Tausendmal probiert und nie ist was passiert - green-ivf

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Tausendmal probiert und nie ist was passiert - green-ivf
Guten Tag, Monika Rusch-Uszkoreit,
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1. Titel: Geschäft mit der Hoffnung vom 26.05.2008 - 40585 Zeichen
DER SPIEGEL Seite 38
2. Titel: Baby auf Bestellung vom 26.05.2008 - 20587 Zeichen
DER SPIEGEL Seite 52
25. Mai 2008
Titel
Samenbank
RONALD FROMMANN / LAIF
Geschäft mit der Hoffnung
Viele hunderttausend Paare bleiben in Deutschland ungewollt kinderlos – und es
werden immer mehr. Die verhinderten Mütter und Väter fühlen sich von den Nachbarn mitleidig
beäugt, von den Ärzten ausgenommen und von der Politik im Stich gelassen.
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Fötus
LENNART NILSSON / REUTERS
A
n das erste Mal kann sich Sabine
Steinkamp noch genau erinnern.
Es war Valentinstag, ausgerechnet,
und ihr Bauch angeschwollen von den
Hormonspritzen. In der Arztpraxis saßen
nur Paare, stumm, die Männer meistens
hinter Zeitungen verschanzt.
„Jetzt müssen Sie es nur noch behalten“, hatte der Arzt ihr nach der Behandlung selbstzufrieden gesagt. Wie wütend
sie das gemacht hatte, als hätte sie nicht
längst alles dafür getan.
Am schlimmsten aber waren die beiden
Wochen, in denen das Warten endlos schien.
Das Warten nach der künstlichen Befruchtung. Und dann kam sie doch, die Periode.
Niederschmetternd. Trotz aller ärztlichen
Kunst war sie nicht schwanger geworden.
Sabine Steinkamp, 33, kauert mit angezogenen Beinen auf dem Sofa in ihrer
Wohnung in Hamm, Westfalen. Vor dem
Bauch hält sie ein Kissen umklammert, als
müsste sie sich und ihren Unterleib vor
der Welt beschützen. „Man kommt sich so
defekt vor“, sagt die Fremdsprachensekretärin, „wie ein Versager.“
Im Sessel gegenüber sitzt ihr Mann und
versucht ein Lächeln. Seine Augen suchen
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ihre. Das macht es ihr leichter, wenn es
auch nichts besser macht. Er fühle sich hilflos, „irgendwie ohnmächtig“, sagt Heiner
Steinkamp, 44. Es ist die Prüfung ihrer
Ehe, die Last ihres Lebens, und manchmal
fürchten sie, dass sie daran kaputtgehen
werden. Seit acht Jahren wünscht sich das
Paar verzweifelt ein Kind.
Heiner und Sabine Steinkamp können
nicht sagen, wann es anfing, wann der
Wunsch zum Problem wurde. Es gibt keinen Tag, keinen Moment, den sie mit einer
Schreckensmeldung verbinden. Irgendwann nach Monaten schlichen sie sich ein:
39
Eltern Angelina Jolie und Brad Pitt (in Cannes): Schwangerschaft als Teil einer Inszenierung
An Heiners Spermien hatte der Urologe
gar nichts auszusetzen. Die Steinkamps
sind fruchtbar, stellten die Ärzte damals
fest. Nach zwei Jahren vergeblicher Versuche sollten sie es trotzdem mal mit einer
künstlichen Befruchtung versuchen, riet
ein Gynäkologe.
Also begann Sabine zu spritzen: Ihr
Bauch wurde runder, nicht von einem
Kind, sondern von den Hormonen, die 10
bis 20 Eizellen gleichzeitig reifen lassen
sollten – in einem Zeitraum, in dem sonst
eine heranwächst. Auch der Ordner wurde
dicker, füllte sich mit Rechnungen: 387
Euro für die erste Insemination, 2625 Euro
für die erste In-vitro-FertilisaKinderwunschpaare werden geschröpft wie tion (IVF), 768 Euro für eine
Kyrokonservierung. Die Hälfte
die Kunden von Schönheitsoperateuren.
von jeder Rechnung haben sie
selbst bezahlt.
Und so sind die Steinkamps in jenen
zeugen. Ganz unten, als Erstes abgeheftet,
liegen Bilder von Sabines Unterleib, die Sog geraten, dem Kinderwunschpaare nur
Untersuchungsergebnisse der Bauchspie- in zwei Gemütszuständen entkommen:
vollkommen glücklich oder unendlich
gelung.
Die dunklen Schatten auf den Bildern, traurig.
Bis vor 30 Jahren hatten kinderlose Paadas sind Wucherungen an ihrer Gebärmutter, erklärt die junge Frau im nüchter- re keine andere Chance, als sich mit ihrem
nen Ton einer Expertin. Nicht ideal, aber Schicksal abzufinden. Der liebe Gott, so
auch nichts, was eine Schwangerschaft aus- hieß es dann, habe es halt nicht gewollt.
schließen würde. Dann zeigt sie auf blaue Heute, angesichts von rund 150 000 KinSchlieren, die sich durch rosarotes Gewe- dern, die allein in Deutschland inzwischen
be ziehen. Ein gutes Zeichen, Kontrast- mit Hilfe der gut 120 Fertilitätskliniken gemittel, das ungehindert fließen kann. „Dar- boren wurden, sind die Begehrlichkeiten
an erkennt man, dass die Eileiter durch- groß: Kaum jemand scheint noch willens,
die Laune der Natur zu akzeptieren.
lässig sind“, sagt sie.
die Zweifel, dass da irgendetwas nicht stimmen könnte bei ihnen.
Als Sabine vor acht Jahren die Pille absetzte, war sie 25, Heiner 36 Jahre alt. Beide waren schlank, sportlich, Nichtraucher
und im besten Alter, um Nachwuchs zu
zeugen.
Es gab keine Ahnung, kein Gefühl, das
sie vorbereitet hätte auf das, was jetzt auf
dem Couchtisch zwischen ihnen liegt: ein
dicker grauer Aktenordner. „Arztberichte“
steht auf dem Rücken geschrieben.
Sabine hat den Ordner nach den ersten
Arztbesuchen angelegt. Da hatten sie
schon zwei Jahre versucht, ein Kind zu
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STEPHANE REIX / CORBIS
Das Drama ungewollter Kinderlosigkeit
ist so alt wie der Sinn für Stammes- oder
Familienidentität. Im antiken Griechenland war ausbleibender Nachwuchs ein gesetzlicher Scheidungsgrund, im Mittelalter
galt er als Strafe Gottes. Heinrich VIII. verstieß gleich zwei Frauen, die ihm nicht den
gewünschten Thronfolger schenkten, und
auch der Schah von Persien trennte sich
von seiner Gemahlin Soraya, weil sie ihm
keine Kinder gebar.
Befeuert von einer Wissenschaft, die mit
immer ausgeklügelteren Methoden das
Baby auf Bestellung verheißt, sind heute
immer mehr Paare zum Äußersten bereit.
Viele ruinieren sich finanziell, manche gesundheitlich – und oft halten die Beziehungen dem Druck nicht stand.
Ihr Wunsch kann zur Manie werden, gar
zu einer Sucht, die das ganze Denken
beherrscht. Schließlich wird dieser Wahn
auch unablässig genährt von einer Gesellschaft, die den Wert der Familie wiederentdeckt hat, Mutterglück idealisiert und
Väter vom Arbeitsplatz an den Wickeltisch
komplimentiert. Schauspielerinnen inszenieren ihre Schwangerschaft, Fußballer
stellen beim Torjubel pantomimisch das
Wiegen eines Säuglings nach, Top-Models
präsentieren sich kugelrund und im Nu
wieder gertenschlank, und selbst Politiker
werden öffentlich Papa – wenn auch nicht
notwendigerweise mit der Ehefrau.
Galt Kinderlosigkeit zu Zeiten der
Emanzipationsbewegung noch als Nach-
Titel
Werbekampagne: Gebären als vaterländische Pflicht
weis von Selbstbestimmung, so wird das
Gebären heute eingefordert, als handle es
sich um eine vaterländische Pflicht. Zeugungsverweigerer, so haben Familienpolitiker unlängst angeregt, sollen weniger
Rente beziehen. Höhere Pflegeversicherungsbeiträge leisten sie heute schon.
Wie eine Aussätzige fühle sie sich, sagt
Sabine Steinkamp, in einen Topf geworfen mit all den Paaren, die keine Kinder
wollen. „Es gab Freunde, die haben uns
Selbstsucht vorgeworfen, als karrieregeile
Dinks beschimpft“, berichtet Heiner Steinkamp. Die Abkürzung steht für „Double
income, no kids“ – die Traumkombination
vieler Hedonisten ist für die Steinkamps
der Alptraum ihrer Realität.
Dem Ehepaar schnürt es die Kehle zu,
wenn ihnen von Plakatwänden dieses planschende Baby der „Du bist Deutschland“Kampagne entgegengrinst oder wenn im
dazugehörenden Fernsehspot eine sanfte
Stimme zu anrührenden Kinderbildern erzählt, dass Babys in der Anschaffung kostenlos seien und Deutschland mehr Nachwuchs brauche. Sabine Steinkamp kommen dann die Tränen, und ihr Mann ist
geneigt, mit der Bierflasche den Bildschirm
zu zertrümmern. Kinderlose, so steht es
im Talmud, sind tot bei lebendigem Leib.
Rund 1,4 Millionen Paare teilen das
Schicksal der Steinkamps, schätzt das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung – etwa jede zehnte Ehe bleibe in
Deutschland ungewollt kinderlos. Doch
nur wenige reden über ihre Probleme,
denn Unfruchtbarkeit ist für viele ein Drama, für manche eine Schande und auf jeden Fall umstellt von Tabus. Wer möchte
schon mit dem Makel konfrontiert werden,
keine „vollwertige Frau“ oder kein „richtiger Mann“ zu sein?
Von den Nachbarn mitleidig beäugt, von
Ärzten ausgenommen und vom Staat vergessen, fühlen sich viele Paare ausgegrenzt
Reformknick
110
Reproduktionsmedizinische
Behandlungen
in Deutschland,
in tausend
100
90
80
Quelle: Deutsches IVF-Register
70
60
2004
Halbierung der
Kostenübernahme
durch die Gesetzliche
Krankenversicherung
50
bezahlte die GKV 2001
für die Reproduktionsmedizin; das waren 0,1%
der Gesamtausgaben
20
40
30
142 Mio. Euro
1990
1995
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2003
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und alleingelassen. Und das, obwohl sich
ihr Vorhaben doch mit dem hehren Ziel
der Politiker deckt, die niedrige Geburtenrate in der alternden Republik zu steigern.
Zwar investiert Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU), Mutter
von sieben Kindern, Milliardenbeträge
in Elterngeld und Kinderkrippen, um
Deutschland wieder mehr Nachwuchs zu
bescheren. Doch jenen, die auf die Künste
der Reproduktionsmedizin angewiesen
sind, schenkt sie kaum Aufmerksamkeit.
Im Gegenteil. Vor vier Jahren hat der Gesetzgeber ihnen den Weg noch steiniger
gemacht: Die Krankenkassen zahlen bei
unverheirateten Paaren gar nicht mehr,
verheiratete müssen Eingriffe und Medikamente zur Hälfte bezahlen. Und nach
dem dritten Versuch stellen die Kassen
auch hier jede Beihilfe ein.
Kinderwunschpaare werden heute geschröpft wie sonst nur die Kunden von
Schönheitsoperateuren. Und das hat Folgen: Im Schnitt greifen Fortpflanzungsmediziner jetzt halb so oft zu Pipette und
Spritze wie vor der Reform. Rund 10 000
Kinder kommen seit 2004 pro Jahr in
Deutschland weniger zur Welt – das ist in
etwa die Zahl der Neugeborenen einer
Großstadt wie Köln. Besonders stark ist
der Rückgang in ärmeren Bundesländern
wie Bremen, Mecklenburg-Vorpommern
und Sachsen.
So ist der Streit um die Bezahlung der
künstlichen Befruchtung zu einem Muster
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Titel
Lebensjahr nachlässt. Ein Drittel tippte auf
das 40. Lebensjahr.
Ebenso ahnungslos sind viele Menschen,
wenn es um den richtigen Zeitpunkt der
Zeugung geht. Die Hälfte der ungewollt
kinderlosen Paare hatte an den durchschnittlich fünf fruchtbaren Tagen pro Monat gar keinen Sex, wie das Berliner
Robert-Koch-Institut in einem Bericht für
die Bundesregierung feststellt – da ist dann
alle Liebesmüh vergebens.
Heiner Steinkamp weiß inzwischen genau, wann der Eisprung seiner Frau naht.
Ehepaar Steinkamp „Man kommt sich so defekt vor“
Die beiden probieren es auch immer noch
auf natürlichem Wege. Fünf Tage vorher
verzichtet das Paar regelmäßig auf Sex,
„weil die Spermien dann leistungsstärker
sind“, sagt Steinkamp. Doch auch an
den Tagen davor und danach hat sich
die Romantik verflüchtigt. „Weil es sich
nicht lohnt“, bemerkt Sabine trocken. Der
„ergebnisorientierte Sex“, wie sie das
nennt, vermiest den Eheleuten
die Lust am Körperkontakt.
„Wir stupsen die Natur nur an, die eigentSabine Steinkamp zieht aus
liche Befruchtung passiert ohne unser Zutun.“ dem
Aktenordner ein Foto hervor, klein und schwarzweiß,
ten herrscht offenbar auch 40 Jahre nach ähnlich den Ultraschallbildern, die werOswald Kolle noch große Ahnungslosig- dende Eltern gern von ihrem Nachwuchs
keit – so hat es jedenfalls Yve Stöbel-Rich- herumreichen. Zu sehen ist die vergröter von der Universität Leipzig erfahren. ßerte Aufnahme eines Embryos im Rea„Insbesondere wird die fruchtbare Phase genzglas, drei Tage alt, acht Zellen zu
der Frau völlig falsch eingeschätzt“, sagt einem Kreis zusammengedrängt, gleich
die Psychologin. Bei ihrer Umfrage im Auf- groß, ebenmäßig. Ein „A-Klasse-Embryo
trag des Bundesministeriums für Bildung wie aus dem Bilderbuch“, habe der Arzt
und Forschung wussten oder ahnten nur gesagt und ihr den Zellklumpen eingedrei Prozent aller Befragten, dass die pflanzt, aber funktioniert hat es trotzdem
Fruchtbarkeit der Frau schon ab dem 25. nicht.
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Es gibt auch B-, C- und D-Embryos. Im
Labor der Praxisklinik für Fertilität in Berlin hängt ein Plakat, das die unterschiedlichen Bewertungen mit vier Bildern erklärt. Die Konturen der Zellen werden
von Klasse zu Klasse schrumpeliger, die
Größen variieren stärker.
Karen Rosenberg nimmt das Plakat
kaum noch wahr. Wenn die Biologin direkt
daneben am Mikroskop sitzt, an ihrer beheizten, körperwarmen Edelstahlarbeitsplatte, dann hat sie nur Augen für die Embryonen und Eizellen unter dem Ver-
MATTHIAS JUNG
verkorkster deutscher Sozialpolitik geworden: Das volkswirtschaftlich gebotene Ziel,
die Überalterung der Gesellschaft durch
mehr Geburten einzudämmen, wird glatt
hintertrieben.
Das ist umso unverständlicher, als die
finanziellen Effekte für das Gesundheitssystem kaum der Rede wert sind: Rund
200 Millionen Euro, gerade mal 0,14 Prozent des Gesamtetats, sparen die Kassen nun jährlich ein – jedes Kind, das
jetzt nicht mehr gezeugt wird, entlastet
sie also um 20 000 Euro. Nach medizinökonomischen Rechnungen, sagt Heribert
Kentenich, Chefarzt der Berliner DRKFrauenklinik und Leiter des Fertility Center Berlin, „erwirtschaftet ein Retortenbaby weit mehr Geld, als es kostet“.
Und das Phänomen Unfruchtbarkeit
droht zur Volkskrankheit zu werden. Frauen besinnen sich immer später auf ihren
Kinderwunsch, weil Beruf und Familie
konkurrieren. Oft ist es dann zu spät, denn
mit dem Alter nimmt die Fruchtbarkeit
der Frau drastisch ab (siehe Grafik Seite
48). Und auch die Männer verharren lange im Zeugungsstreik, sie wollen noch
nicht, immer noch nicht – bis es nicht
mehr geht.
Schuld sind außerdem medizinische
Gründe, etwa Umwelteinflüsse, die die
Fruchtbarkeit reduzieren. Der Brite William Ledger, Gynäkologe an der University of Sheffield, spricht sogar von der „infertility time bomb“, der UnfruchtbarkeitsZeitbombe, die ohne weiteres in der Lage
ist, die westlichen Industriestaaten mit
ihren eh schon niedrigen Geburtenraten
schwer zu schädigen.
Bei den Männern hat sich innerhalb der
vergangenen 50 Jahre die Spermiendichte
halbiert. Bei den Frauen wächst die Zahl
von Übergewichtigen und Magersüchtigen
– auch keine guten Voraussetzungen, um
schwanger zu werden. Und selbst die freie
Liebe mindert die Chance auf Nachwuchs:
Durch den zunehmenden Partnertausch
nehmen sexuell übertragbare Krankheiten
zu; einige davon – etwa die Chlamydieninfektion – können zu Unfruchtbarkeit
führen.
Oft würde allerdings schon ein bisschen
Aufklärung helfen. Denn in deutschen Bet-
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größerungsglas. Hier zwischen all den
Brutschränken, die aussehen wie Kühlschränke, bringt sie im Reagenzglas zusammen, was bei Paaren wie den Steinkamps allein durch Lust und Liebe nicht
gelingen will. Allmächtig fühlt sie sich dabei nicht. „Wir stupsen die Natur nur an,
die eigentliche Befruchtung passiert ohne
unser Zutun“, sagt Rosenberg.
Ärzte beherrschen heute ein ganzes Arsenal von Methoden, die kinderlosen Paaren helfen können – von ein paar simplen
Tricks bis zum vollen Einsatz medizinischer
Hightech. Für die sogenannte In-vitro-Fertilisation – wörtlich übersetzt: Befruchtung
im Glas – gießt Rosenberg rund 80 000 aufbereitete Spermien über eine Eizelle. Nach
24 Stunden im 37 Grad warmen Brutschrank kontrolliert sie unter dem Mikroskop, ob die Eizelle mit einer der Samenzellen verschmolzen ist. Hat das funktioniert, wird der Embryo nach zwei bis vier
Tagen der Mutter eingespült.
Verfügt der Mann nicht über genug starke Spermien, nutzt Rosenberg die Intra-
cytoplasmatische Spermieninjektion (Icsi).
Hierfür spritzt sie ein einziges, sorgfältig
ausgesuchtes, besonders bewegliches und
wohlgeformtes Spermium mit einer feinen
hohlen Glasnadel direkt in die Eizelle.
Tausende Eizellen hat die Biologin auf
diese Weise schon befruchtet. Reine Routine, die Technik ist vor rund 30 Jahren
entwickelt worden. Das weltweit erste Retortenbaby, Louise Brown aus England,
wurde am 25. Juli 1978 geboren. Der britische Ärzteverband kritisierte damals die
„gewissenlose“ Forschung des Biologen
Zeugung in der Petrischale
kleinen Oliver auf die Welt geholfen hatte.
Der Professor für Frauenheilkunde prophezeite, sein Verfahren werde wohl auf einen kleinen Personenkreis beschränkt bleiben – eine Fehleinschätzung.
Inzwischen ist fast alles auf dem Markt
erhältlich, nicht überall, aber die Grenzen
sind überwindbar. Samen gibt es aus dem
Katalog, Eizellen in England oder den Ländern des ehemaligen Ostblocks. Frauen
können weit jenseits der Menopause Mutter werden, und die Gefriertechnik ermöglicht sogar Männern, die längst ge-
hängen die Behandlungserfolge golden gerahmt im Wartezimmer: drei Collagen in
Postergröße, zusammengesetzt aus unzähligen kleinen Babygesichtern. Wie Trophäen weisen sie die Patienten auf die erfolgreichen Befruchtungen der drei behandelnden Ärzte hin.
Dass die Erfolgsquote einer In-vitro-Fertilisation lediglich bei 15 Prozent liegt, dass
sich mit jedem neuen Versuch die Wahrscheinlichkeit zwar erhöht, aber eben nicht
addiert, dass insgesamt 60 Prozent aller
Paare die Therapie nach drei BehandEileiter
In-vitro-Fertilisation (IVF)
Gebärmutter
Durch Hormongabe wird die Eiproduktion
der Frau stimuliert. Mehrere Eizellen reifen
gleichzeitig heran. Sie werden entnommen,
in einer Petrischale mit den Spermien verschmolzen und anschließend in die Gebärmutter eingespült.
2. Tag
Nach dem Embryonenschutzgesetz und der
Richtlinie der Bundesärztekammer
Künstliche Befruchtung von alleinstehenden oder in lesbischer
Gemeinschaft lebenden Frauen
Erlaubt u. a. in Belgien, Großbritannien,
den Niederlanden
Robert Edwards und des Gynäkologen Patrick Steptoe. 20 Jahre hatten die beiden
experimentiert – mit Eizellen, die sie Frauen ungefragt entnommen hatten, und Spermien-Cocktails, von denen die Spender
nicht wussten, was die Wissenschaftler damit im Schilde führten. Obwohl Edwards
und Steptoe für die Fortpflanzungsmedizin
ein neues Zeitalter eröffneten, wurden sie
weder von der Königin geadelt noch mit
einem Nobelpreis belohnt.
Auch in Deutschland setzte 1982, nach
der ersten erfolgreichen künstlichen Befruchtung, eine Diskussion über Ethik, Moral und die Würde des Menschen ein. Sie
dauert bis heute an, und sie reicht von
nicht selten religiös geleiteten Bedenkenträgern, die alles ablehnen, was die Natur
nicht von allein schafft, bis hin zu jener
Fraktion, die alles erlauben will, was die
Wissenschaft irgendwann können wird.
„Bei unserer Methode ist kein Missbrauch möglich“, versicherte Siegfried
Trotnow, nachdem er vor 26 Jahren in der
Frauenklinik der Universität Erlangen dem
Leihmutterschaft
Präimplantationsdiagnostik
Eine fremde Frau oder Verwandte trägt
nach künstlicher Befruchtung das Kind aus
und überlässt es den genetischen Eltern.
Genetische Untersuchung einer Embryozelle,
um schwere Erbkrankheiten auszuschließen
Erlaubt u. a. in Griechenland, Großbritannien,
den Niederlanden
Eizellspende
Erlaubt u. a. in Belgien, Frankreich, Großbritannien,
Spanien, Tschechien
Embryonenspende
Bei Problemen mit der Eizellproduktion
Verwendung fremder Embryonen, die bei
früheren Behandlungen übrig geblieben sind
Erlaubt u. a. in Belgien, Dänemark, Frankreich
Erlaubt u. a. in Belgien, Großbritannien, Spanien
storben sind, die Vaterschaft. Ende letzten
Jahres brachte eine 64-jährige Frau aus
Aschaffenburg eine Tochter zur Welt. Die
Frau im besten Oma-Alter hatte sich im
Ausland die Eizelle einer 25-jährigen Frau
einpflanzen lassen, die mit Sperma ihres
64-jährigen Ehemanns befruchtet worden
war. Somit ist sie biologisch betrachtet nur
die Leihmutter, da das Kind nicht ihr Erbgut trägt.
Derartige Meldungen wecken die Erwartung, jedes Problem sei technisch zu
lösen: Babys für alle – hoffnungslose Fälle
gibt es nicht. Die Ärzte profitieren von diesem Irrglauben. Das Geschäft mit der Hoffnung bringt Rendite.
Es gibt Kliniken, die Frauen jenseits der
40 die Behandlung verweigern, weil sie
sich die Erfolgsstatistik nicht verderben
wollen. Junge Frauen haben bessere Chancen, schwanger zu werden, sind also besser
für die Statistik. Und eine gute Statistik
sorgt für neue, hoffnungsvolle Patienten.
In der Arztpraxis in Dortmund, die Heiner und Sabine Steinkamp so oft besuchen,
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Quelle: IFFS 2007
FRE D E RIC NE E MA / GAMMA / LAIF
Was in Deutschland verboten
und im Ausland möglich ist
lungszyklen ohne Kind beenden, das erfahren die wenigsten.
Und so probieren es die Paare eben wieder und wieder. Reproduktionsmediziner
klagen, Deutschland bleibe mit seinen miesen Quoten weit hinter seinen Möglichkeiten zurück. Allein das Embryonenschutzgesetz, das den Tatendrang – und
durchaus auch das Profitdenken der Ärzte
– bremst, verhindere ihren Erfolg: Das Gesetz sei medizinisch veraltet.
Es ist auf jeden Fall umstritten. Die
strengen deutschen Regeln kann „kein ausländischer Kollege mehr verstehen“, sagt
Michael Thaele, Ehrenvorsitzender des
Bundesverbands Reproduktionsmedizinischer Zentren Deutschlands. Die deutsche
Bioethik sei „menschenfeindlich“, urteilt
gar Gerhard Leyendecker vom Kinderwunschzentrum Darmstadt, sie zwinge
Kinderwillige zum „Roulettespiel“ mit
minderwertigen Eizellen und unzureichenden Untersuchungsmethoden.
Viele Paare sehen sich als Opfer einer
Grundsatzdiskussion. Sie verstehen nicht,
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Titel
Krankenkassen „die künstlichen Befruchtungen im Ausland mitfinanzieren und dadurch dazu beitragen, dass das Deutsche
Embryonenschutzgesetz umgangen wird“.
Allein in Tschechien gibt es rund 20 Reproduktionskliniken, die sich vornehmlich
an deutsche und italienische Patienten wenden. Der Fruchtbarkeitstempel in Pilsen
etwa behandelt jedes Jahr mehrere hundert
Paare aus der Bundesrepublik – und das, so
behauptet Klinikleiter Petr Uher, mit weitaus höheren Erfolgsquoten als in deutschen
Fortpflanzungsfabriken. Über die Hälfte der
Kundinnen werde schwanger.
Solche Statistiken sind umstritten, aber
sie heizen das Geschäft mit der Hoffnung
weiter an. In ihrer Kundenwerbung verweisen die ausländischen Zeugungsspezialisten vor allem auf den Standortvorteil.
In Deutschland werden Eizellen bereits
zwei bis drei Tage nach einer künstlichen
Befruchtung im Reagenzglas in den Uterus
zurückgesetzt – sobald mikroskopisch erkennbar ist, dass eine Zellteilung stattfindet. Die Kliniken jenseits der Grenze warten dagegen die Entwicklungen aller befruchteten Eizellen bis zum
fünften Tag ab – und setzen dann
nur jene ein, die am geeignetsten
scheinen. Der Rest wird weggeworfen, in Deutschland ein illegaler Vorgang. Hierzulande muss jeder lebensfähige Embryo in die
Gebärmutter eingepflanzt werden.
Dabei selektiere „jeder Mensch
täglich und wählt für sich das
Beste aus“, so der österreichische
Reproduktionsmediziner Herbert
Zech – ob im Restaurant oder bei
der Partnerwahl. Denn nur eine
Auswahl aus vielen Möglichkeiten
bringe „die besten Ergebnisse“.
Reproduktionsmediziner Kentenich
„Retortenbabys erwirtschaften mehr, als sie kosten“ Der Babymacher aus den Alpen
lädt in deutschen Großstädten zu
Die Samenspende ist erlaubt, die Eizell- „Kinderwunsch Informationsabenden“ ein
– und preist seine Rundum-sorglos-Pakete
spende verboten.
Es ist sogar verboten, befruchtete Eizel- an: Urlaub, Wellness, Kultur in Pilsen, Brelen von zukünftigen Eltern zu untersuchen, genz, Salzburg – und dazwischen eine
wenn die Männer und Frauen Gene für künstliche Befruchtung.
In Deutschland entzündet sich an der
unheilbare Krankheiten in sich tragen. Die
sogenannte Präimplantationsdiagnostik Selektion der Eizellen in gute und schwakönnte viel Leid ersparen, doch der her- che die Debatte um die Fortpflanzungsangezüchtete Embryo wird hierzulande medizin. Spätestens seit den Greueln des
in die Frau gesetzt, ohne dass er zuvor auf Nationalsozialismus und den Menschenversuchen des SS-Arztes Josef Mengele gibt
Risiken überprüft werden durfte.
In der Slowakei sind hingegen medizi- es Tabus, wenn es um die Einordnung von
nische Hightech-Methoden wie die In- Leben in lebenswert und lebensunwert geht
vitro-Behandlung schon ab 1000 Euro zu – und die Frage, wann Leben beginnt, wird
haben – mitsamt aller in Deutschland ille- wohl nie zu beantworten sein.
Das deutsche Embryonenschutzgesetz
galen Tests. Inzwischen weisen sogar einige deutsche Privatversicherungen ihre will dem menschlichen Leben schon in der
Kunden mehr oder minder direkt auf die frühesten Phase höchstmöglichen Schutz
günstigen Angebote im Ausland hin, Bul- bieten. Jede „befruchtete, entwicklungsgarien und die Ukraine gelten als beson- fähige“ Eizelle, heißt es dort, „gilt als Emders preiswert. In einem Brief an den Ge- bryo“ und ist damit zu achten wie ein
meinsamen Bundesausschuss der Ärzte Mensch. Das bedeutet in der Praxis: Alle
und Krankenkassen beschwerte sich un- lebensfähigen Embryonen müssen in den
längst ein Dresdner Gynäkologe vehement Uterus. Das führt zu Mehrlingsschwangerdarüber, dass nun gar die gesetzlichen schaften, die wiederum häufig FrühgeburCARSTEN KOALL
warum ihnen aus ethischen Gründen Behandlungen versagt bleiben, die in anderen Ländern längst alltägliche Praxis
sind. „Deutsche Frauen sind doppelt bestraft“, findet deshalb Professor Thomas
Katzorke, Leiter des Essener Zentrums
für Reproduktionsmedizin, „bleiben sie
hier, müssen sie mehr bezahlen und bekommen nicht die modernsten Methoden
geboten.“
Zu Hunderten pilgern deshalb deutsche
Paare über die Grenze, nach Spanien oder
Belgien, Tschechien oder Polen, England
oder in die Slowakei. Längst haben die
Betroffenen aufgegeben, die hiesige Gesetzeslage verstehen zu wollen, die vor allem durch Widersprüchlichkeit auffällt. So
ist es erlaubt, einen Fötus bis zum dritten
Monat abzutreiben, aber es ist verboten,
einen im Reagenzglas befruchteten Zellklumpen – etwa der C- oder D-Klasse – zu
vernichten. Es ist erlaubt, Föten im Mutterleib auf Krankheiten zu testen, aber es
ist verboten, befruchtete Eizellen im Reagenzglas auf Anomalien zu untersuchen.
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Titel
ten nach sich ziehen. Das Risiko körperlicher und geistiger Behinderungen ist bei
diesen Kindern deutlich erhöht.
Doch damit nicht genug: Das Gesetz,
klagt der Darmstädter Gynäkologieprofessor Gerhard Leyendecker, zwinge ihn
dazu, auch kränkelnde Embryonen zu implantieren, „von denen wir wissen, dass
sie nicht überleben können“.
In anderen Ländern arbeiten die Mediziner freizügiger. Schließlich, so lautet dort
die Argumentation, haben die Embryonen
am fünften Tag gerade das sogenannte
Bläschenstadium erreicht, in dem der Zellhaufen normalerweise erst den Eileiter verlässt und sich in der Gebärmutter einnistet.
Bei der Empfängnisverhütung mit Spirale
zum Beispiel wird die befruchtete Zelle oft
viel später getötet, ohne dass daran Anstoß genommen wird.
Die Folgen der strikten Gesetzgebung
in Deutschland, so der Österreicher Zech,
hätten besonders die Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch zu tragen. Die Berlinerin Nadine S. entschied sich erst mit 37
Jahren, ein Kind bekommen zu wollen.
Als sich auf natürlichem Wege nichts rührte, ging die Zahnärztin in ein anerkanntes
Berliner Institut für Reproduktionsmedizin und ließ sich künstlich befruchten.
Einmal, zweimal, dreimal, vergebens.
Vor dem sechsten Versuch – sie war mittlerweile 41 Jahre alt – eröffnete sie dem
Klinikprofessor, dass sie es nun in den USA
versuchen wolle. Warum denn das, habe
der gefragt: „Fahren Sie doch nach Bregenz.“ Nadine S. war fassungslos. In all
den fünf erfolglosen Jahren hatte ihr niemand gesagt, dass es im nahen Österreich
viel leichter geht: „Weil sie an mir verdienen wollten“, glaubt die Frau. Weil die
Ärzte die Flucht ins Ausland nicht empfehlen dürfen, sagt der Gesetzgeber.
Wenig später saß Nadine S. in Bregenz
am Bodensee. Professor Zech entnahm ihr
14 Eizellen und befruchtete alle im Reagenzglas. Nach zwei Tagen hatten sieben
überlebt, nach fünf Tagen waren nur noch
drei übrig, von denen ihr die Mediziner
zwei einpflanzten. Eine Zelle entwickelte
sich wunschgemäß: Neun Monate später
gebar Nadine S. einen Sohn.
Den zunehmenden „Fortpflanzungsmedizintourismus“ empfindet Klaus Diedrich,
langjähriger Vizepräsident der Deutschen
Gesellschaft für Gynäkologie und Ge-
Weiter Weg zum Wunschkind
Abnehmende Fruchtbarkeit
Behandlungserfolge künstlicher
Befruchtungen
Geburten ohne künstliche Befruchtung
in Abhängigkeit vom Alter der Frauen
in Prozent
100
Von
100 %
der eingeleiteten
Behandlungen
Quelle: K. Diedrich
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eine künstliche
wird in
Geburt innerhalb von 2 Jahren
Geburt innerhalb von 5 Jahren
91,9% Befruchtung
60
versucht,
40
aber
nur in
und in
der Fälle kommt es
21,9% zur Schwangerschaft
zur Geburt eines
9,4 % oder mehrerer
Quelle:
Deutsches IVFRegister 2006
15 bis 20 bis 25 bis 30 bis 35 bis 40 bis 45 bis
19 Jahre 24
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MARCUS KAUFHOLD
lebensfähiger Kinder.
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Ehepaar Kops, Sohn Nick: Mit dem Kinderkriegen warten, bis die Krankenkasse es will?
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burtshilfe, „beschämend für ein hochzivilisiertes Land“. Diedrich kritisiert vor allem, dass „wir in Deutschland gezwungen
sind, uns an das 17 Jahre alte Embryonenschutzgesetz zu halten, obwohl sich die Reproduktionsmedizin seither dramatisch
fortentwickelt hat“.
Andererseits ist zu fragen, ob wir unser
Wertesystem andauernd den wissenschaftlichen Eroberungen anpassen müssen.
Nicht allein die katholische Kirche warnt
davor, ethische Standards weiter abzuräumen – wie es in etlichen Bundesstaaten
der USA schon geschehen ist, wo sich
Frauen für 30 000 Dollar als Leihmutter andienen (siehe Seite 52).
Wenn schon in den achtziger Jahren
die Patchwork-Familie als bedrohliches
Phänomen diskutiert wurde, so bedeutet
das „genetische Patchwork“ der modernen Reproduktionsmedizin für die traditionellen Verwandtschaftsbeziehungen
eine Revolution. Der Akt menschlicher
Fortpflanzung, der intimste Moment
selbstbestimmter Zweisamkeit, öffnet sich
für Dritte. Wenn ein Baby zustande
kommt, weil ein Mann seine Samenzelle,
eine Frau ihre Eizelle, eine dritte ihre Gebärmutter zur Verfügung stellt, und ein
weiteres Paar die Elternrolle annimmt,
dann ist das gültige Familienmodell fundamental ausgehebelt. Das kulturelle Unbehagen ist groß.
Aber so viel in Deutschland über Moral und Ethik der Reproduktionsmedizin
auch diskutiert wird, mit ihren Ängsten
und Enttäuschungen bleiben die Betroffenen weitgehend allein. Die Burg-Klinik im
thüringischen Stadtlengsfeldt hat diese
Marktlücke entdeckt.
Die Klinik liegt gut versteckt im Thüringer Wald und wirkt eher wie ein ländliches Hotel. In der Lobby stehen rote Sofas,
die langen Flure sind mit Teppichen ausgelegt. Die Patienten hier brauchen keine
sterilen Zimmer und keine Apparatemedizin. Das Haus hat sich auf psychosomatische Krankheiten spezialisiert. Therapiert
werden Essstörungen, Depressionen, Burnout – und neuerdings auch der Stress mit
dem unerfüllten Kinderwunsch.
Sechs Paare, alle zwischen Anfang 30
und Mitte 40, haben sich in einem Kreis
versammelt. Binnen einer Woche sollen
sie hier in psychologisch betreuten Gesprächsrunden lernen, besser umzugehen
mit ihrem Schicksal.
„Ich hasse meinen Körper“, bricht es
aus einer blonden, etwas molligen Frau mit
weißem Teint heraus. Drei Fehlgeburten
und einen Nervenzusammenbruch hat Ute
König hinter sich. Jetzt hat die Zittauerin
einen Hund. Den Traum vom Kind hat sie
dennoch nicht ganz aufgegeben.
„Ich möchte meine Frau besser verstehen“, sagt einer der Männer. „Wir haben
die Heimlichkeiten so satt“, sagt seine
Frau. Fast alle sprechen ihren Frust hier
zum ersten Mal offen aus.
Familienministerin von der Leyen: Ein Muster verkorkster deutscher Sozialpolitik
Am Nachmittag stehen Entspannungsübungen des Qigong auf dem Programm.
Das Ehepaar König aus Zittau kommt im
sportlichen Partnerlook. „Hätte mir vor
ein paar Jahren jemand gesagt, dass ich
mal mit solchen Verrenkungen im Wald
stehen würde, hätte ich ihn ausgelacht“,
sagt der stämmige Fleischfachverkäufer
verlegen. Dabei hat er inzwischen schon
ganz andere Sachen versucht: Tino König
schläft mit einem Rosenquarz unter dem
Kopfkissen, seine Frau trägt um den Hals
Amethyst. Irgendwo stand, dass solcher
Hokuspokus hilft. Und irgendwie hilft vielleicht auch dieses Qigong. Möglicherweise
sind sie ja alle nur zu gestresst?
„Das ist Quatsch“, sagt der Psychologe
Tewes Wischmann, „es gibt keine Belege
für einen Zusammenhang zwischen psychischem Stress und Unfruchtbarkeit.“ Der
Frust mit dem Babywunsch habe ebenso
wenig Einfluss auf die Fruchtbarkeit wie
eine schlechte Ehe oder eine schlimme
Kindheit, „es sei denn, aus diesem Grund
hat das Paar keinen Sex“.
Seit 1994 hilft Tewes Wischmann in seiner Sprechstunde am Universitätsklinikum
Heidelberg frustrierten Paaren, die erfolglosen Behandlungen zu verarbeiten. Er
weiß, wie viele Gerüchte im Umlauf sind.
Ein Märchen sei es, dass Frauen genau
dann schwanger würden, wenn sie ihren
Kinderwunsch gerade aufgegeben hätten,
etwa nach einer Adoption. „Gerade mal
vier Prozent der Frauen haben solches
Glück“, sagt Wischmann. „Wenn Stress zur
Unfruchtbarkeit führt, dann dürften im
Krieg oder nach Vergewaltigungen keine
Kinder geboren werden.“
Wischmann ist kein Gegner der Reproduktionsmedizin. Therapiewochen, wie
sie die Burg-Klinik anbietet, begrüßt er:
„Aufklärung und psychosoziale Betreuung werden in Deutschland vernachlässigt.“ In Kanada sei etwa eine psychologische Beratung vor einer künstlichen
Befruchtung Pflicht. Denn auch wenn die
Seele allenfalls in Ausnahmefällen etwas
mit der ausbleibenden Schwangerschaft
zu tun habe, so führten die Folgen der ungewollten Kinderlosigkeit oft zu einer existentiellen Krise, die nur schwer zu verkraften sei.
Auf der Hitliste der Ursachen für psychische Pein steht die Frage der Finanzierung ganz oben. „Von den Politikern werden wir für unseren Kinderwunsch auch noch bestraft“,
klagt ein verhinderter Vater im
Therapieraum der Burg-Klinik. Er
löst damit bei allen zustimmendes Kopfnicken aus.
Als die rot-grüne Koalition vor vier Jahren das Gesundheitsmodernisierungsgesetz
verabschiedete, verordnete sie der Reproduktionsmedizin einen engen finanziellen Rahmen. Selbst wenn die Zeugungsschwäche eindeutig die Folge eines Unfalls
oder einer Krankheit ist, übernehmen seitdem die Kassen die Kosten künstlicher Befruchtung nur bei den ersten drei Versuchen und nur zur Hälfte.
Auch zahlen die Versicherungen seit
2004 keine Befruchtungsversuche mehr bei
Frauen, die über 40 Jahre sind – weil sich
der Aufwand wegen der geringeren Fruchtbarkeit seltener lohnt. Gerade beruflich erfolgreiche Frauen aber, die ihren Kinderd e r
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GERO BRELOER / DPA
wunsch jahrelang zugunsten der Karriere
aufgeschoben und nebenbei auch viel Geld
an die Krankenversicherung gezahlt haben, sehen darin eine Diskriminierung –
besonders wenn die Entscheidung zur IVF
getroffen wurde, nachdem sie es zunächst
zeitraubend auf natürlichem Wege probiert
hatten.
Selbst wenn sehr junge Paare die Hilfe
der Babymacher benötigen, zahlt die Kasse nicht mehr – 25 Jahre alt muss eine Frau
nun sein, um von den Segnungen der Reproduktionsmedizin zu profitieren.
Darunter zu leiden haben Ehepaare wie
Inga und Patrick Kops. Die beiden aus dem
kleinen Ort Seelbach bei Koblenz glaub-
Mit jedem Jahr des Wartens
werden die Spermien schlechter.
ten, füreinander bestimmt zu sein. Und sie
hatten einen ganz traditionellen Lebensplan: Hochzeit, Haus, Kinder. Sie war 21,
er 29 Jahre alt, als sie heirateten. Nur mit
dem Kinderkriegen klappte es trotz intensiver Bemühungen nicht.
Patrick Kops sitzt in der Küche, trinkt
eine Tasse Kaffee und blickt auf seinen Unterleib: „Da unten war etwas nicht in Ordnung. Das sei nicht heilbar, haben mir die
Ärzte gesagt.“ Vermutlich hatte ein Arbeitsunfall Jahre zuvor unbemerkt Folgen
hinterlassen. Die beiden versuchten es
zunächst mit Hormonpräparaten, doch der
Erfolg blieb aus. Schließlich probierten sie
es mit einer Icsi, der Spermieninjektion.
Am Ende hatten sie 6457,23 Euro ausgegeben. „Meine Ersparnisse sind komplett
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ANNE SCHOENHARTING / OSTKREUZ
Titel
Kinder (vor dem Brandenburger Tor): 10 000 Babys werden seit der Gesundheitsreform pro Jahr weniger geboren
draufgegangen“, sagt Kops, der als Schichtarbeiter in einem Werk für Kleinmöbel arbeitet.
Immerhin brachte die Icsi-Methode ein
Ergebnis zustande: Nick ist etwas quengelig, doch während der Junge seinen Erdbeerjoghurt löffelt, vergisst der Vater seine
Müdigkeit. „Ich liebe ihn über alles“, sagt
Kops, „hätte ich mit dem Kinderkriegen
warten sollen, bis es meine Krankenkasse
so will?“ Mit jedem Jahr des Wartens
wären seine Spermien schlechter geworden. „Was erlauben sich Politiker eigentlich, mit solchen Gesetzen unser Leben bestimmen zu wollen?“
Den Sozialsystemen gehen
künftige Beitragszahler verloren.
Kops kann nicht verstehen, wieso die
Kassen Abtreibungen bezahlen, während
er ein Darlehen für die Erstausstattung seines Kindes aufnehmen musste, weil er
nach der Befruchtung finanziell abgebrannt war.
Schon „aus Prinzip“ verklagten die
Kops die AOK auf Rückzahlung der gut
6400 Euro. Doch sie verloren, vor dem Sozialgericht in Koblenz und dann vor dem
Landessozialgericht in Mainz. Die Urteilsbegründungen haben die Kops weiter in
ihrer Meinung bestärkt, dass „Deutschland
kein familienfreundliches Land“ sei. Bei
einer Fertilitätsstörung, sagten die Ko50
blenzer Richter, handle es sich zwar um
einen „gesundheitlichen Defekt“, der „jedoch nicht zwingend eine Behandlungsmaßnahme nach sich ziehen muss“.
Regelrecht zynisch klingt die Begründung der Mainzer Kollegen: Der Gesetzgeber habe mit seiner 25-Jahre-Regel recht,
weil nicht auszuschließen sei, dass „die medizinische Wissenschaft bis zum Erreichen
der Altersgrenze doch noch Heilungsmöglichkeiten“ für den Geschädigten finde.
Außerdem sei das Warten ja auch gar nicht
so schlimm, weil dadurch „die Ernsthaftigkeit des Kinderwunsches über einen längeren Zeitraum“ bestätigt werden könne.
Die richterlichen Einlassungen
zeugen zwar nicht gerade von
Sensibilität. Anderseits führt die
künstliche Befruchtung mitten
hinein in den Grundkonflikt des
klinischen Fortschritts. Müssen alle medizinischen Innovationen allen Menschen
offen stehen? Und soll die Solidargemeinschaft für alles aufkommen – selbst für
das menschheitsgeschichtlich widernatürliche Spätgebären der BabyboomerGeneration?
Oder gibt es so etwas wie ein Menschenrecht aufs eigene Kind?
Die mehreren hundert Klagen von Kinderwunschpaaren, die in Deutschland gegen die Beschränkungen der Gesundheitsreform laufen, erwecken diesen Eindruck.
Der Berliner Rechtsanwalt Udo von
Langsdorff vertritt allein 250 Mandanten.
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Die Sozialgerichte in Fulda, Gelsenkirchen oder Duisburg wiesen indes Beschwerden ausnahmslos ab. „Einige Richter haben uns in den Verhandlungen
durchaus zu verstehen gegeben, dass sie
die Anliegen der Männer und Frauen für
berechtigt halten“, sagt Udo von Langsdorff, „aber die Gesetze würden eben eindeutig bestimmen, dass der Staat an dieser
Stelle Kosten sparen will.“
Der Anwalt hat deshalb Ende November
eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe
eingelegt. Dass er dort Erfolg haben wird,
scheint eher unwahrscheinlich. Denn die
Richter müssten von ihrer bisherigen
Rechtsprechung abweichen, nach der Unfruchtbarkeit nicht als Krankheit gilt.
Krank sei ein Mensch erst, wenn ein regelwidriger Zustand von Körper oder Geist
behandlungsbedürftig sei und den Patienten arbeitsunfähig mache. Und wer ungewollt kinderlos bleibe, könne ja durchaus
weiterleben und arbeiten.
Die Weltgesundheitsorganisation stuft
Unfruchtbarkeit dagegen als Krankheit ein,
da die Sterilität sehr oft Folge körperlicher
Gebrechen wie verwachsener Eierstöcke
oder malader Spermien sei. Die künstliche
Befruchtung, argumentiert Helge Sodan,
ehemaliger Präsident des Berliner Verfassungsgerichtshofs, „vermag einem Ehepaar
zu einem gemeinsamen Kind zu verhelfen“ – und damit die Folgen „eines anomalen körperlichen Zustandes der Frau
zu überwinden“. Auch Ingo Kailuweit,
Titel
Vorsitzender der Kaufmännischen Krankenkasse KKH, hält es für einen Fehler,
die Kinderwunschpaare nur noch eingeschränkt zu unterstützen. „Die 10 000 Kinder, die jetzt jährlich weniger geboren werden, fehlen als künftige Beitragszahler“,
so Kailuweit, „die gehen den Sozialsystemen verloren.“
Natürlich müsse die Anzahl der Versuche beschränkt werden. „Aber es gibt
keinen Grund, warum verklebte Eileiter
ein medizinisches Luxusproblem sein sollen, während kaputte Kniescheiben oder
Raucherbeine von der Kasse bezahlt werden“, sagt Kailuweit. Geradezu „erschreckend“ sei die Ignoranz, „wo es um
so lächerliche Beträge geht. Jeder stationäre Check-up kommt die Kasse teurer zu stehen“.
Tatsächlich zahlt die Krankenversicherung, wenn Patienten zum Beispiel unter
seelischen Schäden leiden oder das psychische Gleichgewicht bedroht ist – wie
etwa durch eine angeborene Hasenscharte.
Und sie zahlt für Abtreibungen, wenn absehbar ist, dass das Baby die künftige Mutter aus der Bahn werfen könnte. Für viele
Männer, besonders aber für Frauen kann
jedoch die Sterilität ebenso quälend sein.
Und deshalb, so die Anwälte unfruchtbarer
Paare, müsse die Kasse zumindest den
ersten Versuch voll bezahlen.
Sollte das Bundesverfassungsgericht die
Beschwerde abweisen, will Udo von Langsdorff vor den Europäischen Gerichtshof
für Menschenrechte in Straßburg ziehen –
er wird dort vermutlich Christina A. aus
Mecklenburg-Vorpommern vertreten.
Am 20. Januar 2004 erschien die Frau,
Ende 30, in der Bürgersprechstunde von
Angela Merkel, in deren Wahlkreisbüro in
Stralsund. Christina A. weinte, die Berufsschullehrerin war nervlich angeschlagen,
weil der Kinderwunsch, auf den sie „sich
so sehr konzentriert hat“, noch immer
nicht in Erfüllung gegangen war.
Christina A. fühlte sich nach der Reform 2004 ungerecht behandelt. 50 Prozent der Kosten für eine Kinderwunschbehandlung – der Preis schien ihr zu hoch.
Deshalb ging sie zu Angela Merkel. Die
CDU-Vorsitzende, damals noch Oppositionspolitikerin, hörte sich das Problem
geduldig an.
22 Tage später schrieb sie zurück, sie
könne leider auch nichts tun. Die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion habe die
Pläne der damals regierenden rot-grünen
Koalition, den Anspruch auf ärztliche
Leistungen zu kürzen, nur „abmildern“
können. „Da uns bewusst ist, dass angesichts stetig sinkender Geburtenzahlen“
die künstliche Befruchtung finanziell unterstützt werden müsse, so Angela Merkel
weiter, „werden wir uns weiterhin dafür
politisch stark machen.“
Eindreiviertel Jahre später zog Merkel
ins Bundeskanzleramt, doch geschehen ist
seither nichts. Ulrike Demmer, Udo Ludwig
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Sperma-Verkäufer Rothman: „75 Dollar für jedes akzeptable Ejakulat“
Baby auf Bestellung
Ein Kind nach Wunsch? In den USA kein Problem: In
Kalifornien vermitteln Firmen Leihmütter, Ei- und Samenspenden.
Das Geschäft boomt – auch mit Kunden aus Übersee.
T
aylor war in der zweiten Klasse,
als sein Weltbild ins Wanken geriet. „Meine Mutter kriegt ein Baby.
Und sie will es verkaufen!“, erzählte er damals, vor sieben Jahren, aufgeregt seiner
Lehrerin.
„Das war schwer für ihn. Er konnte es
einfach nicht verstehen“, sagt Shannon
Hallman und streicht sich über den Bauch.
Sie ist jetzt wieder schwanger, zum zweiten
Mal im Fremdauftrag; und diesmal, sagt
sie, seien alle ganz begeistert.
Alle, das heißt in diesem Fall: ihr Ehemann Randy, Taylor und seine Schwester –
und natürlich die Eltern des Babys. Das
Foto der beiden Männer, die hier im Hochsommer ihr erstes Kind abholen wollen,
steht gerahmt im Wohnzimmer. „Das ist
unser Paar“, sagt Hallman, sie lacht dabei
und strahlt: „Wir haben es richtig liebgewonnen.“
Die Hallmans bewohnen in Simi Valley,
einer Kleinstadt in den Bergen Südkaliforniens, einen schlichten Bungalow. Sie leben
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nicht im Überfluss, Randy arbeitet in einer
Fabrik, Shannon betreut zwei Kleinkinder
als Tagesmutter.
Und außerdem verdient sie an der
Schwangerschaft. Etwa 30000 Dollar bringt
der Job als Leihmutter ein. Doch das Geld
allein war nicht ausschlaggebend, so viel
könnte sie in neun Monaten auch in einem
normalen Job verdienen.
„Ich bin einfach wahnsinnig gern
schwanger“, sagt Hallman. Selbst die Einwände ihres Mannes hat sie durch ihren
Enthusiasmus entkräftet – denn der war
anfangs nicht gerade erfreut. „Das ist wohl
so eine Männersache. Gebietsansprüche.
Die wollen nicht, dass ihre Frau das Kind
eines anderen austrägt“, sagt sie. Echtes
Verständnis dafür hat sie nicht.
Vor ungefähr einem Jahr traf Hallman
zum ersten Mal Morten und Morten, zwei
schwule Norweger mit ausgeprägtem Kinderwunsch. Eine Agentur aus Los Angeles
brachte beide Seiten zusammen, Arzt und
Anwalt aus Oslo und die kalifornische Ar-
FOTOS: TED SOQUI
Leihmutter Hallman mit ihren Kindern, Auftraggeber Morten: „Wahnsinnig gern schwanger“
beiterfrau: eine ungewöhnliche Kombination. Erst klärten die Agenturleute sie über
medizinische und juristische Fragen auf.
Dann gingen Hallman und die beiden
Wunschväter allein Mittag essen.
Es war kein einfaches Treffen, obwohl
sich alle sofort gut verstanden. Denn natürlich ist es schwer, gleich beim Kennenlernen heikle Themen zu besprechen: Was,
wenn die Leihmutter – bei künstlichen
Befruchtungen ist dies häufiger der Fall –
mit Drillingen oder gar Vierlingen schwanger wird? Sind dann beide Seiten für Teilabtreibungen (in den USA spricht man von
„selective reduction“)? Und wie geht man
im Ernstfall mit einer schweren Erbkrankheit des Embryos um?
„Ich bin nicht Gott. Es ist deren Baby.
Sie bringen ihre Zeit, ihr Geld und ihr Leben ein. Wenn sie ein Baby mit besonderen
Bedürfnissen nicht aufziehen können, ist es
nicht an mir, ihnen das aufzuzwingen“,
sagt Hallman. Sie geht jeden Sonntag zur
Kirche. Noch nie hat sich dort jemand
beschwert, dass sie für Schwule ein fremdes Kind austrägt. Die Schwangerschaft
verläuft genau nach Plan: Erst wurde die
Eizelle einer anonymen Spenderin mit
dem gemischten Sperma der Norweger
befruchtet, dann wurde der Embryo Shannon Hallman eingepflanzt, für Mitte August ist die Geburt angesetzt.
Wenn es um Wunschbabys geht, ist
Amerika mehr denn je das Land der un-
begrenzten Möglichkeiten. Es gibt Firmen, wunsch gleich ganz ohne Partner auf eigedie Leihmütter vermitteln, und solche, ne Faust erfüllen, spielen zunehmend eine
die Ei-Spenderinnen mit unfruchtbaren Rolle – zum Beispiel karriereorientierte
Frauen oder schwulen Möchtegernvätern New Yorkerinnen, die in letzter Minute
zusammenbringen. Samenbanken bieten doch noch ein Baby wollen. In Szenekreieinen bunten Katalog an Spendern an, Ser- sen ist dann von „single moms by choice“
vice-orientiert sortiert nach Hautfarbe, die Rede.
Und schließlich bringt auch die GlobaAussehen, Bildung und Gefühlsprofil.
Fruchtbarkeitskliniken können bei der lisierung jede Menge neues Business ins
Geschlechtsauswahl helfen und Embryos Land. Strenge Gesetze in Europa und anderswo ließen den Fruchtbarkeitstourismus
ohne schwere Erbkrankheiten erzeugen.
Und darüber stehen oft Agenturen, die schon seit einiger Zeit erblühen. Nun besämtliche Komponenten zusammenbinden wirkt der schwache Dollar einen regelund das außerdem anfallende pfundschwe- rechten Babyboom: Manche US-Agenturen machen bereits 40 Prozent ihres
re Vertragswerk betreuen.
Pauschal 120 000 bis 200 000
Dollar kostet ein Baby, wenn Ei- Eine Million Embryos lagern tiefgefroren
Spende, künstliche Befruchtung
in Kühltanks von Befruchtungskliniken.
und Leihmutter gewünscht oder
erforderlich sind. Dafür dürfen die
Auftraggeber zum Beispiel Einfluss auf die Geschäfts mit Kunden aus Übersee, ihre
Ernährungsgewohnheiten der Leihmutter Beratungsseminare in London, Frankfurt
nehmen und nach der Geburt erwarten, am Main oder Paris sind regelmäßig besdass ihnen die Muttermilch per FedEx zu- tens besucht.
Einer der wichtigsten Anbieter der Szegestellt wird.
Der Kundenkreis ist so vielseitig und ne sitzt in Kalifornien, wo die Rechtslage
bunt wie die Gesellschaft im Ganzen. Ne- in Sachen Babyzeugung am liberalsten ist.
ben herkömmlichen Eheleuten mit einem Hier, in Los Angeles, betreibt Andy VorZeugungsproblem sorgen seit einiger Zeit zimer seine Firma Egg Donation Inc.
verstärkt auch lesbische und schwule Paa- (etwa: Ei-Spende GmbH). Der Mann, Mitre für einen gewaltigen Nachfrageschub – te vierzig, Typ smarter Jurist, kann sich
Babys aus solchen Konstellationen werden vor Angeboten kaum retten: 40 000 Frauen
in Amerika „Gaybys“ genannt. Auch al- haben sich allein seit 2005 bei ihm als Eileinstehende Frauen, die sich den Kinder- Spenderin beworben, etliche von ihnen
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wohl in der Hoffnung auf schnell verdien- mit ihrem Freund Jeffrey in der Nachbarschaft, sie trinkt nicht, raucht nicht, in Bars
tes Geld.
Aber so einfach, wie es scheint, ist es und Nachtclubs geht sie nicht. „I’m a girly
nicht – und das nicht nur, weil die große girl“, sagt sie, was so viel heißen soll wie:
Mehrheit der Bewerberinnen die Eig- Ich bin halt ein echtes Mädchen.
Außerdem ist sie im fünften Monat
nungstests nicht besteht: Nur eine von 28
ist im richtigen Alter, gesund, genetisch schwanger. Ganz sicher ist Sarah allerdings
einwandfrei und in der Lage, genügend nicht. Und natürlich ist schwanger auch
das falsche Wort.
Eier pro Zyklus zu produzieren.
Im vergangenen Oktober hatte sich ein
Vorzimer kann sich minutenlang aufregen über Konkurrenten, die in Uni- Paar aus Houston in Texas für die Spenversitätszeitungen Reklame schalten und derin mit der Nummer 20299 entschieden.
18-jährigen Studentinnen Honorare von bis „Die beiden haben sich auf einer Wohlzu 50 000 Dollar pro Ei-Spende bieten. tätigkeitsveranstaltung ihrer Kirche ken„Das ist eine Schande“, sagt er, die jungen nengelernt“, sagt Sarah. Beide arbeiten in
Mädchen hätten überhaupt keine Ahnung, der Forschung, die Frau als Laborassistenwas allein an extremen Hormonbehand- tin – mehr weiß sie nicht über die anonymen Möchtegerneltern.
lungen auf sie zukomme.
Und umgekehrt? Vielleicht hat den
Trisha ist 24, hat große Rehaugen und
blinkend weiße Zähne. „Ich bin eine glück- Texanern in Sarahs Fragebogen gefallen,
liche Lady und habe immer ein Lächeln dass sie betet und ans Jenseits glaubt.
auf dem Gesicht“, schreibt sie in ihrem Die Spenderin eine Krankenschwester,
die austragende und aufziehende Mutter
Online-Profil.
Scarlett, 27, liebt Tanzen, Klavierspielen Laborassistentin: Auch das passt. Oder
und Lesen, vor allem Bücher von Oscar gab einfach nur das Aussehen den AusWilde. Außerdem schaut sie sich gern schlag?
Sarah wurde zeitgleich mit der Empfänzeitgenössische Filme aus Spanien an. Zu
ihren herausragenden Merkmalen gehören, gerin die Antibabypille verordnet: Dalaut Profil, „volle Lippen, schlanke Beine, durch wird der Zyklus der beiden Frauen
synchronisiert. Eine zehntägige HormonMandelaugen“.
Trisha, Scarlett und Hunderte weiterer behandlung regte die Produktion von EiFrauen haben ihr Profil online gestellt. zellen an. Dann reiste sie für eine Woche
Das Angebot ist so reichhaltig
wie verwirrend. Blonde Haare,
Nach drei bis fünf Tagen werden die
graue Augen, schwarze Haut,
Embryos
in vier Güteklassen eingeteilt.
weiße Haut, Christen, Buddhisten,
Kellnerinnen, Bankangestellte: Alles ist dabei. Die Internet-Seite von Egg nach Houston, zu den behandelnden ÄrzDonation Inc. ist eine Art MySpace oder ten der Empfängerin. 20 Eier wurden entmatch.com der Baby-Industrie, zentrale nommen. 15 waren ausgereift. 13 konnten
Anlaufstelle für alle, die ein Kind wollen, mit dem Samen des Texaners befruchtet
aber auf natürlichem Weg keins bekom- werden.
Das war am Freitag, dem 14. Dezemmen können.
Es ist nicht einfach, die richtige Eizelle ber. Sarahs Job war erledigt. Sie war müde
für das eigene Wunschbaby zu finden. Paa- von der Betäubung, fuhr ins Hotel und
re, die diesen Weg gegangen sind, erzählen schlief für den Rest des Tages. Am nächsmit einer Mischung aus Scheu und Selbst- ten Morgen flog sie wieder nach Los Anironie von dieser Erfahrung; von langen geles.
Spenderin 20299 möchte sich später
Abenden vor dem Computerbildschirm;
von endlosen Diskussionen; von dem Ver- nicht von ihrem Kind kontaktieren lassen;
such, emotional, intellektuell und optisch deswegen soll ihr Nachname auch nicht in
eine Verbindung zu erkennen zwischen der Presse stehen. Und auch „ihr Kind“ ist
ja wieder ein falscher Begriff.
sich selbst und der Spenderin.
„Ich bin doch nicht die Mutter“, sagt
Kennenlerntreffen sind möglich. Doch
nicht alle fühlen sich wohl dabei, viele ver- Sarah: „Es mag ja mein genetisches Material sein. Aber die Mutter ist die Frau, die
zichten lieber darauf.
das Baby großzieht.“
*
Vertraglich ist ohnehin festgehalten, dass
Sherman Oaks, ein wohlhabender Vorort von Los Angeles, Palmen, erinnert mit sie keine Verantwortung trägt und keine
seinen gepflegten Gärten an den Set von Rechte hat, nicht an dem Baby in Houston
„Desperate Housewives“. Die Frau, die und auch nicht an den vielleicht elf oder
zum Interview im M Street Coffee er- zwölf Embryos, die in dem Prozess entscheint, ist schlank, ja beinah model- standen sind. Die gehören nun dem Texadünn, das braune Haar fällt lässig über die ner-Paar. Es kann sie einfrieren und für
Schultern; Wimpern, Augenbrauen sind künftige Babys benutzen. Es kann sie eisorgfältig gepinselt und gezupft, das Ge- nem anderen Paar schenken. Es kann sie
zerstören lassen. „Die können damit masicht ist perfekt geschminkt.
Sarah, 24, hat gerade ihre Ausbildung chen, was sie wollen“, sagt Sarah.
Was hält sie davon?
zur Krankenschwester beendet, sie wohnt
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„Es ist okay für mich“, sagt sie. Dann
macht sie eine Pause. „So genau will ich es
lieber gar nicht wissen.“
*
Das Huntington Reproductive Center ist
eine Befruchtungsklinik in Los Angeles, es
gehört zu den größten Kaliforniens. Doktor Susan Sarajari und ihre zehn Kollegen
arrangieren etwa 3000 In-vitro-Befruchtungen pro Jahr – ein seit langem erprobtes Standardgeschäft. Doch ihre Praxis ist
zugleich auch ein Zukunftslabor, die Ärzte hier schlagen Wege ein, die weltweit
entweder eher unbekannt oder höchst umstritten sind.
Zum Beispiel das Einfrieren von Eizellen: Die Technologie hat hier in jüngster
wir im Embryo nach Anomalien und Erbkrankheiten suchen“, sagt Sarajari. In ihrer
Praxis ist das mittlerweile mehr oder weniger ein Standardverfahren, um Embryos
auszusortieren. „Ich weiß, dass sich aus
ethischer Sicht lange darüber diskutieren
lässt“, sagt die deutschstämmige Ärztin,
„ich glaube aber, dass wir damit viel Leiden
und frühen Kindstod verhindern können.“
Auch das Geschlecht kann sie schon im
Reagenzglas bestimmen. Allerdings erlauben die Huntington-Mediziner nicht allen
Patienten die freie Wahl zwischen Junge
oder Mädchen. Nur Eltern, die schon ein
Kind haben, dürfen sich frei entscheiden.
„Wir nennen das ‚family balancing‘“, sagt
Sarajari.
der Samenbank, die sie damals benutzte,
und mit der Spendernummer: 1058.
Es war alles ergebnislos.
Das Einzige, was die alleinerziehende
Mutter dabei erfuhr: Da draußen sind noch
mehr Menschen unterwegs, Kinder und
Jugendliche, die auf der Suche nach ihrer
Herkunft sind.
Also machte sie eine eigene InternetSeite auf, das Donor Sibling Registry. Eigentlich war es als eine kleine Info- und
Kontaktbörse gedacht, als informelle Anlaufstelle für all jene, die aus einer Sperma-, Ei- oder Embryo-Spende entstanden
sind. Es wäre doch schön, dachte sie, wenn
Ryan auf diesem Weg noch einen Halbbruder oder eine Halbschwester fände.
Samenspenden-Empfängerin Kramer mit Sohn Ryan, Geschwisterdatenbank: Im Internet vier Halbschwestern gefunden
Die übrigen Embryos werden dann in
der Regel tiefgefroren. Geschätzt über eine
Million Embryos lagern zurzeit in den
Kühltanks der amerikanischen Befruchtungskliniken.
*
Ryan Kramer war etwa zehn Jahre alt,
als er begann, immer drängendere Fragen
nach seinem Vater zu stellen. Fragen, die
seine Mutter Wendy nicht beantworten
konnte.
Sie hatte ihr Kind 1990 mit einer
Auch das Geschlecht lässt sich schon
anonymen Samenspende gezeugt.
im Reagenzglas bestimmen.
Ihr damaliger Mann war unfruchtbar. Ein Jahr nach Ryans
befruchtet, um eine größere Auswahl zu Geburt verschwand er aus ihrem Leben.
haben. Nach der Befruchtung wachsen die Seither leben Mutter und Sohn allein, in eiEmbryos etwa drei bis fünf Tage im La- ner Kleinstadt bei Denver, Colorado, wo
bor. Anschließend werden sie in vier Güte- Wendy eine Stelle als Finanzberaterin hat.
Die Suche nach Ryans biologischem
klassen unterteilt, fein sortiert nach A, B,
C und D. Embryos, deren Zellen am klars- Vater wurde zu einem Projekt, das ihr
Leben völlig durcheinanderwirbelte. Es
ten sind, erhalten die höchsten Noten.
Bevor der Gewinner eingepflanzt wird, begann mit Recherchen im Internet vor
sind weitere Tests möglich. Die mensch- ungefähr acht Jahren. Wendy Kramer
liche Zelle enthält 24 verschiedene Chro- durchkämmte das Netz, plazierte Suchanmosomen. „Auf bislang 12 davon können zeigen in Yahoo-Gruppen mit dem Namen
Zeit große Fortschritte gemacht. „Dieses
Thema ist ganz groß im Kommen“, sagt Sarajari. Vor allem junge, ledige Patientinnen
interessieren sich dafür, sie sorgen so beizeiten für die Zukunft vor und müssen später nicht in Torschlusspanik geraten. Fruchtbarkeitssicherung heißt das im Klinikjargon.
Oder das Bewerten von Embryos. Fast
immer ist es so, dass Sarajari für ihre Patienten eine ganze Reihe von Eizellen
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Fast 20 000 Menschen aus aller Welt haben
sich inzwischen registriert, haben ihre
Kontaktinfo in die Datenbank eingetragen,
den Namen der benutzten Eizellen- oder
Samenbank und die Spendernummer.
Zwei-, dreimal pro Tag finden auf diesem Weg Wildfremde zueinander und
stellen fest, dass sie Halbgeschwister sind.
Seltener kommt es zu Kontakten zwischen
Spendern und ihrer Nachkommenschaft;
doch auch das passiert. Insgesamt über
5000 neuer Verknüpfungen hat es schon
gegeben.
Und auch bei den Kramers selbst gab es
nach langem Warten Neuigkeiten. Im März
vorigen Jahres stellte eine Familie aus dem
Bundesstaat New York ihre Daten in die
Geschwisterbank.
Treffer! Ryan hatte eine Halbschwester
gefunden. Binnen einer Stunde hingen die
beiden Mütter am Telefon, kurz darauf
auch Ryan und Anna, damals 16 und 13
Jahre alt.
„Wir haben einfach hallo gesagt und zu
reden begonnen“, sagt Ryan, „es war unglaublich cool, einfach eine wahnsinnige
TED SOQUI
Erfahrung. Immerhin teilen wir die Hälfte
unserer DNA.“
Im Sommer trafen sich beide Familien
dann zum ersten Mal, in New York, zum
Spaziergang im Central Park. Man verglich
das Aussehen der beiden – Augen und
Kieferstellung gleichen sich –, erzählte vom
Leben in Colorado und auf dem Land bei
New York. „Wir waren ganz schnell wie
alte Freunde“, sagt Ryan.
Allerdings: Die neue Familie war damit
noch nicht komplett. Ryan, heute 18 Jahre
alt, weiß von einer weiteren Halbschwester
in Kalifornien. E-Mails gingen hin und her,
bis deren Mutter davon Wind bekam und
jeden Kontakt verbot. Ein anderes Kundenpaar von Spender 1058 wollte mit den
Kramers Informationen über mögliche
Kinder- und Erbkrankheiten austauschen;
die beiden Töchter, inzwischen im Alter
von etwa 11 und 14 Jahren, durften aber
nichts davon mitkriegen, sie wissen nicht,
dass sie durch eine Sperma-Spende entstanden.
Nachrichten gab es irgendwann auch
von der Samenbank. Insgesamt neun Kinder werden dort dem Spender 1058 zugeordnet.
Von dem Mann selbst jedoch fehlt bis
heute jede Spur.
„Wie soll man damit klarkommen, dass
es auf einmal eine so große biologische
Verwandtschaft gibt? Einfach ist das nicht“,
sagt Wendy Kramer, „es ist völlig überwältigend.“
Mit Hilfe des Donor Sibling Registry haben sich Clans mit 30, 40 oder 50 Mitgliedern gebildet. Manche sind über die ganze
Welt verstreut. Die bislang größte Gruppe
besteht aus 105 Halbgeschwistern – alle
stammen vom selben Erzeuger ab.
*
Cappy Rothman ist der vielleicht wichtigste Pionier der amerikanischen Befruchtungsindustrie.
Seine Samenbank ist Amerikas größte.
1977, im Gründungsjahr, diente noch eine
Besenkammer als Sperma-Zwischenlager.
Mittlerweile verlassen 30 000 Sperma-Ampullen pro Jahr den Firmenhof der California Cryobank, Inc.
Das Angebot ist fast unerschöpflich
und liegt tiefgefroren in neun gewaltigen
Metalltanks. Jeder von ihnen, rechnet
Rothman stolz vor, fasst 20 000 Ampullen,
jede Ampulle enthält 60 Millionen Spermien. Eine Milliarden-, ach was, BillionenKapazität, sagt er. „Damit kann man
noch in Jahrhunderten Babys zeugen“,
sagt Rothman.
Früher waren künstliche Besamungen
eine rein medizinische Veranstaltung. In
der Regel wollten Paare schlicht einen
Spender, der dem unfruchtbaren Ehemann
möglichst ähnlich sah; die Auswahl trafen
Ärzte wie Doktor Rothman allein.
Inzwischen wurde daraus eine globale
Service-Industrie. Über 250 Spender bewirbt allein Cryobank in ihrem Katalog.
Ei-Spenderin Sarah: „Die Mutter ist die Frau, die das Baby großzieht“
Kunden weltweit wird so gut wie jeder
Wunsch erfüllt.
Jeder Wunsch, das heißt meistens: jung,
gesund, attraktiv und intelligent. „Unsere Filiale in Cambridge liegt zwischen
Harvard und dem MIT. In Palo Alto sind
wir direkt gegenüber dem Stanford-Campus“, sagt Rothman. Elite-Sperma von
Elite-Unis.
75 Dollar zahlt der Doktor für jedes „akzeptable Ejakulat“, außerdem erhalten die
Samenspender Gutscheine fürs Kino oder
für Starbucks zur Belohnung; von Studenten, die er in seinen Katalog aufnimmt, erwartet er zwei bis drei Besuche pro Woche
über einen Zeitraum von etwa eineinhalb
Jahren.
„Die Gesellschaft hat sich verändert“,
sagt Rothman, und damit steigen auch die
Ansprüche seiner Klientel. Bereits 57 Prozent seiner Kundschaft besteht aus lesbischen Paaren und Single-Frauen, die sich
auf eigene Faust ihren Kinderwunsch erfüllen wollen.
Unfruchtbare Männer und ihre Ehefrauen möchten das Thema Samenbank
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meistens schnellstmöglich abhaken und
verdrängen.
Lesben und Single-Frauen dagegen,
so die Erkenntnis von Rothman und
seinen Kundenbetreuern, schätzen eine
große Auswahl beim Sperma-Kauf. Sie
wollen ein möglichst umfassendes Bild
des Samenspenders – von seinem Charakter, Familien- und Bildungshintergrund. „Es läuft so ähnlich wie die Suche nach einem Lebenspartner“, sagt
Rothman.
Er ist deshalb gerade bemüht, eine
größere Vielfalt in seinen Katalog zu bringen. Für Feuerwehrleute, Polizisten und
Sanitäter, glaubt er, könnte es eine gute
Nachfrage geben: Sie genießen in den
USA spätestens seit dem 11. September
Heldenstatus. Und als Nächstes will er
Künstler, Musiker und Tänzer als Spender
gewinnen.
„Wir denken immer an etwas Neues“,
sagt Rothman, „wenn wir die Wünsche
unserer Kunden ignorierten, würden wir
einen schrecklichen Service bieten.“
Frank Hornig
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