Fernsehprogramm zwischen Qualität und Quote

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Fernsehprogramm zwischen Qualität und Quote
B 12335 F
Heft 1/ 2008
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Bayerischen
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Landeszentrale
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Medien
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Fernsehprogramm
zwischen Qualität und Quote
Der TV-Alltag entscheidet über den
Sendererfolg
Qualitätskriterien im
Unterhaltungsfernsehen
Druck auf die Werbedollars
Sender, TV-Kritik und Zuschauer
Wachhund Meinung, wenn
haben unterschiedliche Maßstäbe
das Fernsehen zu weit geht
In den USA macht ein Medien-
D e r T V-A l l t a g e n t s c h e i d e t ü b e r d e n S e n d e r e r f o l g
Fernsehprogramm zwis
Das TV-Angebot wächst. Die Zuschauer lassen sich nicht mehr so leicht in Zielgruppen einteilen. Filmisch hochwertige Programme sind keine Garantie für den
breiten Zuspruch des TV-Publikums. Aber nicht nur Publikumswünsche machen eine
Qualitätsdebatte schwierig.
»Der Wurm muss dem Fisch schme-
hundert ausländische Fernsehmärkte
Kinoqualität folgen. Wenige Jahre
cken, nicht dem Angler«, hatte Helmut
verkauft werden. Um solche interna-
später war das Erfolgsprinzip aber be-
Thoma 1990 erklärt. »Qualität ist für
tionalen Zweitverwertungen sicherzu-
reits zum Erzählmuster verkommen:
uns Quote«, sagt Guillaume de Posch
stellen, muss freilich bereits in der
In der Fernsehsaison 2005 / 6 strahlten
dieser Tage. Eine Fernsehära, eine
Buchentwicklung und beim Casting
RTL, Sat.1 und das ZDF kurz hinter-
Wirtschaftskrise und eine digitale Re-
penibel darauf geachtet werden, dass
einander drei Teamworx-Produktionen
volution liegen zwischen den beiden
das fertige Produkt am Ende nicht allzu
aus, bei denen jeweils vor historischer
Äußerungen. Und doch meinen der
»deutsch« aussieht. Was für die kom-
Kulisse kitschige Dreiecksromanzen
damalige RTL-Boss und der derzeitige
merzielle Kosten-Nutzen-Rechnung
inszeniert wurden. Zwar erzielten auch
ProSiebenSat.1-Chef letztlich immer
gilt, stimmt längst auch für das öffent-
»Die Sturmflut«, »Die Luftbrücke« und
noch das Gleiche: Eine Qualitätsdebat-
lich-rechtliche Fernsehen: Aufwändige
»Dresden« Millionenquoten. Zugleich
te jenseits von Publikumswünschen
Historiendramen wie »Dresden« oder
löste der Teamworx-Hattrick aber eine
und Shareholder-Interessen kann sich
»Die Flucht« wären ohne den Auslands-
Diskussion über den adäquaten Um-
das Privatfernsehen nicht leisten. Oder
markt kaum refinanzierbar.
gang mit historischen Stoffen aus. Wie
etwa doch?
Die Produktionsfirma Teamworx
weit, so fragen sich die Historiker, darf
machte der Branche 2001 vor, wie
sich das Fernsehen um der Einschalt-
markt in den letzten Jahren in rasan-
man »weltmarktfähig« (Teamworx-Chef
quote willen von der historischen Wahr-
tem Tempo segmentiert und speziali-
Nico Hofmann) produziert und dabei
heit entfernen. Als das Produktions-
siert hat, macht es sicher nicht leichter,
Quote und Qualität selbst für einen
unternehmen Spiegel TV im dctp-
das Binnenverhältnis von Quote und
renditeorientierten Privatsender in Ein-
Kiosk nach der Sat.1-Eventproduktion
Qualität zu bestimmen. So kann es aus
klang bringt. Das von Regisseur Roland
»Der geheimnisvolle Schatz von Troja«
ökonomischer Sicht durchaus heute
Suso Richter inszenierte Sat.1-Mauer-
eine Dokumentation über den Archäo-
Sinn machen, für das vergleichsweise
drama »Der Tunnel« hatte einen für
logen Heinrich Schliemann ausstrahlte,
überschaubare Zielgruppenpublikum
damalige Verhältnisse sensationellen
musste dem Publikum zunächst klar
von ProSieben hochwertige und also
Schauwert. Andere Produzenten ließen
gemacht werden, wie wenig die
extrem kostenintensive Katastrophen-
mit »Das Wunder von Lengede« oder
Geschichte des »echten« Schliemann
filme wie »Tornado«, »Tsunami« oder
»Der Untergang«, der schon beim Dreh
»Das Inferno« herzustellen – voraus-
für die Großleinwand zur Weiterver-
gesetzt diese können dann wie in den
wertung im Fernsehen produziert wur-
oben genannten Fällen in mehr als
de, bald ähnliche Geschichtsstücke in
Dass sich der deutsche Fernseh-
chen Qualität und Quote
mit dem Indiana-Jones-Abenteurer
chen. Um der öffentlich-rechtlichen
man wieder näher ran ans (weibliche)
aus dem Sat.1-Film gemein hatte.
Verpflichtung zum gesellschaftlichen
Publikum. »Passt dieser Stoff, dieser
Diskurs dennoch nachzukommen, imple-
Regisseur, diese Hauptdarstellerin wirk-
rechtliche wie private – brauchen in
mentieren ARD und ZDF die »Problem-
lich zu uns?«, will sich Szezinski bei der
regelmäßigen Abständen millionen-
themen« in aller Regel in einer populä-
Durchsicht der neuen Skripte gefragt
schwere Leuchtturm-Produktionen, um
ren Krimireihe oder einem Genrethriller.
haben. Konsequenter denn je setzt der
Alle Programmanbieter – öffentlich-
auf sich aufmerksam zu machen. Aber
über den Sendererfolg entscheidet letztlich der TV-Alltag. »Wir verfügen über
Sat.1-Produktionen peilten zu oft Wenigseher an
Sender 2008 auf den von Marketingfachleuten ermittelten »Unique Selling
Point«, das Alleinstellungsmerkmal: Mit
probate Rezepte, um unser Stamm-
Das versiert konstruierte Genrestück ist
einer klaren auf frauenaffine Stoffe aus-
publikum zu erreichen«, gibt ZDF-Fern-
allerorten zum gut gepflegten Quoten-
gerichteten Strategie und einer Handvoll
sehspiel-Chef Hans Janke unumwun-
garanten avanciert. So konsequent wie
hauseigener »Quoten-Gesichter« wie
den zu und nennt mit »Traumschiff«,
kein anderer Sender setzt derzeit der
Sophie Schütt, Christoph M. Ohrt oder
»Rosamunde Pilcher« und »Wilsberg«
Berliner Privatsender Sat.1 auf Populä-
Alexandra Neldel will man mit dem
oder »Stubbe« die entsprechenden
res: Um der anhaltenden Senderkrise
»Großen Sat.1 Film« die Quotenerfolge
Chiffren. Im Dutzend grundversorgt der
endlich zu entkommen – Ende 2007
aus der Vergangenheit in die Zukunft
Mainzer Sender sein älteres und wenig
war der Marktanteil von Sat.1 mit 10,6
fortschreiben. »Im Seichten kann man
experimentierfreudiges Publikum mit
Prozent bei den 14- bis 49-Jährigen auf
nicht ertrinken«, provozierte Helmut
dieser wenig innovativen Programm-
einem historischen Tiefstand angekom-
Thoma einst seine Kritiker. Heute kann
ware. »Wenn man originell und interes-
men –, optimierte die Programmdirek-
man immerhin mit einem ästhetisch zu
sant sein will«, so Janke, »riskiert man
tion alle anstehenden TV-Movie-Projek-
dürftigen Programm baden gehen: Beim
sofort die Reichweite, ohne dabei das
te im Hinblick auf ihre Verträglichkeit
ZDF weiß man, dass das Publikum in-
junge Publikum zu erreichen.« Gesell-
mit der Sat.1-Kernzielgruppe: Frauen
haltlich viel Schlichtes akzeptiert, wenn
schaftsrelevante Themen seien beim
zwischen 29 und 49 Jahren. Bisher
es nur gut aussieht. »Umgekehrt«, so
ZDF gerade noch quotensicher genug,
habe der Sender mit seinen Eigenpro-
Hans Janke, »funktioniert das nicht.«
um sie überhaupt realisieren zu können.
duktionen zu oft »Leute anvisiert, die
Aber das »ungemütliche«, weil sozial-
kaum Fernsehen gucken«, gibt Volker
produktion scheint die Kluft, die sich
kritische Fernsehspiel ist schnell nicht
Szezinski, Leiter der Sat.1-Programm-
zwischen dem
mehr behaglich genug, um mehr als
planung, zu. Künftig will
vier Millionen Zuschauer zu errei-
Vor allem im Bereich der Serien-
Hans Janke, Leiter Fernsehspiel beim
ZDF, sagt: »Wenn man originell und interessant sein will, riskiert man sofort die
Reichweite, ohne dabei das junge Publikum zu erreichen.«
Anspruch der Kreativen und dem
auf sein Publikum zugehen, muss
Geschmack der Zuschauer aufgetan
es sich zwangsläufig von der gesell-
hat, inzwischen unüberbrückbar groß.
schaftlichen Wirklichkeit entfernen.
Mit durchschnittlich 5,6 Millionen Zuschauern in der Gesamtbevölkerung
ist die betulich eskapistische Hospital-
Help-TV-Formate
sind Gratwanderung
serie »In aller Freundschaft« im ARD-
Interessanterweise hat sich im Bereich
Programm in absoluten Zahlen immer
der non-fiktionalen Fernsehunterhal-
noch erfolgreicher als die sperrige
tung zeitgleich der entgegengesetzte
US-Kultserie »Dr. House« bei RTL. Im
Mechanismus etabliert: Begonnen hat
letzten Jahr scheiterten viele deutsche
alles vor vier Jahren, als RTL die Mün-
Qualitätsserien an mangelndem Publi-
chner Produktionsfirma Tresor TV be-
kumszuspruch: Die RTL-Serien »Die
auftragte, eine deutsche Adaption des
Anwälte« und »Herzog« wurden nach
britischen Coaching-Formats »Super-
nur einer beziehungsweise drei Folgen
nanny« zu erarbeiten. Mit der Diplom-
abgesetzt. Sat.1 stoppte »Deadline«
Pädagogin Katja Saalfrank entwickelte
nach neun Sendeterminen, als der
RTL binnen kurzem eine televisionäre
Marktanteil in der Zielgruppe der 14-
Erziehungsberatung, in der »echte«
bis 49-Jährigen auf 6,6 Prozent abge-
pädagogische Problemfälle vor einem
sunken war. Ein Jahr zuvor waren die
Millionenpublikum gelöst werden. Für
teuer gemachten Prestigeproduktionen
die Teilnahme an der Dokutainment-
»Bis in die Spitzen« und »Blackout«
Show »Die Super Nanny« zahlt die
grandios gefloppt. Die ARD stellte
Produktionsfirma jeder Familie eine
»Elvis und der Kommissar« und »Ein Fall
Aufwandsentschädigung von 2000
für die Diskussion, wie viel wir zeigen
für Nadja« ein, das Zweite »schenkte«
Euro. Dafür lassen sich die Mitwirken-
dürfen«, erklärt RTL-Unterhaltungschef
den High-End-Serien »KDD – Kriminal-
den zwei Wochen lang dabei beobach-
Tom Sänger, hält aber mit dem Argu-
dauerdienst« und »Dr. Martin« zweite
ten, wie Familienhelferin Saalfrank mit
ment dagegen, die Verhältnisse vor Ort
Staffeln, obwohl die Quoten in beiden
ihnen an ihren pädagogischen Defiziten
nicht zu zeigen, bedeute letztlich, vor
Fällen eher unbefriedigend gewesen
arbeitet. Im Kern funktioniert die Super-
der Realität die Augen zu verschließen.
waren. Lediglich RTL konnte mit der
Nanny wie die Vorher-Nachher-Shows
Nicht zuletzt weil die familiären Pro-
Pathologenserie »Post Mortem« einen
»Einsatz in vier Wänden« oder »Woh-
bleme nach Sängers Beobachtung in
erfolgreichen Neustart verzeichnen.
nen nach Wunsch« – nur, dass es hier
den letzten Jahren zugenommen haben,
Noch mehr Quote macht der Sender
nicht um verwahrloste Wohnungen,
räumte RTL diesen sozial relevanten
aber mit den amerikanischen Origina-
sondern um ungezogene Kinder geht.
Themen mehr und mehr Sendezeit ein.
len »CSI Miami« und »CSI – Den Tätern
Wenn Saalfrank »Monster in Muster-
auf der Spur«.
kinder« verwandelt, wie es die Presse
an die Super-Nanny der Berliner Schul-
ausdrückt, sehen dabei regelmäßig
denberater Peter Zwegat auf Sendung.
fünf bis sechs Millionen Menschen zu.
Auch dieses, von der Kölner Firma
Ob Historienepos oder Serienkrimi,
ob frauenaffines Privatfernsehen oder
Im letzten Jahr ging im Anschluss
bildungsbürgerliches Gebühren-TV –
Der unerwartet große Quotenerfolg
Probono produzierte Coaching-Format
eines zeigt die Branchenentwicklung
zog bald diverse Me-Too-Projekte nach
»Raus aus den Schulden« ist eine stän-
der letzten Jahre überdeutlich: Das
sich, rief aber auch die Kritiker auf
dige Gratwanderung. Wer sich von
Publikum meidet widerständige Pro-
den Plan: Bereits nach Ausstrahlung
Zwegat helfen lässt, muss anschließend
grammangebote längst nicht mehr
der zweiten Folge kritisierte der Kinder-
damit leben, dass ihm halb Fernseh-
nur im Nachmittagsprogramm. Auch
schutzbund, die Darstellung hilfloser
deutschland ins Portemonnaie geschaut
in den filmisch hochwertigen Qualitäts-
Eltern und tobender Kinder in der
hat. Zudem macht der Schuldenberater
programmen der Primetime gilt in-
Super-Nanny sei »in besonderer Weise
seinen Klienten vor laufender Kamera
zwischen: Will das Erzählfernsehen
entwürdigend«. Er habe »Verständnis
unmissverständlich klar, dass sie sofort
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TENDENZ 1
2008
T I T E LT H E M A
Tom Sänger, Bereichsleiter Unterhaltung
ihre Konsumgewohnheiten
Show & Daytime bei RTL Television,
ändern müssen. Handy-
steht hinter seinem TV-Coaching-Konzept:
vertrag kündigen, Auto ab-
»Hohe Quote heißt in diesem Fall ja auch,
melden, Plasmabildschirm
dass sich viele Menschen für ein Problem
verkaufen: Zwegats Heils-
interessieren.«
botschaft ist mit dem werbefinanzierten Fernsehen letzt-
tung für Straßenkids untergebracht,
ohne Folgen für unsere Gesellschaft« sein
lich nur schwer vereinbar.
wo der Jugendliche den Plan fasste,
könne und forderte RTL-Geschäftsführerin
Super-Nanny Katja Saalfrank
seinen Hauptschulabschluss nachzu-
Anke Schäferkordt auf, »mit der Multipli-
hatte sich in der Anfangszeit
machen. Kurz vor seinem 18. Geburts-
katorenrolle ihres Senders verantwor-
schon mal darüber beklagt,
tag wurde David tot in seiner Woh-
tungsvoller umzugehen«. Derart mit öffent-
dass keines ihrer Beratungs-
nung aufgefunden, die Polizei geht
licher Aufmerksamkeit gesegnet, gelang
gespräche, in denen sie den
von Suizid aus. Nun lebt der »Fernseh-
der Castingshow dann ein besonders guter
exzessiven Fernsehkonsum
star« David im Internet weiter: Die
Start: Insgesamt schalteten 6,2 Millionen
der Familie kritisierte, je den
Homepage, die seine Mutter für ihren
Zuschauer ein. In der jungen Zielgruppe
Weg in die Sendefassung fand.
toten Sohn einrichtete, zählt mehr als
(14 bis 29 Jahre) registrierten Bohlen und
13 000 Klicks.
seine Kritiker einen Marktanteil von be-
Seit RTL mit dem Streetworker Thomas Sonnenburg (»Die
Auch die junge Alkoholikerin Jenny
Ausreißer«) und der Familien-
ist seit »ihrer« Sendung eine lokale Be-
therapeutin Annegret Fischer
rühmtheit geworden. Wurde sie früher
Noble (»Teenager außer Kontrol-
von Passanten häufiger getreten, kann
le«) noch zwei weitere Einzelfall-
sie sich nun »beim Schnorren im Mc-
helfer engagiert hat, spricht die
Donalds vor Cheeseburgern kaum noch
Presse anerkennend vom »Sozial-
retten«, wie TV-Streetworker Sonnen-
staatsfernsehen allererster Güte«
burg die Wirkmacht seiner Sendung
(Spiegel). RTL-Unterhaltungschef
recht plastisch beschreibt. Was wäre
Sänger weist den damit formu-
das Sozialstaatsfernsehen ohne Ein-
lierten Anspruch zurück: »Soziale
schaltquote? »Ich finde es aufrichtig,
Relevanz ist eine grundlegende
was wir da tun«, verteidigt TV-Manager
Kategorie in unserem Programm.
Sänger sein TV-Coaching-Konzept.
Wir greifen gesellschaftlich relevante
»Hohe Quote heißt in diesem Fall ja
Themen auf und gehen dabei im Ein-
auch, dass sich viele Menschen für ein
zelfall sehr nah ran. Wir gehen diesen
Problem interessieren.«
Weg gemeinsam mit kompetenten
merkenswerten 45,1 Prozent.
Bevor sich die RTL-Zuschauer für die
Experten wie Frau Saalfrank oder Herrn
Probleme jugendlicher Ausreißer interes-
Sonnenburg. Es irritiert mich ein we-
sierten, haben sie sich freilich für die
nig, wenn man von uns als Fernseh-
vielen Hoffnungsvollen und Unbegabten
sender deshalb gleich erwartet, die so-
interessiert, die sich vergeblich bei der
ziale Verantwortung für gesellschaft-
RTL-Castingshow »Deutschland sucht
liche Missstände zu schultern.«
den Superstar« (DSDS) bewarben. Mehr
Zumindest im Einzelfall des 17-jäh-
als je zuvor war das Format zum Staffel-
rigen Davids könnte da aber schon ein
start im letzten Jahr in die Kritik geraten.
direkter Zusammenhang bestehen: Der
Mit abfälligen Bemerkungen gegenüber
Jugendliche war der erste gewesen,
den jungen Bewerbern wie »Wisst ihr, was
dessen Schicksal der Streetworker Tho-
der Unterschied zwischen euch und einem
mas Sonnenburg in dem neuen RTL-
Eimer Scheiße ist? Der Eimer«, hatte DSDS-
Format »Die Ausreißer« vorgestellt hat-
Juror Dieter Bohlen den Jugendmedien-
te. In 45 Minuten zeigte die Dokusoap
schutz auf den Plan gerufen. Der evangeli-
eine Entwicklung, die sich in Wahrheit
sche Bischof Wolfgang Huber warf dem
über Monate hinweg erstreckt hatte:
Pop-Produzenten »Verletzung der Menschen-
Sonnenburg hatte David in Hamburg
würde« vor. Der Deutsche Kulturrat prophe-
auf der Straße kennen gelernt und in
zeite anlässlich der aktuellen Staffel, dass
Berlin in einer pädagogischen Einrich-
»diese Form medialer Massenverrohung nicht
7
TENDENZ 1
2008
T I T E LT H E M A
Sehdauer von ARD, ZDF, ARD III, RTL,
Sat.1 und ProSieben nach Bildung
überziehen, ihn lächerlich zu
TV« noch ein klar umrissenes
machen und dies als gesell-
Programmfeld, das in seiner Bereit-
schaftlich gewollt darzustellen.
schaft zum Tabubruch von der soft-
Was bei DSDS gezeigt wird, ist
pornografischen Busenshow »Tutti-
eine rücksichtslose Selektion
Frutti« bis zum jugendgefährdenden
von Bewerbern, die im Alltag
Konfrotalk reichte und von den Auf-
unüblich ist. Es ist also keines-
sichtsbehörden auf die Kriterien des
wegs so, dass hier übervorsich-
Rundfunkstaatsvertrages hin geprüft
30
tige Medienwächter das Fern-
werden konnte.
20
sehprogramm beschneiden
10
wollen.« Ausschlaggebend bei
angebote sind nun in viele Richtungen
der Beurteilung der KJM war,
hin deutungsoffen, auch das Millio-
70
dass es bei DSDS nicht nur um
nenpublikum, das sie einschaltet, ist
60
singuläre Entgleisungen einer
nicht so leicht ausrechenbar wie bisher
50
Einzelperson geht, sondern um
gedacht. Die langjährige Annahme,
40
eine bewusste Inszenierung
das Privatfernsehen bediene mit seinen
30
durch RTL. Außerdem kritisier-
oft geschmacklosen Unterhaltungs-
20
te die KJM, dass der TV-Sender
programmen vor allem bildungsferne
10
trotz wiederholter Aufforde-
Schichten, während die gut gebildeten
0
rungen das Format nicht vor
Mittelschichtzuschauer in die öffentlich-
der Ausstrahlung der Freiwilli-
rechtliche Röhre gucken, ist seit dem
gen Selbstkontrolle Fernsehen
letzten Jahr endgültig wissenschaftlich
zur Prüfung vorgelegt hatte.
widerlegt. In ihrer Langzeituntersu-
40
»Fünf Jahre KJM haben ge-
chung kommen die Medienwissenschaf-
30
zeigt, dass sich das Modell der
tler Jörg Hagenah und Heiner Meu-
20
Ko-Regulierung zwar bewährt
lemann zu einem eindeutigen Ergebnis:
10
hat, die Selbstkontrolle aber nur
Das »Unterschichtfernsehen« gibt es
dann wirksam ist, wenn ord-
nicht. Vielmehr sehen letztlich alle alles
nungspolitische Steuerungs-
– und sei es nur, um am nächsten Tag
instrumente zur Verfügung ste-
bei der Arbeit mitreden zu können. Ein-
hen«, betont Ring.
zige Ausnahme ist ProSieben, dem die
von 1988 bis 2007 pro Tag in Minuten
0 1 2 3 4 5 6 7
88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 00 00 00 00 00 00 00 00
19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 2 2 2 2 2 2 2 2
Sehdauer in Minuten / Tag
70
60
Personen mit Abitur /Hochschulstudium
50
40
Sehdauer in Minuten / Tag
0
Personen mit mittlerer Reife
Sehdauer in Minuten / Tag
70
60
Personen mit Hauptschulabschluss
50
0
0 1 2 3 4 5 6 7
88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 00 00 00 00 00 00 00 00
19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 2 2 2 2 2 2 2 2
ARD
ZDF
ARD III
RTL
Sat.1
ProSieben
Geschmacksfragen sollen
Und nicht nur die neuen Fernseh-
Forscher aufgrund einer leichten Zunah-
seiner Auffassung nach nicht
me der Abiturienten im Publikum eine
(2007) AGF/ GfK Fernsehforschung, pc#tv, Fernsehpanel (D),
unter dem Thema »Senkung
»schwache Bewegung vom Unter-
BRD gesamt ab 1.1. 2003, Erwachsene ab 14 Jahre, die Jahre
von Jugendschutzstandards«
schichtsender zum Oberschichtsender«
2005 bis 2007 ergänzt durch BLM
behandelt werden: Jugend-
bescheinigen. Die meisten Zuschauer
medienschutz und Programm-
haben sich aber ein »duales Nutzungs-
Quelle: Hagenah J. / Meulemann H.: Unterschichtfernsehen ?
Die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) verhängte gegen RTL
ein Bußgeld in Höhe von 100 000 Euro.
Begründung: Bei der Ausstrahlung im
Tagesprogramm kommt es aufgrund
qualität müssten unbedingt differen-
verhalten« angewöhnt: Man informiert
ziert betrachtet werden.
sich bei ARD, ZDF oder den Dritten und
Heutiges Fernsehen
nicht mehr trennscharf
entspannt bei den Privaten. Auch deshalb schalten alle alle Programme ein.
Allein die Sehdauer ist tatsächlich über
der Inszenierung durch RTL zu einer
Ob Familienzwist in der Super-Nanny
die Jahre hinweg bildungsspezifisch
Entwicklungsbeeinträchtigung von
oder Catwalk-Dramen bei »Germany’s
messbar unterschiedlich. Ansonsten
Kindern unter 12 Jahren. »Antisoziales
Next Topmodel«, ob Lebenshelfer Bruce
teilen sich die Sender mit nicht weit
Verhalten einer vermeintlichen Identifi-
Darnell in der ARD oder Dschungel-Dar-
auseinander liegenden Anteilen und mit
kationsfigur wird als Normalität darge-
ling Bata Illic bei RTL – die Grenzen zwi-
von Bildungsgruppe zu Bildungsgruppe
stellt. Das wirkt Erziehungszielen wie
schen U und E, zwischen bitterem Ernst
nur leicht variierender Rangfolge den
Toleranz und Respekt entgegen und
und postmoderner Unterhaltung, sind
Markt: Während Zuschauer mit Abitur
wirkt desorientierend auf Kinder«, er-
im modernen Zielgruppen-Fernsehen
oder Hochschulstudium länger öffent-
klärt der KJM-Vorsitzende Wolf-Dieter
längst nicht mehr so trennscharf auszu-
lich-rechtlich fernsehen, liegen bei
Ring. »Es ist alles andere als normal,
machen wie zu Helmut Thomas Zeiten.
den Zuschauern mit mittlerer Reife, bis
einen Bewerber mit Schimpfwörtern zu
In den neunziger Jahren war das »Pfui-
auf eine führende Nutzung von RTL,
8
TENDENZ 1
2008
T I T E LT H E M A
Schneider in seinem
Inhalte,
die RTL nicht aus eigenem
FAZ-Papier, passe eine solche Stiftung Medientest viel besser »zu der
die Öffentlich-Rechtlichen täglich nur
Interesse distribuiert, machen im Netz
anschwellenden Mutation von Fern-
knapp vor den Privaten. Beim Publikum
Quote. So war das Video, auf dem
sehinhalten zu Produkten – vor allem
mit Hauptschulabschluss haben ins-
Dschungelcamp-Kandidat DJ Tomekk
dort, wo Fernsehen seine Funktion der
gesamt die öffentlich-rechtlichen Pro-
zu sehen war, wie er den Hitlergruß
Beratung – im guten wie im denkbar
gramme einen deutlichen Vorsprung vor
zeigt und die erste Strophe der deut-
übelsten Sinne – ausübt«.
den privaten, ähnlich wie bei den Abitu-
schen Nationalhymne singt, bei Bild.de
rienten. Das heißt: Bildung ist auch im
abrufbar und wurde an dem Tag, an
Institut wurde bereits beauftragt, eine
Fernsehkonsum nicht alles. Viele andere
dem RTL DJ Tomekk aus der Live-
erste Machbarkeitsstudie für eine Stif-
lebensweltliche Faktoren, so bilanzieren
Sendung warf, zum meistgeklickten
tung Medientest vorzulegen. Gerne
Hagenah und Meulemann, beeinflussen
Bewegtbild des Jahres.
würde die LfM ein stimmiges Konzept
wesentlich deutlicher das Konsumverhalten von TV-Zuschauern. So wird in
Ostdeutschland deutlich mehr fern-
Ein Lösungsansatz:
Stiftung Medientest
Das renommierte Adolf-Grimme-
zum Kölner Medienforum im Sommer
präsentieren. Viele Fragen müssen freilich noch geklärt werden, bevor das
gesehen als im Westen, und auch die
Aber auch das Fernsehen selbst ist in
»hochriskante Unterfangen« (Norbert
individuellen Lebensstile der Zuschauer
seinen (digitalen) Nischen zum Tum-
Schneider) der Öffentlichkeit vorgestellt
sind für ihr Medienverhalten von ent-
melplatz für allerlei dubiose Anbieter
werden kann. Soviel ist für den LfM-
scheidender Bedeutung.
geworden. Die wachsende Vielfalt stellt
Direktor aber schon jetzt klar: »Wir
die Aufsichtsbehörden vor immer grö-
werden an derjenigen Stelle des Pro-
der Zuschauer zu einer Ware gewor-
ßere Herausforderungen, zweifelhafte
gramms anfangen, wo das Fernsehen
den, deren Wert nicht mehr allein auf
Waren und Inhalte zu prüfen. Nachdem
am meisten ›Produkt‹ ist.« Das heißt
dem Fernsehmarkt gehandelt wird.
die Frankfurter Allgemeine Zeitung im
bei den kommerziellen Lebenshilfean-
Auch in diesem Punkt haben sich alte
Sommer 2007 eine ausführliche Repor-
geboten in den Programmnischen wie
Grenzen aufgelöst, seit die TV-Veran-
tage über die »Geschäfte mit der Astro-
Help-TV oder Astro-TV, wo die Zuschau-
stalter ihr Programm als begehrtes »Be-
logie im Fernsehen« druckte, regte
er die angebotenen guten Ratschläge
wegtbild« auf divesen Internetportalen
Norbert Schneider, Direktor der Lan-
mit Telefon-Hotlines teuer erkaufen
wie MyVideo oder YouTube vermarkten.
desanstalt für Medien Nordrhein-West-
müssen.
Mit rund einer Milliarde Videoabrufe ver-
falen (LfM) an, über die Einrichtung
zeichneten die Plattformen von RTL.de,
einer »Stiftung Medientest« nachzu-
schenverachtenden Sprüchen Quote
Vox.de, Clipfish.de und RTLnow.de
denken. Sie solle, so Schneider, »eine
macht, ein Historiendrama um der bes-
zum Beispiel im letzten Jahr eine Stei-
permanente Produktbewertung vor-
seren internationalen Verkäuflichkeit
gerung von 670 Prozent. Die populären
nehmen« und »die Medien mit der
ahistorisch erzählt oder ein populäres
hauseigenen Fernsehproduktionen wie
Frage nach Qualität behelligen«. Be-
Verbrauchermagazin wie »Die Abzocker
»Deutschland sucht den Superstar«
reits 1994 hatte die so genannte Weiz-
– Das sind ihre Tricks« sich zum Teil mit
oder »Ich bin ein Star – Holt mich hier
säcker-Kommission in ihrem Bericht
Telefongewinnspielen zu erhöhten Ein-
raus!« haben dort selbstverständlich
»Zur Lage des Fernsehens« die Grün-
wahlgebühren refinanziert, wird daran
eigene prominent beworbene Foren, in
dung eines hochkarätig besetzten Me-
auch eine wie immer ausgestaltete Stif-
denen die »Highlights« der Programme
dienrates oder einer Stiftung Medien-
tung Medientest so bald nichts ändern
– vom schimpfenden Dieter Bohlen bis
test nach dem Vorbild der »Stiftung
können. Denn »mit dem klassischen
zur Känguruhoden essenden Barbara
Warentest« angeregt. Damals war das
Fernsehen«, so Schneider, »wird sich
Herzsprung – für jedermann auf Abruf
Ansinnen aber von allen Seiten abge-
die Stiftung Medientest sicher nur am
bereitgehalten werden. Aber auch
lehnt worden. Dieser Tage, so Norbert
Rande beschäftigen.« Klaudia Wick ●
Mit Web 2.0 ist die Aufmerksamkeit
9
TENDENZ 1
2008
T I T E LT H E M A
Wenn also Dieter Bohlen mit men-
PRO
C ONTRA
Sinkt die Qualität im Fernsehen ?
In regelmäßigen Abständen sorgen (vermeintliche) Tabubrüche im Fernsehen für Aufregung und lösen eine Debatte über den Niedergang des deutschen TV-Programms
aus. Mal stehen die öffentlich-rechtlichen, mal die privaten Sender im Kreuzfeuer.
»tendenz« fragte nach, wie es um das aktuelle Programmangebot bestellt ist.
Renditedruck bei TV-Konzernen
Privatfernsehen setzt mit vielen
führt zu mutlosen Programmkopien
Formaten Trends
Ob »Germany’s Next Topmodel« oder
Schelte für den privaten Rundfunk we-
»Deutschland sucht den Superstar« (DSDS) –
gen der vermeintlich sinkenden Pro-
Castingshows stehen hoch im Kurs. Neben
grammqualität im Fernsehen hat wieder
ProSieben und RTL bringen Sat.1, ZDF und
einmal Hochkonjunktur. Abgesehen
MTV weitere Talentwettbewerbe ins Programm.
davon, dass diese Debatte zumeist
An Teilnehmern scheint es nicht zu mangeln.
verkürzt aus der bildungsbürgerlichen
Dietrich Leder,
Obgleich sich diejenigen, denen es nicht ge-
Jürgen Doetz,
Perspektive geführt wird, werden die
Publizist, Professor
lingt, den wie auch immer gearteten Anforde-
Präsident Verband
privaten Programme mit schöner Regel-
für Fernsehkultur an
rungen gerecht zu werden, in Gefahr begeben,
Privater Rundfunk und
mäßigkeit ebenso pauschal wie unan-
der Kunsthochschule
sich öffentlich von Juroren wie Dieter Bohlen
Telekommunikation
gebracht als Hauptursache gesellschaft-
für Medien Köln
(DSDS) oder Peyman Amin (Topmodel) ab-
(VPRT)
licher Fehlentwicklungen abqualifiziert.
watschen zu lassen.
Solche Beleidigungen gehören strukturell zum Erfolg der
Castingshows. Mit ihnen wird jene mediale Aufmerksamkeit
erzeugt, die den Sendern die notwendigen Zuschauerzahlen
Ginge es danach, müsste der Untergang des Abendlandes längst Realität sein. Soweit ist es
zum Glück nicht.
Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk sei Dank wird viel-
verschafft. Durch die Präsenz der unterlegenen Bewerber,
leicht mancher denken. Allein ARD und ZDF als Hort höchs-
die weder singen noch sicher auftreten können oder den
ter Programmqualität zu stilisieren, verkennt die Realität je-
herrschenden Schönheitsnormen entsprechen, und durch
doch in zweierlei Hinsicht: Zum einen regiert in den immer
die Testate eben dieses Versagens durch die Jurys erwächst
kommerzieller ausgerichteten öffentlich-rechtlichen Program-
dieser mediale Mehrwert. Hingegen sind die Top- und Super-
men aufgrund eines falsch verstandenen Wettbewerbsgedan-
Karrieren der bisherigen Sieger bescheidener ausgefallen.
kens allzu oft die Quote statt des Public Value. Zum anderen
Es geht vielmehr darum, hunderte oder gar tausende von
halten Vorwürfe gegen das private Fernsehen einer differen-
Bewerbern in ihrer Selbstüberschätzung und Eitelkeit vorzu-
zierten Betrachtungsweise nicht mehr stand, denn das war
führen und gegebenenfalls beleidigen zu lassen.
und ist mit vielen Programmformaten Trendsetter und steht
Dass sich die Castingshows derzeit so vermehren, hängt
zudem knapp 25 Jahre nach seiner Gründung heute für eine
mit der Nervosität der Branche zusammen. Die privaten
enorme Anbieter- und Angebotsvielfalt. Die reichweitenstar-
Senderketten von ProSiebenSat.1 Media und der RTL Group
ken privaten Vollprogramme bieten hochwertige, abwechs-
stehen seit einiger Zeit unter einem enorm gewachsenen
lungsreiche Sendungen. Zudem finden sich unter der Vielzahl
Renditedruck ihrer jeweiligen Besitzer. Ängstlich wird folglich
von Zielgruppen- und Spartensendern anspruchsvolle Nach-
vermieden, was ungewohnt wäre und nicht auf Anhieb beim
richten-, Dokumentations-, Spielfilm-, Serien-, Sport- und
Publikum ankommt. Mutlos wird kopiert, was bei der Kon-
Kindersender ebenso wie Spezialangebote zum Thema Ko-
kurrenz erfolgreich zu sein scheint. Als im Zuge des Erfolges
chen, Tiere, Literatur oder Religion.
von »Wer wird Millionär?« (RTL) das Fernsehquiz in vielen
Ein wesentliches Ziel, das die Privatsender allerdings nicht
Variationen wieder auferstand, überlebten selbst mittelfristig
verfehlen dürfen, ist die Publikumsakzeptanz, denn der ent-
nur wenige. Ähnlich wird es den vielen neuen Casting-Sen-
scheidende Unterschied zwischen öffentlich-rechtlichen An-
dungen ergehen. Die Zuschauer, die unter der Verflachung
stalten und Unternehmen liegt darin, dass Letztere diese An-
des Programms aufgrund des blinden Nachmachens leiden,
gebote aus eigener Kraft refinanzieren müssen und nicht über
haben es in der Hand, diese Imitate durch Abschalten abzu-
die Gebührenmilliarden verfügen, die ARD und ZDF mit Blick
strafen. Das wäre ihre Rache an einer aus Mutlosigkeit er-
auf den Public Value ihrer Angebote eigentlich strengstens zu
wachsenden Qualitätsminderung des Fernsehprogramms. ●
Legitimation und Glaubwürdigkeit verpflichten müssten. ●
10 T E N D E N Z 1
2008
PROGRAMMQUALITÄT
K
o
m
m
e
n
t
a
r
Dr. Erich Jooß, Direktor des Sankt Michaelsbunds München
und Vorsitzender des Medienrats der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien, über die Wichtigkeit einer gesellschaftlichen Diskussion, um medienethisches Be wusstsein zu stärken:
Tabubrüche können
Türen öffnen
Die Klage über die nachlassende Programmqualität und die zunehmende Zahl von
Tabubrüchen im Fernsehen ist keineswegs neu. Als Begleitmelodie, die manchmal
stärker anschwillt, gehört sie auch zu allen anderen Medien. Nach wie vor haben
die Massenprogramme im Fernsehen jedoch eine besonders große Attraktivität und
Resonanz. Das macht sie auffälliger, gleichzeitig macht es sie anfälliger für Kritik.
Dabei gilt zunächst einmal: Tabubrü-
Medienethik. Wer eine ungebremste
gesellschaftlichen Konsens, der
che im Fernsehen führen nicht auto-
Freude an Zynismen hat und eine
sich aus der streitigen Auseinander-
matisch zu einem Werteverfall in der
jargonhafte Fertigmacher-Sprache be-
setzung herausbilden muss.
Gesellschaft. Sie können auch Türen
nutzt, kann nämlich bis in die Schul-
Ein solcher Konsens kann vor al-
öffnen, an ihnen kann sich sogar ein
höfe hinein »stilbildend« wirken. Er
lem dort entstehen, wo Erwachsene
neues Wertebewusstsein schärfen.
sät Gewalt, auch wenn er dies nicht
und Kinder Programme gemeinsam
Ohne Tabubrüche wären die moder-
will oder nur verbal mit ihr spielt.
anschauen und über ihre unterschied-
nen Kunstentwicklungen überhaupt
Das ist die eine Seite des Pro-
lichen Erfahrungen und Sichtweisen
nicht denkbar. Noch deutlicher gesagt:
blems, die andere Seite ist das Medien-
in aller Offenheit miteinander spre-
Erst Tabubrüche lassen uns immer
echo. Besonders die Boulevardpresse
chen. Kritikfähigkeit und Sprach-
wieder bewusst werden, dass wir als
profitiert davon, wenn sie konfron-
fähigkeit bedingen sich gegenseitig.
freie Menschen in einer freien Gesell-
tative Formate genüsslich ausschlach-
Das ist beileibe keine neue Erkennt-
schaft leben und diese Freiheit ihren
tet. Hier entstehen ganz neue, un-
nis. Aber daran wird deutlich, wie
mitunter hohen Preis hat.
heilige Allianzen. Oder soll man eher
lange der Weg noch ist, bis medie-
Warum also die Aufregung? Viel-
sagen: scheinheilige Allianzen? Es
nethische Fragestellungen mehr sind
leicht deshalb, weil wir es bei Pro-
stimmt zumindest nachdenklich, dass
als nur eine unliebsame Zutat, die
grammformaten wie »Deutschland
die Entrüstung über bestimmte For-
den angerichteten Brei verderben
sucht den Superstar« gar nicht mit
mate häufig aus den gleichen Federn
könnte.
Tabubrüchen zu tun haben, sondern
fließt wie die Vorausberichterstattung,
mit gezielten Geschmacklosigkeiten
durch die diese Formate erst interes-
Diskurs von Problemformaten führt
und Gemeinheiten. Wo Menschen
sant geworden sind für ein größeres
zu differenzierteren Einschätzungen
medial vorgeführt und ihre Schwächen
Publikum.
und vermag das medienethische
Bewusstsein zu stärken. Er kann
schonungslos seziert werden, kommen einem so altmodische Worte wie
Anstand, Menschlichkeit oder Mitleid
in den Sinn. Denn daran fehlt es den
Machern dieser Sendung ganz offen-
Erst der private wie der öffentliche
Streitige Auseinandersetzung für medienethischen Konsens
notwendig
sichtlich. Sie wissen nur zu genau,
auch Denkprozesse bei den Werbetreibenden auslösen und Dellen im
Image hinterlassen. Vielleicht irritiert
dieser Diskurs sogar die Macher, die
nicht immer so unempfindlich sind,
welchem Affen sie Zucker geben, und
Medienethik lässt sich nicht von
wie sie sich geben. Manchmal frage
sie verspotten auch noch ihre Opfer,
außen verordnen und erst recht nicht
ich mich freilich, ob nicht das (Ver-)
die ihnen mit Haut und Haaren aus-
von oben reglementieren. Wird sie un-
Schweigen die bessere Antwort auf
geliefert sind.
befragt vorausgesetzt, leistet sie bloß
bestimmte Reizformate wäre. Die
der Selbstgerechtigkeit Vorschub.
eine oder andere Sendung würde so
Qualitätsdiskussion führen, das gehört
Für die Entwicklung medienethischer
von selbst im Nirwana der medialen
eher in den Bereich der (abwesenden)
Maßstäbe braucht es deshalb einen
Nichtbeachtung verschwinden. ●
Ich meine: Darüber lässt sich keine
11 T E N D E N Z 1
2008
PROGRAMMQUALITÄT
M e d i e n ko m p e t e n z b e d e u t e t
lebenslang lernen:
Schlüsselqualifikation
in einer
unendlichen
Medienwelt
Es bringt nichts, Kinder und Jugendliche von den Medien fernzuhalten, erklärt Dr.
Fred Schell, Geschäftsführender Direktor des JFF – Institut für Medienpädagogik in
Forschung und Praxis in München. Der Experte erklärt, warum es heute mehr denn je
darum geht, die gesamte Schulbildung inklusive Medienkompetenz zu fördern.
Es ist unbestritten, dass Medienkom-
Noch schneller wachsen die Inhalte
transportieren. Das Fernsehen bietet
petenz in unserer Mediengesellschaft
multifunktionaler Medien, insbesondere
Informationen und Mitmachangebote
heute den Stellenwert einer Schlüssel-
des Internet. Es gibt weit über 53 Millio-
im Netz, offeriert Lieblingsserien als
qualifikation besitzt. Sie beschreibt die
nen Websites; die im Internet verfüg-
Buch und DVD, beteiligt sich an Kino-
Notwendigkeit und Fähigkeit, mediale
baren Dokumente werden auf über zwei
produktionen, übernimmt deren Zweit-
Symbolsysteme zu entschlüsseln, zu
Billionen geschätzt. Die Zahlen machen
verwertung und so weiter. Zu beliebten
verstehen und zu bewerten sowie Me-
deutlich, dass wir mit einer unendlichen
Medienfiguren gibt es die TV-Serie,
dien selbstbestimmt zu handhaben, um
Angebotsfülle konfrontiert sind. Der
den Kinofilm, das Computerspiel, In-
am sozialen, kulturellen und politischen
Computerpionier Joseph Weizenbaum
ternetseiten und verschiedenste Mer-
Leben aktiv teilhaben zu können. Die
stellt dem World Wide Web jedoch ein
chandising-Produkte. Die Menschen,
rasante Medienentwicklung in den letz-
schlechtes Zeugnis aus, wenn er es als
vor allem Kinder und Jugendliche,
ten 30 Jahren und der Einzug der Me-
»stinkenden Müllhaufen« bezeichnet,
nutzen die medialen Angebote ent-
dien in alle Lebensbereiche stellen an
in dem gelegentlich Perlen versteckt
sprechend konvergenzbezogen: Sie su-
die Medienkompetenz der Menschen
seien (Süddeutsche Zeitung).
chen, um ihre Interessen zu verfolgen,
Instrumente zur Auswahl aus der
in allen Medien nach Brauchbarem,
ist sie kein erreichbarer Zustand, son-
Fülle an Inhalten und Aktivitäten sowie
wobei sie häufig von den Verweisen
dern ein stetig neu zu bestimmendes
zu deren Bewertung und Einordnung
in einem Medium, etwa im Fernsehen
und anzustrebendes Ziel.
gibt es nicht. Suchmaschinen sind als
und Internet, auf andere Medien gelei-
immer höhere Anforderungen. Deshalb
Strukturierungshilfe begrenzt geeignet,
tet werden. Der Ertrag, den die Fans
Entwicklungen begründen: Erstens
denn sie erschließen nur einen Bruch-
bestimmter »Stars« oder Genres daraus
verzeichnen die Programmmedien Fern-
teil an Online-Content, und das inte-
ziehen, besteht in einer Vervielfachung
sehen und Radio eine starke Zunahme
ressenbezogen. Nicht nur Heranwach-
des Inhalts, medialen Zusatzangeboten
an Kanälen und Inhalten. Zudem führt
sende tun sich schwer, relevante In-
sowie in kommunikativen und produk-
der Kampf gegen die Konkurrenz an-
formationen zu finden sowie zwischen
tiven Möglichkeiten, zum Beispiel im
derer Sender, aber auch gegen andere
seriösen und fragwürdigen Angeboten
Austausch mit Gleichgesinnten.
Medien, dazu, dass viele Sender Gren-
zu unterscheiden.
Dies lässt sich anhand von drei
zen ausloten und immer fragwürdigere
Die konvergenzbezogene Mediennutzung bietet die Chance, sich in-
Orientierungslosigkeit
kann sich verschärfen
tensiv und in Kommunikation mit
auch in denen des öffentlich-rechtli-
Zweitens wird die Situation dadurch
sie kann aber auch eine vorhandene
chen Fernsehens, zugunsten von zum
verschärft, dass die Medienanbieter
Orientierungslosigkeit in der medialen
Teil zweifelhafter Unterhaltung zurück-
das gesamte Medienensemble nut-
Angebotsfülle verschärfen und dazu
gefahren.
zen, um ihre Inhalte zu den Nutzern zu
führen, sich im Medienensemble
Programme offerieren. Information und
Bildung werden in den Programmen,
12 T E N D E N Z 1
2008
PROGRAMMQUALITÄT
anderen mit Themen zu beschäftigen,
Laut JFF-Direktor
und gesellschaftlichen Bedeutungs-
organisierten Lern- und Erfahrungs-
Fred Schell zeigen
losigkeit, wenn möglichst viele Bürge-
raumes. Ein Aspekt bei der Förderung
Studien, dass
rinnen und Bürger sie selbstbestimmt
von Medienkompetenz ist jedoch be-
Heranwachsende
und zielorientiert nutzen (können)
sonders zu berücksichtigen: die beste-
aus bildungsbe-
und ihre Ausgestaltung nicht allein
hende Bildungskluft. Alle einschlägigen
vorzugten Milieus
dem Kommerz überlassen ist. Und sie
Studien der letzten Jahre machen deut-
im Vergleich zu
bereiten dann keine individuellen und
lich, dass Kinder und Jugendliche aus
benachteiligten
gesellschaftlichen Probleme, wenn
bildungsbevorzugten und sozial intak-
intellektuell orien-
die Nutzer rechtzeitig über mögliche
ten Milieus eine intellektuell orientierte
tierter an Medien
negative Folgen ihres Handelns, etwa
Herangehensweise an die Medien
herangehen kön-
über Urheberrechtsprobleme, über die
haben. Dies bringt ihnen den Vorteil,
nen.
Missachtung des Rechts am eigenen
Medien zielgerichtet und aktiv nutzen
Bild oder über die Verletzung von Per-
zu können, um ihr Wissen zu erweitern
sönlichkeitsrechten informiert sind.
und ihr Leben zu bereichern. Sie er-
zu verstricken, wie die Konvergenzstudien des JFF belegen.
Diese drei Trends machen deutlich,
halten zudem in den Institutionen von
dass ein kompetenter Umgang mit
Bildung und Erziehung auch die bessere
Medien immer wichtiger wird. Medien-
Förderung, um beispielsweise ihre
wicklungen im Web wie Weblogs, Pod-
kompetenz wird gebraucht,
Fähigkeit zur Distanzierung von proble-
casts und Vodcasts auf einfache Weise
■ um aus dem wachsenden Angebot
matischen Medieninhalten, denen
die Produktion und den Austausch eige-
mediale Inhalte kritisch-reflexsiv, nach
auch sie begegnen und die sie teilweise
ner Inhalte im Internet möglich. Damit
ethischen und ästhetischen Kriterien
auch bewusst nutzen, auszubilden.
bietet das Web 2.0 die Voraussetzungen
vernünftig auswählen zu können,
für umfassende Präsentation, Kommu-
■ um in der Informationsfülle rele-
und sozial benachteiligten Milieus sind,
nikation und Zusammenarbeit im Netz
vante Informationen zu erkennen, ihren
was (nicht nur) ihre Medienaneignung
über beliebige Entfernungen.
Wahrheitsgehalt überprüfen und ihre
betrifft, von ihrer Herkunft her benach-
Bedeutung für die eigenen Interessen
teiligt. Ihre Mediensozialisation führt
keimten Hoffnungen auf, dass dieses
bestimmen zu können,
in der Regel dazu, dass sie Medien eher
Medium wegen seines leichten Zu-
■ um fragwürdige Weltbilder, Kli-
konsumorientiert nutzen und zudem
gangs für alle, der Hierarchiefreiheit
schees (etwa alte Geschlechterrollen-
eher den problematischen Inhalten
sowie der Kommunikation über Email,
Muster) und Ideologien (etwa Gewalt
zugeneigt sind, Jungen beispielsweise
Chats und Foren zu einer demokra-
als probates Mittel der Problemlösung)
action- und gewaltorientierten Ange-
tischen Kommunikationskultur beitra-
erkennen zu können,
boten und Mädchen beziehungsorien-
gen könnte. Seine Kommerzialisierung
■ um Realität von inszenierten Reality-
tierten Angeboten mit fragwürdigen
Drittens machen die jüngsten Ent-
Mit der Entstehung des Internet
Heranwachsende aus bildungs-
hat diese Hoffnung auf eine »elektro-
Darbietungen unterscheiden, Informa-
Rollenbildern und Heile-Welt-Ideolo-
nische Demokratie« aber bald zerstört.
tion und Meinungsmache auseinander-
gien. Sie werden in den Bildungs- und
Der Politologe Bernd Guggenberger
halten zu können, sowie
Erziehungsstätten weniger gefördert,
erklärt: »Die schiere Masse öffentlich
■ um die vielfältigen Möglichkeiten
weshalb sie auch weniger Distanz zu
verfügbarer Information besagt gar
der konvergenten Medienwelt und der
den Medien und fragwürdigen Inhalten
nichts über ... den Zustand der öffent-
interaktiven Medien zur Information,
aufbauen können. Die positiven Poten-
lichen Urteilskraft. Nicht die Menge,
zur Bildung, zur anspruchsvollen Un-
ziale der Medien, so die Folge, können
sondern die Struktur und die Ordnung
terhaltung, zur Selbstpräsentation und
sie sich meist nicht hinreichend er-
der Informationen, der sie orientieren-
Kollaboration sowie zur gesellschaft-
schließen.
de und plausibilisierende Kontext der
lichen Kommunikation und Partizipa-
Urteile und Bewertungen, begründen
tion möglichst umfassend nutzen zu
betroffenen Heranwachsenden von
eine qualitative Öffentlichkeit.« (Sarah
können.
den Medien fernzuhalten, wie dies der-
Kramer: Demokratie und Internet,
1999)
Medienkompetenz erwerben Heran-
Es macht jedoch keinen Sinn, die
zeit der Kriminologe Christian Pfeiffer
wachsende zum Teil bereits in ihrem
propagiert. Vielmehr muss es darum
alltäglichen Umgang mit Medien. Aus-
gehen, ihre gesamte Bildung und dabei
öffentliche Kommunikation, Interaktion
genommen ist die Fähigkeit zur kriti-
besonders die Medienkompetenz zu
und gesellschaftliche Partizipation, die
schen Reflexion, denn sie gelingt nicht
fördern, und für diesen Prozess die
das Web 2.0 jetzt bietet, versanden nur
durch Selbsterfahrung, sie bedarf
positiven Potenziale, die die Medien
dann nicht wieder in der individuellen
immer eines (medien-) pädagogisch
bieten, zu erschließen. 쎲
Die vielen aktiven Möglichkeiten für
13 T E N D E N Z 1
2008
PROGRAMMQUALITÄT
D a s
I n t e r v i e w
J o a c h i m Ko s a c k , L e i t e r D e u t s c h e Fi c t i o n v o n
S a t . 1 , ü b e r P u b l i k u m s w ü n s c h e b e i T V- S e r i e n
und Spielfilmen:
»Das deutsche
Fernsehangebot ist das
beste der Welt«
Sat.1 setzt programmstrategisch künftig weiter auf fiktionale Eigenproduktionen. Für Fiction-Chef Joachim Kosack bedeutet Programmqualität, zu einer bestimmten
Sendezeit das gegebene Programmversprechen gegen-
Deutschland immer noch vergleichs-
über dem Fernsehpublikum einzulösen. Seiner Ansicht
weise gute Budgets. ProSiebenSat.1
nach machen sich veränderte Sehgewohnheiten in der
investiert eine beachtliche Summe in
Primetime bisher wenig bemerkbar. Vielmehr werden
Eigenproduktionen.
Neuentwicklungen aufgrund des steigenden TV-Angebots und größeren Wettbewerbs immer schwieriger.
Könnten zu geringe Reichweiten auch darin begründet liegen,
dass deutsche Serien für die heu-
tendenz: Herr Kosack, das
das Gefühl einer hohen Wertigkeit,
tigen Sehgewohnheiten zu viel-
Thema dieser Ausgabe dreht sich
sondern dann empfinde ich das Pro-
schichtig erzählt sind? Durch die
um Fernsehen im Spannungsfeld
gramm als stimmig und damit als
Digitalisierung verändert sich ins-
zwischen Quote und Qualität. Was
qualitätsvoll.
besondere bei den jungen Zielgrup-
bedeutet für Sie Programmqualität
und welche Sendungen im Bereich
pen, den Medienkonsumenten von
Aufwändig produzierte US-Se-
morgen, das Nutzungsverhalten.
Fiction betrachten Sie als qualitativ
rien haben derzeit in Deutschland
Auch wenn die Sehgewohnheiten
hochwertig?
Konjunktur. Wie können sich deut-
sich ändern, gibt es noch immer ein
Joachim Kosack: Qualität ist dann
sche Serien gegenüber der US-Ware
großes Interesse an einer regelmä-
vorhanden, wenn es uns gelingt das
behaupten? Lautet die Erfolgsformel
ßigen Nutzung in der Primetime. Ja,
spezifische Programmversprechen
weniger, aber dafür hochwertigere
tatsächlich darf die Erzählstruktur
einzulösen, das wir gegeben haben.
Produktionen mit höheren Reich-
nicht zu kompliziert sein. Aber es geht
Und natürlich müssen die Zuschauer
weiten? Welche Konsequenzen er-
in erster Linie darum, dass der Zu-
das Format annehmen. Dies ist uns
geben sich daraus?
schauer immer wieder das findet, was
aktuell beispielsweise gelungen bei
Es wäre völlig falsch zu glauben, der
er erwartet und worauf er seine wö-
der Serie »GSG 9« und beim Großen-
Erfolg der deutschen Serien sei in
chentliche beziehungsweise tägliche
Sat.1-Film »Die Hitzewelle«, bei »Das
erster Linie eine Frage des Geldes. Es
Fernsehnutzung einstellt.
Wunder von Loch Ness« und »Die
geht nicht um Geld, es geht um Con-
Treue-Testerin«. In allen Fällen weist
tent. Es muss den deutschen Machern
schon der Titel den Zuschauer darauf
gelingen eigenständige, unverwech-
teil bei den 14- bis 49-Jährigen
hin, was für ein Programmversprechen
selbare Formate zu entwickeln und
2007 unter die Elf-Prozent-Marke
hinter dem Angebot steht und welche
weder inhaltlich noch finanziell den
gerutscht. Mit welcher Programm-
Erwartungshaltung wir bedienen wol-
Amerikanern zu sehr nachzueifern.
ausrichtung soll der Sender wieder
len. Wenn zudem wie beispielsweise
Darüber hinaus sind deutsche Produ-
auf Erfolgskurs gebracht werden?
bei der Treue-Testerin die Titelrolle mit
ktionen ja keine Billigware. So sind
Welchen Anteil am Gesamtpro-
Jeanette Biedermann besetzt wird,
beispielsweise die meisten deutschen
gramm wird Fiction künftig haben?
von der man zu Recht immer Filme
Telenovelas über dem Standard ame-
Fiction wird bei Sat.1 einen wichtigen
mit einem hohen emotionalen Unter-
rikanischer oder sonstiger internatio-
Stellenwert beibehalten. Wir haben
haltungswert erwarten kann, dann
naler Dailys. Und auch in der Prime-
die Produktion der eigenproduzierten
entsteht nicht nur beim Zuschauer
time hat eigenproduzierte Fiction in
Movies von 20 auf 30 für das Jahr
14 T E N D E N Z 1
2008
INTERVIEW
Sat.1 ist mit seinem Marktan-
Zur Person
Joachim Kosack, geboren 1965,
arbeitete zwischen 1985 und 1995
an verschiedenen Theatern als Kabarettist, Schauspieler und Regisseur,
im Spannungsfeld zwischen Job und
scheinbar unmöglichen Liebe, die erst
bevor er 1996 in der TV-Branche tätig
Privatleben. Teamworx ist die Produk-
nach vielen Hindernissen erfüllt wird.
wurde. Bis 1998 war er Chefautor
tionsfirma.
Was braucht eine Serie, um
und Regisseur der RTL-Soap »Gute
Zeiten, schlechte Zeiten«, anschlie-
Im Film-Bereich dominieren der-
beim Publikum gut anzukommen?
zeit historische Stoffe. Welche Su-
Eine Serie benötigt ein klares Profil
Weekly »Hinter Gittern«. Von 2001
jets berücksichtigen Sie 2008 noch?
und ein deutliches Programmverspre-
bis 2006 realisierte er als Produzent
Das Genre-Portfolio ist breit gefä-
chen. Entscheidend für den Erfolg sind
für die Firma Teamworx Projekte
chert und umfasst Familienkomödien,
ein bis zwei unverwechselbare Haupt-
wie »Für immer verloren« (Sat.1),
Fantasy-Filme, Romantic Comedies,
personen und eine beständige Erzähl-
»Stauffenberg« (ARD), »Kein Himmel
Krimis und Action-Thriller. Neben Zu-
weise. Das heißt, das Angebot, das ich
über Afrika« (ARD), »Die Flucht«
schauerlieblingen wie Sophie Schütt,
dem Zuschauer an einem bestimmten
(ARD) und »Bianca – Wege zum
René Steinke und Christoph M. Ohrt
Abend zu einer bestimmten Uhrzeit
Glück« (ZDF). Danach entwickelte
gibt es in den neuen Sat.1-Filmen ein
mit dieser Serie mache, muss ich
und produzierte er für Producers at
Wiedersehen mit Stars wie Yvonne
– ohne einfallslos zu wirken – Woche
Work die Sat.1-Krimiserie »R.I.S.
Catterfeld, Alexandra Neldel, Marco
für Woche wiederholen. Wieder er-
– Die Sprache der Toten«. Im April
Girnth und Richy Müller. Im Bereich
kennbare Details meiner Erzählweise
2007 wechselte er als Leiter Serie
Event-Zweiteiler setzen wir tatsächlich
und der Umgang meiner Hauptfiguren
und Soap zum Sender, seit November
wieder auf historische Stoffe. »Wir
mit den Geschichten, sollten nicht nur,
2007 ist er Bereichsleiter Deutsche
sind das Volk – Liebe kennt keine
sondern müssen etwas Ritualisiertes
Fiction bei Sat.1.
Grenzen« erzählt die Geschichte über
haben. Wenn man sich seine eigene
die ganz persönliche Wende einer
Lieblingsserie von heute oder aus der
getrennten Familie in der DDR. In den
Jugend vor Augen führt, kann man
Hauptrollen sind Anja Kling, Hans-
sehr schnell genau solche seriellen
Werner Meyer und Heiner Lauterbach.
Rituale definieren.
ßend Chefautor und Producer der
2008 erhöht. Dies verdeutlicht klar,
Das ist eine großartige Produktion, die
dass wir weiter auf eigenproduzierte
ebenfalls im Herbst ausgestrahlt wird.
Filme setzen.
Hier sind wir eine Koproduktion mit
TV-Unternehmen so schwierig,
Olga Film in Zusammenarbeit mit dem
neue Programmideen zu entwickeln
ORF eingegangen.
und entsprechend umzusetzen?
Welche Eigenproduktionen
werden wir auf Sat.1 in diesem Jahr
Was sich geändert hat – und damit
Und im Vorabendprogramm set-
denn sehen?
Warum scheint es für deutsche
neue Entwicklungen immer schwie-
Im Serienbereich haben wir zwei Neu-
zen Sie auf eine neue Telenovela …
riger macht, sind die Rahmenbedin-
entwicklungen mit den Arbeitstiteln
Im Vorabend planen wir für Ende
gungen. Die Konkurrenzsituation
»Dr. med. Molly« und »Charité – Berlin
August wie angekündigt eine neue
hat sich geändert. Es gibt ein deutlich
Mitte«. Beides sind Arzt-Serien. Bei
Telenovela mit dem Arbeitstitel »In
größeres Angebot an frei empfang-
Dr. Molly, gespielt von Sabine Orleans,
Liebe Lena«, in der Jeanette Bieder-
baren Programmen. Und was so oft
geht es um eine geniale Medizinerin,
mann die Rolle der Heldin spielen
vergessen wird ist, dass das Angebot
die wegen ihres respektlosen Mund-
wird. Lena, eine junge Frau mit vielen
eine große Vielfalt und hohe Qualität
werks berüchtigt ist. Eine junge Psy-
Talenten, ist sehr schüchtern, was es
hat. Meine Meinung: Das deutsche
chologin (Susanna Simon) soll Molly
ihr erschwert, die kleinen und großen
Fernsehangebot ist das beste der
und ihren rüden Umgangsformen auf
Herausforderungen des Lebens zu
Welt. Es ist nicht wirklich schwierig
den Pelz rücken – eine gute Voraus-
bewältigen. Erfolg versprechend ist,
eigene Ideen umzusetzen. Es ist eher
setzung für beste Unterhaltung. Das
dass wir hier wie bei allen deutschen
schwierig, dass diese neuen Ideen
Unternehmen Producers at Work
Telenovela-Erfolgen eine Frau »mitten
sich im harten Konkurrenzumfeld
produziert diese Serie, die im Herbst
aus dem Leben« haben, die ein klares
beweisen und für das Format aus-
bei uns auf Sendung geht. Ebenfalls
Ziel hat und bereit ist, für dieses Ziel
reichend Akzeptanz bei den Zuschau-
ab dem dritten Quartal geht Charité
zu kämpfen – trotz der Hindernisse
ern vorhanden ist, so dass man län-
auf Sendung. Die Story dreht sich um
auf dem Weg dorthin. Gleichzeitig gibt
geres Durchhaltevermögen guten
eine Gruppe aufstrebender Mediziner
es schon in der ersten Folge das ro-
Gewissens vertreten kann.
unterschiedlicher Herkunft und Kultur
mantische Versprechen einer großen
Die Fragen stellte Sandra Eschenbach 쎲
15 T E N D E N Z 1
2008
INTERVIEW
Sender, TV-Kritik und Zuschauer
haben unterschiedliche Maßstäbe
Qualitätskriterien im
Unterhaltungsfernsehen
Fernsehunterhaltung und Qualitätsfernsehen passen nach landläufiger
Ansicht schlecht zusammen. Wenn man über Güte in der Unterhaltung
nachdenkt, kann man jedoch Interessantes entdecken – nicht zuletzt
viele Wege zur Qualität und viele Wege, sie zu verhindern.
Wenn in der Öffentlichkeit über die
Qualität von TV-Programmen gesprochen wird, geht es fast immer um
Fernsehen im Ausnahmezustand. In
Die Fernseh-Parodie
den meisten Fällen handelt es sich
»Fröhliche Weihnachten«
dabei um einen alarmierenden Zu-
(Sat.1) mit Anke Engelke
stand: Der Mangel an Qualität wird
und Bastian Pastewka
beklagt, wenn einzelne Programme
als Anneliese und
Geschmacksgrenzen beziehungsweise
Wolfgang sahnte 2008
gefühlte oder echte Tabus verletzen.
einen Grimme-Preis ab.
Vergleichsweise selten, aber in jährlichem Rhythmus kommt der positive
Ausnahmezustand in den Blick – nämlich dann, wenn Qualität ausgezeichnet
wird, etwa beim Deutschen Fernsehpreis oder dem Adolf-Grimme-Preis.
Gütebegriffe, zudem operiert die TV-
ste: Geld. Vor einigen Jahren hat LfM-
Im Normalbetrieb wird nur selten über
Kritik je nach Sendeform mit völlig
Direktor Norbert Schneider nachdrück-
Programmqualität nachgedacht, nicht
anderen Kriterien, deren Gewichtung
lich darauf hingewiesen, dass es eine
zuletzt weil der programmbegleitenden
zudem Ansichtssache ist: Können gute
völlig irrige Annahme ist, dass Pro-
Fernsehkritik in der Presse immer we-
schauspielerische Leistungen einen
grammqualität ohne Geld zu haben sei.
niger Raum gegönnt wird. Fernsehen
schwachen Plot kompensieren? Vor
Umgekehrt führen hohe Ausgaben für
ist eine Selbstverständlichkeit wie
allem für Privatsender ist logischerwei-
Produktionen natürlich nicht automa-
fließendes Wasser aus der Leitung,
se der Marktanteil (respektive daraus
tisch zu höherer Qualität, aber ohne
über das man sich auch nur Gedanken
resultierende Einnahmen) zentrales
Geld gibt es keine. Sender, die ihre
macht, wenn es eine merkwürdige
Qualitätskriterium, für Zuschauer
Programmausgaben reduzieren, redu-
Färbung aufweist oder ganz ausbleibt.
der individuelle Unterhaltungswert.
zieren zwangsläufig auch die Qualität
Es gibt allerdings einen gravierenden Unterschied. Auch wenn die Feinheiten der Wasserqualität nur von La-
ihres Gesamtprogramms. Hinweise
Geld, Gewohnheit
und Geduld
bors ermittelt werden können, sind
auf Synergieeffekte oder programmneutrale Einsparmöglichkeiten können
hierbei nicht überzeugen, da diese
sich Nutzer, Versorger und Untersu-
Programmqualität ist nicht nur schwie-
schon seit Jahren genutzt werden und
chungslabors prinzipiell einig, was gu-
rig zu beurteilen und kann mit verschie-
sich nicht beliebig vermehren lassen.
tes Wasser ist – beim Fernsehen ist die
denen Dingen verbunden werden, sie
Lage weitaus komplizierter. Sender, Kri-
hat außerdem Voraussetzungen, die
sehsender (auch Privatsender), die an-
tik und Zuschauer verwenden andere
häufig übersehen werden. Die wichtig-
gemessen in Programme investieren,
16 T E N D E N Z 1
2008
PROGRAMMQUALITÄT
Zum Glück gibt es weiterhin Fern-
jüngste Beispiel für extreme Ungeduld
erstmals eine separate Preiskategorie
lieferte im Januar 2008 RTL, als die
»Unterhaltung« eingerichtet wurde,
ambitionierte Reihe »Die Anwälte«
befassten sich die Diskussionen der
nach gerade einer Folge aus dem Pro-
Jury konsequenterweise nicht nur mit
gramm genommen wurde. Dass sich
den nominierten Produktionen, son-
Geduld lohnen kann, erlebt seit einiger
dern immer wieder auch mit der Frage
Zeit ProSieben: Nach schwachen An-
der Qualitätskriterien.
fängen ist aus »Galileo« doch noch ein
Erfolgsformat geworden.
Die zweite Voraussetzung: Ange-
Originelle Kombination aus Krimi
und Comedy: Die ProSieben-Reihe
»Dr. Psycho« mit Schauspieler
Christian Ulmen wurde ebenfalls
mit dem Grimme-Preis in der
Kategorie »Unterhaltung« ausgezeichnet.
obwohl Qualität scheinbar von den
Privatsendern) die Klage, dass man sich
durch drei Merkmale aus. Erstens ihre
messener Umgang mit Sendungen.
handwerkliche Qualität – sie sind ein-
Dazu gehören etwa die Wahl von Sen-
fach gut gemacht. Zweitens ihre Origi-
der und Sendeplatz und passende On-
nalität, die aber immer nur relativ sein
Air-Promotion. Die wenig erfolgreiche,
kann. Wer unterhalten werden will,
aber intelligente und aufwändig produ-
erwartet vom Fernsehen nichts radikal
zierte Comedy-Reihe »Deutschland ist
Neues, sondern etwas im Prinzip Be-
schön« (Sat.1) beispielsweise hätte
kanntes, das sich aber durch irgendet-
(auch nach Meinung Beteiligter) weit-
was von bisher Gesehenem unterschei-
aus besser auf einen späteren Sende-
det. Das kann eine neuartige Mischung
platz gepasst, möglicherweise sogar
von jeweils an sich bekannten Elemen-
besser zu einem anderen Sender der
ten sein oder das Hinzufügen eines
Sendergruppe, nämlich ProSieben.
neuen Elements. Ein drittes Merkmal:
Wie gesagt, Fernsehen ist Gewöh-
Sie bieten unterschiedlichen Zuschau-
nungssache: Wenn an Programmaus-
ern unterschiedliche Zugänge, so dass
gaben gespart wird und vorhandene
Zuschauer je nach Medienkompetenz
Programmqualität nicht angemessen
unterschiedliche Möglichkeiten haben,
behandelt wird, gewöhnen sich Zu-
individuelle Unterhaltungserlebnisse
schauer auch daran. Im schlimmsten
herzustellen. Dies trifft übrigens auch
Fall ist das Ergebnis, dass sie vom
auf die meisten Fernsehklassiker zu,
Fernsehen auch kaum noch Qualität
so etwa auf die »Simpsons«. Kindern,
erwarten – so dass sich Sender nicht
Jugendlichen und Erwachsenen bietet
wundern müssen, wenn Qualität nicht
die Animationsserie je eigene Zugänge
honoriert wird.
– Kinder können die gleichaltrigen
Hauptfiguren amüsant finden, Heran-
Zuschauern oft nicht honoriert wird.
Immer wieder hört man (nicht nur von
Die letztlich ausgezeichneten Produktionen zeichnen sich vor allem
Drei Gütekriterien
für TV-Unterhaltung
wachsende die zahlreichen popkulturellen Anspielungen, Erwachsene etwa
die nebenbei eingeführten Fami-
zwar durchaus um Programmqualität
lienprobleme.
bemühe, die Zuschauer aber offensicht-
Während sich Fernsehkritiker bei fiktio-
lich anderes wollen. Dabei werden aber
nalen oder dokumentarischen Produk-
Eine vergleichbare Vielseitigkeit
zwei weitere wichtige Voraussetzungen
tionen zwar nicht immer im Ergebnis,
weist auch die mehrfach ausgezeichne-
übersehen, die erfüllt sein müssen,
aber zumindest bei den Beurteilungs-
te ARD-Vorabendreihe »Türkisch für
wenn Qualität erfolgreich sein soll.
kriterien relativ einig sind, ist die Lage
Anfänger« auf, die auf komische Weise
bei Unterhaltungssendungen im enge-
das Leben einer deutsch-türkischen
Gewöhnungssache. Für Fernsehzu-
ren Sinne (also Fernsehshows, Sit-
Patchwork-Familie zeigt. Anstatt das
schauer ist die Nutzung des Mediums
coms, Comedy und allen anderen Sen-
Naheliegende zu tun, nämlich vertraute
Teil ihres Alltags, und Alltagsgewohn-
dungen, die vor allem unterhalten wol-
Multi-Kulti-Klischees auszuschlachten,
heiten ändern sich allenfalls langsam.
len) weitaus komplizierter. Hier wurde
basiert ihr Humor auf sorgfältig und
Neue serielle Produktionen brauchen
bislang äußerst selten nach Qualität
sehr individuell gestalteten Rollen-
Zeit, um ihr Publikum – und manchmal
gesucht (eher dem Gegenteil) und logi-
figuren, die vor allem eines nachdrück-
auch sich selbst zu finden. Geduld –
scherweise auch nur vergleichsweise
lich veranschaulichen: Es gibt keine
und geduldige Entwicklungsarbeit – ist
selten Qualität gefunden. Als im Rah-
»Begegnung der Kulturen«, was sich
heute aber eher die Ausnahme. Das
men des Adolf-Grimme-Preises 2007
begegnet, sind immer einzelne Men-
Die erste ist Geduld. Fernsehen ist
17 T E N D E N Z 1
2008
PROGRAMMQUALITÄT
schen. Ein Adolf-Grimme-Preis wurde
»Neues aus der Anstalt« (ZDF):
auch an die Gameshow »Extreme Acti-
Das Unterhaltungserlebnis
vity« (ProSieben) verliehen, die das ver-
ist umso besser, desto mehr
traute Muster des Begrifferatens von
Welt- und Medienwissen der
Prominenten um eine originelle Facette
Zuschauer einbringen kann.
erweitert, nämlich das Raten unter
(physisch) erschwerten Bedingungen.
Von Moderator Jürgen von der Lippe
als »intellektuelle Krawallshow« bezeichnet, bietet »Extreme Activity«
über seine Akteure ebenfalls mehrere
Zugänge – und sogar einen gewissen
Die mehrfach prämierte ARD-
intellektuellen Reiz durch die Möglich-
Vorabendreihe »Türkisch für
keit des Mitratens.
Anfänger« dreht sich um das
Die Grimme-Preisträger in der Kate-
Leben einer deutsch-türkischen
gorie »Unterhaltung« des Jahres 2008
Patchwork-Familie.
zeigen, dass auch weiterhin in sehr unterschiedlichen Bereichen Qualität gefunden werden kann. Die ProSiebenReihe »Dr. Psycho« ist nicht nur eine
originelle Kombination von Krimi und
anderer Fernsehpreise der letzten Jah-
dieser Säule des dualen Fernsehsys-
Comedy, sie ist auch hervorragend
re belegt. So wurden beim Deutschen
tems eine ganze Reihe interessanter
besetzt, so dass alle Figuren eine ganz
Fernsehpreis etwa mit »Genial dane-
Innovationen, zunächst vor allem von
eigene Kontur gewinnen. Der zweite
ben« (2004, Sat.1) und »clever!« (2005,
RTL wie zum Beispiel »RTL Samstag
Preisträger, »Fröhliche Weihnachten«
Sat.1) zwei Produktionen ausgezeich-
Nacht« oder mit »Ritas Welt«, »Alles
(Sat.1), gehört zum hinlänglich be-
net, die auf humorvolle Weise an Zu-
Atze« und »Nikola« die ersten gelun-
kannten Genre der Fernseh-Parodien.
schauerwissen appellieren, ohne als
genen Versuche deutscher Sitcoms.
Der Rahmen einer fiktiven Volksmusik-
klassisches Bildungsfernsehen daher-
Sat.1 etablierte mit der »Harald
Benefiz-Show wird hier dank der Haupt-
zukommen; »Bei Krömers« (2006, RBB)
Schmidt Show« nicht nur die erste
akteure Anke Engelke und Bastian
und »Neues aus der Anstalt« (2007,
funktionierende deutsche Late-Night-
Pastewka auf bemerkenswert vielfäl-
ZDF) erlauben umso bessere Unterhal-
Show, Sat.1 und ProSieben haben als
tige Weise genutzt, bis in die Nähe des
tungserlebnisse, je mehr Welt- und
Sendergruppe in den letzten Jahren
politischen Kabaretts.
Medienwissen die Zuschauer einbrin-
auch die RTL-Gruppe als Hauptinno-
gen. Originelle und damit qualitativ
vatoren im Bereich der Fernsehunter-
bemerkenswerte Varianten des Ver-
haltung deutscher Herkunft (was
trauten repräsentieren etwa »Dittsche –
Privatsender betrifft) überholt.
Zuschauervergnügen:
die eigene Kompetenz
genießen
»Fröhliche Weihnachten« operiert mit
einer Vielzahl von Anspielungen und
das wirklich wahre Leben« (2004,
Der Hinweis auf die Programm-
WDR) oder die Improvisations-Comedy
herkunft ist deshalb wichtig, weil jeder
»Schillerstraße« (2005, Sat.1).
Fernsehsender auf drei Wegen zu Pro-
Während Fernsehpreise in den klas-
grammqualität gelangen kann. Der ein-
verdeutlicht damit ein häufig überse-
sischen Kategorien wie Fiktion oder
fachste Weg ist der Einkauf von Quali-
henes Phänomen: Intensive Unterhal-
Dokumentarisches regelmäßig vor
tät, die in anderen Ländern produziert
tungserlebnisse setzen Medienkompe-
allem an öffentlich-rechtliche Sender
worden ist, also der Programmimport.
tenz und Wissen voraus. Unser jewei-
vergeben werden, sind im Bereich
Vor allem im fiktionalen Bereich ist
liger Lieblingsfilm ist natürlich einer,
»Unterhaltung« auch Privatsender
dieser Weg üblich – was wäre die deut-
den wir in allen Facetten und mit allen
oft unter den Preisträgern. Wäre dem
sche Fernsehgeschichte ohne »77 Sun-
Referenzen verstehen – ein wichtiger
nicht so, müsste man sich über den
set Strip«, »Mit Schirm, Charme und
Teil unseres Vergnügens besteht gera-
Zustand des deutschen Privatfernse-
Melone«, »Maigret«, »Columbo«, »Dal-
de darin, dass er uns erlaubt, unsere
hens ernsthaft Sorgen machen, da für
las« oder heute »CSI« beziehungsweise
eigene Kompetenz zu genießen. Was
kommerzielle Sender der Unterhal-
»Dr. House«? Der schwierigste Weg ist
für den Film gilt, gilt auch für das Fern-
tungsbereich natürlich der wichtigste
die Eigenentwicklung, da er mit hohen
sehen, was ein Blick auf die Gewinner
ist. Seit den 90er-Jahren kamen von
Risiken verbunden ist. Es gibt jedoch
18 T E N D E N Z 1
2008
PROGRAMMQUALITÄT
der Konkurrenz immer neuer
»Geliehene« Qualität bei Adaptionen
Wege der Content-Distribu-
ausländischer Formate wie »Deutsch-
tion und der medialen Kon-
land sucht den Superstar«.
vergenz?
In dieser doppelten Problemlage dominieren Strategien der Risikovermeidung:
Lieber Formate adaptieren
oder kopieren als Eigenentwicklungen wagen; lieber sich
an vorhandene Programmtrends anhängen als versu»RTL Samstag Nacht«: Seit den 90er
chen, neue einzuleiten. Das
Jahren kommen von kommerziellen
Ergebnis ist seit den 90er Jah-
Sendern im Unterhaltungsfernsehen
ren eine Programmentwick-
eine Reihe von Innovationen.
lung in Wellen, die mit großer
Vorhersehbarkeit die Phasen
Einführung – Überangebot –
Abflauen aufweisen. Wir
hatten bereits unter anderem Game-,
noch einen dritten Weg, der heute
»Big Brother« oder die »Super-Nanny«
Talk-, Quiz- und Courtshow-Wellen,
geradezu als Königsweg erscheint:
erscheinen den Zuschauern als deut-
zur Zeit ist gerade der Höhepunkt der
die Adaption.
sche Produktionen, tatsächlich handelt
Makeover-, Kochshow- und Coaching-
es sich aber um angekaufte Formate.
Wellen.
In Deutschland produzierte Programme, die auf Vorlagen aus anderen
Wo Qualität im Unterhaltungsfern-
Wenn der Fernsehmarkt von ängst-
Ländern basieren, hat es schon immer
sehen sichtbar wird, geht es häufig
lichen Akteuren beherrscht wird, hat
gegeben – auch »Was bin ich?« oder
um »geliehene« Qualität, wobei der
Programmqualität schlechte Karten.
»Hätten Sie’s gewusst?« waren die
Umfang der Eigenleistung sehr stark
Qualität braucht Mut zum Risiko, und
deutschen Versionen amerikanischer
schwanken kann. Während bei »Wer
diesen Mut bringen öffentlich-recht-
TV-Erfolge, nämlich von »What’s My
wird Millionär?« vor allem die Modera-
liche wie private Sender heute nur
Line?« und »Twenty-One«. Seitdem in
tion von Günther Jauch der deutschen
noch gelegentlich auf – was mit Blick
immer mehr Ländern kommerzielles
Adaption des Formats eine eigene
auf die schwierige Lage des Mediums
Fernsehen eine immer größere Rolle
Färbung gibt, stellt etwa »Pastewka«
Fernsehen insgesamt sogar verständ-
spielt, ist aus der eher zufälligen und
(Sat.1) eine sehr eigenständige Um-
lich ist. Mut allein reicht jedoch nicht,
großzügig gehandhabten Programm-
setzung der amerikanischen Vorbilder
um Programmqualität auch zum Erfolg
adaption ein regelmäßiges und klar
»Seinfeld« und »Curb Your Enthu-
zu verhelfen, dazu gehören zusätzlich
geregeltes Phänomen geworden. Unter
siasm« dar.
Geduld und ein sorgsamer Umgang
mit Programmen. Wenn beispielswei-
dem Begriff »Formathandel« werden
erfolgreiche Produktionen weltweit
nachproduziert, wobei – wie bei allen
Ängstliche Akteure
schlecht für Qualität
se »Die Anwälte« (RTL) nach nur einer
Folge aus dem Programm genommen
werden oder der bemerkenswerte
anderen global verbreiteten Markenartikeln – darauf geachtet wird, dass das
Deutschland hat einen besonders kom-
US-Import »Sopranos« vom ZDF am
Erscheinungsbild der Nachproduktion
petitiven Fernsehmarkt: Es gibt kaum
späten Samstagabend so platziert
der Vorlage gleicht. Es ist bekannt,
ein anderes Land, in dem der durch-
wird, dass aufgrund regelmäßiger
dass Fernsehzuschauer in den meisten
schnittliche Zuschauer dank der Domi-
Überziehungen der vorherigen Sen-
Fällen einheimische Produktionen ge-
nanz von Kabel- und Satellitenfernse-
dungen kein Zuschauer wissen kann,
genüber Importen bevorzugen. Format-
hen unter so vielen Sendern auswählen
wann eine Folge startet, wird diesen
adaptionen bieten den großen Vorteil,
kann. Zusätzlich haben alle deutschen
Produktionen jede Chance genom-
dass sie zwar ausländischer Herkunft
Sender mit den gleichen Unsicherhei-
men, ihr Publikum zu finden. Oder
sind, man ihnen ihre Herkunft aber
ten umzugehen, wie die meisten Sen-
wollte das ZDF mit dieser Program-
nicht ansieht. »Wer wird Millionär?«,
der anderer Regionen: Was wird aus
mierung den Verkauf von DVD-Boxen
»Deutschland sucht den Superstar«,
dem klassischen Fernsehen angesichts
ankurbeln? Dr. Gerd Hallenberger 쎲
19 T E N D E N Z 1
2008
PROGRAMMQUALITÄT
Für die Werbeindustrie zählt die Quote und bei Qualität ein Mindestmaß:
Vermarktungsmaschinerie
Privatfernsehen
Skandale, Schlagzeilen und Sorgen um die Würde von Casting-Kandidaten – wer im
Free-TV wirbt, interessiert sich nur am Rande für diese Debatten. Für ihn sind wirtschaftliche Parameter wie Quote und ein gutes Preis-Leistungsverhältnis beim
30-Sekunden-Spot entscheidend. Die Fernsehsender setzen aber nicht mehr ausschließlich auf die Einnahmen aus TV-Spots, sie versuchen extensiver denn je, erfolgreiche
Sendungen auf allen Wertschöpfungsebenen zu vermarkten.
Groß war die Empörung: »Die Sendung
Seher-Profil, Tausend-Kontakt-Preis
öffentlich ihre Abneigung gegen die
ist in die Peinlichkeit abgedriftet. Die
oder Reichweite. Danach erstellen Me-
Container-Show auf RTL II. Inzwischen
Show passt nicht zum seriösen An-
diamanager ihren Plan. »Die wenigsten
steht das Format ganz oben auf der Be-
spruch unseres Hauses.« Gemeint war
Kunden kontrollieren systematisch
liebtheitsskala der Planer. Der Grund:
die erste Staffel der RTL-Show »Ich bin
die einzelnen belegten Programmum-
Die Quoten sind seit Jahren stabil, die
ein Star – Holt mich hier raus!«, kurz
felder und greifen aktiv in die Belegung
Zielgruppe ist genauestens berechen-
Dschungelshow genannt. Die harsche
ein«, erläutert der Vermarktungsprofi.
bar, es gibt keine Schwankungen –
Kritik äußerte Peter Gartmann, Leiter
Ähnlich argumentiert Jens Mer-
alles Voraussetzungen, die die zahlen-
Media bei der Wüstenrot Bausparkasse,
heim, Münchner Geschäftsführer der
vor gut vier Jahren in der Fachzeitschrift
Media-Agentur pilot. Man sollte bei der
Werben & Verkaufen. Wüstenrot wollte
Frage, ob sich mediale Aufregung auf
als die Frage nach der Qualität des Um-
seine Produkte im Umfeld von Kaker-
die Werbebuchungen auswirke, erst
feldes. »Viele Kunden möchten gerne
laken und Känguruhoden nicht präsen-
einmal klären, ob die Regel »Bad news
Qualität im Mediaplan, haben dann
tieren. Auch die Bierbrauerei Veltins
are good news« nicht auch für TV-
aber Probleme, umsetzbare qualitative
entrüstete sich moralisch. Aber hier
Quoten gelte. Und: Im Falle von DSDS
Platzierungsparameter zu definieren«,
endete die Aufregung. Andere Werbung-
»bürgt das Format für einen gewissen
weiß Mediamanager Kollat. Zwar
treibende hatten keine moralische
Qualitätsstandard, der zugegebener-
nenne ein Kunde hin und wieder mal
Bedenken wegen der umstrittenen
maßen in der aktuellen TV-Landschaft
ein Wunschprogramm, das dann auch
Sendung. Es war bisher auch das letzte
als hoch einzustufen ist«. Ganz ohne
im Einschaltplan für die TV-Spots er-
Mal, dass in der werbungtreibenden
Schlagzeilen – gleich ob positiv oder
scheint. Aber es sei nicht so, dass die
Industrie über »buchen oder nicht bu-
negativ – könne eine Sendung wie
Kunden den Plan systematisch durch-
chen« so kontrovers gestritten wurde.
DSDS gar nicht die entscheidenden
kämmen. Hinzu kommt: Wer im Fern-
Quoten bringen. Merheim fasst stell-
sehen wirbt, will schnell eine große
»Deutschland sucht den Superstar«
vertretend für die Branche zusammen:
Reichweite aufbauen. Nur so viele
(DSDS) spielte für die Mediaplaner,
»Solange die Quote stimmt und die
Fernseh-Höhepunkte gibt es nicht.
die für die Werbekunden die Spotplätze
Qualität gegeben ist, wird das Format
Und was macht man, wenn die Um-
buchen, keine Rolle. »DSDS ist ein
gebucht. Über welche Mittel die Quote
felder ausgebucht sind? So einfach
gutes Beispiel dafür, dass es keine au-
beeinflusst wird, ist bei Erhalt des
wie es scheint, funktioniert das Medien-
tomatische Auswirkung von negativer
Mindestmaßes an Qualität und im
geschäft eben nicht.
Berichterstattung auf das Buchungs-
Rahmen der Gesetzgebung egal.«
Selbst die aktuelle Diskussion über
verhalten gibt«, sagt Jens Kollat, unabhängiger Mediamanager und Geschäftsführer von Kollat Media Team, Berlin.
Big Brother auf der
Beliebtheitsskala oben
fixierte Branche liebt.
Zahlen sind dann auch wichtiger
Weil die Debatte über Qualitätsfernsehen nicht nachlässt, initiierte der
RTL-II-Vermarkter El Cartel Media im
vergangenen Jahr die Studie »Phantom
Er betreut Werbe-Schwergewichte
Wie schnell die öffentliche Erregung
Qualitätsfernsehen«. Eine der wesent-
wie Danone und Johnson & Johnson.
vergessen ist, sobald die Reichweiten
lichen Erkenntnisse: Mehr als die Hälf-
Bewertet werden, erklärt Kollat, statt-
stimmen, zeigte sich auch bei »Big
te der befragten Zuschauer will gar
dessen die Programmumfelder nach
Brother«. Vor acht Jahren äußerten
nicht, dass sich Qualität und Angebot
quantitativen Gesichtspunkten wie
Mediaplaner und Werbekunden noch
aller Sender den Öffentlich-Rechtlichen
20 T E N D E N Z 1
2008
PROGRAMMQUALITÄT
Jens Kollat, Geschäftsführer
Bei DSDS bürge das Format für
Petra Fink, Leiterin Business
Plattenverkäufe als Erlösquel-
Kollat Media Team, weiß, dass
einen Qualitätsstandard, der im
Development ProSieben, sagt,
le: RTL Enterprises werde zur
sich negative Berichterstat-
aktuellen TV als hoch einzustufen
eine Sendung müsse auf dem
Schnittstelle zwischen Sender-
tung nicht automatisch auf das
sei, bescheinigt Jens Merheim,
Bildschirm funktionieren, be-
gruppe und Musikindustrie,
Buchungsverhalten der Werbe-
Münchner Geschäftsführer der
vor Diversifikationsstrategien
erklärt Geschäftsführerin Birgit
kunden auswirkt.
Media-Agentur pilot.
ausgelotet werden könnten.
Hönsch.
angleichen, weil sie in alle Richtungen
zur Diversifikation hat – das aber natür-
Events und IPTV – in das neue Pro-
offen bleiben wollen. Bei einem Kanal
lich frühzeitig.« Das aktuellste Beispiel
gramm eingebunden werden können.
holen sie sich die Information, beim
ist sicher »Germany’s Next Topmodel«.
»Dadurch erreicht die Kreation beim
anderen die Unterhaltung. Und knapp
Vom Merchandising über Handels-
Zuschauer eine höheres Involvement«,
80 Prozent der 1235 Befragten sagten:
promotion mit Maybelline Jade und
sagt Ingmar Grundmann, Leiter UFA
Werbung kann zwar von einem höhe-
Sony Ericsson über Mode, CDs, Video-
Interactive.
ren Niveau der Sendung profitieren,
on-Demand bis hin zum Brettspiel ver-
umgekehrt stört sie hier auch mehr.
längert ProSieben die Marke.
Neben der Diversifizierung hat
ProSiebenSat.1 seit einiger Zeit eine
weitere Einnahmemöglichkeit entdeckt:
Die Entscheidung zwischen Qualität
Auch bei RTL geht es bei der Aus-
und Quote ist also für die TV-Werbe-
wertung in erster Linie um die Relevanz
Sendungen, an denen die TV-Gruppe
branche unerheblich, für sie zählen
eines Formats für den Zuschauer, sagt
selbst die Rechte besitzt, in andere
wirtschaftliche Komponenten. Panisch
eine RTL-Sprecherin. Nur dann können
Länder zu verkaufen. Die Show »Schlag
werden Planer nur, wenn die Reich-
sich starke Marken entwickeln, die
den Raab« nahmen zum Beispiel Großb-
weite sinkt.
von der DVD bis zur Mode-Kollektion
ritannien, Schweden und Finnland ab.
verwertbar sind. Sprich, nur was gute
Zudem will die Senderfamilie vermehrt
Quote bringt, wird außerhalb des Fern-
Formate entwickeln, die sich leicht in
sehens vermarktet. So verdient der
andere Länder übertragen lassen. »Ein
Bei guter Quote Vermarktung außerhalb
des Fernsehens
Kölner Sender beispielsweise an einer
Drehbuch, ein Filmset. Das spart nicht
Auch wenn die Qualitätsdiskussion
reichen Produktpalette zu DSDS sowie
nur Kosten, wir sind auch schneller am
keine Auswirkung auf die Werbe-
an den Soaps »Gute Zeiten, schlechte
Markt«, sagte Guillaume de Posch, Vor-
buchungen hat, Faktoren wie eine ver-
Zeiten« und »Alles was zählt«. Wich-
standsvorsitzender von ProSiebenSat.1,
änderte Mediennutzung sorgen dafür,
tige Erlösquelle sind die Plattenver-
im Oktober 2007 bei einer Veranstal-
dass sich die Sender nach neuen Ein-
käufe. Dabei agiert das RTL-Tochter-
tung in Hamburg. Das jüngste Beispiel:
nahmequellen umsehen. Diversifika-
unternehmen RTL Enterprises nicht
Die Show »The next Uri Geller« wurde
tion – also Einnahmen, die nicht aus
nur als Lizenzgeber, »sondern auch
in Köln in ein und demselben Studio
der klassischen TV-Werbung kommen
als Schnittstelle zwischen der Medien-
sowohl für ProSieben als auch für das
– heißt das Zauberwort. Nur: Unter
gruppe RTL Deutschland und der
niederländische Fernsehen produziert.
welchen Gesichtspunkten werden
Musikindustrie«, sagt Birgit Hönsch,
überhaupt Programme für die Rundum-
Geschäftsführerin RTL Enterprises. Die
Show war in die Medienkritik geraten –
Vermarktung ausgewählt? »Unser Kern-
Titelmelodie zur Serie »Prison Break«
Uri Geller sei ein Scharlatan, hieß es.
geschäft ist natürlich Fernsehen«, sagt
wurde nach inhaltlicher Vorgabe von
Geschadet hat es ProSieben nicht. Im
Petra Fink, Leiterin Business Develop-
RTL Enterprises komponiert, die CD
Gegenteil: Die Quoten stimmten, die
ment bei ProSieben. »Wenn wir eine
erreichte sogar Platz eins der Charts
Werbungtreibenden waren zufrieden
Sendung konzipieren überlegen wir
sowie eine Goldene Schallplatte.
und das Ausland will die deutsche
Übrigens: Auch die Uri-Geller-
zuerst: Wie funktioniert das auf dem
Bei der Produktionsfirma UFA hin-
Schirm? Erst wenn das Konzept steht,
gegen überlegt man gleich zu Beginn
Australien und die Türkei haben bereits
wird mit den einzelnen Abteilungen im
der Produktion, wie sämtliche neuen
zugegriffen. Ein Vermarktungserfolg
Haus geklärt, wer Interesse und Bedarf
Plattformen – Online, Mobile, Podcast,
made in Germany. Sigrid Eck 쎲
21 T E N D E N Z 1
2008
PROGRAMMQUALITÄT
Show. NBC in den USA sowie Kanada,
In USA macht ein Medien-Wachhund Meinung, wenn das Fernsehen zu weit geht:
Druck auf die Werbedollars
Der
Parents
Television
Council
ist
eine
der
einflussreichsten
medienkritischen
Publikumsorganisationen in den USA. Die Media-Watchdog-Gruppe erzielt durch
ihre Lobby-Arbeit erhebliche Erfolge, wenn es darum geht, die »Grenzen des guten
Geschmacks« im amerikanischen TV-Programm zu verteidigen.
Sendungen, die laut PTC die »Gren-
»Deine Vorstellung war wie ein sinken-
figer zu hören als Hohn. Offiziell hat der
des Schiff«, sagt der Musikmanager
Veranstalter der Serie, das TV-Network
zen des guten Geschmacks« über-
Simon Cowell, Jury-Mitglied in der
Fox, das zu Rupert Murdochs News
schreiten, sind ferner auch Reality-TV-
amerikanischen Castingshow »Ameri-
Corporation gehört, keinerlei Richtungs-
Reihen wie der Heiratskontest »The
can Idol«, hierzulande »Deutschland
wechsel angedeutet. Aber die Bot-
Bachelor« oder »The Swan«, in der sich
sucht den Superstar«. »Wie die Tita-
schaft scheint angekommen zu sein.
die vorwiegend weiblichen Wettbewerber Schönheitsoperationen unterzie-
nic«, fügt sein Kollege Randy Jackson
hinzu. Der arme Tropf, der vor ihnen
steht, wird unsicher, und schnell verdrückt sich das hoffnungslose Talent
Einige Konzerne vermeiden Werbung in umstrittenen Formaten
hen, um dem negativen Selbstimage
zu entkommen. »Jahrzehntelang kämpften Frauen gegen die von den Medien
rigide definierten und schwerlich ein-
von der Bühne. Ausdrücke wie »grässlich«, »lächerlich«, »unerträglich«,
»Vielleicht haben einige der Werbekun-
zuhaltenden Schönheitsideale«, urteilte
»traurig« oder »armselig« gehörten
den, die während American Idol Wer-
das PTC bei der Erstausstrahlung von
lange Zeit zum Alltagsjargon der drei
beclips schalten, protestiert«, vermutet
»The Swan« und warf den Verantwort-
Schiedsrichter von American Idol, die
Melissa Henson von der konservativen
lichen vor, die Unsicherheiten der auf-
die Kandidaten begutachteten. Das
Media-Watchdog-Organisation Parents
tretenden Frauen auszunutzen. »Innere
brachte ihnen zahlreiche Vorwürfe sei-
Television Council (PTC) in Washing-
Probleme können nicht mit Kollagen
tens der Presse und von so genannten
ton. Henson spielt damit auf eines der
behoben werden«, lautete das Fazit.
Media-Watchdog-Organisationen ein,
wichtigsten Druckmittel an, das eine
die die Macher beschuldigten, die vor-
Lobby-Gruppe wie das PTC in den USA
Serie »Nip/Tuck«, die Dramareihe, in
wiegend jungen Talente regelmäßig
als Protest mobilisieren kann: die Dro-
der es um eine Klinik für Schönheits-
zu verunsichern und zu demütigen.
hung der großen Werbekunden, ihre
chirurgie in Miami geht. Sie wird vom
Dollars aus den Werbeblocks zurück-
PTC vor allem wegen ihrer Darstellung
zuziehen.
sexueller Szenen kritisiert. Der Medien-
Doch die siebte Staffel im vergangenen Jahr löste eine Kehrtwende aus:
Ein Kandidat, der augenscheinlich geis-
General Motors und Campbell's
Als ähnlich frauenfeindlich gilt die
Wachhund listet als besonders absto-
tig behindert war, wurde von Cowell
Soup etwa weigerten sich, Werbung
ßende Beispiele eine Szene, in der der
wegen seiner hervorstechenden Augen
in einer Ausgabe der Reality-Show
Hautpdarsteller Milch von der Brust
als »Dschungelkreatur« und »Bushba-
»Survivor« zu schalten, nachdem Kritik
seiner Freundin trinkt und sie dann an-
by« lächerlich gemacht. Einen weiteren
an dem als rassistisch beklagten Kon-
geekelt wieder ausspuckt, sowie eine
Sänger, der autistisch war, verhöhnte
zept laut wurde, in dem Angehörige
Szene, in der Oralverkehr gezeigt wird,
die Jury wegen seines Übergewichts.
verschiedener ethnischer Gruppen ge-
während dessen sich der Chirurg die
Die Sendung rief zahlreiche Medienbe-
geneinander antreten sollten. Andere
Nase bricht, als seine Partnerin niest.
richte hervor, die den Verantwortlichen
Sendungen, von denen Werbeunter-
Das PTC schließt seine Kritik mit der
vorwarfen, zu weit gegangen zu sein.
nehmen lieber die Finger lassen, sind
Bemerkung: »Ein Dankeschön an Mar-
Serien wie »The Sopranos«, »The
keter wie Toyota, Vistoria’s Secret und
Idol weitaus gutmütiger daher. Ein Kan-
Shield« und »NYPD Blue«, die Kritiker
Coca Cola, die diesen Müll sponsern.«
didat, nach dessen Vorstellung zwei
gewaltverherrlichend nennen. Kon-
Schiedsrichter in Gelächter ausbrachen,
zerne, die sich regelmäßig aus umstrit-
servativen, als fanatisch geltenden poli-
ging am Ende mit einer Entschuldigung
tenen Serien heraushalten, sind Procter
tischen Aktivisten Brent Bozell mit dem
der beiden von der Bühne. Aufmun-
& Gamble, McDonalds, Disney sowie
Ziel gegründet, »der Zunahme drasti-
ternde Kommentare sind weitaus häu-
Johnson & Johnson.
scher sexueller Inhalte und Dialoge, der
In dieser Saison kommt American
22 T E N D E N Z 1
2008
PROGRAMMQUALITÄT
Das PTC wurde 1995 von dem kon-
Darstellung grundloser Gewalt und
entwürdigendem und obszönem
Sprachgebrauch« entgegenzuwirken.
Vor einem Jahr übernahm der Liberale
Timothy F. Winter den Vorsitz. Seitdem
ist der Ton des PTC weniger fanatisch
In USA geriet die Castingshow »American Idol«
und diplomatischer. Die Organisation
wegen Demütigung von Kandidaten durch
publiziert einen laufend aktualisierten
die Jury in die Kritik von Media-Watchdogs
Programmführer, in dem alle Unterhal-
(im Bild: Paula Abdul und Randy Jackson).
tungssendungen im amerikanischen
Free-TV und einige Serien im Kabelfern-
Kampagnen regelmäßig auffordert,
sehen bewertet werden. Daran ange-
Protest-Emails an die FCC, Kongress-
login Pamela Rutledge, Direktorin des
lehnt gibt es eine Hitliste der schlimm-
abgordnete und die TV-Konzerne zu
Media Psychology Research Centers
sten und besten TV-Serien.
schicken. Die FCC wiederum, deren
(MPRC) in Boston, könnte die verstärkte
Nach Ansicht der Medienpsycho-
Mitglieder vom Präsidenten eingesetzt
Zahmheit der Sender damit zu tun
liegt darauf, auf so genannte »Inde-
werden, will diese Wählergruppe im
haben, dass die Zuschauer insgesamt
cency«, zu Deutsch Unanständigkeiten
Hinblick auf die nächsten Wahlen nicht
wohlwollender reagieren, wenn die
in den Programmen aufmerksam zu
vergraulen.
Kandidaten in einer Sendung wie Ame-
Das Hauptaugenmerk der Lobby
machen. »Indecency«-Vorfälle, also
sexuelle, gewaltverherrlichende und
Laut Henson wurde die Arbeit des
PTC Mitte der 90er Jahre notwendig,
rican Idol ermuntert statt lächerlich
gemacht werden. »Es gibt ihnen Hoff-
weil die Sprache auf den Kanälen zuDie Arbeit des Parents
nehmend zu verrohte. »Die Zuschauer
Die US-Medienpsycho-
Television Council
werden Stück für Stück unempfind-
login Pamela Rutledge
wurde erforderlich, weil
licher, also legen die Programmacher
ist überzeugt, dass
der Sprachgebrauch in
den TV-Programmen zu
verrohen begann, sagt
Melissa Henson von der
Publikumsorganisation.
noch eins nach«, erklärt sie. Das PTC
lege es nicht darauf an, dass eine Sendung abgesetzt werde, sondern dass
man sich darin an die Spielregeln und
Zuschauer positiver
reagieren, wenn CastingKandidaten ermuntert
statt lächerlich gemacht
werden.
die Grenzen des guten Geschmacks
halte.
Dass die Fernsehveranstalter der
nung«, erklärt sie. Ihrer Meinung nach
Free-TV in der Primetime aus Jugend-
ständigen Kritik allmählich müde sind,
ist Reality-TV so attraktiv, weil sich »ge-
schutzgründen unzulässig und können
mag besonders in der laufenden TV-
wöhnliche Menschen, die wenig Ein-
von der Medienaufsichtbehörde FCC
Saison zum Ausdruck kommen, die
fluss haben, mit den Kandidaten identi-
geahndet werden. Tatsächlich geht die
aufgrund des inzwischen beendeten
fizieren, und man ihnen das Gefühl
FCC seit dem Skandal um die Pop-Sän-
Autorenstreiks von Reality-TV-Serien
gibt, dass sich jemand um sie kümmert«.
gerin Janet Jackson, die während des
dominiert wird. Die Fernsehanbieter
Super Bowl im Jahr 2004 in der Haupt-
scheinen es nicht mehr auf Schockwir-
gemacht, die jugendlichen Medienkon-
sendezeit eine nackte Brust zeigte, ver-
kung wie bei »Fear Factor« abzuzielen,
sumenten in amerikanischen Schulen
stärkt gegen solche Verstöße vor, unter
in der die Kandidaten Würmer essen.
über solche Bedürfnisse der Menschen
anderem deshalb, weil die Beschwer-
Aktuelle Reality-Formate sind derzeit
und wie sie sich in TV-Sendungen wi-
den aus der Bevölkerung mit Unter-
»Wife Swap« (Frauentausch), »America’s
derspiegeln aufzuklären. Ziel sei, so
stützung des PTC explosionsartig in die
Next Top Model« oder »American Gla-
Rutledge, die Medien insgesamt besser
Höhe geschossen waren. Das PTC hat
diator«, in der glamouröse Athleten in
zu verstehen, statt Sendungen wie
deshalb so viel Einfluss, weil es seine
einer Art Brot-und-Spiele-Wettbewerb
Reality-TV wegen ihrer Tabubrüche zu
über eine Million Mitglieder in diversen
gegeneinander antreten.
verdammen. Gerti Schön 쎲
obszöne Inhalte, sind im amerikanischen
23 T E N D E N Z 1
2008
PROGRAMMQUALITÄT
Das MPRC hat sich zur Aufgabe
In Großbritannien wurde der Ansatz
des Public-Service-Publishers gekippt
BBC-Gebühren für Channel 4 ?
Über vier Jahre hatte die britische Ofcom darauf gedrängt, einen Public-ServicePublisher zu etablieren, der Inhalte mit gesellschaftlichem Mehrwert produziert,
distribuiert oder zumindest finanziert. Nun wird der Ansatz nicht weiter verfolgt
— aus verschiedenen Gründen.
In Deutschland dürfte die Wende in der
delte. Niemand könne heute noch
ein anderer Faktor mitspielte. Der Re-
britischen Debatte über einen »Public
der Vorstellung widersprechen, dass
gulator trachtet seit seiner Gründung
Service Publisher« (PSP) überrascht
»Public Service Broadcasting« sowohl
danach, auch die mächtige BBC unter
haben. Gerne richtet man hierzulande
Inhalt und Distribution der neuen digi-
seine Fittiche zu bringen. Bis heute hat
in Führungsetagen und Staatskanzleien
talen Medien als auch das traditionelle
sich dies nicht realisieren lassen – trotz
den Blick nach Großbritannien, wenn
lineare Fernsehen umarmen müsse.
heftigster Bemühungen und trotz der
es um mögliche Antworten auf Fragen
Das PSP-Konzept habe einzig dazu
unbestreitbaren Tatsache, dass sowohl
der Medienpolitik geht. Von der briti-
gedient, die Debatte dahingehend zu
Labour-Regierung wie auch konserva-
schen Idee eines Public-Service-Publi-
beeinflussen. Das sei gelungen; die
tive Opposition der BBC nicht gerade
shers hatte man sich einen Lösungs-
ursprüngliche Idee von Ofcom habe
wohlgesonnen sind. Der öffentliche TV-
ansatz erhofft für das Problem, das
sich als »gerechtfertigt« erwiesen; mehr
Veranstalter gilt der Politik schon seit
alle Länder mit Public Broadcasting
habe man niemals im Sinne gehabt.
geraumer Zeit als allzu selbstbewusst
beschäftigt: Wie lässt sich in der neuen
Ein Satz, den man mit einer gehörigen
und arrogant. Zumal sich in der letzten
Medienwelt mit ihren unzähligen digi-
Prise Salz zur Kenntnis nehmen sollte.
Dekade teilweise wohlbegründete Kla-
talen TV-Kanälen und einer Explosion
von Online-Angeboten am besten Public Value sicherstellen?
Öffentlich-rechtliche
Konkurrenz für die BBC
gen häuften: Die BBC vernachlässigte
zu oft die Pflicht zu unvoreingenommener Information zugunsten eines
Vor vier Jahren war Ofcom mit der er-
beinah »totalitären Linksliberalismus«,
Interesse an der Absicht von Ofcom,
klärten Absicht an die Öffentlichkeit
der andere Auffassungen nicht zuließ.
der Aufsichtsbehörde der britischen
gegangen, diese neue Institution eines
Medien- und Telekommunikationsindu-
PSP zu schaffen; sie sollte öffentlich-
zeigten sich, wenn auch nicht immer
strie, einen Public-Service-Publisher
rechtliche Inhalte produzieren, ver-
aus den gleichen Gründen, zutiefst
zu schaffen, ein Ansatz, der nun abrupt
teilen oder zumindest finanzieren. Be-
irritiert über diesen Trend in der BBC.
aufgegeben worden ist. Über vier Jah-
gründet wurde die Notwendigkeit die-
(Der Vollständigkeit sei angemerkt,
re hinweg hatte Ofcom auf die Etablie-
ser neuen Institution, deren Etat auf
dass die BBC das Problem des linksli-
rung einer solchen Institution gedrängt
zunächst 300 Millionen Pfund veran-
beralen »Bias«, der in den vergangenen
und damit in der Industrie für Aufre-
schlagt wurde, mit der wachsenden
Jahren viele Programme immer stärker
gung gesorgt. Im März dieses Jahres
Schwierigkeit, überhaupt noch Public-
prägte, mittlerweile einräumte und
dann die erstaunliche Kehrtwendung:
Value-Programme auf kommerziellen
sich um Besserung bemüht. General-
Von Seiten des Regulators heißt es
Sendern mit öffentlich-rechtlichen
direktor Mark Thompson weiß, dass
jetzt nur noch, man habe mit dem Vor-
Auflagen unterzubringen; in Großbri-
ein Sender nicht länger auf eine Ge-
schlag lediglich »einen Stein in den
tannien handelt es sich um die kommer-
bühr der Allgemeinheit pochen kann,
Teich« werfen und eine Diskussion
ziellen Free-TV-Anbieter ITV und Five
wenn er nicht pluralistisch anglegt ist
über die Zukunft von Public Value im
sowie den bis dahin allein durch Wer-
und alle Auffassungen widerspiegelt.)
digitalen Medienzeitalter sicherstellen
bung finanzierten öffentlich-rechtlichen
wollen. Ed Richards, Chief Executive
Sender Channel 4.
Deshalb das spürbare deutsche
von Ofcom, versuchte in seiner Rede
Doch verfolgte Ofcom nebenher
Beide, Labour wie Konservative,
Doch ist es der BBC, Vorbild für alle
öffentlich-rechtlichen Sender der Welt,
trotz dieses potenziell gefährlichen
vor der »Royal Television Society« klar-
noch eine andere Absicht. Man wollte
Konfliktes mit der Politik und trotz hef-
zumachen, dass es sich nicht wirklich
eine öffentlich-rechtliche Konkurrenz
tiger Kritik an ihrer linken Schlagseite
um eine abrupte Kehrtwendung han-
für die BBC schaffen, wobei hier noch
bislang gelungen, ihre Position erfolg-
24 T E N D E N Z 1
2008
PROGRAMMQUALITÄT
Mittel. Ofcom denkt als Antwort an
»Top-Slicing« – ein bestimmter Anteil
der Fernsehgebühr würde abgezweigt
und Channel 4 zur Verfügung gestellt.
Wenn es 2012 zur Abschaltung des
analogen Signals kommt,
Ed Richards, Chief Executive
Linksliberale Verzerrung in der
Officer der Ofcom: Idee des Public-
Berichterstattung der BBC:
Service-Publishers sollte lediglich
Generaldirektor Mark Thompson
klarmachen, dass Public-Service-
weiß, dass ein Sender nicht auf
Broadcasting sowohl neue digitale
eine Gebühr der Allgemeinheit
Medien als auch klassisches Fern-
pochen kann, wenn er nicht plu-
sehen umarmen müsse.
ralistisch angelegt ist.
könnte dies Realität werden.
Die BBC allerdings wird Himmel und Hölle in Bewegung
setzen, um eine solche Entwicklung zu verhindern. Was
ihr kaum gelingen dürfte. Die
Konservativen haben das TopSlicing der Gebühr in einem
Positionspapier jetzt zu einem
Ziel ihrer Medienpolitik erklärt.
Sie haben gute Chancen, nach der
reich zu verteidigen. In den Verhand-
dass die Regierung der Ofcom signali-
lungen über die neue »Royal Charter«,
sierte, diese Idee nicht weiter zu ver-
die gesetzliche Grundlage der BBC,
folgen. Zumal ein solcher PSP in der
überdies die Überzeugung durch, dass
gelang es ihr, sowohl die Gebühren-
Praxis wohl am Ende wieder auf ein
die Idee eines PSP wenig Sinn macht.
finanzierung als auch die weitgehende
bürokratisiertes Gremium der »Guten
Eine öffentliche Einrichtung samt der
Selbstregulierung zu verteidigen. Auch
und Großen« aus dem Kulturestablish-
notwendigen Bürokratie, um Mittel für
wurde ihr ausdrücklich das Recht zu-
ment hinausgelaufen wäre, das Gelder
digitalen und Online-Content zu vertei-
gestanden, weiterhin »Quote«, das
verteilen würde – eine Einrichtung wie
len: Nach welchen Kriterien würde sie
heißt Unterhaltung – unter Verzicht auf
Großbritanniens »Arts Council«, der
handeln? Was wären die Maßstäbe für
allzu seichte Angebote – machen zu
Finanzmittel an Museen, Theater und
Public Value in einer Welt, die sich rapi-
dürfen, und kommerzielle Projekte zu
andere Projekte verteilt und dessen
de wandelt, beherrscht von nutzergene-
verfolgen, solange dies nicht mit
Kriterien nicht nach jedernmanns Ge-
riertem Inhalt und sozialen Netzwerken,
dem »Kern des öffentlich-rechtlichen
schmack sind.
beides notorisch wankelmütige Erzeug-
Auftrages« kollidiert. Eine angenehm
dehnbare Formulierung.
Der tiefere Grund ist simpel: In der
Ofcom denkt
an »Top-Slicing«
nächsten Wahl die Regierung zu bilden.
Bei der Labour-Regierung setzte sich
nisse der digitalen Individualisierung,
schlecht zu fassen, schwer, wenn nicht
gar unmöglich, dauerhaft zu definieren?
digitalen Ära verändert sich die media-
Eine ganz andere Frage ist, ob die BBC
Die Zugangswege zu den vielen Platt-
le Landschaft in rasantem Tempo.
stattdessen ihre »Gebührenexklusivi-
formen des Internet seien »enorm und
Niemand weiß genau, wohin die Reise
tät« verlieren könnte. In ein paar Jah-
vielfältig, die Hindernisse klein« heißt
geht. In einer solchen Situation wäre
ren schon wird Großbritanniens zwei-
es dazu in Londoner Regierungskreisen.
es töricht, klassisches Fernsehen vor-
ter öffentlich-rechtlicher Sender Chan-
eilig abzuschreiben und die öffentlich-
nel 4 nicht mehr auf eigenen Füßen
hatten ohnehin spöttisch ablehnend auf
rechtliche Organisationsform zu de-
stehen können. Bislang kam er finan-
den PSP reagiert. Der Direktor des His-
montieren, die sich insgesamt gesehen
ziell gut über die Runden, dank indirek-
tory Channels, Ian McDonough, nannte
bewährt und die besten Resultate
ter Subvention, einer kostenlosen Nut-
den Public-Service-Publisher »eine Kur
hervorgebracht hat. Ungeachtet aller
zung analoger Frequenzen, und reich-
für eine nicht existierende Krankheit«.
Schwächen bietet die BBC immer noch
lich sprudelnder Werbeeinnahmen.
Generell wird die Auffassung vertreten,
deutlich höhere Qualität als das kom-
Diese Einnahmen aber sinken stetig,
der Markt habe nicht versagt, er be-
merzielle Fernsehen. Von dieser Er-
allen voran wegen wachsender Online-
dürfe keiner Korrektur. Selbst wenn
kenntnis ließ sich die Labour-Regie-
Konkurrenz. Es ist absehbar, dass der
nicht jedermann diese Auffassung teilt,
rung Tony Blairs und jetzt auch die sei-
Sender, gerne wegen »gewagter, kon-
tendiert man in London derzeit dazu,
nes Nachfolgers Gordon Brown leiten.
troverser Programme« als »ungebär-
den Verzicht auf die Schaffung einer
diger, wilder Cousin der BBC« bezeich-
neuen Medienbürokratie für Online-
hätte die BBC als direkte Konkurrenz
net, in ein paar Jahren nicht mehr
Inhalte für das kleinere Übel zu halten.
betrachtet. Das war ein Grund dafür,
überlebensfähig sein wird ohne neue
Jürgen Krönig 쎲
Einen Public-Service-Publisher aber
25 T E N D E N Z 1
2008
PROGRAMMQUALITÄT
Die meisten Vertreter der Industrie
DLM Symposium zum Einfluss der
Fi n a n z i n v e s t o r e n a u f T V- P r o g r a m m e :
Rendite ohne
gesellschaftliche
Dividende ?
Für internationale Private-Equity-Firmen ist der deutsche
Fernsehmarkt eines der interessantesten Investitionsfelder. Mit ihrem Engagement bei TV-Unternehmen stellt
sich allerdings die Frage nach der Einflussnahme auf
Inhalte und notwendige medienpolitische Maßnahmen.
Das diesjährige DLM Symposium fand im März in der
Landesvertretung BadenWürttemberg in Berlin statt.
Hampson riet den TV-Unternehmen
Ausländische Investmentgesellschaften
lisierung müssten sich auch deutsche
sind im deutschen Medienmarkt, etwa
Medienunternehmen unbedingt im
neue Online-Angebote zu entwickeln,
bei Kabelnetzbetreibern und TV-Unter-
globalen Wettbewerb positionieren.
um so viele Kunden wie möglich zu
nehmen, bereits seit einigen Jahren
»Das Medienkonzentrationsrecht und
binden. Der Wettlauf um Web 2.0 sei
aktiv. Der US-Medienunternehmer
das Bundeskartellrecht gehören auf
in wenigen Jahren entschieden und
Haim Saban konnte im Kreis von Finanz-
den Prüfstand«, forderte Oettinger
es sei weit schwieriger, bestehende
investoren 2003 ProSiebenSat.1 für
zudem. Die damalige Untersagung der
Wettbewerber im Markt anzugreifen.
etwa 500 Millionen Euro im Zuge der
Übernahme von ProSiebenSat.1 durch
Kirch-Insolvenz übernehmen und die
Springer sei fraglich, weil sie erst den
am Center for Entrepreneurial and
Senderfamilie 2006 für drei Milliarden
Einstieg der Private Equities ermöglicht
Financial Studies der Technischen Uni-
an die Private-Equity-Firmen KKR und
habe. Der Axel-Springer-Konzern sei
versität München, zeige das Beispiel
Permira verkaufen. Um eine attraktive
zwar im nationalen Maßstab groß, im
ProSiebenSat.1, welche Entwicklung
Verzinsung ihres Investments zu erhal-
internationalen aber nicht.
ein Unternehmen unter der Ägide von
ten und das Unternehmen mittelfristig
gewinnbringend weiterzuverkaufen
oder an die Börse bringen zu können,
Werbeaufkommen für
Investition entscheidend
Laut Christoph Kaserer, Professor
Finanzinvestoren nehmen könne: Der
Konzern habe sich durch den Einstieg
von KKR und Permira sowie durch die
setzen Finanzinvestoren auf nachhal-
Harry Hampson, Managing Director
Übernahme der Medienholding SBS
tige Wertsteigerung. Als Geldgeber hin-
der Investmentbank JP Morgan in Lon-
zu einem europäischen Senderverbund
ter den Private-Equity-Fonds stehen oft
don, bestätigte die große Attraktivität
entwickelt. Ferner seien wertsteigernde
Pensionsfonds und Lebensversicherer.
des deutschen TV-Marktes: Deutsch-
Maßnahmen bei strategischen (Bertels-
land sei einer der wichtigsten Medien-
mann/RTL) und aktiven Investoren glei-
der Finanzinvestoren stellt sich die Fra-
märkte der Welt und habe im Broad-
chermaßen ausgeprägt.
ge, inwieweit TV-Programme dann ihre
casting-Bereich enorme Wachstums-
rundfunkrechtlich vorgeschriebenen
chancen. Im Vergleich zu anderen
privatwirtschaftlicher TV-Unternehmen,
Aufträge erfüllen können. »Es geht um
europäischen Märkten verzeichne der
bemerkte RTL-Geschäftsführerin Anke
die Frage, wie die Balance zwischen
deutsche Werbemarkt größere Wachs-
Schäferkordt: »Dadurch sind wir über-
Wirtschaftsgut und Kulturgut zu finden,
tumspotenziale, zumal die Werbeaus-
haupt erst in der Lage, Arbeitsplätze
zu halten ist«, erklärte LfK-Präsident
gaben das Niveau von vor der Werbe-
zu schaffen und Programm zu produ-
Thomas Langheinrich, Vorsitzender der
krise noch nicht wieder erreicht hätten.
zieren.« Eine Mindestrenditevorgabe
Direktorenkonferenz der Landesmedien-
Zudem verschiebe sich das Werbe-
für einzelne Sendeplätze sei aber auch
anstalten (DLM), anlässlich des DLM
volumen weiterhin von Print zu Online.
aus ökonomischen Gründen ein Fehler.
Symposiums im März in Berlin. Der
Profitieren werde laut Hampson davon
Auf die Frage nach wirksamen Anrei-
baden-württembergische Ministerpräsi-
auch das Fernsehen. Spaniens und
zen für Privatsender, mehr auf Qualität
dent Günther Oettinger, warnte jedoch
Italiens Fernsehsender hätten als Folge
zu achten, wandte sie ein: »Zunächst
davor, Finanzströme als Grundlage aller,
in Relation schon deutlich größere
müssen wir erst einmal definieren,
auch der Medienmärkte zu unterbinden.
Anteile am Werbekuchen als deutsche
was wir unter Qualität verstehen.«
Im Zuge der wachsenden Internationa-
Sender.
Man müsse weg von der persönlichen
Bei den hohen Rendite-Erwartungen
26 T E N D E N Z 1
2008
V E R A N S TA LT U N G E N
Gewinne zu erzielen, sei die Basis
Hilton im Fernsehen mehr Bedeutung
Im Vergleich zu Medien-Tycoons seien
erlangen als die Realität der Menschen,
Finanzinvestoren verhältnismäßig
als unerwähnte Kriege oder Politik,
unverdächtig. Otto sieht wie Eumann
dann ist der Rundfunk auf dem fal-
Reformbedarf für die deutsche Medien-
schen Weg.«
ordnung.
Johanna Haberer, Professorin am
Sichtweise. Schäferkordt forderte ein
Lehrstuhl für Christliche Publizistik der
Koordinatensystem, das darauf abziele,
Universität Erlangen-Nürnberg, wies
öffentlich-rechtliche und private Pro-
außerdem darauf hin: »Wer hier im Lan-
gramme mit einem Maßstab zu mes-
de Geld verdient mit Programm, sollte
sen, um eine Qualitätsdiskussion über-
sich der Verantwortung dessen stellen,
haupt erst zu ermöglichen. Ein denk-
der direkt und indirekt am Diskurs über
barer Ansporn aus dem Anreizsystem
die Werte in den zwischenmenschlichen
der britischen Medienaufsicht Ofcom
Netzen prägend teilnimmt.«
könnte hierzulande für die Privaten
In der Abschlussrunde des Sympo-
eine bessere Positionierung in elektro-
siums erklärte Götz Mäuser, Partner
nischen Programmführern sein.
von Permira und Mitglied des Aufsichts-
Damian Tambini, Dozent am Depart-
rats von ProSiebenSat.1: »Nicht jeder
ment of Media and Communications
Sendeplatz und auch nicht jeder Sender
der London School of Economics, hat-
muss sich rechnen.« Bei der Diskussion
te zuvor erläutert, dass es für kommer-
über Programmqualität bleibe für ihn
zielle TV-Sender wie Channel 4 oder
unklar, was die Sendergruppe anders
ITV in Großbritannien wegen der fast
oder besser machen solle: »Ich habe
vollkommenen Digitalisierung immer
das Gefühl, dass der Privatfunk in
schwieriger werde, sich aus Werbung
Deutschland zum Sündenbock eines
zu finanzieren. Über ein Anreizsystem
gesamtgesellschaftlichen Problems
wird es im britischen TV-System neben
gemacht wird.« Mäuser appellierte
der öffentlich-rechtlichen BBC auch
daran, die Ökonomisierung und das
privaten Anbietern ermöglicht, Public-
damit erzielte Innovationstempo positiv
Service-Broadcasting (PSB) zu veran-
zu sehen. VPRT-Präsident Jürgen Doetz
stalten. Die Verpflichtungen, die das
fügte hinzu: »Premiere gäbe es ohne
Etikett PSB jedoch auferlege, hätten
die Private Equities heute nicht mehr.«
bereits bei Veranstaltern zu Überlegungen geführt, die Lizenz zurückzugeben.
Zu viel Knut und Paris
Hilton
Marc-Jan Eumann, Vorsitzender der
RTL-Chefin Anke Schäferkordt und LfM-Direktor
Prof. Dr. Norbert Schneider diskutierten, wie
viel Rendite das Fernsehprogramm verträgt.
Analysierten medienpolitische Erfordernisse
(von links): Marc-Jan Eumann (SPD), Götz Mäuser
Medienkommission beim SPD-Partei-
(Permira), Moderator Dr. Wolfgang Schulz (Hans-
vorstand, unterstrich nochmals die
Bredow-Institut), Hans-Joachim Otto (FDP), Jürgen
Doppel-Bedeutung des Rundfunks als
Doetz (VPRT) und Thomas Langheinrich (LfK).
Wirtschafts- und Kulturgut. Er forderte:
»Die Dividende, die der private Rund-
»Wir brauchen Anregungen für eine
funk an uns ausschüttet, ist zu gering«,
Qualitätssicherung.« Das sei eine wich-
heinrich verwies auf das schweize-
kritisierte Martin Stadelmaier, Chef
tige Herausforderung für den 13. Rund-
rische Rundfunk-Modell als mögliches
der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz und
funkänderungsstaatsvertrag.
Vorbild. Dieses erteilt privaten Regional-
Leiter der Rundfunkkommission der
Vor einer Vorverurteilung der Finanz-
Der DLM-Vorsitzende Thomas Lang-
sendern Leistungsaufträge wie bei-
Länder. Informationen und Nachrichten
investoren warnte der FDP-Politiker
spielsweise Programmleistungen und
würden zugunsten der Unterhaltung
Hans-Joachim Otto, Vorsitzender des
beteiligt sie im Gegenzug an Gebühren.
aus den Programmen verdrängt. Auch
Ausschusses für Kultur und Medien im
»Vielleicht ist das auch auf regionale
öffentlich-rechtliche Sender seien
Deutschen Bundestag. »Man erinnere
Anbieter in Deutschland anwendbar«,
davon infiziert. »Wenn Knut und Paris
sich nur an Berlusconi«, mahnte Otto.
lautete sein Fazit. se 쎲
27 T E N D E N Z 1
2008
V E R A N S TA LT U N G E N
6 . Au g s b u r g e r M e d i e n g e s p r ä c h e :
Experten betonen Rolle der Eltern beim
M e d i e n ko n s u m d e r K i n d e r
Wie viel Medien
brauchen Kinder?
Kinder und Jugendliche sind ihren Eltern im Medien-
Zeigten auf, wie viel Medienkonsum
Know-how weit voraus. Vielen Eltern fehlt zudem die Ori-
für Kinder gut ist (von links): Dr. Paul
entierung, wenn es darum geht, wie viel Medienkonsum
Wengert, Prof. Dr. Ben Bachmair,
für ihre Kinder gut ist. Die Frage diskutierte daher ein
Melanie Huml, Harald Hesse, Maybrit
Expertenforum aus Politik, Forschung, Medien, Krimino-
Illner, Prof. Dr. Wolf-Dieter Ring, Prof.
logie, Jugendschutz und Pädagogik, das am 29. Januar
Dr. Christian Pfeiffer und Klaus Wenzel.
im Rahmen der Augsburger Mediengespräche stattfand.
Es moderierte ZDF-Moderatorin Maybrit Illner.
Rund 400 Besucher interessierten sich
Die Experten waren sich jedoch
Lehrer und nicht nur, um dem Leis-
für die Podiumsdiskussion im Augsbur-
einig, dass die Einbeziehung der Eltern
tungsanspruch gerecht zu werden.
ger Rathaus, die die Bayerische Landes-
bei der Mediennutzung von Heran-
Als durchschnittlichen Medienkonsum
zentrale für neue Medien (BLM) in Ko-
wachsenden eine zentrale Rolle spielt.
empfahl Wenzel, dass Vorschulkinder
operation mit den lokalen Radio- und
So sollten Eltern mit ihren Kindern zum
beispielsweise nicht mehr als 30 Mi-
Fernsehsendern sowie der Stadt Augs-
Beispiel gemeinsam eine TV-Sendung
nuten am Tag fernsehen sollten. »Es
burg veranstaltete.
anschauen und mit ihnen darüber
kommt mir nicht auf die Zeit an, son-
sprechen. Wissenschaftliche Unter-
dern auf die Umstände«, fügte er hin-
insbesondere Fernsehkonsum angeht,
suchungen zeigten ferner, dass insbe-
zu. Es sei für ein Kind kritisch, eine
die wichtigsten Vorbilder für ihre
sondere die Lebenswelt Einfluss darauf
halbe Stunde lang allein gewalthaltige
Kinder, erklärte BLM-Präsident Wolf-
habe, wie viel Medien und welche In-
TV-Inhalte anzuschauen, nicht aber
Dieter Ring. So beobachteten Fernseh-
halte Kinder konsumierten. Der Direktor
zwei Stunden einer wertvollen Sen-
forscher, dass in den neuen Bundes-
des Kriminologischen Forschungsinsti-
dung gemeinsam mit den Eltern.
ländern die Menschen länger fernsehen
tuts Niedersachsen, Christian Pfeiffer,
als in den alten und gleiches für die
erläuterte, dass ein Kind, das in der
Hesse warnte davor, durch skandali-
Kinder gilt. In punkto Kontrolle jugend-
Familie Gewalt erfahren habe, nicht so
sierende Berichterstattung bei Eltern
gefährdender Inhalte in den elektro-
gut mit gewalthaltigen Inhalten um-
Besorgnis zu erregen: »Vorurteile wer-
nischen Medien wies Ring als Vorsit-
gehen könne, wie Kinder, die in liebe-
den geschürt. Das verhindert, dass sich
zender der Kommission für Jugend
vollen Familien aufgewachsen seien.
wertfrei mit dem Thema auseinander-
Eltern seien, was den Medien- und
gesetzt wird.« Beispielsweise wüssten
medienschutz (KJM) darauf hin: »Ich
will nicht sagen, dass Fernsehen ist
harmlos, aber es ist bei weitem nicht
Gamesmarkt-Chefredakteur Harald
Nicht mehr als 30
Minuten TV täglich
so problematisch wie Teile des Inter-
Eltern nicht, dass es bei dem populären Online-Spiel »World of Warcraft«
einen Mechanismus gebe, mit dem
net, des Spiele-Sektors oder dessen,
Zudem müsste, so forderten die Ex-
was Handy-Provider zum Download
perten, Medienerziehung Bestandteil
anbieten.«
der Schulbildung sein. Klaus Wenzel,
Bayerischen Staatsministerium für
man die Spielzeit einstellen könne.
Melanie Huml, Staatssekretärin im
Präsident des Bayerischen Lehrer-
Arbeit und Sozialordnung, Familie und
sor im Fachbereich Erziehungswissen-
und Lehrerinnenverbandes, kritisierte,
Frauen, erklärte, dass sowohl Gesetze
schaft / Humanwissenschaften der
dass gesellschaftliche Probleme stets
zum Schutz der Jugend notwendig
Universität Kassel, betonte: »Kriterium
an die Schule delegiert würden. Daher
seien als auch die Prävention von
ist die Entwicklungsbeeinträchtigung
forderte er von der Politik, mit Ganz-
Kindesalter an: »Wir fördern Medien-
der Kinder. Man darf nicht Lebensstile
tagsschulen notwendige Strukturen zu
kompetenz schon in den Kindergärten
abstrafen.« Es gehe um die Ausein-
schaffen. Die Schule bräuchte mehr
– nicht nur der Kinder, sondern auch
andersetzung, wo die Grenzen liegen.
Zeit, sagte er, und zwar für Kinder und
der Erzieher und Erzieherinnen.« se 쎲
KJM-Mitglied Ben Bachmair, Profes-
28 T E N D E N Z 1
2008
V E R A N S TA LT U N G E N
F ü n f J a h r e Ko m m i s s i o n f ü r
Jugendmedienschutz:
Wie nimmt die
Öffentlichkeit Jugendmedienschutz wahr ?
Am 2. April 2008 feierte die Kommission für Jugend-
Der bayerische Ministerpräsident Dr. Günther
medienschutz in München ihr fünfjähriges Bestehen.
Becksein hielt den Festvortrag. Im Bild mit
Anlässlich des Jubiläums diskutierten hochkarätige Podi-
dem KJM-Vorsitzenden und BLM-Präsidenten
umsgäste die Wahrnehmung des Jugendmedienschutzes
Prof. Dr. Wolf-Dieter Ring sowie Verena
in der Öffentlichkeit.
Weigand, der Leiterin der KJM-Stabsstelle.
International tätige Unternehmen und
nikverständnis und -interesse – mache
in Deutschland unter anderem mit den
die Politik sollten das deutsche Jugend-
es Eltern schwer, die Mediennutzung
Selbstkontrolleinrichtungen, Filtersyste-
medienschutzsystem auch in andere
ihrer Kinder zu kontrollieren. In einer
men und Projekten wie zum Beispiel
Länder tragen, forderte Wolf-Dieter
Befragung habe das JFF festgestellt,
›Ein Netz für Kinder‹ eine Vorreiterrolle
Ring, Vorsitzender der Kommission für
dass »viele Eltern in der Lage sind, Kin-
beim Jugendschutz innehaben.« Google
Jugendmedienschutz (KJM) bei der
der in den ersten Jahren ihrer Medien-
setze sich als weltweit agierendes
Begrüßung. »Das Modell der Ko-Regu-
nutzung aufmerksam zu begleiten,
Unternehmen ein, künftig einheitliche
lierung, das im weltweiten Vergleich
allerdings wird diese Aufmerksamkeit
internationale Standards zu erreichen.
sehr strenge Regelungen beinhaltet,
geringer, sobald die Heranwachsenden
Der KJM-Vorsitzende Ring wies
darf keine Insellage einnehmen. Wir
in die digitale Medienwelt eintauchen«.
darauf hin, dass sich private Rundfunk-
können die Herausforderungen für
Der Anreiz für Eltern, sich Medien-
anbieter wie Premiere mittlerweile ge-
einen effektiven Jugendschutz zukünf-
kompetenz im Umgang mit Handys,
rade durch Jugendschutzvorkehrungen
tig nur bewältigen, wenn internationale
Spielekonsolen und dem Internet zu
im Wettbewerb positiv positionieren
Standards die Aussicht auf Erfolg
erarbeiten, fehle meist. Das komplexe
konnten. Darüber hinaus fehle trotz
gewährleisten«, betonte er. Der KJM-
Regulierungssystem sollte deshalb
gleicher Rechtsgrundlagen weiterhin
Vorsitzende war am Tag zuvor für
medienübergreifend transparent ge-
eine gemeinsame Jugendmedienschutz-
eine zweite Amtszeit wiedergewählt
staltet und am Medienalltag von Her-
aufsicht, unter die auch die öffentlich-
worden.
anwachsenden und Eltern ausgerichtet
rechtlichen Sender fallen. Auch das
sein. Die Funktion selbst bekannter
Programm der Öffentlich-Rechtlichen
und etablierter Signale des Jugend-
sei nicht frei von für den Jugendmedien-
Festrede die Bedeutung der KJM:
medienschutzes werde nicht immer
schutz problematischen Inhalten.
»Ohne eine unabhängige Kontrollin-
verstanden. Ergänzend sollten Orien-
stanz wie die KJM geht es nicht – nicht
tierungshilfen angeboten werden, die
dienschaffenden sein«, forderte Rainer
beim Fernsehen und nicht beim Inter-
es Eltern und Kindern leichter mach-
Erlinger, Moralkolumnist des SZ-Maga-
net.« Das Instrument der regulierten
ten, Medienangebote einzuschätzen.
zins. Er erinnerte auch an die Eigen-
Der bayerische Ministerpräsident
Günther Beckstein würdigte in seiner
Selbstregulierung sei der richtige Weg,
erklärte er. Gleichzeitig appellierte Beckstein an die Unternehmen, ihre Kreativität nicht nur in die Entwicklung von
verantwortung des Einzelnen, sich zu
Google für internationale Standards
im Jugendschutz
Inhalten, sondern auch in geeignete
Jugendschutzmaßnahmen zu stecken.
Helga Theunert, Wissenschaftliche
»Respekt sollte das Prinzip aller Me-
informieren und vor Risiken zu schützen.
Auch wenn es immer wieder »Ausreißer« gebe, sei der »Jugendmedienschutz in Deutschland in hohem Maße
In der Diskussionsrunde, die Bunte-
gewährleistet«, sagte VPRT-Präsident
Chefredakteurin Patricia Riekel mode-
Jürgen Doetz. Er empfahl, präventive
Direktorin des Instituts für Medien-
rierte, bekräftigte Philipp Schindler,
Maßnahmen, vor allem die medienpäda-
pädagogik in Forschung und Praxis in
Nordeuropa-Chef von Google, den
gogische Unterstützung von Eltern, aus-
München (JFF), verdeutlichte die Sicht-
Stellenwert des Jugendschutzes für
zubauen, um Jugendschutz nicht nur als
weise der Eltern: Die Generationenkluft
den Suchmaschinen-Konzern: »Es ist
»repressiven Verbotsschutz« wahrnehm-
– vor allem aber das mangelnde Tech-
mit das Verdienst der KJM, dass wir
bar zu machen. Cornelia Freund 쎲
29 T E N D E N Z 1
2008
V E R A N S TA LT U N G E N

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