Griechische Sozialgeschichte
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Griechische Sozialgeschichte
fritz gschnitzer GRIECHISCHE SOZIALGESCHICHTE Von der mykenischen bis zum Ausgang der klassischen Zeit 2., durch eine Bibliographie erweiterte Auflage Franz Steiner Verlag Umschlagabbildung: Eine Familie beim Opfer. Korinthische Votivtafel, 540 v. Chr. National Archaeological Museum, Athen, inv. no. 16464 Photograph: Giannis Patrikianos © Hellenic Ministry of Culture and Sports / Archaeological Receipts Fund Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. 2., durch eine Bibliographie erweiterte Auflage, Stuttgart 2013 © Franz Steiner Verlag, Wiesbaden 1981 Druck: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-10408-1 INHALTSVERZEICHNIS VORWORT ZUR 2. AUFLAGE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 VORWORT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 EINLEITUNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 I. DIE MYKENISCHE ZEIT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Einleitung (20) – Sprachliche, kulturelle und wirtschaftliche Verhältnisse (24) – Staat und Gesellschaft (26) – Zur Agrarverfassung im Reich von Pylos (31) – Zur geschichtlichen Stellung der mykenischen Welt (37) II. DIE HOMERISCHE ZEIT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Einleitung (42) – Die Stände; Fremde und Unfreie (44) – Freie ohne Grundbesitz: Theten, Demiurgen und Therapontes (50) – Die Grundbesitzer und die Agrarverfassung (51) – Der Adel (56) – Die Rechtsordnung und der Staat; die Macht des Adels (60) III. DIE ARCHAISCHE ZEIT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 Einleitung (68) – Die treibenden Faktoren und die Grundzüge der Entwicklung (70) – Die Gesellschaftsordnung (78) – Die Unfreien (79) – Der Adel (83) – Grundzüge der politischen Entwicklung; Untergang des Königtums (92) – Verfassungsfragen (97) – Der Kampf um das Recht (99) – Das Schuldrecht und die Reformen Solons (101) – Die Tyrannis (113) – Kleisthenes und die Anfänge der Demokratie (121) – Sonderfälle: Lipara, Sparta und Kreta (125) VI i n h a lt s v e r z e i c h n i s IV. DIE KLASSISCHE ZEIT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .131 Einleitung; politische Verhältnisse (131) – Die Demokratie (135) – Oligarchie und Tyrannis (140) – Wirtschaft und Bevölkerung (143) – Kolonisation (147) – Allgemeines zur Gesellschaftsordnung (150) – Die Unfreien und die Freilassung (152) – Die Fremden und die Abschließung der Bürgerschaft (156) – Die Bürgerschaft und ihre Schichtung (161) – Erhaltung der Adelsethik (163) – Wirtschaftliche Voraussetzungen und Folgen dieser Einstellung (172) – Arme und Reiche (178) – Sozialpolitik der Demokratie (179) – Stillstand und Umschlag der politischen und sozialen Entwicklung (187) – Die Oberschicht (193) BIBLIOGRAPHIE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .209 ABKÜRZUNGEN FÜR ZEITSCHRIFTEN, REIHEN UND SAMMELWERKE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .224 NAMEN- UND SACHREGISTER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .225 BIBLIOGRAPHIE – NACHTRÄGE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .232 EINLEITUNG E inige Bemerkungen zu Gegenstand und Anlage dieses Buches muß ich der historischen Darstellung vorausschicken. »Sozialgeschichte« (oder »Gesellschaftsgeschichte«1) wollen wir zur ersten Orientierung – wir kommen auf diesen Punkt noch in der Einleitung zurück – als die Spezialdisziplin der Geschichte definieren, die zwischen der politischen Geschichte einerseits, der Wirtschaftsgeschichte andererseits steht und beide miteinander verbindet. Nicht selten werden »Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte« zusammengefaßt; die Gesellschaftsgeschichte, oder wenigstens ihr Kerngebiet, wird aber vielfach auch als ein Teil der Verfassungsgeschichte und damit der politischen Geschichte behandelt. An diesen Überschneidungen erkennt man, daß der Gegenstand der Sozialgeschichte eine zentrale Stellung in der Geschichte einnimmt, zugleich aber in einen Grenzbereich zu liegen kommt, dessen Zuordnung schwankt; vielfach wird auch, wie wir gesehen haben, die Sozialgeschichte gar nicht als selbständiger Gegenstand gefaßt, sondern im Zusammenhang anders gerichteter Darstellungen oder Untersuchungen mehr nebenbei behandelt. So sind auch die beiden angrenzenden Spezialdisziplinen Verfassungsgeschichte und Wirtschaftsgeschichte viel besser entwickelt als die Sozialschichte, sie sind eben schon seit langer Zeit Gegenstand spezialisierter Forschung; die Sozialgeschichte dagegen ist eine ganz junge Wissenschaft, und 1 Ich gebe dem kürzeren Ausdruck den Vorzug, auch deshalb, weil er nicht suggeriert, es handle sich um die Geschichte einer bestimmten Gesellschaft (oder auch mehrerer), und »Gesellschaft« sei eine konkrete, faßbare Größe. Ob sie das im Altertum jemals war, ist umstritten und im übrigen eine so abstrakte Frage, daß wir uns in diesem Buch damit gar nicht zu beschäftigen brauchen; daher können wir uns auch die Antwort auf die Frage ersparen, ob gegebenenfalls eine einzige, die ganze griechische Welt umspannende Gesellschaft anzunehmen wäre oder so viele griechische Gesellschaften, wie es griechische Staaten gab. »Sozialgeschichte« jedenfalls kann man leicht als eine Geschichte der gesellschaftlichen (sozialen) Verhältnisse verstehen, ohne sich auf eine oder mehrere »Gesellschaften« als ihren Gegenstand festzulegen. 10 einleitung dies gilt von der griechischen Sozialgeschichte in besonderem Maße. So wird denn, was ich hier gebe, weitgehend den Charakter eines ersten, ungleichmäßigen Entwurfes haben; dabei ist mir sehr wohl bewußt, daß das nicht nur an dem soeben angedeuteten allgemeinen Forschungsstand liegt, sondern vielleicht mehr noch an dem ungleichmäßigen und im ganzen unbefriedigenden Stand meiner eigenen Kenntnisse (dazu später noch mehr). Ich hoffe, daß es trotz dieser fundamentalen Schwäche einerseits der Zielsetzung dieser Reihe, die Studierenden in den Gegenstand und seine Probleme einzuführen, einigermaßen gerecht wird, andererseits aber vielleicht auch die wissenschaftliche Diskussion und speziellere Darstellungen und Untersuchungen anregen kann. Zum zeitlichen und räumlichen Umfang ist wenig zu sagen. Wir beginnen mit den ältesten Schriftquellen zur griechischen Geschichte, den sog. Linear-BTafeln spätmykenischer Zeit (gegen 1200 v. Chr.) und schließen mit dem Regierungsantritt Alexander d. Gr. 336 v. Chr., d. h. dem Ende der klassischen Zeit. Auch das hellenistische Zeitalter, von der Eroberung des Perserreiches durch Alexander bis zum Aufgehen der griechischen Staaten im Römischen Reich, einzuschließen war ursprünglich beabsichtigt, ließ sich aber dann aus Raumgründen nicht verwirklichen; dieser Verzicht läßt sich auch von der Sache her einigermaßen rechtfertigen, weil die verschiedenen Gesellschaftsordnungen des Hellenismus nur zum Teil ältere griechische Ordnungen fortsetzen, zu einem erheblichen Teil aber auf den Gesellschaftsordnungen des vorgriechischen Orients aufbauen und insofern eine selbständige, breite und differenzierte Behandlung verlangen bzw. nahelegen – die uns an dieser Stelle eben nicht möglich ist. – Wir beschränken uns also auf die vorhellenistische Zeit, und da ist der räumliche Umfang fast problemlos gegeben: wir behandeln alle von Griechen gebildeten und geformten Gemeinwesen und das heißt zugleich alle von Griechen geschlossen besiedelten Gebiete, aber auch alle Gebiete, in denen Griechen über eine nichtgriechische Bevölkerung herrschten (was in mehr oder weniger großem Umfang für die mykenische Zeit, aber auch für einige Gebiete der großen überseeischen Kolonisation gilt und für die hellenistische Zeit natürlich in größtem Umfang gelten würde). Im nördlichen Randbereich rechnen wir die epeirotischen Völkerschaften und die Makedonen noch zu den Griechen, denen sie jedenfalls sprachlich z.T. angehören, z.T. wenigstens sehr nahestehen. Auf kulturellem Gebiet sind diese Randvölker zunächst so weit hinter den Griechen im engeren Sinn zurückgeblieben, daß sie diesen als Barbaren, also Nichtgriechen, gelten konnten; doch ermöglichte dieses starke Kulturgefälle später (etwa seit dem 5. Jh., namentlich aber in hellenistischer Zeit) eine um so gründlichere Hellenisierung. Es empfiehlt sich aber, die sehr eigenartigen gesellschaftlichen Verhältnisse Makedoniens, die wir vor allem aus hellenistischen Quellen kennen und die ja auch gerade für die Ordnung der wichtigsten Staaten des Hellenismus grundlegend geworden sind, ausführlicher einleitung 11 erst im Zusammenhang der hellenistischen Welt (also nicht mehr in diesem Buch) zu behandeln. Wie schon ein Blick in das Inhaltsverzeichnis zeigt, legen wir die übliche Periodisierung der griechischen Geschichte (und Kulturgeschichte) auch unserer Behandlung der griechischen Sozialgeschichte zugrunde. Man mag sich fragen, ob das sinnvoll ist: hat die Sozialgeschichte nicht etwa ihre eigenen Epochen? Ich hoffe, unsere Darstellung selbst wird zeigen, daß sich jede der allgemeinhistorisch abgegrenzten Perioden auch sozialgeschichtlich gut charakterisieren läßt. Die von den großen Palästen beherrschte Gesellschaft mykenischer Zeit ist ganz verschieden von der der bescheidenen Adelshöfe und Kleinstädte des homerischen Zeitalters, diese wieder von der mehr oder weniger demokratischen Gesellschaft der klassischen Zeit. Dazwischen liegen die Zeiten des großen Wandels: das sog. dunkle Zeitalter, das wir wegen des völligen Fehlens schriftlicher Quellen hier nicht behandeln können, und die archaische Zeit, die ihr besonderes Gesicht eben durch ihren dynamischen Charakter erhält, als eine Zeit der »Ständekämpfe«, der unaufhörlichen schnellen und z.T. gewaltsamen Umbildung der gesellschaftlichen Ordnung. Es wäre ganz unmöglich, die griechische Gesellschaftsordnung ohne Rücksicht auf Raum und Zeit zu beschreiben; aber die Gesellschaftsordnung, manchmal auch die verschiedenen nebeneinander stehenden Ordnungen, einer jeden unserer fünf (bzw. nach Abzug der hellenistischen Zeit vier) Perioden lassen sich sehr wohl beschreiben, wobei wir natürlich auch versuchen müssen, die Entwicklung von einer Stufe zur nächsten zu erfassen und zu verstehen. Ehe wir aber mit der Darstellung im einzelnen beginnen, wird es gut sein, uns noch einige Gedanken darüber zu machen, auf welche Art von Fakten wir unser Augenmerk richten müssen, wenn wir Sozialgeschichte treiben2. Schon aus den Wörtern »Gesellschaft« und »sozial« ergibt sich, daß wir es mit den Formen menschlichen Zusammenlebens, menschlichen Zusammenhalts zu tun haben. Die sind nun ohne Ordnung (im weiteren Sinn des Wortes) nicht möglich, ja man kann die jeweils in einem bestimmten räumlichen und zeitlichen Bereich (wenn man will, in einer »Gesellschaft«) üblichen Formen menschlichen Zusammenlebens geradezu als eine Ordnung, ein System erfassen und beschreiben: man spricht dann etwa (wie wir jetzt schon öfters) von der »Gesellschaftsordnung«, vom »Aufbau der Gesellschaft«, vom »sozialen System« oder von der »Sozialstruktur«. Das heißt natürlich nicht, daß die jeweils gel2 Die folgenden Ausführungen sind nicht als ein Beitrag zur Theorie der Sozialgeschichte oder gar der Gesellschaft selbst gedacht; dazu fehlen mir alle Voraussetzungen. Aber sie sollen deutlich machen (und zugleich begründen), was die vorliegende Darstellung unter Gesellschaftsgeschichte versteht, wo sie sich ihre Aufgaben setzt und ihre Grenzen zieht, und nicht zuletzt auch, in welchem Sinn sie einige allgemeine Termini gebraucht. 12 einleitung tende Gesellschaftsordnung etwas ein für allemal Feststehendes, Unveränderliches wäre: im Gegenteil, die Erfahrung – schon die des Einzellebens, erst recht die geschichtliche Erfahrung – zeigt, daß die sozialen Systeme überall und jederzeit (mehr oder weniger schnellen, mehr oder weniger tiefgreifenden) Wandlungen unterworfen sind. Dabei bilden den Regelfall wohl die evolutionären Veränderungen, die ruhige, fast unmerkliche Weiterbildung; aber auch stürmische, mehr oder weniger gewaltsame Umwälzungen, soziale Revolutionen, sind keineswegs selten. Daß wir als Historiker nicht nur die jeweils bestehende Ordnung (im Querschnitt) analysieren, sondern auch die Entwicklungen und Umwälzungen (im Längsschnitt) studieren müssen, versteht sich von selbst. Also die einer bestimmten Ordnung unterworfenen, einem bestimmten System eingefügten Formen menschlichen Zusammenlebens sind es, was wir behandeln müssen. Das ist immer noch sehr abstrakt definiert, und es umfaßt viel mehr, als nach der allgemeinen und wohlbegründeten Praxis in den Bereich der Sozialgeschichte gehört. Um diesen Bereich näher einzugrenzen, müssen wir subtrahieren. Es gibt Ordnungen spezieller Bereiche, die zwar gleichfalls das menschliche Zusammenleben betreffen, die aber hier nicht gemeint sind, schon deshalb nicht, weil sie den Gegenstand anderer Spezialdisziplinen bilden: das System der Wirtschaft, die Rechtsordnung, die politische Ordnung (die Verfassung). Es kommt uns hier nicht darauf an, wie Produktion und Güteraustausch, Rechtsstreit und Gesetzgebung, Regierung, Kriegswesen, Staatsfinanzen usw. geordnet sind. Natürlich gibt es zahlreiche Überschneidungen zwischen diesen Bereichen und dem unseren. Bestimmte Erscheinungen des Wirtschaftslebens, bestimmte Rechtssätze, bestimmte Formen der Machtausübung usw. sind vielfach bezeichnend, ja nicht selten grundlegend für die gesellschaftliche Ordnung; aber diese selbst ist nicht einfach ein Teil der Wirtschaftsordnung, der Rechtsordnung, der politischen Ordnung, auch nicht etwa die Summe dieser drei (das wäre ein völlig unüberschaubares Monstrum, aus ganz heterogenen Teilen zusammengesetzt und bei aller Verzahnung und Interdependenz dieser Teilbereiche kaum noch als ein geordnetes und geschlossenes Ganzes zu erfassen), sondern eine Ordnung eigener Art, die sich übrigens nicht nur mit Staat, Recht und Wirtschaft, sondern auch mit anderen Bereichen menschlichen Lebens, etwa mit der Religion oder dem Bildungswesen vielfach berührt. Dabei kann in allen diesen Fällen nicht von einer einseitigen Abhängigkeit, sondern nur von einer Wechselwirkung die Rede sein, die aber das Eigenleben, die Eigengesetzlichkeit der einzelnen Bereiche nicht aufhebt. – Nach dieser Klärung bleibt aber die Frage nach dem eigentlichen Inhalt der Gesellschaftsordnung immer noch offen. Die staatlichen Einrichtungen, das Recht, die Wirtschaft sind es nicht, das wissen wir jetzt; daß auch Religion, Kunst und Literatur, Wissenschaft und Bildungswesen primär nicht Teil- oder Randerscheinungen der Gesellschaftsordnung, sondern eigene, selbständige Bereiche sind, ist wohl einleitung 13 ohne weiteres klar. Aber was bleibt, nach Abzug all dieser und vielleicht noch weiterer Bereiche, für die Gesellschaftsordnung, also für die Sozialgeschichte, übrig? Und gehört das, was da übrig bleibt, wirklich zusammen, hat es etwas wie eine innere Einheit aufzuweisen? Es bleibt genug, und auch die innere Einheit läßt sich aufspüren. Nehmen wir z.B. die Familie! Mit der politischen Ordnung hat sie im Normalfall nichts zu tun. Wirtschaft und Familie hängen schon enger zusammen; aber es leuchtet ohne weiteres ein, daß die Familie sehr einseitig erfaßt wäre, wollten wir sie nur unter wirtschaftlichen Aspekten erfassen. Der Rechtshistoriker hat zur Geschichte der Familie schon wesentlich mehr zu sagen: Familien- und Erbrecht sind bekanntlich zwei große und wichtige Bereiche der Rechtsordnung. Aber jeder von uns braucht nur an seine eigenen Familienverhältnisse zu denken, um sich darüber klarzuwerden, wie wenig von dem, was die Familie ausmacht – auch von den geschichtlich variablen Elementen, die den Historiker vor allem interessieren – juristisch faßbar ist, also gegebenenfalls Gegenstand rechtsgeschichtlicher Betrachtung sein könnte. Nein, die Geschichte der Familie ist zunächst einmal Gegenstand der Sozialgeschichte, wobei sich der Sozialhistoriker, sobald er es mit den wirtschafts- oder rechtsgeschichtlichen Aspekten der Familie zu tun bekommt, eben bei diesen Nachbarfächern umsehen muß (und umgekehrt); und nur er wird der Familie in ihrem Wesen wirklich gerecht werden, denn nur ihm geht es in erster Linie um die Frage, wie Menschen als Menschen zueinander finden und miteinander leben, nicht allein, aber doch vor allem auch im Alltag, und nur im Zusammenhang seiner Wissenschaft nimmt die Familie als die kleinste, elementare Gemeinschaft, auf die sich alle umfassenderen Gemeinschaftsbildungen stützen müssen, eine zentrale Stellung ein. – Genau dasselbe gilt, wie ich hier nicht auszuführen brauche, von anderen primär unpolitischen Formen menschlichen Zusammenlebens: etwa von den Vereinen, von den verschiedensten Formen fröhlicher oder auch feierlicher Geselligkeit, von Festen und Spielen (wobei hier allerdings die Zusammenhänge mit Religion und Kultus besondere Aufmerksamkeit verdienen), von Freundschaft und Liebe (auch wo sie außerhalb der Familie stehen). Gehen wir einen kleinen Schritt weiter: Voraussetzung menschlichen Zusammenlebens ist zunächst, daß die Menschen nahe beieinander wohnen oder doch in der Lage sind, einander aufzusuchen: offenbar gehört, wenn das Zusammenkommen und Zusammenleben der Menschen zunächst einmal das Interesse des Sozialhistorikers in Anspruch nimmt, zu seinem Fach auch die Geschichte der Siedlung und des Verkehrs, die übrigens beide für die allgemeine Geschichte von größter Bedeutung sind. Eine weitere wichtige Voraussetzung menschlichen Zusammenlebens ist die Sprachgemeinschaft: die Sozialgeschichte muß sich daher auch mit Erscheinungen wie (beispielshalber) dem Aufstieg des Griechischen zur Verkehrs- und Kultursprache im Vorderen Orient oder der Romanisierung 18 einleitung schichte, schon durch die Quellenlage benachteiligt, weit zurückgeblieben (das kommt also verstärkend zu meiner persönlichen Einseitigkeit hinzu); die Ideengeschichte ist wie in den Quellen, so auch in der modernen Forschung gut repräsentiert, gehört aber in der Hauptsache zum Arbeitsbereich der Klassischen Philologie, nicht zu dem meines eigenen Faches, und ist wohl auch darum von mir gewiß nicht im angemessenen Umfang berücksichtigt worden. Unter diesen Umständen fürchte ich, daß eine gewisse Schlagseite zur Verfassungsgeschichte hin in dem vorliegenden Versuch nicht zu verkennen sein wird; das gehört zu dessen vielen Unvollkommenheiten, die ich nicht vermeiden konnte und für die ich nur um das nachsichtige Verständnis der Leser bitten kann. Nur ganz nebenbei kann ich zu meiner Entlastung anführen, daß die bei mir so vernachlässigte Wirtschaftsgeschichte in dieser Reihe durch einen eigenen Band vertreten ist, und daß immerhin die Griechen selbst ihre Gesellschaftsordnung als eine ständische, mit der politischen Ordnung untrennbar verbundene ansahen; schließlich noch dies, daß mir eine zu weitgehende Anlehnung der Gesellschaftsgeschichte an die Geschichte der sozialen Ideen nicht unbedenklich schiene angesichts der Tatsache, daß jedenfalls in der Verfassungsgeschichte die traditionelle Anlehnung an die politische Theorie der Griechen, namentlich an Aristoteles, der Erfassung der geschichtlichen Wirklichkeit eher geschadet hat. Eine gewisse Unausgewogenheit meiner Darstellung möchte ich auch in einem anderen Punkt nicht leugnen. In der Anführung bezeichnender Einzelheiten bin ich eher großzügig gewesen; der kritische Leser und namentlich der Student, der aus dem Buch schnell einen Überblick gewinnen oder die Haupttatsachen – und eben nur diese – sich einprägen möchte, wird mir den Vorwurf kaum ersparen, ich hielte mich zu lange bei speziellen, oft nebensächlichen Fakten auf und ließe darüber die großen Linien zuwenig hervortreten. Aber eine gewisse Ausbreitung von Einzelheiten, auf deren Kenntnis ja unser Gesamtbild stets beruht, gehört zu den Erfordernissen einer ehrlichen und, um ein Modewort zu gebrauchen, »transparenten« Darstellung, die dem Leser die Bildung eines eigenen Urteils nicht zu schwer machen will; das gilt ganz besonders für die ältere, in den Quellen nur dürftig und einseitig belegte Zeit, für die sich einzelne Fakten (meist sehr ungleichmäßig verteilt) sicher ermitteln, allgemeinere Feststellungen nur mit allen Vorbehalten treffen lassen. Auch kann nur die großzügige Veranschaulichung durch konkrete Beispiele einigermaßen sicherstellen, daß die allgemeinen und als solche notwendig abstrakten Sätze vom Leser richtig verstanden werden und sich vor seinen Augen ein Bild der geschichtlichen Wirklichkeit entfaltet, nicht leere Namen und Formeln sein Gedächtnis belasten. Eine Orientierung über die Quellenlage steht jeweils am Beginn der großen Abschnitte. Schon an dieser Stelle aber muß ich gestehen, daß ich nicht alle Quellengattungen im selben Maße beherrsche. Die Geschichtsschreiber und die einleitung 19 Inschriften (sowie die Linear-B-Täfelchen, die für die älteste Zeit an deren Stelle stehen) sind mir am besten bekannt. Dagegen kenne ich die Dichter (die als sozialgeschichtliche Quellen von großer Bedeutung sind) und die Redner (unsere Hauptquelle für das Athen des 4. Jhs.) sehr ungleichmäßig, die Philosophen noch schlechter. Vor allem aber kenne ich das archäologische Material so gut wie gar nicht, auf jeden Fall bin ich nicht imstande, es für die Sozialgeschichte zum Sprechen zu bringen (was an sich ziemlich schwierig sein dürfte). Auch aus diesem Grund kann diese Darstellung der griechischen Sozialgeschichte nur ein erster, in vieler Hinsicht einseitiger Versuch sein. Alle meine Aufstellungen und Beispiele durch die wesentlichen Quellen- und Literaturhinweise zu belegen, wäre in dem vorgegebenen Rahmen offenbar unmöglich, auch in der verfügbaren Zeit kaum zu schaffen gewesen. Direkte Zitate mußten natürlich belegt werden, ebenso Angaben, die auch der Fachmann überraschend finden mag und die auch er nicht leicht verifizieren könnte, wenn ihm kein Beleg geboten würde. Die Grenzen sind da fließend, und im Zweifelsfall habe ich lieber einen Beleg mehr als einen weniger geboten. Doch habe ich mich mit Literaturangaben in den Anmerkungen sehr zurückgehalten; sie wird man zunächst einmal in der beigelegten, detaillierten und gegliederten Bibliographie suchen müssen. I. DIE MYKENISCHE ZEIT E I N L E I T U NG G riechenland hat sich aus dem Dunkel der Vorgeschichte unter dem Einfluß Ägyptens und der vorderasiatischen Hochkulturen erhoben. Daher begegnet uns höhere Kultur zuerst auf Kreta. Seit dem späten 3. Jahrtausend finden wir hier die (nach dem Sagenkönig Minos in neuerer Zeit so benannte) minoische Kultur. Ihre Schriftzeugnisse (in »piktographischer« Schrift und dann im »Linear A«) verstehen wir nicht. Doch zeigen die vielen vorgriechischen Ortsnamen, die auf Kreta noch viel später belegt sind, daß die Träger dieser Hochkultur nicht Griechisch sprachen, und dasselbe ist wohl auch den Texten in Linear A zu entnehmen: wären sie griechisch, dann müßten wir sie verstehen (die meisten Lautwerte sind uns bekannt). Auf dem griechischen Festland finden wir eine – von Kreta her stark beeinflußte – Hochkultur zuerst vom 16. bis ins 12. Jh. v. Chr.: es ist die mykenische Kultur, so genannt nach einem ihrer Hauptsitze, Mykene in der Argolis. Sie hat ihrerseits auf dem Wege der Eroberung und der Kolonisation alsbald nach Kreta, weiter auch nach Rhodos, Zypern und auf die kleinasiatische Küste übergegriffen. In den Jahrzehnten um 1200 wurde sie durch große Wanderbewegungen, von denen uns auch orientalische Quellen Zeugnis geben – im Anschluß an ägyptische Berichte sprechen wir von den Zügen der »Seevölker« – aufs schwerste erschüttert. Es folgt im griechischen Bereich eine dunkle und arme Zeit, und erst etwa seit dem 8. Jh. (der sog. homerischen Zeit) beginnt ein neuer, steiler Aufstieg, der uns später beschäftigen wird. Die dunkle Zwischenzeit ist auch (für uns wenigstens) schriftlos; die vorausgehende mykenische Zeit dagegen ist nicht nur durch reiche archäologische Funde, sondern in ihrem letzten Abschnitt auch durch Schriftdenkmäler aufgehellt: es sind die in meh- einleitung 21 reren Palästen, vor allem im messenischen Pylos und im kretischen Knossos, gefundenen Tontäfelchen in Linear B. Diese Schrift ist dem minoischen Linear A nahe verwandt, im ganzen eine Silbenschrift, die jedoch beim Zählen nicht nur – wie wohl alle Schriften – besondere Zeichen für die Zahlen und für die Maße und Gewichte verwendet, sondern auch noch andere sog. Ideogramme, Zeichen für ganze Wörter bzw. Begriffe (die dann vielfach doppelt geschrieben werden, zuerst – im Text – syllabisch, dann – in Verbindung mit den Zahlzeichen – ideographisch). Diese Schrift ist 1952/53 von Michael Ventris entziffert und zugleich die Sprache dieser Texte als ein altertümlicher Dialekt des Griechischen erkannt worden. An der Richtigkeit dieser Entzifferung zweifelt heute von den dafür zuständigen Gelehrten niemand mehr; die Lesung und Deutung dieser Texte ist dennoch sehr schwierig, weil sie (1) in einer recht unvollkommenen, vor allem aber der Struktur des Griechischen schlecht angepaßten Orthographie (die viele Zeichenfolgen mehrdeutig läßt) geschrieben und (2) flüchtige, für den internen Gebrauch der Palastverwaltung bestimmte Notizen sind, die dem Nichteingeweihten nur schwer verständlich sein können. Daher beschäftigt sich mit der Deutung und Auswertung dieser Texte nur ein kleiner Kreis von Spezialisten, und die Ergebnisse dieser Forschungen sind zwar in vielen Details gesichert, aber in vielen anderen, auch wichtigen Punkten umstritten, während wieder anderes, was wir gerne wüßten, aus Mangel an Quellenaussagen völlig im Dunkeln liegt. Um so schwieriger ist es, diesem Material die Aussagen abzuringen, die der Historiker braucht, der die griechische Geschichte im großen überblicken möchte; es muß hier dennoch versucht werden, weil wir die griechische Geschichte heute nicht mehr bei Homer, im 8. Jh., beginnen und das würde heißen: um ein halbes Jahrtausend verkürzen können. Daß dabei die (schwankenden) Grundlagen und die (engen) Grenzen unseres Wissens schärfer zum Ausdruck kommen müssen als in anderen Abschnitten dieser Sozialgeschichte, versteht sich wohl von selbst; ebenso, daß wir dem allgemeinen geschichtlichen und kulturgeschichtlichen Rahmen hier etwas mehr Aufmerksamkeit widmen müssen als sonst. Die uns erhaltenen Linear-B-Texte sind, von wenigen Gefäßaufschriften abgesehen, auf Tontafeln geschrieben, die zunächst nur an der Luft getrocknet wurden und daher nur kurze Zeit haltbar waren; erst der Brand der Paläste, in denen sie aufbewahrt wurden, hat sie für Jahrtausende konserviert. Der in der Fachliteratur gebräuchliche Ausdruck »Tontafelarchive« ist irreführend; denn die Texte, die wir noch lesen, waren gerade nicht archiviert, d.h. zu gelegentlichem Gebrauch in näherer oder fernerer Zukunft zurückgelegt, und dafür wegen des vergänglichen Materials auch ganz ungeeignet; sie waren vielmehr für den unmittelbaren Gebrauch der Palastbürokratie bestimmt, also nicht unseren Archivbeständen, sondern dem noch nicht archivierten Aktenmaterial vergleichbar. Vermutlich hatte man neben dem billigen, vergänglichen Ton an- 22 die mykenische zeit dere Schreibstoffe (Holz, Papyrus, Leder?), auf denen man das festhielt, was Dauer haben sollte. Das alles ist in der Katastrophe zugrunde gegangen und hätte die Zeiten auch sonst nicht überdauert, die Tontafeln aber sind durch den Brand für die Nachwelt gerettet worden. Die Texte selbst lassen es unschwer erkennen, daß sie alle jeweils innerhalb eines beschränkten Zeitraums, d.h. offenbar kurz vor dem Brand geschrieben worden sind: wir können immer wieder dieselben Schreiber an der Handschrift identifizieren und ihre Ressorts noch voneinander abgrenzen; überall begegnen dieselben Personennamen, vielfach in denselben Zusammenhängen und in bezeichnenden Kombinationen, was den Schluß zuläßt, daß es sich um dieselben Personen handelt; auch haben wir in vielen Fällen mehrere auf dieselben Verwaltungsakte bezügliche Aufzeichnungen nebeneinander; schließlich sind Monatsdaten nicht selten, Jahresdaten bisher nicht belegt, vielmehr lassen Ausdrücke wie »heuer« oder »im vorigen Jahr« vermuten, daß dieses gesamte Aktenmaterial einem einzigen Jahr entstammt und auch nur zum Gebrauch während dieses einen Jahres bestimmt war. – Der Leser ahnt nun wohl schon, daß diese nur für den Tag und für den internen Amtsgebrauch bestimmten Aufzeichnungen historisch recht unergiebig sind. Es handelt sich etwa um Inventare von Einrichtungs- und Wertgegenständen, um Aufstellungen über Waffen und Geräte aller Art, um katasterähnliche Verzeichnisse von Grundstücken; vor allem aber werden die Ein- und Ausgänge an Naturalien und »Geld« (Metallvorräten) fleißig registriert, und wir haben namentlich Listen von Palastbediensteten mit Angabe der ihnen zustehenden oder tatsächlich zugeteilten Lebensmittelrationen. Von Ereignissen können Texte dieser Art nicht berichten, ja es ist keineswegs sicher, ob auch nur der Notstand, der der Katastrophe der Paläste vermutlich vorausgegangen ist, in diesen Verwaltungstexten seinen Niederschlag gefunden hat. Aber über die Verhältnisse der mykenischen Staaten, ihre Ausdehnung und ihre Institutionen in der Zeit unmittelbar vor der Katastrophe (d.h. wohl überall in den Jahrzehnten um 1200 v. Chr.1) läßt sich den Texten doch einiges entnehmen. Der Staat, der vom Palast von Knossos aus regiert wurde, umfaßte nach Ausweis der Texte wohl die ganze Insel, allenfalls ohne den äußersten Osten; dagegen gibt es keinen Hinweis darauf, daß er irgendwo über Kreta hinausgegriffen hätte. – Für den Staat von Mykene bietet das kleine auf uns gekommene »Archiv« keine geographischen Angaben. Der archäologische Befund läßt freilich keinen Zweifel daran, daß hier mächtige Könige saßen. Die ganze Peloponnes umfaßte ihr Reich aber jedenfalls nicht; schon die Existenz des 1 Zur umstrittenen Datierung des »Archivs« von Knossos siehe zuletzt E. Hallager, The History of the Palace at Knossos in the Late Minoan Period, Studi micenei ed egeoanatolici 19 (1978), 17 ff. einleitung 23 Reiches von Pylos schließt das aus. Daß die Könige von Mykene als Oberherren über ganz Griechenland geboten hätten, ist eine Vermutung, die sich nur auf die – viel spätere – griechische Sage und Dichtung stützt; das ist eine ganz ungenügende Grundlage. (Das Reich Ahhijawā der hethitischen Texte, das u.a. auf kleinasiatischem Boden Fuß gefaßt hat, wird irgendein Griechenstaat sein, denn sein Name ist wohl mit dem der Achäer ('Acaioiv) identisch oder von ihm abgeleitet, aber wir wissen nicht welcher; ein gesamtgriechischer Staat braucht es keineswegs gewesen zu sein.) – Die wenigen aus dem boiotischen Theben bisher bekanntgewordenen Texte enthalten nur zwei sichere (auswärtige) Ortsangaben, beide im Zusammenhang mit Lieferungen von Wolle aus dem Palast: a-ma-ru-to /Amarunthos/ ist der Name des berühmten Artemisheiligtums von Amarynthos im Gebiet von Eretria auf Euboia; a3-ki-a2-ri-ja /Aigihaliā/ bedeutet soviel wie »Stadt (oder Land) an der Meeresküste«. Falls diese Wollieferungen nicht etwa ins Ausland gingen, reichte also das Herrschaftsgebiet von Theben wenigstens an eines der beiden Boiotien begrenzenden Meere, ja über das Meer nach Euboia hinüber. Am besten kennen wir die Geographie des Reiches von Pylos. Es zerfiel in zwei große Provinzen, die de-we-ro-a3-ko-ra-i-ja und die pe-ra3-ko-ra-i-ja, zu lesen wohl /Deiwelo-aigolāhiā/ und /Per(ā)-aigolāhiā/, d.h. das Gebiet »westlich« und »jenseits« des »Ziegenfelsens« (eines Gebirges oder Vorgebirges, vielleicht auch einer Felseninsel), natürlich von der Hauptstadt Pylos aus gesehen2. Jede dieser Provinzen war ihrerseits in (9 bzw. 7) nach ihren Hauptorten benannte Bezirke eingeteilt, die wir namentlich und auch in ihrer amtlichen (wohl geographischen) Folge kennen. Dennoch sind wir nicht in der Lage, diese Bezirke mit Bestimmtheit zu lokalisieren3. So kann man nur annäherungsweise und mit einigen Vorbehalten sagen, daß die diesseitige der beiden Provinzen etwa von einem Punkt nördlich der Alpheiosmündung die Westküste entlang bis an die Südspitze Messeniens reichte, die andere jedenfalls östlich davon etwa im östlichen Messenien (und im westlichen Arkadien?) lag. So unbestimmt nun auch unsere Vorstellungen von der Ausdehnung der mykenischen Herrschaftsgebiete sein mögen, so viel ist doch deutlich, daß sie erheblich größer waren als die meisten der späteren griechischen Staaten, wie sie uns seit der archaischen Zeit bekannt sind; man vergleiche insbesondere das eine ganz Kreta umfassende Reich mit den zahllosen freien Städten, die seit der homerischen Zeit auf der Insel belegt sind. 2 Der Name des grenzscheidenden Gebirges hat sich vielleicht in dem bei Strabon VIII 4, 1, p. 359 belegten Namen des Gebirges im Hinterland von Pylos, A„galšon Ôroj, erhalten. 3 Das liegt vor allem daran, daß uns die historische Geographie der westlichen Peloponnes auch noch in klassischer Zeit schlecht bekannt ist, sowie an dem Umstand, daß wir immer damit rechnen müssen, daß verschiedene Ortschaften denselben Namen tragen. 24 die mykenische zeit SPR AC H L IC H E , K U LT U R ELL E U N D W I RTSC H A F T L IC H E V ER H Ä LT N ISSE Wenn wir uns nun den inneren Verhältnissen dieser Staaten zuwenden, so beginnen wir am besten mit der Frage nach Sprache und Volkstum, die sich einigermaßen klar beantworten läßt. Die Sprache der Linear-B-Texte, das sog. Mykenische, ist, wie schon gesagt, ein griechischer Dialekt, und zwar im großen und ganzen derselbe in den Texten aller Fundorte, wobei sich einzelne Schreiber auch abweichender Sprachformen bedienen (die wohl aus ihrem Heimatdialekt stammen). Dieser Sachverhalt ist am ehesten so zu erklären, daß sich zusammen mit der Kunst des Schreibens und der bürokratischen Verwaltung auch die Sprache dieser Verwaltung überallhin verbreitet hat. Wir brauchen also nicht anzunehmen, daß wirklich derselbe Dialekt im Bereich aller Fundorte gesprochen wurde (und nur einzelne Schreiber aus anderen Mundartgebieten stammten), vielmehr müssen wir mit der Existenz einer mykenischen Gemeinsprache, einer Koine, für die Zwecke der Verwaltung rechnen. Immerhin ist es schwerlich Zufall, daß dieser Dialekt, oder diese Gemeinsprache, dem der vordorischen Bewohner der Peloponnes, erhalten später nur in Arkadien und auf dem fernen Zypern – also dem sog. Arkadisch-Kyprischen – sehr nahe steht. Es ist also ziemlich wahrscheinlich, daß diese Schreibersprache, wenn es sich um eine solche handelt, ihren Ursprung irgendwo auf der Peloponnes, z.B. in Mykene oder Pylos, genommen hat. Die Dorier, deren Dialekte den sog. nordwestgriechischen Dialekten nahe verwandt sind, sind offenbar – wie man auch immer schon angenommen hatte – erst in nachmykenischer Zeit in den Süden Griechenlands vorgestoßen4. Es war also, allgemeiner gesehen, bis in mykenische Zeit nur ein Teil der griechischen Stämme schon in ihre späteren Sitze eingewandert; andere saßen noch weiter im Norden. Wie lange waren diese Griechen schon im Land? Nach Kreta sind sie wohl erst im Laufe der mykenischen (bzw. spätminoischen) Zeit als Eroberer gekommen; darauf weist zunächst der Gebrauch der Linear-ASchrift bis eben in spätminoische Zeit, aber auch die Tatsache, daß die Ortsnamen Kretas in den mykenischen Texten, aber auch noch bis in klassische Zeit weit überwiegend nichtgriechisch sind; im äußersten Osten der Insel haben sich die von den Griechen so genannten Eteokreter (wtl. die »eigentlichen Kreter«) als Sprecher einer vorgriechischen Sprache bis in hellenistische Zeit gehalten. Mehr als eine Oberschicht brauchen die griechischen Eroberer im mykenischen 4 Ob diese »Dorische Wanderung« mit jener großen Bewegung der »Seevölker« zusammenfiel, die der Blüte der mykenischen Kultur um 1200 ein Ende bereitet hat, ist sehr zweifelhaft. s p r a c h l i c h e , k u lt u r e l l e u n d w i r t s c h a f t l i c h e v e r h ä lt n i s s e 25 Kreta nicht gewesen zu sein. – Auf der Peloponnes waren die Griechen weit fester eingewurzelt. Das zeigen am besten die Pylos-Täfelchen mit ihren zahlreichen griechischen Ortsnamen (neben denen sich freilich, wie kaum anders zu erwarten, auch viele nichtgriechische finden), auch die zahllosen gut griechischen Personennamen in allen Schichten der Bevölkerung. Wie viele nichtgriechische Personennamen es daneben noch gibt, ist schwer zu sagen, weil angesichts der Unzulänglichkeit der mykenischen Orthographie ein Name, den wir nicht deuten können, deshalb noch lange nicht ungriechisch sein muß; im übrigen können die Träger nichtgriechischer Namen sehr wohl Griechen, ihre fremden Namen von nichtgriechischen Vorfahren ererbt oder von nichtgriechischen Nachbarn entlehnt sein. In den Pylostexten spricht also wenigstens nichts dagegen, daß die Peloponnes schon damals ein rein griechisches Land war; an dem vorwiegend griechischen Charakter der Halbinsel kann jedenfalls kein Zweifel sein, und das setzt immerhin voraus, daß die Griechen hier schon seit längerer Zeit saßen (denn an eine rezente Einwanderung großer geschlossener Volksmassen ist nach dem archäologischen Befund nicht zu denken). Über diese dehnbare Formulierung hinaus ist die Frage, wann sie ins Land gekommen sind, mit den Mitteln des Historikers nicht zu entscheiden. Echt griechisch ist auch die Religion der mykenischen Zeit. In den Texten begegnen Zeus, Hera, Poseidon (als Hauptgott in Pylos wie bei Homer), Artemis, Hermes, Dionysos, wohl auch Ares. a-ta-na po-ti-ni-ja ist am ehesten /Athānās potnia/ »die Herrin von Athen« zu lesen, der Sache nach ist das Athene. Die Geburtsgöttin Eleithyia ist als e-re-u-ti-ja /Eleuthiā/ (in einer auch später belegten Namensform) durch die Knossostexte in eben dem Amnisos bezeugt, wo sie auch später, seit Homer, ihre heilige Grotte hat. Die Kontinuität von der mykenischen zur homerischen und klassischen Zeit ist also wenigstens auf diesem Gebiet in hohem Maße gegeben, dabei freilich nicht zu vergessen, daß die nunmehr seit mykenischer Zeit sicher bezeugte »griechische« Religion viel vorgriechisches Erbe in sich aufgenommen hat. Auf die Kontinuitätsfrage im allgemeinen kommen wir am Ende dieses Abschnittes noch zurück. Auf ziemlich festem Boden stehen wir auch im Bereich der Wirtschaft. (Wir umkreisen zunächst das Gebiet, auf das es uns in der Sozialgeschichte vor allem ankommen muß.) Vieles über die wirtschaftlichen Verhältnisse läßt sich schon aus den Bodenfunden ablesen, und die Texte enthalten ihrerseits viele wirtschaftsgeschichtlich bedeutsame Angaben, wie sie ja in der Hauptsache wirtschaftlichen Zwecken dienen. Wir wundern uns nicht, daß die mykenische Wirtschaft noch wesentlich agrarisch bestimmt war, Boden und Viehbestand den Reichtum des Landes im wesentlichen ausmachten. Der Anbau von Weizen und Gerste, von Wein, Oliven und Feigen, sowie zahlreicher Gewürzpflanzen ist gut bezeugt, ebenso die Haltung von Schafen, Ziegen und Schweinen in großer, von Rindern, Pferden und Eseln in geringerer Zahl; die Bienenzucht 26 die mykenische zeit fehlt nicht und ebensowenig die Jagd. – Auf der andern Seite zeugen die Bodenfunde, die Inventare und die anderen Wirtschaftstexte (in denen zahlreiche Berufe genannt sind) von einem entwickelten und hochspezialisierten Gewerbe insbesondere auch auf dem Gebiet des Kunsthandwerks. Nicht ganz so deutlich wird uns der Handel; doch sind lebhafte Beziehungen zu Ägypten, Syrien und Kleinasien, aber auch zu Sizilien und Süditalien archäologisch gut faßbar. – Die Naturalwirtschaft dominiert: die vielen Bediensteten des Palastes erhalten, soweit sie nicht mit Land versorgt werden, Lebensmittelrationen, nicht etwa Gehälter in Geld (Metallen); auch die Steuern werden in Naturalien entrichtet. Daneben spielt freilich ungemünztes Metall (Edelmetalle und Bronze) als Zahlungsmittel und vor allem bei der Anhäufung von Schätzen eine ähnlich große Rolle wie im Alten Orient und später bei Homer. An einem ausgedehnten und intensiven Seeverkehr ist nicht zu zweifeln, doch war auch der Verkehr zu Lande nicht schlecht entwickelt, eher besser als in der klassischen Zeit. In dem gebirgigen Griechenland waren nämlich für die Streitwagen, die Hauptwaffe im Krieg, Kunststraßen nicht zu entbehren. In der Tat ist ein von Mykene ausgehendes Netz von Kunststraßen seit langem bekannt; neuerdings hat man auch in der Umgebung von Pylos, bis hin an den Messenischen Golf, alte Straßenzüge beobachtet, die in mykenische Zeit zurückreichen mögen. Auch auf Kreta sind Kunststraßen der minoischen und mykenischen Zeit nachweisbar. STA AT U N D GE SELL SC H A F T Jetzt kommen wir endlich auf das schwierigste und (gerade auch für uns hier) wichtigste Gebiet zu sprechen, Staat und Gesellschaft. Vom äußeren Umfang der Staaten haben wir schon gesprochen, ebenso davon, daß das Reich von Pylos in zwei große Provinzen zerfiel und diese wieder in 9 bzw. 7 Bezirke. Jeder Bezirk stand unter einem Statthalter, ko-re-te (ein Nomen agentis auf /-tēr/ von einem nicht sicher bestimmbaren Verbum), dem ein Stellvertreter (po-ro-ko-re-te /pro-k./) zur Seite stand; übrigens findet sich der ko-re-te als Bezirksvorsteher auch in den Knossos-Texten. Daneben begegnen, vor allem in Pylos, nicht wenige andere Beamtentitel, von denen uns die meisten sprachlich und sachlich unklar sind; eine erfreuliche Ausnahme macht der ra-wa-ke-ta /lāw-āgetās/, der »Führer des Aufgebots«. An der Spitze des Staates steht ein König; die Texte nennen ihn wa-na-ka /wanaks/, mit einem Wort, das als veraltende Bezeichnung des Königs noch bei Homer begegnet5. 5 Auch das spätere griechische Wort für »König«, basileÚj, findet sich schon in den mykenischen Texten, und zwar in der Form qa-si-re-u / gwasileus /. Aber »König« bedeutet es in s ta at u n d g e s e l l s c h a f t 27 Daß er eine überragende Stellung einnimmt, ist weniger den Texten als den Funden zu entnehmen: die riesigen, reich ausgestatteten Paläste sprechen eine deutliche Sprache; die Texte ergänzen das, wenn sie uns Palastbedienstete in großer Zahl, ein entwickeltes Abgabenwesen und vor allem die bürokratische Verwaltung vor Augen führen, der sie selbst ihren Ursprung verdanken. Daneben finden sich aber Spuren einer körperschaftlichen Selbstverwaltung. Der da-mo /dāmos/, die »Gemeinde« (wohl jedes einzelnen Dorfes) hat einen großen Teil des Landes zu eigen (wir kommen darauf bald zurück). Bedeutsam ist ferner, daß der homerische Ausdruck für das Amtsgut des Königs und anderer Großer, Temenos, schon in mykenischer Zeit belegt ist. Der Pylostext Er 312 verzeichnet – ohne Zweifel nur für eine der Gemeinden des Reiches – je ein te-me-no /temenos/ des Königs und des Heerführers (/lāwāgetās/), jenes 30, dieses 10 Flächeneinheiten groß: das Amtsgut des Heerführers ist also, wie wir das gar nicht anders erwarten, wesentlich kleiner als das des Königs, aber wichtiger ist vielleicht doch, daß grundsätzlich der Heerführer und der König auf einer Ebene stehen, der eine hat ein Temenos so gut wie der andere. Auch bei Homer kommt, wie schon gesagt, ein Temenos nicht nur dem König, sondern auch anderen Großen zu, und dabei wird gelegentlich ausdrücklich gesagt, daß das Temenos von der Gemeinde, dem Demos, verliehen wird. Und dies ist nun der in unserem Zusammenhang entscheidende Punkt: da das homerische Temenos in anderer Hinsicht mit dem mykenischen Temenos völlig übereinstimmt, wird man dieselbe Übereinstimmung bis zum Beweis des Gegenteils auch für diesen letzten Punkt vorauszusetzen haben und annehmen müssen, daß auch in mykenischer Zeit das Temenos (wenigstens in der Theorie) dem König wie dem Heerführer nicht aus eigenem Recht zukam, sondern von der Gemeinde, dem Damos, zugewiesen worden war; diese Annahme fällt uns um so leichter, weil ja, wie wir schon angedeutet haben und später noch näher auszuführen sein wird, der Damos auch sonst viel Land in dieser Zeit noch nicht, Träger dieses Titels gibt es in größerer Zahl in einem Staat, und dem Range nach stehen sie nicht allzu hoch (anscheinend etwa auf der Stufe eines po-ro-ko-re-te, eines stellvertretenden Bezirksstatthalters); ihre Funktion ist uns dunkel. Auch die Etymologie und damit die Grundbedeutung des Wortes kennen wir nicht; doch mag man für die mykenische Zeit an eine Bedeutung wie »Vorsteher« denken; von da her konnte das Wort in nachmykenischer Zeit zur Bezeichnung des Oberhauptes der viel kleineren Staaten werden, die sich damals aus den Trümmern der mykenischen Reiche bildeten. Daneben ist übrigens basileÚj auch noch die Bezeichnung einer Mehrzahl von principes »Fürsten« in einem Staat: in der Odyssee steht Alkinoos als basileØj an der Spitze der Phaiaken, doch steht ihm zugleich ein engerer Rat von 12 basilÁej zur Seite; die Vornehmen Ithakas heißen ebenfalls basilÁej, und doch herrscht zugleich ein basileÚj über die Insel; vereinzelt hat sich die Institution eines Rates der basilÁej – ebenso wie die des einen basileÚj – noch bis in die klassische Zeit gehalten. Das Wort hat also seit homerischer Zeit zwei ganz verschiedene Bedeutungen, die sich am ehesten aus einer sehr allgemeinen Grundbedeutung wie »Vorsteher« erklären. 40 die mykenische zeit Katastrophen und das nachfolgende sog. dunkle Zeitalter möchte ich an dieser Stelle nichts weiter sagen, zumal gerade die Sozialgeschichte dieser Zeit mangels schriftlicher Quellen wirklich gänzlich im dunkeln bleibt. Nur eine ganz allgemeine und viel erörterte Frage muß ich noch kurz streifen: die Frage, wieweit von einer Kontinuität der historischen Entwicklung des Griechentums vom 2. ins 1. Jahrtausend, von der mykenischen bis zur homerischen Zeit (die dann zur archaischen und klassischen Zeit weiterleitet) die Rede sein kann. Ich habe mich zu dieser Frage andernorts ausführlich geäußert13 und will an dieser Stelle nur bemerken, daß man sich vor beiden Extremen hüten muß. Man darf nicht glauben, das »dunkle Zeitalter« unterbreche die griechische Kulturgeschichte nur scheinbar, die Entwicklung sei im Grunde ungebrochen weitergegangen; aber das glaubt ohnehin niemand, die Tatsachen sprechen eine zu deutliche Sprache. Man darf aber auch nicht umgekehrt glauben – wie das in der letzten Zeit Mode geworden ist –, der erste Aufstieg des Griechentums, der zur Blüte der mykenischen Kultur führte, sei gewissermaßen eine Sackgasse gewesen; das sei alles in der großen Katastrophe zugrunde gegangen, die Griechen hätten danach völlig neu anfangen müssen (so daß die griechische Geschichte und Kulturgeschichte nicht im 2. Jahrtausend, sondern erst mit Homer beginnen würde). Ich glaube, es läßt sich zeigen – und ich habe eben dies in dem erwähnten Aufsatz versucht –, daß zwar die glanzvolle mykenische Kultur verfallen und zugrunde gegangen ist, daß aber die Kultur der dunklen Jahrhunderte und die auf ihr aufbauende der Glanzzeiten der griechischen Geschichte nicht auf einer Tabula rasa neu entstanden, sondern auf den in mykenischer Zeit gelegten und erhalten gebliebenen Fundamenten aufgebaut worden ist, so daß ein wesentlicher Teil des mykenischen Erbes nicht verlorengegangen, sondern dem späteren Griechentum erhalten geblieben (und die mykenische Zeit aus der griechischen Geschichte nicht wegzudenken) ist. Von besonderer Bedeutung scheint mir in diesem Zusammenhang die Tatsache zu sein, daß auf gemeinen Entwicklung nichts geändert, keinen eigentlichen Bruch herbeigeführt hat: Staaten, Territorien und Städte, Kirchen und Klöster, Sprachen und Kulturen leben alle ruhig weiter. Am Ende der mykenischen Zeit dagegen steht die Zerstörung nicht nur von Palästen, sondern von Reichen, der Untergang einer blühenden Hochkultur, das Eindringen neuer Stämme und Dialekte, ein Absinken ins Dunkel, dem ein weitgehender Neubeginn ein halbes Jahrtausend später folgt. Wir müßten an eine Völkerwanderung denken, selbst wenn wir nur das griechische Material (Bodenfunde, Dialektschichtung, Sagen) in der Hand hätten; aber wir haben ja gleichzeitige historische Berichte aus dem Alten Orient, die den Einbruch der sog. »Seevölker« eben in diesen Jahrzehnten ausdrücklich bezeugen. 13 Vocabulaire et institutions: La continuité historique du deuxième au premier millénaire. In: Colloqium Mycenaeum. Actes du sixième Colloque international sur les textes mycéniens et égéens tenu à Chaumont sur Neuchâtel du 7 au 13 sept. 1975 (1979) 109 ff. Einen abweichenden Standpunkt vertritt in demselben Band (S. 87 ff.) A. Morpurgo Davies, Terminology of Power and Terminology of Work in Greek and Linear B. z u r g e s c h i c h t l i c h e n s t e l l u n g d e r m y k e n i s c h e n w e lt 41 den verschiedensten Lebensgebieten – sowohl der materiellen Kultur wie des politisch-sozialen Bereiches – die schon im Mykenischen gebrauchten Fachausdrücke z.T. bis in späte Zeit lebendig geblieben sind: das zeigt, daß auch die Kenntnis der Sachen, daß auch die betreffenden Institutionen nie verlorengegangen sind, kurz, daß über die dunklen Jahrhunderte hinweg ein vielfältiges Erbe kontinuierlich von Geschlecht auf Geschlecht weitergegeben worden ist. Dabei ist es freilich, wie schon betont, ohne schwere Verluste, ohne Brüche in der Entwicklung auch in wichtigen Punkten nicht abgegangen; aber bedeutsamer ist doch, daß vieles, für die weitere Entwicklung entscheidend Wichtiges über die Katastrophe hinweg gerettet worden ist. Die mykenischen Griechen sind doch die Lehrmeister der späteren, der uns vertrauten Griechen geblieben, auch auf dem Gebiet der Gesellschaftsordnung. II. DIE HOMERISCHE ZEIT E I N L E I T U NG A uf den Zusammenbruch der mykenischen Welt folgt, wie gesagt, eine lange stumme Zeit ohne Schriftquellen. Mit dem 8. Jahrhundert setzen dann unsere Quellen endlich wieder ein. Erzählende Geschichtswerke sind das freilich noch lange nicht – sie haben wir erst seit dem 5. Jahrhundert; auch die in späteren Dichtungen und Geschichtswerken festgehaltene mündliche Überlieferung reicht ins 8. Jahrhundert nur mit wenigen Nachrichten über Koloniegründungen oder einzelne Könige zurück; die urkundlichen Quellen schließlich, d.h. die historischen Inschriften und die auf alten, uns verlorenen Inschriften beruhenden Notizen in der literarischen Überlieferung, setzen erst um die Wende des 7. zum 6. Jahrhundert ein. Unsere ältesten Quellen, und die einzig ergiebigen für das 8. Jahrhundert, sind vielmehr zwei große Epen, die unter dem Namen »Homer« gehen: die Ilias und die Odyssee. In ihrer heutigen Gestalt entstammen sie wohl eben dem 8. Jahrhundert (die Odyssee ist etwas jünger als die Ilias und mag noch ins 7. Jahrhundert hineinreichen). Doch fußen beide Dichtungen auf einer sehr alten, Jahrhunderte zurückreichenden handwerklichen Kunstübung; ganze Verse (namentlich viele Formelverse), ja ganze Partien sind ohne Zweifel aus älteren Dichtungen übernommen, erst recht vieles vom Stoff. Unter diesen Umständen erhebt sich die Frage, für welchen Zeitraum eigentlich diese Epen als Geschichtsquelle in Frage kommen, und vorher noch die Frage, wieweit sie überhaupt als Geschichtsquellen herangezogen werden dürfen. Es sind doch eben Dichtungen, deren Dichter mit dem Überlieferten vielleicht nicht so frei schalten, wie es ein heutiger Dichter tun würde, aber doch frei genug; und vor den Dichtern, vor ihren Vorgängern in dieser Kunst liegt die Sage, also volkstümliche Erzählung; erst vor der Sage, einleitung 43 Jahrhunderte vor der Entstehung der beiden Großepen und damit vor der Zeit, um die es uns im Augenblick geht, liegen die geschichtlichen Vorgänge, deren Erinnerung zuerst die Sage, dann die Dichtung festgehalten, aber eben auch stark umgestaltet haben. Aus diesen allgemeinen Überlegungen ergeben sich für den Historiker wichtige Schlüsse. Daß letzten Endes geschichtliche Ereignisse diesen Überlieferungen zugrunde liegen, läßt sich kaum bestreiten; das zeigen auch die Sagen und frühen epischen Dichtungen anderer Völker und Zeiten. Sie zeigen aber auch, daß wir diesen historischen Kern nicht mehr herausschälen können, daß Sage und Dichtung den Stoff in solchem Maße umgestaltet haben, daß jede brauchbare Erinnerung an die geschichtlichen Vorgänge verloren gegangen ist. Als Quellen für die Ereignisse, deren dunkle Kunde sie bewahren, sind also die homerischen Epen ganz unbrauchbar. Um so wichtiger sind sie uns als Quellen für die Zustände einer Zeit, von der uns keine anderen schriftlichen Quellen Zeugnis geben. Aber welche Zeit ist das? Im großen und ganzen ist es – das zeigt auch die Parallele der hochmittelalterlichen Epik – die Zeit, in der diese Dichtungen abgeschlossen wurden, d.h. etwa das 8. Jahrhundert; denn im großen und ganzen vermochten die Dichter den von ihnen geschilderten Verhältnissen die Farben des Lebens nur auf Grund der Anschauung zu verleihen, die ihnen ihre eigene Umwelt bot. Manche kulturgeschichtliche Einzelheit freilich mag, wie die Verse, in denen sie festgehalten ist, beträchtlich älter sein, und auch mit bewußtem Archaisieren der Dichter müssen wir in Einzelheiten rechnen: sie wußten, daß sich die von ihnen erzählten Vorgänge in einer fernen Vorzeit abgespielt hatten, und schlossen darum manches, was ihnen als Neuerung der jüngsten Zeit bewußt war, aus ihrem Bild dieser Vorzeit aus. Doch macht diese chronologische Unschärfe für unseren Zweck nicht viel aus. Wir stehen mit den homerischen Epen in einer stark traditionsgebundenen Welt, in der sich die Lebensverhältnisse von einer Generation zur anderen nur langsam veränderten, so daß die Dichtung mehrerer Generationen doch ein einigermaßen einheitliches kulturgeschichtliches Bild ergibt. In der Lebenszeit der letzten am Epos wesentlich beteiligten Dichter, genauer: der Dichter, die großen zusammenhängenden Abschnitten beider Epen und schließlich diesen selbst die Gestalt gegeben haben, in der sie gleichzeitig oder bald danach schriftlich fixiert wurden – in der Lebenszeit dieser jüngsten Dichter scheinen sich dann allerdings die politischen und sozialen Gegensätze verschärft zu haben; es begann, wohl noch im 8. Jahrhundert, die Entwicklung, die zur Entmachtung, dann zur Aufhebung des Königtums durch den Adel, bald darauf dann zu scharfen Auseinandersetzungen zwischen dem herrschenden Adel und nachdrängenden oder bedrückten Schichten geführt hat: das Zeitalter der »Ständekämpfe«. Die Dichter lassen davon nur ganz selten einmal etwas 44 die homerische zeit durchblicken, weil diese Krisenerscheinungen ihrer Gegenwart zu dem Bild der glorreichen Vorzeit, das sie zeichnen wollten, nicht paßten; auch wir werden gut tun, diesen ersten Zeugnissen eines neuen, stürmischen Zeitalters erst im folgenden Abschnitt unsere Aufmerksamkeit zu widmen, wie wir denn überhaupt mit dem Einsetzen einer bewegteren Entwicklung seit der 2. Hälfte des 8. Jahrhunderts, wie es am deutlichsten im Beginn der überseeischen Kolonisation zum Ausdruck kommt, das nächste, das archaische Zeitalter beginnen lassen. In diesem Abschnitt über die homerische Zeit müssen wir das Bild nachzuzeichnen versuchen, das die Dichter selbst von der Welt entwarfen, in der ihre Helden leben: es ist das Bild der traditionsgebundenen und sich vergleichsweise langsam entwickelnden Welt, an deren Ende im 8. Jahrhundert unsere Dichter selbst stehen. DI E STÄ N DE ; F R E M DE U N D U N F R E I E Welches Bild ergibt sich nun von der Gesellschaftsordnung der homerischen Zeit? Verglichen mit der mykenischen Zeit finden wir recht ursprüngliche, einfache Verhältnisse: Wanderungen und Zerstörungen, allgemeine Verarmung haben ihr Werk getan, die dunklen Jahrhunderte nur ein ganz langsames Wachstum gebracht; die aus dem in der Entwicklung zurückgebliebenen Norden neu eingedrungenen Griechenstämme haben ihre urtümlichen Institutionen weiten einst von der mykenischen Hochkultur beherrschten Gebieten Griechenlands aufgeprägt (wie schon gesagt, ohne deren Spuren gänzlich zu verwischen). Die grundlegende ständische Scheidung ist nach wie vor die in Freie (™leÚqeroi) und Unfreie (doàloi)1. Für die Freien gilt dann zunächst die Scheidung nach der Herkunft: den Einheimischen oder Bürgern (¢sto…, pol‹tai, poliÁtai, eigentl. »Bewohner derselben Ortschaft«) stehen die »Fremden« oder »Gäste« (xšnoi) gegenüber. Ob man zu den Einheimischen gehört oder zu den Fremden, ist nicht etwa nur eine Frage des Wohnsitzes. Auch wer, aus der Fremde kommend, sich irgendwo auf die Dauer niederläßt, ist deshalb noch lange nicht ein Bürger; er ist ein bloßer metan£sthj (»Mitwohner«2), später sagt man dann mštoikoj (gleichfalls »Mitwohner«) oder p£roikoj (»Beiwohner«). An den zwei Homerstellen, wo das Wort metan£sthj vorkommt, ist es mit dem Beiwort ¢t…mhtoj »ungeehrt« verbunden (Ilias 9, 648; 16, 59): 1 Daß diese Termini, entgegen einer verbreiteten Auffassung, auch für die homerische Zeit, wie vorher und nachher, gelten, hoffe ich an anderer Stelle ([74] 8 ff.) gezeigt zu haben. 2 Genauer: »einer, der (als Fremder) mitten unter (den Einheimischen) wohnt«. Ebenso ist das spätere mštoikoj zu verstehen: »mit« heißt in der Komposition sun-, nicht meta-. die stände; fremde und unfreie 45 Achilleus klagt, Agamemnon habe ihn behandelt »wie irgendeinen ungeehrten Mitwohner«; die beiden Stellen zeigen zur Genüge, daß die »Zuagroasten« wenig angesehen und in ihren Rechten schlechter geschützt waren als die Bürger. Nach einer in der Forschung verbreiteten Anschauung waren die Fremden in dieser Frühzeit überhaupt rechtlos, allenfalls durch Sitte und Religion leidlich geschützt. Das ist sicher ein Irrtum. Der Fremde hat im Epos durchaus, wie alle anderen Menschen auch, sein Recht, dessen Verletzung den Zorn der Götter wachruft. Freilich hat er es schwerer als die Bürger, dieses Recht durchzusetzen, weil ihm der Rückhalt an der Sippe und an der Gemeinschaft fehlt, in dem in jener Frühzeit sonst die wichtigste Gewähr aller Rechte liegt. Es bedarf der Regeln des Gastrechtes, um diesen Mangel einigermaßen auszugleichen. Der Gastfreund muß die Sippe ersetzen, und dementsprechend ist die Gastfreundschaft in der homerischen Zeit ein fest etabliertes und reich entwikkeltes Institut; sie beruht auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit und vererbt sich auf die Nachkommen beider Teile. Vor allem vornehme, reiche Männer haben überall dort, wohin sie und schon ihre Vorfahren gelegentlich gekommen sind, ihre Gastfreunde, natürlich in der Regel gleichfalls wohlhabende, angesehene Leute; auf diese Weise spannen sie das Netz sozialer Bindungen, auf dem ihre Macht, wie wir später noch sehen werden, nicht zuletzt beruht, weit über die griechische Welt und zum Teil darüber hinaus: der griechische Adel ist also von Anfang an nicht auf das eigene Gemeinwesen, eine Stadt oder einen Stamm, beschränkt, sondern gewissermaßen »international«. Von jenseits der Grenzen holt sich der Adlige recht häufig auch seine Frau, und das bedeutet, daß nicht nur verwandtschaftliche Bande, sondern auch Rechtsansprüche, wie sie sich etwa aus Brautkauf und Mitgift ergeben, über die Grenzen hinausgreifen. Wenn von einer allgemeinen Rechtlosigkeit der Fremden nicht die Rede sein kann, dann kann auch eine gleichfalls verbreitete Ansicht über den Ursprung der Sklaverei nicht richtig sein: die Ansicht nämlich, der Sklave sei eben deshalb rechtlos, weil er – als Fremder – nicht der Rechtsgemeinschaft des Landes angehöre, in dem er festgehalten wird. Wir haben es früher – bei der Behandlung der mykenischen Zeit – schon festgestellt, und wir werden es immer wieder festzustellen haben, daß der Sklave gar nicht rechtlos ist, sowenig wie der Fremde. Jene Theorie erledigt sich aber schon dadurch, daß es in der homerischen Welt in großer Zahl Leute gibt, die ständig auf Wanderschaft sind, nirgends ein richtiges Heim, also überall nur den Status von Fremden haben; es fällt aber niemand ein, sie für Sklaven zu halten (weder den Zeitgenossen noch den neueren Forschern); die Arbeitskraft dieser wandernden Fremden wird überall bezahlt, niemand denkt daran, sie einfach – und sei es nur vorübergehend, für die Zeit des Bedarfes – als Sklaven zu unentgeltlichen Arbeiten zu zwingen. Der Fremde ist eben noch lange kein Sklave. 76 die archaische zeit und der ganze Norden blieben allerdings in der Entwicklung auch auf diesem Gebiet zurück; so blieb in Thessalien und Makedonien die Reiterei die Hauptwaffe – und damit den Vornehmen die Herrschaft gesichert –, während sich die ärmeren Bergvölker vielfach auf den Kampf mit leichten Waffen spezialisierten (wie wir das von den Lokrern der Ilias schon kennen). Neben dem Landkrieg gewann der Seekrieg für zahlreiche griechische Staaten zunehmende Bedeutung, je wichtiger die Verbindungen übers Meer wurden. Nach und nach verbesserte man die Schiffe im Hinblick auf den Kampf Schiff gegen Schiff in der Seeschlacht. Man lernte das Schiff des Gegners zu rammen oder durch Abstreifen der Ruder manövrierunfähig zu machen; zu diesem Zweck wurde ein besonderer Schiffstyp ausgebildet, die Triere mit drei Ruderreihen übereinander, von da an das typische Kriegsschiff der Griechen (aber auch der Phoiniker). Dieser Neuerung kommt besonders große sozialgeschichtliche Bedeutung zu. Solange das Schiff Transport-, nicht Kampfmittel gewesen war, war der Krieger zugleich Ruderer gewesen. Dabei konnte es auch bleiben, solange die Seeschlacht vor allem als ein Kampf der Mannschaften auf den Decks der aneinanderliegenden Schiffe ausgefochten wurde, mit dem Ziel, das gegnerische Schiff zu entern. Als aber die Taktik des Rammens und Ruderabstreifens in den Vordergrund trat und die Triere entwickelt wurde, brauchte man neben Bewaffneten, den sog. Epibaten, in großer Zahl Nur-Ruderer und entnahm diese, soweit man nicht Ausländer in Sold nahm oder Sklaven einsetzte, den untersten, für den Hoplitendienst nicht mehr in Frage kommenden Schichten der Bevölkerung, die damit nun auch eine gewisse militärische Bedeutung erlangten. Neben der demographischen, der wirtschaftlichen und der kriegstechnischen Entwicklung hat auch die kulturelle Entwicklung große Bedeutung für die Sozialgeschichte der archaischen Zeit. Wichtige Anstöße kamen anfangs und auch später immer wieder vom Orient; aber dann setzte eine stürmische Entwicklung des Griechentums gerade auch auf kulturellem Gebiet ein, in Kunst, Literatur, Wissenschaft und Religion, die von dem wirtschaftlichen Aufstieg nicht unabhängig war, aber auch ihrerseits auf ihn mächtig zurückwirkte. Wir können das hier nur einfach als Tatsache registrieren; für die Sozialgeschichte kommt diese kulturelle Entwicklung vor allem in zweierlei Hinsicht in Frage. Einerseits gibt es jetzt wachsende Unterschiede zwischen Gebildeten und Ungebildeten, die im allgemeinen zu den bestehenden wirtschaftlichen und sozialen Abstufungen verstärkend hinzutreten: der Reiche und Vornehme verachtet den Armen und Geringen jetzt auch wegen seiner Unbildung. Auf der anderen Seite sieht man die Welt jetzt mit anderen Augen als bisher, man lebt bewußter, man reflektiert mehr als früher: das Altherkömmliche wird nicht mehr als selbstverständlich hingenommen, die Unzufriedenheit mit den bestehenden Zuständen findet in grundsätzlicher Kritik – man denke nur an Hesiod und Archilochos, d i e t r e i b e n d e n fa k to r e n u n d d i e g ru n d z ü g e d e r e n t w i c k l u n g 77 Solon und Theognis –, in Reformgedanken und revolutionären Bestrebungen Ausdruck. (Man braucht nur an die Wirkung des Humanismus auf die Reformation, der Aufklärung auf die französische Revolution zu denken, um sich über Zusammenhänge dieser Art klarzuwerden.) Gegen Ende der archaischen Zeit finden wir schon schematisch-rationalistische Neuerungen ganz im Stil der französischen Revolution, ohne jede Rücksicht auf die bestehende Ordnung oder vielmehr in bewußtem Gegensatz dazu; für uns ist das einzige gut bekannte Beispiel – das aber in seiner geschichtlichen Umwelt gewiß nicht isoliert war – die Neueinteilung Attikas und der athenischen Bürgerschaft durch Kleisthenes, eine Einteilung nach dem Dezimalprinzip, einer schematischen Gleichheit zuliebe überaus kompliziert und in jeder Hinsicht gekünstelt. (Wir werden gegen Schluß dieses Kapitels ausführlicher davon zu sprechen haben.) – Auch die kulturelle Entwicklung prädestiniert also dieses Zeitalter zu einem Zeitalter der sozialen Auseinandersetzungen und Umwälzungen. In engem Zusammenhang mit der kulturellen Entwicklung steht die Fortbildung der Moralbegriffe und des Rechtes. Wir müssen davon später im historischen Zusammenhang ausführlicher sprechen. Über all dem darf man eines nicht vergessen: den Anstoß zu den nicht abreißenden Kämpfen, die mit dem Sturz des Adels enden sollten, gaben vor allem auch die Adligen selbst. Zunächst dadurch, daß die einzelnen Großen, daß ganze Geschlechter immer wieder in Streit miteinander gerieten. Diese Streitigkeiten konnten die verschiedensten Ursachen haben, wie die Fehden unseres Mittelalters; eine der wichtigsten Ursachen war der Ehrgeiz, jeden drängte es danach, der Erste zu sein, und dabei ließ man oft alle Rücksichten fallen. So kam es auch nicht selten vor, daß sich Adlige zu Führern der Gegner des Adels aufwarfen, weil sie mit der Mehrheit ihrer Standesgenossen verfeindet waren; ja man kann sagen, die Führer im Streit waren durchweg Adlige, auf beiden Seiten. So war es der Adel selbst, der seine eigene Position untergrub, weil er nicht einig sein konnte. – Aber auch in anderer Hinsicht sägte der Adel den Ast ab, auf dem er saß: nämlich dadurch, daß er das Maßhalten verlernte. Unersättliche Habgier – die wieder von dem unersättlichen Ehrgeiz nicht zu trennen ist – beherrscht die meisten, vor allem das Bestreben, den Grundbesitz weiter auszudehnen und die kleinen Bauern für sich arbeiten zu lassen (wir kommen darauf zurück); die wachsende Not der kleinen Leute schreit nach Abhilfe wie der zunehmende Abstand von Armut und Reichtum nach einem angemessenen Ausgleich. Dazu kommt die Überheblichkeit und der Standesdünkel, womit sich der Adel gegen das gemeine Volk, aber auch – wennschon inkonsequent – gegen die Neureichen abschließt, strenger als in homerischer Zeit. Man kann es als Paradoxon formulieren: Es war nicht zuletzt der – in den allgemeinen Aufschwung des Griechentums eingebettete – Aufstieg des Adels und die damit verbundene zunehmende Entfremdung zwischen Adel und Volk, 78 die archaische zeit was die Situation immer schwieriger machte und am Ende den Fall des Adels herbeiführte. DI E GE SELL SC H A F TSOR DN U NG Soviel über die treibenden Kräfte, die Ursachen des schnellen und durchgreifenden, ja im Ergebnis umwälzenden Wandels der sozialen (und politischen) Verhältnisse. Wenn wir nun daran gehen, die Gesellschaftsordnung dieser Zeit in ein System zu fassen, dann müssen wir uns bewußt bleiben, daß unsere schematische Skizze nicht eine feststehende Ordnung umreißen kann – die es in dieser Zeit, da alles fließt, eben nicht gibt –, daß sie vielmehr versuchen muß, einerseits zum Ausdruck zu bringen, wieweit doch bleibende Grundstrukturen allen Umgestaltungen zugrunde liegen, andererseits die Richtung anzudeuten, in der sich diese Veränderungen vollziehen. Ich schicke ein tabellarisches Schema voraus: Freie Bürger Grundbesitzer Adlige Bauern Unfreie Fremde Grundbesitzlose Handwerker u. Kaufleute Metoiken Fremde i.e.S unfreie Bauern Kaufsklaven Theten Wie man sieht, ist dieses Schema von dem uns aus der homerischen Zeit geläufigen nicht sehr verschieden. Neu ist, daß sich die Adligen jetzt schärfer vom gemeinen Volk abheben, daß der Adel jetzt anscheinend im allgemeinen auch rechtlich definiert und an die Abkunft geknüpft wird; neu auch, daß die freien Gefolgsleute, die Therapontes, der homerischen Zeit verschwinden; an ihre Stelle treten unfreie Diener, daher bedeutet qer£pwn jetzt soviel wie »Diener, Sklave«. Eine spürbare Veränderung vollzieht sich auch bei den Handwerkern: sie werden jetzt seßhaft, an eine feste Werkstatt gebunden, die zugleich Verkaufsladen ist; die wandernden Spezialisten gehören mehr und mehr der Vergangenheit an, doch ziehen gerade die Vertreter der »höheren« Wanderberufe, die Spezialisten des Sakralwesens, dann die Sänger (»Rhapsoden«), Künstler die unfreien 79 und Ärzte der rasch wechselnden Nachfrage folgend nach wie vor unstet durch das Land5. So hat die archaische Zeit das überkommene soziale System zunächst beibehalten, ja in einzelnen Punkten noch etwas reicher abgestuft. Dann aber setzt im Gefolge der schweren politischen und sozialen Auseinandersetzungen eine gegenläufige Entwicklung ein, die zwar die ständischen Unterschiede zwischen Freien und Unfreien, Bürgern und Fremden sowie die Abstufungen innerhalb der Kategorien der Unfreien und der Nichtbürger im wesentlichen unangetastet läßt, aber innerhalb der Bürgerschaft nach und nach zur Aufhebung aller ständischen Schranken führt, zugleich zu einer Verminderung auch des faktischen Abstands zwischen den verschiedenen Schichten, so daß innerhalb der Bürgerschaft am Ende – aber dieses Ende liegt erst in der nachfolgenden klassischen Zeit – nur noch die Unterschiede im Vermögensstand und in der Bildung sozial bedeutsam bleiben, auch sie ohne scharfe Grenzen, mit fließenden Übergängen. Das Ergebnis des Zeitalters der Ständekämpfe ist also der Ausgleich der ständischen Gegensätze innerhalb der Bürgerschaft. Soviel über die soziale Ordnung im ganzen und über die Tendenz der Entwicklung. Ehe wir nun an die Geschichte der ständischen Auseinandersetzungen und des Ausgleichs zwischen den Ständen herantreten, müssen wir zu den beiden extremen Ständen, den Unfreien und den Adligen, noch einiges bemerken. DI E U N F R E I E N Die Unfreien zerfallen nach wie vor in zwei deutlich voneinander geschiedene Gruppen. Auf der einen Seite stehen die im Krieg erbeuteten oder (meist) im Handel erworbenen Sklaven und deren »hausgeborene« Nachkommen: wir können sie abkürzend als »Kaufsklaven« zusammenfassen. In ihrer Herkunft liegt schon, daß es sich meist um vereinzelte, aus ihrer Heimat losgerissene Individuen handelt. Die Zahl und Bedeutung dieser Sklaven ist in dieser Zeit noch nicht allzu groß, doch wächst sie mit dem Fortschreiten der wirtschaftlichen Entwicklung. Langsam wird der Sklave aus einem bloßen Hilfsmittel der Bequemlichkeit – man denke an die Sklaven beiderlei Geschlechts im häuslichen Dienst, an den 5 Vgl. H. Van Effenterre, Le statut comparé des travailleurs étrangers en Chypre, Crète et autres lieux à la fin de l’Archaisme, in: Acts of the International Archaeological Symposium »The Relations Between Cyprus and Crete, ca. 2000–500 B.C.« (1979) 279 ff. über die Sonderrechte, die man begehrten Spezialisten einräumte, um sie ins Land zu ziehen und hier festzuhalten. 80 die archaische zeit Einsatz unfreier Burschen als Waffenträger und Pferdeknechte, anstelle der einstigen Therapontes – zu einem Produktionsmittel, das das Einkommen vermehren hilft, vor allem in der gewerblichen Produktion und im Bergbau, in geringerem Umfang in der Landwirtschaft6; neben die Konkubinen, die sich der Herr zum eigenen Gebrauch im Haus hält, treten jetzt die Dirnen, deren »Arbeitslohn« sein Einkommen ausmacht oder vergrößert. Hand in Hand mit dieser Entwicklung geht, wie man leicht versteht, die Entpersönlichung und Versachlichung des Sklaven: dieser wird aus einem Familienmitglied, einem freilich untergeordneten, aber doch nahestehenden Mitmenschen, zu einem bloßen Werkzeug, einem menschlich gleichgültigen, dafür aber wirtschaftlich um so wichtigeren Teil des Vermögens. Natürlich braucht man weiterhin Sklaven im Haus, als Dienstmädchen, Ammen, für die Kinderpflege, für die Begleitung der Kinder auf dem Schulweg – das ist der paidagwgÒj –, der Hausfrau auf ihren Ausgängen, und diese Sklaven gehören nach wie vor in gewisser Hinsicht zur Familie. Aber sie treten an Zahl mehr und mehr hinter den in der Produktion tätigen Sklaven zurück; gleichzeitig wächst die Zahl und der Wert der Sklaven männlichen Geschlechts; und das Bild des Sklavenstandes im ganzen bestimmt sich auch für die Zeitgenossen mehr und mehr nicht nach dem unfreien Hausgenossen, sondern nach dem Menschen, der zum Produktionsmittel herabgewürdigt ist. – Natürlich hat sich diese neue Form der Sklaverei nicht mit einem Schlag über die ganze griechische Welt verbreitet. Die Entwicklung beginnt in dem kulturell und wirtschaftlich fortgeschrittenen Osten; die Überlieferung nennt uns die reiche Insel Chios als den Ort, wo die Sklaverei neuen Stils zuerst ausgebildet wurde. Die zweite Grundform der Sklaverei ist von vornherein nicht gemeingriechisch, sondern eine Besonderheit der Gebiete, die in relativ junger Vergangenheit einer gewaltsamen Eroberung unterlegen sind (sei es im Zusammenhang mit Völkerbewegungen im dunklen Zeitalter, sei es im Rahmen der großen Kolonisation seit dem 8. Jahrhundert). Ich habe von diesem Typ der Sklaverei schon in dem Abschnitt über die homerische Zeit kurz gesprochen und auf die Heloten Spartas, die sog. Perioiken in Kreta, die Penesten in Thessalien aufmerksam gemacht; die eingewanderten Dorier bzw. Thessaler haben die bodenständige Bevölkerung in der Form versklavt, daß sie das Land, das sie bisher zu eigen gehabt haben, weiterhin bestellen müssen, aber jetzt im Dienst ihrer neuen Herren, denen sie einen großen Teil des Ertrages abzuliefern haben. In dieselbe Form der Unfreiheit haben die Spartaner dann noch im 8. und 7. Jahrhundert die Bevölkerung des neu eroberten Messenien herabgedrückt; und in gleicher Weise sind die Griechen – soviel wir sehen, durchweg Griechen do6 Immerhin spielen die Sklaven als Helfer des Bauern schon bei Hesiod eine nicht zu unterschätzende Rolle, vgl. Ernest Will, [208] 547 ff. die unfreien 81 rischer Herkunft, die das eben von daheim kannten – auch in manchen Kolonialgebieten verfahren, so in Syrakus, in Herakleia am Pontos, in Byzanz, wohl auch sonst um das Schwarze Meer7. Die genaue Verbreitung dieser Einrichtung läßt sich übrigens weder für das Mutterland noch für die Kolonialgebiete angeben, da es offenbar an vielen Orten frühzeitig – im Verlauf der Ständekämpfe – zu einer Befreiung dieser unfreien Bauern gekommen ist; bis in die klassische Zeit hat sie sich nur in sehr konservativen Gemeinwesen erhalten. Diese unfreien Bauern sind Unfreie (doàloi) nicht anders als die Kaufsklaven. Sie unterscheiden sich von ihnen dadurch, daß sie nicht landfremd sind, sondern alteingesessen, nicht losgerissene, isolierte Individuen, sondern geschlossene Bevölkerungen. Ein großer Teil wenigstens wirtschaftet selbständig (als kleine Bauern), sie haben ihre Häuser, leben mit ihren Frauen in gesetzlich anerkannter Ehe, vererben ihr Besitztum – genauer: ihre persönliche (bewegliche) Habe – auf ihre Nachkommen. Schon daraus ergibt sich, daß sie keineswegs rechtlos sind (die Kaufsklaven sind es übrigens auch nicht). Aber freilich ist ihr Recht viel schwächer und ihre Stellung viel niedriger als die ihrer Herren. Auf die Verletzung eines Unfreien ist eine geringere Buße gesetzt als auf die eines Freien, und umgekehrt, wenn er der Übeltäter ist, zahlt er mehr als der Freie. Von einem Eigentum des Unfreien an dem Boden, den er bestellt, kann natürlich keine Rede sein; der Boden steht im Eigentum des Herrn, er ist dem Unfreien nur leihweise, praktisch aber wohl erblich, zur Bewirtschaftung übergeben. Bewegliches Gut kann dagegen der Unfreie, wie schon angedeutet, durchaus zu eigen haben; das große inschriftlich erhaltene Gesetz der kretischen Stadt Gortyn – das dem 5. Jahrhundert angehört, aber von sehr altertümlichen Verhältnissen zeugt – enthält z.B. Bestimmungen über das eheliche Güterrecht der Unfreien. Aber er selbst steht im Eigentum eines Herrn; er muß seinen Befehlen gehorchen, kann von ihm bestraft und zu den verschiedensten persönlichen Diensten herangezogen werden. Häufig werden die Unfreien auch im Krieg eingesetzt; in der Regel wohl nur als Burschen (Waffenträger und Pferdeknechte), aber von einem thessalischen Großen des 5. Jahrhunderts hören wir einmal, daß er den Athenern auf einem Feldzug in Thrakien an der Spitze von 200 oder 300 berittenen Penesten zu Hilfe kam, die alle ihm selbst gehörten. Wichtig ist, daß die Unfreien auch verkauft und verpfändet werden konnten – in diesem Fall konnten sie offenbar auch von ihrem Grundstück losgerissen werden –, nur der Verkauf außer Landes war untersagt: die Gemeinde als Ganzes legte eben Wert darauf, keinen ihrer Sklaven durch Verkauf ins Ausland zu verlieren. – Daß diese bäuerlichen Unfreien als Menschen, nicht 7 D. M. Pippidi, Le problème de la main d’oeuvre agricole dans les colonies grecques de la mer Noire, [92] 63 ff. = Pippidi, Scythica Minora, Recherches sur les colonies grecques du littoral roumain de la mer Noire (1975) 65 ff. 82 die archaische zeit (oder doch nicht in erster Linie) als Sachen aufgefaßt wurden, ergibt sich aus den – vorhin z.T. gestreiften – gesetzlichen Bestimmungen, es ergibt sich aber – für die Heloten Spartas – auch daraus, daß sie an den Trauerfeiern nicht nur für den eigenen Herrn, sondern auch für den König teilnehmen mußten: sie galten offenbar als ein Teil des ihm anvertrauten, durch seinen Tod verwaisten Volkes. Wir müssen uns klarmachen, was diese Art von Sklaverei für die Herren bedeutet. Ihnen wird mit Hilfe dieser Institution ein gewisses Einkommen ohne eigene Arbeit zuteil (sei es, daß sie und ihre Familie ganz davon leben, sei es auch, daß die Abgaben der unfreien Bauern zu dem Einkommen aus eigener Arbeit oder aus anderem Vermögen hinzutreten). Die gewonnene »Freizeit« ist natürlich nicht Freizeit, wie wir sie verstehen: der Bürger widmet sie seinen politischen und gesellschaftlichen Pflichten, dem Leben in der Gemeinschaft und für die Gemeinschaft, nicht zuletzt natürlich dem Krieg und der kriegerischen Ertüchtigung; er hat ja auch die Waffen um so nötiger, je größer die Gefahr ist, daß sich die unfreien Bauern gegen ihre Bedrücker erheben oder gar mit den auswärtigen Feinden verbinden – eine Gefahr, vor der vor allem Sparta stets gezittert hat, auf deren Abwendung die ganze Politik Spartas in der archaischen und klassischen Zeit in erster Linie abzielt. In solchen Fällen wird also die gesamte Bürgerschaft zu einer Art Kriegeradel, einem Wehrstand, der sich auf die Arbeit eines Nährstandes stützt. Daß das auch die unmittelbar Beteiligten so gesehen haben, zeigt am besten das berühmte Skolion (Trinklied) eines Kreters namens Hybrias (bei Athenaios XV 695 f – 696 a): Mein großer Reichtum sind Speer und Schwert und der schöne Schild, der Schutz des Leibes. Damit nämlich pflüge ich, damit ernte ich, damit keltere ich den süßen Wein von der Rebe, damit heiße ich Herr der Sklavenschaft. Die aber Speer und Schwert nicht zu halten wagen und den schönen Schild, den Schutz des Leibes, die fallen alle zu meinen Füßen nieder und küssen meine Knie, indem sie mich ihren Herrn und großen König nennen. Die Waffen sind es, denen dieser Kreter seine ganze Existenz verdankt, mit ihrer Hilfe hält er, hält die ganze Bürgerschaft die unfreien Bauern nieder, mit ihrer Hilfe allein also bestreitet er seinen Lebensunterhalt; mit ihrer Hilfe aber darf er sich auch als ein großer Herr fühlen, der über seine Untertanen gebietet wie irgendeiner der großen Könige des Ostens. – Aristoteles sagt einmal in anderem Zusammenhang (Pol. II 1264 a 21 f.), die Kreter erlaubten ihren Sklaven alles, nur zwei Dinge enthielten sie ihnen vor: die Teilnahme am Gymnasium, d.h. an den sportlichen Übungen, und die Waffen. Die Unfreien müssen eben, um der adel 83 das Skolion des Hybrias noch einmal zu zitieren, Leute bleiben, »die Speer und Schwert nicht zu halten wagen und den schönen Schild, den Schutz des Leibes«: wenn die Waffen die ganze Stellung des freien Bürgers begründen, dann müssen sie den Unfreien eben vorenthalten bleiben, und ebenso die sportliche Ertüchtigung, die zum Gebrauch der Waffen befähigen würde (und nebenbei die gesellschaftliche Gleichberechtigung zum Ausdruck brächte). Daß die Kreter ihren Sklaven, von diesen zwei Punkten abgesehen, alles erlaubten, das ist natürlich ein Zeugnis aus einer Zeit, in der die Befreiung dieser Kategorie von Unfreien auch auf Kreta schon weit fortgeschritten war. DER A DEL Am entgegengesetzten Ende der sozialen Skala ist der Adel im Laufe der archaischen Zeit zunächst einmal weit über die Stellung hinausgewachsen, die die Großen der homerischen Zeit eingenommen hatten. Es ist das im Grunde nur eine Seite der allgemeinen Vergrößerung und Hebung aller Verhältnisse, die der stürmische Aufschwung dieser Jahrhunderte dem Griechentum brachte. Dabei tritt uns der Aufstieg des Adels nicht zuletzt in der Tendenz entgegen, sich vom gemeinen Volk immer schärfer abzusetzen: einerseits durch eine deutlichere Abhebung der adligen von der bäuerlichen Lebensweise, andererseits durch Schließung des Adels gegen Aufsteiger aus dem gemeinen Volk. Das adlige Lebensideal ist einseitiger geworden. Den homerischen Großen war die tägliche Arbeit in Haus und Hof, auf den Feldern und Bergweiden, wie wir uns erinnern, nicht fremd gewesen; jetzt empfindet man die Arbeit mehr und mehr als niedrig und erniedrigend. Aufgabe des vornehmen Mannes ist jetzt viel ausschließlicher die Teilnahme an der Leitung des Gemeinwesens, der Krieg, Rechtsstreit und Rechtsprechung, dann Jagd und Sport, Musik und Dichtung, nicht zuletzt die Pflege der Geselligkeit, etwa in privaten Trinkgelagen (Symposien), in der großen Männergesellschaft – bis zu den obligatorischen Gemeinschaftsmahlen in Sparta und Kreta –, aber auch und vor allem in Verbindung mit dem Kult, von den Festen der Familie und des Geschlechtes über die großen Opferfeste der Stadt, an denen die ganze Bürgerschaft zum Essen und Trinken, zu Gesang, Tanz und Spielen vereinigt ist, bis zu den großen regionalen und panhellenischen Götterfesten, die regelmäßig mit besonders großen sportlichen oder musischen Wettkämpfen verbunden sind; ein Sieg in einem der großen panhellenischen Spiele ist die größte Ehre, die einem Mann zuteil werden kann, Großzügigkeit und Prachtentfaltung bei all diesen Anlässen, aber auch etwa bei der Bewirtung fremder Gäste die selbstverständliche Pflicht jedes Adligen. Eine große Rolle in der vornehmen Männergesellschaft spielt auch die – bei Homer noch nicht, aber in den Quellen der archaischen ABKÜRZUNGEN für Zeitschriften, Reihen und Sammelwerke Abh. Heid. Abh. Mainz AJA AS CJ CP FGrHist Fragm. (d.) Vorsokr. GRBS HZ JHS Mem. Torino Mus. Helv. PP RE REA REG Rev. phil. RIDA Riv. stor. ant. Sitzungsber. Wien ZPE Abhandlungen der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Abhandlungen der Geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse American Journal of Archaeology Ancient Society Classical Journal Classical Philology F. Jacoby, Die Fragmente der griechischen Historiker. 1923 ff. H. Diels – W. Kranz, Die Fragmente der Vorsokratiker (ich zitiere Bd. I und III nach der 10. Aufl. von 1961 bzw. 1960, Bd. II nach der 11. Aufl. von 1964) Greek, Roman, and Byzantine Studies Historische Zeitschrift Journal of Hellenic Studies Memorie dell’Accademia delle Scienze di Torino, Classe di Scienze morali, storiche e filologiche Museum Helveticum La Parola del Passato Pauly’s Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft Revue des études anciennes Revue des études grecques Revue de philologie, de littérature et d’histoire anciennes Revue internationale des droits de l’Antiquité Rivista storica dell’antichità Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Sitzungsberichte Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik NAMEN- UND SACHREGISTER (Die Zahlen bezeichnen die Seiten bzw. A(nmerkungen). Ä, ö, ü sind in Eigennamen wie ae, oe, ue, sonst wie a, o, u eingeordnet. Hauptstellen kursiv.) Abhängige Orte 92, 117, 149 Achaier, Achaia 23, 67, 146, 191 Achaimeniden(reich) s. Perser(reich) Adel(sherrschaft) 45, 52, 56 ff., 65 ff., 77 f., 83 ff., 95 f., 109 ff., 115, 120, 124 f., 137, 140 f., 163 ff., 193, 196, 199 Adelsethik 163 ff., 185, 202 f. Adelsrat s. Geronten, Areopag Adoption 106 Ägäische Wanderung s. Seevölker Ägypten 20, 26, 70, 117, 158, 170, 175, 207 Äolier, Aiolis 61 f. Agesilaos 143, 148, 194 Agis II. 194 Agoge 127 ff., 145, 197 Agrarverfassung 31 ff., 53 ff., 60, 71 f., 74, 80 f., 85 f., 101 ff., 112, 124 ff., 126 A. 28, 144 f., 148, 158, 173, 181 f., 185, 188, 190 Agyris, Agyrion 142 A. 5 Ahhijawā 23 Aigaleos-Gebirge 23 A. 2 Aigina 73 Aischines 195, 197, 200 f. Aitoler, Aitolien 61, 191 Akragas 120, 165 A. 19 Alexander d. Gr. 10, 131, 149 f., 189, 198 f., 201, 207 Alkibiades 139, 188, 194, 198 ff. Alkmeoniden 118, 123 f. Ambrakia 117 Ämter s. Magistrate Amtsgut 27 f., 32 f., 37, 55, 64 Amyntas I. 119 Amyntas III. 207, 207 A. 72 Anaktorion 117 ἄναξ 26, 64 Anaxilaos v. Rhegion und Messana 120 ἀνδροποδιστὴς 46, 152 ἀνδράποδον, ἀνδράποδώδης 169 A. 30 Andreion 127 A. 129, 128 Andromachos v. Tauromenion 142 A. 5 Anthemus 119 Antisthenes v. Akragas 166 A. 19 Arbeit, Einstellung zur 57, 83 f., 163 ff., 177 f. Archaianaktiden 142 Archedemos 176 Archelaos v. Makedonien 194 Archidamos II. 194 Archon(ten) 89, 95 f., 101, 103 f., 121 f., 124, 134 ff. Archonides, Archonideion 142 A. 5 Areopag 89, 112, 123 f., 135 f. Arete 48, 84, 88, 168 ἀργία (νόμος ἀργίας) 171 A. 34 Argolis 20, 110 A. 24 Argos 95, 118, 169, 175 Aristagoras v. Milet 194, 198, 205 A. 65 Aristeides 194, 196 Aristoteles 177 226 NAMEN- UND SACHREGISTER Arkader, Arkadien 23 f., 117, 132, 146, 154, 175, 177, 191, 195 f. Artaxerxes II. 147 Ärzte 50, 79, 157 f., 177 Assyrer 70 ἀτοί 44 ἄστυ 53, 60 Athen, Attika (wichtigere Stellen) 61, 72 f., 89, 92 f., 95, 101 ff., 115, 117 ff., 121 ff., 135 ff., 143 f., 148 f., 179 ff., 193 ff. Aufklärung 168, 188, 190 Aussetzung von Neugeborenen 152 Bakchiaden 89, 117 Bankwesen 144, 157, 203 Basaidai 91 f. βασιλεύς, βασιλῆες 26 A. 5, 60, 64 f., 95, 100 Basiliden 89 Bauern 52 ff., 85 f., 101 ff., 118, 143, 145, 162, 170 f., 178 f., 179 A. 39; s. auch unfreie Bauern Begräbnisgemeinschaften 106 f. Bergbau 73, 80, 118, 144, 153 f., 185 Bettler 48, 50, 59 Bevölkerung 38, 70 f., 111 f., 133, 144 ff., 179 Beziehungen s. Nah- und Treuverhältnisse Bildung 77, 96, 165, 169 ff., 203 f. Bindungswesen s. Nah- und Treuverhältnisse Bithynien 147 f. Bodenrecht s. Agrarverfassung Boion-Gebirge 62 Boioter, Boiotien 23, 61 f., 85, 90, 132, 152, 175, 189, 192 Bosporos (Königreich) 142, 142 A. 5 Brasidas 194, 196 Bundesgenossen 92, 186 f. Bundesstaat 132 Bürger(recht) 44, 52 f., 92, 105, 151, 158 f. Bürgerkrieg 107 f., 135, 151, 180 f. Byzanz 81, 148 A. 7 Chabrias 195 f., 206 A. 69 Chalkidike 118 Chaoner 89 Chares 195, 197 Charidemos v. Oreos 195, 197, 206 A. 68 Chersones, thrakische 119 f., 196 Chios 80, 85 Condottieri 137, 157, 175, 197 f., 204 da-mo 27 Damos s. da-mo, Demos Dareios I. 196 Deinomenes, Deinomeniden 120 f. Delos 118 Demagogen 137 Demiurgen 50 f., 52 A. 4, 61 Demokratie 97, 109, 113 ff., 119 f., 121 ff., 135 ff., 179 ff., 187 ff., 199, 208 Demos, Damos 27 f., 32 ff., 55, 106 f., 110 A. 24, 121 f., 135; s. auch da-mo, Volksversammlung δημόσιοι (Staatssklaven) 155 Demosthenes (Stratege) 194, 197 Demosthenes (Redner) 139, 195 f., 200 f., 206 Demuchen 90 Dialekte, griechische 24, 61, 133 Diobelie 187 Dion v. Syrakus 207 do-e-ro 28 Dolonker 119 f. Dorier 24, 24 A. 4, 49, 62, 80, 126, 129 δοῦλος 28, 44, 44 A. 1, 49 Drakon 101 Duketios 142 A. 5 Dynasten 142 A. 5, 158, 177, 198 ff., 206 f. Ehre 57, 164, 166 Eisphora 170, 183, 200 Ekklesia 110 A. 24, 135; s. auch Volksversammlung ἐλεύθερος 28, 44, 44 A. 1 Elis 146 Emporkömmlinge 197 Enktesis 158, 175 Entführung s. Menschenraub Epameinondas 195 f. Epeiros 10, 28, 62, 89, 95, 133, 146, 175, 191, 195 Epheben 127 Ephesos 157 Ephialtes 136, 194, 197 NAMEN- UND SACHREGISTER Ephoren 95 Epibaten 76 Epidauros 117 Epidoseis 184 Epigamie 158 Eretria 118 e-re-u-te-ro 28, 28 A. 6 ἔριθοι 50 Eschatia 53 ff., 60 Eteokreter 24 Ethik 163 ff., 185, 201 f. Ethnos 60; s. auch Stamm(staat) Euagoras v. Salamis 195 Euboia 23, 60, 131 f., 197 Eubulos 195, 197 Euergetes (Wohltäter) 169, 202 Eupatriden 89 Eurydike v. Makedonien 207 A. 72 Feste 83, 116, 164 f., 169, 186 Festgeschenke s. Theorikon Fischfang 72 Flüchtlinge s. Heimatlose Frauenemanzipation 190 Freie 28, 37, 44 Freilassung, Freigelassene 48, 152, 155 f. Fremde 44 f., 52 f., 76, 78, 151, 156 ff. Freundschaft und Feindschaft 166 f. Gastfreundschaft, Gastrecht 44 ff., 58, 64, 118, 160 f., 165 A. 19, 166, 202 Gefolgschaften 51, 116, 129; s. auch Therapontes Gela 119, 165 A. 19 Geldwirtschaft 73 f. Gellias v. Akragas 165 A. 19 Gelon 120 f. Gemeinde s. Demos Genos, Gene 91, 106 f.; s. auch Geschlechter Geronten, Gerusie 60, 63, 134 Geschenke 46 Geschlechter 90 f., 95, 106 f., 163 Geselligkeit 58, 83, 166, 166 A. 22 Gesetze 139 Getreideversorgung 72, 186, 190 Gewerbe (Handwerk) 25, 50 f., 58, 71 ff., 227 76 f., 85, 105 f., 144, 151, 157, 162, 170, 174, 177 Gorgippos, Gorgippeia 142 A. 5 Gortyn 81 f. Götterkult 29, 166, 166 A. 22, 186; s. auch Religion Gottessklaven s. Tempelsklaven γραφὴ παρανόμων 139 Halbfreie (Hörige) 86 f., 103 Handel 25, 38, 51, 59, 71 ff., 105, 107, 144, 151, 157, 159, 162, 170, 174 Handwerk(er) s. Gewerbe Heerführer s. ra-wa-ke-ta Heimatlose 59, 71, 146, 148 f., 157 Hektemoroi 103 f. Heliaia 110 A. 24; s. auch Volksgericht Hellenisierung 157 Heloten 49, 81f., 92 A. 14, 145 Herakleia am Pontos 81, 148 A. 7 „Herden“ von Jugendlichen 127 ff. Hermias v. Atarneus 177 Herodot 68 Herold 50 Herrscherkult 208 Hesiod 69, 85, 99 f. Hetairia127 A. 29, 128 Hetairoi 66 Hierodulen s. Tempelsklaven Hieron I. 120 f. ἱκέτης 65 Himera 120 Hipparch (Reiterführer) 205 Hippeis 110 ff., 124 Hippias, Sohn d. Peisistratos 118 Hippokrates v. Gela 120 Histiaios v. Milet 194 ff. Höflichkeit 56 Homer 42 f., 61 Hopliten 52, 75 f., 99, 111 f., 134, 140, 144, 169, 178, 186 Hörige s. Halbfreie Hybrias, Skolion d. 82 ff. Iason v. Pherai 148, 195 f. Imbros 119 Iolkos 118 Ioner, Ionien 61 f., 73, 86, 90 Géza Alföldy Römische Sozialgeschichte 4., völlig überarbeitete und aktualisierte Auflage 2011 Die 4. Auflage der Römischen Sozialgeschichte ist eine aktualisierte, auf den doppelten Umfang erweiterte und um einen umfangreichen Anmerkungsapparat sowie um ein Verzeichnis der in den letzten Jahrzehnten erschienenen Fachliteratur bereicherte Neuausgabe der im Jahre 1984 vorgelegten 3. Auflage. Sie ist nach wie vor die einzige zusammenfassende Darstellung der Geschichte der Gesellschaft Roms von den Anfängen bis zur Spätantike. Ihren Gegenstand bilden Fragen wie die Grundlagen für die soziale Gliederung, die einzelnen Schichten und Gruppen der Gesellschaft, ihre Durchlässigkeit, ihre Konflikte, ihre Ideale, ihre Krisen und ihr Selbstverständnis in den einzelnen Epochen. Sie stützt sich auf die Ergebnisse der internationalen Forschung, lässt durchgehend die antiken literarischen und epigraphischen Quellen sprechen und bietet auch Raum für die kritische Diskussion über umstrittene Probleme der römischen Sozialordnung. Géza Alföldy Römische Sozialgeschichte 2011. 399 Seiten. Kart. ISBN 978-3-515-09841-0 ............................................................................. Aus der Presse „Wir halten mit der neuen-alten Römischen Sozialgeschichte von Géza Alföldy ein Vermächtnis in Händen, das niemand unberücksichtigt lassen kan, der sich mit antiken Gesellschaften und ihrer Geschichte befasst.“ Historische Zeitschrift „There is as yet no other book that tackles the complicated question of social macrostructure from Early Rome to the fall of the Roman West. […] For those interested in social macrostructures Alföldy‘s Sozialgeschichte is an important milestone and it is available now in a highly improved edition.“ BMCR „Was vorliegt, ist die beste zusammenfassende Darstellung der römischen Sozialgeschichte von den Anfängen bis zur Spätantike in deutscher Sprache.“ Neue Züricher Zeitung Franz Steiner Verlag Birkenwaldstr. 44 · D – 70191 Stuttgart Telefon: 0711 / 2582 – 0 · Fax: 0711 / 2582 – 390 E-Mail: [email protected] Internet: www.steiner-verlag.de