Dein Glaube hat dich gerettet

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Dein Glaube hat dich gerettet
Bibelarbeit zum Markusevangelium 5, 25-34
"Dein Glaube hat dich gerettet"
1. Einführung
Im Advent beten wir anders. Bestehen die Tagesgebete in der Heiligen Messe meistens aus einer
Anrede Gottes, einer kurzen Erinnerung an sein Heilshandeln und einer Bitte an ihn, so verdichtet
sich im Advent (und auch in der Fastenzeit) das Beten häufig unmittelbar zum Bitten. In den Tagen
des Advents begleitet uns vor allem das berühmte Ps 80 (79),3 entnommene "Excita", wenn es etwa
heißt: "Excita, quaesumus, Domine, potentiam tuam, et veni – Biete auf deine Macht, wir bitten
dich, Herr, und komm" oder "Excita, Domine, corda nostra – Rüttle auf, Herr, unsere Herzen".
Gott wird gerade in Zeiten der Vorbereitung nahezu bedrängt. Die Sehnsucht nach dem Kommen
seiner Herrschaft und nach der Begegnung mit seinem Sohn prägt das Beten und Leben derjenigen,
die an das Evangelium glauben.
Ein biblisches Vorbild dieser flehentlichen wie vertrauensvollen Hinwendung zum Herrn ist die
blutflüssige Frau. Sie reiht sich ein in eine Vielzahl von gläubigen und ungläubigen Menschen,
denen Jesus im Evangelium nach Markus begegnet. Gleich zu Beginn seines öffentlichen Wirkens
fordert er programmatisch zur Umkehr und zum Glauben auf (vgl. Mk 1,15). Zunächst sind es die
ersten Jünger, die diesem Ruf folgen (vgl. 1,16–20). Sie vertrauen darauf, dass in Jesus das Reich
Gottes nahe ist. Vertrauen wird in Krisensituationen aber auf die Probe gestellt. Daher erinnert der
Evangelist Markus immer wieder im Zusammenhang von Heilungserzählungen daran, was es heißt
zu glauben.
2. Wortlaut
25 Darunter (unter den vielen Menschen, die Jesus folgten und sich um ihn drängten) war eine Frau,
die schon zwölf Jahre an Blutungen litt. 26 Sie war von vielen Ärzten behandelt worden und hatte
dabei sehr zu leiden; ihr ganzes Vermögen hatte sie ausgegeben, aber es hatte ihr nichts genutzt,
sondern ihr Zustand war immer schlimmer geworden. 27 Sie hatte von Jesus gehört. Nun drängte
sie sich in der Menge von hinten an ihn heran und berührte sein Gewand. 28 Denn sie sagte sich:
Wenn ich auch nur sein Gewand berühre, werde ich geheilt. 29 Sofort hörte die Blutung auf, und sie
spürte deutlich, dass sie von ihrem Leiden geheilt war. 30 Im selben Augenblick fühlte Jesus, dass
eine Kraft von ihm ausströmte, und er wandte sich in dem Gedränge um und fragte: Wer hat mein
Gewand berührt? 31 Seine Jünger sagten zu ihm: Du siehst doch, wie sich die Leute um dich
drängen, und da fragst du: Wer hat mich berührt? 32 Er blickte umher, um zu sehen, wer es getan
hatte. 33 Da kam die Frau, zitternd vor Furcht, weil sie wusste, was mit ihr geschehen war; sie fiel
vor ihm nieder und sagte ihm die ganze Wahrheit. 34 Er aber sagte zu ihr: Meine Tochter, dein
Glaube hat dich gerettet. Geh in Frieden! Du sollst von deinem Leiden geheilt sein.
3. Hintergrund
Die Erzählung von der blutflüssigen Frau wird gerahmt von der Erzählung von Jaïrus und seiner
Tochter (vgl. 5,21–24.35–43). Der Synagogenvorsteher Jaïrus erkennt die Vollmacht Jesu an, indem
er vor ihm niederfällt und ihn bittet, der sterbenden Tochter durch die Auflegung seiner Hände das
Leben zu retten (vgl. V. 22f). Beide Erzählungen sind in eine Art Ringkomposition
zusammengefügt, wie sie für den Evangelisten Markus typisch ist. Die Zuwendung Jesu zu der
blutflüssigen Frau verzögert sein Eingreifen in das Leid der Tochter der Jaïrus – so sehr, dass es
scheinbar keine Hoffnung mehr gibt: Der Tod der Tochter wird gemeldet (vgl. V. 35). Ehe Jesus ein
weiteres Mal die heilsame Kraft einsetzt, die Gott ihm verliehen hat, fordert er den
Synagogenvorsteher richtungsweisend auf (V. 36): "Sei ohne Furcht; glaube nur!"
V. 25f: Doch davor sieht er sich mit einer Frau konfrontiert, die von einer demütigenden Krankheit
geplagt wird. Was heute womöglich als Endometriose diagnostiziert und therapiert werden könnte,
bedeutet im jüdischen Altertum den kultischen (und teilweise auch den sozialen) Ausschluss (vgl.
Lev 15,25–27.31). Solange die Blutungen andauern, wird alles unrein, was die Frau berührt.
"Unrein" wird dabei nicht als Synonym von "unsauber" verstanden, sondern als Gegensphäre zum
Leben. Was unrein ist, ist infektiös, lebensgefährlich, todbringend. Im Vordergrund der Erzählung
steht die körperliche und seelische Schwäche der Frau. Niemand hat ihr bisher helfen können – im
Gegenteil: Ihre Beschwerden haben zugenommen und die vielen Behandlungen haben ihr gesamtes
Vermögen aufgebraucht. Ihre Lage erscheint schlechterdings ausweglos.
V. 27f: Die Frau gibt aber nicht auf. Sie hat von Jesus und seiner Heiltätigkeit gehört (vgl. Mk 1,34;
3,8). Sie drängt sich von hinten in seine Nähe und fasst sein Obergewand an (vgl. 3,10; 6,56; Apg
5,15; 19,12). Sie erkennt in ihm einen Menschen, von dem göttliche Kraft ausgeht – derart stark,
dass eine Berührung genügt, um geheilt zu werden. Vielleicht geht sie diesen verborgenen Weg,
weil sie weiß, dass sie wegen ihrer chronischen Blutungen gehalten ist, Abstand zu wahren. In der
geistlichen Tradition der Kirche ist die blutflüssige Frau bevorzugte Referenzperson für den (heute
selten gewordenen) Brauch, nach welchem ein Ministrant den hinteren Saum des Messgewandes
zur Elevation von Leib und Blut Christi anfasst und leicht anhebt – ein kleines Ritual mit großem
Zeugnischarakter: Vom menschgewordenen Gott geht eine Kraft aus, die unmittelbar greifbar und
schon heute wirksam ist, denn das Reich Gottes ist nahe.
V. 29–31: So lang die Frau zu leiden hatte, so abrupt setzt ihre Heilung ein. Mit der Berührung des
Gewandes verschwinden die Blutungen schlagartig. Sie fühlt sich im umfassenden Sinn gesund. Die
Berührung hat Jesus nicht unrein gemacht, sondern die Frau rein. Die Reinheit Jesu muss nicht vor
Unreinheit geschützt werden, sondern greift als reinigende Liebe Gottes auf andere Menschen über.
Auch Jesus spürt die Kraft, die von ihm ausgeht und fragt, wer ihn berührt habe. Die Jünger halten
die Frage angesichts der großen Menschenmenge, die ihn umgibt, für müßig.
V. 32f: Doch Jesus will diese Person ausfindig machen. Er hat ein echtes Interesse an ihr. Seine
Blicke wandern durch die Menge. Die Frau weiß, dass sie gemeint ist. Sie weicht nicht aus, sondern
sie bekennt sich – begleitet von Ehrfurcht und Zittern. Sie weiß, dass sie mit der Gnade der
Gottesherrschaft in Berührung gekommen ist. Sie verehrt den Herrn fußfällig und berichtet ihm
alles: ihr schweres Leiden, dass sie ihn heimlich berührt hat (auch auf die Gefahr hin, ihre
Unreinheit zu übertragen) und schließlich die wundersame Heilung.
V. 34: In seiner Antwort auf ihr Bekenntnis billigt Jesus den Versuch der Frau, in seine Nähe zu
gelangen. Er nennt sie "Tochter" und weist ihr damit (wieder) einen vollwertigen Platz bei
denjenigen zu, die zu Gott gehören. Der Grund ihrer Rettung ist, dass sie glaubt. Ihre Heilung ist
dabei jeder Logik von Magie enthoben, denn nicht der Glaube ist die heilsame Kraft, vielmehr
öffnet der Glaube den Menschen für die Kraft Gottes. Das Vertrauen der Frau auf Heilung durch
Jesus erweist sich als Glaube an Gott, der zum Heil führt. Nur so kann sie Mut fassen, die Grenze
zu Jesus hin zu überschreiten. Erst seine Nähe lässt ihren Leib und ihre Seele gesunden, erst seine
Nähe verwandelt ihr ganzes Leben, denn Jesus ist der von Gott gesandte Arzt der Kranken und in
Schuld geratenen (vgl. Mk 2,17; ferner Ex 15,26). Schließlich spricht Jesus der Frau den Frieden zu
(gemeint ist nicht eine unspezifische innere Ruhe, sondern das Heil von Gott) und bestätigt ihre
Heilung. Zum Gestus der Berührung tritt das Wort hinzu. Beides gehört zusammen. Das endgültige
Wort Jesu macht die Heilung der Frau zu einem öffentlichen Ereignis im Rahmen seiner
Verkündigung der Gottesherrschaft.
Die Erzählung von der blutflüssigen Frau lehrt uns, was es heißt zu glauben – nämlich: aus eigenem
Antrieb die Nähe Jesu zu suchen, auch in scheinbar ausweglosen Situationen seine Hilfe zu erbitten
und diese ehrfürchtig anzunehmen. Der Glaube öffnet uns für das Heilshandeln Gottes. Zum
Glauben gehört Vertrauen. Vertrauen kann Jesus deshalb erwecken, weil er der Sohn Gottes ist. Der
Glaube beinhaltet dieses Bekenntnis (vgl. Mk 8,29; 15,39). Die erste und universale Sprache des
Glaubens ist das Gebet.
4. Anregung
Lesung: Wir hören auf das Wort Gottes. Der Schrifttext wird laut verlesen.
Meditation: Wir sinnen über das Wort Gottes nach. Wort für Wort lesen wir das Evangelium –
langsam und in Stille. Wir suchen darin Gott, der zu uns spricht.
Gebet: Wir antworten auf das Wort Gottes. Unsere Fragen, Anliegen und Gedanken münden in das
Gebet, das der Herr uns gelehrt hat und das wir nun laut und gemeinsam sprechen.
Kontemplation: Wir leben das Wort Gottes. Die Bibelarbeit ist nicht zu Ende, sondern beginnt
gerade erst: Welche Bedeutung hat das Wort der Heiligen Schrift für unser Leben? Wie können wir
es im Alltag fruchtbar werden lassen, um aus dem Glauben zu leben? Konkret: Wo können wir
Jesus begegnen und ihn berühren? Wie erfahren wir Heilung, Reinigung und Stärkung im Glauben?
Wir befragen uns selbst und tauschen uns aus. Bevor wir zur Tat schreiten, wird der biblische Text
noch einmal laut verlesen und schließlich die Muttergottes im "Ave Maria" um ihren Beistand
angerufen.
5. Literatur
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Dschulnigg, Peter, Das Markusevangelium (= Theologischer Kommentar zum Neuen
Testament II), Stuttgart 2007.
Klaiber, Walter, Das Markusevangelium (= Die Botschaft des Neuen Testaments),
Neukirchen-Vluyn 2010.
Söding, Thomas, Glaube bei Markus. Glaube an das Evangelium, Gebetsglaube und
Wunderglaube im Kontext der markinischen Basileiatheologie und Christologie (=
Stuttgarter Biblische Beiträge XII), Stuttgart (1985) 2. Aufl. 1987.
Ders., Das Markusevangelium. Anregungen zum Lesejahr B (= Exegese und Predigt),
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Würzburg 2002.
Ders., Die Verkündigung Jesu. Ereignis und Erinnerung, Freiburg i. Br. (u. a.) (2011) 2.
Aufl. 2012.
Julian R. Backes O.Praem.,
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
am Lehrstuhl für Neues Testament
der Ruhr-Universität Bochum.
Katholisches Bibelwerk im Bistum Münster
(www.bibelwerk.de)
in Kooperation mit
kirchensite.de - online mit dem Bistum
Münster
(kirchensite.de)
Foto: Archiv, Dezember 2013
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