Einstellungen zum Kindesmissbrauch

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Einstellungen zum Kindesmissbrauch
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Einstellungen zum Kindesmissbrauch
Untersuchungen mit der Bumby Child Molest Scale
bei Missbrauchs- und Gewalttätern
J. Rambow, K. Elsner, S. Feelgood, J. Hoyer
Übersicht: Kognitive Verzerrungen gehören zu den dynamischen Risikofaktoren für Kindesmissbrauch. Diese Arbeit untersucht psychometrische
Kennwerte der deutschsprachigen Version der Bumby Child Molest Scale,
einem Verfahren, das kognitive Verzerrungen hinsichtlich sexueller Kontakte mit Kindern erfasst. In der ersten Studie wurden 33 Missbrauchstäter,
15 Vergewaltiger und 23 Gewalttäter ohne Sexualdelikt mit der deutschsprachigen Version der Bumby Child Molest Scale und weiteren Fragebogenverfahren untersucht. An einer zweiten Studie nahmen 52 Missbrauchstäter (davon 18 mit der Diagnose einer Pädophilie) sowie
31 Gewalttäter teil. Die Ergebnisse zeigen eine sehr gute interne Konsistenz der Skala. In beiden Studien erreichen Täter mit Missbrauchsdelikten
höhere Werte als Gewalttäter. Positive Korrelationen finden sich zwischen
der MS und anderen Maßen für kognitive Verzerrungen und Rechtfertigung; negative mit Maßen für Empathie. Hingegen finden sich keine bedeutsamen Korrelationen mit der Tendenz zur sozial erwünschten Antwort
und der psychopathologischen Symptombelastung. Die Skala erscheint für
den Forschungseinsatz im Rahmen von kriminologischen und klinischpsychologischen Studien gut geeignet.
Schlüsselwörter: Kindesmissbrauch; kognitive Verzerrungen; Molest
Scale; Pädophilie; Rückfallprophylaxe
Im psychologisch-kriminologischen Sinne sind kognitive Verzerrungen
Überzeugungen und Einstellungen, die von Straftätern genutzt werden,
um ihr delinquentes Verhalten zu leugnen, zu bagatellisieren und zu rationalisieren. Zahlreiche Autoren haben dieses Konzept im Zusammenhang
mit dem Thema Kindesmissbrauch aufgegriffen (Abel 1984; Blumenthal
et al. 1999; Bumby 1996; Burn und Brown 2006; Mihailides et al. 2004;
Murphy 1990; Stermac und Segal 1989; Ward 2000). In den kognitiv-deZ Sexualforsch 2008; 21; 1 – 15
/ Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
ISSN 0932-8114
DOI 10.1055/s-0028-1098723
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Rambow J et al.
konstruktivistischen Modellen von Ward (Keenan und Ward 2000; Ward
2000) wurde dabei am deutlichsten herausgearbeitet, dass derartige Kognitionen nicht nur in der Folge von Taten entstehen, sondern auch eine
wesentliche Rolle für die Entstehung und Aufrechterhaltung von sexuell
deviantem Verhalten spielen können. Sie sind Teil fehl angepasster, impliziter Theorien, die Missbrauchstäter über Andere und speziell über Kinder
haben. Problematische Kognitionen können abhängig von situativen Stimuli aktiviert und handlungsrelevant werden. Wenn Kindesmissbraucher
sexuelle Kontakte zwischen Erwachsenen und Kindern beschreiben, so
sehen sie anders als Kontrollpersonen mehr Vorteile für das Kind, mehr
kindliche Bereitschaft zum Mitmachen und weniger Verantwortung beim
Erwachsenen (Abel et al. 1984; Blumenthal et al. 1999; Feelgood et al.
2005; Stermac und Segal 1989).
In der Analyse solcher kognitiver Verzerrungen liegen damit erhebliche
Chancen für die Therapie und Rückfallprävention sexuell motivierter Straftaten, denn die Veränderbarkeit von Einstellungen im Rahmen kognitiver
Verhaltenstherapie kann grundsätzlich als belegt gelten (Hoyer und Chaker, im Druck). Untersuchungen zur Entstehung und therapeutischen Veränderung kognitiver Verzerrungen bei Sexualstraftätern sind deshalb von
theoretischem und anwendungsbezogenem Interesse.
Ein Ansatz zur psychometrischen Erfassung kognitiver Verzerrungen
findet sich erstmals in Form der Abel and Becker Cognition Scale (Abel et
al. 1989), einem 27 Items umfassenden Fragebogen. In diesem Verfahren
wird allerdings sozial erwünschtes Antwortverhalten nicht kontrolliert
und es eignet sich nicht zur Differenzierung zwischen verschiedenen Typen von Sexualstraftätern. Zur Molest Scale und zur Rape Scale von Bumby
(1996) liegen hingegen auf Basis der Daten von Kindesmissbrauchern, Vergewaltigern und Inhaftierten ohne Sexualdelikte günstigere psychometrische Kennwerte vor. Für die Konstruktvalidität dieses Instruments spricht,
dass Täter, die hohe Werte auf der Molest Scale aufwiesen, mehr kognitive
Verzerrungen und kognitive Unreife zeigten und kaum die Tendenz hatten,
ihr Verhalten durch Leugnen zu verteidigen. Zugleich korreliert die Skala
nicht mit sozial erwünschtem Antwortverhalten. Mit Hilfe der Molest Scale
konnte zwischen verschiedenen Tätergruppen unterschieden werden. Ferner zeigte sich eine Abnahme der Werte bei Tätern, die an einem Behandlungsprogramm für Sexualdelinquenten teilnahmen. Letzteres spricht für
die Änderungssensitivität des Verfahrens. In einer Validierungsstudie von
Arkowitz und Vess (2003) zeigten Missbrauchstäter erwartungskonform
die höchsten Werte auf der Molest Scale und im Sinne der Konstruktvalidität zu wertende Korrelationen mit den Skalen „kognitive Unreife“ und
„Rechtfertigung“ des Minnesota Multiphasic Sex Inventory (Nichols und
Molinder 1984).
Aufgrund dieser viel versprechenden Ergebnisse erschien es wünschenswert, eine deutschsprachige Fassung der Molest Scale von Bumby
zu erstellen. Die hier vorgelegte Studie dient der Bestimmung der Reliabilität und Validität dieser deutschen Version.
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Studie 1: Psychometrische Qualität der KV-M-Skala
Ziel dieser Studie1 war eine erste Prüfung ausgewählter Aspekte der Reliabilität und Validität der deutschen Version der Molest Scale (Skala zur
Erfassung kognitiver Verzerrungen bei Missbrauchern; KV-M). Im Bezug
auf die Konstruktvalidität wurde erwartet, dass Missbrauchstäter in der
KV-M gegenüber Vergleichsgruppen ohne Missbrauchsdelikte (Vergewaltiger, Gewalttäter ohne Sexualdelikt in der Vorgeschichte) höhere Werte
aufweisen. Ferner sollte die KV-M-Skala positiv mit Maßen für kognitive
Verzerrungen und negativ mit einem Maß für Opferempathie korrelieren
(konvergente Validität). Im Sinne der divergenten Validität sollte die Skala
nicht mit sozialer Erwünschtheit und mit Maßen der psychopathologischen Symptombelastung korrelieren.
Daten und Methodik (Studie 1)
Messverfahren
Die Molest Scale (Bumby 1996) umfasst 38 Items, die auf einer vier-stufigen
Likert-Skala von „lehne ich absolut ab“ bis „stimme ich absolut zu“ angeordnet sind. In ihrer Originalversion zeigt die Skala gute psychometrische
Kennwerte (Cronbachs a = 0,97, rtt = 0,84). Bumby (1996) berichtet über
hohe positive Korrelationen mit der Abel and Becker Cognition Scale (Abel
et al. 1989) und der Skala Cognitive Distortions/Immaturity des Minnesota
Multiphasic Sex Inventory (MSI; Nichols und Molinder 1984). Weiterhin finden sich negative Korrelationen mit der Child Molest Lie Scale (Teil des MSI;
Nichols und Molinder 1984), einer Skala, die die Tendenz erfasst, deviantes
Verhalten durch Leugnen zu verteidigen. Mit der sozialen Erwünschtheit
(Marlowe Crowne Social Desirability Scale, Crowne und Marlowe 1960)
zeigte sich kein Zusammenhang (r = – 0,01; p = 0,48). Items und Instruktion der Molest Scale wurden von mehreren Mitgliedern der Autorengruppe unabhängig voneinander ins Deutsche übersetzt (Skala zur Erfassung
kognitiver Verzerrungen bei Missbrauchern; KV-M). Strittige Items wurden im Rahmen einer Konsensusdiskussion modifiziert. Diese Arbeitsversion wurde dann von einem englischsprachigen Experten rückübersetzt.
Die nach diesem Prüfprozess resultierende Version der KV-M wurde in
den vorliegenden Studien verwendet.2
Das Minnesota Multiphasic Sex Inventory (MSI, Nichols und Molinder
1984; deutsche Fassung von Deegener 1996) ist ein Selbsteinschätzungsfragebogen zur Erfassung und Beurteilung psychosexueller Merkmale von
Sexualstraftätern. In dieser Studie wurden zwei Skalen verwendet: die
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Die Studie „Evaluation ambulanter Sexualstraftäterbehandlung“ wurde vom Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit Nordrhein Westfalen gefördert (LB I – 0544.1).
Skala und Auswertungshinweise sind frei verfügbar und bei den Autoren erhältlich.
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Skala für kognitive Verzerrungen und Unreife (KVU; 20 Items), die der Einschätzung der Eigenverantwortlichkeit dient, und die Skala für Rechtfertigung (RF; 24 Items), zur Erfassung von Rechtfertigung für begangene Sexualstraftaten.
Die deutsche Übersetzung des Child Molester Empathy Measure (Fernandez et al. 1999) wurde ebenfalls der oben dargestellten Übersetzungsprozedur unterzogen. Sie erfasst das Ausmaß an Empathie bei Missbrauchstätern in drei verschiedenen Kontexten: Empathie gegenüber
einem unbekannten Missbrauchsopfer, Empathie gegenüber einem durch
einen Unfall entstelltem Kind (kein Bezug zum Thema Missbrauch) und
Empathie gegenüber dem eigenen Missbrauchsopfer. Der Fragebogen setzt
sich wie folgt zusammen: Teil A ermittelt wie sich der Befragte in die Lage
des Kindes hinein versetzen kann; Teil B erfasst die Auswirkungen der Tat
auf die psychische Verfassung des Befragten. Die Kombination der drei
Opferkontexte mit den zwei Perspektivarten ermöglicht die Feststellung
der allgemeinen Empathiefähigkeit des Täters und zugleich die Erhebung
der opferspezifischen Empathie, die der Täter gegenüber dem eigenen
Missbrauchsopfer angibt. Somit können beide Empathieformen differenziert voneinander betrachtet werden.
Die Marlowe Crowne Social Desirability Scale (MCDS, Crowne und Marlowe 1960; deutsche Fassung von Krebs und Schüssler 1987) dient der Erfassung der Tendenz von sozialer Erwünschtheit im Antwortverhalten.
Der Brief Symptom Inventory (BSI, Franke 2000) ist ein international gebräuchliches Selbstbeurteilungsverfahren mit 53 Items zur Erfassung von
Belastungen durch körperliche und psychische Symptome. Neben dem Gesamtwert für die psychopathologische Symptombelastung (Global Severity
Index, GSI) können auch Werte für neun Skalen zu spezifischen Symptombereichen (Somatisierung, Zwanghaftigkeit, Unsicherheit im Sozialkontakt,
Depressivität, Ängstlichkeit, Aggressivität / Feindseligkeit, phobische Angst,
paranoides Denken, Psychotizismus) erhoben werden (vgl. Franke 2000).
Die Stichprobe
Die Rekrutierung der Probanden erfolgte in der Justizvollzugsanstalt Willich, der Justizvollzugsanstalt Remscheid und der Sozialtherapeutischen
Anstalt Gelsenkirchen. Die Vorauswahl der Probanden richtete sich nach
den Anlassdelikten. Ausgewählte Probanden wurden schriftlich informiert
und zur Teilnahmebereitschaft befragt. Die durchschnittliche Teilnahmequote in allen drei Justizvollzugsanstalten lag bei 47 %. Die Gesamtstichprobe (n = 71) bestand aus n = 33 Männern, die wegen sexuellen Missbrauchs und n = 15, die wegen Vergewaltigung verurteilt worden waren.
Die Kontrollgruppe bildeten 23 Personen mit einer Verurteilung wegen
Körperverletzung, die in der Vorgeschichte nicht wegen eines Sexualdelikts vorbestraft waren.
Der Altersdurchschnitt lag bei den Missbrauchstätern bei 45,5 Jahren (SD =
11,49), bei den Straftätern mit Körperverletzungsdelikten bei 31,3 Jahren
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(SD = 7,65) und den Vergewaltigern bei 34,5 Jahren (SD = 6,01). Missbrauchstäter waren signifikant älter als beide Kontrollgruppen (F(2; 69); p < 0,001).
30 % der Missbrauchstäter, 47 % der Vergewaltiger und 36 % der Gewalttäter hatten einen Sonderschul- oder keinen Schulabschluss. Einen Hauptschulabschluss hatten 61 % der Missbrauchstäter, 40 % der Vergewaltiger
und 36 % der Gewalttäter. Einen Realschulabschluss oder höheren Schulabschluss hatten 9 % der Missbrauchstäter, 13 % der Vergewaltiger und
27 % der Gewalttäter. Bezüglich der Schulbildung ergaben sich keine signifikanten Unterschiede (c2(4) = 5,25; p = 0,25).
Missbrauchstäter waren im Durchschnitt bisher 51,70 Monate (SD =
48,33) in Haft, Vergewaltiger hatten eine durchschnittliche Haftdauer von
78,33 Monaten (SD = 60,26). Die Gruppe der Straftäter ohne Sexualdelikt
in der Vorgeschichte wies im Schnitt eine bisherige Haftzeit von 42,52 Monaten (SD = 36,37) auf. Bezüglich der bisherigen Haftdauer zeigten die
Unterschiede zwischen den drei Gruppen eine signifikante Tendenz
(F(2; 69) = 2,66; p = 0,08).
Diagnostik und Durchführung
Die Zuweisung zu den Untersuchungsgruppen richtete sich nach den Verurteilungsdelikten der Probanden. Eine Klassifikation als Missbrauchstäter
verlangte eine Verurteilung nach § 176 StGB, die als Vergewaltiger eine
Verurteilung nach § 177 StGB. Die Zuordnung zur Gruppe der Gewaltstraftäter wurde vorgenommen, wenn der Proband den Straftatbestand nach
§ 223 des StGB erfüllte und kein Sexualdelikt in der Anamnese aufwies.
Als Ausschlusskriterium für die Gruppe der Missbraucher galt die Teilnahme an einem speziellen Behandlungsprogramm für Sexualstraftäter,
da eine solche Teilnahme mit der Reduktion kognitiver Verzerrungen verbunden sein könnte. Die Daten zur Klassifizierung der Probanden in die
jeweilige Untersuchungsgruppe wurden aus den Akten entnommen. Die
Untersuchungen erfolgten im Einzelkontakt mit den Probanden. Die Teilnehmer bekamen die Testverfahren ausgehändigt und erhielten Erläuterungen zu deren Durchführung.
Ergebnisse (Studie 1)
Psychometrische Analysen
Itemanalyse. Die Itemschwierigkeiten lagen zwischen 0,37 und 0,69 für
Missbraucher und zwischen 0,25 und 0,54 für Gewaltstraftäter. Folglich
ist die Streubreite der Schwierigkeiten vergleichsweise gering und liegt
im angemessenen Bereich (von 0,2 bis 0,8). Interessanterweise zeigt die
Gruppe der Gewaltstraftäter häufig Itemschwierigkeiten von 0,25. Angesichts der Tatsache, dass es sich um eine vierstufige Skala handelt, stehen
damit alle Personen dieser Gruppe bestimmten Items vollkommen ablehnend gegenüber.
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Die Trennschärfe der Skala liegt für die Missbrauchstäter zwischen 0,30
und 0,79. Zehn der 38 Items zeichnen sich durch Trennschärfen < 0,50 aus.
Die Homogenität der Skala liegt bei 0,38 für Missbraucher und ist als gut
zu bezeichnen.
Zur Feststellung der Reliabilität wurde die interne Konsistenz nach
Cronbach’s a berechnet. Die Skala zeigt für Missbraucher ein a = 0,96, für
die Untersuchungsgruppe der Vergewaltiger ein a = 0,92. In der Gruppe
der Gewalttäter zeigt sich ein a = 0,92 für die 38-Item-Version.
Aufgrund der mangelnden Trennschärfe einiger Items könnte das Verfahren auf ein 28-Item-Format reduziert werden. Allerdings liegen bei vielen der 10 Items die Trennschärfen nur knapp unter dem empfohlenen Index von 0,5 und zudem würden bei einer Kürzung auch Items entfernt
werden, die sich durch einen optimalen Schwierigkeitsindex auszeichnen
(0,31 bis 0,69). Zwar verändern sich durch eine Kürzung die internen Konsistenzen kaum (Missbraucher: a = 0,6, Vergewaltiger: a = 0,90, Gewaltstraftäter: a = 0,89); psychometrisch gesehen führt die Kürzung eines Verfahrens aber immer zu einem Abfall der Reliabilität, da sich nur bei
steigender Testlänge der Einfluss des Messfehlers stärker ausmittelt. Da
ein Verfahren mit 38 Items eine zumutbare Länge für den praktischen Einsatz bedeutet und sich in den bisherigen Analysen kaum Unterschiede
zwischen der Original- und der 10 Items kürzeren Version ergeben haben,
halten wir die Verwendung der Version mit 38 Items für sinnvoll.
Normalverteilung und Skalen-Mittelwerte
Kolmogorov-Smirnoff-Tests mit Lilliefors Korrektur bestätigen die Normalverteilung der Testwerte in allen Untersuchungsgruppen. Für die Auswertung wurden die Werte der 38 Einzelitems der KV-M-Skala zu einem Gesamtwert aufsummiert. Ein hoher Wert spricht dabei für ein großes
Ausmaß an kognitiven Verzerrungen. Die Gruppe der Missbrauchstäter erzielte erwartungsgemäß den höchsten Wert (M = 76,79; SD = 18,97). Die
Gruppen der Vergewaltiger (M = 53,73; SD = 13,19) und der Gewalttäter
(M = 51,35; SD = 12,08) wiesen deutlich niedrigere Summenwerte auf.
Bumby (1996) hatte tendenziell höhere Summenwerte für alle drei Gruppen berichtet (Missbraucher: 90,00; Vergewaltiger: 61,00; Kontrollgruppe
ohne pädophile Neigungen: 57,00). Die Summenwerte auf der KV-M-Skala
aus der Studie von Feelgood et al. (2005) hingegen sind kleiner (Missbrauchstäter: 63,03; Vergewaltiger: 48,64; Gewaltstraftäter: 44,28), was
grundsätzlich die Stichprobenabhängigkeit der Werte unterstreicht.
Die vorliegenden Werte unterscheiden sich hoch signifikant zwischen
den Gruppen (F(2,69) = 21,11; p < 0,001). Paarweise Post-hoc-Vergleiche
(Scheffé-Test) zeigen, dass die Werte der Missbrauchstäter signifikant höher sind als die der Vergewaltiger (p < 0,001; Cohens d = 1,41) und die der
Gewaltstraftäter (p < 0,001, d = 1,60).
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Befunde zur konvergenten und divergenten Validität
Die Ergebnisse zur konvergenten Validität lassen wie erwartet signifikant
positive Korrelationen zwischen Werten der KV-M-Skala und Werten der
MSI-Skalen zur Erfassung von kognitiven Verzerrungen und zur Rechtfertigung in der Gruppe der Missbrauchstäter erkennen (siehe Tab.1): Hohe
Werte auf der KV-M-Skala gehen also mit einem hohen Maß an kognitiven
Verzerrungen und der Tendenz zur Rechtfertigung des eigenen Verhaltens
einher. Hingegen zeigen sich bei den Missbrauchern signifikant negative
Zusammenhänge zwischen Ergebnissen der KV-M-Skala und Ergebnissen
der ES-M-Skala zur Erfassung der Empathie gegenüber dem eigenen und
einem fremden Missbrauchsopfer. Es ergibt sich ein negativer Zusammenhang zwischen dem Ausmaß kognitiver Verzerrung des Missbrauchstäters
und der Empathie, die er gegenüber Missbrauchsopfern zeigen kann. In der
Kontrollgruppe zeigen sich zwischen den genannten Variablen keine signifikanten Korrelationen.
Die Ergebnisse zur divergenten Validität (siehe Tab. 2) belegen für alle
Teilstichproben, dass die Antworten auf der KV-M-Skala nicht durch die
Tendenz zu sozial erwünschtem Antwortverhalten beeinflusst werden.
Weiterhin zeigt sich in allen drei Gruppen, dass die Zusammenhänge zu
dem Gesamtwert und den Subskalen des BSI nicht bedeutsam sind.
Tab. 1 Zusammenhänge zwischen der KV-M-Skala und Maßen konstruktnaher Variablen
(konvergente Validität) in den Teilstichproben der Studie 1
Missbraucher
(n = 33)
Vergewaltiger
(n = 15)
Kontrollgruppe
(n = 23)
r
p
r
p
r
p
MSI – kognitive Verzerrungen /
unreife
0,39
0,03*
0,33
0,22
–a
–a
MSI – Rechtfertigung
0,55
0,00**
0,16
0,57
–a
–a
b
b
– 0,48
0,11
ES-M – unbekanntes Missbrauchsopfer – Teil A
– 0,51
0,00**
–
ES-M – unbekanntes Missbrauchsopfer – Teil B
– 0,44
0,01*
–b
–b
0,13
0,70
ES-M – Autounfall – Teil A
– 0,13
0,49
–b
–b
0,22
0,49
0,72
–
b
–b
0,48
0,11
ES-M – Autounfall – Teil B
0,07
–
ES-M – eigenes Missbrauchsopfer – Teil A
– 0,58
0,00**
–c
–c
–c
–c
ES-M – eigenes Missbrauchsopfer – Teil B
– 0,35
0,047*
–c
–c
–c
–c
a
Wurde in dieser Stichprobe nicht erhoben.
Diese Variable wurde bei Vergewaltigern nicht erhoben.
Diese Variable ist nur für Missbrauchstäter sinnvoll zu erheben.
Abkürzungen: MSI = Minnesota Multiphasic Sex Inventory
ES-M = Empathieskala für Missbraucher
ES-M-Teil A = Teil A der Empathieskala für Missbraucher (erfasst, wie sich der Befragte in die Lage
des Kindes hineinversetzen kann)
ES-M-Teil B = Teil B der Empathieskala für Missbraucher (erfasst die Sichtweisen des Befragten)
b
c
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Tab. 2 Zusammenhänge zwischen der KV-M-Skala und Maßen konstruktferner Variablen (divergente Validität) in den Teilstichproben der Studie 1
Missbraucher
(n = 33)
Vergewaltiger
(n = 15)
Kontrollgruppe
(n = 23)
r
p
r
p
r
MCDS-Skala (soz. Erwünschtheit)
0,20
0,26
– 0,09
0,74
– 0,03
0,90
BSI – Somatisierung
0,17
0,34
0,18
0,51
0,11
0,63
BSI – Zwanghaftigkeit
0,01
0,98
0,04
0,89
0,09
0,70
p
BSI – Unsicherheit im Sozialkontakt
0,02
0,92
0,25
0,37
– 0,29
0,19
BSI – Depressivität
0,06
0,74
– 0,06
0,82
0,04
0,86
BSI – Ängstlichkeit
0,16
0,38
0,02
0,95
0,07
0,77
BSI – Aggressivität / Feindseligkeit
0,08
0,68
0,07
0,81
0,03
0,72
BSI – phobische Angst
0,06
0,73
0,18
0,52
– 0,15
0,49
BSI – paranoides Denken
0,09
0,63
0,01
0,98
– 0,02
0,92
BSI – Psychotizismus
0,15
0,41
0,01
0,96
0,14
0,52
BSI – GSI
0,09
0,64
0,07
0,80
0,04
0,86
Abkürzungen:
MCDS = Marlowe Crowne Social Desirability Scale
BSI = Brief Symptom Inventory
GSI = Global Severity Index
Einfluss von Störvariablen
Angesichts der Altersunterschiede zwischen den Gruppen wurde die Variable Alter im Rahmen einer Kovarianzanalyse untersucht. Dabei ergab
sich, dass das Alter als Kovariate keinen signifikanten Einfluss auf die Beziehung zwischen den KV-M-Werten und der Gruppenzuordnung hatte
(F(1;70) = 0,05; p = 0,82). Dementsprechend zeigten sich auch geringe Assoziationen zwischen dem Alter und den KV-M-Werten innerhalb der Gruppen (Missbrauchstäter: r = 0,12, p = 0,51; Vergewaltiger: r = – 0,31,
p = 0,27; Gewaltstraftäter: r = – 0,11, p = 0,63). Hinsichtlich der Variable
Haftzeit zeigte sich in der Gruppe der Missbraucher eine signifikant negative Korrelation zwischen der bisher verbüßten Haftdauer und den Gesamtwerten der KV-M-Skala (r = – 0,43, p = 0,01), gleichgerichtete, aber
nicht signifikante Korrelationen fanden sich innerhalb der Gruppen der
Vergewaltiger (r = – 0,35, p = 0,20) und der Gewaltstraftäter (r = – 0,32,
p = 0,14). In einer Kovarianzanalyse zeigte sich, dass diese Variable einen
hoch signifikanten Einfluss auf die Beziehung zwischen dem Gesamtwert
der KV-M-Skala und der Gruppenzuordnung hatte (F(1;70) = 11,48;
p = 0,001). Partialisiert man den Einfluss der bisherigen Haftzeit aus, bleibt
dennoch der signifikante Zusammenhang zwischen der Gruppenzuordnung und dem KV-M-Testscore bestehen (r = – 0,632, p < 0,001), sodass davon auszugehen ist, dass eine Beziehung zwischen beiden Variablen unabhängig von der Haftzeit besteht.
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Diskussion (Studie 1)
Die hier vorliegenden Daten sprechen für eine gute bis sehr gute psychometrische Qualität der deutschen Version der Molest Scale. Die Itemschwierigkeiten für beide Untersuchungsgruppen liegen im akzeptablen
Bereich. Als im Sinne der Differenzierungsfähigkeit des Verfahrens positiv
erweist sich die Tatsache, dass ausschließlich die Kontrollgruppe (ohne
Vorgeschichte einer Sexualstraftat) bei vielen Items ein vollkommen ablehnendes Antwortmuster zeigt. Bei der Ermittlung der Itemtrennschärfen
ergeben sich für die Gruppe der Missbrauchstäter Werte zwischen 0,30
und 0,79. Für die 10 Items, die Trennschärfen < 0,50 aufweisen, ist aus testtheoretischen Gründen eine Eliminierung aus dem Verfahren nicht zwingend notwendig. Eine Ermittlung der Homogenität der Items für die Missbraucher ergab einen Wert von 0,38, der als gut zu bezeichnen ist. Die
interne Konsistenz der KV-M-Skala erreicht für die Missbrauchstäter, aber
auch für die anderen Stichproben gute bis sehr gute Werte.
Für die Konstruktvalidität spricht, dass die Mittelwerte der Missbrauchergruppe erwartungskonform signifikant und deutlich – in der Größenordnung eines großen Effekts nach Cohen (1988) – höher sind als die
Werte der Gewalttäter und der Vergewaltiger.
Ergebnisse zur konvergenten Validität in der Missbrauchergruppe belegen, dass hohe Werte in der KV-M-Skala mit hohen Werten in den MSISkalen zur Erfassung von kognitiven Verzerrungen und zur Rechtfertigung
kovariieren. Dieser Befund bestätigt, dass das Verfahren tatsächlich kognitive Verzerrungen gegenüber Missbrauchstaten an Kindern erfasst. Ferner
bestätigt sich die Erwartung einer negativen Korrelation zwischen dem
Grad kognitiver Verzerrungen und dem Ausmaß an Empathie gegenüber
Missbrauchsopfern.
Zur divergenten Validität zeigen sich homogene Ergebnisse in allen Teilstichproben. Die Antworten auf der KV-M-Skala werden weder durch
sozial erwünschtes Antwortverhalten noch durch Belastung durch psychische oder körperliche Beschwerden verzerrt.
Studie 2: Unterschiede zwischen Pädophilen und Missbrauchstätern
ohne Pädophile
Im Pfadmodell sexuellen Missbrauchs von Ward und Sorbello (2003) wird
betont, dass unterschiedliche Pfade bzw. Faktoren allein oder in multifaktorieller Verknüpfung sexuelle Missbrauchshandlungen erklären können. Ward und Sorbello (2003) nennen insbesondere Intimitätsdefizite,
deviante sexuelle Skripte, emotionale Dysregulation und antisoziale Kognitionen. Frühere Studien an Sexualdelinquenten haben bereits wiederholt
und auf verschiedenen Datenebenen (Q-Daten, T-Daten) gezeigt, dass es
klinisch sinnvoll ist, zwischen Tätern mit devianten sexuellen Skripten
(mit der Diagnose einer Paraphilie) und solchen mit eher antisozialen oder
impulskontrollgestörten Merkmalen zu unterscheiden (Hoyer et al. 1999;
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Hoyer et al. 2001; Leue et al., 2008). Antisoziale Überzeugungen schließen
zwar häufig abwertende Überzeugungen über Frauen und Kinder ein, eine
pädophile sexuelle Präferenz – so argumentieren jedenfalls Burn und
Brown (2006) – geht demgegenüber jedoch viel stärker mit störungsspezifisch dysfunktionalen Annahmen über interpersonelle und sexuelle Beziehungen zwischen Kindern und Erwachsenen einher. Hieraus lässt sich
die Hypothese ableiten, dass pädophile Missbrauchstäter deutlichere kognitive Verzerrungen aufweisen als Missbrauchstäter, die nicht die diagnostischen Kriterien einer Pädophilie erfüllen. Für beide Gruppen von Missbrauchstätern wurde erwartet, dass sie gegenüber der Kontrollgruppe der
Gewalttäter höhere Werte zeigen. Ziel der folgenden Studie war es, diese
Hypothesen mit der KV-M zu prüfen um so ihre Konstruktvalidität eingehender bewerten zu können.
Daten und Methodik (Studie 2)
Messverfahren
Die Skala zur Erfassung kognitiver Verzerrungen bei Missbrauchern
(KV-M) wurde wie in Studie 1 beschrieben eingesetzt.
Die Screening Scale for Pedophilic Interest (SSPI-Skala, Seto und Lalumiére 2001) ist ein von unserer Gruppe ins Deutsche übersetztes Screeningverfahren, welches Merkmale der Missbrauchsopfer eines Täters erfasst, die zur Zeit des Missbrauchs unter 14 Jahre alt waren. Die vier Items
beinhalten Geschlecht, Alter, Anzahl und Beziehung der Opfer. Hohe Werte
auf dieser Skala sollen für ausgeprägte pädophile Neigungen sprechen.
Neben diesen beiden Skalen wurden weitere Variablen erhoben, die
zwischen Missbrauchern und Pädophilen diskriminieren sollten, u. a. die
Ausprägung eines sexualisierten Copingstils, aggressive Tendenzen, etc.
Für diese Variablen lagen keine a-priori-Hypothesen in Bezug auf ihre Zusammenhänge mit kognitiven Verzerrungen vor und die diesbezüglichen
Ergebnisse wurden an anderer Stelle dargestellt (Borchers 2007).
Stichprobe
Die Rekrutierung der Probanden erfolgte in den Justizvollzugsanstalten
Brandenburg und Cottbus. Die Vorauswahl der Probanden wurde anhand
der Verurteilungsdelikte vorgenommen, geeignete Probanden wurden
schriftlich informiert und zur Teilnahmebereitschaft befragt. Die durchschnittliche Teilnahmequote in beiden Justizvollzugsanstalten lag bei 66 %.
Die Gesamtstichprobe (n = 83) bestand aus n = 18 Personen, die die diagnostischen Kriterien einer Pädophilie erfüllten, n = 34 Missbrauchstätern
ohne pädophile Neigungen und n = 31 Gewalttätern ohne Sexualdelikt in
der Vorgeschichte, welche wiederum die Kontrollgruppe darstellten. Die
pädophilen Sexualstraftäter wiesen einen Altersdurchschnitt von 43,9 Jahren (SD = 13,33) auf, die Gruppe der Missbraucher war im Mittel 43,4
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(SD = 10,65) und die der Gewalttäter 39,4 Jahre (SD = 8,75) alt. Die Altersunterschiede zwischen den Gruppen sind nicht signifikant (F(2,80) = 1,49;
p = 0,23). 50 % der Täter mit pädophilen Neigungen, 48 % der Missbraucher
ohne pädophile Neigungen und 39 % der Gewalttäter hatten einen Realschulabschluss. 44 % der pädophilen Männer, 45 % der Missbraucher und
55 % der Gewaltstraftäter verfügten über einen Haupt- oder Sonderschulabschluss. Die übrigen Täter hatten Abitur oder andere Abschlüsse. Die
Unterschiede in der Schulbildung zwischen den Gruppen sind nicht signifikant (c2(10) = 6,83, p = 0,84). Bezüglich der bisherigen Haftdauer ergaben sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den drei Gruppen
(F(2;81) = 0,41; p = 0,67) (Straftäter mit Pädophilie: 62,62 Monate, SD = 83,23;
Missbrauchstäter ohne pädophile Neigungen: 59,37 Monate, SD = 87,07;
Gruppe der Straftäter ohne Sexualdelikt: 46,06 Monate, SD = 36,47).
Diagnostik und Durchführung
Die Zuweisung zu den Untersuchungsgruppen richtete sich auch in dieser
Studie nach den Verurteilungsdelikten der Probanden. Eine genaue Einordnung in die Gruppe der Missbrauchstäter mit oder ohne Diagnose einer Pädophilie wurde aufgrund der Aktenlage (insbesondere der vorliegenden
Gutachten) nach gegenüber ICD-10 (Weltgesundheitsorganisation 2006)
und DSM-IV (Saß et al. 2003) erweiterten Kriterien für Pädophilie vorgenommen (vgl. Hoyer et al. 1999; Leue et al. 2004). Täter, die ein Missbrauchsdelikt begangen hatten und die diagnostischen Kriterien einer Pädophilie erfüllten, wurden der Gruppe der Pädophilen zugewiesen; Täter
mit Verurteilungen in der gleichen Deliktklasse, die die diagnostischen Kriterien nicht erfüllten, zählten zur Gruppe der Missbrauchstäter.
Die Untersuchungen wurden im Einzelkontakt durchgeführt und die
Testverfahren in im Beisein des Versuchsleiters ausgefüllt.
Ergebnisse (Studie 2)
Interne Konsistenz. Cronbach’s a lag für die Originalversion (38 Items) für
die Gruppe der pädophilen Straftäter bei a = 0,95 und für die Gruppe der
Missbrauchstäter bei a = 0,93.
Kognitive Verzerrungen und pädophile Neigungen. Die Korrelation zwischen dem Gesamtwert auf der KV-M-Skala und dem Gesamtwert des
Screenings für pädophile Neigungen (SSPI) war nicht signifikant (r = 0,21;
p = 0,15).
Diskriminante Validität. Im Screening für pädophile Neigungen (SSPI)
zeigten die pädophilen Probanden einen signifikant höheren (T(48) = 5,705,
p < 0,001) Durchschnittswert von 3,83 (SD = 1,10) im Vergleich zur Gruppe
der Missbraucher (M = 1,81; SD = 1,26). Dieses Ergebnis bestätigt die Zuordnung der Probanden zu den Gruppen.
In den Summenwerten über alle Items der KV-M-Skala zeigten die pädophilen Männer den höchsten Mittelwert mit 75,56 (SD = 20,85), die Werte
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der Missbraucher lagen im Schnitt etwas tiefer (M = 68,97; SD = 17,30). Wie
schon in der ersten Studien zeigten die Gewaltstraftäter mit 43,97
(SD = 8,12) das kleinste Mittel. Die Mittelwertsunterschiede zwischen den
Gruppen sind hoch signifikant (F(2, 78) = 31,04, p < 0,001). Signifikante Einzelunterschiede (Scheffé-Test) ergeben sich zwischen der Gruppe der Pädophilen und der Gruppe der Gewaltstraftäter (p < 0,001) und zwischen der Gruppe der Missbraucher und der Gruppe der Gewaltstraftäter (p < 0,001), nicht
jedoch zwischen der Gruppe der Missbraucher und der Gruppe der Pädophilen (p = 0,60). Die Effektstärken zwischen der Gruppe der Gewaltstraftäter
und der Gruppe mit pädophilen Neigungen liegt bei d = 2,00 und zwischen
den Gewalttätern und den Missbrauchern bei d = 1,85.
Um die Post-hoc-Interpretation zu prüfen, dass Missbrauchstäter mit
bzw. ohne Vorliegen der Diagnose einer Pädophilie jeweils unterschiedliche kognitive Verzerrungen zeigen, ohne sich im Gruppenmittelwert zu
unterscheiden, wurden für diese beiden Stichproben Unterschiedstest auf
Itemebene durchgeführt. Es zeigte sich bei einigen Items der KV-M-Skala
signifikant verschiedene Antwortmuster in beiden Gruppen. Pädophile
Studienteilnehmer haben signifikant höhere Werte in den Items 2, 5, 10,
12 und 22. Sie stimmen also signifikant häufiger (p < 0,05) folgenden Items
zu: „Kinder genießen den Missbrauch und er schadet ihnen nicht“, „Kinder
sind neugierig auf Sex und genießen ihn“, „Kindern schadet Streicheln weniger als Geschlechtsverkehr“, „Sexuelle Handlungen helfen Kindern etwas
über Sex zu lernen“ und „Manche Männer wollen, dass sich das Kind während des Missbrauchs wohl fühlt“.
Diskussion (Studie 2)
Die hier vorgestellten Ergebnisse replizieren die positiven psychometrischen Befunde aus Studie 1. Bei guter bis sehr guter Reliabilität, zeigen sich
bei Missbrauchstätern hoch signifikant höhere Werte in der KV-M als bei
Gewalttätern ohne Sexualdelikt in der Vorgeschichte.
Untereinander unterscheiden sich die hier untersuchten Subgruppen
von Missbrauchstätern (mit und ohne Pädophilie) im Ausmaß kognitiver
Verzerrungen jedoch nicht. Dieser Befund wird dadurch unterstrichen,
dass ein Maß für pädophile Neigungen (SSPI) nicht mit dem Maß für kognitive Verzerrungen korreliert. Anders ausgedrückt: Missbrauchstäter
unterscheiden sich von anderen Gewalttätern hinsichtlich ihrer Einstellungen zur Sexualität mit Kindern – dies scheint jedoch weitgehend unabhängig von der Frage zu sein, ob die diagnostischen Kriterien für eine
Pädophilie erfüllt werden. Einer der Gründe dafür könnte darin liegen,
dass beide Teilgruppen Kinder sexuell missbraucht haben und damit, konsistenztheoretisch betrachtet, gleichermaßen ein Motiv haben, solche
Taten zu relativieren. Analysen auf Itemebene zeigen andererseits, dass
Straftäter mit klaren pädophilen Neigungen gegenüber jenen ohne pädophile Neigungen eine signifikant stärkere Tendenz zu Bejahung von fünf
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Items der KV-M aufweisen. Hierbei handelt es sich um Aussagen zur Bagatellisierung von Kindesmissbrauch, die u. a. beinhalten, dass Missbrauch
für Kinder nicht schädlich, sondern angenehm sei, der Kontakt zu Erwachsenen eine Form der sexuellen Aufklärung sei und das Streicheln den Kindern weniger schade als Geschlechtsverkehr.
Insgesamt lassen sich aus der Studie 2 weitere Belege für die diskriminante Validität der KV-M ableiten.
Integrierende Diskussion
Die hier vorgestellten Ergebnisse unterstützen den Einsatz der KV-M-Skala
in der Forschung: Die Ergebnisse der Itemanalyse sprechen für eine gute
psychometrische Qualität und die Reliabilitätsbestimmungen liefern
durchgehend hohe bis sehr hohe Werte. Die Befunde zur Konstruktvalidität verdeutlichen, dass die Skala erwartungskonform starke positive Zusammenhänge mit Maßen konstruktnaher Variablen aufweist. Ebenfalls
lies sich bestätigen, dass Missbrauchstäter in allen Vergleichen auch bei
Kontrolle der Störvariable Alter höhere Werte als Gewalttäter aufweisen.
Damit misst die Skala offensichtlich nicht nur Einstellungen, wie sie für Inhaftierte allgemein typisch sind, sondern sie erfasst, ganz gemäß ihrer
Messintention, spezifisch mit Kindesmissbrauch assoziierte Einstellungen.
Die Befunde zur divergenten Validität belegen darüber hinaus, dass diese
Einstellungen in keiner der Teilstichproben mit sozial erwünschtem Antwortverhalten zusammenhängen oder als Ausdruck psychopathologischer
Symptome verstanden werden müssen. Das Nebenkriterium der Handhabbarkeit kann ebenfalls als gut beurteilt werden, da die Skala in Straftäterstichproben ohne Probleme einsetzbar war.
Methodische Einschränkungen sollten allerdings nicht übersehen werden. Zwar hat sich die Skala in zwei unabhängigen Studien bewährt, aber
es ist zu berücksichtigen, dass es sich hierbei jeweils um Stichproben inhaftierter und (psychotherapeutisch) unbehandelter Missbrauchstäter
handelte. Die psychometrischen Ergebnisse könnten somit weniger günstig ausfallen, wenn nicht inhaftierte Missbrauchstäter oder solche in anderen Settings (zum Beispiel im Maßregelvollzug) untersucht werden. Gerade wenn der Einsatz in einem therapeutische Milieu erfolgt, könnte die
Tendenz zu sozial erwünschten Antworten höher sein und anders als in
den vorliegenden Studien das Antwortverhalten verzerren. Die von uns gewählte Strategie, die Täter ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass die Datenerhebung vollständig anonym ist, hat offensichtlich, ähnlich wie bei
Kunst und Hoyer (2003), valide Ergebnisse begünstigt. Dass die hier gefundenen Ergebnisse damit keineswegs auf eine individualdiagnostische Anwendung übertragbar sind, versteht sich von selbst. Es bleibt gleichzeitig
offen, inwieweit das Verfahren für Zwecke der Therapieevaluation (Hoyer
und Uhmann 2008) nutzbar wäre, zumal eine Untersuchung zur RetestReliabilität und Änderungssensitivität der KV-M noch aussteht.
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Auch auf der konzeptuellen Ebene gibt es Aspekte, die nicht vollständig
überzeugen. Die Skala wurde relativ theoriefrei entwickelt. Konzeptionen,
wie die von Ward (2000), die verschiedene Ebenen von Kognitionen im
Kontext sexuellen Missbrauchs unterscheidet, lagen zum Zeitpunkt der
Entwicklung des Verfahrens noch nicht vor. Deshalb gibt die Skala offensichtlich nur relativ global Auskunft über relevante verzerrte Kognitionen;
sie vermag, so zeigt Studie 2, nicht überzeugend zwischen Subgruppen von
Sexualdelinquenten zu unterscheiden. Gegenwärtig ist aber nicht sicher zu
bestimmen, inwieweit dies durch die problematischen Kriterien und die
möglicherweise unzureichende Validität der Diagnose Pädophilie bedingt
ist. Neuere Ergebnisse von Kingston et al. (2007) sprechen eher gegen einen Erklärungswert der Diagnose Pädophilie innerhalb der Gruppe der
Missbrauchstäter.
Insgesamt handelt es sich um ein einfaches und gut handhabbares Verfahren, dass zur Untersuchung von Straftäterpopulationen und zur Beschreibung missbrauchsrelevanter Kognitionen gut geeignet ist. Die hier
vorgelegten Stichprobenkennwerte bieten sich zudem für die vergleichende Interpretation von Befunden an.
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Prof. Dr. Jürgen Hoyer
TU Dresden · Klinische Psychologie und Psychotherapie
Hohe Str. 53
01187 Dresden
[email protected]
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