BEGEGNUNG 3/2010 - Bundesverwaltungsamt

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BEGEGNUNG 3/2010 - Bundesverwaltungsamt
ISSN: 0940-3132
Begegnung
3 -2010
31. Jahrgang
DEUTSCHE SCHULISCHE ARBEIT IM AUSLAND
30 Jahrneg
Begegnu
energie & Umwelt
alumni VIP
Inland
Schriftstellerin Siba Shakib –
Herbert Feuerstein und die
Mittlerin zwischen den Welten
harte Schule des Lebens
Inland
Länderdossier
Längeres gemeinsames
Finnland: PISA-Vorreiter
Lernen? Die Frage nach dem
mit Gemeinschaftssinn
richtigen Schulsystem
Fokus – energie
& umwelt
Fragiles Gleichgewicht:
Zwischen Verantwortung
und Verschwendung
Umweltbildung an Mikroskop und Recyclingtonne –
Kinder leisten einen Beitrag
Köln 50° 55' N 6° 57' E
Editorial
Energ(et)isch denken
und handeln
Wissen Sie, wie viel von einem 1 Tonne schweren Eisblock, der ungekühlt, aber
gut gedämmt Wind und Wetter trotzen muss, nach einem Monat übrig bleibt?
Diese Frage stand im Mittelpunkt einer Aktion im Rahmen der bundesweiten Initiative „Wissenschaftsjahr Energie 2010“. Die Antwort: 52 Prozent. Energieressourcen, wie wir sie jetzt nutzen, sind endlich, wie Berlins Eisblock am eigenen
Leib erfahren musste. Mit dieser Feststellung stehen wir inmitten einer Diskussion, die sowohl Politik, Wirtschaft und Wissenschaft als auch jeden Einzelnen im
alltäglichen Leben beschäftigt – der Umweltschutzdebatte. Der Fokus der vorliegenden Begegnung befasst sich mit der wechselseitigen, aber problematischen
Beziehung zwischen Energie und Umwelt und zeigt, wie wichtig eine im Schulsystem verankerte Bildung für einen verantwortungsbewussten und intelligenten Umgang mit der Umwelt ist.
Im Länderdossier beschäftigen wir uns mit dem Erfolgsgeheimnis des Schulsystems in Finnland. Während der Begriff PISA den Deutschen Kopfzerbrechen bereitet, wird Finnland gemeinhin als Testsieger der internationalen Bildungsstudie
betrachtet. Wolfgang Weber, Schulleiter der renommierten Deutschen Schule
Helsinki (DSH), berichtet über die Erfolgsgeschichte einer deutsch-finnischen
Schulkooperation, die bereits seit 130 Jahren mit viel Energie betrieben wird.
Inputorientierung versus Outputorientierung – zurzeit wird das Thema in
Deutschland heiß diskutiert. Wir sprachen mit Prof. Dr. rer. nat. Hans Peter Klein,
Inhaber des Lehrstuhls für Didaktik der Biowissenschaften an der Frankfurter
Goethe-Universität und Geschäftsführer der Gesellschaft für Bildung und Wissen
e.V., über Sinn und Zweck von Bildungsstandards. Er hatte Neuntklässler eines
Gymnasiums eine Zentralabiturklausur des Leistungskurses Biologie NordrheinWestfalen schreiben lassen, ohne sie inhaltlich vorzubereiten. Nur 5 von 27 Schülern bestanden die Arbeit nicht. In der Ausgabe 01-2011 werden wir uns weiter mit
dem Thema Outputorientierung beschäftigen.
Der Kabarettist und Autor Herbert Feuerstein hat seine Energie bisher äußerst
kreativ und produktiv in der Fernseh- und Bücherlandschaft genutzt. Im Gespräch mit uns erzählt er über Freud und Leid an schulischer Bildung, über seine
Kritik an der Welt und seine Reiseleidenschaft.
Viel Spaß beim Lesen der vorliegenden Begegnung wünschen Ihnen
Boris Menrath
BEGEGNUNG 03-10
Stefany Krath
3
Inhalt
Inhalt
Inhalt
3
4, 5
6, 22, 38, 39, 56, 57
Editorial
Inhalt
Ausland
Meldungen
Fokus – Energie und Umwelt 10 Deutsch macht Spaß Deutschsprachiger Fachunterricht an der Porto Seguro
ab Seite 24
50 Erdbebenhilfe an der DS Valdivia Gemeinsam anpacken
24 Zwischen Vermeidung und Anpassung
58 Zirkusprojekt in Teheran Zwischen Clowns und Feuerspeiern Während der Energiebedarf des Menschen scheinbar grenzenlos wächst,
muss die Umwelt immer größere Belastungen tragen. Angesichts steigender
CO2-Emissionen und schmelzendem Meereis debattieren Experten über die
Notwendigkeit eines Wandels im Umgang mit Ressourcen. Speziell für
Länderdossier
zukünftige Generationen eine große, vielleicht die größte Herausforderung.
Inland
44 Finnland Eine Schule für alle
28 Umweltbildung an Schulen
Wandel in den Köpfen
8 Interview mit dem Präsidenten des Bundesverwaltungsamtes
Christoph Verenkotte
„Die pädagogische Kompetenz der ZfA könnte mehr Sichtbarkeit vertragen.“
Alumni VIP
16 Siba Shakib: Mittlerin zwischen den Welten
12 Input versus Output? Interview mit Prof. Hans Peter Klein über Sinn und Zweck von Bildungsstandards
Die deutsch-iranische Schriftstellerin Siba Shakib lebt abwechselnd in den
USA, Italien und Dubai und schreibt über menschliche Schicksale im Iran
und in Afghanistan. Sie selbst wuchs in Teheran auf und besuchte dort in den
70er Jahren die Deutsche Schule. Mit ihren Büchern will sie zwischen der
westlichen und der orientalischen Welt vermitteln. 34 Sprache: Voraussetzung, Perspektive, Zukunft
Das ganze Land debattiert über Immigrierte, teilt in „Verweigerer“ und
„Integrierte“ auf. Doch über die Chance auf eine erfolgreiche Integration
Ortstermin
wird meist schon in Kindergarten und Schule negativ entschieden – über
die Köpfe der Kinder und Jugendlichen hinweg. Ein Projekt in Ludwigshafen
zeigt einmal mehr die Bedeutung frühkindlicher Sprachförderung.
Kolumne
40 Eine einzige witzige Anekdote Kult-Komiker Herbert Feuerstein
62 Buschardts Querschläger: „Weia! Wage! Woge, du Welle, walle zur Wiege!“
52 Länger gemeinsam lernen
Zwischen Hoffnung und Befürchtung
Personalia
61 Impressum
55 Pro & Contra Prof. Dr. Ludger Wößmann und Dr. Bernhard Bueb zum Thema „Einführung einer sechsjährigen Primarstufe“
4
32 Gekommen, um zu bleiben Die letzten Mennoniten von Rot-Front
BEGEGNUNG 03-10
61 Schreibtischwechsel
BEGEGNUNG 03-10
5
Meldungen
Meldungen
DS Lima:
Kooperationsvertrag mit TU9
Lima/Berlin. Die Deutsche Schule
Alexander von Humboldt Lima und
der Bundesverband der neun führenden Technischen Universitäten in
Deutschland TU9 haben einen wegweisenden Kooperationsvertrag geschlossen. Gegenstand der Vereinbarung sind unter anderem exklusive
Universitätsbesuche für Schüler-
Kanzlerin besucht Jesuiten-Gymnasium in Vilnius
gruppen der DS Lima und umfangrei-
Vilnius. Auf ihrer zweitägigen Bal-
Deutschland. Merkel sagte, sie freue
che Informationsmaterialien für die
tikum-Reise besuchte Bundeskanz-
sich über jeden, der die deutsche
Schüler über ein Studium in Deutsch-
lerin Dr. Angela Merkel das Jesuiten-
Sprache lerne. Anlässlich des Besuchs
land. Bereits seit fünf Jahren werben
Gymnasium im litauischen Vilnius.
der Kanzlerin luden ZfA und Schullei-
die TU9-Universitäten aktiv um Ab-
Erst im September war an der Schule,
tung zu einer Gründungskonferenz
solventen der Deutschen Schulen im
die von der Zentralstelle für das Aus-
für ein neues Netzwerk ein. Es soll
Ausland. Um die bereits sehr guten
landsschulwesen (ZfA) gefördert
Deutsch lernenden Schülern sowie
Beziehungen zu verfestigen, schließt
wird, ein deutscher Schulzweig eröff-
Alumni aus ganz Litauen ein Forum
TU9 mit ausgewählten Deutschen
net worden. Die Kanzlerin sprach mit
bieten, um sich über Sprache, Stu-
Auslandsschulen Kooperationsver-
den Schülerinnen und Schülern über
dienangebote und Kultur Deutsch-
träge ab.
ihre Motivation, Deutsch zu lernen,
lands auszutauschen.
„Ich freue mich, dass mit dieser Ko-
und ihre bisherigen Erfahrungen in
[AP]
operation unsere Abiturienten und
Studenten an den TU9-Universitäten
in den Genuss wertvoller Beratungsund Betreuungsangebote kommen
können“, sagt Albrecht Schmidt,
Schulleiter der DS Lima. Die zweisprachige Begegnungsschule bietet eine
Bundesverdienstkreuz für Detlef Ernst
umfassende Ausbildung in Mathematik, Informatik und den Naturwissen-
Shanghai. Detlef Ernst, Vorstands-
schaften Biologie, Chemie und Phy-
vorsitzender der Deutschen Schule
sik – eine sehr gute Grundlage für ein
Shanghai und des Weltverbands
Studium an den führenden deutschen
Deutscher Auslandsschulen (WDA),
Technischen Universitäten. Elf Absol-
ist mit dem Verdienstorden der Bun-
venten der DS Lima studieren derzeit
desrepublik Deutschland am Band
Ernst war als Vorsitzender des Schul-
an einer der TU9-Universitäten und
ausgezeichnet worden. Die Aus-
vereins maßgeblich am Auf- und Aus-
sind Mitglied bei „TU9 DANA“, einem
zeichnung wurde am 23. September
bau der Schule beteiligt. Als der selbst-
universitätsübergreifenden Netz-
2010 im Generalkonsulat Shanghai
ständige Unternehmer im Jahre 2001
werk für Absolventen Deutscher Aus-
durch den Generalkonsul Dr. Wolf-
Mitglied im Vorstand des Schulver-
landsschulen, das den Studienstart
gang Röhr überreicht. Das Bundes-
eins wurde, zählte die DS Shanghai
in Deutschland erleichtern und den
verdienstkreuz erhielt Ernst für seine
190 Schüler, mittlerweile besuchen
Verdienste um die DS Shanghai und
1.100 Kinder und Jugendliche an zwei
das deutsche Auslandsschulwesen.
Standorten die Einrichtung.
Austausch anregen soll.
6
[VW]
[SK]
BEGEGNUNG 03-10
Inland
Köln 50° 55' N 6° 57' E
„Die pädagogische Kompetenz der ZfA
könnte mehr Sichtbarkeit vertragen.“
Köln 50° 55' N 6° 57' E
InlanD
an Fachaufgaben und Kompetenzen
Es gibt natürlich eine Aufgaben­
Ich unterstütze die Einführung der
erhalten, denn sie nützt den Auftrag­
teilung mit den anderen Kulturin­
Dachmarke mit großem Nachdruck.
gebern des BVA.
stitutionen. Bei der Förderung der
Wir wollen durch eine Dachmarke
deutschen Sprache übernimmt das
die gemeinsame Identität unterstüt­
Können Sie ein Beispiel geben?
Goethe-Institut einen bestimmten
zen. Auch wenn diese schon in den
Wir arbeiten zum Beispiel im BVA
Part. Während das Goethe-Institut
Köpfen existiert, wird sie durch solch
seit Jahren mit der Kosten-Leistungs-
mehr Aufgaben der Breitenarbeit
eine sprachliche und symbolische
Rechnung. Das ist ein betriebswirt­
wahrnimmt, liegt die pädagogische
Fassung sichtbarer und wird damit
schaftliches Element zur Ermittlung
Kompetenz eindeutig bei der ZfA.
auch deutlicher.
des Aufwands bei der Durchführung
Insofern habe ich schon einmal zu­
Seit März 2010 ist Christoph
einer bestimmten Aufgabe. Es ermög­
gespitzt den Hinweis an das Auswär­
Die Dachmarke soll nicht nur das Wir-
Verenkotte Präsident des Bun-
licht eine effektive Steuerung, setzt
tige Amt gegeben, dass man darüber
Gefühl spiegeln, sondern sie soll auch
aber voraus, dass man das auch mit
nachdenken muss, was die Sichtbar­
der Schulgemeinde deutlich machen,
entsprechenden Controllingelemen­
keit dieses besonders wichtigen An­
dass sie nicht eine einzelne Schule,
ten versieht. Wir setzen ein Balanced-
teils angeht.
die in dem Land X oder Y sitzt, ist.
desverwaltungsamtes (BVA)
und damit auch verantwortlich für die Zentralstelle für
Scorecard-System und Zielvereinba­
das Auslandsschulwesen (ZfA).
rungen auf allen Ebenen ein.
Stefany Krath und Boris Menrath sprachen mit ihm über
Sie macht deutlich, dass die einzelne
Ich finde es gut, dass wir im Rahmen
Schule Teil eines weltweiten Netzwer­
der Partnerschulinitiative (PASCH)
kes ist, hinter dem mehr steht.
Das ist nicht selbstverständlich für
mit den anderen Institutionen zu­
Verwaltungen des öffentlichen
sammenarbeiten. Allerdings finde
Entscheidungsträger müssen bei In­
die Rolle der ZfA innerhalb der
Dienstes, denn das hierfür erforder­
ich schon, dass die pädagogische
vestitionen immer wissen, in was sie
Auswärtigen Kultur- und Bil-
liche Wissen und die erforderlichen
Arbeit am längsten wirkt. Die Schü­
investieren. Gerade im Feld der Aus­
Strukturen aufzubauen und dauer­
lerinnen und Schüler der Deutschen
wärtigen Kultur- und Bildungspolitik
haft anzuwenden ist für einen einzel­
Auslandsschulen sind diejenigen, die
ist das ganz besonders wichtig. Na­
nen, ggf. „kleinen“ Aufgabenbereich
vielfach nach ihrer Schulzeit Multi­
türlich wissen sie, dass die Deutschen
schwierig. Dies kann aber im BVA
plikatoren in ihren Heimatländern
Schulen im Ausland erhebliche Be­
für eine Vielzahl von Aufgaben ge­
sind. Dies ist dann ein Beitrag, der
deutung haben. Aber diese Idee, dass
nutzt werden.
noch ein wenig mehr Sichtbarkeit
alle in ein gemeinsames Netzwerk in­
und materielle Unterstützung vertra­
vestieren, kann durch die Dachmarke
gen könnte.
noch unterstrichen werden. Davon
dungspolitik und die Einführung einer neuen Dachmarke
für das Auslandsschulwesen.
Das Selbstverständnis des BVA beruht
auf dem Dienstleistungsgedanken, oft
Die ZfA ist ja eine Abteilung einer Be-
ist auch die Rede von Kundenorientie-
hörde. Sehen Sie eine Schwierigkeit
rung. Inwiefern wollen Sie an dieser
darin, gerade im Zusammenspiel mit
Welche Chancen sehen Sie in der Ein-
Ausrichtung weiterarbeiten?
den deutschen Kulturmittlern wie dem
führung einer gemeinsamen Dach-
Goethe-Institut oder dem Deutschen
marke im Auslandsschulwesen?
Das Bundesverwaltungsamt ist der
zentrale Dienstleister des Bundes
Ich sehe da gar kein Spannungsfeld.
eine Bandbreite an Methoden und
Akademischen Austausch Dienst?
und arbeitet in vielen Bereichen für
Das ist eine normale Situation, die wir
Ressourcen Rückendeckung geben
Da sehe ich kein Problem. Es ist eher
die Bundesregierung. Die Dienst­
im BVA in vielen Aufgaben­gebieten
kann. Wir sind in der Lage, den vie­
von Vorteil, dass wir die ZfA als Ab­
leistungsaufgabe hat noch enormes
haben. Wir arbeiten für fast alle Bun­
len Fachaufgaben eine Vielzahl an
teilung des BVA behördlich orga­
Potenzial. Die generelle Ausrichtung
desministerien und sorgen dafür, dass
Verwaltungs­k ompetenzen, Perso­
nisiert haben. Der Bildungsbereich
des BVA ist es, die Bundesaufgaben
der politische Auftrag fachgerecht
nal und Informationstechnologien
ist eine gesamtstaatliche Aufgabe
zielgerichtet, effektiv und kosten­
und erfolgreich umgesetzt wird. Das
zur Verfügung zu stellen, und bieten
von Bund und Ländern, die wir ge­
günstig wahrzunehmen.
fachliche Können hat das BVA in der
Unterstützung bei der Umsetzung
meinschaftlich wahrnehmen wollen.
Wir werden uns auch in Zukunft als
Vergangenheit auch im Rahmen des
moderner Verwaltungsmethoden.
Wenn wir an Teilelemente der Auf­
verlässlicher und leistungsfähiger
Auslandsschulwesens bewiesen. Ich
All dies kann für eine Fachaufgabe
gabe der Zentralstelle denken, etwa
Partner der Politik, den Behörden der
glaube, das Auswärtige Amt ist mit
auf sehr unterschiedliche Weise nütz­
die Schulinspektion, die von gemein­
Bundesverwaltung und den Bürge­
unserer Arbeit sehr zufrieden.
lich sein, zum Beispiel bei der kurz­
samen Kommissionen von Bund und
fristigen Lösung außerordent­licher
Ländern durchgeführt werden, ist
Seit über 40 Jahren ist die ZfA eine Ab-
Problem­stellungen. Dies sind Kompe­
die Kommunikation und die Zusam­
Die ZfA ist eine Abteilung des BVA,
teilung des BVA. Welche Vorteile sehen
tenzen, die eine kleine Stelle nicht für
menarbeit deutlich einfacher. Die Ab­
steht aber mit der Betreuung der deut-
Sie in dieser Eingliederung?
einen Bedarfsfall vorhalten kann. Alle
stimmungsmechanismen mit dem
schen schulischen Arbeit im Ausland
Der Vorteil der Eingliederung ist,
Bereiche des BVA haben diese Vorteile
Auswärtigen Amt sind einfacher zu
unter der Fachaufsicht des Auswär-
dass eine große Dienstleistungs­
erkannt. Ich stehe als Behörden­chef
handhaben. Wir sprechen schneller
tigen Amtes. Wie bewerten Sie dieses
behörde wie das BVA auch für eine
dazu und finde das richtig. Ich bin da­
die gleiche Sprache.
Spannungsfeld?
sehr spezielle Fachaufgabe durch
ran interessiert, dass wir diese Vielfalt
rinnen und Bürgern anbieten.
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BEGEGNUNG 03-10
BEGEGNUNG 03-10
bin ich überzeugt.
Boris Menrath und Stefany Krath im Gespräch mit Christoph Verenkotte
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Ausland
São Paolo 23° 25' S 46° 28' W
São Paolo 23° 25' S 46° 28' W
Ausland
Fachunterricht (DFU) entwickelt, das sich bereits an junge
vorwiegend auf dem mündlichen und praktischen Engage-
Deutschlerner richtet und mit den alten Traditionen vom
ment der Teilnehmer und nicht auf schriftlichem Abfrage-
trockenen Vokabelnpauken bricht: Mit spannenden Expe-
wissen basiert. Es ist die erste Erfahrung der Schüler mit der
rimenten und gezieltem Spielen erwerben acht- und neun-
deutschen Schulkultur: in Zeiten zunehmender Globalisie-
jährige Schüler methodische und soziale Kompetenzen und
rung ein wichtiges Ziel des DFU. Zudem wird der Unterricht
lernen spielerisch Deutsch.
überwiegend von Lehrkräften aus Deutschland gestaltet,
die sich durch Sprache und Kultur von einheimischen Lehr-
„Naturwissenschaft in der Küche“ und „Spiel mit“ bilden
kräften unterscheiden.
an der Porto Seguro den wöchentlichen DFU in der GrundDer interkulturelle Austausch funktioniert auch in umgekehrter Richtung: Da der DFU überwiegend von deutschen
Fachlehrern ohne DaF-Ausbildung erteilt wird, werden die
betreffenden Lehrkräfte gezielt auf ihren Einsatz vorbereitet: durch eine schulinterne Fortbildung der DaF-Abteilung
und regelmäßige Hospitationen im DaF-Unterricht.
Hervorragende Schüler gewinnen
2002, als das DFU-Konzept der Porto Seguro entstand,
musste sich der deutsche Zweig das Interesse der brasilianischen Eltern erkämpfen. Die zunehmende Globalisierung
und die veränderten Anforderungen des Arbeitsmarktes
drangen nur langsam in das Bewusstsein der Eltern vor. Die
Zahl der entsandten Fachkräfte nahm stetig ab und die Abiturientenzahlen der Schule waren rückläufig. Ein neues
Konzept sollte das Absterben des deutschen Zweiges auf-
Deutsch macht Spaß
Gespannte Aufmerksamkeit beim Experimentieren in deutscher
Sprache an der Porto Seguro
halten – die Geburtsstunde des extracurricularen DFU:
Besonders begabte Schüler aus dem brasilianischen Zweig
sollten gezielt gefördert werden, um im Anschluss an das
Deutschsprachiger Fachunterricht an der
Porto Seguro
von Monika de Oliveira Souza und Matthias Holtmann,
Colégio Visconde de Porto Seguro
7. Schuljahr in das bilinguale Curriculum wechseln zu
schule. Die abwechselnd stattfindenden zweistündigen
können. Diese spezielle sprachliche, fachliche und metho-
Kurse werden erst seit diesem Jahr angeboten und ergän-
dische Förderung ist bis heute das oberste Ziel des DFU.
zen das seit 2002 bestehende vierstündige DFU-Angebot
Voraussetzungen für die Aufnahme: eine Prüfung im
der Sekundarstufe. Der naturwissenschaftliche Kurs orien-
Fach Deutsch und überdurchschnittliche Leistungen in
tiert sich am natürlichen Interesse der Kinder an Umwelt,
allen Fächern.
Natur und Technik, das durch spannende Experimente gezielt gefördert werden soll. Bei „Spiel mit“ wird das Spielen
„Einzigartige Chance“
Jeweils zu zweit füllen die Schüler ein Glas mit Leitungswasser sowie ein Glas mit Mineralwasser,
selbst zum Programm. Das gemeinsame Umsetzen und Er-
Obwohl sich die Porto Seguro wie andere Privatschulen
geben Rosinen ins Wasser und beobachten, was passiert. Besonders spannend wird es, als die acht-
leben wirkt sich positiv auf alle Kompetenzbereiche aus:
gegen ortsansässige Schulen mit bilingualem Angebot be-
Die Kinder stärken in Rollen-, Bewegungs- und Sprachspie-
haupten muss und englisch- und spanischsprachige Schu-
len sowie beim Singen und Basteln ihre methodischen und
len oft mehr gefragt sind, ist das DFU-Konzept der Porto
sozialen Kompetenzen.
Seguro äußerst erfolgreich. Seit der Einführung ist die
jährige Valentina vier Rosinen in das sprudelnde Mineralwasser gibt. Auf einmal löst sich eine der
Rosinen vom Glasboden und steigt nach oben, die anderen Rosinen folgen. Auf und ab bewegen sie
sich, als ob die Rosinen tanzen!
Exklusivität steigert Nachfrage
Zahl der Teilnehmer bis auf über 220 Schüler gestiegen. Jedes Jahr wechseln vom landessprachlichen Zweig über 30
Die Kinder in der Schulküche des Colégio Visconde de
Kinder haben die neuen Begriffe eingetragen. Dort findet
Der DFU an der Porto Seguro ist extracurricular und da-
Schüler in das deutsche bilinguale Curriculum. Ein Großteil
Porto Seguro sind begeistert und tragen ihre Beobach-
Valentina nun alle Wörter, die sie zur Erklärung braucht.
her für Teilnehmer des landessprachlichen Zweiges kos-
dieser Wechsler hat zuvor am extracurricularen DFU teil-
tung in Form einer Zeichnung auf dem Arbeitsblatt ein.
Jetzt haben alle Kinder das Geheimnis der tanzenden Ro-
tenpflichtig. Die Bewerber müssen sich zudem einer Auf-
genommen. So wie Marina Mendoça, die in Deutschland
„Wie kannst du das erklären?“, fragt die Lehrerin und viele
sinen verstanden und sprechen im Chor, wobei sie die Be-
nahmeprüfung der DaF-Lehrer in der deutschen Sprache
Wirtschaftswissenschaften studiert und 2009 an der Porto
Hände schnellen nach oben. Doch beim Erklären des Vor-
deutung der einzelnen Wörter mit Handbewegungen ver-
unterziehen. 14 Teilnehmer werden in einem Kurs aufge-
Seguro ein Abitur mit der Note 1,0 abgelegt hat. Enthusias-
gangs sind schnell die Grenzen des Deutschen erreicht. Die
deutlichen: „Die Kohlensäure in dem Mineralwasser trägt
nommen, und durch die Exklusivität des Kursangebots
tisch berichtet sie über ihre Erfahrungen im DFU: „Ich hatte
Schüler der 3. Klasse haben erst 2 Jahre Deutsch als Fremd-
die Rosinen. Die Rosinen steigen auf und ab.“
übersteigt die Nachfrage das Angebot bei Weitem.
die Gelegenheit, eine Kultur kennenzulernen, die mir bis
dieser Sprache. Die Lehrerin zeigt auf das Arbeitsblatt mit
Kindliches Interesse gezielt fördern
Raum für interkulturelle Erfahrungen
den Abbildungen: Zu Beginn des Unterrichts hat sie die
Die größte Deutsche Schule im Ausland, die Porto Se-
Am Ende eines jeden Semesters erhalten die Teilnehmer ein
deutschen Vokabeln für das Experiment erklärt, und die
guro in São Paulo, hat ein Konzept für deutschsprachigen
Zertifikat, das anders als im landessprachlichen Schulzweig
sprache (DaF) gelernt – nun experimentieren sie in und mit
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BEGEGNUNG 03-10
BEGEGNUNG 03-10
dahin völlig unbekannt war. Ab diesem Zeitpunkt wurde
mir klar, dass der bilinguale Zweig für mich eine einzigartige Chance ist.“
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Inland
Frankfurt 50° 7' N 8° 38' E
Frankfurt 50° 7' N 8° 38' E
InlanD
bedeutet ja, dass Lernen in allen
Referieren, Kommunizieren und vor
ohne normativen humanen Kern
Schulklassen zu einem gleichen Zeit-
allem Präsentieren stehen im Vorder-
implementiert. Die zunehmende
punkt auf gleichem Niveau stattfin-
grund des neuen Unterrichts. In Gra-
Ausrichtung des Bildungswesens an
den soll. Dies führt dazu, dass an den
duiertenkollegs an der Uni werden
einem utilitaristischen Menschenbild
Schulen zunehmend ein „teaching
solche Fähigkeiten als Soft Skills be-
des „homo oeconomicus“ – auch als
to the test“ nach US-amerikanischem
zeichnet, die zusätzlich zu der Basis –
„Ökonomisierung“ der Bildung be-
Vorbild stattfindet, das heißt die Leh-
dem fundierten Fachwissen – erlernt
zeichnet – ist dabei das generelle Ziel
rer bereiten ihre Schüler methodisch
werden sollen und deren Beherr-
eines neoliberalen Bildungsverständ-
auf diese Form der kompetenzorien-
schung durchaus einen Sinn macht.
nisses, das den Menschen als Unter-
Bildungsstandards, Kerncurricula, Inputorientierung oder Out-
tierten Aufgabenstellungen vor, aber
In der Schule ersetzen aber jetzt die
nehmer seiner selbst und Bildung
putorientierung – seit PISA wird über die vorzunehmenden Ände-
nicht mehr auf die Inhalte. Wir leh-
Soft Skills die Inhalte. Hauptsache, die
vor allem als Investition in Human-
nen Bildungsstandards grundsätz-
Power-Point-Präsentation ist optisch
kapital sieht.
lich ab. Als pädagogischer Kern der
überzeugend und der Vortragende
Hinzu kommt die Forderung nach Er-
„Die Kompetenzorientierung springt als Tiger
und landet als Bettvorleger!“
rungen im deutschen Bildungssystem heftig debattiert. Stefany
Krath sprach mit Prof. Dr. rer. nat. Hans Peter Klein, Inhaber des
höchst problematischen Reformen
trägt geschickt vor, die Inhalte rü-
höhung der Abiturientenzahlen auf
Lehrstuhls für Didaktik der Biowissenschaften an der Frankfurter
steht die Ausrichtung des schulischen
cken dabei in den Hintergrund oder
bis zu 70 Prozent eines Jahrgangs.
Goethe-Universität und Geschäftsführer der Gesellschaft für
Lehrens und Lernens auf Bildungs-
werden teilweise von den Vortragen-
Man glaubt, dieses durch soziales Ler-
standards und die Umstellung von
den nicht einmal verstanden.
nen erreichen zu können. Der dabei
Bildung und Wissen e. V., über Sinn und Zweck von Bildungsstandards.
Wissen auf Kompetenzen. Keiner der
zugrunde liegende Glaube an den
Protagonisten kann mehr als nur all-
Gibt es noch weitere Einflussfaktoren?
Vorteil des gemeinsamen Lernens
gemeine, triviale oder abstrakte Aus-
Schon 2005 wiesen in den „Frankfur-
sowohl für gute und schlechte Schü-
Herr Prof. Klein, Sie haben in den
nicht nur auf Biologie beschränkt,
„intelligentem“ oder „kumulativem“
sagen zu Kompetenzmodellen ma-
ter Einsprüchen gegen die Techno-
ler gleichermaßen in kommenden
letzten Wochen mit einem prakti-
sondern trifft auf verschiedene an-
Wissen, das durch kompetenzorien-
chen, die ja die Voraussetzung einer
kratisierung des Bildungssystems“
Einheitsschulen kann sich bis heute
schen Schulversuch Schlagzeilen ge-
dere Fächer auch zu.
tierte Aufgabenstellungen zu erwer-
Kompetenzorientierung darstellen.
namhafte Forscher in einer damals
auf keine einzige wissenschaftliche
ben sei. Entsprechend sind ja auch die
Auch muss grundsätzlich hinterfragt
viel beachteten Tagung auf diese
Untersuchung gründen. Ganz im
macht. Schildern Sie bitte kurz Ihre
Vorgehensweise.
Zum Beispiel?
PISA-Aufgaben konzipiert. Dort wer-
werden, ob Bildung sich überhaupt
verhängnisvolle Entwicklung hin.
Gegenteil, wie das Lehmann-Gutach-
Wir haben in einer Art subversi-
Wir machen jetzt gerade eine Unter-
den dann auch keine Wissensfragen
in Kompetenzen zerlegen lässt und
Die Bildungsstandards zielen also
ten in Berlin deutlich gezeigt hat, ist
ver Untersuchung einer Klasse 9 an
suchung im Fach Englisch. Auch dort
im Sinne von „Wie viel ist 63 – 7x3?“
ob diese dann auch noch in fünf oder
nicht zuletzt darauf ab, den Wandel
eher mit dem Gegenteil zu rechnen.
einem Gymnasium eine Leistungs-
scheint es so zu sein, dass zumindest
oder „Was versteht man unter Photo-
sechs Kompetenzstufen zu erfassen
des bisher humanistisch orientier-
Wenn man heute auf die Webseite
kursabiturarbeit des Jahres 2009
Mittelstufenschüler die Note ausrei-
synthese?“ gestellt, sondern kon-
sind. Ungeklärt ist bis heute, was Bil-
ten Bildungsverständnisses mit dem
zum Beispiel des Schulministeriums
aus der Biologie vorgelegt. Der erste
chend oder sogar besser erreichen
textbezogene Aufgabenstellungen
dungsstandards inhaltlich zu erfas-
Anspruch, junge Menschen zu be-
in NRW schaut, steht fast direkt auf
Eindruck der umfangreichen Auf-
können. Ein Scheitern an dieser Art
benutzt, in denen die meist vorgege-
sen haben und erfassen könnten und
fähigen, verantwortungsbewusste
der ersten Seite, dass Wissen in der
gabenstellung war durchaus positiv
von Aufgabenstellungen ist praktisch
benen Antworten in Textaufgaben
was mit dem geschehen soll, was sich
Bürger eines demokratischen Ge-
Schule nicht mehr vermittelt werden
und ließ ein äußerst anspruchsvolles
so gut wie ausgeschlossen.
verkleidet oder wie im Zentralabitur
der Standardisierung entzieht.
meinwesens zu werden, auf ein tech-
soll. Dafür könnten die Schüler auch
im umfangreichen Begleitmaterial
nokratisches Bildungsverständnis zu
zu Hause bleiben. Das halten wir na-
trachtung stellte sich aber schnell
Machen Sie auch diese Untersuchung in
mehr oder weniger komplett vorge-
Wo sehen Sie die Schwachstellen in die-
vollziehen, was sich den Forderungen
türlich für baren Unsinn.
heraus, dass alle Fragen aus dem
Nordrhein-Westfalen oder haben Sie sich
geben sind. Dabei gelten besonders
sem System?
der Wirtschaft unterwirft: Bildung
beiliegenden Material komplett zu
ein anderes Bundesland ausgesucht?
die Zentralabiturarbeiten in der brei-
Derzeit werden in allen deutschen
muss danach ausschließlich als Mittel
Danach ist Schule also überflüssig?
erarbeiten waren. Das bedeutet im
Dazu möchte ich jetzt nichts sagen.
ten Bevölkerung als besonders an-
Bundesländern weitgehend blind-
für junge Menschen verstanden wer-
Nein, natürlich nicht. Man scheint
Klartext, der Schüler braucht eigent-
(Schmunzelt)
spruchsvoll. Der kritische Blick in die
lings und konzeptlos, aber mit großer
den, um sich auf dem freien Markt der
aber zu glauben, dass jeder Schüler in
Aufgabenstellung zeigt dann aber
Betriebsamkeit die alten inhaltsbezo-
globalen Kräfte zu positionieren bzw.
einem falsch verstandenen konstruk-
Niveau vermuten. Bei genauerer Be-
lich gar kein Wissen mehr einzubringen, er braucht nur noch Lese- und
Reden wir über Bildungsstandards. Was
deutlich: Es findet eine Nivellierung
genen Lehrpläne durch kompetenz-
sich durchsetzen zu können – Bildung
tivistischen Ansatz in der Lage ist, sich
Zuordnungskompetenz. Er muss ein-
halten Sie grundsätzlich von der Um-
der Ansprüche statt, die ein Scheitern
orientierte Kerncurricula ersetzt. In
wird also als Ausbildung gänzlich
Faktenwissen selbst anzueignen.
fach die Stellen finden, an denen die
stellung inputorientierter Wissensver-
weitgehend ausschließt, aber auch
den Lehrplänen stand bisher drin,
Antworten in Form von Kurven, Gra-
mittlung auf den outputorientierten
Leistungen nicht mehr herausfordert.
was der Lehrer grob an Inhalten mit
fiken und Texten vorgegeben sind.
Kompetenzerwerb?
Die Kompetenzorientierung springt
den Schülern zu erarbeiten habe. In
Entsprechend findet man nach den
Da muss ich ein wenig ausholen. Als
als Tiger und landet als Bettvorleger!
den neuen Kerncurricula findet man
Abiturprüfungen auf Facebook und
Ergebnis der PISA-Studie wurde ja
Das Gesamtpaket wird dann der Öf-
davon keine Spur mehr. Stattdessen
sonstigen neuen Kommunikations-
behauptet, dass die relativ schlech-
fentlichkeit als Exzellenz verkauft,
tauchen hier Könnensbeschreibun-
medien Einträge, in denen sich Schü-
ten Ergebnisse darauf zurückzufüh-
eine glatte Mogelpackung.
gen auf, die sich jeder Operationali-
ler massiv darüber beschweren, dass
ren seien, dass der Wissenserwerb
sie eigentlich gar nichts hätten lernen
bisher additiv erfolgte, und dies
Die Bildungsstandards bedingen zu-
der Schwerpunkt durch Fokussie-
brauchen, das hätten sie auch so ge-
habe zu einem nicht anwendbaren
sätzlich einen weiteren negativen Ef-
rung auf Methodenkompetenz weit
konnt. Und wie unsere neuen Unter-
„toten“ oder „trägen“ Wissen ge-
fekt: Die quantitative Erfassung von
weg von der Generierung von Wis-
suchungen feststellen, ist das wohl
führt. Ziel sei daher der Aufbau von
standardisierten Lernergebnissen
sen gelegt. Arbeiten in der Gruppe,
12
sierung entziehen. Zusätzlich wird
BEGEGNUNG 03-10
BEGEGNUNG 03-10
13
Inland
Frankfurt 50° 7' N 8° 38' E
Dass dies nicht so ist, weiß jeder, der
machen. Aber da wird man sich noch
was ist da noch Standard? Wir können
schon mal in der Schule in dem ein
wundern.
das leichte Beispiel heranziehen, dass
oder anderen Fach Schwierigkeiten
in Bayern nach wie vor 20 Prozent der
hatte: Dies lag nicht daran, dass man
Ist der international anerkannte Prä-
Schüler Abitur machen, und in Berlin,
irgendeine Kompetenzstufe nicht er-
dikatsabschluss Abitur ernsthaft in
Hamburg und NRW werden es dem-
reicht hatte, sondern dass es einem
Gefahr?
nächst 60 bis 70 Prozent sein. Alleine
an Verständnis der Sache mangelte,
Wir befinden uns gerade auf dem
daran sieht man ja schon, wie unge-
was dann mühevoll in individuell
Weg, dass das Abitur in seiner Wer-
recht das sich entwickelnde System
ausgerichteten Nachhilfestunden oft
tung nivelliert wird: Das Abitur droht
ist. Die Bildungshoheit der Länder
erfolgreich vermittelt wurde. Nach
zum neuen Volksschulabschluss zu
droht zum Spielball politisch unter-
der neuen Kompetenzorientierung
werden mit einem nur noch an Mini-
schiedlicher Konzeptionen zu dege-
wird der Lehrer zum Lernprozessbe-
malstandards ausgerichteten Quali-
nerieren, die weder in sich kohärent
gleiter degradiert, der nur noch Lern-
tätsniveau, das auch seine Hochschul-
sind noch nur annähernd die Aus-
arrangements bereitstellt, den Rest
zulassung verlieren wird.
sicht erwarten lassen, Schüler quali-
macht der Schüler selbst. Wissensver-
tativ in ihren Lernerfolgserlebnissen
mittlung verboten! Der Einfluss der
zu fördern und zu unterstützen.
Lehrerpersönlichkeit auf den Unterrichtserfolg rückt dabei gänzlich in
Was müsste man denn Ihrer Meinung
den Hintergrund.
nach tun?
Auf der Kölner Tagung „Bildungsstan-
Hinzu kommt die völlig unsinnige
dards auf dem Prüfstand“ im Juni 2010
Strukturdebatte: Momentan wer-
wurde die Gesellschaft für Bildung
den in den einzelnen Bundesländern
und Wissen aus der Sorge um die Zu-
Hunderte von Millionen jährlich
kunft unseres Bildungssystems ge-
ausgegeben, um Strukturreformen
gründet. Sie will einen Beitrag leisten
durchzuführen, die massenweise
zur öffentlichen Debatte über Ziele,
Geld verschlingen, ohne auch nur
Wenn die Entwicklung so weitergeht,
Inhalte und Methoden der nun schon
einen einzigen Schüler dabei irgend-
können Ihrer Ansicht nach in unse-
über ein Jahrzehnt verfolgten um-
wie gefördert zu haben. Ebenso wer-
rem föderalen Bildungssystem jemals
fassenden Bildungsreform. Zur Mit-
den hohe Millionenbeträge in das
Bildungsstandards „standardisiert“
arbeit sind alle eingeladen, die von
Überprüfungssystem des Qualitäts-
werden?
der grundsätzlichen Überzeugung
managements gesteckt, das schon in
Nein. Genau das Gegenteil ist der Fall.
getragen sind, dass Schulen und Uni-
der ehemaligen DDR und auch in den
In den letzten 20 bis 30 Jahren war das
versitäten in besonderer Weise einen
USA flächendeckend gescheitert ist.
Abitur in den einzelnen Bundeslän-
Bildungsauftrag besitzen, der durch
dern grob ähnlich zu bewerten, viel-
die eingeleiteten „Reformen“ derzeit
Also kritisieren Sie, dass die Qualitäts-
leicht mit der Ausnahme von Bayern,
nicht mehr zu erkennen ist. Dazu ge-
ansprüche im Fachwissen herabgesetzt
die immer etwas schwierigere Abitur-
hört insbesondere auch für das schu-
werden?
verhältnisse hatten – deswegen beka-
lische Bildungssystem nicht zuletzt
Den Qualitätsverlust im Abitur hat
men bayerische Schüler auch von der
die Vermittlung eines möglichst um-
jeder Lehrer in den letzten Jahren
damaligen ZVS Bonuspunkte bei der
fassenden und gründlichen Wissens
deutlich feststellen können. Ein Bei-
Zuweisung zur Universität. Jetzt for-
der Schüler als Basis eines schuli-
spiel mag dies verdeutlichen: Wenn
men die einzelnen Bundesländer ent-
schen Bildungsauftrags. Die Aktivitä-
im Hochsprung die Latte bisher auf
sprechend ihrer politischen Couleur
ten werden u. a. getragen von der Be-
1,80 m lag, dann kam halt nur eine
die Bildungsstandards und auch die
reitschaft zum konsequenten Dialog
gewisse Anzahl Schüler über diese
Kerncurricula in die politischen Maß-
zwischen Theorie und Praxis, von der
Höhe. Anstatt jetzt durch individu-
nahmen um, die letztlich nur das Ziel
Einsicht darin, dass Bildung mehr ist
elle Förderung dafür zu sorgen, dass
haben, die jeweiligen parteienpoliti-
als die derzeit propagierte Messung
mehr Schüler diese Höhe erreichen,
schen Vorstellungen von Bildung zu
von „Kompetenzen“, und von der Er-
legt man jetzt die Latte auf 80 cm
realisieren. Gerade dadurch wird na-
fahrung, dass die Lehrerpersönlich-
Höhe, da kommt dann eben fast je-
türlich nichts mehr vergleichbar. Im
keit, die qualifizierte Lehrerbildung
der drüber. Und das preist man dann
Rahmen der den Schulen zugebillig-
und -ausbildung und insbesondere
auch noch als Exzellenz. Die Bevölke-
ten Autonomie kann jetzt eben jede
die Qualität des Unterrichts die ent-
rung macht das natürlich mit, weil
Schule ihre eigenen Fachinhalte in
scheidenden Kriterien für erfolgrei-
sie froh ist, dass ihre Kinder Abitur
den Fächern selbst bestimmen. Aber
che Bildungsprozesse sind.
14
BEGEGNUNG 03-10
ALUMNI VIP
TEHERAN 35° 41' N 51° 25' E
TEHERAN 35° 41‘ N 51° 25‘ E
aufhört, für Freiheit und Gerechtigkeit zu kämpfen. „Die
die Völkergemeinschaft ist, und ich will zwischen beiden
Frage stellt sich ja immer: Wieso ist jemand so, wie er ist?
Welten, der orientalischen und der westlichen, vermitteln.
Wieso verläuft die Geschichte eines Landes so und nicht an-
Denn es sind in der Tat immer noch zwei Welten.“
ders? Wie Eskandar sind viele von uns Iranern kämpferisch
geworden. Genau genommen ist das keine eigene Entschei-
Schulzeit an der DST
dung, sondern eine Konsequenz der politischen und gesell-
Zu Hause im Teheran der 60er und 70er Jahre sprechen
schaftlichen Umstände“, sagt Autorin Siba Shakib.
die Shakibs Deutsch, Englisch und Farsi, das im Iran ge-
Moderne Kosmopolitin
küste wohnt die deutsch-iranische Schriftstellerin und
Menschheit glaubt. Ein richtiges „Angstthema“ ist die Re-
Filmemacherin in den Sommermonaten, hier arbeitet sie
ligionszugehörigkeit ihrer Familie für das junge Mädchen
gerade an ihrem neuesten literarischen Werk, einer Er-
nicht, vielmehr bewegt sich ihr innerer Konflikt auf einer
zählung über die Freundschaft zweier Frauen im Iran. Siba
persönlichen Ebene. „Ich habe als Mädchen früh erfahren,
Shakib ist eine moderne, weltgewandte Kosmopolitin,
dass ich im Iran ein völlig anderes Leben führen muss als
die fließend Deutsch, Persisch, Englisch sowie Italienisch
meine Brüder – was natürlich fest in der Gesellschaft ver-
spricht und abwechselnd zwischen ihren Wohnorten in
ankert gewesen ist.“ Zunächst besucht die junge Siba Sha-
den USA, Italien und Dubai pendelt. Als Tochter einer deut-
kib einen persischen Kindergarten, mit sechs Jahren wird
schen Mutter und eines persischen Vaters im Iran geboren,
sie, wie auch ihre beiden Brüder, an der Deutschen Schule
verbrachte sie ihre ersten Lebensjahre in Teheran. Noch
Teheran (DST) eingeschult. Gut 40 Jahre ist das nun her,
vor der Islamischen Revolution im Jahr 1979, die das Ende
aber an ihren ersten Schultag an der DST kann sie sich bis
der Monarchie unter Schah Mohammad Reza Pahlavi und
heute erinnern: „Ich trug ein blaues Matrosenkleid, und
den Beginn der Ära des islamisch-konservativen Revolu-
wir wurden mit einem ganz tollen Schulfest begrüßt, auf
tionsführers Ajatollah Ruhollah Chomeini einläutete, ver-
dem die älteren Schüler für uns sangen. Das war so herz-
ließ sie zusammen mit ihrem älteren Bruder den Iran und
ergreifend schön und so traurig, dass ich angefangen habe
ging nach Deutschland, um hier das Abitur zu machen
zu weinen.“
Mittlerin zwischen
den Welten
erzählt, erzählt man immer auch ein bisschen von sich selbst“, sagt die deutsch-iranische Schriftstellerin Siba Shakib.
gionsgemeinschaft Bahai, einer im Iran verfolgten religiösen Minderheit, die an die Einheit der Religionen und der
Alumni VIP:
eng verbunden sind mit der Geschichte Irans oder Afghanistans. „Wenn man von anderen Menschen
sprochene Persisch. Ihr Vater ist Angehöriger der Reli-
Italien im September 2010. In den Bergen nahe der Adria-
und anschließend zu studieren. Ihre Eltern und ihr jünge-
Ihre Romanfiguren heißen Eskandar, Samira oder Shirin-Gol. Starke Persönlichkeiten, deren Leben
ALUMNI VIP
rer Bruder hingegen blieben im Iran zurück, die Ferienzeit
Mit rund 2.200 Schülern und 150 Lehrern ist die DST in den
verbrachte die Familie gemeinsam im Iran. „Trotzdem ist
70er Jahren die größte Deutsche Auslandsschule weltweit.
der Begriff Heimat inzwischen für mich emotional leer ge-
Im Rahmen des deutsch-iranischen Kulturabkommens
worden“, sagt die Schriftstellerin ganz pragmatisch. „Aber
werden damals sogenannte Sonderklassen eingerichtet, in
wenn ich mir die Frage stelle‚ wo ich hingehöre, dann ist die
denen iranische Kinder in den Unterrichtssprachen Farsi
Antwort eindeutig: Iran. Was nicht bedeutet, dass ich dort
und Deutsch bis zum Abitur geführt werden. Die Begeg-
ohne Weiteres noch leben könnte, schon gar nicht im Mo-
nungsschule wird aber auch von deutschen und Kindern
ment.“ Die westliche Welt auf der einen Seite, der Iran auf
aus bikulturellen Familien besucht – so wie Siba Shakib.
der anderen Seite – Shakib bewegt sich in beiden Welten,
Erstmals sieht sich die junge Schülerin mit der Frage kon-
und beide Welten bewegen sich in ihr: „Typisch persisch ist
frontiert, wo sie eigentlich dazugehört. Shakib spürt die fei-
mein Selbstverständnis als befreite iranische Frau, meine
nen Unterschiede zu den deutschen Schülern, die eine an-
Vorliebe für persische Musik, persisches Essen, persische
dere, liberalere Erziehung genießen, die deutsche Kleidung
Gefühle und persischen Kitsch. Ich glaube, in meinem ganz
und sogar kürzere Röcke tragen dürfen. „Gehöre ich nun
persönlichen Leben bin ich sehr persisch. Sehr deutsch
zu den Iranern oder zu den Deutschen? Schließlich habe
hingegen ist, dass ich alles immer ganz genau und bis ins
ich eine deutsche Mutter und einen iranischen Vater. Tief
kleinste Detail wissen und verstehen will.“
drin habe ich mich als Iranerin gesehen, aber je nachdem,
was ich wollte, habe ich mich auch für die andere Seite
von VIKTORIA WILL
Detaillierte Schilderungen, poetisch und anmutig in der
entschieden.“ Für das, was in den deutschen Haushalten
Sprache – eine Synthese, die auch ihre Arbeit auszeichnet.
selbstverständlich ist, muss Siba Shakib zu Hause allerdings
Iran im Jahre 1908. In einem kleinen Dorf wächst der junge
anderen Seite des Berges sieht, verändert sein Leben. Er
Siba Shakib denkt auf Persisch und schreibt auf Deutsch.
kämpfen, „etwa, wenn ich bei einer Freundin übernachten
Eskandar heran. Eines Tages begibt er sich auf den hohen
verlässt sein Dorf und wird zum Geschichtenerzähler und
Ihre Werke stehen dabei ganz in der Tradition der orientali-
oder Skifahren gehen wollte. Das war schon ein eklatanter
Berg nahe seinem Dorf, um in die Ferne zu schauen. Er
Chronisten der Geschehnisse in seinem Land, zum Ausrufer
schen Erzählkunst, wie ein roter Faden ziehen sich mensch-
Unterschied, die Art, wie wir gelebt haben und erzogen
wird Zeuge der Ausbeutung seines an Ölvorkommen rei-
guter und schlechter Nachrichten: der Dynastie der Könige,
liche Schicksale im Iran und im Nachbarland Afghanistan
wurden und wie die deutschen Kinder gelebt haben und er-
chen Landes durch die Farangi, Fremde aus der westlichen
der Ölförderung durch Franzosen, Engländer und Ameri-
durch das literarische und filmische Schaffen. „Da ist zum
zogen wurden.“
Welt. „Es stimmt. Sie haben Wasser“, erzählt Eskandar den
kaner, der Islamischen Revolution und der blutigen Unru-
einen die emotionale, die persönliche Komponente: Ich
durstigen Dorfbewohnern, „und zwar so viel, dass sie sich
hen. Die Geschichte des Landes ist stets eng verbunden mit
fühle mich dieser Welt zugehörig. Dann ist da die politische
Dicke Freunde und Geschäftsbeziehungen
damit sogar die Füße waschen.“ Das, was Eskandar auf der
der Lebensgeschichte des Romanhelden Eskandar, der nie
Komponente: Ich sehe, wie wichtig dieser Teil der Erde für
Die DST ist eine unternehmungslustige Schule: Klassen-
16
BEGEGNUNG 03-10
BEGEGNUNG 03-10
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ALUMNI VIP
TEHERAN 35° 41' N 51° 25' E
TEHERAN 35° 41‘ N 51° 25‘ E
ALUMNI VIP
übergreifend finden regelmäßig Schwimmfeste, Theaterprojekte, Sommerfeste und Skifreizeiten in Dizin nördlich
von Teheran statt. „Deshalb waren wir auch mehr ein Schulverband als ein Klassenverband. Vor und nach dem Unterricht wurden wir immer gemeinsam mit Bussen abgeholt
oder nach Hause gebracht, schon alleine dadurch haben
sich auch Freundschaften zu älteren und jüngeren Kindern
gebildet“, erinnert sich die ehemalige Schülerin. Bis heute
hält der enge Kontakt zu ihren Mitschülern, auch dank des
Vereins „Freunde der Deutschen Schule Teheran e. V.“, dessen Mitglieder aus aller Welt sich alle zwei Jahre zu einem
Ehemaligentreffen zusammenfinden. „Wir sind nicht nur
dicke Freunde, sondern es gibt auch Geschäftsbeziehungen, Ehen, alles, was man sich vorstellen kann“, sagt die Autorin. 2012 feiert der Ehemaligen-Verein sein 30-jähriges
Bestehen. Auch mit der iranisch-deutschen Schauspielerin
und Musikerin Jasmin Tabatabai verbindet Shakib eine
Links und unten: Begegnungen am Hindukusch – Autorin
und Beraterin Siba Shakib in Afghanistan
enge Freundschaft. Tabatabai war, wie Shakib, Schülerin
der DST und floh 1979 mit ihrer Familie nach Deutschland,
wo sie bis heute lebt und arbeitet (siehe Alumni VIP,
Begegnung 02/2009). Beide engagieren sich ehrenamtlich
für Hilfsprojekte in ihrem Geburtsland Iran, etwa für die Initiative „Nour-e Bam“ ihrer Mitschülerin Nadia Sadeghian,
die Spenden für die 2003 von einem starken Erdbeben zerstörte iranische Stadt Bam sammelt. „Wenn Nadia uns für
eine Benefizveranstaltung braucht, dann kommen wir“ –
Ehrensache für die Deutsch-Iranerinnen.
Folgenreiche Begegnung
In Bad Godesberg bei Bonn macht Siba Shakib 1980 das Abitur und studiert anschließend in Heidelberg Erziehungswissenschaften, Politik und Psychologie. Für das Studium
und ihre spätere Berufswahl war der Besuch der DST entscheidend, sagt sie rückblickend: „Nehmen wir an, ich hätte
die DST nicht besucht – mein Deutsch hätte nicht ausgereicht, um in Deutschland studieren, um auf Deutsch lesen
Siba Shakib
und schreiben zu können und um anschließend mit dieser
Nach ihrem Studium arbeitete Siba Shakib zunächst im Film-
Sprache arbeiten zu können.“ Nach dem Hochschulab-
bereich, drehte TV-Dokumentationen und erstellte Filmpor-
schluss arbeitet Shakib als Journalistin, Moderatorin und
90er Jahre lernt sie in einem Flüchtlingslager der Vereinten
später als Dokumentarfilmerin für den öffentlich-rechtli-
Nationen die junge Afghanin Shirin-Gol kennen – eine fol-
chen Rundfunk und das Privatfernsehen. Für Dreharbeiten
genreiche Begegnung, auch für Siba Shakib. Shirin-Gol ist
kehrt sie immer wieder in ihr Geburtsland zurück. „Wirk-
Persisch und bedeutet „süße Blume“. Das Leben der star-
lich verlassen habe ich in diesem Sinne den Iran nie, ich bin
ken jungen Frau ist geprägt von 22 Jahren Zerstörung und
Berater tätigkeit in Afghanistan
immer wieder zurückgegangen, für Recherchen und Film-
Krieg, von archaischen und patriarchalischen Traditionen,
Fast zeitgleich mit der Publikation des Buches finden in
te Shakib den Mann der Autorin im Iran ausfindig. 2002 er-
aufnahmen, aber auch, um meine Freunde und meine Fa-
von Vertreibung, Unterdrückung, Fremdbestimmung und
Afghanistan tiefgreifende politische Umbrüche statt: US-
schien ihr erstes Buch „Nach Afghanistan kommt Gott nur
milie zu besuchen. “
Missbrauch. Shirin-Gol vertraut Shakib ihre bewegende Le-
geführte Truppen stürzen als Folge der Terroranschläge
noch zum Weinen“. Es verkaufte sich über eine Million Mal,
träts über renommierte Musiker wie Miles Davis oder Mick
Jagger. Bekanntheit erlangte sie erstmals mit ihrem Film
als Schriftstellerin zum internationalen Durchbruch.
„Mahmoody gegen Mahmoody“, einer Gegendarstellung des
autobiografischen Buches „Nicht ohne meine Tochter“ von
Bestsellerautorin Betty Mahmoody. Für diesen Film mach-
bensgeschichte an, die exemplarisch ist für das Schicksal
vom 11. September 2001 die Taliban-Regierung, die Inter-
war Nummer eins der Spiegel-Bestsellerliste und ist in 27
Auch das damals noch vom Taliban-Regime regierte Afgha-
vieler afghanischer Frauen. Diese Erzählungen bilden die
nationale Friedenstruppe (ISAF) wird unter NATO-Führung
Sprachen übersetzt worden. 2003 folgte der Roman „Samira
nistan besucht die Filmemacherin in den 90er Jahren im-
Vorlage für ihr erstes Buch „Nach Afghanistan kommt Gott
am Hindukusch stationiert. Sie soll die afghanische Regie-
und Samir“, 2009 wurde „Eskandar“ veröffentlicht. Derzeit
mer häufiger. Das von Shakib gesprochene Farsi entspricht
nur noch zum Weinen“, das 2002 erscheint. „Indem ich in
rung bei der Wahrung der Menschenrechte sowie bei der
arbeitet die Filmemacherin und Autorin an der Verfilmung
in weiten Teilen dem in Afghanistan gesprochenen Dari:
meinen Büchern persönliche Begegnungen und Schicksale
Herstellung und Wahrung der inneren Sicherheit unter-
von „Samira und Samir“ und schreibt an einem Buch über
Religion, Tradition und Mentalität des Landes sind der Per-
beschreibe, verarbeite ich auch für mich selbst sehr viel“,
stützen und beim zivilen Wiederaufbau helfen. Auch die
eine Frauenfreundschaft im Iran mit dem Arbeitstitel „Weni-
serin Shakib vertraut. Auch deshalb findet sie schnell Zu-
sagt sie. „Nach Afghanistan kommt Gott nur noch zum
Bundeswehr ist am ISAF-Einsatz beteiligt, Afghanistan-Ken-
ger als die Hälfte“. Siba Shakib lebt abwechselnd in der Nähe
gang zu den Menschen im Land. Bei Dreharbeiten Ende der
Weinen“ wird ein berührendes Buch – und verhilft Shakib
nerin Siba Shakib steht den Truppen beratend zur Seite,
von Rimini, in Dubai und New York.
18
BEGEGNUNG 03-10
BEGEGNUNG 03-10
19
Alumni VIP
Teheran 35° 41' N 51° 25' E
arbeitet neue Kontingente ein, berät in politischen und kul-
Hoffen auf Veränderung
turellen Angelegenheiten, hilft beim Aufbau eines Radio-
Besonders aber liegen der Deutsch-Iranerin die Entwick-
senders und vermittelt der NATO-Führung wichtige Kon-
lungen in ihrem Geburtsland Iran am Herzen. Shakib ist
takte. „Ich war so oft während der Talibanzeit oder während
ein politischer, fast idealistischer Mensch. Auch wenn sie
der Kriege in Afghanistan, dass die Menschen Vertrauen zu
seit fünf Jahren nicht mehr im Iran gewesen ist, steht die
mir hatten. Diese Vermittlung zwischen der afghanischen
Autorin täglich in engem Kontakt mit ihren dort lebenden
Seite und der NATO hat sich als sehr hilfreich erwiesen, weil
Freunden und Verwandten, organisiert Demonstrationen
dadurch eine viel vertrauensvollere Art der Begegnung
in Deutschland oder Italien und erhebt ihre Stimme für
zwischen beiden Seiten stattgefunden hat.“
Menschenrechte und Selbstbestimmung. „Absolut alles,
Teheran 35° 41‘ N 51° 25‘ E
Alumni VIP
was ich tue oder auch nicht tue, was ich sage und denke, hat
Und Shakib schreibt, einfach überall, in ihren Unterkünf-
mit der Deutschen Schule zu tun“, sagt sie. „Hier habe ich
ten in Hütten und Zelten, sogar bei offener Hubschrauber-
zum ersten Mal Diversität und das Anderssein erlebt, hier
klappe bringt sie ihre Gedanken zu Papier. 2003 erscheint
habe ich aber auch gelernt zu kämpfen.“
ihr zweites Buch, es trägt den Titel „Samira und Samir“, und
wie schon Shirin-Gol hat Shakib auch die Protagonistin die-
Auf ihrem Facebook-Profil macht sie sich öffentlich stark für
ses Buches eine Zeit lang persönlich begleitet. „Samira und
die Freilassung politischer Gefangener. Neue Medien wie
Samir“ ist die Geschichte eines jungen Mädchens, das in
Facebook und Twitter, glaubt Shakib, sind überhaupt die
einem abgelegenen afghanischen Dorf als Junge aufwach-
treibende Kraft der demokratischen Bewegungen im Iran:
sen muss. In Samiras Bemühen, sich mit ihrer Rolle im isla-
„Ohne die Solidarität weltweit könnten die Menschen im
mischen Patriarchat nicht abzufinden, entwirft die Autorin
Iran sich nicht für die demokratische Freiheit engagieren.
eine Idealvorstellung davon, wie sich eine Gesellschaft ver-
Die neuen Medien sind für die Leute überlebenswichtig,
ändern lässt, ohne sie als solche in Frage zu stellen. Doch
Iran hat nicht umsonst eine der größten Blogger-Commu-
Shakibs Bestandsaufnahme über die Veränderungen in Af-
nities weltweit. Wir mussten früher noch mühsam Flug-
ghanistan seit 2001 fällt kritisch aus. „Bisher hat die Interna-
blätter vervielfältigen und dann verteilen. Dank des Inter-
tionale Gemeinschaft die Chance verpasst, aus Afghanistan
nets aber haben wir heute ganz andere Möglichkeiten, uns
Deutsche Schule Teheran –
ein funktionierendes Land zu machen. Aber wie will man
zu artikulieren, weil alles, was wir machen und sagen, ge-
Deutsche Botschaftsschule Teheran
Sicherheit in ein Land bringen, in dem es kaum etwas zum
sehen, gehört und weitergetragen wird.“
Im Mai 1955 gegründet, entwickelte sich die Deutsche
Leben gibt? Deshalb ist mein Plädoyer, dass die internatio-
Schule Teheran (DST) innerhalb von zwei Jahrzehn-
nale Gemeinschaft ihren Auftrag ernst nehmen und end-
Die Regierungswahlen im Juni 2005 und der Beginn der
ten zur weltweit größten Deutschen Auslandsschule.
lich das Land als solches aufbauen muss, und damit meine
Ära Mahmud Ahmadinedschad sind für Shakib auch die Ini-
Doch schon der Beginn des Schuljahres 1978/1979 war
ich insbesondere die Wirtschaft, den Bildungsbereich,
tialzündung für ihren Roman „Eskandar“. „Ich hatte nach
von der bevorstehenden Islamischen Revolution über-
die Straßen.“
einem Buch gesucht, das erklärt, warum das Land jetzt da
schattet: Der deutsche Botschafter in Teheran Gerhard
Ritzel empfahl im Dezember 1978 allen Deutschen die
Ausreise, immer öfter fiel an der Schule der Unterricht
aus. Im Frühjahr 1979 verboten die neuen Machthaber
der Islamischen Republik Iran den iranischen Schülern sowie Kindern aus bikulturellen Ehen den Besuch
der DST. Im Sommer 1980 musste die Schule auf Drän-
20
BEGEGNUNG 03-10
ist, wo es ist. Und weil es das nicht gab, blieb mir gar nichts
gen der iranischen Behörden endgültig schließen.
anderes übrig, als es selbst zu schreiben und anhand des
Der Übergang zur Deutschen Botschaftsschule Tehe-
persönlichen Schicksals von Eskandar die kulturelle und
ran (DBST), die im September 1980 eröffnete, verlief
politische Geschichte des Iran anschaulich zu machen.“
jedoch weitestgehend nahtlos. Über 100 Schüler und
Vier Jahre schreibt sie an „Eskandar“, und als das Buch im
40 Kindergarten-Kinder zählt die DBST heute. Unter-
Jahr 2009 erscheint, befindet sich Iran gerade im Ausnah-
richtssprache ist Deutsch, ab der 1. Klasse wird Englisch
mezustand: Mit Massenprotesten demonstrieren die Iraner
sowie optional Farsi als Fremdsprache angeboten. An
gegen die Präsidentschaftswahlen und das von Präsident
der Botschaftsschule unterrichten 6 von der Zentral-
Ahmadinedschad verkündete Wahlergebnis. Was sie sich
stelle für das Auslandsschulwesen (ZfA) vermittelte
für die Zukunft des Iran wünsche? „All das, was sich die
Lehrkräfte sowie 13 Ortslehrkräfte und 4 Erzieherin-
Menschen in Deutschland, Amerika oder Italien auch wün-
nen. Gymnasial eingestufte Schüler können am Ende
schen und größtenteils bereits haben: Genug zu essen,
von Klasse 12 die Deutsche Internationale Abiturprü-
Reise- und Meinungsfreiheit, Gesundheitsversorgung für
fung (DIAP) ablegen. Ähnlich wie früher an der DST
alle.“ Vielleicht sind sich die zwei Welten doch näher, als es
gibt es für die Schüler der DBST ein reichhaltiges kultu-
scheint.
relles und sportliches Angebot.
BEGEGNUNG 03-10
21
Niveau
B–C
Niveau
Goethe-Zertifikat B2
A–C
Niveau
Niveau
Niveau
Niveau
A–B
Niveau
DSD 2
Niveau
C
Niveau

A
A
Niveau
Niveau
A–C
A–B
dustrie- und Handelskammer (IHK)
Niveau
Niveau
B–C
A–A
weltweit Brücken“ der Deutschen In­
Niveau

Schulwettbewerbs „Schüler bauen
Niveau
Berlin. Im Rahmen des 2. Auslands­
B–B
IHK-Auslandsschulwettbewerb verleiht
Sonderpreise
Nähere Informationen unter
www.hueber.de/planetino
www.hueber.de/planet
www.hueber.de/ausblick
Deutscher
Auslandsschüler
gratuliert
Nelson Mandela
Niveau
Meldungen
A–C

Meldungen
wurden drei Deutsche Schulen im
Ausland mit Sonderpreisen ausge­
Niveau
Klingebiel die Geschäftsstelle des
Bereich des Qualitätsmanagements
damit auf den Clan-Namen Mande­
Weltverbands Deutscher Auslands­
und der Öffentlichkeitsarbeit. Unter
las. Schaaf lebt erst seit 18 Monaten
schulen (WDA) in Berlin. Vor seinem
seiner erfolgreichen Leitung fand im
in Johannesburg und ist ein großer
Wechsel nach Deutschland war der
Sommer 2010 der Weltkongress Deut­
Bewunderer Mandelas. Der 92-Jäh­
gebürtige Berliner fünf Jahre lang als
scher Auslandsschulen in Shanghai
rige zeigte sich erfreut über den
Gymnasiallehrer für die Fächer Biolo­
statt. Als stellvertretende Geschäfts­
Besuch des jungen Überraschungs-
gie, Sport und Naturwissenschaften
stellenleiterin unterstützt ihn Bettina
an der DS Shanghai tätig und leitete
Wehrle, die bis dato die Geschäfts­
dort zudem verschiedene Projekte im
stelle interimsweise führte.
gastes.
22
[AP]
(SK)
BEGEGNUNG 03-10

Niveau
Niveau
 C
Niveau
A
AA
Niveau
Niveau
Niveau
C
Niveau
Niveau
Niveau

A
Niveau
Niveau
B–C
A–C
Niveau
Niveau
Niveau
Niveau
Niveau
Niveau
 
Niveau
Niveau
Niveau
Niveau
Niveau
Fit in Deutsch 2
B–C
Niveau

Niveau
Niveau
A–C
A–C
Niveau
Niveau
A
C
Kundenservice
Tel. +49 (0) 1805 / 483237
Fax. +49 (0) 89 / 9602-286
E-Mail [email protected]
www.hueber.de
sen“, erzählt Schaaf und bezieht sich
Niveau
Berlin. Seit August 2010 leitet Thilo
B–C
B–C
Für
SchulenB–C
im B–C
Ausland,
die im 5./6.
Schuljahr
A–C
A–C
mit Deutsch beginnen:
sitzen und die Sonntagszeitung le­
A–AA–C
A–B A–C
A–B
Fit in Deutsch 1*
Tür sah ich Madiba im Wohnzimmer
B–BA–C
A–B
A–B
bäude gegangen. „Durch die offene
B–B
und war dann allein zu dem Ge­
Niveau
Haus des Staatsmanns abzusetzen,
Niveau
dem von Leibwächtern bewachten
Thilo Klingebiel
wird neuer Leiter
der WDAGeschäftsstelle
Niveau
hatte seinen Vater gebeten, ihn vor
Niveau
gemalte Geburtstagskarte. Schaaf
wurden (Gabriele Kopp, Siegfried Büttner und
Nation“ und überreichte eine selbst
Planetino von denselben Autoren erarbeitet
densnobelpreisträger und „Vater der
wird auch dadurch gewährt, dass Planet und
ehemaligen Staatspräsidenten, Frie­
Planet  weiterarbeiten können. Die Kontinuität
ab. Der 11-Jährige gratulierte dem
A–B
Itemid=390
Niveau
entstandene Ausstellung wurde unter
A–A
com_content&task=blogsection&id=50&
schungsbesuch in seiner Wohnung
dass Sie nach der Grundschule ohne Bruch mit
Zeitzeugen untersuchte. Die daraus
vollständig in Planetino - eingearbeitet, so-
www.dstenerife.eu/index.php?option=
92. Geburtstag im Juli einen Überra­
* Wortschatz und Grammatik von Planet  sind
www.dsgenf.ch/index.php?id=324 und
nalschauplätzen und im Kontakt mit

che Revolution der DDR an den Origi­
Er stattete Nelson Mandela an dessen
Niveau
burg, einen lang gehegten Wunsch:
Niveau
www.colegiohumboldtcaracas.com und
A–C
Projekte unter:
tion mit weiteren Schulen die friedli­
Niveau
Deutsche Schule Genf, die in Koopera­
Internationalen Schule Johannes­
A–B
Schüler der 6. Klasse der Deutschen
Niveau
Weitere Informationen über die
B–B
net. Den gleichen Betrag erhielt die
Für Schulen im Ausland, die schon in der Grundschule
mit Deutsch beginnen und bis zur Sek.II kontinuierlich
Sprachkompetenz aufbauen wollen:
Tenerife mit 1.500 Euro ausgezeich­
tiative erfüllte sich Justin Schaaf,
Das bietet Ihnen nur Hueber:
Ein durchgehendes Lehrwerkskonzept
von der Grundschule bis zum Ende
der Sekundarstufe II
Johannesburg. Durch Eigenini­
Niveau
Niveau
[AP]
A–A
tern überreicht.
die Deutsche Schule Santa Cruz de
Niveau
kammern und deutschen Botschaf­
lichen aus Flüchtlingslagern wurde
Niveau
von Vertretern der Auslandshandels­
Schülern sowie afrikanischen Jugend­
Niveau
fessionelles Tanzprojekt mit eigenen
Niveau
feierlichen Rahmen und im Beisein

wurden an den jeweiligen Schulen im
dungschancen eröffnet. Für ihr pro­
Josef Alberti).
präsentiert. Die drei Sonderpreise
rigen sozialen Verhältnissen Bil­
Niveau
anderem im Palais der UNO in Genf
einheimischen Kindern aus schwie­

7.500 Euro für ihr Sozialprojekt, das
A
cas erhielt ein Preisgeld in Höhe von
Zertifikat Deutsch
für Jugendliche
DSD 1
zeichnet. Die Deutsche Schule Cara­
Fokus – Energie & umwelt
Fokus – Energie & umwelt
in den nächsten Jahren Zehntausende Fässer mit Atommüll
zurückgeholt werden, nachdem bekannt wurde, dass be­
reits seit Beginn der 90er Jahre kontaminierte Salzlauge aus
den Endlagerungskammern tritt. Die Rückholung kostet
Milliarden und ist riskant – nicht zuletzt weil die Schacht­
anlage inzwischen als höchst instabil gilt. „Bis heute ist kein
einziges Gramm hochradioaktiver Abfälle tatsächlich end­
gelagert“, sagt Weiger. Zudem hätten die Waldbrände in
durch den Tschernobyl-Unfall radioaktiv verseuchten Ge­
bieten in Russland jüngst einmal mehr gezeigt, dass „noch
Jahrzehnte nach entsprechenden Unfällen Menschen die
Konsequenzen tragen, die zur Zeit der Ereignisse noch gar
nicht geboren waren.“ Weiger fordert, dass endlich die Me­
seberger Beschlüsse der alten Bundesregierung von 2007
umgesetzt werden. Darin sind der Atomausstieg und eine
Verringerung der CO2-Emissionen um 40 Prozent enthal­
ten. Doch an den alten Kraftwerken werde eben sehr viel
verdient, meint der Vorsitzende des BUND, und bei einer
Abschaltung müssten die Entsorgungskosten getragen
werden. „Es ist überfällig, dass die Stromproduktion die von
ihr verursachten Kosten trägt“, findet Weiger. Kohle- oder
Energie und Umwelt –
Atomstrom sei nur deshalb billig, „weil die Entsorgungsund Folgekosten von den kommenden Generationen ge­
tragen werden.“
zwischen Vermeidung und Anpassung
Internationaler Kohlenstoffmarkt
Gunnar Luderer arbeitet am Potsdam-Institut für Klimafol­
genforschung (PIK). Als Leiter der Arbeitsgruppe Energie­
systemmodellierung setzt er sich täglich mit der Analyse
langfristiger Klimastrategien auseinander. Das Problem
Energie und Umwelt, zwei Begriffe, die eng miteinander verzahnt sind und scheinbar nicht harmo-
des globalen Energieverbrauchs ist in seinen Augen die
nieren können. Wo Kraftstoffe verbraucht, wo Strom und Wärme produziert werden, leidet fast
Menge der CO2-Emissionen, „die der Welt und der Atmo­
zwangsläufig die Umwelt. Das Verhältnis der beiden scheint ein Paradoxon zu sein – und ihre Bezie-
Risiko unkontrollierbarer Klimafolgen einzugehen.“ Ein
sphäre noch zugemutet werden können, ohne ein zu hohes
hung verschlechtert sich kontinuierlich.
entscheidender Faktor, um die Emissionen weltweit zu be­
von Anna Petersen
grenzen, ist die Einrichtung eines internationalen Kohlen­
stoffmarktes. Dadurch würden Emissionen kostenpflichtig
werden und damit der Anreiz entstehen, sie zu reduzieren.
Meilenweit zieht sich der klebrige Ölteppich im Golf von
bereist den Globus, Entwicklungsländer mausern sich zu In­
19. Jahrhundert ermöglichte, einen hohen Stellenwert. Kei­
„In der Europäischen Union funktioniert dieses System und
Mexiko, am Ufer verenden Vögel, Delfine und Schildkröten
dustrienationen. Dem unersättlichen Bedarf des Menschen
ner ist im Vergleich so billig: Nur rund 5 Cent kostet eine
führt tatsächlich zu substanziellen Emissionsreduktionen“,
qualvoll, und unter Wasser sprudelt das Öl unaufhaltsam
nach Energie in Form von Strom, Wärme und Kraftstoffen
durch Kohle erzeugte Kilowattstunde Strom, gegenüber
meint Luderer. Die Entwicklung internationaler Richtlinien
weiter. Die Bilder haben sich in die Netzhaut buchstäblich
begegnen vor allem zwei Probleme: Ressourcen werden
40 Cent bei der Photovoltaik. Doch gleichzeitig ist der Preis
gilt jedoch seit dem Klima-Gipfel in Kopenhagen als vorerst
eingebrannt. Vor den Augen der Öffentlichkeit spielt sich
knapper, Umwelt und Klima zunehmend belastet.
sehr hoch, denn der Rohstoff Kohle mit seinen Emissionen
gescheitert. Als wichtigen Zwischenschritt zu einem inter­
ist das Umweltproblem des 21. Jahrhunderts. Bei der Erzeu­
nationalen Konzept sieht Luderer die Etablierung nationa­
gung einer Kilowattstunde Strom aus Steinkohle wird fast
ler Emissionshandelssysteme bei wichtigen Emittenten wie
China oder den USA.
in den letzten Monaten die schlimmste marine Ölpest der
Geschichte ab – und wirft erneut die Frage auf: Wie viel
Energielieferanten: günstig, aber schmutzig
kann Umwelt und Klima noch zugemutet werden? Prof. Dr.
Kohle und Öl versorgen Milliarden Menschen mit Energie,
ein Kilogramm Kohlendioxid ausgestoßen, bei Braunkohle
Hubert Weiger, Bundesvorsitzender des Bundes für Um­
sie sind die weltweit wichtigsten Energielieferanten – und
sogar noch mehr. Atomstrom verursacht zum Beispiel nur
welt und Naturschutz Deutschland e. V. (BUND), sieht in der
belasten die Umwelt am meisten. Laut der Internationa­
etwa 30 Gramm.
jüngsten Ölkatastrophe eine eindringliche Warnung an
len Energieagentur in Paris werden allein die beiden größ­
die Weltgemeinschaft, aufzuhören mit dem „immer tiefer,
ten Kohle-Konsumenten China und Indien bis 2030 ihren
Konsequenzen für die Ewigkeit
immer weiter, immer höher“ in der Ausbeutung der Res­
Verbrauch verdoppelt haben. In Deutschland stammt fast
Trotz Klimafreundlichkeit bietet auch Atomstrom keine
gieträgern teurer, werden erneuerbare Energieträger
sourcen. Doch im letzten Jahrhundert ist der Energiebedarf
die Hälfte des erzeugten Stroms aus Kohle. Auch im aktu­
umweltfreundliche Alternative, nicht einmal eine mittel­
wettbewerbsfähiger. 100 Prozent Strom aus erneuerbaren
extrem gestiegen: Die Weltbevölkerung wächst, die An­
ellen energiepolitischen Konzept der Bundesregierung
fristig sichere Entsorgung radioaktiver Abfälle ist bisher
Energien soll schon 2050 laut Sachverständigenrat für Um­
zahl elektrischer Geräte im Haushalt nimmt zu, der Mensch
hat der Rohstoff, der bereits die Industrialisierung im
gelungen. Aus dem ehemaligen Salzbergwerk Asse müssen
weltfragen in Deutschland möglich sein. Doch obwohl
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BEGEGNUNG 03-10
BEGEGNUNG 03-10
Ein Kohlenstoffmarkt würde auch den Ausbau alterna­
tiver Energietechnologien vorantreiben. Wird die kon­
ventionelle Stromerzeugung mit klimaschädlichen Ener­
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Fokus – Energie & umwelt
Fokus – Energie & umwelt
die Technologie vorhanden ist, ist ihr Einsatz kostspielig
verursachten Emissionen von Treibhausgasen, allen voran
und müssen Voraussetzungen, wie ein gesamteuropäi­
CO2. Rund 80 Prozent dieser Emissionen rühren dabei aus
scher Umbau des Stromnetzes, geschaffen werden. Jürgen-
der Verbrennung fossiler Energieträger.
Friedrich Hake, Direktor am Institut für Energieforschung
im Forschungszentrum Jülich, sieht Deutschland und die
Das arktische Meereis gilt als Frühwarnsystem für klimati­
EU auf einem guten Weg. „Man muss jetzt Geduld haben,
sche Schwankungen. In den letzten 30 Jahren sind 30 Pro­
weil diese Techniken noch verbesserungswürdig sind. Wis­
zent der Eisflächen geschmolzen – weit mehr, als Klimafor­
senschaftliche Durchbrüche lassen sich allerdings nicht
scher anhand von Modellen prognostiziert hatten. Luderer
planen“, meint er und verweist auf die jahrzehntelange
nennt dies „nur die Spitze des Eisberges“. Viele Auswir­
Verbesserung von Kraftwerkskonzepten.
kungen des Klimawandels würden erst mit der Zeit sicht­
Notwendigkeit des Wandels
Jürgen-Friedrich Hake (l.),
Direktor am Institut für Energieforschung des Forschungszentrums Jülich, Gunnar Luderer
(M.), Leiter der Arbeitsgruppe
Energiesystemmodellierung am
Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, und Prof. Dr.
Hubert Weiger (r.), Bundesvorsitzender des Bund für Umwelt und
Naturschutz Deutschland e. V.
bar werden. „Wetterextreme könnten häufiger auftreten
oder, je nach Wetterphänomen, auch in ihrer Intensität
Einig sind sich Luderer, Hake und Weiger vor allem in
zunehmen, weil sich die Wechselhaftigkeit des Klimas er­
einem: Der Energiebedarf des Menschen kann nicht so wei­
höht“, erklärt der Wissenschaftler. „Der Wasserkreislauf
ter wachsen wie bisher. „Sicher ist auch, dass wir nicht mehr
und damit auch Niederschlagsmuster werden sich in vie­
viel Zeit haben, um umzusteuern“, sagt Luderer und be­
len Regionen der Erde stark verändern. Die Anpassung an
zieht sich dabei vor allem auf den Klimawandel. Ein Schlag­
die sich verändernden Verhältnisse könnte sehr schwer
wort, das in den letzten Jahren durch sämtliche Medien
werden, vor allem dann, wenn Niederschläge in der oh­
ist.“ Auch von Langfristeffekten spricht der Klimaforscher
zentrum Jülich (FZJ) wissenschaftlich auseinander. Unter­
geisterte, sich zunehmend abnutzte und schließlich durch
nehin feuchten Jahreszeit noch zunehmen und in der tro­
und damit von der Sorge, dass sich durch den Klimawandel
suchungen zeigen, dass beispielsweise Treibhausgas-Emis­
falsche Forschungsangaben an Glaubwürdigkeit verlor.
ckenen Jahreszeit abnehmen.“ Betroffen werden laut des
ganze Komponenten des Erdsystems verändern könnten.
sionen halbiert werden könnten. „Das ist eine Frage der
„Unter seriösen Wissenschaftlern ist unbestritten, dass es
Experten vor allem Weltregionen sein, in denen Menschen
Würden die großen Eisschilde Grönlands und der Antarktis
Ausbildung. Junge Leute müssen schon früh mit Ressour­
den Klimawandel gibt und der Mensch maßgeblich dafür
schon jetzt mit extremen Lebensbedingungen konfron­
beispielsweise instabil, stiege der Meeresspiegel langfris­
censchonung, Umwelt- und Klimaschutz vertraut gemacht
verantwortlich ist“, meint Luderer. „Die globalen Tempe­
tiert werden. In Ländern des Tropengürtels wird es zum
tig um mehrere Meter. Eine Situation, unter der besonders
und sich ihres persönlichen Energiebedarfs bewusst sein“,
raturdaten weisen einen deutlichen Trend nach oben auf,
Beispiel noch heißer und trockener werden, bis hin zu Ver­
Entwicklungsländer zu leiden hätten, deren Anpassungsfä­
meint Hake vom FZJ. „Alle Konzepte enden ja zudem immer
der sich nicht mehr mit natürlicher Variabilität erklären
schiebungen in einen Bereich, in dem, wie Luderer es aus­
higkeit geringer ist als die der Industrienationen. Luderers
beim einzelnen Menschen und damit bei Fragen wie: Mie­
lässt.“ Auch die Ursache für den Klimawandel ist von natur­
drückt, „es schwer vorstellbar ist, dass das gesellschaftliche
Bilanz: „In der Summe sind es sehr starke Effekte, und wir
ten sie die energetisch günstigere Wohnung, obwohl sie
wissenschaftlicher Seite unbestritten: Die vom Menschen
Zusammenleben in der bisherigen Form weiter möglich
erwarten, dass die Schäden bei Weitem das übertreffen,
teurer ist? Müssen es Kontinentalreisen sein?“
was wir an Kosten hätten, wenn wir jetzt ambitionierten
Klimaschutz betreiben würden.“
Konsum und Energieeffizienz
Mit Sorgfalt verändern
Hake sieht den Komplex Energie und Umwelt vor allem
als Spannungsfeld zwischen Vermeidung und Anpassung
Mit den knapper werdenden fossilen Ressourcen und der
und plädiert dafür, Veränderungen der Umwelt nicht auto­
Belastung von Umwelt und Klima rücken auch Fragen der
matisch als negativ zu begreifen, sondern auch Chancen
Energieeffizienz in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen
zu sehen für andere, ebenfalls lebenswerte Verhältnisse.
und technischen Diskussion. Weiger vom BUND ist über­
„Wenn wir heute über Umweltschutz reden, dann wollen
zeugt, dass zwei Drittel der eingesetzten Primärenergie in
wir die Umwelt hier so erhalten, wie sie ist. Doch die we­
der BRD gespart werden könnten. Nicht durch Verzicht,
nigsten Menschen wissen, dass Deutschland vor 300 Jahren
sondern allein durch Maßnahmen wie energetische Ge­
vollständig bewaldet war, also ganz anders ausgesehen hat
bäudesanierungen, Abschalten der Standby-Funktion etc.
und erst im Rahmen der Industrialisierung gerodet wurde“,
Gemeinsam mit dem Institut für Energie- und Umweltfor­
erzählt er. „Zynisch gesprochen, wollen wir etwas bewah­
schung Heidelberg hat der BUND jüngst ein Maßnahmen­
ren, das damals als etwas Fürchterliches gegolten haben
paket für mehr Stromeffizienz erarbeitet, mit dem bis 2020
muss. Trotzdem fühlen wir uns hier wohl.“
der deutsche Stromverbrauch so reduziert werden könnte,
Jülicher Energieforscher befassen sich mit
Photovoltaik oder Brennstoffzellen ebenso wie
mit Kraftwerkstechnik oder Kernfusion.
dass sechs Atomkraftwerke überflüssig werden würden.
Um weltweit acht Milliarden Menschen mit Strom zu ver­
Kern des Konzepts ist die Einrichtung eines Stromsparfonds,
sorgen, bedarf es immer großtechnischer Lösungen. „Kein
eine Maßnahme, die in Dänemark und Großbritannien be­
small und beautiful“, sagt Hake pragmatisch. Bei riesigen
reits in den 90er Jahren umgesetzt wurde. Durch den Fonds
Offshore-Windparks würde der Boden durchbetoniert
sollen beispielsweise energieeffiziente Geräte wie Kühl­
und die Luft in einem Maß durchgewirbelt werden, das
schränke oder Waschmaschinen gefördert und der Ersatz
nichts mehr mit dem vorherigen Luftzustand gemein
von umweltbelastenden Altgeräten honoriert werden.
hätte. „Wir werden immer etwas verändern“, sagt Hake.
„Aber wir müssen bei diesen Veränderungen sehr sorgfältig
Braunkohlekraftwerk Neurath: Die Stromerzeugung aus Braunkohle
gehört zu den CO2-intensivsten Technologien zur Energiegewinnung.
Wie viel Energie braucht Deutschland also mindestens,
mit der Natur umgehen und nicht unbedacht wie im Golf
um auf dem gewohnten Niveau leben und wirtschaften zu
von Mexiko.“
können? Mit dieser Frage setzt sich auch das Forschungs-
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BEGEGNUNG 03-10
BEGEGNUNG 03-10
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Fokus – Energie & umwelt
Fokus – Energie & umwelt
Wandel in den Köpfen
Links: Auch das Hamburger Bildungsangebot AQUA-AGENTEN der
Michael Otto Stiftung wurde als Dekade-Projekt ausgezeichnet.
Oben: Darsteller bei der Uraufführung des Klima-Musicals 2007
in Berlin
Schüler der Deutschen Botschaftsschule Peking beim Unterricht am
botanischen Lehrpfad
Das Heute schafft das Morgen
Nachhaltigkeit inzwischen in vielen Lehr- und Rahmenplä-
Umweltbildung ist ein relativ junger Bereich, erst in den
nen etabliert worden. „Ich würde schätzen, dass das Thema
70er Jahren entwickelte sich dieser Bildungsansatz, der
in jeder vierten Schule angekommen ist“, meint der Dozent
einen verantwortungsbewussten Umgang mit der Umwelt
der Freien Universität Berlin, der jedoch für Kindergärten,
und den natürlichen Ressourcen vermitteln soll. Unter-
Hochschulen und Berufsschulen weniger gute Ergebnisse
schiedliche methodische Zugänge, wie Simulations- und
vermeldet. Der Vorsitzende hofft auf eine zunehmende
Planspiele, Rollenspiele oder Generationen-Interviews,
Verankerung der Thematik in Lehrplänen und eine syste-
sollen nicht nur die Aneignung von Wissen ermöglichen,
matische Schwerpunktsetzung von Bildungseinrichtun-
sondern auch Einstellungen und Handlungsmöglichkeiten
gen. Denn: „Die Dekade wird nicht ausreichen, das Thema
gezielt thematisieren. Unter dem Dachverband der Arbeits-
zu verankern. Bildungsreform ist ein langsamer Prozess,
gemeinschaft Natur- und Umweltbildung (ANU) existieren
eine Schnecke.“
bundesweit mehr als 4.500 stationäre Umweltbildungseinrichtungen. Schulungen oder Ausstellungen mit pädago-
Klima-Musical und Energiespar-Detektive
gischen Angeboten für Familien, Schulklassen oder Kita-
Einen großen Teil des Erfolgs der UN-Dekade tragen Um-
Ressourcen werden knapp, CO2-Emissionen steigen – speziell zukünftige Generationen westlicher
Gruppen finden hier regelmäßig statt. Die Leitidee: Der
weltzentren und Nichtregierungsorganisationen. Rund
Industrienationen werden sich einen umweltverträglicheren Lebensstil aneignen müssen. Ein
Umgang mit der Welt heute ist die Grundlage für die Welt
1.000 Projekte wurden von der Deutschen UNESCO e. V.
Wandel, der nur in den Köpfen der Menschen beginnen kann. Leider werde das Bedürfnis junger
von morgen.
Leute, etwas über dieses Thema zu lernen, oft nicht genutzt, meint Erziehungswissenschaftler
Bildung als Schlüssel
Prof. ­Gerhard de Haan. Einige Projekte im Bereich Umweltbildung weisen in die richtige Richtung.
Für die Jahre 2005 bis 2014 haben die Vereinten Nationen
von Anna Petersen
Wenn
die Weltdekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“
Trotz häufig schwieriger Ausgangsbedingungen vor Ort sind
ausgerufen. Damit verpflichten sich die Mitgliedstaaten,
die Deutschen Auslandsschulen (DAS) Vorreiter im Bereich
das Leitbild der zukunftsfähigen Entwicklung in ihr Bil-
Umweltbildung. Die Deutsche Botschaftsschule Peking legte
Umweltpädagogin Alexa Sabarth mit ihren
Selbstbetätigung erfolgen“, weiß die Vorsitzende der Re-
dungssystem zu integrieren. In Kindergärten, Schulen und
erst kürzlich sowohl einen Schulgarten als auch einen bota-
Kindergruppen durch Wald und Wiesen zieht, werden
gionalgruppe Köthen des Naturschutzbundes Deutschland
Universitäten soll der breiten Bevölkerung das entspre-
nischen Lehrpfad an, die seitdem für Unterrichtszwecke ge-
Tierarten bestimmt und ökologische Zusammenhänge
e. V. (NABU). Vor Kurzem hat sich ihre NABU-Kindergruppe
chende Wissen vermittelt werden, um nachhaltig handeln
nutzt werden. Die Deutsche Pestalozzi Schule in Buenos Aires
untersucht. Praktische Naturschutzaufgaben sind an der
aufgelöst. Vor vier Jahren ist sie mit acht- bis zehnjährigen
zu können. Koordiniert werden die Projekte in den jewei-
hat 2009 in Zusammenarbeit mit lokalen Schulen eine Kam-
Tagesordnung: Das bedeutet Bäume pflanzen, Insekten-
Kindern gestartet, die sind nun in die Pubertät gekommen
ligen Ländern von der UNESCO-Kommission e. V. Umwelt-
pagne zur Mülltrennung gestartet, und an der jährlichen
hotels bauen, Vogelnester aufhängen. Ob Exkursionen
– das Interesse an Umweltthemen hat nachgelassen. Ge-
bildung spielt dabei eine wichtige Rolle. Zukunftsforscher
Baumpflanzaktion „Grüne Welle“ beteiligen sich regelmä-
zum Zoologischen Garten, in Forschungseinrichtungen
blieben ist Sabarths Arbeit mit den Klassen lokaler Schulen.
Prof. Gerhard de Haan ist seit 2004 Vorsitzender des Deut-
ßig DAS von Australien bis Südamerika. Auch an vielen an-
oder auf den Bauernhof: „Umweltbildung darf sich nicht
Dort nimmt sie an Projekttagen zum Beispiel Mikroskope
schen Nationalkomitees für die UN-Dekade. Für den schu-
deren DAS auf der Welt gehört der Bereich Umweltbildung
in theoretischem Wissen erschöpfen, sondern das Lernen
mit an die Schulen und schaut sich mit den Kindern und Ju-
lischen Bereich zieht er eine positive Bilanz, auch durch die
zum Schullalltag.
sollte in der freien Natur, am lebenden Objekt oder in der
gendlichen ein Stück Waldboden an.
Empfehlung der Kultusministerkonferenz sei das Thema
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BEGEGNUNG 03-10
BEGEGNUNG 03-10
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Fokus – Energie & umwelt
Fokus – Energie & umwelt
als herausragende Dekadeprojekte ausgezeichnet, unter
Jugendlichen sollten in der Schule Ansätze aufgezeigt wer­
ihnen das Klima-Musical für Kinder „Eisbär, Dr. Ping und die
den, über das eigene Engagement etwas zu verändern:
Freunde der Erde“ vom Bund für Umwelt und Naturschutz
Energie sparen, regenerative Energien nutzen oder regio­
Deutschland e. V. (BUND). Die Hörspiel- und Playback-CD
nale Produkte unterstützen“, findet er.
der Organisation ist zur Aufführung von Schulklassen und
Kindergruppen gedacht. Laut Birgit Eschenlohr, stellver­
Ein Gedanke, der bei Rudi Fischer, Lehrer für Deutsch und
tretende Vorsitzende des Bundesarbeitskreises Umweltbil­
Erdkunde an der Deutschen Schule Barcelona (DSB), auf
dung, haben bereits 320 Schulen das Stück inszeniert. Die
offene Ohren trifft. Die Auslandsschule ist in diesem Jahr
Geschichte: Alarmiert von den schmelzenden Eisschollen
als „Umweltschule in Europa – Internationale Agenda 21
treffen sich Eisbär und Pinguin, um über Möglichkeiten
Schule“ ausgezeichnet worden, für ein selbst entwickeltes
zum Klimaschutz zu beratschlagen. „Über Tiere kann man
Konzept zur Verbesserung ihrer Umweltverträglichkeit.
Kindern sehr gut Themen vermitteln“, erklärt Eschenlohr.
Die verantwortliche Umwelt-AG leitet Fischer mit einer
„Dr. Ping und der Eisbär kommen gezielt zu den Kindern,
Kollegin. Im letzten Jahr hat die DSB den Umgang mit dem
da die Erwachsenen oft zu gestresst und eingefahren sind,
Rohstoff Papier verbessert sowie Energiesparmaßnahmen
um ihnen zuzuhören oder etwas zu ändern.“ Böse Gegen­
als Beitrag zum Klimaschutz umgesetzt. „Licht-aus-Spar­
Prof. Gerhard de Haan,
Vorsitzender des Deutschen
Nationalkomitees für die
UN-Dekade und Leiter des
Instituts für Erziehungswissenschaftliche Zukunftsforschung
an der Freien Universität Berlin
spieler der tierischen Freunde sind Ampere, Volt und Watt,
wochen“ mit Schautafeln und Hinweisen an Lichtschal­
die Stromfresserbande. Ein Begleitheft enthält neben den
tern oder „Tür-zu“-Aktionen sollten Energie sparen und die
Sozial- und Methoden-Kompetenz-Stunde sprach die Um­
Texten auch ein Klimalexikon sowie Unterrichtsideen zum
Schüler zu einem bewussten Umgang mit Ressourcen an­
welt-AG stufenübergreifend die gesamte Schülerschaft an.
Thema Klimaschutz. „Viele Gewohnheiten werden sehr
regen. Umweltfreundlicheres Toiletten- und Kopierpapier
Das Ziel ist es, fächerartig immer breitere Schichten und
früh festgelegt. Je eher man sich spielerisch mit einem an­
wurde eingeführt, Altpapier wiederverwendet. Recycling
eine nachhaltige Verhaltensänderung zu erreichen – über
deren Lebensstil auseinandersetzt, desto leichter lässt sich
ist keine Selbstverständlichkeit in Spanien, daher drehten
Schüler bis in die Gemeinde hinein. „Vor Kurzem kamen
zum Beispiel energiesparendes Verhalten vermitteln“,
Sechstklässlerinnen einen Kurzfilm: In fließendem Deutsch
Eltern eines spanischen Schülers aus der Umweltgruppe
meint Eschenlohr, die Umweltbildung als praxisnahen Be­
mit spanischem Akzent erklären sie, in welchen Behältern
zu mir und haben sich bedankt, weil ihr Sohn zu Hause den
reich sieht, der dort ansetzt, wo Kinder selbst Einfluss neh­
benutztes Papier in Zukunft an der Schule gesammelt wird.
ganzen Haushalt umgestellt hat, mit Glas- und Papiertren­
men können. „Zum Beispiel mehr mit dem Fahrrad in den
Kindergarten oder auf Wochenendausflüge zu fahren als
mit dem Auto. Oder statt der Flugreise lieber Campen in
Oben: Ein Projekt von Umweltpädagogin Alexa Sabarth:
Der Schutz der Ringelnatter
Unten: Die Umwelt-AG der DS Barcelona unter Leitung von
Jochen Rohrmoser (1. Reihe 1. v. l.) und Rudi Fischer (1. Reihe 3. v. l.)
engagiert sich für die Auszeichnung als Umweltschule.
Offene Türen eingerannt
Die Ausschreibung „Internationale Agenda 21 Schule“ der
nung et cetera.“
Fischer arbeitet seit 21 Jahren als Ortslehrkraft an der DSB,
Deutschen Gesellschaft für Umwelterziehung (DGU) för­
begeistert hat ihn die große Beteiligung der Schulgemein­
„das Erlernte in ihren Köpfen nach Hause tragen“, um sich
dert Konzepte zur Umweltverträglichkeit von Schulen und
schaft an dem Projekt: Nicht nur die Umwelt-AG, auch
dort mit ihren Familien auszutauschen.
Bildung für nachhaltige Entwicklung. Neben der DSB sind
Schulverwaltung, Eltern, Hausmeister und Reinigungsper­
über 20.000 Schulen in über 40 Staaten beteiligt. Zwei Pro­
sonal zeigten sich kooperativ und brachten neue Ideen ein.
jekte müssen innerhalb des Schuljahres durchgeführt und
Der Bereich Umwelterziehung soll in den nächsten Jahren
Auch Erziehungswissenschaftler de Haan möchte vermit­
dokumentiert werden, wobei nicht nur das Engagement,
in das Leitbild der DSB einfließen, ein fächerübergreifen­
teln, dass „die intensive Nutzung der Ressourcen so nicht
sondern auch Kompetenzen oder Kooperationspartner be­
des Umwelt-Curriculum ist bereits in groben Zügen aus­
weitergehen kann“. Doch nachhaltiges Verhalten kann
wertet werden. Ein Jahr darf die DSB die Auszeichnung nun
gearbeitet. Für Fischer ist das ein wichtiger Punkt: „Eine
nicht befohlen werden, der Mensch muss es wollen – und
tragen, ihre Projektpräsentation wurde als exzellent bewer­
Schule, die nicht in Richtung Umwelterziehung arbeitet,
verantwortungsvolles Handeln geht oft mit Einschränkun­
tet. Fischer und sein ehemaliger Kollege Jochen Rohrmoser
verfehlt meiner Ansicht nach ihren Lehrauftrag.“
gen einher. Das „alte Dilemma“, meint De Haan. „Pointiert
gaben vor einem Jahr Anstoß zu der Initiative – und rann­
beschrieben, handeln diejenigen, die am meisten über die
ten offene Türen ein: „Immer mehr Schüler wollten sich an
Problematik wissen, oft am wenigsten nachhaltig. Sie ha­
der Umwelt-AG beteiligen, gerade Kinder spanischer und
ben die höheren Schulabschlüsse, die besseren Einkünfte
katalanischer Eltern“, berichtet Fischer. Umwelterziehung
und damit die größeren Konsummöglichkeiten.“ Trotzdem
als Eigeninitiative einzelner Lehrer und sporadische Um­
sieht de Haan Trends, die ihm Hoffnung geben: Jugendli­
weltgruppen gäbe es an vielen Schulen. „Deswegen wurde
che würden sich international zunehmend für Themen wie
die Umwelt-AG an unserer Schule institutionalisiert und
Unterrichtsmaterialien zum Themenkomplex Nachhaltig­
Umwelt und Gerechtigkeit interessieren. Auch die Studien­
zum Beispiel mit einer Stunde im Deputat der verantwortli­
keit bietet die Homepage der UN-Dekade www.bne-portal.
reihe Kinder und Medien (KIM) des Medienpädagogischen
chen Lehrer festgelegt“, erklärt Fischer. Mit der Erfahrung,
de. Über die einzelnen Dekade-Projekte informieren zudem
Forschungsverbunds Südwest zeigt, dass durchschnittlich
dass ältere Schüler stark durch den Nachmittagsunterricht
die UNESCO-Homepages der verschiedenen Länder oder
6 von 10 Kindern im Alter von 6 bis 13 Jahren Umwelt- und
beansprucht werden, sprach er mit seinem Kollegen gezielt
auch die Foundation for Economic Education (FEE) unter
Naturthemen spannend finden. De Haan hält die komplexe
Sechstklässler für das Projekt an. „Die Begeisterungsfähig­
www.fee.org. Hier finden sich überdies Details zur Auszeich­
Nachhaltigkeitsthematik für ein fächerübergreifendes
keit war stärker als bei den Großen und wir haben bemerkt,
nung „Umweltschule in Europa – Internationale Agenda
Thema, das schwierig innerhalb einer Schulstunde bzw. im
je jünger die Kinder sind, desto größer ist auch die vorhan­
21 Schule“ sowie auf der Seite der DGU www.umwelterzie-
Fachunterricht zu behandeln ist. Nachhaltigkeit beinhalte
dene Sensibilisierung für Umweltthemen durch Kindergar­
hung.de. Zahlreiche Materialien zur Umweltbildung für
vielfältige Aspekte aus Biologie, Physik, Politik etc. und sei
ten oder Elternhaus“, berichtet der Lehrer. Über Informa­
Schulklassen bietet www.bund.net.
am besten über Projektarbeit zu vermitteln. „Kindern und
tionsveranstaltungen und die wöchentliche sogenannte
Mecklenburg.“ Die Naturschützerin hofft, dass die Kinder
Ein altes Dilemma
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BEGEGNUNG 03-10
BEGEGNUNG 03-10
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Rot-Front 42° 42' N 75° 06' E
Ortstermin
Rot-Front 42° 42‘ N 75° 06‘ E
Ortstermin
Gemeinsames Musizieren und Singen hingegen haben eine
Gekommen, um zu bleiben:
lange Tradition. Es ist ein einfaches Leben, aber: „Die Men­
noniten in Rot-Front sind nicht die Amish People von Mit­
telasien“, betont ihr Lehrer mit Nachdruck.
Die letzten Mennoniten
von Rot-Front
In den Häusern der Deutschen, die Kirgisistan einst verlas­
sen haben, wohnen jetzt Russen und Kirgisen, die meisten
von ihnen sind Moslems. Rund 500 Kirgisen und 100 Russen
zählt Rot-Front, und viele einheimische Kirgisen betreiben
mittlerweile Landwirtschaft wie die „Deutschen“, obwohl
sie traditionell ein Nomadenvolk sind. Andersherum trei­
ben einige Deutschstämmige ihre Pferde und Rinder auf
die Sommerweiden in den Bergen – so wie die kirgisischen
Nomaden. „Es ist eine gegenseitige Befruchtung, man lernt
voneinander, und wenn es darauf ankommt, hält man eng
zusammen“, weiß Wilhelm Lategahn.
Deutscher Sprachgebrauch geht zurück
Oben: Ein Ort, zwei Namen: zweisprachiges Ortsschild am
Ortseingang von Rot-Front.
Unten: Deutschstämmige Schüler der Mittelschule zeigen den
kirgisischen Kindern ihre weihnachtlichen Traditionen.
Seit September 2009 unterrichtet der ehemalige Schullei­
Wer über die holprigen Straßen der kirgisischen Steppe unweit der alten Seidenstraße fährt,
gelangt 63 Kilometer östlich der kirgisischen Hauptstadt Bischkek in einen kleinen Ort, der
gleich zwei Namen trägt: Den offiziellen russischen Namen „Rot-Front“ sowie den deutschen
Namen „Bergtal“.
von Viktoria Will
ter einer Soester Förderschule als Landesprogramm-Lehr­
längst nicht mehr in allen „deutschen“ Haushalten durch­
kraft an der Mittelschule, die von der ZfA als Minderheiten­
gängig Deutsch gesprochen. „Soweit ich das beurteilen
schule gefördert wird und 2008 im Rahmen der Initiative
kann, fällt es einigen mittlerweile leichter, Russisch zu spre­
„Schulen: Partner der Zukunft“ Partnerschule geworden
chen. Wenn es sprachlich schwierig wird, wechseln auch
ist. „Bevor ich hierherkam, hat man mir gesagt, dass man
die Eltern ins Russische“, so der Pädagoge. Auch der drei­
an die Mennoniten nicht richtig rankommt, dass sie sich ab­
mal wöchentlich stattfindende Gottesdienst im sogenann­
schotten. Ich habe aber mittlerweile einen sehr netten und
ten „Bethaus“, dem mennonitischen Gemeindehaus, findet
liebevollen Kontakt zu den Menschen“, sagt er.
mittlerweile überwiegend in russischer Sprache statt.
Etwa 600 Schüler aus Rot-Front und Umgebung besuchen
Literaturunterricht und Projektarbeit
die Dorfschule von der 1. bis zur 11. Klasse. Russisch und Kir­
Die deutsche Sprache soll in „Bergtal“ lebendig bleiben,
gisisch sind Unterrichtssprachen, Deutsch ist für alle Schü­
dafür setzt sich Wilhelm Lategahn an der Mittelschule ein.
ler erste Fremdsprache. Für rund 40 Schüler ist Deutsch
Zwei bis drei Jahrgänge werden zusammen in Deutsch
Muttersprache, besser gesagt ein plattdeutscher Dialekt,
unterrichtet, die Lerngruppen so gebildet, dass das Lern­
der stark an „Plautdietsch“ erinnert. „Wenn die Leute sich
niveau der deutschmuttersprachigen und -fremdspra­
in ihrer Alltagssprache, die vor 230 Jahren in Ostpreußen
chigen Schüler ähnlich ist. Dabei spielt Projektarbeit eine
gesprochen wurde, unterhalten, dann verstehe ich kaum et­
große Rolle: So hat der Deutschlehrer jüngst mit den Schü­
was“, gesteht Lategahn. Der Dialekt, der sich in Wortschatz
lern der Oberstufe eine empirische Arbeit über die Bevölke­
und Grammatik deutlich vom Hochdeutschen unterschei­
rungsentwicklung von Rot-Front zwischen 1990 und 2010
det, hat in Rot-Front bis heute überlebt. Allerdings wird
durchgeführt. Auch das in den Räumlichkeiten der Mittel­
Das 720-Seelendorf Rot-Front ist die letzte Ortschaft in
Auf gepackten Koffern sitzt niemand
Zentralasien, in der neben der kirgisischen und russischen
Rund 800 Deutschstämmige lebten hier noch in den 80er
noch eine geschlossene deutsche Bevölkerungsgruppe
Jahren, ehe viele von ihnen mit der großen Ausreisewelle
schule ansässige „Museum der Deutschen in Kirgisistan“
lebt. Klangvolle Namen wie „Freundschaft“ oder „Unter
vorwiegend nach Detmold, Bielefeld oder Paderborn gin­
betreut er zusammen mit seinen Schülern. Im Dezember
dem Berg“ tragen die Straßen, viele Bewohner heißen Kel­
gen. Etwa 100 aber sind bis heute am Fuße des Tienschan-
2009 wurde das Museum, das aus Mitteln der ZfA und der
ler, Schmidt oder Hofmann mit Familiennamen.
Gebirges geblieben. „Der Weggang von Verwandten und
VW-Stiftung unterstützt wird, neu eröffnet. Fotos, Schauta­
Freunden ist für viele hier ein wunder Punkt. Aber auf ge­
feln und Exponate erzählen von der bewegten Geschichte
Deutsche Mennoniten siedelten 1882 von der Wolga ins kir­
packten Koffern sitzt eigentlich niemand“, weiß Wilhelm
der deutschen Siedler. Ebenso gehört zu den Museumsräu­
gisische Talas-Tal über und gründeten 1927 im Tschu-Tal die
Lategahn, von der Zentralstelle für das Auslandsschulwe­
men eine deutschsprachige Bibliothek.
Siedlung „Bergtal“. Ihre Vorfahren, strenggläubige Chris­
sen (ZfA) vermittelter Deutschlehrer an der Mittelschule in
ten aus Preußen und der Danziger Bucht, waren im 18. und
Rot-Front. Fast alle Bewohner leben von der eigenen Land­
Mit den Schülern der Klassen 9 bis 11 liest Wilhelm Late­
19. Jahrhundert nach Russland gekommen, um dem Militär­
wirtschaft, betreiben Ackerbau und halten Vieh. Der Boden
gahn derzeit das Jugendbuch „Ben liebt Anna“ von Pe­
dienst in ihrer Heimat zu entgehen. Anfang der 30er Jahre,
ist sehr fruchtbar. Einige haben sich in den letzten Jahren
ter Härtling. Es ist die Geschichte einer frühen Liebe zwi­
zu Hochzeiten der Ära Stalin, erhielt der Ort den kommu­
auf die Bienenzucht spezialisiert und produzieren Honig.
schen dem Viertklässler Ben und seiner Klassenkameradin
nistischen Namen Rot-Front. 1991, mit der Unabhängigkeit
Streng nach den Geboten der Bibel lebend, sind Fernsehen
Anna, die mit ihrer Familie nach Deutschland überge-
Kirgisistans, erreichten die Mennoniten die Wiedereinfüh­
und Internet für die hier lebende, mennonitische Glaubens­
siedelt ist und hofft, sich auch in der „neuen Heimat“
rung „ihres“ Namens „Bergtal“ auf dem Ortsschild.
gemeinschaft tabu, genauso wie Alkohol oder Schmuck.
zurechtzufinden.
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Inland
Ludwigshafen 49° 30' N 8° 30' E
InlanD
Ludwigshafen 49° 30' N 8° 30' E
„Wir kommen für unsere Kinder hierher, aber auch für
uns. Ehrlich, uns tut das auch gut“, erzählt die Mutter über
die wöchentlichen Eltern-Kind-Gruppen. Ihr Sohn besucht
eine Kindertagesstätte in Ludwigshafen, die mit einem
Konzept zur frühkindlichen Sprachförderung arbeitet.
„Sprache macht stark!“ heißt das Projekt unter Schirmherrschaft der UNESCO-Kommission und ist eines von
sieben Projekten der „Offensive Bildung“, einer Initiative
des Unternehmens BASF SE zur Förderung der frühkindlichen Bildung.
def
In den letzten fünf Jahren haben unter Leitung der Stadt
Ludwigshafen und der Universität Mannheim 50 Kindertagesstätten in der Region an dem Projekt teilgenommen, das
auf mehreren Ebenen ansetzt: Zwei- bis vierjährige Kinder
werden beim Erwerb der deutschen Sprache intensiv geför-
Schlüsselqualifikationen lernen, um einen guten Schuleinstieg
zu gewährleisten
dert und ihre Eltern, als wichtigste Kommunikationspartner und Sprachvorbilder in der Erstsprache, in das Projekt
miteinbezogen. Das Konzept setzt mehrere in der aktuellen
Forschung als wichtig erachtete Faktoren um: Kooperation
mit Familien, spezifische Förderung von Kindern in unter-
abc
schiedlichen, aufeinander abgestimmten Situationen, in-
ihnen.“ Die Kleingruppe stellt dabei einen „geschützten
tensive Weiterqualifizierung von Fachkräften sowie Unter-
Raum“ dar, in dem Zeit vorhanden ist, um jedes Kind zu
stützung von Mehrsprachigkeit. „In Ludwigshafen ist es
Wort kommen zu lassen und individuelle Verständnispro-
wie in vielen deutschen Städten. Jedes zweite Kind, das hier
bleme zu bemerken.
auf die Welt kommt, hat einen Migrationshintergrund“, er-
Sprache:
klärt Professor Rosemarie Tracy. Die Dozentin der Univer-
Wortschatz für den Alltag
sität Mannheim hat die wissenschaftliche Begleitung des
Die Themen der Kleingruppen werden auch im pädagogi-
Projekts geleitet und verweist auf einen deutlichen Hand-
schen Alltag der Kitas aufgegriffen – ob es nun darum geht,
lungsbedarf. „In dem Moment, in dem Kinder ihren großen
wie die Räume heißen oder welche Begriffe beim Tisch-
Zeh über die Schwelle der Kita schieben, muss die Förde-
decken benötigt werden. Diese zweite Säule des Konzepts
rung beginnen.“ Tracy beobachtet, dass die Kinder durch
basiert auf dem Gedanken, den Kindern über einfache Ak-
die gezielte Förderung kommunikationsfreudiger werden
tivitäten einen Wortschatz zu vermitteln, der ihnen den
und die Grundlagen der deutschen Sprache schnell lernen.
Übergang in das Neuland Kindertagesstätte erleichtert
„Die Kinder erhalten die Gelegenheit, sich Schlüsselquali-
und hilft, die Alltagsroutine zu verstehen. Die Gewöhnung
fikationen anzueignen, die sie später dringend brauchen,
an eine neue Sprache ist dabei nur ein „kleines Detail“.
um einen guten Einstieg in die Schule zu schaffen.“
Ein Konzept, drei Säulen
Voraussetzung, Perspektive, Zukunft
Die Erkenntnis ist alt, doch die gesellschaftspolitische Herausforderung bleibt: Kinder und Jugend-
Das dritte Fundament sind wöchentlich stattfindende Eltern-Kind-Gruppen, bei denen den Eltern vermittelt wird,
Das Konzept von „Sprache macht stark!“ basiert auf drei pa-
wie sie das natürliche Interesse der Kinder an Sprache auch
rallelen Säulen, die thematisch miteinander vernetzt sind:
zu Hause spielerisch fördern können. Auch die Erstsprache
In Kleingruppen mit vier Kindern behandeln die pädago-
wird in die spielerische Interaktion miteinbezogen. „Eltern
gischen Fachkräfte dreimal die Woche intensiv alltagsrele-
können zum Beispiel ihr Kind fragen, wie ein deutscher Be-
vante Themen und den dazugehörigen Wortschatz. Dabei
griff in der Muttersprache heißt“, berichtet Tracy über die
ist besonders die unmittelbare Nähe zum Erzieher oder zur
Treffen, bei denen über Sprache ebenso wie über unter-
liche mit Migrationshintergrund gehören in Deutschland klar zu den Bildungsbenachteiligten. Über
Erzieherin für die Kinder wichtig: Sie müssen genau sehen
schiedliche kulturelle Praktiken gesprochen oder auch mal
ihre Chancen auf gelungene Integration in das Berufsleben wird meist schon in Kindergarten und
können, was die Fachkraft macht, während sie spricht, und
zusammen gekocht wird. Nebenbei wird der Kontakt zwi-
so erkennen, worum es geht, auch wenn sie nicht alle Wör-
schen Eltern und Kita-Fachkräften intensiviert. „Erzieherin-
ter verstehen. „Damit wird die Situation rekonstruiert, die
nen, die mit dem Konzept arbeiten, erzählen, dass Eltern
Kinder auch beim Lernen der Erstsprache zu Hause mit El-
ihnen im Laufe der Zeit mehr Vertrauen entgegenbringen,
tern oder älteren Geschwistern erleben“, erläutert Tracy.
mehr Verantwortung übernehmen und sich innerhalb
„Kinder lernen durch die intensive Beschäftigung mit
der Einrichtung stärker engagieren“, berichtet Tracy.
Schule negativ entschieden. Um das zu ändern, setzt ein Projekt in Ludwigshafen seit 2005 auf die
frühkindliche Sprachförderung – im Sommer wurde das Angebot auf die gesamte Rhein-Neckar-­
Region ausgedehnt.
von Anna Petersen
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Ludwigshafen 49° 30' N 8° 30' E
Ludwigshafen 49° 30' N 8° 30' E
„Sie fühlen sich durch diese Treffen nicht mehr so alleine.“
Welche Aspekte des Wortschatzes sollten speziell aufge-
willkommen heißt, müssen wir auch Zukunftsperspektiven
Denn durch die Gruppenarbeit knüpfen die Eltern auch
griffen werden? Innerhalb eines Jahres wird das gesamte
für alle bieten“, meint Sibylle Messinger von der Bildungs-
untereinander Kontakte. Trotz unterschiedlicher Mut-
Personal über die Inhalte des Projekts informiert, und die
und Jugendhilfeplanung Ludwigshafen. Die Durchführung
tersprachen finden sie in dem Projekt eine gemeinsame
Leitungskräfte werden speziell geschult, um das Projekt im
in Kitas erleichtert den Zugang zur Sprachförderung. Eltern
Grundlage: die deutsche Sprache. Die Sprachwissenschaft-
pädagogischen Alltag umzusetzen.
müssen sich nicht erst an fremde Organisationen wenden
lerin hofft, dass diese positive Interaktion mit den Eltern
oder selbst auf die Suche nach Angeboten gehen. Auch Dr.
in immer mehr Kindergärten zum Alltag wird. Das Pro-
Erwerbsfortschritte erkennen
jekt habe bei allen Beteiligten viel bewegt – weit über den
Den Fachkräften wird vermittelt, wie sich Kinder Sprachen
die Weichen für eine gelungene Bildungskarriere früh ge-
sprachlichen Aspekt hinaus.
aneignen und welche Phänomene dabei auftreten können,
stellt würden. „In den meisten Kindergärten und Schulen
wie beispielsweise das zeitweise Vermischen von Sprachen
in Deutschland spielen und lernen Kinder unterschiedli-
bei Kindern, die mehrsprachig aufwachsen. „Das ist ganz
cher Herkunft zusammen. Die gemeinsame deutsche Spra-
„Sprache macht stark!“ richtet sich an Kinder mit unter-
normal, und trotzdem gibt es viele Vorurteile über die ver-
che eröffnet ihnen den Weg zu Wissen und Bildung“, meint
schiedlicher kultureller, aber auch sozialer Herkunft. „Das
meintliche Inkompetenz dieser Kinder“, berichtet Tracy.
Schwager, dessen Unternehmen im Rahmen der Initiative
Konzept orientiert sich an der modernen Spracherwerbs-
„Dabei kann man schön zeigen, wie kreativ und mit wie viel
„Offensive Bildung“ frühzeitig die Sprachentwicklung bei
forschung. Speziell der Bereich ‚früher Zweitspracherwerb‘
Kompetenz Kinder mit mehreren Sprachen aufwachsen
Kindern fördern und ihnen so Chancen eröffnen möchte.
hat sich in den letzten Jahren international entwickelt“,
können.“ Um den Erwerbsfortschritt der Kinder beurteilen
„Sprache schafft die Grundlage, nationale und kulturelle
berichtet Tracy, deren Forschungsinteressen seit Jahren
zu können, eignen sich die Fachkräfte auch Wissen über die
Grenzen hinter sich zu lassen und gemeinsam unsere Zu-
auf dem Gebiet Mehrsprachigkeit und Möglichkeiten des
typischen Phasen des Spracherwerbs an. „Wenn ein Kind
kunft zu gestalten.“ 50 Kindertagesstätten haben bis Ende
Spracherwerbs liegen. Das Konzept verbindet Theorien
plötzlich ‚geschwimmt‘ sagt, obwohl es schon mal den Be-
letzten Jahres an „Sprache macht stark!“ teilgenommen, 9
zum Spracherwerb mit Erkenntnissen aus der pädagogi-
griff ‚geschwommen‘ benutzt hat, ist das zum Beispiel kein
davon finanziert durch die Baden-Württemberg-Stiftung,
schen Praxis. Der zugrunde liegende Situationsansatz geht
Rückschritt“, sagt Tracy. „Das Kind beginnt einfach, Regeln
heute führen sie die frühkindliche Sprachförderung selbst-
davon aus, dass Kinder in für sie relevanten Situationen
zu bilden.“ Auch spezifische Sprachentwicklungsstörungen
ständig weiter. Die neu gestartete „Offensive Bildung Plus“
am besten lernen. In jeder an dem Projekt beteiligten Kita
können mit dem Wissen um den Ablauf von Spracherwerb
der BASF und der Metropolregion Rhein-Neckar ermöglicht
werden zwei bis drei Erzieher von der Universität Mann-
besser erkannt werden. Im Projekt-Alltag würden die Er-
zudem elf weiteren Kitas die Teilnahme an dem Projekt.
heim zu sogenannten Sprachförderkräften weitergebildet.
zieherinnen dann sehr schnell Fortschritte bei den Kindern
In speziellen Schulungen erhalten sie Antworten auf viele
sehen, meint Tracy. „Oft beginnen die Kinder zum Beispiel
Kindliche Lebendigkeit ausdrücken
Fragen: Wie wird gesprochen, damit die Kinder einen ver-
wie ihre Erzieherin zu sprechen. Sie greifen bestimmte For-
Das Sprachverhalten der bisher geförderten Kinder wurde
mulierungen oder einen Dialekt auf.“ Ziel des Konzepts
von 2006 bis 2009 kontinuierlich dokumentiert, um die
ist es, das eigene Handeln für die Kinder zu versprachli-
Erwerbsstadien nachzuvollziehen. Eine im Frühjahr 2009
chen. In der Schulung werden die Fachkräfte daher auch
durchgeführte Vergleichsstudie zeigt deutliche Unter-
für ihr eigenes kommunikatives Verhalten sensibilisiert,
schiede zwischen Kindern, die nach dem Konzept „Sprache
beispielsweise wird ihnen das Sprechen in ganzen Sätzen
macht stark!“ gefördert werden, und unspezifisch geför-
empfohlen. Der Grund: Ein Kind, das im Kindergarten nur
derten Kindern: Die erste Gruppe war sprachlich signifi-
Satzfragmente hört, hat es sehr schwer, sich die Gramma-
kant besser. „Das ist ein schönes, aber nicht überraschendes
tik anzueignen. Oft sind Erzieherinnen über ihr Sprechver-
Ergebnis. Wenn Kinder in intensiven sprachlichen Kontakt
halten erstaunt, wenn sie Mitschnitte ihrer Arbeit anschlie-
mit Erwachsenen treten, dann passiert da natürlich was“,
ßend sehen, meint Tracy.
summiert Tracy. Erzieherinnen würden häufig berichten,
Schulung, Coaching, fachliche Begleitung
hij
stehen? Welche Fragestellungen regen zum Sprechen an?
Prof. Dr. Rosemarie Tracy, Dozentin
an der Universität Mannheim, übernahm die
wissenschaftliche Begleitung des Projekts.
36
InlanD
Harald Schwager, Vorstandsmitglied der BASF, betont, dass
klm
Eltern-Kind-Gruppen zeigen zum Beispiel, wie die Sprachförderung
der Kinder auch zu Hause stattfinden kann.
dass die Kinder regelrecht aufblühen. „Einfach weil sie in
Sprache: Voraussetzung für Zukunft
der Lage sind, auszudrücken, was sie empfinden, brauchen
Der achte Bericht der Bundesregierung zur Lage der „Aus-
oder möchten, und Kontakt zu den anderen Kindern aufzu-
länderinnen und Ausländer in Deutschland“ hat im Juli er-
nehmen“, meint Diplompädagogin Messinger. „Es ist toll zu
neut die erschreckende Situation deutscher Einwanderer
sehen, wie Kinder mithilfe der Sprache ihre ganze Leben-
im Bildungsbereich offenbart: 2008 hatten 13,3 Prozent
digkeit zum Ausdruck bringen können. Das Projekt zeigt,
Mehr Informationen in „Offensive Bildung: Sprache
der 15- bis 19-jährigen Einwanderer keinen Schulabschluss
welch herausragende Bedeutung dem frühkindlichen Bil-
macht stark“, herausgegeben 2009 von Rosemarie
– doppelt so viele wie bei den Deutschstämmigen. Die Bil-
dungsbereich beim Spracherwerb zukommt.“ Auch Tracy
Tracy und Vytautas Lemke, oder auf der Homepage:
dungsbenachteiligung von Kindern mit Migrationshinter-
meint, dass auf vielen Bildungsebenen Handlungsbedarf
http://www.ludwigshafen.de/leben_in_ludwigs-
grund, aber auch Kindern aus bildungsfernen Familien ist
besteht, der Anfang jedoch bei Kleinkindern gemacht wer-
hafen/kinder_und_jugend/offensive_bildung/
schlimm für die Betroffenen: Fehlen sprachliche Grund-
den müsse. „In unserer Gesellschaft muss das Bewusstsein
sprache_macht_stark/.
lagen, fehlen Zukunftsperspektiven. Aber auch der deut-
geschaffen werden, dass Spracherwerb nicht zum Nullta-
Das evaluierte Konzept steht auch anderen Trägern
schen Wirtschaft schadet die aktuelle Situation, schließlich
rif erfolgen kann“, betont die Professorin. „An irgendeiner
von Kindertageseinrichtungen zur Verfügung.
zeichnet sich bereits seit Jahren ein steigender Fachkräfte-
Stelle entstehen Kosten und langfristig ist es sicher günsti-
mangel ab. „Als aufnehmende Gesellschaft, die Emigranten
ger, früh zu investieren.“
BEGEGNUNG 03-10
BEGEGNUNG 03-10
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Meldungen
Meldungen
Meldungen
DSB Alexandria: erstklassig bei „Jugend Musiziert“
Wechsel an der
Spitze des DAAD
Rowan El Mehdawy, Nourhan Shamy, Dina Hammouda, Dina Baghat und Nadine Magdy haben das
erreicht, wovon viele Nachwuchsmusiker träumen: Einen 1. Preis in der Endrunde des renommierten
Musikwettbewerbs „Jugend Musiziert“. Für den Erfolg haben sie intensiv gearbeitet.
Bonn. Dr. Christian Bode, GeneralseSogar in den großen Pausen kommen
kretär des Deutschen Akademischen
sie zum gemeinsamen Proben zusam-
Austauschdienstes (DAAD), hat sich
men – trotz eines Wochenpensums
Ende September in den Ruhestand
von 40 Unterrichtsstunden. „Die
verabschiedet. 20 Jahre lang war
Mädchen sagen, dass sie im Gesang
Bode für den DAAD tätig, unter sei-
Stress abbauen, Energie freisetzen
ner Führung entwickelte er sich zur
und das ausdrücken können, was sie
weltweit größten Organisation für
sonst nicht in Worte fassen können“,
internationale Hochschulzusammen-
so Schulleiter Müller.
arbeit und akademischen Austausch,
die Zahl der Geförderten stieg von
Musik baut Brücken
knapp 34.000 im Jahr 1990 auf fast
Das Besondere: Die in Lübeck ausge-
67.000 in 2009. Dabei wurde in den
zeichneten „Borromäerinnen“ sind
letzten Jahren auch die Zusammen-
Ägypterinnen muslimischen Glau-
arbeit zwischen DAAD und der Zen-
bens. „Anfänglich hatten einige El-
tralstelle für das Auslandsschulwesen
Anlässlich seiner offiziellen Ver-
„Sie zählen zu denen, die die innere
tern Bedenken, ob ihre Töchter öf-
(ZfA) systematisch ausgebaut, sowohl
abschiedungszeremonie im Fran-
Einheit unseres Landes vorangetrie-
fentlich mit christlicher Literatur
im Rahmen der Partnerschulinitiative
zösischen Dom in Berlin erinner-
ben haben – das ist Ihr bleibendes
auftreten sollten“, weiß Müller. Aber
als auch bei der „BetreuungsInitia-
te Bundesaußenminister Dr. Guido
Verdienst.“
Musiklehrer Kronthaler habe durch
tive Deutsche Auslands- und Partner-
Westerwelle in seiner Rede an die ers-
Seit dem 1. Oktober ist Dr. Dorothea
seine Arbeit etwaige Vorbehalte be-
Schulen“ (BIDS), bei der die Koopera-
ten Jahre Bodes im DAAD, in denen
Rüland, ehemalige Direktorin des
seitigen können. „Das ist eine unge-
tion zwischen Deutschen Schulen im
Europa im Umbruch war und sich
Internationalen Zentrums der Freien
Der Bundesaußenminister verabschiedete Dr. Christian Bode herzlich.
Alexandria. Rund 2.400 junge
Singen sogar in den Pausen
Künstler aus Deutschland und von
„Der Erfolg unserer Schülerinnen bei
heure interkulturelle Leistung, die er
Ausland und deutschen Hochschulen
auch für Wissenschaftler die Gren-
Universität Berlin, neue Generalse-
Deutschen Auslandsschulen hatten
,Jugend Musiziert‘ ist eine tolle Leis-
vollbracht hat und die zeigt, dass Mu-
intensiviert werden konnte.
zen zwischen Ost und West öffneten.
kretärin des DAAD.
sich für den Bundeswettbewerb in Lü-
tung, über die wir uns sehr freuen“,
sik Brücken bauen kann“, würdigt er
beck im Mai 2010 qualifiziert, unter
befindet DSBA-Schulleiter Dr. Hubert
Kronthalers Arbeit.
ihnen auch die Oberstufenschülerin-
Müller. Musik und Gesang haben
nen der Deutschen Schule der Bor-
an der deutsch-ägyptischen Begeg-
Anfang Oktober 2010 stellte das Ge-
romäerinnen in Alexandria (DSBA),
nungsschule einen hohen Stellen-
sangsquintett der DSBA erneut sein
einer reinen Mädchenschule. Die fünf
wert. Der Kammerchor der Schule gilt
Können unter Beweis: Beim „Wo-
Künstlerinnen waren in der Kategorie
als der beste Ägyptens und ist interna-
chenende der Sonderpreise“ in Frei-
„Gesangsensemble Quintett“ ange-
tional bekannt – auch dank der Arbeit
burg traten 120 ausgewählte Bundes-
treten. Zuvor hatten sie den Regional-
des ehemaligen Musiklehrers Karl
preisträger von „Jugend Musiziert“
wettbewerb in Alexandria sowie den
Kronthaler, der im Sommer 2010 an
an. In sieben Kategorien interpre-
Landeswettbewerb Deutscher Schu-
die Schmidtschule in Jerusalem ver-
tierten sie unbekannte Werke der
len im östlichen Mittelmeerraum in
abschiedet wurde. In den acht Jahren
Klassik, der Moderne sowie Urauf-
Mailand mit Bravour gemeistert. Im
seiner Tätigkeit an der DSBA baute er
führungen. Unter ihnen auch Rowan,
Finale war das Quintett besonders er-
die Schulchöre schrittweise aus und
Nadine, Nourhan, Dina und Dina
folgreich. Dessen Darbietung klassi-
setzte auf die intensive Förderung be-
aus Alexandria.
scher und moderner Literatur wurde
sonders begabter Sängerinnen.
der höchstmöglichen Wertung von
Singen gehört für die Schülerinnen
25 Punkten ausgezeichnet.
der Begegnungsschule zum Alltag.
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Bonn 50° 43‘ N 7° 05‘ E
InlanD
Herumgekommen: Herbert Feuerstein im Rahmen der WDRSendung „Der Mann, der in die Kälte ging“ in der Kältekammer,
für „Feuersteins Reisen“ in Arabien und in Thailand (v.l.n.r.).
das Genre „intellektueller Blödsinn“, schrieb 2005 die Ta-
Sohn eines österreichischen Bahnbeamten. Im Österreich
geszeitung „Die Welt“. Während die einen ihn als genia-
der Nachkriegszeit muss der junge Herbert Feuerstein im
len, verschrobenen Kopf bezeichnen, hat Feuerstein selbst
wahrsten Sinne des Wortes durch eine „harte Schule“ ge-
für seinen anhaltenden Publikumserfolg eine ganz andere
hen. „Wir hatten einen ganz sadistischen Geschichtslehrer
Erklärung: „Große, normal aussehende Leute gehen in der
am Gymnasium, bei dem man Fehler mit der Zunge von der
Menge unter. Aber an mich erinnert man sich gut, weil ich
Tafel lecken musste. Ich war ja nicht uninteressiert, aber ich
Eine einzige witzige Anekdote
so klein bin. Ich könnte keinen Ladendiebstahl begehen,
war wahnsinnig verängstigt und habe dann zum Teil auch
man würde mich sofort erwischen.“
den Unterricht geschwänzt.“ In der Schule paukt Feuerstein
Fast zwei Jahrzehnte lang war er Chefredakteur des Satire-
Nach dem Unterricht flüchtet sich der Schüler in ein lite-
„ Ich bin ein absoluter Gesellschaftsmuffel, meine reine Anwesenheit vernichtet Stimmungen“, sagt
magazins „MAD“, anschließend vier Jahre der kreative Kopf
rarisches und musisches Paralleluniversum: Mit zwölf Jah-
Kult-Komiker Herbert Feuerstein. Und setzt noch eins drauf: „Die Leute werden richtig bösartig,
der WDR-Sendung „Schmidteinander“ und Co-Moderator
ren fängt er an, literarische Texte zu schreiben, komponiert
von Harald Schmidt. Für Konzept und Umsetzung der Sen-
Messen für den schuleigenen Chor, geht häufig in Biblio-
dung erhielt er den renommierten Grimme-Preis. Derzeit
theken und schleppt „wirklich schwere Wälzer von Sören
steht Feuerstein bei den „Jedermann“-Festspielen 2010 im
Kierkegaard und so weiter“ nach Hause. „Vielleicht wollte
Berliner Dom im gleichnamigen Theaterstück als Teufel
ich damals auch ein bisschen angeben“, sagt Feuerstein
auf der Bühne. „Ich hatte schon immer das Bedürfnis, mich
verschmitzt.
wenn ich nur in ihrer Nähe bin.“
von Viktoria Will
Altgriechisch, Latein und „den Literaturkanon zur Gänze“.
Ich treffe den „Altmeister der Satire“ im Rahmen einer Le-
sich nach Hause, sobald das Rampenlicht ausgehe. „Ich bin
irgendwie zu produzieren, das habe ich von meiner hyste-
sung im Bonner Pantheon-Theater. Pünktlich zu unserer
nicht komisch, ich bin so was von stachelig und ungesellig.
risch-theatralischen Mutter geerbt. Seit vier Jahren will ich
Mit seiner Schulzeit verbindet der in Köln lebende Wahl-
Verabredung erscheint der Autor und Kabarettist mit einer
Die meisten Leute, die etwas mit Satire zu tun haben, sind
mit allem aufhören und es kommen immer wieder Ange-
Deutsche bis heute ein einziges Wort: traumatisch. „Ich
altmodischen Aktentasche in der Hand und begrüßt mich
untergründig depressiv und leben die Satire als Sarkasmus.
bote und Herausforderungen, die mich reizen und die ich
träume heute noch, dass ich wieder das Abitur machen
mit einem fröhlichen „Hallöchen“. Herbert Feuerstein selbst
Also ich bin überhaupt kein fröhlicher Mensch.“
nicht ablehnen kann. Ich bin ein Opfer meines unbändigen
muss und dass ich als alter Mann inmitten von Schülern sitze
Neugierigkeitsimpulses.“
und keine einzige Frage beantworten kann. Also in mei-
tut sich äußerst schwer mit jeglicher Kategorisierung. Ein
Journalist des Magazins „Galore“ sprach den Grimme-Preis-
Theatralisches Erbe
träger einst in einem Interview als „Humorexperten“ an –
Der 1,65-Meter-Mann ist ein künstlerisches Chamäleon und
Humanistische Bildung
was dieser galant abtat. Wie viele Medienmenschen
seit 40 Jahren aus der deutschen Humorlandschaft kaum
Geboren wird der Mann mit dem unbändigen Neugierig-
dem heutigen Bildungsverständnis liegen Welten, findet
schlüpfe auch er in sein Schneckenhaus und verkrümele
wegzudenken. Feuerstein stehe wie kaum ein anderer für
keitsimpuls 1937 im Bahnhofsgebäude von Zell am See als
der 73-Jährige: „Ich kam damals noch in den Genuss der
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BEGEGNUNG 03-10
nem seelischen Gedächtnis habe ich das Abitur nie bestanden.“ Trotz aller Repression – zwischen dem damaligen und
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Herbert Feuerstein
Während seines Musikstudiums von 1956 bis 1958 am Salzburger „Mozarteum“ veröffentlicht Feuerstein unter dem Pseudonym „Robert Stein“ diverse Musikkritiken, in denen er
sich über das musikalische Können und Nichtkönnen seiner Kommilitonen und des Hochschulpräsidenten auslässt. Als er auffliegt, gibt es einen Skandal – und Feuerstein schmeißt
das Studium. „Wenn ich damals nicht gegangen wäre, wäre ich heute etwas ganz Furchtbares. Festspielpräsident oder österreichischer Kultusminister oder so“, sagt er heute.
Stattdessen wird Herbert Feuerstein einer der bekanntesten und beliebtesten deutschsprachigen Entertainer. 1984 startet er seine TV-Karriere als Autor der „Michael-Brown-Show“ im
WDR. Es folgen diverse Fernsehauftritte, unter anderem in „Schmidteinander“, „Pssst…“, in
der Rateshow „Was bin ich?“ oder als „Rumpelstilzchen“ im gleichnamigen Spielfilm. 1998
gibt Feuerstein sein Debüt als Theaterschauspieler in der Komödie „Liebe, Lügen, Lampenfieber“ in Berlin, in der Folge gastiert er unter anderem als Amtsdiener Frosch in der Operette „Die Fledermaus“ in Leipzig und Köln. Zudem moderiert und konzipiert er für den
WDR diverse Musik- und Literatursendungen.
Feuerstein selbst hat bislang vier Bücher veröffentlicht: die drei Reisetagebücher „Feuersteins Reisen“ (2000), „Feuersteins Ersatzbuch“ (2004) und „Feuersteins Dritte“ (2005) sowie
das 2006 erschienene Buch „Frauen fragen Feuerstein und sieben andere F-Wörter“. 1992
„Große, normal aussehende Leute gehen in der
Menge unter. Aber an mich erinnert man sich gut,
weil ich so klein bin.“
hat der Entertainer die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. Er ist zum dritten Mal
verheiratet, hat eine Tochter und lebt unter anderem in Köln.
aber man muss bei sich selbst anfangen. Das Zielpublikum
typischer Feuersteinscher Satire. „Finden Sie, dass Reisen
waren ja Jugendliche bis 17 Jahre, und ich würde bestreiten,
bildet?“, frage ich den unsteten Globetrotter. „Das kommt
dass man das Recht hat, den jungen Menschen etwas vor-
darauf an, wie man es angeht“, antwortet Feuerstein in sei-
zugeben. Jeder muss sich die Welt selbst erschaffen, jeder
ner ganz pragmatischen Art. „Man kann noch so weit flie-
muss seine Kritik an der Welt selbst formulieren.“
gen – wenn man sich dann zwei Wochen in den Sand legt,
Umherirren und Staunen
bringt das nichts. Für mich ist das ungeplante Reisen eigentlich immer noch das schönste Reisen, ich kann tagelang in
klassischen humanistischen Bildung, da hat man überhaupt
Feuerstein nach New York, arbeitet dort als Chefredakteur
Seine Liebe zur Literatur und zum Schreiben hat sich Feuer-
fremden Städten herumirren und erschöpft am Abend ir-
nichts Praktisches gelernt, aber man hat Zusammenhänge
der deutschsprachigen „New Yorker Staats-Zeitung“ und
stein bis heute bewahrt. „Jeder Mensch hat die Wahl zwi-
gendwo wieder herauskommen und verwundert sein über
vermittelt bekommen. Wenn ich heute mit einer Literatur-
als Amerika-Korrespondent der deutschen Satirezeitschrift
schen Kreativität und Rezeption“, sagt er. „Ich habe bisher
all das, was ich gesehen habe. Das war eigentlich immer
studentin rede, dann merke ich: Ich weiß das eigentlich al-
„Pardon“. 1969 kommt er zurück nach Europa und wird
vier eigene Bücher bewältigt und jetzt lauert die Autobio-
meine Art: die Dinge auf mich zukommen zu lassen.“
les noch aus meiner Schulzeit. Heute muss man vielmehr –
Chefredakteur der deutschsprachigen Ausgabe des US-
grafie, die ich schon drei oder vier Verlagen versprochen
das verlangt auch die Gesellschaft – dafür sorgen, dass man
amerikanischen Satiremagazins „MAD“, dessen Stil er von
habe. Wenn man wie ich viel schreibt und arbeitet, dann
Nach unserem Gespräch bringt mich Herbert Feuerstein –
mit der Existenz durchkommt und Geld verdient. Es wäre
da an maßgeblich prägt. Das Comic-Heft mit dem obliga-
kommt allerdings die Rezeption von Literatur eindeutig zu
ganz Gentleman – zur Straßenbahn. Wir laufen nebenein-
unfair zu sagen, die Leute haben heute keine Bildung mehr,
torischen, frech grinsenden Alfred E. Neumann auf jedem
kurz. Denke ich allein an die Bücher, die in meinen Biblio-
ander die Bonner Adenauerallee hoch und unterhalten uns
sie haben nur eine andere, eine speziellere Bildung.“
Cover wird in den 70er Jahren in Deutschland zum Kultob-
theken stehen – dann grenzt das schon an Unsterblichkeit,
übers Reisen. Über die Erfahrungen mit der Fremde, über
jekt. Die Auflage hierzulande schnellt innerhalb weniger
wenn ich das noch alles lesen möchte. Also das tut ein biss-
die Vorteile von leichtem Gepäck, über das Nach-Hause-
Jahre auf 300.000 Stück hoch – mehr als die Gesamtauflage
chen weh.“
Kommen. Kurz bevor wir die Haltestelle „Museum
Kritik an der Welt
Schon während seiner Schulzeit nimmt Feuerstein an der
aller MAD-Magazine weltweit. Feuerstein gilt als Erfin-
Salzburger Musikhochschule „Mozarteum“ ein Musik-
der der für das MAD-Magazin so typischen Lautmalereien
Drei seiner eigenen Bücher sind im Rahmen der Dreharbei-
nette Anekdote von einer seiner Reisen preiszugeben. Er
studium in den Fächern Klavier, Cembalo und Komposi-
„ächz“, „lechz“, „hechel“ oder „würg“. Wenige Jahre nach
ten für die WDR-Dokumentarreihe „Feuersteins Reisen“
macht eine kurze Pause, überlegt und sagt dann: „Ach
tion auf, das er 1958 wieder hinwirft. „Ich weiß ja nicht,
seinem Weggang 1992 wird das Heft wegen Misserfolgs
entstanden. Die Liste der von Feuerstein besuchten Länder
wissen Sie, eigentlich ist mein ganzes Leben eine einzige,
wo ich hingehöre, ich habe schon relativ bald herausge-
zeitweise eingestellt. „Rückblickend waren meine 20 Jahre
ist lang, beginnt bei A wie Alaska und endet bei V wie Va-
witzige Anekdote.“
funden, dass die Musik nicht meine Profession ist, dass
bei MAD die prägendsten und wichtigsten Jahre“, sagt der
nuatu. Seine Tagebücher sind weniger Reiseführer denn
ich nicht ein weiterer schlechter Musiker werden möchte
Autor. „Wir haben das Magazin gemacht, weil wir sagen
eine Sammlung von Anekdoten und skurrilen Begegnun-
und dass das Schreiben mir sehr viel wichtiger ist.“ So geht
wollten: Die Welt ist blöd, die muss angezweifelt werden –
gen an skurrilen Orten – angereichert mit einer Portion
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BEGEGNUNG 03-10
Koenig“ erreichen, bitte ich den 73-Jährigen, eine letzte
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Länderdossier
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Länderdossier
Deutsch-finnisches Erfolgsmodell:
Schüler an der DS Helsinki
und 20 Prozent einen deutschen Elternteil – zwei Drittel der
Schüler sind Finnen. Das deutsche Bildungssystem gilt trotz
der heimischen PISA-Erfolge als kompetent und die Bundesrepublik ist Finnlands größter Handelspartner. „Die Finnen sehen unsere Schule als deutsch-finnische Schule, die
eben die Vorteile beider Systeme vereint“, meint Schulleiter
Finnland
Wolfgang Weber.
Ganztagsschule als Norm
und eine enge Zusammenarbeit mit den deutschen Insti-
In Finnland sind 47 Prozent der Arbeitskräfte Frauen, die in
tutionen vor Ort. Lehrkräfte können mit Schülergruppen
der Regel in Vollzeit arbeiten. Wichtige Voraussetzungen
hierherkommen, um die umfangreiche Sammlung für den
dafür sind die seit 1973 gesetzlich garantierte Kindertages-
Unterricht Deutsch als Fremdsprache zu nutzen oder Mate-
Eine Schule für alle
betreuung für Kinder im Vorschulalter und der Ganztags-
rial vom Lehrbuch bis zur DVD auszuleihen.
Finnland, eines der nördlichsten Länder der Erde, ist die Heimat der tausend Seen, der Polarlichter –
Länderdossier
betrieb der finnischen Schulen. Auch die DSH bietet in der
Sekundarstufe I und II Unterricht von 8.00 bis 15.30 Uhr, in-
Deutsches Sprachdiplom in Finnland
klusive Mittagessen. In der Grundschule existiert ebenfalls
Die zentrale finnische Schulbehörde unterstützt auch an
seit mehreren Jahren Nachmittagsbetreuung, die sowohl
finnischen Schulen aktiv die Förderung des Deutschunter-
Hausaufgabenbetreuung als auch Freizeitangebote be-
richts. Im Rahmen der aufeinander folgenden EU-Ratsprä-
inhaltet und laut Weber gerade in der 1. und 2. Klasse von
sidentschaften Finnlands und Deutschlands ist 2006 das
Pädagogen, Politiker und Professoren hierherzupilgern. Auf der Suche nach Antworten klopfen
mehr als 95 Prozent der Eltern genutzt wird. „Die Schüler
Deutsche Sprachdiplom (DSD) in Finnland eingeführt wor-
Bildungsinteressierte regelmäßig an eine schmiedeeiserne Tür am Malminkatu 14. Hier sitzt die
verbringen an der DSH viel Zeit, das fördert das Zusammen-
den. Heinrich Heinrichsen, Mitarbeiter der Zentralstelle für
Deutsche Schule Helsinki, die als einzige Schule der Welt das deutsche und finnische Bildungs-
gehörigkeitsgefühl und macht die Schule zu einem zweiten
das Auslandsschulwesen (ZfA), hat damals als Fachberater
Zuhause“, erzählt er. Auch dass finnische Schulen durch-
die Einführung der Sprachprüfung betreut. Gründlicher
schnittlich kleiner sind als deutsche, trägt nach Webers
Vorbereitung bedurfte es vor allem bei der mündlichen Prü-
Meinung zur Bildung eines Wir-Gefühls bei. „Die Schule hat
fung, denn in Finnland wird Leistung überwiegend schrift-
eine ganz tolle Atmosphäre. Durch zahlreiche Aktivitäten
lich abgefragt. „Finnische Lehrer und Schüler warnten mich,
und, laut PISA-Studie, Heimat eines extrem erfolgreichen Bildungssystems. Grund genug für
system miteinander vereint.
von Anna Petersen
Mit einem Blick auf das Bild der Videokamera öffnet der
schuleigenen Lehrpläne führen deutsche und finnische Vor-
sind die Schüler über Jahrgänge hinweg befreundet“, be-
die mündliche Prüfung würde eine Katastrophe werden,
Pförtner Besuchern der Deutschen Schule Helsinki (DSH)
gaben zusammen. Im nächsten Jahr feiert die Begegnungs-
stätigt auch Anja Devantié, seit 2003 Geschichtslehrerin an
die Finnen hätten nicht ohne Grund den Ruf, schweigsam
die Tür. Um die Frage nach dem Erfolgsgeheimnis des finni-
schule ihr 130-jähriges Bestehen, als älteste Privatschule
der DSH.
zu sein“, berichtet Heinrichsen. „Aber das Klischee hat sich
schen Bildungssystems zu erforschen, lohnt sich ein genau-
Finnlands. Der Ruf der Schule ist ausgezeichnet, und das In-
eres Hinschauen: Die DSH gehört zu den renommiertesten
teresse wächst weiter: Gerade entwickelt sich die DSH von
Die DSH fungiert zudem als Ressourcenzentrum für die
wie Prüflinge in Rumänien, Deutschland oder den USA.“
Schulen in der Hauptstadtregion. Sie ist gleichzeitig eine
der Zwei- in die Dreizügigkeit. Von den rund 550 Schülern
Deutsche Sprache in Finnland und fördert die deutsche Spra-
Auch seine Nachfolgerin Helga Fiechtner verweist auf die
Deutsche Auslandsschule und eine finnische Schule – die
haben nur etwa 10 Prozent die deutsche Staatsbürgerschaft
che und Kultur durch Deutschlehrertage, Methodentage
guten DSD-Ergebnisse, die sie auch auf das hohe Niveau
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BEGEGNUNG 03-10
nicht bestätigt. Die Schüler waren so nervös oder entspannt
BEGEGNUNG 03-10
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Länderdossier
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der finnischen Lehrer zurückführt. „Da ich die einzige
Jahrelang war jedoch die deutsche Sprache die Wissen-
Fachberaterin in Finnland bin und hier keine deutschen
schaftssprache der Republik. Noch 1919 wurde sie im Schul-
Programmlehrkräfte im Einsatz sind, kann ich die Sprach-
gesetz der Oberstufe als wichtigste Fremdsprache veran-
diplomschüler nicht oft selbst unterrichten“, meint die
kert, bis sie in den 60er Jahren ihre führende Stellung an das
Fachberaterin. „Die finnischen Kollegen kennen sich je-
Englische verlor. Die Deutsche Bibliothek in Helsinki mit
doch gut mit den Erfordernissen des DSD aus und setzen die
einem Bestand an 35. 000 deutschen Büchern feierte jüngst
Vorgaben sehr souverän im Unterricht um.“ Bereits 2009
ihr 125-jähriges Jubiläum. Im 19. Jahrhundert war sie durch
gab es sieben Sprachdiplomschulen in Finnland, heute sind
eine Privatinitiative von 12 deutschsprachigen Familien
es acht und weitere könnten hinzukommen. Helga Fiecht-
entstanden, die einen Lesering gründeten und mit ihrer Li-
ner spricht von viel versprechenden Kontakten etwa in der
teratur den Grundstock für die Bibliothek anlegten. Auch
alten Hauptstadt Turku oder der nördlichen Universitäts-
die Deutsche Evangelisch-Lutherische Gemeinde blickt auf
stadt Oulu. Sie möchte das Netz ausbauen und auch Hein-
über 150 Jahre Bestehen zurück. „Deren Reisepfarrer halten
richsen sieht die Möglichkeit, bis auf 15 oder 20 Schulen zu
im ganzen Land noch regelmäßig deutsche Gottesdienste“,
kommen, die Prüfung sei jetzt bekannt und das Interesse
weiß Heinrichsen. Bis heute ist Deutschland zudem wich-
vorhanden. „Man knüpft an Traditionen an, Finnland ist ja
tigster Handelspartner Finnlands.
phasenweise ein Einwanderungsland für Deutsche gewesen“, summiert er.
Deutsche in Finnland
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Länderdossier
Stichwort: Chancengleichheit
Die finnische Schule scheint das Gegenteil der disziplinierten deutschen „Paukerschule“ zu sein: Kinder bekommen
Die Einflüsse der jahrhundertealten finnisch-deutschen Be-
erst ab dem 6. Schuljahr Noten, duzen ihre Lehrer, Sitzen-
ziehungen sind in Finnland auch heute noch vor allem in
bleiben ist an der DSH wie auch an den anderen finnischen
Wissenschaft, Kultur und im Rechtswesen spürbar. Über
Schulen eine seltene Ausnahme. Lern- und Lehrmittel sind
die Jahrhunderte wanderten aus den unterschiedlichsten
zudem kostenlos: vom Radiergummi bis zum Heftum-
deutschsprachigen Regionen Handwerker und Geschäfts-
schlag. Das wirklich Besondere jedoch ist die „Peruskoulu“,
leute ein. Ab 1804 entstanden in Südostfinnland mehrere
die finnische Einheitsschule: Alle Schüler besuchen von der
deutsche Elementar- und Töchterschulen, die gegen Ende
1. bis zur 9. Klasse gemeinsam eine Schule. Damit macht
des Jahrhunderts größtenteils schließen mussten, nach-
es sich das finnische Bildungssystem seit den 70er Jahren
dem der finnische Staat seine Unterstützung einstellte. 1881
zur anspruchsvollen Aufgabe, allen Schülern ein gewisses
wurde jedoch in Helsinki ein Deutscher Schulverein ge-
Maß an Bildung zu vermitteln. „Kein Kind gibt es, das hier
gründet – ein Vorläufer des heutigen Pestalozzi Schulver-
nicht hingehört“, sagt Schulleiter Weber schlicht. „Es gibt
eins der DSH.
hier nicht wie in Deutschland eine Art Mehrklassengesellschaft.“ Hinter der Einheitsschule steht vor allem ein Ge-
Heimat der tausend Seen, der Polarlichter und eines
erfolgreichen Bildungssystems
Die zweite Landessprache Finnlands ist Schwedisch, da
danke: Eine moderne Informationsgesellschaft kann es
Kein Kind darf zurückbleiben
wird zunächst im Unterricht die Möglichkeit gesucht, den
in dem Land eine schwedischsprachige Minderheit lebt.
sich nicht leisten, einen Teil seines Nachwuchses in der Aus-
Da es keine Verweisung auf weniger anspruchsvolle Schu-
Rückstand aufzuholen, indem zum Beispiel eine weitere
bildung zu benachteiligen. Denn die finnische Republik
len gibt, müssen Wissenslücken oder Leistungsunter-
Fachkraft mit in den Unterricht kommt. Zusätzlich kann je-
hat schon in ihrer sich spät entwickelnden Industrie- und
schiede der Schüler schnell erkannt und behoben werden
derzeit Stützunterricht gegeben werden: mit Sonderpäda-
Dienstleistungsbranche auf den Arbeitseinsatz von Mann
– durch ein umfangreiches Schülerbetreuungsteam, dem
gogen oder Schulassistenten, in gruppenbezogenem oder
und Frau gleichermaßen gesetzt und kaum Gastarbeiter
an der DSH unter anderem eine Gesundheitsfürsorgerin,
individuellem Unterricht – organisiert und finanziert von
aufgenommen. Werden jedoch alle Menschen bei der wirt-
eine Sozialarbeiterin, zwei Sonderpädagoginnen und eine
der DSH. Diese erhält vom finnischen Staat einen Pro-Kopf-
schaftlichen Entwicklung des Landes benötigt, sind gleiche
Schulpsychologin angehören. „Der Unterricht ist fokussiert
Betrag pro Schüler, mit dem sie eigenständig wirtschaften
Bildungschancen eine notwendige Voraussetzung. Auch
auf das individuelle Fordern und Fördern der Schüler. Je-
kann. „Leistungsprobleme von Kindern sind oft auf äußere
Heinrichsen bestätigt: „Es wird kein Aufwand gescheut, da-
des Kind wird so angenommen, wie es ist, mit seinen Stär-
Einflussfaktoren wie Streit mit Mitschülern oder Krisen im
mit am Ende alle ein bestimmtes Grundwissen haben.“ Ein-
ken und Schwächen. Gleiche Wertschätzung und gleiche
häuslichen Umfeld zurückzuführen. Wie aber kann ich dem
drucksvolles Ergebnis sind sowohl die niedrige Analphabe-
Chancen für alle“, sagt Weber. „Der Gedanke, dass kein
Schüler bei diesen Einflussfaktoren und dem Leistungsab-
tenrate des Landes, die zu Beginn des 20. Jahrhundert mit
Kind zurückbleiben darf, wird in vielen skandinavischen
fall helfen?“, fragt Weber und gibt selbst die Antwort: „Auf
3,8 Prozent die niedrigste weltweit war, als auch die Tat-
Ländern vertreten.“ Eine solche Leitidee erfordert jedoch
gar keinen Fall durch Abwendung, sondern mit erhöhter
sache, dass weniger als 1 Prozent der finnischen Jugendli-
auch bestimmte Rahmenbedingungen. Weber spricht
Aufmerksamkeit durch entsprechendes Personal.“ Auch
chen, die Schule ohne Abschluss verlässt. Heinrichsen sieht
dabei vor allem von Binnendifferenzierung, einer hohen
für die Lehrkräfte seien die Optionen Förderunterricht
jedoch auch eine Schattenseite des Systems: „Alle Schüler
diagnostischen Kompetenz der Lehrkräfte, Hausaufgaben-
oder Unterstützung durch eine zweite Fachkraft hilfreich
erhalten bis zur 9. Klasse die gleiche schulische Grundaus-
hilfe und individuellem Stützunterricht. „Das heißt auch,
und entlastend, betont Ortslehrkraft Devantié. Zu dem zu-
bildung. Wer anschließend Abitur machen möchte, muss
beim einzelnen Kind zu schauen, was es leisten kann, und
sätzlichen Fachpersonal gehört auch eine Gesundheitsfür-
sich innerhalb von drei Jahren unglaublich viel Wissen in
im Bedarfsfall und in der Regel vorübergehend den Lehr-
sorgerin. An der DSH ist das die Krankenschwester Hanna
den Kopf stopfen.“ Dagegen seien Schüler des zwölfjähri-
plan an diese Leistungskompetenz anzupassen“, erklärt
Paasikari, Anlaufstelle der Schüler bei körperlichem ebenso
gen Abiturs in Deutschland „noch gut dran“.
Weber. Kann ein Kind dem Standardlehrplan nicht folgen,
wie seelischem Unbehagen. „Die Schüler haben großes
Ziel vieler Bildungsinteressierter: die DSH am Malminkatu 14
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Rahmenbedingungen geschaffen werden: Eine Ausrichtung auf Prophylaxe setzt eine Menge zusätzliches Personal voraus. „Könnte man beide Systeme vergleichen, wäre
es eine interessante Frage, welches tatsächlich teurer ist“,
meint Weber lächelnd. „Wenn ich alle Folgekosten sehe,
habe ich eine klare Hypothese, dass das finnische System
letztlich nicht nur das bessere, sondern auch nicht teurer
ist. Aber ein exakter Vergleich ist gar nicht möglich.“ Auch
wenn es keine klare Antwort gibt, sind ihm die Bildungsinteressierten auf den Spuren des PISA-Erfolgs immer will-
Steckbrief
kommen, gewährt er gerne Einblick in den Alltag der Deutschen Schule. Aufgrund der großen Nachfrage hat sich die
DSH mit anderen finnischen Schulen zu einem „PISA-Netz-
Alumnus der DS Helsinki: Prof. Hannes Saarinen
werk“ zusammengeschlossen, um Bildungsbesucher zu
Geburtstag, Ort: 18.10.1946, Helsinki
empfangen und zu betreuen – und ihnen komplexe Ant-
Schulbildung an der DSH: eingeschult 1953, Volksschule
worten auf die eine berühmte Frage nach dem Erfolgsge-
und Gymnasium, Finnisches Abitur und deutsche Reifeprü-
heimnis zu liefern.
fung 1965
Wichtigste Karrierestationen: Professor für Allgemeine
Geschichte 1998, Leiter des Finnland-Instituts in Berlin 2000,
Direktor des Historischen Instituts an der Universität Helsinki 2007, Direktor des Instituts für Philosophie, Geschichte,
Kultur- und Kunstwissenschaften an der Universität Helsinki
Feierliche Verleihung des Deutschen Sprachdiploms in der
Deutschen Botschaft 2010
seit 2010
Wie kam es, dass Sie an der DSH eingeschult wurden und nicht an
einer finnischen Schule?
Vertrauen zu Hanna und gehen oftmals mit Problemen zu
Finnland durchaus ähnlich.“ Mögliche Gründe für den PI-
Mein Vater, ein Deutschlehrer finnischer Herkunft, und
ihr, die weit über den schulischen Rahmen hinausgehen“,
SA-Erfolg gibt es viele: Personal- und Finanzausstattung der
meine Mutter, Deutsche und Musiklehrerin an der DSH, hat-
berichtet Weber. Die Gesundheitsfürsorgerin führt zudem
finnischen Schulen sind hervorragend, individuelle Förder-
ten beschlossen, mich zweisprachig aufwachsen zu lassen.
alle Vorsorgeuntersuchungen sowie die Musterungsunter-
maßnahmen werden angeboten, die jährlichen Qualitäts-
Die DSH war dazu eine gute und notwendige Unterstützung.
suchung der Wehrpflicht bei den Jungen durch.
kontrollen gelten als sehr effizient. Eine einfache Antwort
Außerdem hatte ich bereits den deutschen Kindergarten
kann Weber den „PISA-Pilgern“ nicht geben, aber er skiz-
besucht.
ziert die Besonderheiten des finnischen Schulsystems: 1. das
Inwiefern hat Sie Ihre Schulzeit an der DSH geprägt?
In den PISA-Studien der Organisation für wirtschaftliche
tiefe Vertrauen in die Arbeit der Schule, 2. die Bemühungen
Sie unterstützte meine enge Beziehung zur deutschen Spra-
Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) lieferten fin-
um das Wohlbefinden aller Beteiligten und 3. die Ausrich-
che und Kultur.
nische Schüler weit überdurchschnittliche Leistungen
tung auf die Vorsorge. Vor allem müsse schon dort interve-
Inwiefern hat die Schulbildung an der DSH Ihre Karriere
und lagen in allen Testgebieten auf einem der vier ersten
niert werden, wo Probleme entstehen könnten, bevor diese
beeinflusst?
Rangplätze. Kritiker weisen darauf hin, dass der Erfolg sich
zu groß und nicht mehr beherrschbar wären. „Das Kind
Sie bildete die Grundlage für mein Studium in Deutschland
auch dadurch erklärt, dass es in Finnland im Vergleich zu
sollte gar nicht erst aus dem Brunnen wieder herausgeholt
bis zur Promotion sowie spätere Tätigkeiten im Rahmen der
vielen anderen europäischen Ländern nur wenig Einwan-
werden müssen“, sagt Weber nachdrücklich. „Wir dürfen
deutsch-finnischen Beziehungen. Auch meine Forschun-
derung gibt. Die OECD jedenfalls zog ein eindrucksvolles
keine Beschädigungen in Kauf nehmen, die nur schwer
gen in Geschichte haben deutsch-finnische Beziehungen
Fazit: Das finnische Schulsystem schafft es, sozialen Aus-
wieder auszumerzen sind.“ Doch die finnischen Besonder-
behandelt. Durch die DSH wurde der Blick nicht nur auf
gleich durch Bildung in der Schule zu erreichen, ohne da-
heiten nahtlos auf Deutschland zu übertragen findet er
Deutschland gelenkt, sondern die Schule trug insgesamt zu
bei die gezielte Unterstützung der besonders Begabten
schwierig. Um Vertrauen zu schaffen, muss ein Bildungs-
einer europäischen Bildung bei, öffnete den Blick für inter-
zu vernachlässigen.
system erst einmal akzeptiert werden, „doch mit verschie-
nationale Zusammenhänge und förderte das Interesse an
Das Geheimnis um PISA
denen Ansätzen in 16 Bundesländern ist das nicht so ein-
vielen anderen Kulturen, natürlich einschließlich der zwei-
Schulleiter Weber wird oft nach den Gründen für das gute
fach“. Heinrichsen von der ZfA verweist zudem auf das
sprachigen Kultur in Finnland. Hierbei sowie für die spätere
Abschneiden der finnischen Schulen gefragt. „Viele kom-
hohe gesellschaftliche Ansehen, das Bildungsvermittlern
Laufbahn spielten nicht zuletzt die an der DSH erworbenen
men mit der Hoffnung zu uns, diese Frage kurz und bündig
in Finnland entgegengebracht wird, und spricht von einem
vielseitigen Sprachkenntnisse in Deutsch und Finnisch,
beantwortet zu bekommen. Sie fragen nach Schaltern, die
generellen „Vertrauensvorschuss und Respekt für Lehrer“.
aber auch Schwedisch, Englisch und Französisch eine
man zügig sowie preiswert umlegen kann und die schnell
wichtige Rolle.
Wirkung zeigen“, berichtet der Pädagoge. „Sie denken,
Bildungsbesuch willkommen
der Unterschied liegt einfach in der Unterrichtsmetho-
Für die zwei anderen Komponenten Wohlbefinden
dik, doch tatsächlich ist Unterricht in Deutschland und
und Vorsorge müssten vor allem die entsprechenden
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BEGEGNUNG 03-10
BEGEGNUNG 03-10
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AUSLAND
VALDIVIA 39° 49‘ S
73° 13‘ W
VALDIVIA 39° 49‘ S
73° 13‘ W
AUSLAND
Erdbebenhilfe an der DS Valdivia
tragen sollten. Am Vortag hatten die
künftigen Hüttenbesitzer die Trüm-
Gemeinsam anpacken
merreste von den kleinen Baustellen
entfernt. „Das Wetter meinte es gut
mit unseren vier Bautrupps“, erinnert sich die Schulleiterin. „Bei Ein-
27. Februar 2010, 3.34 Uhr Ortszeit. Ein schweres Erdbeben er-
schwer betroffener Menschen vor
bruch der Dunkelheit hatten alle vier
schüttert Chile. Mit einer Stärke von 8,8 auf der Richter-Skala.
Augen stellen und die Übernahme
Hütten ihr fertiges Dach. Alle wa-
Eine Naturkatastrophe, die das Leben vieler Menschen verändert
eigener sozialer Verantwortung
ren müde, aber sehr zufrieden. Beim
nahebringen.“
Abendessen herrschte eine richtig
– nicht zuletzt auch das Leben einer Gruppe von Schülern, Eltern
und Lehrern der Deutschen Schule Valdivia (DSV).
ausgelassene Atmosphäre.“
Die Lage in Rere war auch drei Mo-
von STEFANY KRATH
nate nach dem Beben katastrophal.
Bewegender Moment
Die traditionell aus Lehmziegeln er-
Tags darauf wurden die Türen, Luft-
Rahmen ihrer Spendenaktion
aus der Schulgemeinde als auch aus
richteten Häuser hatten dem Erd-
klappen und Lichtleisten eingebaut,
„Ein Werkzeug für den Wiederauf-
Deutschland, wo deutsche Lehrer der
beben nicht standgehalten. Viele
Imprägnierungsanstrich aufgetra-
bau“ übergab die Deutsche Schule
DSV Freunde und Bekannte um Hilfe
Familien lebten noch inmitten der
gen, Eingangsüberdachungen befes-
Valdivia (DSV) unmittelbar nach der
gebeten hatten. Die Spendenbereit-
Trümmer ihrer eingestürzten Häuser
tigt, Lichtleitungen verlegt und be-
Katastrophe Werkzeuge im Wert
schaft übertraf alle Erwartungen:
in Zeltkonstruktionen aus Plastikpla-
reits in Valdivia gezimmerte Betten
von rund 1.500 Euro an freiwillige
Insgesamt kamen rund 18.000 Euro
nen und Brettern oder bei Bekannten
und Regale aufgebaut. Um 15 Uhr war
Helfer, die im Katastrophengebiet
zusammen. „Für die Deutsche Schule
und Verwandten in beengtesten Ver-
es so weit: Ein Elternvertreter über-
im Rahmen eines staatlichen Sofort-
Valdivia war es wichtig, in einer So-
hältnissen. Ein erster Erkundungsbe-
reichte den stolzen Besitzern die vom
programms einfachste Nothütten
lidaritätskampagne den Opfern des
such vor Ort desillusionierte alle Be-
errichteten. Die Spenden zum Kauf
Erdbebens nach Kräften zu helfen“,
teiligten: Bei den Nothütten passten
der Werkzeuge stammten sowohl
erläutert Schulleiterin Irene Eisele.
die grob zusammengenagelten, nicht
„Schließlich hatte Valdivia schon 1960
imprägnierten Bretterwände nicht
das weltweit schwerste je gemessene
Im
kungsurkunden, die Schüler der
zueinander, durch zahlreiche Ritzen
sich nach und nach hinzufügen las-
Plan war, dass Schulangehörige ge-
Schulgemeinde gespendeten Decken,
Erdbeben mit einer Stärke von 9,5 auf
pfiff der Wind, im Fußboden klafften
sen, kann so außerdem eine langfris-
meinsam mit den obdachlosen Ein-
Bettwäsche, Handtücher und Lebens-
der Richter-Skala überstehen müssen
zentimeterbreite Spalten, die Fenster
tige Wohnlösung entstehen.
wohnern von Rere diese Module
mittel. „Es war ein unbeschreiblicher
und selbst viel Hilfe erfahren.“
bestanden aus quadratisch herausge-
aufstellen sollten“, so die
Moment, es wurde geweint und ge-
sägten Löchern, das ausgesägte Stück
Schulleiterin.
lacht, eine alte Frau hat uns ununter-
Soziale Verantwortung lernen
diente als Fensterladen. „Aus solchen
Angesichts dieser überwältigenden
Holzschuppen kann man einfach
Solidarität vieler Menschen beschloss
keine menschenwürdigen Behausun-
die Schulgemeinde eine zweite Kam-
gen machen, die hätten nicht mal ein
pagnenphase „Eine Hand für den
Jahr gehalten“, bringt Eisele die da-
Wiederaufbau“ zu starten. In Rere,
malige Situation auf den Punkt.
einem kleinen Dorf rund 400 Kilome-
brochen gesegnet“, resümiert Schulreichte das Aufbauteam
davon überzeugt, dass dieses Projekt
aus 16 Schülern, 6 Lehrern
Schule machen wird. „Nicht die Grin-
und 17 Eltern nach sieben-
gos sind gekommen und haben etwas
stündiger Busfahrt Rere,
abgeliefert, sondern wir haben alle
Nun ging alles Schlag auf Schlag: RMS
richtete sich in der Dorfschule ein und
gemeinsam angepackt. Da sind nicht
und Winterpanel, zwei in der Fer-
begann kurz nach 8 Uhr mit dem Set-
nur Mauern aus Stein gefallen.“
zen der Pfosten, die den Hüttenboden
Jan Baader, 16 Jahre, 10. Klasse
Doch auch hier kam Abhilfe aus
tigung von Holzhäusern erfahrene
die einfachen Nothütten gegen Wind
den eigenen Reihen: Ein Architekt
Baufirmen, stellten ihr Personal und
und Regen abgedichtet und durch
und ehemaliger Schüler der DSV
ihre Produktionsstätten kostenlos zur
eine Ausstattung mit Licht und Was-
entwickelte in kürzester Zeit ein
Verfügung und sagten zu, die Bau-
seranschluss in menschenwürdige
Wohnmodul aus deutlich besseren,
elemente mit Isolation zum Selbst-
um Hilfe für die Betrof-
tenbesitzern die in Valdivia von der
leiterin Eisele. Die Schulleiterin ist
eine begrenzte Anzahl von Familien
ging es dabei nicht nur
Bautrupps übergaben „ihren“ Hüt-
Am Pfingstsamstag er-
Engagement von allen Seiten
wandelt werden. „Uns
kostenpreis von rund 1.500 Euro pro
„Mit zwei Tagen Arbeit kann man einer
Familie mehrere Jahre Lebensfreude schenken.“
fenen“, so Eisele. „Zu-
Cristóbal Gutiérrez, 16 Jahre, 10. Klasse
Wohnmodul herzustellen. Die DSV ermittelte mit der lokalen Dorfverwaltung die vier bedürftigsten obdachlosen Familien. Schüler der DSV lernten
unter Anleitung eines Technologie-
gleich wollten wir den
50
„Mich hat vor allem die Erfahrung beeindruckt,
was es heißt, eine andere Wirklichkeit zu sehen.
Man ist das nicht gewöhnt. Es ist die Erfahrung,
dass meine Wirklichkeit nicht die einzige ist.“
ter nördlich von Valdivia, sollten für
Unterkünfte umge-
Alle packten mit an: Nachdem die
Trümmer beiseite geschafft worden
waren, konnte der Aufbau beginnen.
Notar in Valdivia ausgestellten SchenOben: Mit einem trockenen Dach über dem Kopf kann auch diese Einwohnerin von Rere
der Regenzeit getrost entgegensehen. Unten: Mit Feuereifer bei der Sache: das Helferteam
der DS Valdivia
Schülern der DSV, die sehr behütet in
dauerhaften Materialien, das in der
lehrers und des technischen Hilfsper-
Familien der Mittel- und Oberschicht
Herstellung nicht wesentlich teurer
sonals, Pfosten für die Fundamente zu
aufwachsen, die Lebenswirklichkeit
war als die Nothütten. Durch eine Er-
setzen und mit Wasserwaage, Ham-
einfacher und von der Katastrophe
weiterung mit Zusatzmodulen, die
mer und Säge umzugehen. „Unser
BEGEGNUNG 03-10
BEGEGNUNG 03-10
51
Inland
InlanD
Länger gemeinsam lernen:
Zwischen Hoffnung und Befürchtung
Bürger, die entscheiden, wie ihre Kinder lernen sollen? Das gab
es in Deutschland noch nie. Der Hamburger Senat hatte sich von
der Schulreform ein gerechteres Bildungssystem erhofft. Das
einheitlichen Bildungskonzept über-
verbunden, effektives Lernen sei nur
frühe Sortieren der Kinder auf weiterführende Schulen manifes-
haupt keine Trennung zwischen Pri-
in homogenen Gruppen zu erreichen.
mar- und Sekundarstufe statt. Seit
„Das ist eine lange Tradition, fest ver-
den PISA-Studien ist die deutsche
ankert in den Köpfen. Die Leistungs-
Schulstruktur verschärft ins Faden-
schwächeren werden als Bremsklotz
kreuz der Diskussion geraten, denn:
betrachtet“, meint Tillmann. „Ge-
In Deutschland hat der soziale Hin-
sellschaftlich feine Unterschiede ver-
tergrund so großen Einfluss auf den
deutlichen sich eben in der Frage, auf
Bildungserfolg wie in kaum einem
welche Schule die eigenen Kinder ge-
tiere Bildungsverläufe, hieß es. Doch die Hamburger entschieden sich im Juli per Volksentscheid gegen die sechsjährige
Primarschule. Ein Land diskutiert über das richtige Schulsystem.
von ANNA PEtErsEN
Chancengleichheit heißt das Zau-
Leistungsstärkeren einhergeht, de-
Reichsschulkonferenz am 20. Juni
anderen untersuchten Land. Das
hen.“ Auch die vermehrte Gründung
berwort. Um das deutsche Schul-
ren Potenzial nicht genügend geför-
1920 in Berlin plädierten die Sozialde-
Bildungssystem ist für Kinder aus
von Privatschulen im Grundschulbe-
system gerechter zu machen, wird
dert wird.
mokraten für eine achtjährige Grund-
unteren sozialen Schichten relativ
reich ist für Tillmann Ausdruck des
schule, während die Konservativen
undurchlässig, Arbeiterkinder besu-
Bedürfnisses vieler bildungsnaher El-
nicht über drei Jahre hinausgehen
chen auffällig oft die Hauptschule.
ternhäuser, Differenzen zu betonen.
aktuell vielerorts über eine Verlängerung der Primarschulzeit diskutiert:
Eine Schule für alle
Nordrhein-Westfalens rot-grüne Re-
Über den idealen Zeitpunkt, um
wollten, um das Gymnasium nicht
gierung liebäugelt mit dem länge-
Schüler nach Leistung und Begabung
zu beschneiden, das damals in der
Massive soziale Ungleichheit
Berlin: Bildung ist ein Tanker
ren gemeinsamen Lernen, im Saar-
zu trennen, wurde in Deutschland
4. Klasse begann. Im sogenannten
Auch Tillmann weiß, dass die Über-
In Berlin ist die sechsjährige Grund-
land debattierte die Ampelkoalition
bereits Anfang des 20. Jahrhunderts
Weimarer Schulkompromiss einigte
gangsentscheidung des deutschen
schule seit den 1950er Jahren Alltag.
jüngst über die einjährige Verlän-
gestritten. Mit dem Zusammenbruch
man sich auf eine vierjährige Grund-
Schulsystems massiv von sozialer Un-
Allerdings können Kinder mit beson-
gerung der Grundschule. Die Unter-
des Kaiserreichs begann eine große
schulzeit, ein Konzept, das bis heute
gleichheit behaftet ist. „Wir leisten
ders guter Leistung bereits nach der
stützer der sechsjährigen Primar-
Debatte über Schulstrukturen – mit
in den meisten Bundesländern be-
uns am Ende der 4. Klasse eine Über-
4. Klasse auf eines der wenigen soge-
schule hoffen, dass vor allem Kinder
deutlichen Parallelen zur aktuellen
steht. Der Bielefelder Bildungsfor-
gangsauslese, bei der viele Kinder aus
nannten grundständigen Gymnasien
aus sozial schwachen Familien vom
Diskussion. Bis zu diesem Zeitpunkt
scher Prof. Klaus-Jürgen Tillmann
einfachen sozialen Verhältnissen, die
wechseln, die spezielle Schulprofile
längeren Lernen mit Kindern bil-
waren die Kinder von Adel und Bil-
spricht von einer „altbackenen Struk-
ein Abitur schaffen könnten, durch
anbieten: zum Beispiel eine verstärkte
dungsnaher Schichten profitieren
dungsbürgertum meist auf privaten
tur“ und verweist auf etliche euro-
den Rost fallen“, meint er. Gerade bei
musische Förderung. Eine Möglich-
und bessere Chancen auf einen hö-
Vorschulen direkt auf das Gymna-
päische Regionen, wie Skandinavien,
Kindern mit mittleren Leistungen
keit, die nur etwa sieben Prozent der
heren Abschluss haben. Unterschiede
sium vorbereitet worden, Kinder aus
in denen schon in den 1950/60er Jah-
sei die Laufbahnempfehlung durch
Berliner Schüler wahrnehmen – die
zwischen den Schülern sollen kleiner
sozial schwächeren Familien besuch-
ren eine gemeinsame Schule bis zur
die Lehrer sehr schichtenspezifisch.
Realität an den Schulen sieht jedoch
werden. Doch genau hier beginnt
ten die Volksschule. Erst die gemein-
8. oder 9. Klasse eingeführt wurde.
Hinzu käme die Elternentscheidung
oft anders aus. Die Carl-Humann-
die Argumentation der Reformgeg-
same Grundschule sollte als Schule
in vielen Bundesländern. „Bildungs-
Schule liegt am Prenzlauer Berg: Die
ner. Sie befürchten, dass dieser Pro-
für alle Kinder die schichtenspezifi-
In vielen europäischen Ländern
nahe Eltern schicken ihre Kinder
Fluktuation ist hoch, die Elternschaft
zess mit einer Vernachlässigung der
sche Separierung aufheben. Bei der
findet mit einem durchgehenden,
ohne Empfehlung oft aufs Gymna-
kommt teilweise aus Berlin, oft ist sie
sium, sozial schwache Eltern trauen
gerade zugezogen. „In den letzten
sich das im Zweifel meist gar nicht“,
Jahren sind nach Klasse 4 viele Kinder
erläutert der Bielefelder Professor.
bildungsnaher Eltern an Gymnasien
Der Selektionsprozess im Übergang
abgewandert, während ein bildungs-
zur Sekundarstufe ist in Deutsch-
ferneres Klientel verbleibt“, berich-
land zudem stark mit der Vorstellung
tet Schulleiter Frank Neumann.
52
BEGEGNUNG 03-10
BEGEGNUNG 03-10
Für die Kinder der Hamburger Grundschule
Lange Striepen wird mit diesem Schuljahr
das längere gemeinsame Lernen möglich.
53
Inland
InlanD
sind die Entscheidungen der Eltern
nicht fremd. Wolters-Vogeler sieht
längst gefallen.“
vor allem eine Chance für die behin-
Bildungsweg länger offen halten
wollen den Kindern den Bildungsweg
sem Schuljahr 22 Hamburger Grund-
möglichst lange offen halten, da viele
schulen gleichzeitig mit der 4. und
mit starken Nachteilen in die Schul-
der 5. Jahrgangsstufe als Primar-
zeit hineingehen“, erklärt sie. „Die
schule. Das Prinzip der Freiwilligkeit
Primarschule gibt ihnen mehr Zeit,
macht es möglich, hier ist der elter-
um voneinander zu lernen. Anschlie-
liche Konsens groß genug, um min-
ßend gehen sie gestärkter und selbst-
destens zwei 5. Klassen zu bilden.
bewusster an eine weiterführende
Die Starterschulen für ein längeres
Schule.“
PRO
CONTRA
Prof. Dr. Ludger Wößmann ist Professor für
Dr. Bernhard Bueb war von 1974 bis 2005 Schul-
Volks­wirtschaftslehre, insbesondere Bildungs-
leiter des Elite-Internats Schloss Salem. Er ist
ökonomik, an der Ludwig-Maximilians-Univer­
stellvertretender Vorsitzender des Frankfurter
sität München und leitet den Bereich Human-
Zukunftsrats, einem Zusammenschluss aus 30
tenteils besondere Profile auf, bie-
Hoffnung und Befürchtung
ten jahrgangsübergreifendes Lernen
Die Angst der Reformgegner, leis-
oder sind integrative Regelschulen,
tungsstarke Schüler würden auf der
wie die Schule Lange Striepen in der
sechsjährigen Primarschule zu wenig
kapital und Innovation am ifo Institut für
Wissenschaftlern, in dem er den Bereich Erzie-
Region Süderelbe. Unterstützt vom
gefördert, haben Untersuchungen in
Wirt­schaftsforschung.
hung und Bildung leitet.
Elternrat, wurden hier aus vier ehe-
Berlin nicht bestätigt: Die von Prof.
maligen 4. Klassen drei 5. Klassen ge-
Jürgen Baumert 2009 reanalysierte
bildet – über 60 Prozent der Schüler
ELEMENT-Studie über das Lese- und
politischen Debatten so hoch kochen – und Parteipolitiker in ihren
samtschule, wäre die pädagogisch wünschenswerte Schulform.
Mathematikverständnis von Berliner
althergebrachten ideologischen Gräben verschwinden – wie die
Eine Verlängerung des gemeinsamen Lernens bis zur 6. Klasse wäre
Schülern kommt zu dem Ergebnis,
Gliedrigkeit des Schulsystems. Da hilft es, sich einmal die Fakten an-
jedoch meiner Meinung nach kein Schritt in Richtung Gesamt-
ren gemeinsamen Lernen „möglichst
dass leistungsstarke Kinder in der 5.
zuschauen: Länder, die ihre Kinder früher auf verschiedene Schul-
schule, sondern nur eine Verschiebung des „Grundschulabiturs“,
viele Kinder ohne Bildungsbrüche
und 6. Klasse auf der Primarschule
arten aufteilen, haben am Ende der Schulzeit systematisch unglei-
also eine Verlängerung der Leidenszeit der Schüler. Der Selektions-
ebenso gut lernen wie auf dem Gym-
chere Bildungsergebnisse als Länder mit längerem gemeinsamem
druck nähme zu, weil die Anforderungen zunähmen und die De-
nasium. Ob ein längeres gemeinsa-
Lernen. Die Streuung der Leistungen und ihre Abhängigkeit vom
fizite frühkindlicher Bildung sich noch stärker auswirken würden.
Die wohlhabenden Bildungsbürger würden durch noch mehr
sind geblieben. Schulleiterin Gudrun
Wolters-Vogeler hofft mit dem länge-
zum erfolgreichen Schulabschluss zu
„Im vergangenen Schuljahr sind fast
Ist die Einführung einer sechsjährigen Primarstufe sinnvoll?
drohten Kinder an ihrer Schule. „Wir
Trotz Volksentscheids starten in die-
gemeinsames Lernen weisen größ-
Carl-Humann-Schule in Berlin: Die sechsjährige Grundschule gehört zum Alltag.
derten oder von Behinderung be-
bringen.“ Die Grundschule fällt unter
„ In Deutschland lässt kaum ein Thema die Gemüter in bildungs- „ Gemeinsames Lernen bis zur 10. Klasse, also die klassische Ge-
25 Prozent der Viertklässler gegan-
das Schlagwort „soziale Brennpunkt-
mes Lernen den Schulerfolg stärker
familiären Hintergrund sind umso größer, je eher die Aufteilung
gen, das ist natürlich zu viel.“ Neu-
schule“, 70 Prozent der Kinder sind
vom sozialen Hintergrund der Kinder
erfolgt. Gleichzeitig gibt es keinerlei Hinweis darauf, dass die frühe
Nachhilfe die Diskrepanz der ungleichen Ausgangsbedingun-
abkoppelt, ist bisher ebenfalls nicht
Aufteilung mit einem besseren Leistungsniveau einhergehen
gen vermehren. Prof. Jürgen Baumert, Direktor des Max-Planck-
bewiesen, doch bei PISA-Studien wer-
würde. Der gleiche Befund ergibt sich im Vergleich der Bundeslän-
Instituts für Bildungsforschung in Berlin, macht geltend, dass es
keine empirischen Beweise dafür gibt, dass die sechsjährige Primarschule zu mehr sozialer Gerechtigkeit führt. Die existierenden
mann ist überzeugt, dass auch leistungsstarke Schüler von heterogenen
nicht deutsche Muttersprachler, die
Einstufung unter Sozialindex 1 weist
Gruppen profitieren, indem sie an-
darauf hin, dass viele Eltern von So-
den die ersten Plätze stets von Län-
der, bei denen Berlin und Brandenburg eine sechs- statt vierjährige
deren Schülern helfen und dadurch
zialleistungen leben. Laut Schullei-
dern mit integriertem Schulsystem
Grundschule haben.
Inhalte selbst festigen. Doch er weiß
terin ist die Lehranstalt oft die „ein-
belegt: Ländern wie Finnland oder
auch, dass das Konzept nur funktio-
zige Konstante“ im Leben der Kinder.
Beispiele sechsjähriger Grundschulen, wie zum Beispiel in Berlin,
Kanada, die ihre Schüler erst nach der
Nun ist die Frage der Chancengleichheit gerade in Deutschland sehr
bestätigen das.
niert, wenn nach der 4. Klasse keine
„Im Kollegium gab es Bedenken, dass
9. Klasse auf weiterführende Schulen
wichtig. Hierzulande hängen etwa die PISA-Leistungen weit stärker
zu starke Auslese stattfindet. Der
alle guten Schüler nach der 4. Klasse
aufteilen. Andererseits verfügen die
von der sozioökonomischen Herkunft ab als in den meisten ande-
Gemeinsames Lernen bis zur 6. Klasse findet in Deutschland au-
Niederlande und Belgien über eine
ren Ländern. Nirgendwo steigt die Ungleichheit der Schülerleistun-
ßerdem keine Akzeptanz bei der Mehrzahl der Eltern, Lehrer und
sechsjährige Grundschule – und sind
gen von der Grundschulstudie IGLU zur Mittelstufenstudie PISA so
Schulverwaltungen. Wer sie trotzdem durchsetzen will, löst Religionskriege aus. Es hat wenig Sinn, gegen den Willen der Betrof-
Tendenz zur Abwanderung versucht
Neumann aktiv gegenzusteuern.
abgehen würden, denn nur von der
Heterogenität lebt das Konzept vom
Seine Schule bietet seit Neuestem
längeren gemeinsamen Lernen“, be-
laut PISA sozial noch ungerechter als
stark an wie in Deutschland. Bei zwei Kindern mit exakt demselben
eine Begabtenförderung, oft lädt er
richtet Wolters-Vogeler. Doch die
Deutschland. Es bleibt also weiterhin
gemessenen Kompetenzniveau ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein
fenen und gegen ideologische Vorbehalte längeres, gemeinsames
viel Raum für Diskussionen über das
Akademikerkind ein Gymnasium besucht, viermal so hoch wie bei
Lernen durchsetzen zu wollen. Politik ist die Kunst des Möglichen.
richtige Schulsystem.
einem Arbeiterkind. Eine Verlängerung des gemeinsamen Lernens
Wir sollten der Gerechtigkeit auf andere Weise zum Erfolg verhelfen, indem wir die frühkindliche Bildung durch ein flächendeckendes, kostenloses Angebot an Kitas, an ganztägigen Kindergärten
Eltern zu Gesprächsrunden ein. „Bildung ist wie ein Tanker, dreht man am
Befürchtungen traten nicht ein, ein
Großteil der Eltern entschied sich,
Steuerrad, dauert es, bis da ein Aus-
ihre Kinder im bekannten Rahmen zu
wie bei der sechsjährigen Primarstufe könnte hieran etwas ändern,
schlag ist“, meint er schmunzelnd.
belassen. Da viele einen Migranten-
ohne dass das Leistungsniveau darunter leiden müsste.
„Wenn Sie im Winter anfangen, über
hintergrund haben, ist ihnen ein län-
das nächste Schuljahr zu diskutieren,
und individuellen Sprachprogrammen fördern. Außerdem sollten
geres gemeinsames Lernen ohnehin
Für viele scheint ein Rütteln an der frühen Aufteilung dem Unter-
alle Schulen zu verpflichtenden Ganztagsschulen ausgebaut wer-
gang des Abendlandes gleichzukommen. Aber das Abendland
den. Akzeptiert wird inzwischen längeres gemeinsames Lernen der
macht das schon lange nicht mehr: In zwei Dritteln der entwickel-
Haupt- und Realschüler durch Zusammenlegung dieser Schularten
ten Länder werden die Kinder frühestens mit 15 Jahren auf verschie-
mit eigener gymnasialer Oberstufe und eigenem Abitur, daneben
dene Schularten aufgeteilt. Die Aufteilung mit zehn Jahren gibt es
das achtjährige Gymnasium. Das Gymnasium, die erfolgreichste
außer in Deutschland und in Österreich nirgendwo mehr. Es wird
deutsche Schulart, könnte auf diese Weise erhalten werden.
Zeit, dass wir uns von diesem Auslaufmodell verabschieden.
10
BEGEGNUNG 03-10
BEGEGNUNG 03-10
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Meldungen
Meldungen
Meldungen
Schüler entwerfen Design für ARD-Bus
ZfA zu Gast bei Botschafterkonferenz
Zuschauern der Sendung präsentiert,
Das Interesse für Fußball hat an der
Eröffnungsrede würdigte Bundesau-
nur die Gelegenheit geboten, die
ein Siegerprojekt ausgewählt und an-
DSJ Tradition: Bereits 2007 waren
ßenminister Dr. Guido Westerwelle
deutsche Sprache zu erlernen, son-
schließend umgesetzt worden. Für die
die Nationalspieler Philip Lahm und
die Auswärtige Kultur- und Bildungs-
dern auch, einen anderen Blick auf
Live-Übertragung aus Südafrika fuhr
Piotr Trochowski eingeladen worden,
politik als „kluge, weitsichtige Poli-
die Dinge der Welt zu werfen. „Von
der fröhlich gestaltete Bus dann quer
um gemeinsam mit Schülern Fußball
tik“. Die von der Zentralstelle für das
klein auf habe ich Deutschland schät-
durchs Land von Pretoria nach Kap-
zu spielen. Für Public-Viewing-Veran-
Auslandsschulwesen (ZfA) und dem
zen gelernt“, sagte sie in ihrer Gast-
stadt. Als Belohung für ihre künstle-
staltungen während der Fußball-WM
Goethe-Institut betreuten Partner-
rede in hervorragendem Deutsch. An
rische Arbeit wurden die Schüler am
wurde die Aula renoviert und die
schulen seien „Elemente einer Au-
einem Stand der ZfA konnten sich die
Johannesburg. Anlässlich der
23. Juni zur Direktübertragung des
Werbetrommel gerührt: Rund 5.500
ßen- und Globalisierungspolitik im
Botschafter zudem über die neuesten
Fußballweltmeisterschaft entwarf
ARD Morgenmagazins eingeladen,
Besucher konnten bei den 17 übertra-
besten deutschen Interesse“.
Entwicklungen im Bereich der deut-
das Arts Department der Deutschen
bei der auch der ehemalige National-
genen Spielen willkommen geheißen
Als „lebendiges Beispiel“ einer erfolg-
schen Auslandsschularbeit informie-
Internationalen Schule Johannesburg
spieler Gerald Asamoah anwesend
und die Zusammenarbeit mit Sponso-
Berlin. Die diesjährige Jahreskon-
reichen Auslandsschularbeit war die
ren. Dazu zählen die erfolgreiche Ein-
(DSJ) die Außendekoration für einen
war. Nach einem gemeinsamen Früh-
ren und Vertretern der Wirtschaft ge-
ferenz der Leiter der Deutschen
mexikanische Außenministerin Patri-
führung der Bund-Länder-Inspektion
Bus des ARD Morgenmagazins. Ver-
stück mit allen Beteiligten wurde den
festigt werden.
Auslandsvertretungen Anfang Sep-
cia Espinosa Cantellano zu Gast. Sie ist
sowie zahlreiche Vernetzungspro-
schiedene Entwürfe von Schülern der
jungen Künstlern auch die technische
tember im Auswärtigen Amt, Ber-
Absolventin der von der ZfA geförder-
jekte im Bereich der Partnerschulini-
9. und 10. Klassen waren im März den
Ausstattung des Busses erklärt.
lin, stand auch im Zeichen der deut-
ten Deutschen Schule Mexiko-Stadt.
tiative.
schen Auslandsschularbeit. In seiner
Der Besuch der Schule habe ihr nicht
[AP]
Vortragsreise an
Deutschen Auslandsschulen in Spanien
Anzeige
Stellenanzeige
Madrid. Sally Perel, jüdischer Zeit-
2009 hatte der Referent bereits einen
zeuge des Zweiten Weltkriegs, be-
Vortrag an der Deutschen Schule Ma-
suchte 2010 im Rahmen einer Vor-
drid gehalten, wo die Idee für eine
tragsreise Deutsche Auslandsschulen
Lesereise an den Deutschen Schu-
in Spanien. Um im Dritten Reich zu
len in San Sebastián, Bilbao und Las
entsprechenden Geschichtsunter-
überleben, hatte Perel sich vier Jahre
Palmas entstand. Perels persönliche
richtseinheiten und verstärken diese
unter falschem Namen in der Hitler-
Schilderungen über sein Schicksal be-
nachhaltig“, berichtet Dr. Peter Kam-
jugend versteckt. Der 85-Jährige be-
eindruckten Schüler und Lehrer, die
mann, Schulleiter der DS Madrid, der
reist seit Jahren Schulen in Deutsch-
sich im Unterricht unter anderem mit
die Lesereise mit initiierte. Die DS Ma-
land, um Schülern seine Erfahrung
dessen Autobiografie auf den Besuch
drid leitet Anfragen für Vorträge an
zu vermitteln und seine eigene Ver-
vorbereitet hatten. „Herrn Perels Vor-
anderen Deutschen Auslandsschulen
gangenheit zu bewältigen. Im Juni
träge unterfüttern eindrücklich die
an Perel weiter.
[AP]
EU-Bildungspolitik: neues Informationsportal im Internet
Berlin. Bildung und Ausbildung
(BMBF) nun in Zusammenarbeit mit
Schulbildung,
sind zentrale Handlungsfelder der
der Nationalen Agentur Bildung für
berufliche Bildung und Erwachse-
Europäischen Union (EU) – nicht erst
Europa beim Bundesinstitut für Be-
nenbildung abrufen oder sich bei-
seit dem Lissabon-Prozess aus dem
rufsbildung (BIBB) eine neue Web-
spielsweise über die europaweite
Jahr 2000. Bislang fehlte jedoch ein
seite ins Leben gerufen. Unter www.
Mobilitätsförderung von Lernenden
deutschsprachiges Internetangebot,
eu-bildungspolitik.de finden Interes-
informieren. Ein hilfreiches Angebot
auf dem alle wichtigen Entscheidun-
sierte auf einen Klick alle Informatio-
für alle, die sich über aktuelle Ent-
gen und Initiativen der EU in Sachen
nen zu bildungsrelevanten Themen
wicklungen in Sachen Europa und
Bildung übersichtlich zusammenge-
aus Brüssel. Nutzer können aktuelle
Bildung auf dem Laufenden halten
stellt sind. Deshalb hat das Bundesmi-
Nachrichten und hilfreiches Hin-
möchten.
nisterium für Bildung und Forschung
tergrundwissen zu den Bereichen
56
[VW]
Hochschulwesen,
[VW]
BEGEGNUNG 03-10
Die Internatsschule Schloss Hansenberg ist ein Oberstufengymnasium mit
naturwissenschaftlich-ökonomischem Schwerpunkt für besonders leistungswillige und leistungsstarke Schülerinnen und Schüler. Träger der Schule ist
das Land Hessen, sie wird von den Unternehmen Commerzbank und The
Linde Group sowie von der Robert Bosch Stiftung unterstützt.
Im MINT-Bereich werden ab sofort aufgrund von Altersfluktuation mehrere Lehrkräfte (A13, A14, resp. entsprechende BAT-Eingruppierung) gesucht,
die Freude an neuen Aufgabenstellungen haben (etwa den didaktisch/
methodischen Versuchsreihen unserer Internatsschule) und bereit sind,
engagiert in der Gemeinschaft von Schule und Internat mitzuarbeiten.
Sie finden bei uns spannende Herausforderungen und eine exzellente
Arbeitsatmosphäre.
Voraussetzung zur Bewerbung sind überdurchschnittliche Staatsexamina
bzw. überdurchschnittliche Leistungsbeurteilungen.
Die Anstellung erfolgt über das Staatliche Schulamt für den RheingauTaunus-Kreis und die Landeshauptstadt Wiesbaden.
Bewerbungen mit den üblichen
Unterlagen (Lebenslauf, Zeugnisse
etc.) richten Sie bitte an:
Herrn Wolfgang Herbst
Internatsschule Schloss Hansenberg
Hansenbergallee 11
65366 Geisenheim
Für Rückfragen erreichen Sie
Herrn Herbst unter
Telefon: +49 67 22 / 49 60
E-Mail: w.herbst @ hansenberg.de
Informationen zur Internatsschule
finden Sie auch unter:
www.hansenberg.de
Ausland
Teheran 35° 41' N 51° 25' E
Zwischen Clowns
und Feuerspeiern:
Zirkus „Almani“
in Teheran
Teheran 35° 41‘ N 51° 25‘ E
Ausland
Die iranische Hauptstadt Teheran ist eine 15-Millionen-
Kinderheimen blieb der Eintritt aber verwehrt“, erklärt
Metropole mit einem begrenzten Freiraum für den enor-
Schneider. „Und da die Botschaftsschule aus Sicherheits-
men Bewegungsdrang von Kindern. Die Schule ist einer der
gründen nur für bestimmte Personengruppen zugänglich
wenigen Treffpunkte, wo Kinder und Jugendliche frei mit-
ist, konnte von einer öffentlichen Aufführung nicht die
einander spielen können, so auch an der Deutschen Bot-
Rede sein.“ Es entstand die gewagte Idee, mit dem Kinder-
schaftsschule Teheran. „Vor diesem Hintergrund rief 2008
zirkus „Almani“ an die Öffentlichkeit zu gehen. Oberste
eine Elterninitiative die AG Zirkus an der Schule ins Leben“,
Prämisse musste jedoch sein, dass die iranische Regierung
erzählt Joachim Schneider, der damals stellvertretender
weder eine kulturelle Provokation noch einen politischen
Leiter der DBS Teheran war. „Wöchentlich trafen sich die
Auftrag hinter dem Ansinnen vermuten konnte. Allein die
Sechs- bis Elfjährigen, sangen Zirkuslieder und erfuhren al-
Sinn und Spaß bringende Arbeit mit Kindern, verbunden
les Wissenswerte zum Thema.“ Nach drei Monaten Theorie
mit einer Benefiz-Veranstaltung für Bedürftige, sollte der
begann das Training. 16 klassische Zirkusdisziplinen übten
Auftrag sein. Schneider sieht für die Schule auch die Auf-
die Kinder ein: Clowns hampelten durcheinander, Balle-
gabe, „mit Bescheidenheit das Miteinander zu suchen,
rinas verhedderten sich in bunten Bändern, Einradfahrer
hangelten sich an den Schulmauern entlang, Feuerspucker
Seit der islamischen Revolution 1979 sind
husteten, die Hellseherin verriet ihre Tricks, ein Fakir jam-
im Iran viele Unterhaltungsangebote aus
merte über sein schmerzendes Hinterteil.
ethisch-moralischen Gründen verboten.
Disziplin, Mut und Tränen
Die in Deutschland beliebte Zirkus-Kultur
Was am Anfang wie sinnloses Durcheinander aussah, wan-
ist hier nahezu unbekannt. Ein schulin-
delte sich innerhalb von acht Monaten in ein Programm,
ternes Zirkusprojekt der Deutschen Bot-
wobei die Kinder Disziplin, Konfliktfähigkeit, Fleiß und
schaftsschule Teheran avancierte zur
Mut bewiesen. Auch Missgeschicke mussten überwunden,
ausverkauften Veranstaltungsreihe in
Krokodilstränen getrocknet werden. Die Kinder entdeckten ungeahnte Fähigkeiten an sich und ihren „Zirkuskol-
einer Kinderklinik und machte die Manege
legen“. Kinder, die zuvor schüchtern waren, trauten sich
zu einem Ort der Begegnung zwischen
großartige Leistungen zu. Vorlaute Kinder staunten über
den Kulturen.
die Entdeckung der Langsamkeit. Alle mussten lernen, anzupacken, hinter den Kulissen still auszuharren oder auf
von Annette Bernbeck,
Knopfdruck eine Rolle zu übernehmen. Freiwillige und
Deutsche Botschafts­schule Teheran
Eltern nähten aus 400 Meter laufendem Stoff ein buntes
Zirkuszelt, schneiderten 46 Kostüme und schnitten Musik
für die Auftritte zusammen. Derweil kreierten die Kinder
einen Namen: „Zirkus Almani – wo die Kleinen reingehen
und groß rauskommen“. Almani ist Persisch und bedeutet:
der oder die Deutsche.
Oben: Glitzernde Kostüme, Knalleffekte und Tricks
Unten: Zirkusdirektorin Annette Bernbeck mit den
kleinen Künstlern
Sehnsucht nach Zirkus
Zu den 3 Aufführungen strömten 500 Erwachsene und 300
Kinder in die Schule. Das Programm bot eine bunte Vielfalt
von einer Raubtiernummer über Akrobatik bis hin zu einer
Cowboyshow. Dass auch Erwachsene so hungrig nach Farben, Musik, dem Glitzern der Kostüme und den Knalleffekten sein würden, war überraschend. Während der Schulvorstellungen war die Stimmung derart emotionsgeladen,
dass bei einigen iranischen Zuschauern Tränen der Freude
und Rührung flossen angesichts der kleinen Künstler in der
Manege. Für die Zirkuskinder wurde der Spruch begreiflich: „Applaus ist eines jeden Künstlers Lohn“.
Auftrag einer Deutschen Auslandsschule
Nur unter großem Aufwand war es gelungen, Bewohner
verschiedener Alten- und Pflegeheime als Ehrengäste einzuladen. „Kindern iranischer Schulen, Kindergärten und
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BEGEGNUNG 03-10
BEGEGNUNG 03-10
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Ausland
Teheran 35° 41' N 51° 25' E
Personalia
PERSONALIA
Schreibtischwechsel
Griechenland
Seit September ist
Thomas Fischer neuer
Schulleiter der DS Athen.
Kirgisistan
Neuer Fachberater/Koordinator
in Bischkek ist seit September
Elmar Klemm.
Personelle Veränderungen in der ZfA
Russland
Wolfgang Jasser ist seit Mitte
August neuer Fachberater/
Koordinator in Nowosibirsk.
Spanien
Die DS Barcelona leitet
seit August
Annegret Jung-Wanders.
Dr. Joachim Randerath, bisher
in ZfA 5 für die finanzielle Betreuung, Rechts- und Prozessangelegenheiten zuständig, betreut seit
November 2010 die Sportförderung im Bundesverwaltungsamt.
Seine Nachfolgerin ist
Astrid Mahr.
Sandra Luthe ist seit April 2010
in ZfA 2 für den Bereich Schulleitervorbereitung und Schulleiterqualifizierung zuständig.
Gebannt verfolgten die kleinen Zuschauer das große Geschehen
auf der Bühne.
Impressum
Vorurteile ins Wanken zu bringen, unser Menschenbild
Gesunde und kranke, iranische und deutsche, reiche und
und unsere Form des Zusammenlebens verständlich und
arme Mädchen und Jungen stellten ein atemberaubendes
sympathisch erscheinen zu lassen.“ Kommunikation ist
Programm auf die Beine und schlossen Freundschaften.
für ihn die Basis einer Deutschen Schule, speziell an einem
Schnittpunkt religiöser, kultureller und politischer Brüche.
Es lebe der Zirkus!
„Unsere Schule versteht sich als Ort der Begegnung und
Die drei Auftritte des Zirkus Almani waren bereits eine
des kulturellen Brückenschlags, sie schwimmt gegen den
Woche vor Beginn ausgebucht. Insgesamt 1.000 Gäste ka-
Strom politischer Kontroversen und christlich-islamischer
men. Eine Aufführung war den Patienten der Klinik, deren
Entfremdung“, erklärt Schneider. „Die Menschen suchen
Familien und dem Personal vorbehalten. Zur zweiten Vor-
in einem verkrampft auf Abschottung bemühten System
stellung kam ein internationales Publikum aus Wirtschaft,
nach geistiger Orientierung.“ Mit Hilfe der Deutschen Bot-
Politik, Schulwesen und Kirchen. Beim letzten Auftritt sa-
schaft, der Deutschen Botschaftsschule und engagierter El-
ßen Kinder iranischer Kindergärten, Schulen und anderer
tern wurden schließlich Auftritte in der Kinder-Krebsklinik
Organisationen im Publikum.
Mahak vorbereitet. Spenden und der Erlös aus den Eintrittskarten sollten dem Krankenhaus zugute kommen.
Krebspatienten als Akrobaten
Trotz oder gerade wegen der politischen Schwierigkeiten
können Projekte wie dieser Zirkus Freude schenken und
zur Völkerverständigung beitragen. „Die Hoffnung der kul-
In Absprache mit den Ärzten wurden sechs krebskranke
turellen Verständigung liegt besonders auf den Kindern“,
Kinder innerhalb weniger Wochen zu Artisten ausgebildet.
summiert Schneider. „Sie gehen mit einem unbefangenen
Sie entwickelten unglaubliche Kräfte, um Rollen als Zaube-
Blick und mit Neugier aufeinander zu. Lachen ist zudem
rer, Gewichtheber oder Tiger auszufüllen. Sie überwanden
eine Form der Verständigung ohne Übersetzungsnotwen-
ihre Angst vor dem Feuer und ihre Scheu, im grellen Ram-
digkeit.“
penlicht pro Auftritt vor 300 Menschen zu stehen. Eine be-
Herausgeber
Dr. Boris Menrath (v.i.S.d.P.) im Auftrag des Auswärtigen Amts, Berlin, und des Bundesverwaltungsamts, Köln – Zentralstelle für das Auslandsschulwesen – (ZfA)
E-Mail: [email protected]
www.auslandsschulwesen.de
Koordination
Bettina Meyer-Engling (ZfA)
Redaktionelles Konzept
die-journalisten.de GmbH
Lichtstr. 43i, 50825 Köln
E-Mail: [email protected]
www.die-journalisten.de
Chefredakteurin
Stefany Krath [SK]
Redaktion
Tom Buschardt [TB],
Anna Petersen [AP],
Viktoria Will [VW]
Gastautoren dieser Ausgabe
Annette Bernbeck, Dr. Bernhard Bueb, Monika de
Oliveira Souza, Matthias Holtmann, Prof. Dr. Ludger Wößmann
Redaktioneller Beirat
Yvonne Büscher, Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder, Referat Auslandsschulen,
sondere Stimmung entstand in diesem sonst so stillen Krankenhaus. An drei Wochenenden trainierte die Zirkustruppe
der Schule mit den Mahak-Zirkuskindern. Aufgeregte, gesunde Schulkinder stürmten eine Kinderkrebsklinik. Es kos-
kommissarische Leiterin; Torsten Göhler, Auswärtiges Amt, Referat 612, Deutsche Auslandsschulen, Jugend, Sport; Dr. Boris Menrath, Leiter
des Regionalbüros Südosteuropa
Gestalterisches Konzept, Layout & Satz
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Vorschau
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tete die Betreuer einige Nerven, die wild gewordene Horde
egegnung 1 - 2011
Die BEGEGNUNG
1 - 2011 mit dem Schwerpunktthema
unter Kontrolle zu bekommen. Ermahnungsversuche wie
„Mediengesellschaft – Kommunikation im 21. Jahrhundert“
„Leise! Das hier ist ein Krankenhaus!“ wurden mit unwi-
erscheint im April 2011.
derstehlich glücklich-frechem Lächeln zunichte gemacht.
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BEGEGNUNG 03-10
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Kolumne
Köln 50° 55‘ N 6° 57‘ E
Buschardts
Querschläger
Weia! Wage! Woge, du
Welle, walle zur Wiege!*
Tom Buschardt ist Journalist,
Medien- und Kommunikationstrainer (u.a. an der Diplomatenschule des AA) und Mitinhaber
einer PR-Agentur. Den Querschläger gibt’s CO2-neutral auch
online im buschardtblog.de.
In der Nordsee hat ein Wal vorüber-
der Wale vorübergehend gestört
gehend seine Orientierung verloren.
wird. Für die Fundamente sind wiede-
In Schleswig-Holstein ist ein Vogel
rum Spezialanstriche notwendig, um
vom Himmel gefallen. In Bayern hat
Algen- und Korallenablagerungen zu
USA dann gerne mal eine Ausnahme
sich ne Katze auf dem Solardach ein
verhindern. Dafür kann ich aber auch
wegen Eigenbedarf. Gar nicht so
Pfötchen verbrannt. In China ist ein
keine wasserlöslichen Biofarben neh-
dumm. Mit zweierlei Maß misst es
Fahrrad umgekippt. Ja und?
men. Also was denn jetzt?
sich ja auch bequemer.
C
M
Y
Umweltschutz in allen Ehren – aber
Am besten treffen sich an jedem
Menschen bewegen sich nun mal auf
CM
er darf nicht in Irrsinn münden. Wir
Samstag um 12 Uhr auf einer Brach-
diesem Planeten. Will man die Um-
MY
wollen weniger Abhängigkeit von
fläche im Industriegebiet alle Ein-
welt 100 prozentig schützen, muss
CY
russischem Gas, Öl und Atomstrom?
­­Euro-Jobber und Hartz IV-Empfänger
man uns abschaffen. Oder aber wir
Okay, ergibt Sinn. Nehmen wir die
der Stadt und pusten, was die Lungen
betrachten die Menschen als das,
Windkraft. Irgendwo muss so ein Pro-
hergeben in eine dafür aufgestellte
was sie sind: Eine echte Herausfor-
peller ja auch stehen dürfen. Ja schon,
Windkraftanlage. Und dann schauen
derung an Natur und Evolution. Den
sagen die Befürworter der Windener-
wir mal, wann in der Stadt das Licht
Brontosaurus vermissen nur kleine
gie – aber muss das ausgerechnet hier
ausgeht.
Jungs – in unserem Leben wird er
nicht wirklich eine Rolle spielen. Wer
bei mir sein, nur weil an der Küste der
Bei Solardächern lässt die Feuerwehr
würde uns Menschen vermissen? Die
unter bestimmten Bedingungen ein
„Kleine Hufeisennase“ vielleicht?
Umweltschützer haben gegen Wind-
Haus lieber kontrolliert abbrennen
Eher nicht. Also sorgen wir für die
kraftanlagen gewettert, weil angeb-
als es noch zu retten – die schweren
Umwelt – in einer gesunden Balance
lich Fledermäuse nachts von den Ro-
Sonnenkollektoren gefährden die Si-
zwischen Energiebedarf und Verant-
toren erschlagen würden. Dumm nur,
cherheit der Einsatzkräfte, die von in-
wortungsgefühl gegenüber künfti-
dass die toten Tiere noch leicht gefro-
nen den Brandherd bekämpfen müss-
gen Generationen.
ren waren als man sie präsentierte.
ten. Tja. Dumm gelaufen.
Wind mehr weht als anderswo?
In der Nordsee hat der Wal seine
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Bade mich, aber mach mich nicht
Orientierung wiedergefunden. In
Ich muss zugeben, Schleswig-Hol-
nass. Druck mir die Begegnung, aber
Schleswig-Holstein sind gerade
stein war schon mal schöner – ohne
töte keinen Baum und verbrauch bei
400.000 Vögel gut gelandet. In Bay-
kreuz und quer in die Landschaft ge-
der Zustellung in über 100 Länder
ern tut das Pfötchen der Katze nicht
baute Windkraftanlagen. Man hat da-
besser kein CO2. Den knappen Etat
mehr weh – sie bleibt künftig fern
raus gelernt und baut nun Off­shore-
unseres Herausgebers könnten wir ja
vom Dach. Und das Fahrrad in China?
Anlagen. Die sind aber jetzt auch
auch für Klimazertifikate verballern.
Mir doch egal.
Arbeiten an den Fundamenten durch
Sanktionen gegen Iran? Aber bitte
* Headline ist auf keinen Fall von Tom
Rammgeräusche die Orientierung
nicht in Sachen Öl. Da machen die
angeblich Umweltsäue, weil bei den
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Buschardt!
BEGEGNUNG 03-10
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