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B E AU T Y
FÜR IMMER
SCHÖN
27 Mal zierte sie den Titel der amerikanischen „Vogue“, sie erhielt als
Erste einen exklusiven Kosmetikvertrag und strahlt mit 64 noch
immer in die Kamera: Lauren Hutton, Ur-Supermodel, Schauspielerin
und Geschäftsfrau. Jetzt stellt sie ihre neue Make-up-Linie vor
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FOTO : WA LT ER C H I N / M A R EK& A S S OC I AT E S / T RU N K A RC H I V E .CO M
Trotzt dem Zahn der
Zeit: Lauren Hutton –
eine Frau, die mit sich
im Reinen ist
FOTO
INTERVIEW: K AT HARINA VON DER LE Y EN
Frau Hutton, Sie haben keine SchönheitsOPs machen lassen, und es ist keine Spur
von Botox in Ihrem Gesicht zu entdecken
– das ist ungewöhnlich für jemanden in diesem jugendorientierten Business, in dem
Sie sich bewegen.
Unsere Falten sind doch die Orden für das
Leben, das wir gelebt haben. In den letzten
35 Jahren bin ich vom Himalaja nach Afrika
und an den Amazonas gezogen, ich war Tiefseetauchen, bin mit Hundeschlitten durch
Schweden und Alaska gereist und habe bei
den Pygmäen gelebt und in Schlafsäcken auf
dem nackten Boden geschlafen. Und das soll
ich willentlich und wissentlich ausradieren?
Ich denke nicht. Ich wollte nie nur ein schönes Gesicht mit leeren Augen sein. Ich habe
immer zwei, drei Monate in New York gearbeitet und bin dann verreist. Und wenn ich
mich dann wieder ins Rennen begab, war
mein Gesicht verändert, mein Lächeln war
echt, weil ich gerade lauter unglaubliche Sachen erlebt hatte.
Lange vor Carrie Bradshaw waren Sie der
Inbegriff der New Yorkerin. Dabei sind Sie
ein Southern Girl aus Florida.
Ich hatte ein Ziel: Ich wollte reisen, und dafür
brauchte ich Geld. Ich dachte, das verdiene
ich am leichtesten als Model in New York.
Waren Sie dafür mit 1,70 m nicht zu klein?
Das kann man wohl sagen: Ich war das kleinste Model meiner Zeit. Die 60er-Jahre waren
die Zeit der riesigen Deutschen und Schwedinnen, die mindestens eins achtzig waren.
Mussten Sie die Agenturen dazu überreden,
Sie mit Ihrer Größe überhaupt anzusehen?
Es gab damals fünf Agenturen in der Stadt,
und ich arbeitete mich sozusagen von unten
nach oben. Die ersten vier lehnten ab, aber
ich hörte mir jedes Mal genau an, warum sie
mich nicht wollten, um die gleichen Fehler
nicht noch einmal zu machen. Die letzte
Agentur auf meiner Liste war die der großen
Eileen Ford. Sie sah mich an und sagte, sie
würde mich nehmen, ich solle aber meine
Nase und meine Zähne richten lassen.
Offensichtlich haben Sie nicht darauf gehört.
Ich hatte sowieso kein Geld, um meine Zähne machen zu lassen. Stattdessen habe ich
immer ein Stück Wachs hinter meine Zähne
geklebt, damit man den Zwischenraum auf
den Fotos nicht sah.
Sie waren klein, hatten eine Nase, die nicht
passte und eine Zahnlücke. Und trotzdem
wurden Sie zum Supermodel.
Es war harte Arbeit. Niemand wird über
Nacht zum Supermodel, außer man kommt
als Amber Valletta oder Naomi Campbell auf
die Welt. Geborene Models sind genetische
Freaks, haben ein sehr symmetrisches Gesicht, unglaubliche Knochen und perfekt
proportionierte Körper – sehr seltene Wesen. Ich gehörte nicht dazu, hatte aber das
Glück, dass ich auf Fotos größer wirke; andere Schwächen trickste ich aus, indem ich
lernte, wie das Licht wirkt, wo Schatten entstehen. Und in Modezeitschriften habe ich
das Make-up der Models genau studiert.
Wann kam der Durchbruch?
Nach neun Monaten bei der Ford Agency
sollte ich im Büro von Diana Vreeland,
der Chefredakteurin der amerikanischen
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1 Der berühmte Silberblick bei einem
Accessoire-Shoot 2 und 3 33 Jahre liegen
zwischen ihrem ersten und dem bisher
letzten Titelbild für die amerikanische
„Vogue“, 1966 und 1999 4 Hutton als
Gesicht der aktuellen Mango-Kampagne
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„Vogue“, ein paar Kleider vorführen. Sie war
die mächtigste Person der Modeindustrie.
Ich saß auf dem Fensterbrett und beobachtete sie, als sie mitten im Satz unterbrach und
auf mich zeigte, ohne mich dabei anzusehen:
„Du da! Du hast wirklich Präsenz!“, sagte sie.
Ich hatte keine Ahnung, was das bedeutete,
dachte aber, es sei etwas Gutes, und antwortete: „Sie auch, Ma’am.“ Später sah sie mein
Buch durch und schickte mich am nächsten
Tag zu Richard Avedon.
Mit dem Starfotografen haben Sie dann jahrelang zusammengearbeitet. Wie war Ihr
erstes Treffen?
Ich war so unerfahren, dass ich echte Probleme hatte, mich vor der Kamera zu bewegen.
Irgendwann gab Richard auf und fragte, woher ich stamme. Ich erzählte ihm, dass ich
aus Florida käme und
dort immer in den
Sümpfen gespielt hatte und herumgesprungen war. „Na
dann – spring!“, sagte
er. Drei Monate später kam die „Vogue“
heraus, in der ich
über 14 Seiten hops-
„GEBORENE SUPERMODELS SIND
GENETISCHE FREAKS“
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LAURENS
BEAUTYPRODUKTE
LAURENS SCHMINKTIPPS
Make-up,
das jünger macht
Die bunten Farbkreise auf der Palette
entsprechen der Make-up-Platzierung
im Gesicht. Siehe Illustration oben:
1 PALETTE Die Kreise
enthalten unterschiedliche Töne, die auf
die verschiedenen Gesichtspartien aufgetragen werden sollen
(siehe Schminktipps),
„Face Disk“, um 60
Euro 2 PINSEL Teil des
„7-Piece Professional
Brush Set“ 3 FOUNDATION „Aqua Elements.
Base Elements“, mit
Concealer, um 24 Euro
4 BLUSH „Aqua
Elements. Color Elements“, um 18 Euro
auf Pickel
auf Schatten
auf Gesichtskonturen
auf Wangen und Lippen
auf Augenbrauen
auf Nasenspitze, -seiten und Augen
Eyeliner
7
5 ROUGE-PINSEL
Teil des „7-Piece Professional Brush Set“,
insgesamt um 90 Euro
5
6 LIPPENPFLEGE
3
„Lip Balm Trio“, um
16 Euro 7 KABUKIPINSEL Teil des „7Piece Professional Brush
Set“ 8 LIPPENFARBEN
„Tinted Lip Balm“, in
drei Nuancen, zusammen um 6 Euro
FOTOS : A KG I M AG E S , A N TO N I B E R N A D, A N N I E L E I B OV I T Z / U S VOG U E , P R , R AG N A R S C H M U C K , B E R T S T E R N / U S VOG U E
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te. Inklusive Zahnlücke. Von da an habe ich
ununterbrochen gearbeitet.
Sie galten als wild und geschäftstüchtig.
Na ja, ich hatte eben noch andere Ziele, als
nur vor der Kamera zu stehen. Ich habe
schnell mehr als andere verdient, weil ich
herausfand, dass Unterwäsche-Models für
200 bis 300 Dollar pro Stunde arbeiteten –
das bekamen wir „Vogue“-Mädchen am Tag,
und dabei hatten wir genauso wenig am
Leib, wenn wir in Bikinis fotografiert wurden. Also sprach ich mit Eileen und sagte:
„Ab jetzt mache ich Unterwäsche-Kataloge.“
Sie war entsetzt, aber ich zog es durch und
hatte für sechs Monate den ganzen Markt für
mich allein. Dann erst zogen die anderen
nach. Heute ist „Victoria’s Secret“ der Beweis, dass man es als Model geschafft hat.
Sie waren das erste Model mit einem exklusiven Kosmetikvertrag. Wie kam es dazu?
Ich war 30 und das berühmteste Model der
Welt – die anderen Mädchen wie Veruschka,
Twiggy oder Jean Shrimpton hatten längst
aufgehört. Und ich fragte mich, wie mein
Ruhestand aussehen soll. Dann las ich in einem Artikel über den Baseballspieler Catfish
Hunter, der als Erster einen Vertrag mit einer Sportartikelfirma bekam. Ich sprach
meinen Freund Bob Williamson (mit dem
Lauren Hutton 29 Jahre zusammenlebte) darauf
an. Er sah über seine Brille von den Börsenkursen auf und sagte: „Kosmetikfirmen, die
haben Geld. Von jetzt an machst du für niemanden mehr Make-up-Werbung ohne Vertrag.“ Eileen Ford rang wieder die Hände,
aber schließlich erzählte Dick Avedon dem
Besitzer von Revlon, Charles Revson, davon.
Und so bekam ich 1974 den ersten Kosmetikvertrag für eine Million Dollar im Jahr.
Das hat die gesamte Branche verändert.
Ja. Jerry Ford, Eileens Mann, handelte den
Vertrag mit meinem Anwalt aus, mein Einkommen verfünffachte sich, ich kam auf das
Cover von „Newsweek“ und „Time“. Jerry
erhöhte daraufhin die Provision der Models
an ihn von zehn auf zwanzig Prozent und
führte die Kundenprovision ein. Seither
wird im Modelbusiness der Agent von beiden Seiten bezahlt.
Der Vertrag war so exklusiv, dass Sie keine
anderen Fotos nebenbei machen durften?
Nein, aber Filme. Ich drehte „Ein Mann für
gewisse Stunden“ mit Richard Gere und bereiste in der übrigen Zeit die ganze Welt.
Mein Revlon-Vertrag lief über zehn Jahre
und endete, als ich 40 wurde. Damals dachte
man noch, dass Frauen in diesem Alter kein
Make-up mehr brauchten.
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Haben Sie deshalb Ihre eigene Make-upLinie entwickelt?
Die Idee dazu hatte ich schon mit 46, als ich
feststellte, dass die meisten Make-ups für junge Haut hergestellt werden. Man kann sich
mit 45 aber nicht schminken wie eine 20-Jährige: Man braucht andere Farben, andere
Konsistenzen, sonst setzt sich alles bröckelig
in die Falten ab, und man sieht in etwa so
natürlich aus wie eine Kabuki-Maske. Ich
wollte eine Schminke, mit der man so aussieht, als hätte man genug geschlafen, viel
gelacht und die richtigen Sachen gegessen.
Ihre Linie „Lauren Hutton’s Good Stuff“ ist
sehr erfolgreich. Was macht Ihre Sachen so
besonders?
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Die Konsistenz ist leichter, ich habe völlig
auf Glanzpartikel verzichtet, die Falten hervorheben, und ich habe mir ein einfaches
System ausgedacht: Es gibt Paletten in der
Art von Malkästen für den jeweiligen Hautton. Weil sich im Laufe des Lebens die Gesichtskonturen verändern, muss man das
Make-up außerdem anders auftragen. Dafür
habe ich eine genaue Anleitung geschrieben
und gezeichnet, mit der wirklich jeder die
Farben und Pinsel richtig anwenden kann.
Liegt es an diesem Wissen, dass Sie mit 45
ein Comeback schafften und jetzt das aktuelle Gesicht der Mango-Kampagne sind?
Ich weiß, welches Licht und welche Situationen ich heute meiden sollte. Den ersten Job
im Dino-Alter machte ich mit Helmut Newton
für die amerikanische VANITY FAIR. Ich
fürchtete mich ein bisschen, weil er auf große
Gertruds mit Brüsten aus Stahl stand und außerdem dafür bekannt war, alles wahnsinnig
unbarmherzig auszuleuchten.
Was also haben Sie unternommen?
Ich habe mir ein Szenario überlegt, bei dem
Helmut sich so konzentrieren musste, dass
er sich kein böses Licht ausdenken konnte:
ein Shoot mit Alligatoren. Als Kind hatte ich
die Indianer in Florida oft beim „AlligatorWrestling“ besucht und vor den Aufnahmen
mit ihnen geübt. Ich dachte mir: Wenn ich
gefressen werde, möchte ich nicht, dass Helmut Newton davon Bilder macht.
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