Vorlesung Koordination
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Vorlesung Koordination
Bewegung und Training: 2. Vorlesungseinheit Referent: Prof. Dr. Klaus Roth Protokollführende: Agnes Glanzmann, Tatjana Kern und Klaus Roth Wie verbessert man die koordinativen Fähigkeiten? 1 Einleitung Der Weg zur Expertise und zum Erfolg im beruflichen Leben setzt in aller Regel Geduld voraus. Die Kinder und Jugendlichen erwerben in der Schule zunächst eine umfassende Allgemeinbildung und weder sie, noch ihre Eltern, irgendein Industriemanager oder Bildungspolitiker kämen im Entferntesten auf den Gedanken, dass es besser wäre, statt dessen frühzeitig den Aufbau eines differenzierten Spezialwissens in den Mittelpunkt zu rücken. Sportlehrern und Sportwissenschaf tlern ist seit langem bekannt, dass im motorischen Bereich nicht grundsätzlich anders vorgegangen werden sollte. Entscheidend ist auch hier, dass zu Beginn eine gute und breite Grundlagenausbildung vermittelt wird. Im Sportunterricht kann es dementsprechend nicht ausschließlich darum gehen, Disziplin- und Fertigkeitsspezialisten heranzuziehen; den Schülern muss vielmehr die Möglichkeit geboten werden, sich in unterschiedlichen Feldern zu erproben. Diese Forderung nach einer vielseitigen Gestaltung des Schulsports (und auch des Nachwuchstrainings) wird gewöhnlich unmittelbar und „reflexartig“ mit dem Schlagwort der allgemeinen, sportartübergreifenden Koordinationsschulung verbunden. Die koordinativen Fähigkeiten bilden – nach vorherrschender Auffassung – die zentrale Basis für das, was man als motorische Intelligenz, Lernfähigkeit, Begabung oder Talent bezeichnet. Für die Bedeutung des Koordinationstrainings im Kindes- und Jugendalter lässt sich – über die generelle Wertschätzung seiner allgemeinbildenden Effekte hinaus – ein entwicklungspsychologisches Argument anführen. Obwohl man heute nicht mehr unbedingt davon ausgeht, dass es in der motorischen Entwicklung so etwas wie altersgebundene, invariante Zwangsläufigkeiten (sensible Phasen) gibt, kann es dennoch als gesichert gelten, dass gerade die allgemeinen koordinativen Fähigkeiten „von Klein auf“ lohnend trainierbar sind. Biotisch erscheint „der Boden eindeutig früher bereitet als für die Vervollkommnung der konditionellen physischen Leistungsfaktoren“ (Weineck, 1994, S. 554). Erklärt wird dies vor allem mit der raschen Entwicklung des zentralen Nervensystems, die den anderen Wachstums- und Reifungsprozessen weit vorausläuft (Noth, 1994). Die „starke Plastizität relativer Leistungszuwachs [in Prozent] der Nervengrundprozesse“ (Martin, 1988, S. 80) sichert die Aufnahme einer gr oßen Anzahl von Informationen aus der Umwelt und macht die Kinder und Jugendlichen nachahmungsfähig. In der Folge ergeben sich – wie in Abbildung 1 veranschaulicht – enorme durchschnittliche Zuwächse in der Gesamtkörperkoordination vom frühen Schulkindalter bis zur Adoleszenz. Es liegt somit auf der Hand: Mit Kindern und Jugendlichen ist facetten- und variantenreich, eben nicht spezialisiert zu trainieren – das sollte übrigens (endlich) auch von den Übungsleitern in den Sportvereinen begriffen werden. Und für diese Art des Übens gibt es so gut wie kein zu früh, vermutlich aber ein zu spät. 50 KTK Komplexer Koordinationstest Gewandtheitslauf 40 30 20 10 0 5-7 7-9 9-11 11-13 13-15 15-17 Alter in Jahren Abb. 1: Die prozentualen Anteile des Zuwachses der koordinativen Leistungsfähigkeit im Alter von 5 bis 17 Jahren: • Körperkoordinationstest für Kinder (KTK), n = 1228; errechnet aus den Normtabellen von Kiphard & Schilling, 1974, S. 38-47) • Komplexer Koordinationstest, n = 56 (Längsschnitt); errechnet aus Wellnitz & Hirtz (1983, S. 6) • Gewandtheitslauf (Kasten-Bumerang); Stemmler zit. nach Weineck (1994, S. 556) 2 Zu den Inhalten – die Frage nach dem Was! Dem hohen Stellenwert des Koordinationstrainings steht seine noch weitgehend unterentwickelte theoretische Grundlegung gegenüber. Klar ist eigentlich nur, dass im Koordinationstraining die koordinativen Fähigkeiten verbessert werden sollen. Für die sich unmittelbar anschließende Frage nach den konkreten Inhalten, also danach, wie viele und welche Einzelfähigkeiten zu definieren und voneinander abzugrenzen sind, existiert bereits keine eindeutige, allgemein verbindliche Antwort mehr. Warum die Bewegungs- und Trainingswissenschaft an dieser Stelle zur Zeit leider schon „passen“ muss, wird im ersten Teil des Abschnitts kurz begründet. Zur pragmatischen (Übergangs-)Lösung des „Inhalts-Dilemmas“ wird dann ein vielleicht etwas merkwürdig anmutender Vorschlag präsentiert. Die Empfehlung lautet, bei der Festlegung des praktischen Unterrichtsstoffes die vorhandenen Uneinheitlichkeiten „einfach“ positiv als Chance zur Vielfalt zu begreifen. Dieser gedankliche Kunstgriff ist allerdings nicht kostenfrei zu haben. Er erzwingt, dass man von dem theoretischen Systematisierungsehrgeiz einer streng fähi gkeitsorientierten Betrachtungsweise Abstand nimmt. Es wird also ein Koordinationstraining angeraten, bei dessen Planung und Gestaltung man auch ohne direkten Bezug auf ein generell akzeptiertes Strukturmodell für koordinative Fähigkeiten auskommt. Darauf wird im zweiten Teil dieses Abschnitts eingegangen. Zunächst zu der (noch) vergeblichen Suche nach einer Systematik der koordinativen Fähigkeiten. Für das Verständnis, wieso diese Suche vergeblich geblieben ist, hilft eine knappe Erläuterung, wie die Bewegungs- und Trainingswissenschaftler üblicherweise vorgehen, wenn sie sich um eine Ableitung von motorischen Fähi gkeitsdimensionen bemühen. In einem ersten Schritt wird das zu analysierende Feld definitorisch eingegrenzt. Hier gibt es kaum nennenswerte Meinungsunterschiede: Die koordinativen Fähigkeiten werden als generelle, bewegungs- und sportartübergreifende Leistungsvoraussetzungen angesehen, die das Niveau wesentlicher Vorgänge bei der Steuerung und Regelung menschlicher Willkürbewegungen charakterisieren. Der zweite Schritt besteht dann darin – von dieser Begriffsbestimmung ausgehend –, die vermuteten allgemeinen Steuerungs- und Regelungsanforderungen zu sammeln und zu übergreifenden koordinativen Aufgaben- oder Anforderungsklassen des Sporttreibens zusammenzufassen. An dieser Stelle liegt wohl der Haken. Hier nimmt fast jeder Theoretiker seine eigene Betrachter- und Sammlerperspektive ein. Die Folge sind zwangsläufig unterschiedliche Kennzeichnungen der Anforderungen, die konsequenterweise auch zur Bildung von unterschiedlichen koordinativen Anforderungsklassen führen. Einige Beispiele mögen das verdeutlichen: Puni (1961), Blume (1978) u.a. untersuchen die Steuerungs- und Regelungsanforderungen aus dem Blickwinkel der Sportpraxis. Puni analysiert die Wettkampfsituationen in insgesamt 20 Individual- und Mannschaftssportarten. Blume geht von den Profilen der Disziplinen Gerätturnen, Schwimmen, Boxen und Fußball aus. Im Ergebnis spricht der erstgenannte von fünf grundlegenden Anforderungsklassen (Zeit-, Raum-, Rhythmus-, Genauigkeits- und Geschicklichkeitsanforderungen); der zweitgenannte unterscheidet zwischen sieben Kategorien (Orienti erungs-, Differenzierungs-, Kopplungs-, Gleichgewichts-, Reaktions-, Rhythmusund Umstellungsanforderungen). Roth (1982), Zimmermann (1987) u.a. wählen eine eher theoretische Betrac htungsperspektive. Bei Roth sind es psychologische und neurophysiologische Modellvorstellungen zur motorischen Kontrolle; bei Zimmermann ist es ein motorisches Phasenlernmodell. Die von Roth herangezogenen Theorien legen die Annahme nahe, dass sich die Koordinationsaufgaben im Sport danach klassifizieren lassen, ob sie eher Anforderungen an die Ausführungsgeschwindigkeit oder genauigkeit stellen und ob sie durch konstante oder variable Umgebungsbedi ngungen bestimmt sind. Zi mmermann orientiert sich an dem Modell von Meinel und Schnabel (1987) und den dort angenommenen gesetzmäßig aufeinanderfolgenden Lernphasen (Grobkoordination, Feinkoordination, variable Verfügbarkeit). Die Sporttreibenden haben aus dieser Sicht allgemeine koordinative Anforderungen zu bewältigen, die mit dem Erlernen, der Steuerung sowie der Anpassung und Umstellung von motorischen Ferti gkeiten zu tun haben. Zu der hier nur angedeuteten Vielfalt von Anforderungsanalysen ist anzumerken, dass es sich in der Literatur eingebürgert hat, die Betrachtungen aus praktischer Perspektive (wie bei Puni, Blume) als induktive und solche aus theor etischem Blickwinkel (wie bei Roth, Zimmermann) als deduktive Vorgehensweisen zu bezeichnen. Alle diese Betrachtungen werden – und das ist der dritte und letzte Schritt – mit der Intention durchgeführt, von den gebildeten Aufgabenklassen auf entsprechende koordinative Lösungsfähigkeiten zu schließen. Das Ergebnis ist jetzt kaum mehr überraschend. Die Uneinheitlichkeiten und Heterogenitäten in den Anforderungsanalysen schlagen sich (fast) spiegelbildlich in den veröffentlichten Fähi gkeitssystematiken nieder. In Tabelle 1 sind einige aktuelle Begriffsbeispiele aus der Literatur dargestellt; die Liste könnte problemlos um das Doppelte oder Dreifache erweitert werden. Tab. 1: Zur Begriffsvielfalt im Bereich der koordinativen Fähigkeiten Adaptationsfähigkeit Anpassungsvermögen Antizipationsfähigkeit Auge-Hand-Koordination Balancefähigkeit Beweglichkeit Dynamische Flexibilität Elastizität Geschicklichkeit Gewandtheit Gleichgewichtsvermögen Kinästhetische Differenzierungsfähigkeit Kombinationsvermögen Motorische Lernfähigkeit Motorische Speicherungsfähigkeit Motorische Vorstellungsfähigkeit Muskelentspannungsfähigkeit Orientierungsvermögen Raumgefühl Reaktionsvermögen Regelungsfähigkeit Regulationsfähigkeit Rhythmisierungsfähigkeit Steuerungsvermögen Umstellungsfähigkeit Wendigkeit An dieser Stelle soll die Terminologiediskussion abgebrochen werden. Interessierte Leser seien auf die Monografien von Roth (1982), Bös und Mechling (1983) und Hirtz (1988) verwiesen. Diese geben einen Überblick über zahlreiche weitere Versuche, mit jeweils spezifischen, immer wieder anderen induktiven oder deduktiven Voreinstellungen den richtigen Weg zu einer allgemeinen Fähigkeitssy stematik aufzuzeigen. Wie bereits erwähnt, hat sich keines der Modelle so richtig durchge- setzt; begriffliche Vereinheitlichungen und erfolgversprechende Schlichtungsversuche sind auch für die nächsten Jahre nicht in Sicht. Was ist in dieser Situation dem praktisch tätigen Sportlehrer zu raten? Der Ratschlag fällt nicht einmal kompliziert aus und gründet auf einer Idee von Neumaier und Mechling (1995). Er zielt darauf ab, dass man bei der Beschreibung dessen, was in ein sportartübergreifendes Koordinationstraining einbezogen werden sollte, die bewegungs- und trainingswissenschaftliche Ansatzvielfalt nicht „gegeneinander“ diskutiert, sondern die – je für sich – durchaus wertvollen Detailerkenntnisse aus den Einzelkonzeptionen gewinnbringend miteinander verbindet. Aus methodischer Sicht spricht eigentlich kaum etwas dagegen, die identifizierten koordinativen Aufgaben-/Anforderungs klassen des Sports soweit als möglich nebeneinander zu stellen und im Rahmen einer breiten Grundausbildung gemeinsam zu berücksichtigen. Das Motto des Ratschlags lautet also: „Viele Wege führen nach Rom!“. In dem angestrebten Vereinigungsmodell können z.B. Rhythmus-, Geschicklichkeits- (sensu Puni), Or ientierungs-, Kopplungs- (Blume), Reaktions-, Gleichgewichts- (Hirtz), Zei tdruck-, Präzisionsdruckanforderungen (Roth) u.v.a.m. sinnvoll integriert werden. Das theoretische Ärgernis der Perspektivenheterogenität lässt sich auf diese Weise u.U. sogar zu einem praktischen Vorteil „wenden“. Exkurs: Die Verknüpfung unterschiedlicher Konzeptionen hat allerdings ihren theoretischen Preis. Er ist zwar nicht gering, aber grundsätzlich bezahlbar. Auf einen kurzen Nenner gebracht, betrifft der Preis die Tatsache, dass ein Vereinigungsmodell nur auf die Zusammenschau der Aufgaben des Koordinationstrainings bezogen werden und keinesfalls fähigkeitsorientiert interpretiert werden darf. Die Begründung hierfür erfordert eine Nachbemerkung zum o.a. dritten Schritt koordinativer Fähigkeitsableitungen, also zum Übergang von (beobachtbaren) Anforderungen zu (latenten) Konstrukten. Derartige Übergänge können – und das ist bi sher nicht ausdrücklich erwähnt worden – weder rein intuitiv noch überzeugungsgeleitet vollzogen werden. Das ist wissenschaftlich unzulässig. Es ist z.B. nicht erlaubt, von Rhythmus- oder Gleichgewichtsanforderungen „einfach 1:1“ auf eine zugrundeliegende Rhythmus- bzw. Gleichgewichtsfähigkeit zu schließen. Vielmehr sind solche Schlüsse ausdrücklich an empirische Absicherungen gebunden. Den (mutterwissenschaftlichen) Standards der Differentiellen Psychologie entspr echend, kann von Fähigkeiten oder Fähigkeitsstrukturen nur dann gesprochen werden, wenn erstens die Eindimensionalität/Homogenität der angenommenen koordinativen Leistungskomponenten nachgewiesen ist und zweitens die strukturellen Beziehungen der Fähigkeiten untereinander, d.h. ihre gegenseitigen (Un-)Abhängigkeiten und Wechselwirkungen, geklärt sind. Es muss deutlich herausgestellt werden, dass diese empirische Basis für das im folgenden dargelegte Vereinigungsmodell weitgehend fehlt. Das Modell leistet somit „nur“ eine Strukturierung der „allgemeinen koordinativen Anforderungen des Sporttreibens“ – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Konsequenterweise wird bei den nachstehenden Beschreibungen der Inhalte und Methoden des Koordinationstrainings auf den an- spruchsvolleren Fähigkeitsbegriff verzichtet und nur von koordinativen Aufgabenbzw. Anforderungsklassen gesprochen. Abb. 2: Koordinative Anforderungsklassen/Aufgabenkategorien (modifiziert nach Neumaier & Mechling, 1995 und Te Poel & Neumaier, 1995) Die Abbildung 2 enthält den Versuch einer Zusammenführung verschiedener Konzeptionen auf der Ebene der Aufgabenklassen für das Koordinationstraining. Die Anforderungsanalysen werden hinsichtlich zweier Aspekte „vereinigt bzw. aufaddiert“: Im oberen Teil wird die Grundgesamtheit der efferenten und afferenten Informationsanforderungen „abgesteckt“. Auf der efferenten Seite ergeben sich vielfältige Anforderungen bezüglich des Umfangs der einzubeziehenden Muskelgruppen (feinmotorisch, großmotorisch); auf der afferenten Seite im Hinblick auf den Ei nsatz der – für die motorische Kontrolle führenden – Sinnesorgane bzw. Analysatoren (optisch, akustisch, taktil, kinästhetisch, vestibulär). Es resultieren hieraus zahlreiche koordinative Aufgabenstellungen, z.B. feinmotorisch-visuell akzentuierte (Zielwürfe, Jonglieren usw.) oder großmotorisch-vestibulär akzentuierte Anforderungen (ganzkörperliche Gleichgewichtsübungen, Drehbewegungen usw.). Im unteren Teil werden die speziellen, typischen Druckbedingungen, unter denen Koordinationsleistungen im Sport zu erbringen sind, aufgelistet. Diese sind – in Anlehnung an Neumaier und Mechling (1995) und Te Poel und Neumaier (1995) – aus einem abstrahierenden Vergleich von mehr als 20 Begriffssystematiken abgeleitet worden. Die sechs motorisch-koordinativen Druckbedingungen können wie folgt definiert werden: Zeitdruck Aufgabenstellungen, bei denen es auf Zeitminimi erung/ Geschwindigkeitsmaximierung ankommt Präzisionsdruck = Aufgabenstellungen, bei denen es auf höchstmögliche Genauigkeit ankommt Komplexitäts= Aufgabenstellungen, bei denen es auf eine druck Bewältigung vieler hintereinandergeschalteter (sukzessiver) Anforderungen ankommt Organisations= Aufgabenstellungen, bei denen es auf eine druck Bewältigung vieler gleichzeitiger (simultaner) Anforderungen ankommt Belastungsdruck = Aufgabenstellungen, bei denen es auf die Bewältigung von Anforderungen unter physisch-konditionellen Belastungsbedingungen ankommt Variabilitätsdruck = Aufgabenstellungen, bei denen es auf die Bewältigung von Anforderungen unter wechselnden Umgebungs-/Situationsbedingungen ankommt Der Facettenreichtum der aus dem Vereinigungsmodell konstruierbaren koordinativen Aufgabenstellungen ist augenfällig. Greift man jeweils eine der efferenten und eine der afferenten Anforderungen sowie eine der sechs Druckbedingungen heraus, dann lassen sich bereits 60 Dreierkombinationen bilden. Hinzu kommen „unzählige“ weitere Möglichkeiten, Unterrichtsinhalte mit mehrdimensionalen Informations- und Druckanforderungen zu entwickeln. Die zentrale Zielstellung erscheint somit (weitgehend) erreicht: Mit dem vorgelegten „Ordnungsraster“ werden die sportartübergreifenden koordinativen Aufgabenanalysen mehr oder weniger komplett zusammengefasst und sicher partiell auch noc h ergänzt bzw. erweitert. 3 = Zu den Methoden – die Fragen nach dem Wie! Methodische Grundformel Das wichtigste Prinzip, das ein Sportlehrer bei der Schulung von allgemeinen (koordinativen) Leistungsvoraussetzungen kennen muss, ergibt sich aus einer Umkehrung der Logik des Lehrens motorischer Fertigkeiten. Zur Erinnerung: Wenn man komplexe spezifische Bewegungsformen vermitteln will, muss man systematisch Vereinfachungsstrategien einsetzen. Insbesondere sind allgemeinkoordinative und/oder konditi onelle Überforderungen zu vermeiden. Beim Training genereller Komponenten ist es genau anders herum. Will man unter vielfältigen efferenten und afferenten Anforderungen, mit zusätzlichen Druckbedingungen fä- higkeitsorientiert üben lassen, dann müssen die spezifischen Fer tigkeitsanforderungen in den Hintergrund gerückt, d.h. gering gehalten werden. Die entscheidenden „Zutaten“ der Koordinationsschulung sind also – von den Schülern jeweils stabil beherrschte – motorische Fertigkeiten, die informationell-variabel mit den in Abbildung 2 aufgeführten Druckbedingungen „gewürzt“ werden. Grundformel Koordinationsschulung = Einfache Fertigkeiten + Vielfalt (efferente, afferente Anforderungen) + Druckbedingungen (Zeitdruck, Präzisionsdruck, Komplexitätsdruck, Organisationsdruck, Belastungsdruck, Variabilitätsdruck) Koordinationsübungen nach dieser methodischen Grundformel sollten auf allen Altersstufen ein fester Bestandteil des Sportunterrichts sein. Sie können z.B. als Aufwärmprogramm bzw. Teil eines Aufwärmprogramms oder Hauptinhalt einer Schulsportstunde angeboten werden. Übungsbeispiele Die Tabelle 2 gibt einen Überblick über einfache motorische Fertigkeiten, die bei der Gestaltung eines allgemeinen, sportartübergreifenden Koordinationstrainings prinzipiell einsetzbar sind. Im Normalfall wird man bei der Planung und Realisi erung einer Unterrichtseinheit oder einer (mehrwöchigen) Unterrichtsreihe möglichst viele dieser Fertigkeiten auswählen und sie – gemäß der Grundformel – unter vielfältigen Informationsverarbeitungs- und Druckbedingungen durchführen lassen. Geeignete Organisationsformen sind hierbei u.a. Einzel-, Partnerübungen, Parcours, Hindernisläufe, Koordinationszirkel oder (Lauf-)Spiele. Zahlreiche andere Formen sind denkbar. Der Phantasie des Spor tlehrers werden kaum Grenzen gesetzt, und auch die Spontaneität und die Ideen der Kinder selbst sind zu nutzen. Generell gilt: Koordinationstraining muss abwechslungsreich sein und vor allem Freude bereiten. Tab. 2: Elementare motorische Fertigkeiten Armkreisen Aufschwünge Fallen Gehen Gleiten Hüpfen Köpfen Kriechen Laufen Prellen Rollen Schaukeln Schieben Schießen Schlagen Schweben Schwingen Springen Stoßen Stützen Umschwünge Wälzen Werfen Ziehen In Abbildung 3 wird ein Beispiel für einen vielseitig konzipierten Hindernisparcours gegeben. Er beinhaltet die Elementarfertigkeiten Laufen, Springen, Rollen, Klet- tern, Prellen und Werfen, stellt komplexe Anforderungen an die Analysatoren und induziert u.a. Zeitdruck, Präzisionsdruck, Komplexitätsdruck und Belastungsdruck. Abb. 3: Komplexe und vielseitige, sportartübergreifende Koordinationsschulung nach Kosel (1992, S. 117): 1. Balancieren über eine Wippe 2. Kastentreppe überlaufen Mattengraben überspringen 3. Lauf auf vorgegebenen Wegen Medizinbälle mit der Hand berühren 4. Rollen über verschiedene Matten 5. Klettern „auf allen Vieren“ über Barrenholme 6. Balancieren auf Reckstangen Ball bewegen 7. Ball in jedem Reifen prellen 8. Überspringen der (kleinen) Kästen 9. Werfen auf (Papp-)Zielscheiben Natürlich sind – innerhalb einzelner Unterrichtssequenzen – auch vorübergehende Schwerpunktsetzungen und koordinative Profilbildungen möglich. Die Abbildungen 4 und 5 sowie die Tabelle 3 zeigen entsprechende Programme. Exemplarisch wird jeweils einer der drei „Summanden“ der Grundformel konstant gehalten und die beiden anderen werden variiert: 1. Koordinationstraining mit einer Elementarfertigkeit (variable Informationsverarbeitungs- und Druckbedingungen; Abbi ldung 4) 2. Koordinationstraining mit Akzent auf einem Analysator (variable Elementarfertigkeiten und Druckbedingungen; Abbildung 5) 3. Koordinationstraining mit Akzent auf einer Druckbedingung (variable Elementarfertigkeiten und Informationsverarbei tungsbedingungen; Tabelle 3) Abb. 4: Koordinationsschulung mit der Elementarfertigkeit „Laufen“ Andere – auch „gemischte“ – Schwerpunktbildungen sind natürlich in gleicher Weise denkbar. Ihre Auswahl wird im konkreten Fall entscheidend von Personenmerkmalen (z.B. Leistungsstand, Alter, Geschlecht) und von situativen Bedi ngungsfaktoren (z.B. Abstimmung mit anderen Inhalten der Unterrichtsstunde) beeinflusst werden. Abb. 5: Koordinationsschulung mit Schwerpunkt auf „vestibulären Informationsanforderungen“ (nach Roth & Schubert, 1994, S. 36) 1. Balancieren und Luftballon „in der Luft“ halten 2. Kastenoberteile auf Medizinbällen balancieren 3. Über Tau balancieren 4. Auf den beiden Längskanten der umgedrehten Kastenteile balancieren 5. Mit zwei Bällen die umgedrehte, schräg gestellte Bank hinaufbalancieren 6. Balancieren über zwei unterschiedlich hohe umgedrehte Bänke 7 Medizinball in Hochhalte, einbeinig auf einer Linie hüpfen 8. Auf Stelzen laufen Tab. 3: Koordinationsschulung mit Schwerpunkt auf „Organisationsdruckanforderungen“ (nach Bös, 1987, S. 421, 427; Kosel, 1992, S. 54, 56) 1. Ball hochwerfen und nach einer Körperdrehung um die Längsachse wieder fangen 2. Gleichzeitiges gegensinniges Armkreisen 3. An der Wand entlanggehen mit gleichzeitigem Überkreuzen der Hände und seitlichem Heranziehen der Füße 4. Über eine Turnbank balancieren und dabei einen Ball prellen 5. Balancieren auf umgedrehten Bänken mit gleichzeitigem Hochwerfen und Fangen eines Balles 6. Bewegungen eines ballprellenden Partners nachvollziehen, z.B. hinsetzen und wieder aufstehen, durch die Beine, im Seitgalopp 7. Luftballontänze zu entsprechender Musik 8. Schwingen am Tau mit Zusatzaufgaben, z.B. Hütchen vom Boden aufsammeln, Medizinbälle mit den Füßen wegschlagen Hinzuweisen ist noch auf die herausragende Bedeutung von Spielformen für das Koordinationstraining. Sie sind besonders deshalb geeignet, weil sie neben Zei tdruckbedingungen und Genauigkeitsanforderungen auch situative Überraschungsmomente (Variabilitätsdruck) beinhalten. Roth und Schubert (1987, S. 39) und Kosel (1992, S. 91, 106, 117) schlagen Spiele wie Dreifachabschlag, Wollf äden sammeln, Zügellaufen, Papier-Bleib-Dran, Wanderstaffeln, BuchstabenZahlen-Läufe, Völkerball mit Erlösen, Lauf Hase – Sitz Hase, Kastenmann usw. vor. 4 Zielgruppenspezifik – Was und Wie mit Wem? Aus der Vielzahl der potentiell relevanten Differenzierungsmerkmale für das Koordinationstraining sollen hier zwei der (vermutlich) wichtigsten behandelt werden: das kalendarische Alter und die Disziplinorientierung. Kalendarisches Alter Das koordinative Leistungsvermögen kann weitgehend „entwicklungsneutral“ über die gesamte Lebensspanne hinweg verbessert werden. Beim Unterrichten von Kindern und Jugendlichen sind dennoch einige Besonderheiten zu berücksichtigen, die im folgenden kurz thematisiert werden. Eine ausführlichere Diskussion dieser altersbedingten Charakteristika findet sich bei Roth und Winter (1994). Frühes und spätes Schulkindalter (Mädchen 7. bis 11./12. Lebensjahr; Jungen 7. bis 12./13. Lebensjahr): Diese „Phase des nahezu linearen Anstiegs“ gilt als bestes oder sogar „goldenes Alter“ für die Koordinationsschulung und das Fertigkeitslernen (Winter, 1987, S. 344; Martin, 1988; S. 91; Hirtz, 1994, S. 207-217). Zu beachten ist, dass sich das Vermögen, großmotorische Aufgaben zu bewältigen, früher entwickelt als die Lösungskompetenzen für feinmotorische Aufgaben. Zudem können Kinder mit Zeitdruckbedingungen besser umgehen als mit Präzisionsdruck (vgl. Roth & Winter, 1994, S. 199; Bös, 1994, S. 243). Das heißt natürlich nicht, dass auf feinmotorische Genauigkeitsleistungen verzichtet werden sollte, sondern nur, dass bei derartigen Aufgaben schneller mit Überforderungen gerechnet werden muss, als bei ganzkörperlichen Zeitdruckanforderungen. Eher gemäßigte Dosierungen sind wohl auch bei Variabilitäts- und Belastundruckaufgaben empfehlenswert. Bei ersteren ist zu berücksichtigen, dass die Reaktions- und Antizipationsleistungen noch nicht optimal ausgeprägt sind (Roth & Winter, 1994, S. 200); bei den zweitgenannten müssen die vorhandenen Erkenntnisse zur Trainierbarkeit der konditionellen Fähigkeiten mitbedacht werden. Selbst wenn die alten Positi onen, in denen von massiven entwicklungsbedingten Einschränkungen ausgegangen wurde, mittlerweile korrigiert worden sind, sollten doch weniger anaerobe als aerobe Beanspruchungen im Vordergrund stehen und einseitige Kraftbelastungen vermieden werden. Pubeszenz (Mädc hen bis 13. Lebensjahr; Jungen bis 14./15. Lebensjahr): In di esem Altersabschnitt wird der geradlinige Entwicklungsverlauf gebremst (vgl. Abbi ldung 1). Bei erheblichen interindividuellen Unterschieden wechseln Stagnationen mit (geringen) Anstiegs- und partiell auch Abstiegsphasen. Wichtig ist, dass die Beeinträchtigungen – sofern sie im Einzelfall auftreten – nicht zu einer umfassenden motorischen Gesamtkrise führen. Von den hormonellen und körperbaulichen Umstellungen betroffen sind vor allem die Ausführungen schwieriger ganzkörperlicher Bewegungstätigkeiten, also auch die Realisierungen eines Koordinationstrainings unter Komplexitäts- oder Organisationsdruckbedingungen. Hier sind u.U. Überforderungen einzukalkulieren. Auf der anderen Seite wachsen die Möglichkeiten der Einbeziehung konditioneller Beanspruchungen. Adoleszenz (Mädchen bis 16./17. Lebensjahr; Jungen bis 18./19. Lebensjahr): Es kommt wieder zu einer Festigung in der Koordinationsentwicklung. Durchschnittlich betrachtet werden jetzt die individuellen Höchstausprägungen erreicht. Bis zum Eintritt in das Erwachsenenalter formen sich mehr oder weniger deutliche individuelle koordinative „Handschriften“ oder „Fingerabdrücke“ heraus. Generell gibt es für das Koordinationstraining in dieser Lebensphase keine wesentlichen Einschränkungen mehr. Die Schwerpunkte und Akzentsetzungen haben ihren Altersbezug verloren, entscheidend werden zunehmend und in erster Linie die „Lebensgestaltung“ sowie die Bewegungs- und Sportkarrieren der Schüler. Disziplinorientierung Im Schulsport können – neben den bisher besprochenen bereichsübergreifenden – auch spezielle, sportartgerichtete (koordinative) Ausbildungsinhalte eine Rolle spielen. Z.B. bietet es sich im Rahmen von Fußball-, Handball-, Schwimm- oder Leichtathletikstunden an, auch Akzente in Richtung einer vorbereitenden fußball-, handball-, schwimm- oder leichtathletikorientierten Koordinationsschulung zu setzen. Für im Verein trainierende Kinder und Jugendliche gilt generell, dass es nach einer klaren Schwerpunktsetzung auf die übergreifenden Inhalte im Kindesalter (≈ 80:20), allmählich zu einer annähernden Gleichverteilung zwischen allgemeinen und spezifischen Übungsformen kommt. Wie unterscheidet sich die generelle von der sportartbezogenen Koordinationsschulung? Hier hilft ein Blick auf die drei Summanden in der methodischen Grundgleichung: Einfache Fertigkeiten: Mit steigenden Erfahrungen und dem Erwerb von Kompetenzen werden (einige) disziplinspezifische Fertigkeiten für die Kinder und Jugendlichen zu einfachen, sicher beherrschten Bewegungsformen. Der Logik der Formel folgend, wird es daher – bei fortgeschrittenem Leistungsstand – möglich, auch Techniken der jeweiligen Sportarten in das Koordinationstraining einzubinden. Vielfalt (efferente, afferente Anforderungen): Jede Disziplin ist durch charakteristische Anforderungen an die Informationsverarbeitungsprozesse gekennzeichnet. Bei Spielern sind es vorrangig „großmotorische, visuelle“, bei Wasser- und Trampolinspringern „großmotorische, vestibuläre“, bei Schwimmern „großmotorische, kinästhetische, taktile“, bei Jazztänzern „großmotorische, akustische“, bei Schützen und Biathleten „feinmotorische, visuelle“, bei Jongleuren „feinmotorische, kinästhetische, taktile“ Aufgabenstellungen usw. In der Koordinationsschulung sollte sich dies widerspiegeln. Die Breite hinsichtlich der efferenten und afferenten Anforderungen ist durch eine erkennbare Schwerpunktlegung zu ersetzen. Druckbedingungen: Auch hier sind die Profile der Disziplinen zu berücksichtigen. In den Sportspielen stehen Zeitdruck-, Belastungsdruck- und Variabilitätsdruckbedingungen im Vordergrund, in den verlaufsorientierten Sportarten (Gerätturnen, Wettkampfgymnastik, Wasserspringen usw.) sind es der Präzisions-, Komplexitäts- und Organisationsdruck, im Schwimmen und der Leichtathletik der Zeit-, Pr äzisions-, Organisations- und Belastungsdruck usw. Die Unterschiede und Spezifika werden in den Tabellen 4 und 5 am Beispiel eines handball- und turnspezifischen Koordinationsprogramms verdeutlicht. Tab. 4: Handballspezifische Koordinationsübungen Einfache Fertigkeiten: Prellen, Pass- und Wurftechniken, Finten Efferente/afferente Informationsverarbeitung: großmotorisch, visuell Druckbedingungen: Variabilitätsdruck, Zeitdruck, Belastungsdruck Übungsformen (Schwerpunkt: Variabilitätsdruck „innerhalb“ und „zwischen“ Fertigkeiten) 1. Prellen mit unterschiedlichen Bällen (Gewicht, Größe, Form, Elastizität), in verschiedene Richtungen, Höhen, Körperlagen usw. 2. Passen einhändig-beidhändig, links-rechts, direkt-indirekt, unterschiedliche Distanzen, Richtungen, Höhen, nach Täuschung bzw. Bewegungsumlenkung usw. 3. Werfen mit unterschiedlichen Anlaufschritten (0, 1, 2, 3), -richtungen, -übertragungen (aus dem Lauf, Stemmschritt), mit unterschiedlichem Absprungbein (links, rechts, beidbeinig), auf verschiedene Zielpositionen (hoch, halbhoch, tief), in verschiedene Wurfecken (lang, kurz), mit verschiedenen Ausholbewegungen (geradlinig, kreisförmig), Oberkörperhaltungen (aufrecht, geneigt zur Wurfarmseite, geneigt zur Wurfarmgegenseite), Abwurfhöhen (hoch, halbhoch, tief), Anspielrichtungen vor dem Torwurf usw. 4. Der Rückraum Mitte Spieler erhält zehn Bälle in Folge; er wechselt zwischen verschiedenen Abspiel- und Wurfvarianten 5. In der Ballkiste befinden sich drei Ballsorten (Tennis-, Soft- und Handbälle). Der Trainer passt schnell hintereinander wahlweise zu den einzelnen Positionen. Erhält der Spieler einen Tennisball, führt er einen Torwurf mit der Nichtwurfhand aus, bei Erhalt eines Handballes erfolgt der Torwurf mit der Wurfhand, der Softball soll einem benachbarten Spieler zugepasst werden, der dann auf das Tor wirft. Übungs-/Spielformen (Schwerpunkt: Zeit- und Belastungsdruck) 6. Um den Mittelkreis Herumprellen: Vorwärtslaufen, einen Umlauf mit rechts und einen mit links Prellen; Rückwärtslaufen, rechts und dann links Prellen (auf Zeit) 7. Der Übende bewegt sich zwischen zwei Markierungen vorwärts und rückwärts und muss einen vom Partner bogenförmig über ihn hinweg geworfenen Ball in der Rückwärtsbewegung fangen 8. Slalomdribbeln, Zick-Zack-Prellen mit Handwechsel, Prellstaffeln 9. Prellabschlagspiele 10. Parteiballspiele in verschiedenen Räumen mit oder ohne Prellen; nur mit der falschen Hand 11. Basketballvariation. Gespielt wird mit einem Handball, gepasst werden darf nur mit indirektem Schlag wurf oder direktem Sprungwurfpass 12. Angriff muss nach einer bestimmten Zeit oder nach einer bestimmten Anzahl von Pässen abgeschlossen werden 13. Mit zwei unterschiedlich gefärbten Bällen spielen, wobei z.B. der dunklere Ball zuerst auf das Tor geworfen werden muss Tab. 5: Turnspezifische Koordinationsübungen Einfache Fertigkeiten: Dreh-, (Um-)Schwung-, Felg-, Kipp-, Überschlag-, Stemm-/Sprungbewegungen Efferente/afferente Informationsverarbeitung: großmotorisch, kinästhetisch, taktil, vestibulär Druckbedingungen: Präzisionsdruck, Komplexitätsdruck, Organisationsdruck Übungsformen (nach Schiebl, 1994,S. 76; Czoske, 1975, S. 75) 1. Mehrfache Rollen vorwärts, rückwärts und seitwärts am Boden; Rollen vorwärts in Verbindung mit eingelagerten Überschlagbewegungen oder mit Strecksprüngen, wobei die Strecksprünge zusätzlich mit Drehungen um die Längsachse ausgeführt werden können; Rollen vorwärts durch den Reifen; Doppelrollen 2. Schwingen im Stütz, im Lang- und Felghang mit Drehungen um die Längsachse; Schwingen mit zeitlicher Steuerung der Aktionen in verschiedenen Positionen 3. Abschwünge an verschiedenen Geräten; Aufschwünge aus verschiedenen Positionen, mehrfache Umschwünge vor- und rückwärts (Knie-, Spreiz- und Hüftumschwünge) 4. Stemmbewegungen mit Koppelung von Auf- und Umschwungbewegungen an den Ringen, am Barren, Stufenbarren und Reck 5. Freie Sprünge mit formativen Anteilen und Drehungen um die Körperlängsachse; Verbindungen von Grundsprüngen auf dem Trampolin (Strecksprung, Sitzsprung, Kniesprung, Grätschwinkelsprung usw.). Mehrfache Sprünge und Drehungen um die Längsachse 6. Turnen von Verbindungen ohne Vorbereitung 7. Selbständiges Lösen von Bewegungsaufgaben. Beispiel: verschiedenartige Verbindungen von vorgeschriebenen Elementen 8. Spiegelbildliche Ausführungen: Beispiel: Rad rechts, Rad links, Kreisflanken zu beiden Seiten 9. Veränderung der Ausführungsgeschwindigkeit. Beispiel: langsame Rolle vw, schnelle Rolle rw, Tempo-Salto, langsame Kammgriffriesen, beschleunigte Kammgriffriesen für Fluggrätsche oder Hecht 10. Lösen darstellerischer Aufgaben (z.B. Bewegen wie ein Roboter) 11. Kinästhetisch-taktil: Wahrnehmung von Spannungszuständen in der Muskulatur, den Sehnen und den Bändern. Zu viert einen Partner als „steifen Mann“ tragen; einen auf dem Rücken liegenden Partner an den Füßen fassen und (bis zu bestimmten Winkelstellungen) hochheben 12. Vestibulär: Anpassung an ungewohnte Körperlagen. Sturzhang an den Ringen, am Parallelbarren oder zwischen zwei Tauen; „Todesschwung“ am Reck oder Barren; Kombination von Kopf-/ Handständen mit Drehbewegungen und Balancieraufgaben 13. Akustisch: Sprechen, Klopfen oder Klatschen von Rhythmen 5 Eine kurze Zusammenfassung in Merksätzen • Die Koordinationsschulung ist als „Training der Trainierbarkeit“, der motorischen Intelligenz oder der sportbezogenen Lernfähigkeit ein wichtiger, entwicklungsgemäßer Inhalt des Sportunterrichts. Während des gesamten Schulalters ist genügend Raum für eine breite, übergreifende Grundausbi ldung zu schaffen. • Welche und wie viele koordinative Einzelfähigkeiten voneinander abzugrenzen sind, ist – bewegungs- und trainingswissenschaftlich betrachtet – unklar. Es wurde daher der Ratschlag gegeben, die bis heute geleisteten Analysen der koordinativen Aufgaben-/Anforderungsklassen des Sports „zusammenzudenken“ und – vorläufig – auf eine streng wissenschaftliche, fähigkeitsorientierte Strukturierung des Bereichs zu verzichten. • Die methodische Formel, das Grundrezept, für das Koordinationstrai ning lautet: Man nehme eine Palette von einfachen, stabil beherrschten motorischen Fertigkeiten, variiere die efferenten und afferenten Informationsverarbeitungsbedingungen und führe die Übungen unter (erschwerenden) Druckbedingungen durch: Zei tdruck, Präzisionsdruck, Komplexitätsdruck, Organisationsdruck, Belastungsdruck, Variabilitätsdruck. • Diese „Mixtur“ darf selbstverständlich nicht stur und unflexibel angewendet werden. Der „Geschmack“ an den einzelnen „Zutaten“ ändert sich vor allem alters-/entwicklungsbedingt und in Abhängigkeit von der Disziplinorientierung. Wichtig ist, dass es für die Koordinationsschulung zwar kein zu jung, zu alt, zu gut oder zu schlecht gibt, dass sie aber dennoch wohl nicht immer unbedingt gleich wirkt. Das berühmte „Hänschen“ ist gegenüber dem „Hans“ doch irgendwie im Vorteil („Was Hänschen nicht lernt . . .!“). Die Steigerungsraten vom frühen Schulkindalter bis zur Pubeszenz werden in späteren Lebensabschnitten nur noch in Ausnahmefällen erreicht. Hinsichtlich der Sportarten ist von deutlich unterschiedlichen Gewichtungen in den informationellen Anforderungen und den Druckbedingungen auszugehen. Das wurde am Beispiel der Disziplinen Handball und Turnen illustriert. • Koordinationsschulung ist – auch bei alters- und bereichsspezifischen Schwerpunktsetzungen – immer vielseitig und variantenreich zu gestalten. Sie verträgt viele Ideen und „Köche“: wenige Zut aten verderben den Brei! 6 Literatur Blume, D.D. (1978). Zu einigen wesentlichen theoretischen Grundpositionen für die Untersuchung der koordinativen Fähigkeiten. Theorie und Praxis der Körperkultur, 27, 29-36 Bös, K.(1987). Handbuch sportmotorischer Tests. Göttingen: Hogrefe Bös, K. (1994). Differentielle Aspekte der Entwicklung motorischer Fähigkeiten. In J. Baur, K. Bös & R. Singer (Hrsg.), Motorische Entwicklung – Ein Handbuch (S. 238-253). Schorndorf: Hofmann Bös, K. & Mechling, H.(1983). Dimensionen sportmotorischer Leistungen. Schorndorf: Hofmann Czoske, H.J. (1975). Das Training des jugendlichen Turners. Schorndorf: Hofmann Hirtz P. (Red.) (1988). Koordinative Fähigkeiten im Schulsport . Berlin: Sportverlag Hirtz, P.(1994). Vielfalt und Reichtum der Individualentwicklung – die motorische Ontogenese. In P. Hirtz, G. Kirchner & R. Pöhlmann (Hrsg.), Sportmotorik. Grundlagen, Anwendungen und Grenzgebiete (S. 207-217). Kassel: Kiphard, E.J. & Schilling, F. (1974). Körperkoordinationstest für Kinder KTK. Weinheim: Beltz Kosel, A. (1992). Schulung der Bewegungskoordination. Schorndorf: Hofmann Martin, D. (1988). Training im Kindes- und Jugendalter. Schorndorf: Hofmann 8) Meinel, K. & Schnabel, G. (1987 . Bewegungslehre – S portmotorik. Abriss einer Theorie der sportlichen Motorik unter pädagogischem Aspekt. Berlin: Sportverlag Neumaier, A. & Mechling, H. (1995). Taugt das Konzept „koordinativer Fähigkeiten“ als Grundlage für sportartspezifisches Koordinationstraining? In P. Blaser, K. Witte & Ch. Stucke (Hrsg.), Steuer- und Regelvorgänge der menschlichen Motorik (S. 207-212). St. Augustin: Academia Noth, J. (1994). Entwicklung neurophysiologischer Parameter der Motorik. In J. Baur, K. Bös, & R. Singer (Hrsg.), Motorische Entwicklung – Ein Handbuch (S. 93-105). Schorndorf: Hofmann Puni, A.Z. (1961). Abriss der Sportpsychologie. Berlin: Sportverlag Roth, K. (1982). Strukturanalyse koordinativer Fähigkeiten. Bad Homburg: Limpert Roth, K. & Schubert, R. (1987). Koordinationstraining mit jugendlichen Handballspielern. Handballtraining, 9, 3-13 Roth, K. & Schubert, R. (1994). Koordinationstraining. In Schubert, R., Oppermann, H.P. & Späte, D. (Red.), Handball-Handbuch 1. Spielen und Üben mit Kindern (S. 30-39). Münster: Philippka Roth, K. & Winter. R. (1994). Entwicklung koordinativer Fähigkeiten. In J. Baur, K. Bös & R. Singer (Hrsg.), Motorische Entwicklung – Ein Handbuch (S. 191-252). Schorndorf: Hofmann Schiebl, F. (Red.) (1994). Kindersportschule: Lehrplan - Allgemeine sportartübergreifende Grundlagenaus bildung für Kinder. Stuttgart: STB Te Poel, H.D. & Neumaier, A. (1995). Koordinatives Ergänzungstraining in der sportlichen Tennisausbildung. Unveröffentlichtes Manuskript. Bochum: ISW 8 Weineck, J. (1994 ). Optimales Training. Erlangen: perimed Wellnitz, I. & Hirtz, P. (1983). Langzeitwirkungen eines pädagogischen Experimentes zur Entwicklung koordinativer Fähigkeiten in der Unterstufe. Körpererziehung, 33, 4-7 8) Winter, R. (1987 . Die motorische Entwicklung des Menschen von der Geburt bis ins hohe Alter. In K. Meinel, & G. Schnabel, Bewegungslehre – Sportmotorik (S. 275-397). Berlin: Sportverlag 8) Zimmermann, K. (1987 . Koordinative Fähigkeiten und Beweglichkeit. In K. Meinel & G. Schnabel, Bewegungslehre – Sportmotorik (S. 242-274). Berlin: Sportverlag 7 Literaturdokumentation (Stefanie Sengewitz) Martin, D., Carl, K. & Lehnertz, K. (1993). Handbuch der Trainingslehre (Kapitel 2.3, S. 56-68). Schorndorf: Hofmann In diesem Buch wird das Thema Schulung der koordinativen Fähigkeiten im Kapitel 2 (Sportliche Technik und Techniktraining) behandelt. Es werden verschiedene Zielsetzungen und Formen des Koordinationstrainings berücksichtigt. Dabei wird deutlich, dass sich die Schulung der koordinativen Fähigkeiten sich im Kindesund Jugendalter anders gestaltet als z.B. für einen leistungssportlich ausgerichteten Sprinter. Die Autoren stellen dann zunächst die theoretischen Grundlagen (die zentralnervösen Funktionsmechanismen) für das Koordinationstraining dar. Die weiteren Inhalte bezieht sich auf ein Modell der Bewegungskoordination mit den Punkten: gespeicherte Steuerungsprogramme und rückgekoppelte sensorische Informati onen. Dieses Modell von Meinel und Schnabel schließt eine Zielvorgabe, Speicherung, Steuerung und Regelung von Bewegungsausf ührungen ein. Danach werden verschiedene Begriffssystematiken zu den koordinativen Fähigkeiten vorgestellt (Hirtz; Meinel & Schnabel; Harre), unter Einbeziehung von Mattausch und Frey. Zu erwähnen ist, dass es für die Koordination noch keine allgemein akzeptierte Differenzierung von Einzelfähigkeiten gibt. Weitere Schwerpunkte des Buches betreffen die Schulung eines allgemein-vielseitigen Niveaus koordinativer Fähigkeiten und die Schulung koordinativer Fähigkeiten als technisches Ergänzungstraining. Es wird erläutert, wie sich die Trainingspraxis im Kindertraining und im Fortgeschrittenentraining gestaltet. Die Autoren ziehen die Schlussfolgerung, dass das Betreiben einer anderen Sportart neben der Spezialdisziplin sehr wichtig ist. Sie beziehen sich dabei auf das inhaltliche Einteilungsmodell der koordinativen Fähigkeiten von Hirtz. Es werden die generellen Methoden der koordinativen Fähigkeitsschulung (nach Schramm) diskutiert und anhand genauer Beispiele illustriert. Weineck, J. (1997). Optimales Training (Kapitel 16, S. 537-562). Bahlingen: Spitta In dem Buch „Optimales Training“ werden die koordinativen Fähigkeiten auf ca. 20 Seiten behandelt. Begonnen wird mit einer Begriffsbestimmung nach Hirtz und Frey, wobei die Entwicklung vom Globalbegriff der Gewandtheit hin zu den Strukturmodellen für die koordinativen Fähigkeiten beschrieben wird. Es folgen Präsentationen weiterer Systematiken für den koordinativen Fähigkeitsbereich (vgl. Harre; Deltow; Osolin; Rieder; Ritter). Weitere Themen beziehen sich auf die Bedeutung der koordinativen Fähigkeiten und deren Trainierbarkeit. Die Autoren stellen fest, dass die Gewandtheit ab dem 7. Lebensjahr bis zum Eintritt in die Pubertät ihren größten Entwicklungsschub aufweist. Das Ganze findet eine Verbindung zur biologischen Entwicklung. Dass die Komponenten der koordinativen Fähigkeiten eine sehr große Rolle spielen, wird in der Abbi ldung über das strukturelle Gefüge der koordinativen Fähigkeiten nach Meinel und Schnabel deutlich. Die einzelnen Komponenten werden im Folgenden ausführlich erläutert und miteinander in Beziehung gesetzt. Danach konzentriert sich das Buch auf Methoden und Inhalte der Schulung koordinativer Fähigkeiten unter Berücksichtigung verschiedener Theorien von Hirtz und Ludwig sowie Harre. Die Inhalte werden anhand von Beispielen verdeutlicht. Zusätzlich finden noch Test- und Kontrollübungen Beachtung. Die Praxisanwendung in Form eines Trainings der koordinativen Fähigkeiten im langfristigen Trainingsprozess wird ebenfalls ausführlich thematisiert. In der abschließenden Zusammenfassung ist die Tabelle mit einem sensomotorischen Leistungsprofil als Funktion der Entwicklung bemerkenswert. Meinel, K. & Schnabel, G. (1998). Bewegungslehre – Sportmotorik (Kapitel 5, S. 206-236). Berlin: Sportverlag Das dritte Buch von Meinel und Schnabel „Bewegungslehre – Sportmotorik“ gilt als eine der Grundlagen für die Erforschung der koordinativen Fähigkeiten. Die Begriffsbestimmung fehlt auch hier nicht, wobei noch eine Einordnung in die Ge- samtheit der sportlichen Leistung stattfindet. Die wesentlichen Basiskomponenten koordinativer Fähigkeiten werden in einer Abbildung dargestellt. Es wird ein enger Zusammenhang zwischen koordinativen Fähigkeiten und Bewegungsfertigkeiten hergestellt. Weiterhin spielen die Ableitung und Charakteristik einzelner koordinativer Fähigkeiten eine große Rolle (vgl. Hirtz, Zimmer & Pöhlmann; Kirchner & Ljach). Danach werden die einzelnen koordinativen Fähigkeiten gekennzeichnet, ei nschließlich einer Klassifizierung der Ausdrucksformen nach verschiedenen Kriterien. Außerdem wird erwähnt, dass eine Erfassung bzw. Diagnose notwendig ist, um die Entwicklung der koordinativen Fähigkeiten zu kontrollieren. Dazu wird eine Übersicht über sportmotorische Tests zur Erfassung koordinativer Fähigkeiten gegeben. In der Zusammenfassung ziehen die Autoren Schlussfolgerungen für die Ausbi ldung der koordinativen Fähigkeiten und der Beweglichkeit. Danach werden allgemeine Ausbildungsregeln aufgestellt und Praxisbeispiele gegeben.