Umwege mit
halbem Wind, um am Morgen genau gegen den Westwind in
der kürzesten Verbindung nach Hause zu ziehen.
Weil das Wild es bei Ostwind sehr, sehr eilig hat, am Morgen
heimwärts zu ziehen, ist dann nur der Abendansitz zwischen
Dickung und Feld sinnvoll, während es bei Westwind genau
umgekehrt ist. Das Wild kommt am Abend – wenn überhaupt
– sehr spät, bummelt aber beim Heimweg langsam umher und
hält sich oft lange beim Nachtisch in den Althölzern auf. So machen wir die weit überwiegendere Zahl unserer Rotwildstrecke
am Morgen und bei Westwind. Der Wind entscheidet also bei
Rotwild bis in feinste Nuancen über dessen Wechsel und Wege.
Foto: Helge Schulz
WENN
DER
WIND
JAGT...
Schwarzwild ist wie alle Wildarten natürlich auch windempfindlich, allerdings nicht ganz so sehr wie Rot- und Damwild,
und im Wald mehr als draußen im Feld. Im Wald scheint die
Windempfindlichkeit weniger unmittelbar vom mehr oder weniger starken Luftzug herzurühren, als von dem Geraschel,
dem Knacken sowie Klappern in Zweigen und Ästen. Da ja
die Sauen nicht sehr gut äugen können, fürchten sie umso
mehr jede Gefahr, die aus diesem Manko herrührt. Das kann
leicht sein, wenn das Geräusch des Windes im Wald das Anschleichen des Feindes unhörbar macht oder gar einen Feind
vortäuscht. Ich glaube nicht, daß ich hier allzu menschlich
denke. Schwarzwild ist nun einmal unsere intelligenteste heimische Wildart. Man kann wohl davon ausgehen, daß die Sauen durchaus in der Lage sind, aus Erfahrungen
komplizierte Schlüsse zu ziehen. Diese Meinung
findet ihre Unterstützung darin, daß im Feld stehende Rotten sich vom Wind, ja sogar von hohen
Windstärken nur wenig beeindrucken lassen. Sie
fühlen sich im Getreide, Mais und Kartoffeln sehr
sicher. So sicher, daß sie – wir wissen das alle –
auch am hellen Tag darin herumziehen und nach
Mast suchen. Ein Tun, das im Wald so gut wie ausgeschlossen ist, sieht man von Bachen mit Frischlingen ab, die schon früh am Abend vor allem
nach einem Regenschauer Obstmast suchen.
kenden Vor- und NachteiWo die Brunft innerhalb des Einstandes stattfindet,
Diese geringe Windempfindlichkeit findet abrupt
leichter Wind bekommt.
hängt von der vorherrschenden Windrichtung ab.
ihr Ende, wenn es darum geht, eine Kirrung auszusuchen, an der gejagt wird und an der die RotHunden, vor allem hochläufigen Hunden gejagt, so wirkt Damte schon früher schlechte Erfahrungen gesammelt hat. Zwar
wild oftmals zunächst völlig kopflos, findet sich aber bald in die nähern sich die Sauen in guter Deckung dem wohlschmeckenSituation ein und wendet sich gegen den Wind.
den Fraß, aber
In der Brunft spielt der Wind mitunter eine starke Rolle. Er kann sie bleiben in
für einige Tage das Brunftgeschehen dadurch hemmen, daß das
der Deckung,
weibliche Wild nur sehr zögernd auf den Brunftplatz zieht, den
wenn es auch
aber die Hirsche selbst bei Sturm und Platzregen nicht verlassen
nur den geringund in ihren Brunftkuhlen bleiben. Wenn also in der zweiten
sten Anschein
Hälfte des Oktober eine tagelang andauernde Schlechtwetterhat, daß der
front über das Land zieht, kann es eine sehr stille Brunft geben,
Mensch in
die üblichen Konzentrationen finden nicht statt. Ich habe es erder Nähe sein
lebt, daß bei Wind und Regen das Kahlwild sich abseits der
kann. Wenn
Brunftplätze mit Beihirschen begnügt, die es sonst mit Sicherdabei starker
heit nicht beachten würde. Die Hauptsache ist, daß am Ort sich
Wind geht,
Foto: W. Radenbach
Wo steht das Rot-,
Dam-, Reh- oder
Schwarzwild bei ruhigem Wetter, bei Wind
oder bei Sturm? Wie
zieht das Wild bei welcher Windrichtung?
Kurzum: Wie beeinflußt der Wind das
Verhalten des Schalenwildes, und was bedeutet dies für den Jäger?
Ein alterfahrener
Praktiker zeigt’s auf.
SCHWARZWILD
Foto: Michael Migos
Einfluß des Windes auf das
Verhalten des Schalenwildes
einigermaßen windgeschützte Einstände befinden, und wenn
nur irgend möglich auch regensichere Unterstände. Die eigentlichen Brunftplätze blieben verwaist. Damwildjagd und Wind
schließen sich aus, der Jäger bleibt besser im Bett!
Foto: Stefan Meyers
REVIERPRAXIS
rung und ohne Anhalt an bessere oder schlechtere Äsung gern
und stetig umher. Eine Abhängigkeit vom jeweils herrschenden
Wind ist dabei kaum zu beobachten. In der täglichen Bewegung
zieht Damwild mal mit, mal gegen den Wind. Dies gilt aber nur
so lange, wie das Wild ungestört ziehen kann. Bei der geringsten Störung wendet es sich mit absoluter Sicherheit gegen den Wind und kommt dabei so
schnell nicht zur Ruhe. Dies gilt ganz besonders
für die herbstlichen Drückjagden, bei denen ohne
Hunde das Wild nur beunruhigt wird, aber doch die
Einstände von einzelnen Treibern durchgangen werden. Damwild verläßt oftmals noch
vor dem Rotwild und selbstverständlich
erst recht vor den Sauen die Deckung
und zieht – sehr vorsichtig erst – dann
aber in hohen Fluchten, sobald es merkt,
daß es ernst wird, schnurgerade gegen
den Wind zur nächsten Deckung. Und
sei es auch, daß die Reise übers Feld
gehen muß. Wird bei Drückjagden mit
Foto: Stefan Meyers
REVIERPRAXIS
Foto: Jürgen Weber
Im Wald sind Sauen sehr windempfindlich. Raschelndes Laub zum
Beispiel täuscht einen Feind vor bzw. erschwert die Feindortung.
Stehen Sauen im Feld, ist’s ihnen egal, wie stark der Wind weht. In den hohen Feldfrüchten wie Mais, Hafer oder Roggen fühlen sie
sich sausicher. Wenn allerdings der Mais reif ist und die Blätter im Wind rascheln, ziehen sich die Schwarzkittel in den Wald zurück.
Wechseln Schwarzkittel auf eine Kirrung mit einer für sie negativen Vorgeschichte, sind sie äußerst wachsam. Erst recht bei Wind.
Foto: Karl-Heinz Volkmar
Foto: Jens Krüger
wird er mit hoher Sicherheit einmal umschlagen, überkippen,
herumrollen, eine Gegenströmung hervorrufen, und dann hört
das Geknister der Sauen in der Dickung plötzlich auf. Es mag
ein Warnruf erfolgen, und dann herrscht tiefe Stille. Der Jäger
kann getrost abbaumen und nach Hause gehen. Starker Wind
und Ansitz an der Kirrung vertragen sich nicht.
Am günstigsten ist nicht etwa die Windstille, die es nicht
gibt, nur wir empfinden sie so mit unseren stumpfen Sinnen,
günstig ist der leise Luftzug, wenn er nur stetig ist, gleichmäßig stark und immer aus derselben Richtung. Die sogenannte
Windstille ist eine trügerische Wetterlage. Sie besteht aus steigenden und fallenden Luftströmen aus fast unmerklichen Wirbeln, die sich hin- und herdrehen und uns verraten. Mögen wir
auch noch so hoch und noch so abgeschlossen in einer festen
Kanzel sitzen.
Bei der Drückjagd spielt seltsamerweise der Wind bei Schwarzwild nur eine vergleichsweise geringe Rolle, vor allem dann,
wenn mit scharfen und fährtenlauten Hunden gejagt wird. Der
Wind mag gehen, wie er will, und so stark sein, wie er will, die
Sauen werden, gleich ob die Rotte gesprengt
wurde oder nicht, die Verbindung zur nächsten Deckung su-
chen – mit dem Wind, gegen den Wind, mit halbem Wind. Nicht
so allerdings der gewitzte, alte Basse, manchmal auch die alterfahrene Bache, die sich auch durch die wildeste Hundemeute
nicht irritieren lassen und schnurstraks gegen den Wind flüchten, komme was da wolle. Und erst wenn sie vom Wind getragen den Geruch des Menschen wittern, schlagen sie um. Nun
sind sie nicht mit Liebe und nicht mit Gewalt aus der Dickung
zu treiben oder verlassen sie an einer Stelle, wo man es niemals gedacht hätte, aufs Feld hinaus, über eine voll einsichtige
Pflanzkultur, jedenfalls dort, wo es der Jagdherr nie vermutet
hätte. Und deshalb ist – Wind hin, Wind her – bei Drückjagden
auf Sauen das Besetzen der Fernwechsel fast wichtiger als alle anderen Posten. Nur kennen muß man die Fernwechsel, die
absolut nicht identisch sind mit den Wechseln vom und zum
Feld. Und daran hapert es oft. Was Wunder auch, es braucht
viele Jahre, bis man aus Erfahrung klug geworden ist.
REHWILD
Rehe sind auch in Bezug auf Wind seltsame Tiere,
und das hängt wohl mit ihrem vergleichsweise kleinen Verdauungsapparat zusammen und der damit
Rehwild schätzt stärkeren Wind nicht besonders. Will es im Feld von A nach
B ziehen, erhöht sich mit steigender Windgeschwindigkeit auch sein Tempo.
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verbundenen Notwendigkeit, alle paar Stunden Äsung aufnehmen zu müssen. Außerdem haben Rehe einen zu den anderen
Schalenwildarten einmalig kleinen Lebensraum, der mitunter
ganzjährig weniger als zehn Hektar umfaßt. Die Folge davon
ist, daß sie gezwungen sind, sich oftmals am Tag sehen zu lassen und dies immer in der Nähe ihres Einstands, bevorzugt
natürlich dort, wo sich die benötigte energiereiche Äsung findet – und das ist oft genug auf der Windseite.
Damit soll nun nicht etwa gesagt sein, daß sich Rehe gar nicht
um den Wind scheren, das wäre weit untertrieben. Sturm oder
gar Sturm mit Regen bewirken, daß auch Rehe lieber mehr als
ihnen gut tut hungern und nur in unmittelbarer Nähe ihres Lagers notdürftig etwas Äsung zu sich nehmen. Dauert aber die
Wind- und Regenperiode länger als einen Tag, dann siegt der
Hunger. Die Rehe werden wieder sichtbar, wenn auch immer
nur kurz und nur solange, wie sie benötigen, um den gröbsten
Hunger zu stillen. Ein Wechsel des Einstands findet in keinem
Fall statt. Dazu ist das
Rehwild
viel
zu
sehr
Einzelgänger,
revierbezogen und eifersüchtig bemüht, seinen Einstand zu
verteidigen. Dies unterscheidet Rehwild grundlegend von allen anderen Schalenwildarten, die bei den verschiedenen Wetterlagen durchaus einmal den Einstand wechseln, wenn dieser
zu naß oder zu trocken wird. Dazu haben die größeren Schalenwildarten auch alle Möglichkeit, weil sie nun einmal einen
um das Vielfache größeren Lebensraum haben als Rehe. Eine
Teilausnahme hiervon macht lediglich das Rotwild, das zwar
seine Wege vom Einstand zur Äsung und zurück – wie oben
geschildert – je nach Windrichtung ändert, jedoch mit geringen Ausnahmen fest am eigentlichen Einstand hängt. Das trifft
besonders für die Zeit nach dem Setzen der Kälber und dann
wieder in der Winterzeit zu.
Werden Rehe beunruhigt, sei es im Einstand oder bei der
Äsung, so drücken sie sich nach Möglichkeit. Geht dies nicht,
so werden sie bei geringer Beunruhigung immer gegen den
Wind ziehen oder flüchten. Ist die Beunruhigung hingegen
massiv, etwa durch laute Treiber und Hunde, so können Rehe
zunächst völlig kopflos reagieren, so daß der Wind für einige
Zeit überhaupt keine Rolle spielt. Erst wenn der Druck nachläßt, tritt ein wenig Beruhigung ein. Der Wind wird geprüft,
das einzelne Stück oder Sprung beginnt erst langsam, dann immer schneller, aber doch häufig durch anhaltendes Sichern unterbrochen, gegen den Wind zu ziehen.
Bewegungsjagden, die sich ausschließlich auf Rehe beziehen,
müssen zwar mit Hunden durchgeführt werden, da sich das
Wild sonst mit Sicherheit um die Treiber herumdrückt, aber
es dürfen wirklich nur niederläufige Hunde eingesetzt werden,
die nach Möglichkeit fährtenlaut sind, das Wild nur hoch machen, beunruhigen und auf den Läufen halten, ohne daß es in
Panik verfällt. Nur dann ist gesichert, daß Rehe oft genug ein
Halt in die vorsichtige Flucht einlegen und damit ein sauberes
Ansprechen sowie Schießen ermöglichen.
SCHLUSSENDLICH…
Somit hat jede unserer Schalenwildarten ihre spezifischen
Eigenheiten, wenn es um die Ausnutzung oder auch die Furcht
vor Wind, Sturm und Regen geht. Ein Jäger, der sein Revier
und das Wild in ihm genau studiert hat, kann sogar damit rechnen, daß er das Sprichwort Lügen straft, wonach er im Bett
bleiben soll, wenn draußen der Wind geht. Auch ihm kann
manchmal der Wind nützen, der alle Laute verschluckt, auch
die eigenen Pirschgeräusche. Nur muß bei Wind die Pirsch
des Jägers noch vorsichtiger erfolgen als üblich.
Alle unsere Wildarten, ob Rot- oder Damwild, ob Schwarzoder Rehwild, sind klug genug, um zu wissen, daß das Leben
mit zunehmender Windgeschwindigkeit immer gefährlicher
wird. Ein Jäger, der nicht das Pirschen-Stehen gelernt hat und seine
Nerven nicht an Zügel und Zaum
halten kann, der, ja der sollte
wirklich lieber zu Hause bleiben und damit vermeiden, das
ohnehin schon viel zu sehr beunruhigte Wild nur zu stören.
Friedrich Karl von Eggeling
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