Frankfurt

Transcrição

Frankfurt
FREE
GUIDE TO
FRANKFURT
Present
OVER 75 ACTS
15 VENUES
ONE DAY
SHOREDITCH
15 MAY 2008
TICKETS £14"OOKING&EEsAvailable from www.ticketweb.com
WWW.STAGANDDAGGER.COM
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INHALT
Die Erfüllung phallischer Machtfantasien — ein Versuch, den Himmel zu vergewaltigen.
Foto von Benjamin Seibel
VICE GUIDE TO FRANKFURT
Cover-Foto von Holger Henzel
WILLKOMMEN IN FRANKFURT . . . . . . . 16
FRANKFURT CITY
Ist nicht so schlimm, wie du denkst . . 18
RAUS AUS DER STADT
Rein ins Vergnügen . . . . . . . . . . . . . . . 42
DREI TAGE WACH
Party in Frankfurt . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
KUNST IN FRANKFURT
Vom Main zum Mainstream . . . . . . . . . 52
WIE WIRST DU EIN BÖRSENHAI?
Neun Regeln für die
Frankfurter Börse . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
FRANKFURT A–Z . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
STADTPLAN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
REGULARS 8 Impressum 12 Mitarbeiter 14 Tidbits 56 DOs & DON’Ts
6
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VICE FRANKFURT
ECKO UNLTD. STORE FRANKFURT
IN DER ZEILGALERIE | FRANKFURT AM MAIN
WWW
WWW
W..EC
ECK
ECKO
ECK
KO
O-UNLIMITED
TED
D..DE
FOUNDERS
Suroosh Alvi, Shane Smith
CHEFREDAKTEUR
Hector Muelas ([email protected])
MUSIK
Andreas Richter ([email protected])
FASHION
Sarah Sharon Karsten ([email protected])
GAMES
Thilo Mischke ([email protected])
REDAKTIONSASSISTENZ
Tom Littlewood ([email protected])
HERAUSGEBER
Benjamin Ruth
([email protected])
WERBUNG/MARKETING
Henrik Bunzendahl ([email protected])
Benny Eichelmann ([email protected])
Carsten Kritscher ([email protected])
ONLINE MARKETING
Tanja Hellmig
([email protected])
EVENTS
Nicolas Mönch
([email protected])
TEXTCHEF
Miron Tenenberg
ÜBERSETZUNG
Elske Rosenfeld, Benjamin Seibel
KORREKTUR
Konrad Lehnert
PRODUCTION MANAGER
Lars Wittiger
([email protected])
PRODUCTION
Maximilian Funk
([email protected])
TEXTE
Benjamin Seibel, Benjamin Knight, Alexander
Jürgs, Danijel Majic, Regina Regenbogen,
Jimmie Hawthorn, Markus Wölfelschneider,
Christian Meister, Ferdinand Friedberg,
Frank Eckert, Familie Hoffmann
FOTOS
Holger Henzel, Gerburg Klaehn, Benjamin
Seibel, Daniel Stevanovic, Rafael Strauß,
Pascal Schönlau, Felix Riemann
ILLUSTRATIONEN
Tobias Friedberg
LAYOUT
inkubator.ca
WEB DESIGN
Solid Sender
PRAKTIKANTEN
Lisa Trautmann ([email protected])
Evelyn Bloch ([email protected])
Patrik Zboril ([email protected])
Alle veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt und Eigentum der VICE Deutschland GmbH. Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit schriftlicher Erlaubnis des Herausgebers zulässig. Informationen über Abonnements auf www.viceland.de
GEDRUCKT IN DEUTSCHLAND viceland.de
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VICE FRANKFURT
VICE GERMANY
Brunnenstr. 196, 10119 Berlin, Germany
Phone +49 (0) 30 2462 9590 Fax +49 (0) 30 2462 9599
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VICE SPAIN
C / Palma de Sant Just 9 ab, 08002 Barcelona, Spain
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VICE FRANKFURT
FRIDAYS: ORGANIC ELECTRONICS
SATURDAYS: HOUSE FOR THE REST OF US
SILK BED RESTAURANT
MICRO FINE DINING RESTAURANT
WWW.SCHMECKEN.NET
WWW.COCOONCLUB.NET
MITARBEITER DES MONATS
BENJAMIN SEIBEL
Wie die meisten Menschen, die in Frankfurt aufgewachsen sind, träumte auch Ben vom schnellen
Geld, scheiterte bravourös und zog dann irgendwo
anders hin, um Philosophie zu studieren. Für diesen
Guide schickten wir ihn als Guest-Editor noch mal
zurück in seine Heimatstadt, wo er seinen dort
verbliebenen Freunden so lange auf den Sack ging,
bis sie ihm alle Geheimtipps verraten hatten. Ben
liebt Eintracht Frankfurt, Karl Kraus, sein Skateboard und seine Freundin. Er hasst alles andere.
ALEXANDER JÜRGS
Frankfurt sollte nur eine Zwischenstation werden.
Mittlerweile lebt Alexander Jürgs aber schon seit über
13 Jahren am Main, findet Apfelwein nach wie vor
zum Kotzen und träumt noch immer davon, eines
Tages in den hohen Norden zu ziehen. Seine Texte sind
bereits in so ziemlich jedem wichtigen Magazin
erschienen. Für uns hat er über die Frankfurter
Kunstszene berichtet. Er wurde schon unzählige Male
gefragt, ob er denn mit dem ehemaligen Stern- und
Tempo-Chefredakteur Michael Jürgs verwandt oder
verschwägert sei. Die Antwort ist: Nein!
DANIEL HERRMANN
Weisst du, wie es sich anfühlt, wenn du hundert Euro
in der Tasche findest, ohne nur die leiseste Ahnung
zu haben, wie sie dort hingekommen sind? Genau so
haben wir uns mit Daniel gefühlt. Dieser talentierte
Fotograf und Musiker, der mit den Chili Peppers auf
Tour war und für ca. 90% der Techno-Alben, die du
letztes Jahr gekauft hast, das Artwork gemacht hat,
erwies sich als bescheiden, kooperativ und sehr
verständnisvoll gegenüber unserem schizophrenen
Verhalten. Danke Daniel, du bist einer unserer
Lieblingsfotografen, auch wenn wir bisher noch
nichts von dir veröffentlicht haben.
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VICE FRANKFURT
TIDBITS (EIN BLICK AUF DINGE, DIE WIR AN FRANKFURT LIEBEN)
ANTI-FRANKFURT-AUFNÄHER
Diesen Aufnäher fanden wir natürlich im benachbarten Offenbach. Es
ist offensichtlich, dass sie nur auf unseren Reichtum neidisch sind,
aber mittlerweile scheinen sie so verzweifelt zu sein, dass ihnen nur
noch die Hoffnung auf die Ankunft des Erlösers in Form eines riesigen
Anus bleibt, der Frankfurt unter einem Haufen Scheiße begräbt, damit
es endlich nicht mehr besser, sondern nur noch genauso gut aussieht
wie Offenbach.
DAS BAHNHOFSVIERTEL LEBT! POWER-DUO-CD
Gisela Paul höchstpersönlich gab uns diese CD. Seit fünf Jahren
verkauft sie ihre Power-Duo-Musik zusammen mit Suppeneintopf
und Grüner Soße auf der Kaiserstraße. Auf dieser Platte befindet
sich mehr Liebe für Frankfurt, als du dir jemals vorstellen kannst.
SNOB CONFETTI
FUNDSACHEN VOM FLUGHAFEN
Zehntausende von Gepäckstücken gehen jährlich am
Frankfurter Flughafen verloren. Wenn sie nach drei Monaten
niemand abgeholt hat, werden sie versteigert. Allerdings wird
vorher nicht verraten, was drin ist. Voller Vorfreude ersteigerten
wir diesen Rucksack, aber darin befand sich nur eine Menge
getragener Herrenunterwäsche, eine ungeöffnete Packung
Kondome und ein künstliches Gebiss. Muss ja echt ein
Traumurlaub gewesen sein.
HESSESTÖFFCHE
Kennst du das, wenn du zu
lange auf einem Stück Apfel
rumkaust und dann plötzlich
so einen furchtbaren
Geschmack im Mund hast?
Das liegt daran, dass der
Apfel mit deiner Spucke eine
chemische Reaktion eingeht
und bereits anfängt, sich in
Urin zu verwandeln. Die
Hersteller von diesem
Supermarktscheiß hier haben
sich die ganze überflüssige
Arbeit erspart und gleich in
eine Flasche gepisst. Trink
das bloß nicht! Geh lieber in
eine der zahllosen
Äpplerkneipen in Frankfurt.
In Frankfurt gibt es so viele
Snobs, dass sie sogar ihr
eigenes Konfetti haben. Snob
Konfetti unterscheidet sich
von normalem Konfetti vor
allem dadurch, dass es
größer, dicker und ganz in
weiß gehalten ist. Ein wirklich treffender Name, aber
sollten M&Ms dann nicht
„Proleten-Konfetti“ heißen?
HAKENKREUZ-MENSCHÄRGER-DICH-NICHT
(EXTRAGROSS UND
MAGNETISCH, FÜR
RENTNER)
Genau deshalb finden wir
alte Menschen so
interessant—es ist diese
Kombination aus Sanftmut
und unterschwelligem Hass,
die sie in sich tragen.
FRAU RAUSCHER
Die Frau Rauscher aus der Klappergass ist eine Frankfurter
Legende, dabei hat sie nie wirklich gelebt. Sie existiert nur in
einem stadtbekannten Lied, das von Frankfurtern gerne gesungen
wird, wenn sie knülle sind oder sonst irgendwie Grund zum Feiern
haben. In dem Lied geht es darum, dass die Frau Rauscher gerne
zu viel trinkt und zu Hause von ihrem Mann verprügelt wird, aber
offenbar findet man hier so was lustig.
VICE FRANKFURT
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Ein Frankfurter isst einen rauchenden Ferkelkopf. Nichts Ungewöhnliches in dieser Stadt.
WILLKOMMEN
IN FRANKFURT
er jung ist, macht viele dumme Sachen: Schauen, wie viele Münzen unter
die Vorhaut passen. Schlafende Kühe auf die Seite kippen. Auf einem
Acker Sex mit Franzosen haben und beschließen, dass Geld der Feind von allem
ist. In einem Anfall von Kreativität zieht man dann da hin, wo die eigenen Talente
so viel zählen wie Plus-Joghurts, und wo alle anderen so sind, wie man selbst.
Frankfurt hingegen ist der Ort, wo Leute mit Köpfchen hingehen. Gut, manche
von ihnen beschlossen, ihre Köpfchen ausschließlich dafür zu verwenden, so viel
Schotter wie möglich zu machen — aber wo liegt das Problem? Moralapostel
können uns schon lange am Arsch lecken. Wenn man gut aufpasst, lernt man von
den Yuppies ein sehr wichtiges Stück Weisheit: Spaßhaben muss wehtun. Also lass
dich drauf ein. Bevor du dich versiehst, sitzt du in einer Schüssel Cesar Salat und
merkst beim Herausklettern für einen Schluck Whiskey Sour, dass du ein
BlackBerry in der Hand hast und ein Seidentaschentuch in der Tasche. Den Rest
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VICE FRANKFURT
Foto von Gerburg Klaehn
W
des Abends verbringst du mit lauten Männern in gestreiften Hemden und
lachenden Mädchen mit Ohrringen, die dich mit Zitronensorbet begießen.
Frankfurt ist Narnia.
Geld machte Frankfurt schön, denn Geld trennt selbst die engsten Nachbarn,
und diese Kollision verschiedener Welten macht eine Stadt eben erst zu einer
richtigen Stadt. Frankfurt mag zwar kleiner sein als ein durchschnittliches
Wohnzimmer, aber das dramatisiert diese inneren Trennlinien nur noch mehr. Die
Stadt ist nicht nur ein Handelszentrum, sondern auch ein Ort bürgerlicher Werte.
Die Frankfurter, ob alteingesessen oder neu zugewandert, sind stolz und
zufrieden. Das Stadtzentrum vereint bürgerlichen Wohlstand mit von
Immigranten betriebenen Geschäften, Prostitution und Drogenmissbrauch auf
engstem Raum. Frankfurt ist die deutsche Stadt, die am ehesten an Lower
Manhattan herankommt. Dabei sind die nostalgischen Frankfurter der einhelligen Meinung, dass es durch die Bordelle und Drogen rund ums Bahnhofsviertel in den letzten Jahren den Bach runter ging.
Wenn es auf der Welt eine Stadt gibt, die zeigt, wie Kapitalismus als Gleitmittel
liberaler Werte funktioniert, dann ist das Frankfurt. Sie hat einen größeren
Migrantenanteil als jede andere deutsche Stadt. Eine Tatsache, die in dieser Stadt
Geschichte hat. Der Kapitalismus machte Frankfurt zu der mittelalterlichen Stadt,
in der Anhänger verfolgter Religionen Zuflucht fanden. Nur wenige Städte
erkannten 1864 die Gleichberechtigung der Juden an, darunter natürlich
Frankfurt. Hier gibt es auch heute noch eine der größten jüdischen Gemeinden
Deutschlands. Wäre die Geschichte nicht vom Teufel gemanagt worden, hätte
Frankfurt eigentlich, unter dem Zepter eines brillanten, mehrsprachigen Kaisers
und Organisators wie Karl, zur Hauptstadt Europas werden müssen.
„Die kleinste Metropole der Welt“ wird Frankfurt von vielen genannt. Was
meinen sie damit? Es ist die einzige Stadt der Welt mit unter einer Million
Einwohnern, die einen Flughafen besitzt, der jedes Jahr 50 Millionen Passagiere
abwickelt. Sie reden vom Ruf als „Hauptstadt der Kriminalität“ und der
kleinstädtischen Vertraulichkeit, mit der die Leute einem dennoch begegnen. Sie
meinen, dass es gleichzeitig einer der am besten und am wenigsten geeigneten Orte
ist, um eine der mächtigsten Börsen der Welt einzurichten. Finanzbetrug und der
riesige Flughafen tragen übrigens auch dazu bei, dass die Kriminalitätsstatistik
wesentlich schlimmer klingt, als sie sich eigentlich anfühlt.
Mit anderen Worten: Kommt nach Frankfurt! Die Straßen sind nicht mit
Crack-Pfeifen übersäht und du wirst dort auch nicht gleich überfallen werden.
Außerdem hast du hier überdurchschnittliche Chancen zur Abwechslung mal mit
jemand Intelligentem zu schlafen. Tu, was wir dir sagen, und du wirst, bevor du
dich versiehst, auf wunderschönen, frischen Feldern intellektueller Stimulation
und marktgetriebener Kreativität grasen.
VICE FRANKFURT
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nicht gerade zur Mittagspause da bist, wird dich an diesem verwaisten Ort eine
große Kälte und innere Leere überkommen. Bevor du vollends von der
Apokalypse übermannt wirst, solltest du dich also schnell durch den Wind
hindurch zu dem glitzernden Shoppingparadies der Zeil begeben. Nach der
ominösen Stille des Bankenviertels ist das hier ein wunderbares Weihnachtsfest.
Dein Herz füllt sich mit der Art reiner Freude, die nur purer Materialismus
erschaffen kann. Nachdem du der Kirche des Einzelhandels die Ehre erweist,
kannst du daran gehen, die Touristenattraktionen abzuhaken, die quer durch die
Altstadt verteilt sind. Der Dom, das Goethehaus, das Historische Museum. Dem
zarten Ego der Frankfurter zuliebe, solltest du zumindest eine Weile so tun, als
würde dich das wirklich interessieren, bevor du wieder zu Starbucks zurückgehst.
Essen und Trinken
TRINKHALLE, Obermainanlage 24 — Die vielleicht coolste Bar der Stadt ist voll
gestopft mit Designklassikern. Möbel, die der Pöbel in den Siebzigern nicht zu
schätzen wusste und für die Hipster heute ein Schweinegeld hinblättern: CharlesEames-Stapelstühle, modulare Sitzgruppen im Bauhaus-Stil, quietschbunte
Fernseher. Die Barhocker wurden aus einem Stuttgarter Puff herbei geschleppt.
Die Getränkekarte offeriert Herrengedeck oder Caprisonne.
FRANKFURT CITY
LALA MAMOONA, Zeil 1a — Ein Großteil der Frankfurter Kneipen hat den
geleckten Charme einer Schalterhalle. Das „Lala Mamoona“ aber hat den würdevollen Charme einer Bergkapelle. Wenn man sich ins Wodka befeuerte
Gedächtnis ruft, dass das Gebäude in der Gründerzeit mal ein Toilettenhäuschen
war, mag man das kaum glauben.
Ist nicht so schlimm, wie du denkst
INNENSTADT
uf diesem winzigen Stück Land spielt sich im Prinzip das komplette moderne Leben ab. Es besteht aus Beton, Metall und Fleisch, und falls es dazwischen noch Platz gibt, ist dieser mit Plastik vollgestopft. Mit großer
Wahrscheinlichkeit bekommst du als Erstes die Kaiserstraße in Frankfurt zu
sehen. Allerlei sündige Versuchungen begrüßen dich dort, die allesamt darauf
angelegt sind, dir das Geld aus der Tasche zu ziehen. Jetzt heißt es stoisch zu bleiben, denn du solltest dir dein Geld für die Innenstadt aufheben. Um dir dabei zu
helfen, befindet sich am Ende dieser Gasse der Perversionen ein riesiges leuchtendes Eurosymbol, umgeben von schwebenden Sternen, das den Eingang der
Europäischen Zentralbank bewacht. Richte den Blick also einfach fest auf diese
Sterne und sie werden dich sicher durch die Unterwelt am Rande der Innenstadt
mit all ihren paradiesischen Verheißungen geleiten.
Hinter der Europäischen Zentralbank liegt das Bankenviertel, eine Einöde
voller Wolkenkratzer, wo dir ein eisiger Wind in die Knochen fährt. Wenn du
JIMMY’S, Friedrich-Ebert-Anlage 40 — Der beste Ort, um dich zu betrinken,
falls du reich oder der Sohn von Julio Iglesias bist. Holzverkleidung, prominente
Gäste, fancy Drinks und alles andere, was eine gute Pianobar haben sollte. Ist
zwar im Westend, hat aber wegen der Friedrich-Ebert-Anlage Innenstadt-Flair.
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VICE FRANKFURT
Foto von Daniel Stevanovic
A
MAINGOLD, Zeil 1 — Zugegeben: Die 50er waren krass spießig. Man war
allseits damit beschäftigt, zerbombte Häuser wieder herzurichten und die
unrühmliche Vergangenheit zu verdrängen, alle machten schön einen auf dicke
Hose und Elvis Presley war vollkommen zu Unrecht erfolgreicher als Jerry Lee
Lewis. Aber dem Alltagsdesign kann man eine gewisse Gemütlichkeit nicht
absprechen. Das dachten sich wohl auch die Macher des „Maingold“. Wer also
auf der Suche nach einem behaglich-ruhigen Versteck unweit des ShoppingTerrors der Einkaufsmeile Zeil ist, findet es ganz am oberen Ende der Straße.
Tagsüber Café, nachts angenehm unprätentiöse Bar mit kleinem Außenbereich
und vergleichsweise humanen Preisen.
VICE FRANKFURT
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THEPLACETOBE, Weißadlergasse 3 — Eigentlich wird hier alles richtig
gemacht. Die Getränke sind vergleichsweise günstig, das Interieur leicht trashig
und die Atmosphäre für eine Bar sehr angenehm. Aber Scheiße, dass Ding ist
kaum größer als die durchschnittliche Studentenbude und dabei doppelt so voll
gestopft. Nur gut, dass man im Sommer draußen sitzen kann.
und seinen Tenno für göttlich hält, hat außer Nintendo, Mangas und SchlüpferAutomaten eigentlich nur noch eine große Kulturleistung aufzuweisen: die
Zubereitung von rohem Fisch — auch Sushi genannt. Und nirgends im Frankfurter
Raum gibt es das so günstig wie in diesem kleinen japanischen Supermarkt.
Natürlich gibt es auch den ganzen anderen essbaren Schrat aus dem Land der
aufgehenden Sonne dort zu kaufen, aber wer zum Teufel will das eigentlich essen ...
IMA MULTIBAR, Kleine Bockenheimer Str. 14 — James und David (Brüder: ja,
Zwillingsbrüder: nein) sind solch freundliche Zeitgenossen, dass man sich in ihrer
„IMA“-Bar gar nicht anders als geborgen und glücklich fühlen kann. Das Essen
ist lecker und vermutlich sogar gesund. Salate, Wraps und orientalische Pasten
werden dir so viel Kraft geben, dass du dich den Rest des Tages quasi unbesiegbar
fühlen wirst. In ihrer anderen Filiale im Bahnhofsviertel (Ottostraße 19) gibt’s
außerdem die saftigsten Burger weit und breit.
HITCHCOCK’S SANDWICHBAR, Fahrgasse 87 — Für eines ihrer AvocadoSandwiches mit Bacon würden wir einem Obdachlosen den letzten Cent aus
seiner Sparbüchse stehlen, aber hinzu kommt das Problem, dass man hier oft vor
verschlossenen Türen steht, weil der Besitzer nichts von geregelten Öffnungszeiten hält. Im Röderbergweg verkauft der gleiche Typ auch schmucke Fahrräder,
hat da aber auch nur zwei Stunden täglich geöffnet.
HAMBURGER AM TURM, Eschenheimer Tor 1 — Ein wirklich beschissener
Fast-Food-Imbiss, der nur aus dem Grund unentbehrlich ist, weil er länger
geöffnet hat, als jeder andere in der Nähe. Gegen fünf Uhr morgens versammeln
sich dort ausgehungerte Partylöwen und schlingen matschige Pommes und
Gammelfleisch in sich rein. Vor ein paar Jahren fanden wir dort mal einen 50Euro-Schein in einem Chickenburger, und als wir die Besitzer fragen wollten, was
es damit auf sich hat, hätten sie uns fast umgebracht. Hmm.
7BELLO, Niddastr. 82—Ein Restaurant, das den Namen einer italienischen
Kondommarke trägt, kann eigentlich gar nicht schlecht sein. Das Allerbeste, was
man hier bestellen kann, ist ein wagenradgroßer Teller mit heiß brutzelndem
Rindfleisch mit Unmengen Rosmarin, Öl und Pfeffer. Der Service ist eigenwillig und
direkt, am Ende trinkt man mit dem Wirt einen Kräuterschnaps an der Theke. Es
gibt in Frankfurt keinen besseren Ort, um Fußballspiele zwischen Italien und
Deutschland zu kucken. Der Hass der Kellner auf die deutsche Elf ist phänomenal.
CLUB VOLTAIRE, Hochstr. 5 — Die Linken — es gibt sie überall und gerade in
Hessen pflegen sie im Schatten der absoluten CDU-Mehrheit ihre Subkultur —
innenstadtnah, wie es sich gehört. Und was machen Linke am liebsten? Reden,
reden und, wenn noch Zeit bleibt, reden. Und damit dabei die inneren Organe
nicht austrocknen, trifft man sich dazu am liebsten im „Club Voltaire“ unweit der
Alten Oper in einer Seitenstraße der Fressgass. Wenn die Linken dann doch mal
ausnahmsweise die Schnauze halten, können sie auch ganz gut feiern, besonders
bei den Jam-Sessions an jedem dritten Mittwoch im Monat.
FRANKFURTER KÜCHE, Hanauer Landstr. 86 — Die Szene-Gastronomie steht
vor einem Dilemma: Man will sich zwar aus vollem Herzen zur Apfelweinkultur
bekennen , hat aber Angst vor Heinz Schenks Geist. Angst davor, ein debiler
Spießer zu sein. Das Ergebnis ist eine Art neue Bürgerlichkeit. Und Restaurants
wie dieses, in dem ganz ohne Bembelkitschambiente modern interpretierte Klassiker der hessischen Küche kredenzt werden.
SUPERKATO, Kornmarkt 3— Sie treten meist rudelweise auf, knipsen alles, was
nicht bei drei auf den Bäumen ist, blockieren jeden noch so kleinen Platz, wenn er
nur ansatzweise nach pittoresker Touristenattraktion aussieht und belästigen dich
mit ihrer aufdringlich-nervigen Freundlichkeit. Das Inselvölkchen, das sich selbst
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VICE FRANKFURT
Shopping und anderes
AZITA, Münzgasse 10— Wann immer du in Frankfurts Innenstadt einkaufen bist,
musst du bei diesem Laden vorbeischauen. Du wirst dir vielleicht kein einziges
Kleidungsstück dort leisten können, aber lieben wirst du sie alle. Versprochen.
RAILSLIDE, Roßmarkt 10 — Der älteste Skateshop der Stadt erfreut sich nach
wie vor größter Beliebtheit. Wir haben das Gefühl, dass sie ständig am Umziehen
und Expandieren sind. Ihr neuester Laden an der Hauptwache ist eher ein riesiges
Kaufhaus als ein Shop, aber entsprechend groß ist die Auswahl und solange man
bei schlechtem Wetter immer noch auf dem Sofa abhängen, ’ne Cola trinken und
Skatevideos glotzen kann, soll uns das recht sein.
BIOHAUS-PIRATEN, Holzgraben 11a — Nein, dieser Laden ist kein ÖkoSupermarkt und er gehört auch nicht irgendwelchen verfilzten Hippies. Er
gehört einem Typen, der aussieht wie der kleine Bruder von Osama bin Laden,
und man findet dort ein kleines, aber sehr feines Sortiment an exklusiven
Klamotten, Graffitizubehör und Skatestuff. Der nicht unbegründete Verdacht,
dass sie demnächst mit dem „Sneaker King“ fusionieren, dürfte zudem dazu
führen, dass bald eine Art Pilgerstätte für Turnschuhfetischisten aus dem
VICE FRANKFURT
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ganzen Rhein-Main-Gebiet entsteht, die hier in willenloser Ekstase ihre letzten
Ersparnisse verpulvern.
FREEBASE, Petersstr. 2 — Einer von zwei richtig guten Plattenläden direkt in der
Innenstadt. Im Bereich der elektronischen Musik ist das Sortiment beinahe
lückenlos, einige Labels wie Dirty Bird oder Arpiar sind sogar exklusiv im
Angebot. Zusätzlich gibt es auch ein bisschen Indie und Easy Listening, sowie
hübsche Bücher und DJ-Zubehör. Der ganze Laden ist blitzblank, es gibt
bestimmt 15 Plattenspieler zum Vorhören, und als wir den Besitzer fragten,
warum sie besser wären als die Konkurrenz von „Pro Vinyl“, meinte er schlicht:
„Bei uns riecht es besser.“
PRO VINYL, Elefantengasse 19 — Gerade mal 50 Meter Luftlinie vom „Freebase“ befindet sich ein weiterer hervorragender Shop, bei dem jedem DJ das Herz
in die Hose rutscht. Der Besitzer wollte sein Sortiment nicht kommentieren, weil
ihm „Genregrenzen sowieso scheißegal“ sind und er „alles hat, was irgendwie gut
ist.“ Das klingt für dich jetzt vielleicht anmaßend, aber du wirst schnell einsehen,
dass der gute Mann einfach recht hat. Kein Wunder, dass die Beastie Boys und DJ
Shadow hier jedes Mal vorbeischauen, wenn sie in der Nähe sind. Als wir fragten,
warum sie besser seien als „Freebase“, meinte der Typ nur: „Hier darf man noch
rauchen!“, und steckte sich erstmal ’ne Kippe an. Gut gekontert, Alter!
Sozusagen ein Tante-Emma-Laden für die Jugend von heute. Zu empfehlen ist
auch die 500ml-Dose Pfefferspray, mit der man problemlos die halbe Stadt außer
Gefecht setzen könnte.
KLEIDERMACHER, Heiligkreuzgasse 9A — Der Besitzer, Elbin, heißt nicht nur
wie einer der guten Charaktere aus Der kleine Hobbit, er sieht auch ein wenig so
aus. Vor allem ist er einer der freundlichsten Menschen, die wir kennen und wird
mit dir erstmal bei einer Tasse Tee über Gott und die Welt plaudern, bevor er zum
Geschäftlichen kommt. Elbin näht maßgeschneiderte Klamotten und Taschen aus
feinstem Material, ob Tweed, Hanf oder Büffelleder. Achtet darauf, wie zärtlich
er mit seinen Stoffen umgeht, der Typ liebt sein Handwerk. Geheimtipp!
T3 TERMINAL ENTERTAINMENT, Große Eschenheimer Str. 41a — Ein
Nerdparadies voll mit Spiderman-Heften, japanischen Gewaltfilmen und Actionfiguren, in dem jeder Stammkunde eine eigene Kiste für seine Bestellungen hat.
Du findest dort stapelweise US-Comics für unter einen Euro, aber auch eine YuGi-Oh-Sammelkarte zum stolzen Preis von 150 Flocken. Fang niemals mit einem
der Mitarbeiter ein Gespräch an, es sei denn, du hast verdammt viel Zeit. Einmal
erzählte uns einer der Typen in einem halbstündigen Monolog seine
Lebensgeschichte und schmiss währenddessen zwei Kids aus dem Laden, weil sie
versuchten, ihn zu unterbrechen.
NEUTRAL, Fahrgasse 37 — Immerhin haben die Leute im „Neutral“ begriffen,
dass man als Kiffer nicht nur von Gras und Pizza lebt und verkaufen von daher
neben einer Menge Bongs auch Klamotten, Fahrräder, Musik und Fischfutter.
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VICE FRANKFURT
Foto von Rafael Strauß
SNEAKER KING, Weißfrauenstr. 2-8 — Seit Jahren die beste Adresse für Sneaker
in der Innenstadt. Der Laden gehört Pomo, dem Typen von der Adlerfront, also
komm gar nicht erst auf die Idee, da irgendwas klauen zu wollen, sonst wird er
mit dir Dinge machen (oder machen lassen), bei denen du dir wünschen wirst, du
wärst nie geboren worden. Gleich nebenan ist übrigens der BMX-Laden von
unserem Kumpel Hans, schau da bitte auch gleich noch vorbei.
ZEILGALERIE, Zeil 112-114 — Die „Zeilgalerie“ ist eine riesige Shoppingmall
mit unzähligen Geschäften, die alle ausnahmslos scheiße sind. Kürzlich ist ein 15jähriger Junge alle acht Stockwerke hoch gelaufen und hat sich anschließend vor
Verzweiflung von der Dachterrasse mitten auf die Zeil gestürzt. Wir können dich
verstehen, Homie. Ruhe in Frieden.
KNOCKS AUKTIONSWARE, Stolzestr. 12 — Konkurs, Scheidung, Tod: Es sind
die großen Tragödien des Lebens, mit denen Herr Knocks Geschäfte macht.
Kaum ist der Sargdeckel zugeklappt, kommt er mit seinen Handlangern vorbei,
greift sämtliche elektronischen Geräte ab und bietet sie in seinem Laden zum
Verkauf an. Ob E-Gitarre, Fernseher oder Hi-Fi — die Preise und das Angebot
sind exzellent. Vorausgesetzt man kommt mit dem Gedanken klar, dass der
VICE FRANKFURT
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gerade erstandene Vintage-Plattenspieler aus der Wohnung eines Opas stammt,
dessen Verwesungsprozess schon ziemlich weit fortgeschritten ist. Ach, und haltet
Sicherheitsabstand zum Besitzer, aus irgendeinem Grund riecht er, als wäre er
auch schon ’ne Weile nicht mehr am Leben.
C.W. ENGELS, WAFFEN & STAHLWAREN, Kaiserstr. 49 — Am wichtigsten
fürs Überleben im Großstadtdschungel ist die Wahl der richtigen Ausrüstung. Die
bekommt der traditionsbewusste Straßenkämpfer im Fachgeschäft seines
Vertrauens, dem Waffenladen von Andi Engels auf der Kaiserstraße. Knarren,
Messer, Samuraischwerter, Totschläger, Kampfgas, stich- und schusssichere
Kleidung, Tarnnetze, Pfeil und Bogen, custom-made Armbrüste, Ferngläser und
Zieloptiken, Nachtsichtgeräte; schlicht alles, was das Herz begehrt, und das mit
fachkundigster Beratung unter dem Primat der Praxis.
MARC ECKO PRESENTS, Zeil 112 — OK, als wir behauptet haben, dass alle
Läden in der „Zeilgalerie“ scheiße sind, haben wir ganz vergessen, dass es dort
seit neuestem auch einen Marc Ecko Store gibt. Der bildet natürlich eine
Ausnahme. Und falls du dich jetzt fragst, was es in einem Marc Ecko Store wohl
so gibt, dann können wir dir leider auch nicht mehr helfen.
ZWEITAUSENDEINS, Am Kornmarkt 14—In Zeiten des global entwickelten
Kapitalismus ist dieser Laden ein echtes Paradoxon. Wo wir uns doch eigentlich
schon daran gewöhnt haben, dass man uns überall qualitativ minderwertigen
Ramsch zu horrenden Preisen andrehen will, beliefert das ZweitausendeinsHauptquartier in Frankfurt den Rest der Republik seit Jahrzehnten mit erlesenen
Kulturgütern und das zu Preisen, bei denen man sich die ganze Zeit fragt, wo
verdammt noch mal der Haken an der Sache ist. Ob Ausstellungskataloge, DVDBoxen oder Kafkas gesammelte Werke, wer hier nichts findet, was er unbedingt
haben muss, hat offensichtlich kein Interesse am Rest der Menschheit oder am Leben
an sich. Die Strategie des Ladens geht natürlich insofern auf, als dass man hier
trotzdem mehr Geld ausgibt als in jedem anderen, aber wenigstens hat man dabei
das Gefühl, dass es absolut idiotisch wäre, all diese schönen Dinge nicht zu kaufen.
GOETHESTRASSE/FRESSGASS — OK, das ist einfach. Abgesehen von dem
fantastischen, frisch gepressten Fruchtsaft aus diesem griechischen Obstladen
oder dem großartigen Sushi von dem in einer kleinen Parallelstraße versteckten
Japaner gibt es hier nichts, was du tun kannst. Es sei denn, du hast die Kohle für
500-Euro-Sonnenbrillen von Gucci, irisches Lammfleisch für 120 Euro das Kilo
oder eine Rolex mit 24 Karat.
AUGE TATTOO, Sandweg 46— Das legendärste Tattoostudio Frankfurts feiert
dieses Jahr sein 25-jähriges Bestehen und Meister Auge schwingt immer noch
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VICE FRANKFURT
höchstpersönlich die Nadel. Von den Böhsen Onkelz bis zu Rapper Tyler Woods
(der für jedes neue Tattoo aus den USA einfliegt), alle vertrauen sie dem
berüchtigten Glatzkopf mit dem Augapfel im Nacken. Sogar Radost Bokel (du
weißt schon, das süße kleine Mädchen aus Momo) ließ sich hier zuerst stechen. Wir
würden Radost Bokel ja schon auch gerne mal …, ach was soll’s: Auge ist der Beste!
NEUE STADTBÜCHEREI, Hasengasse 4 — Seit die Stadtbücherei aus diesem
hässlichen Klotz auf der Zeil in die Hasengasse gezogen ist, macht es wieder Spaß,
da hinzugehen. Architektonisch ein Quantensprung, aber die große Musikabteilung ist geblieben und neulich hatten sie sogar eine Sonderausstellung zu
Graffiti aus New York. Vielleicht der einzige Ort in der Innenstadt, wo man auf
einem gemütlichen Sofa in einem Buch blättern kann, ohne dass nach fünf
Minuten ein aggressiver Verkäufer angestampft kommt und einen fragt, ob man
nicht endlich mal was kaufen will.
BOCKENHEIM
etz dich gerade hin, schnall deine Sandalen zu und nimm einen Schluck Kaffee,
denn jetzt kommt deine große Chance — das ist der Ort, wo die
Wahrscheinlichkeit, eine Nummer zu landen, am größten ist. Bockenheim ist der
Ort, wo die ganzen sexy Studenten abhängen. Zwar studieren die meisten von ihnen
BWL oder Finanzwesen, sodass du deine üblichen Sprüche etwas abändern musst,
aber dafür sind sie allesamt spitz wie Lumpi. Der Campus der Johann Wolfgang
Goethe-Universität ist eine brodelnde Brutstätte der Lust. Oder sollte es zumindest
sein. Wäre es nicht toll, endlich etwas Gutes aus der Frankfurter Schule hervorgehen
zu sehen? Das Institut für Sozialforschung, die Heimat dieses Haufens MöchtegernHippies, versteckt sich in der hintersten Ecke von Bockenheim—wie ein verarmter
Cousin, der lispelt und eine hässliche Brille trägt. Um zu den netten BWL-Studenten
zurückzukommen: Als wir die Leipziger Straße in Bockenheim entlang flanieren, stoßen wir auf einen hübschen, schlanken Jungen, der einen langen Schal um seinen
Hals gewickelt und eine ausgenommen zarte Gesichtshaut hat. Er erzählt uns, dass
die jungen Leute in Frankfurt am liebsten bei „Vapiano“ essen! Anscheinend ist das
so eine Art Mensa für sie. Als wir Studenten waren, ernährten wir uns die ganze Zeit
von Pilzomeletts und nahmen Vitamintabletten, um das Ganze auszugleichen.
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Essen und Trinken
ALBATROS, Kiesstr. 27 — Studentencafé und als solches keine 50 Meter vom
Vorlesungsgebäude der Uni entfernt. Mittags voll bis zum letzten Platz. Solltet ihr
nicht eigentlich in der Bibliothek hocken oder gegen Studiengebühren
demonstrieren? Besondere Attraktion: überdachter Raucherbereich mit Ausblick
auf den örtlichen Alkoholiker- und Pennertreffpunkt im Hinterhof.
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TANNENBAUM, Homburger Str. 19 — Total verranzte Eckkneipe aus den Siebzigern, die das letzte Mal renoviert wurde, als Hot Chocolate auf DeutschlandTour waren (wovon noch das entsprechende Tourplakat an der Wand zeugt).
Ansonsten Ausstellungshalle für allerlei Plakatkunst der letzten dreißig Jahre,
vom Startbahn-West-Banner bis zu Filmankündigungen für Kinos, die es längst
nicht mehr gibt. Seit neuestem mit eigenem Raucherbereich. Daneben gibt’s hier
lecker Handkäs, Worscht und ab und zu bedient hier sogar Radost Bokel, wenn
nicht, dann Uwe, legendär schlecht gelaunter Kellner, dem Frankfurt-Bockenheim
Dialoge wie den folgenden verdankt. Kunde: „Ich hätte gerne ’ne Apfelsinennektarschorle.“ Uwe: „Was? Gibt’s nicht! Was willste als Nächstes, Mettwurstschorle?“
ORANGERIE, Schloßstr. 117 — Geschmacklos eingerichtete Kellerkneipe unweit
der Messe, deren größte Attraktion der Dart-Automat und die nicht wirklich
leckeren Bierbeißer (ein Euro) sein dürften. Das Stammpublikum besteht zumeist
aus besoffenen Bankern und Messegästen, die betont lässig den Schlips aufknoten
und das Brusthaar (ob vorhanden oder nicht) aus dem geöffneten Hemd hängen
lassen. Warum man da überhaupt hingeht? Sage und schreibe, die einzige Kneipe
im Stadtteil, für die die Sperrstunde nicht gilt. Also schon mal den Text von „Wir
fahr’n in’ Puff nach Barcelona“ üben und tanken bis sechs Uhr morgens.
MOES TAVERNE , Schloßstr. 24— Früher mal ein langweiliges Irish Pub, hat hier
mittlerweile eine stilechte Rockerkneipe eröffnet, inklusive JägermeisterWettsaufen, Wet-T-Shirt-Contests und einer gutbürgerlichen Küche, die zwar
nicht unbedingt durch Klasse, in jedem Fall aber durch Masse überzeugt. Mit
dem Personal lassen sich lustige Wetten à la „Wenn du in einer halben Stunde
zwei Kilo Fleisch essen kannst, geht’s aufs Haus!“ abschließen. Solltest du
allerdings scheitern, musst du damit rechnen, dass ein Haufen vollbärtiger
Fettsäcke mit Slayer-Shirts im Kreis um dich herumtanzt und dich zwingen wird,
eine Lokalrunde zu schmeißen, nachdem du deinen Mageninhalt
höchstpersönlich mit einem kleinen Taschentuch aufgewischt hast.
DA CIMINO, Adalbertstr. 29 — Keine Frankfurter Fabrik, Bank oder
Werbeagentur arbeitet schneller und effizienter, als diese rustikale Bockenheimer
Pizzeria, die nebenbei noch die beste der Welt ist. Vier hyperaktive, zugekokste
und höchst unfreundliche Italiener kneten Teig, verstreichen Tomatensoße und
schnibbeln Pilze in einem Tempo, dass einem schwindelig wird. Selbst wenn die
Schlange nach draußen reicht, wartet hier niemand länger als zehn Minuten, um
einen der kulinarischen Höhepunkte der Region erleben zu dürfen.
CAFÉ ExZess, Leipziger Str. 91 — Haupttreffpunkt für Punks und Autonome
zwischen 14 und 60. Dresscode: möglichst viel Schwarz und möglichst abgefuckt
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kucken. Drinnen viel Bier, viel Gegröle und Punk, Punk, Punk. Ab und zu auch
so etwas wie Kultur, wenn die sogenannte „Dramatische Bühne“ mal wieder was
aufführt. Kurz und knapp: endlich normale Leute.
DALLI DALLI STÜBCHEN, Basaltstr. 35 — Frankfurt ist keine Großstadt, weshalb es schwierig ist, nach 23 Uhr noch einen offenen Kiosk zu finden. Falls ihr
in Bockenheim zu später Stunde noch auf der Suche nach Kippen, billigem Bier
oder Erdnüssen seid, ist das hier die richtige Adresse. Der Typ hat das ganze
Schaufenster voll mit diesen Süßigkeitentonnen. Wenn ihr ihn also ein wenig
ärgern wollt, bestellt von jeder Sorte eins, dann könnt ihr dem netten Mann eine
halbe Stunde bei der Arbeit zuschauen und nebenbei am Tresen ein Binding
Export für 1,20 schlürfen.
Shopping und anderes
ANTIQUARIAT UWE DOEHN, Große Seestr. 63—Dieses Antiquariat in der
Nähe des Uni-Campus stammt noch aus der Zeit, als das Studium nicht bloß eine
Sprosse in der Karriereleiter bedeutete, sondern gleichzusetzen war mit Gesellschaftskritik, Rebellion und „Großer Weigerung“ (Marcuse). Wenn du schon immer
wissen wolltest, warum die Welt so beschissen und wo eigentlich genau das Problem
ist, dann kannst du hier erfahren, wie man aus ihr, zumindest theoretisch, einen
besseren Ort machen könnte (in der Praxis funktioniert das natürlich nicht so
einfach, sonst wäre die Welt ja längst ein besserer Ort, du Vogel). Frag einfach Uwe
Doehm, er weiß die Antwort oder kann dir zumindest das passende Buch empfehlen.
OKKULTA, Adalbertstr. 21 — „Okkulta“ ist eine Art Fachgeschäft für
schwarze Messen, Hexenzauber und Voodoorituale. Die ganz in schwarz
gekleidete Magierfamilie, die diesen Laden betreibt, meint die Sache todernst
und man kann vortrefflich mit ihnen darüber streiten, ob das Menstruationsblut für das Flugsalbenrezept wirklich von einer minderjährigen Jungfrau
kommen muss, oder ob es nicht auch deine 19-jährige Schwester tut. Nach
Ladenschluss kann man manchmal durchs Schaufenster beobachten, wie die
ganze Familie im Kreis zusammensitzt, sich an den Händen hält und mit Satan
das weitere Vorgehen bespricht.
BOCKLYN BANKS — Die Blumenkübel vor der alten Universitätsbibliothek sind
einer der ältesten und besten Skatespots der Stadt. Die Banks sind rough, steil,
und superhart zu fahren, aber wenn du sie bezwungen hast, brauchst du vor
keinem Spot der Welt mehr Angst zu haben. Abgesehen davon, dass an der Wand
„Locals Only“ und ein Totenkopf gesprüht ist und man ständig aufpassen muss,
keine verwirrten Penner über den Haufen zu fahren, ist die Atmosphäre hier sehr
entspannt und die Leute sind immer für ein Bier und einen Plausch zu haben. Ach
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der als eine Art psychologischer Barriere funktioniert, ist Sachsenhausen der
Stadtteil, wo der Frankfurter abschaltet und entspannt. Die Gegend ist ein beliebter
Tummelplatz für junge Familien—die schattigen Plätze sind voller Kinder, die mit
nicaraguanischen Holzspielzeugen spielen, während die Eltern mit ihren in der Sonne
glänzenden iPods joggen gehen.
Aber es gibt hier auch eine dunkle Seite. Wenn du kein Fan von Klingeltonmusik,
irischen Themenbars, blondierten Haaren und blauen Drinks mit Cocktailsticks in
Form unbekleideter Frauen bist, solltest du Alt-Sachsenhausen am Wochenende
vermeiden. Vertreter der deutschen und englischen Arbeiterklasse erwecken hier
dann das authentische Teneriffa-Feeling zum Leben. Was du hingegen sehr wohl tun
solltest: in eine Apfelweinwirtschaft abtauchen. Kaufe einem alten Mann ein Glas
Apfelwein und lass dir von ihm beibringen, wie man Handkäs mit Musik richtig
isst. Man darf dabei weder die Finger noch ein Messer benutzen. Scheiße.
Essen und Trinken
MAINCAFÉ, Schaumainkai 50— Das „Maincafé“ ist einer der schönsten Orte,
um einen lauen Sommerabend im Freien zu verbringen. Dies hat allerdings in
keinster Weise etwas mit dem Café zu tun, sondern nur mit der Tatsache, dass es
sich direkt am Mainufer befindet und man sich einfach mit ein paar
mitgebrachten Bier nebenan auf die Wiese setzen und sich über die Kunden, die
für das gleiche Bier vier Euro hinblättern, lustig machen kann. Jeder macht das
so. Die Leute, die da an den Tischen sitzen, kennen wir nicht.
so, wenn wir „Skatespot“ sagen, meinen wir „Skateboard-Spot“. Wenn du hier
mit Inline-Skates ankommst, wirst du selbstverständlich verprügelt.
ORFEOS ERBEN, Hamburger Allee 45 — Hier verkehren Nickelbrillen tragende
Cineasten und Nerds, um in alten Flugzeugsitzen Independent-Produktionen,
asiatische Gewaltmärchen oder „Berliner Schule“ zu konsumieren. Außerdem
einer der wenigen Orte in Frankfurt, wo es Fritz Cola gibt.
SACHSENHAUSEN
achsenhausen ist Dribb de Bach—die andere Seite. Es ist der Stadtteil, wo die
Mittelklasse zum Bürgertum wird und ihr Geld, welches sie in der City anhäuft,
in dekadente Luxuswaren anlegt: Ingwer-Möhren-Suppe, Handtaschen kleiner
Independentlabel und das beste Alt-Frankfurter Essen der Stadt. Dank des Mains,
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Foto von Gerburg Klaehn
INSTITUT FÜR VERGLEICHENDE IRRELEVANZ, Kettenhofweg 130 —
Selbsternannter schmutzigster Ort der Stadt — nicht ganz zu Unrecht. Das
ehemalige Anglistik-Institut wurde im Rahmen der Studentenproteste 2003 von
linken Gruppen besetzt und dient diesen seitdem als Freiraum und selbstgewähltes Asyl. „Theorie, Praxis, Party “ ist das Motto und inzwischen dürfte
sich herumgesprochen haben, dass die Partys, Konzerte und Kneipenabende
(„Key_Osk“) hier ziemlich gut abgehen.
ZUM FICHTEKRÄNZI/ATSCHEL: Wallstr. 5-7—Kein Abstecher nach Sachsenhausen wäre komplett ohne ein zünftiges Besäufnis mit original Frankfurter
Apfelwein. Und nirgends wird diese Tradition aufrichtiger gepflegt, als in diesen
beiden urigen Lokalen. Hier wird das „Stöffsche“ noch selbst gekeltert, die Einrichtung ist rustikal und der „Handkäs mit Musik“ so authentisch zubereitet, dass
er deinen Darm innerhalb von Minuten in einen lodernden Schornstein verwandelt.
Lass dich nicht von der vermeintlichen Unfreundlichkeit der Kellnerinnen irritieren,
das gehört einfach dazu. Solltest du allerdings auf die unkluge Idee kommen, dich
zur Hauptbetriebszeit einfach unaufgefordert irgendwo hinzusetzen, wirst du
feststellen, dass sich diese Unfreundlichkeit noch bis ins Unermessliche steigern wird,
freilich ohne dass die Damen dadurch ihren eigenwilligen Charme verlieren würden.
ALTES HAUS, Große Rittergasse 75 — Mitten im Herzen von Alt-Sachsenhausen
befindet sich diese Minikneipe, die im Grunde nur aus einem U-förmigen Tresen
besteht. Der Laden ist von Stammgästen mit komischen Frisuren und
Knasttattoos gesäumt, von denen die meisten nicht mehr sprechen können und
wenn, dann nur noch ein paar Fetzen in ihrer Muttersprache. Trotzdem sind sie
meistens freundlich genug, um die über 80-jährige Besitzerin, Irmgard,
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aufzuwecken und ihr zu signalisieren, dass die Halbstarken in der Ecke noch eine
Runde Bier bekommen. Ein cooler Laden mit einer Art Wohnzimmeratmosphäre,
obwohl wirklich nur übelstes Gesocks da rumhängt.
HARMONIE, Paradiesgasse 53 — Das „Harmonie“ ist ein Sammelsurium von
Sachenhausens hartgesottensten Trinkern, die irgendwann aus ihren bisherigen
Stammkneipen rausgeflogen sind. Der Besitzer, ein etwas älterer aber äußerst
stabiler Kerl, hat nur in die Jahre gekommene Ex-Pornodarstellerinnen als
Bedienungen eingestellt. Alle Shots kosten einen Euro, Wodka Red Bull zwei, und
wenn dem Chef gerade danach ist, darf man manchmal sogar rauchen. Ein
perfekter Laden, wenn man sich noch nicht betrunken genug fühlt, aber das
Gefühl hat, man müsste langsam mal durchstarten. Die ansässige Stammkundschaft hängt die Messlatte in jedem Fall recht hoch.
AMIR SANDWICH / PIZZA PETRO, Paradiesgasse 38–46 — Eigentlich nur ein
libanesischer Kebabladen und eine Pizzeria direkt nebeneinander, aber es gibt nun
mal nicht viele Orte in Frankfurt, wo man nachts um eins noch eine warme
Mahlzeit bekommt. Von daher könnten dir diese Leute eines Nachts das Leben
retten. Das solltest du berücksichtigen, bevor du dich über unseren vermeintlich
schlechten Geschmack lustig machst.
TRINKHALLE TEXTORECK, Diesterwegstr. 26 — Wer hat eigentlich behauptet, Trinkhallen seien nur was für zahnlose, stinkende Penner, deren Gehirnzellen
sich weitestgehend in Wohlgefallen aufgelöst haben? Hier ist er, der Alkoholnotfallservice für Besserverdienende mit einer gigantischen Auswahl an
Spirituosen der gehobenen Preisklasse. Distinktionsmäßig hat der Besitzer seine
ganze Ladenfront mit Goldfarbe angepinselt, nennt außerdem zwei Jaguars sein
Eigen und hat mit diesem Laden schon so viel Kohle gescheffelt, dass er montags
und dienstags gleich geschlossen bleibt.
Shopping und anderes
MALT WHISKEY SPIRITS, Wallstr. 23 — Dieser Laden hat über 150 verschiedene Sorten Whiskey zur Auswahl und falls dir das unergründlicherweise nicht
genug sein sollte, bestellt der Besitzer dir jeden anderen Tropfen, der jemals in
eine Flasche gefüllt wurde. Besitzer? Genau, der Typ, der aussieht wie Ricardo
Villalobos und da auf dem Tresen liegt und pennt, das ist der Besitzer. Ab und
zu chartert er eine Straßenbahn und macht dann lustige Rundfahrten, auf denen
man Whiskey probieren kann, bis man nicht mehr weiß, wo man sich befindet.
BONG, HEAD & SMARTSHOP, Elisabethenstr. 21 — Keine Sorge, das Schild an
der Tür, auf dem steht „Zutritt nur für Bekiffte“ dient nur zur Abschreckung. Am
besten gefällt uns die Bong, die dem Riesenschwanz von Long John Silver
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nachempfunden ist. Zudem gibt es auch einiges an erotischer Fachliteratur. Wir
haben den Besitzer auch mal gefragt, was es damit auf sich hat, aber er war so
stoned, dass er die Frage schon wieder vergessen hatte, bevor wir sie zu Ende
stellen konnten.
NUMBER 2, Wallstr. 15 — Alle Musikjournalisten und anderen Promospacken,
die in Frankfurt ansässig sind, bringen ihre Rezensionsexemplare zu diesem
riesigen 2nd-Hand-Laden, weshalb man hier ziemlich viele Platten schon am
Erscheinungstag als Gebrauchtware kaufen kann. Wie alle CD-Läden auf der
Welt macht auch dieser hier wahrscheinlich bald zu, also geh schnell nochmal
vorbei und verkauf den ganzen Ramsch, den du noch zu Hause im Keller hast.
COMIC- UND ROMANLADEN, Wallstr. 24 — Also zunächst finden wir, wenn
man sich schon die Mühe macht, ein tolles Antiquariat für Comics zu eröffnen,
dann könnte man auch noch das kleine bisschen Energie aufbringen und sich
einen interessanten Namen ausdenken. Aber egal, der Typ ist eh konkurrenzlos,
denn es gibt in Frankfurt keinen anderen Comicladen, der die Erstausgaben von
Spiderman (1.700 Euro) und Mickey Mouse (8.000 Euro) auf Lager hat oder
Zapp-Brannigan-Space-Guns verkauft, die tatsächlich funktionieren.
BUCHHANDLUNG WENDELTREPPE, Brückenstr. 34 — Eine Buchhandlung,
die nur auf Kriminalromane spezialisiert ist und von einem kettenrauchenden
Ungeheuer mit eiserner Hand geführt wird. Es gibt dort Kinderkrimis, Seniorenkrimis, Katzenkrimis, Türkenkrimis, Frankfurtkrimis … im Grunde kannst du
jedes Wort der deutschen Sprache nehmen und „-krimis“ hinten dranhängen —
hier wirst du das passende Buch finden. Die Besitzerin ist eine wandelnde
Enzyklopädie der Kriminalliteratur, also komm ihr nicht mit Miss Marple oder so
einem Mainstream-Schund, sonst wirst du nur verächtliche Blicke ernten. Jeden
letzten Samstag im Monat bis Mitternacht geöffnet.
BRÜCKENSTRASSE — Wenn Frankfurt wirklich eine Modeszene hat, findet
man sie in der Brückenstraße. Dort gibt es zwar keine Brücken, aber in der
Goethestraße wird ja auch nicht gedichtet. Mittlerweile ist hier eine Art Fräuleinwunder geschehen. Junge Kreative, denen anständige Jobs verwehrt blieben,
verticken ihre Eigenkreationen, verwandeln ausgemusterte Tischdecken in
Designerröcke oder drucken Frankfurt-Motive auf T-Shirts. Normalerweise
bekäme man für so etwas den Lokalpatriotismus aus dem Leib geprügelt. In der
Brückenstraßenversion sieht das Ganze aber prima aus. Ebenfalls bemerkenswert
ist die Drogenberatungsstelle, die mitsamt Inventar und Personal komplett in den
70ern stehen geblieben ist. Die Deko unterscheidet sich kaum von den RetroDesignerläden. Wir haben dort noch nie jemanden ein- oder ausgehen sehen, aber
angeblich gibt es ein gut funktionierendes Methadonprogramm.
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FLOHMARKT, Schaumainkai, Sachsenhäuser Ufer, immer samstags — Der
Flohmarkt wirkt wie ein Hort des Chaos und der Anarchie, aber insgeheim folgt
hier alles einer strengen Ordnung. Die Migranten verkaufen Klamotten, DVDs
und Elektrogeräte, während die Einheimischen Kochtöpfe und Gartenzwerge im
Angebot haben und dafür Preise verlangen wie bei einer Kunstauktion. Und wenn
man versucht, mit ihnen zu feilschen, machen sie immer so ein deprimiertes
Gesicht. Es sind immer eine Menge schräger Vögel unterwegs, allein aus dem
Grund lohnt es sich schon, hierher zu kommen.
ALBANERHAUS, Hedderichstr. 43 — Bei dem „Albanerhaus“ handelt es sich um
ein ca. zehnstöckiges Gebäude direkt am Bahndamm, das eine kleine, in sich
geschlossene Welt bildet. Unten in dem Haus befindet sich eine Kneipe namens
„Stolpereck“, die nur von Bewohnern des Hauses besucht wird. Wir haben einmal
versucht, dort ein Bier zu bestellen, konnten uns aber mit niemandem verständigen.
Außerdem gibt es in dem Haus noch eine Pizzeria, den Erotikladen „Erodis“, sowie
die Gaststätte „Pudelkönig“, die mit einer Art Kegelbahn ausgestattet ist. Man
sieht, das Albanerhaus bietet einem alles, was das Herz begehrt. Allerdings ist es für
Außenstehende beinahe unmöglich, in diesen Mikrokosmos einzudringen.
HOTEL AM BERG, Grethenweg 23 — Wer in diesem psychedelisch anmutenden
Märchenschloss am Sachsenhäuser Berg übernachtet, fühlt sich unweigerlich wie
der Protagonist aus einer Edgar-Allan-Poe-Geschichte. Wir wissen nicht, warum
bei den Ölporträts der Familie, die im Foyer hängen, bestimmte Körperteile
durchstochen sind, aber wir finden es verdammt gruselig. Dafür sind die geräumigen Zimmer vollgestopft mit original 50er-Jahre-Mobiliar, hinter dem man sich
verstecken kann, wenn man in der Nacht seltsame Geräusche hört.
BORNHEIM / NORDEND
enn man im Zentrum Frankfurts überhaupt von einer „armen“ Gegend
sprechen kann, dann kommt das hier wohl am ehesten ran. Aber wenn
man den Vergleich mit dem Rest der Welt hat, fällt es schwer, wirklich Mitleid
mit den Leuten aus dem Nordend und aus Bornheim zu empfinden. Die beiden
Stadtteile haben die selben idyllischen schmalen Gassen, geschützt gelegenen
Spielplätze und das selbe zufriedene Grundgefühl wie der Rest von Frankfurt.
Hier herrscht noch die gute alte Zeit, und wenn ein Kind ein Stück Papier fallen
lässt, tauchen wie aus dem Nichts verantwortungsvolle Erwachsene auf und bringen ihnen die Werte bürgerlicher Selbstachtung bei.
Aber selbst diese relative Armut wird von der Berger Straße gleich wieder
wettgemacht. Sie gleicht einer gigantischen Arterie, die das Blut der Kultur vom
Herzen Frankfurts in die Organe Nordend und Bornheim pumpt. Sie ist die
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längste und schönste der Haupteinkaufsstraßen der Stadt. Gleich einer wirklichen
Ader verjüngt sie sich gegen ihr Ende hin den Hügel hinauf und wird zu einer Art
Dorfpfad. Die dörfliche Vergangenheit des Nordends ist rund um das Fünffingerplätzchen noch deutlich zu spüren. Man wäre nicht sonderlich überrascht,
wenn jemand Milch aus einem großen Bottich verkaufen wollen würde.
Essen und Trinken
LEBENSFREUDE PUR, Mainkurstr. 19 — Vermutlich eine der kleinsten und
dunkelsten Kneipen der Welt. Die Chefin gehört zu den Anführerinnen der
lokalen „Anti-Nichtraucherschutzgesetz-Bewegung“. Sehr sympathisch. Der Rest
schwebt irgendwo zwischen total verranzt und in die Jahre gekommene
Eckkneipe ohne nervige Attitüde. Länger geöffnet als jeder andere Laden in der
Gegend, deshalb treffen sich hier alle anderen Kneipenbesitzer, nachdem sie zu
gemacht haben, um einen Absacker zu trinken und auf dem Tresen einzuschlafen.
Ein besseres Qualitätsmerkmal kann es eigentlich nicht geben.
CAFÉ KANTE, Kantstr. 13 — Das „Café Kante“ ist der beste Ort der Welt, um
verkaterte Sonntagvormittage wieder mit Sinn zu füllen. Nur eine Spuckweite
entfernt von den Mainstream-Bistros der Berger Straße, in denen sich die
ahnungslosen Zugezogenen das Geld aus der Tasche ziehen lassen, feiert der
Bornheimer Bohemien hier bei Cappuccino und Käsetörtchen das Leben, schnorrt
sich von gescheiterten Schriftstellern die FAZ oder gräbt naive Lehramtsstudentinnen an. Über allem wacht Thomas Bernhard. Der hängt über der Theke
an der Wand und weiß ganz genau, dass das ganze Scheißleben eigentlich doch
für’n Arsch ist. Angesichts des spartanischen, aber doch ausgezeichneten Frühstücks kann man diesen Pessimismus aber nur schwerlich teilen. Brötchen, frische
Kaffeebohnen und Kuchen gibt es auch zum Mitnehmen.
CAFÉ GRÖSSENWAHN, Lenaustr. 97 — Eine perfekte Fallstudie, wenn man
herausfinden will, was eigentlich aus der 68er-Generation geworden ist. Nachdem die Rebellion irgendwie im Sande verlief, sitzen die in die Jahre gekommenen
Gutverdiener hier in ihren lila Hemden, die sie aus irgendeinem Grund für
topmodern halten, schlürfen Rosé und debattieren mit dem kauzigen Wirt über
das Wahlprogramm der Grünen. Aber eines muss man ihnen lassen: Auch wenn
wir die meisten von ihnen für ziemliche Versager halten, wissen sie immerhin, wie
man ein anständiges Steak zubereitet und auch die Nachspeisen hier gehören zu
den angenehmeren Hinterlassenschaften dieser Bewegung.
MAMPF ODER IN THE MOOD FOR JAZZ, Sandweg 64 — Niemand weiß, ob
dieser Laden jetzt „Mampf“ oder „In the Mood for Jazz“ heißt, weil beide
Schilder über der Tür hängen, aber das ist eigentlich egal, denn eine Bar, über die
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die Frankfurter Rundschau einmal geschrieben hat: „Hier treffen sich die
Gescheiterten und vom Leben Verbrannten“, sollte jeden mit den Tücken des
großstädtischen Lebens vertrauten Menschen einen gewissen Respekt abverlangen. Außerdem ist der Laden so was wie eine Legende. Es kann zwar sein, dass
man hier seinen alten Kunstlehrer an der Theke zusammenbrechen sieht, dafür
gibt es dreimal die Woche großartige Konzerte mit genialen Jazzmusikern, die
kein Schwein kennt, weil die Welt auch in Frankfurt einfach nicht gerecht ist.
Aber darüber sollte man sich lieber nicht zu lange Gedanken machen, sonst wird
man irgendwann Stammgast im „Mampf“ oder „In the Mood for Jazz“, oder wie
auch immer der Laden heißt.
BEST WORSCHT IN TOWN, Berger Str. 80 (auch im Westend: Grüneburgweg
37) — Der Typ, dem diese Currywurst-Bude gehört, ist ein ehemaliger „Robinson
Club“-Animateur oder so was. Deswegen hat er eine Million dummer Sprüche,
die er dir um die Ohren haut, während du auf seine ultrascharfe Currywurst
wartest. Weil seine Currywurst aber so verdammt gut ist, dass selbst bei Eisregen
und Windstärke 8 eine riesige Schlange vor seiner Bude ansteht, um sich das Maul
zu verbrennen, hat er mittlerweile auch Millionen von Euros auf dem Konto.
Deswegen hat er vor kurzem eine weitere Wurst-Dependance auf der Berger
Straße aufgemacht. Da arbeiten jetzt ein paar alte Animateur-Kollegen, die er
noch von Malle kennt, und sorgen dafür, dass auch in Bornheim jede Menge
Leute morgens mit lodernder Rosette aufwachen. Es kann keinen Zweifel geben,
dass es sein Ziel ist, ein Imperium von Currywurst-Buden und dummen Sprüchen
aufzubauen und dann die Weltherrschaft zu übernehmen.
DESTINO, Habsburgerallee 9 — Etwas prätentiöse Tapas-Bar mit eigenem DJ
und Happy Hour von 18 bis 19 Uhr. Das ist ohnehin die beste Zeit, um hier ein
paar Mojitos wegzukippen und etwas von der köstlichen Knoblauchwurst mit
Käse zu probieren. Danach kommen nämlich die ganzen Broker von der Arbeit,
um hier aktuelle Aktienkurse zu diskutieren, und wenn man dann die gängigen
Handzeichen für „Halten“, „Kaufen“ und „Verkaufen“ nicht kennt, könnte es
schwierig werden, einen Drink zu bestellen.
ICH WEISS, Rothschildallee 34 — Der Besitzer des „Unity“ hat hier ein kleines
Restaurant aufgemacht, das an schlichter Eleganz und Stil kaum zu toppen ist.
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(l-r) Foto von Holger Menzel, Foto von Daniel Stevanovic
BLUMEN, Rotlintstr. 60 — Ganz kleine, minimalistisch eingerichtete Mischung
aus Restaurant und Bar. Das Essen ist wirklich großartig und man kann sich aus
verschiedenen Köstlichkeiten ein Menü zusammenstellen. Die Auswahl ist zwar
äußerst begrenzt, aber so kann man wenigstens nix falsch machen. Da es genauso
wenig Tische wie Gerichte gibt, sollte man besser reservieren. Das wurde uns
zumindest gesagt, aber vielleicht wollten die sich auch nur wichtig machen.
Die Cocktailkarte hat den Umfang eines epischen Romans und das Essen ist so
gut, dass dein Magen den freundlichen Koch am liebsten mit nach Hause nehmen
würde. Die Einrichtung ist komplett in weiß gehalten, was den angenehmen
Nebeneffekt hat, dass dein Geist vom Schmutz der Großstadt befreit und als
reines, unschuldiges Wesen wiedergeboren wird, ein bisschen wie in der finalen
Szene von 2001 — Odyssee im Weltraum.
NUMMER 16, Wiesenstr. 52 — Ausgestopfte Wildschweine an der Wand,
umrahmt von Knoblauchgirlanden und Staub: Stilvoller kann eine Kneipe kaum
aussehen. An der Theke steht Luigi und schüttet die Gläser randvoll. Maßlos sind
auch die Portionen der Gerichte. Falls ihr nicht wissen solltet, was sardische
Küche bedeutet, dann könnt ihr hier erfahren, dass es sich dabei um die fettsüchtige und alkoholkranke Schwester der italienischen Küche handelt, was
soviel heißt wie Spanferkel, Schafskäse statt Parmesan, Schnaps, Schnaps,
Schnaps und sehr, sehr viel Knoblauch.
Shopping und anderes
LUCKY STAR RECORDS, Heidestr. 152 — Ein winziger, aber sehr funkiger
Platten- und Modeladen in einer Seitenstraße in Bornheim, in der man so was
eigentlich am wenigsten erwarten würde. Die recht sonderbaren Schallplatten
erinnern an 60er-Jahre Science Fiction, aber der Killer ist das Krümelmonsterkostüm im Schaufenster. Es ist groß genug für ein Kind, oder für Kylie
Minogue, und wir möchten uns kaum vorstellen, wie atemberaubend Kylie in
einem solchen Kostüm aussehen könnte.
GATE05, Berger Str. 46 — Frankfurt hat nicht nur den größten, tollsten und
protzigsten Flughafen weit und breit, es gibt hier sogar Geschäfte, die nichts
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anderes machen, als Accessoires zu verkaufen, um das Fliegen angenehmer zu
machen. Du hast richtig gehört: Hier gibt es Schlafmasken, aufblasbare Kissen und
Kotztüten, in allen erdenklichen Designs. Falls du also fleißig Flugmeilen sammelst
oder dich einfach schon immer mal in eine psychedelisch gemusterte, rosa
Papiertüte mit Blümchen drauf übergeben wolltest, dann bist du hier goldrichtig.
HEIMSPIEL, Wittelsbacherallee 59–61 — Designshop, Galerie und Agentur in
einem: Hier werden die Arbeiten von jenen Frankfurter Kunststudenten vertickt,
die noch nicht weltberühmt sind, aber eben auch nicht komplett unfähig. Wenn
du dir mal anschaust, was die Städelschule in letzter Zeit an erfolgreichen
Künstlern ausgespuckt hat, wirst du merken, dass solche Kunst eine prima
Geldanlage sein kann und manchmal sogar ganz gut aussieht. Für alle Fälle gibt’s
hier auch noch ein paar Designklassiker, wie die Sidechairs von Eames.
MYTHOS, Höhenstr. 20 — Sympathischer 2nd-Hand-Musikladen gleich um die
Ecke von der Berger Straße. Vor allem im Bereich der psychedelischen Musik hat
dieser Shop einiges zu bieten, was zum einen den Namen und zum andern den
irren Blick des Besitzers erklären könnte. Wir haben dort auf jeden Fall schon eine
Menge Krautrock-Platten gekauft, die wir wahrscheinlich niemals hören werden,
aber wir sind schon glücklich damit, uns hin und wieder die Cover anzuschauen
und jedes Mal etwas neues darauf zu entdecken.
LAND IN SICHT, Rotteckstr. 13 — Ein etwas abseits gelegener, aber liebevoll
geführter Buchladen, dem es dank treuer Stammkundschaft weitgehend gelungen
ist, sein Sortiment frei von Groschenromanen und Ratgeberramsch zu halten.
Literatur, Lyrik, Theorie — was es hier gibt, entscheidet der Besitzer und nicht die
Bestsellerlisten. Ab und zu finden auch Lesungen und Diskussionen statt, wo
gesättigte Altlinke über Kritische Theorie, Martin Walser oder Bob Dylan streiten
dürfen, bis ihnen der Kopf explodiert.
MAL SEHN, Aderflychtstr. 6 — Das schnuckelige „Mal Sehn“ Programmkino
überzeugt nicht nur durch stilsichere Filmauswahl und korrekte Preise,
sondern ist dank dem zugehörigen Café auch der ideale Ort, um mit
verschrobenen Cineasten, die 20 Jahre Filmwissenschaft studiert haben und
jetzt als Kellner arbeiten, darüber zu streiten, ob Truffaut nicht doch der
bessere Nouvelle-Vague-Regisseur war oder was Lost Highway uns auf der
Metaebene eigentlich sagen will.
BERGER KINOS, Berger Str. 177 — Falls im „Mal Sehn“ wieder nur langweilige
Autorenfilme aus den 70er Jahren laufen, dann sind die „Berger Kinos“ die erste
Alternative. Als Einzige in Frankfurt besitzen sie einen dieser großartigen 3DDigitalprojektoren, die unsere Vorstellungen vom Kino revolutionieren werden,
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aber erst, sobald es jemand geschafft hat, mit dieser Technik einen Film zu
produzieren, in dem es nicht um den Grand Canyon oder um Blauwale geht.
GÜNTHERSBURGPARK — Der Günthersburgpark ist von der Atmosphäre
nicht ganz so familiär wie der Grüni im Westend (was nicht heißen soll, dass es
hier keine Drogen gibt), aber dafür ist er etwas überschaubarer und gespickt mit
aufregenden Attraktionen. Es gibt eine Rollschuhbahn, einen Boule-Verein, im
Sommer Wasserspiele und ein Schachspielerhäuschen (da müsst ihr hin, zwinker
zwinker). Ein wirklich reizender Park für die ganze Familie.
PANORAMABAD, Inheidener Str. 60 — Eigentlich ein ganz nettes Hallenbad mit
Außenbereich und glänzendem Ausblick auf die Stadt (daher der Name). Einziger
Haken an der Sache sind die Bewohner des Plattenbauhochhauses gegenüber, die
immer in Scharen ins „Panoramabad“ strömen, wenn man ihnen wieder das
warme Wasser zum Duschen abgestellt hat. Wundere dich also nicht, wenn du
dort selbst im tiefsten Winter seltsame Gestalten mit Shampoo, Handtuch und
Badehose über die Straße gehen siehst und lass dir statt dessen in einem der
Whirlpools die Genitalien massieren.
VIDEO CITY, Sandweg 66 — Wenn es im Himmel eine Videothek gibt, ist das
ihre Frankfurter Filiale. Wir haben verdammt lange gebraucht, um einen Film zu
finden, den sie nicht hatten. Als wir uns dann danach erkundigten (es handelte
sich um eine schlechte RTLII-Doku über Krokodile), waren sie total peinlich
berührt und hatten ihn eine Woche später im Programm. Bei „Video City“ gibt es
Autorenkino alphabetisch sortiert, ein Regal mit Hollywoodfilmen in
französischer Sprache und Chuck-Norris-Streifen, von denen selbst Chuck Norris
nicht mehr weiß, dass er sie mal gedreht hat. Unfassbar.
WESTEND
isschen langweilig. Gemütlich. Ruhig. So wird das Westend oft beschrieben.
Und ruhig ist es auf jeden Fall. Viele der engen Straßen haben eingebaute
Straßenschwellen und Warnschilder zur Geschwindigkeitsbegrenzung. Das
Westend ist das Nirwana der Menschen mittleren Alters — sie denken, dass, im
Schatten des Hauptsitzes der Deutschen Bank zu leben, ausreicht, damit ihre
Renten und Lebensversicherungen auf ewig Bestand haben. Wahrscheinlich
haben sie recht. Man muss sich einfach sicher fühlen, wenn eine der größten
Investmentbanken der Welt über einen wacht, während man schläft.
Die Geschichte des Westends verleiht diesem spektakulären, würdevollen
Wohlstand eine gewisse Noblesse. Das Land, auf dem Frankfurts erster
Wolkenkratzer, das Zürich-Hochhaus, gebaut wurde, gehörte der Rothschild
Dynastie. Die Rothschilds sind ein gutes Sinnbild für Frankfurt schlechthin —
B
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wohlhabend, erfolgreich und liberal. Kein Wunder, dass alle sie hassten. Die
antisemitischen Massen beschuldigten sie aller erdenklichen Abscheulichkeiten —
vom Satanismus bis hin zur geheimen Unterstützung der NATO.
Langweilig ist das Westend nicht. Zumindest war es das in den siebziger Jahren
nicht. Die aus dem Boden schießenden Wolkenkratzer waren einigen unter den
aufmüpfigeren Studenten der Frankfurter Uni ein Dorn im Auge. Diese
intellektuellen Hooligans (darunter Joschka Fischer) lieferten sich mit der Polizei
Schlachten wegen der Wohnraumvernichtungspläne der Regierung. Das Ganze
geriet außer Kontrolle: Ein paar tolle Gebäude wurden gerettet, ein halbfertiger
Wolkenkratzer wurde eine Nacht lang in Flammen gesetzt und 35 Jahre später
denken viele deutsche Versagertypen immer noch, dass es ein politisches Statement sei, seine Miete nicht zu bezahlen.
Personal die Intelligenz des ehemaligen Stammgastes nicht mitgepachtet, aber die
müssen wir ja auch nicht essen. Die Torte kann man sich einpacken lassen.
Essen und Trinken
IG-FARBEN-CASINO, Grüneburgplatz 1 — In der Mensa des neuen UniCampus gibt es wie in jeder Mensa riesige Portionen für wenig Geld, die aber
eben auch in riesigen Kochtöpfen für riesige Menschenmassen zubereitet werden.
Oder liegt es doch an der Architektur, dass Individualismus hier ein Fremdwort
ist? In jedem Fall gibt die pompöse Nazi-Ästhetik des IG-Farben- …
Entschuldigung … Poelzig-Baus dem Ganzen einen bitteren Beigeschmack, auch
wenn die Riesenburger für drei Euro durchaus passabel sind. In letzter Zeit
werden hier übrigens zunehmend auch Banker gesichtet. Müssen wir uns
vielleicht doch langsam Sorgen um unsere Wirtschaft machen?
CAFÉ LAUMER, Bockenheimer Landstr. 67 — Dieses Café ist eine echte
Institution im Westend und schon Theodor W. Adorno lungerte lieber hier herum,
als auf der Betonwüste des Bockenheimer Campus. Im „Laumer“ schimpfte er
über den universellen Verblendungszusammenhang und aß dabei köstliche
Sahnetorte, woraufhin sich das Leben vermutlich gleich ein wenig richtiger
anfühlte. Heute ist einer der unspektakulärsten Plätze Frankfurts nach ihm
benannt und die Sahnetorte im „Laumer“ gibt’s immer noch. Leider hat das
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SURF AND TURF, Grüneburgweg 95 — Ein weiteres, absolut köstliches und
unbezahlbares Restaurant. Es sieht dort aus wie im Keller eines exzentrischen
russischen Millionärs, der Bilder von Marineschiffen sammelt, aber sie servieren
das beste Steak der Stadt.
(l-r) Foto von Holger Menzel, Foto von Gerburg Klaehn, Foto von Benjamin Seibel
SOUPS ETC., Parkstr. 1 — Bei flüssiger Nahrung denkt ein durchschnittlicher
Student natürlich zunächst an Bier. Und da der durchschnittliche Student
darüber hinaus schon längst kein Körnerfresser mehr ist, sondern ein
zielstrebiger und ökonomisch handelnder Jungunternehmer, könnte einem die
Idee, eine Bio-Suppenküche in Uninähe aufzumachen, wie ein doppelter Griff
ins Klo vorkommen. Die Tatsache, dass dieses Konzept trotzdem aufgeht, ist
von daher allein dem grandiosen Serrano-Sandwich mit Pesto geschuldet, das
dir hier für 3,60 vor deinen Augen von reizenden jungen Damen frisch
zubereitet wird.
LA SCUDERIA, Feuerbachstr. 23 — Während das wahrscheinlich beste kalabrische Restaurant der Region zu beschäftigt damit war, Albert Speer Jr. zu
bekochen, hat das schlaueste Restaurant der Stadt ihnen den Koch geklaut. Jetzt
kann man köstlichen Hummersalat, hervorragenden Thunfischtatar, eine
atemberaubende Auswahl an Fleisch und Fisch und das bahnbrechende
Schokoladensoufflé in gemütlichem und diskretem Ambiente genießen, ohne
extra nach Neu-Isenburg zu fahren und dabei alle fünf Minuten aus dem Fenster
zu kotzen, weil der Döner aus der letzten versoffenen Nacht anfängt, sich mit
deinem Magen auf Chinesisch zu unterhalten.
PIZZERIA QUATTRO STELLE, Grüneburgweg 79 — „Italienische Gerichte von
mexikanischen Küchen zubereitet sind keine Spezialität“, ließ uns Pauli im
sechsten Teil von Rocky wissen. Aber italienisches Fast Food von Immigranten
aus dem Maghreb ist da ja wohl was völlig anderes. Die einzige Pizzeria im
Stadtgebiet, die mit dem Bockenheimer „Da Cimino“ mithalten kann und als
unschlagbaren Vorteil einen Lieferservice bietet. Wem das jetzt alles zu hoch ist,
300 Meter den Grüneburgweg runter gibt es auch noch die Pizzeria „Tre Stelle“.
KING KAMEHAMEHA SUITE, Taunusanlage 20 — Frankfurts Schicki-Club hat
nach einer Dependance auf Mallorca und dem „Beach Club“ in Offenbach jetzt
also noch eine „Suite“ eröffnet. Sie wollten uns erst gar nicht reinlassen, weil wir
Turnschuhe anhatten, aber wir wedelten mit einem gefälschten Presseausweis und
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erzählten ihnen, wir wären vom Michelin-Führer und sie sollten jetzt mal besser
die Fresse halten. In diesem Marmorpalast befinden sich zwei Restaurants und
vier Bars auf zwei Etagen und die Inneneinrichtung hat wohl mehr Geld
verschlungen, als die aller anderen Bars in Frankfurt zusammen. Der Laden ist
auf jeden Fall gut fürs Ego. Wenn man hier sitzt und seinen Sekt schlürft, hat man
sofort das Gefühl, in den oberen Zehntausend der Gesellschaft angekommen zu
sein. Schade, dass wir uns kein weiteres Gläschen leisten konnten.
Shopping und anderes
FIFTY EIGHT.S, Kronberger Str. 19 — Dieser Laden dürfte für das ganze
Westend repräsentativ sein: hübsch, exklusiv und nicht billig. Hier stattet sich die
Frankfurter Schickeria mit den neuesten Kollektionen internationaler TopDesigner aus und Filmstars, Manager und Millionärstöchter geben sich die Klinke
in die Hand. Dafür kommt der Laden aber angenehm bescheiden daher, zudem
gibt es eine kleine Terrasse, wo du bei einer Tasse Kaffee wieder etwas zur Ruhe
kommen kannst, wenn dir nach einem Blick auf die Preisschilder schwindelig
geworden ist.
PALMENGARTEN , Siesmayerstr. 61— Man könnte meinen, so ein botanischer
Garten ist nur was für alte, gebrechliche Menschen, aber weit gefehlt, die Hälfte
der Besucher hier sind bekiffte Studenten, die auf einem Tretboot über den
kleinen Teich schippern und sich mit Seerosen unterhalten. Der Palmengarten ist
echt ’ne coole Sache und an der Nordseite kann man ziemlich leicht über den
Zaun klettern, wenn man mitten in der Nacht eine Partie Minigolf spielen will.
Einmal im Jahr findet dort das Rosen- und Lichterfest statt, ein Fest der Liebe,
bei dem Tausende von Teelichtern auf dem Gras verteilt werden und das
normalerweise kurz nach Mitternacht mit einem Feuerwerk und einer wüsten
Schlägerei endet.
GRÜNEBURGPARK — Wie so vieles im Westend haben wir auch diesen Park
direkt neben dem Palmengarten den Rothschilds zu verdanken. Den südlichen
Teil des Parks teilen sich Fußballer mit Qigong-Freaks und spielenden
Kindern. Wenn du der großen Rauchwolke bis zum Parkcafé folgst, wo es Eis
und Schokolade gibt, dann bist du auf der Kifferwiese angelangt. Hier
gammeln alle vor sich hin, klampfen Gitarre oder schauen dem Gras beim
wachsen zu. Halt dich fern von zwielichtigen Gestalten und geh gleich zu den
freundlichen Rasta-Jungs, sie könnten dir vielleicht weiterhelfen. Ebenfalls
erwähnenswert für Spanner oder Nudisten ist die FKK-Wiese noch weiter im
Norden, wo du dir im Sommer die Arschbacken versengen kannst, allerdings
umgeben von einer Menge anderer Arschbacken, die du vielleicht gar nicht aus
der Nähe sehen willst.
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WWW.ROBERT-JOHNSON.DE
dank an zoe
LUV, Herrnstr. 36 — Mit ein wenig Glück bekommt man hier ein köstliches Mahl
von einem metrosexuellen Hooligan gekocht, der in dieser gemütlichen Bar im
Herzen Offenbachs gerade seine Ausbildung macht. Wenn nicht, kann man
immer noch die ganzen Möchtegern-J.-Lo’s hinter der Theke auschecken, die von
einer Karriere bei Deutschland sucht den Superstar träumen und sich einen
darauf runterholen, während sie an ihrer Performance feilen.
CABANA, Domstr. 39 — Wow, dieses Restaurant ist immer total überfüllt, und
wir haben keine Ahnung, wieso! Serviert wird sogenanntes „Mexican Food“, das
wie altes Fett schmeckt— nicht nach mehr und nicht nach weniger. Die
Einrichtung ist klischeehaft und abstoßend bis zum Gehtnichtmehr, genau wie die
Gäste. Am liebsten möchte man hier wie Begbie sein leeres Bierglas in die Menge
feuern — es ist quasi unmöglich, nicht die richtige Person zu treffen. Zu blöd, dass
man nicht oben sitzen kann.
MORAL, Berliner Str. 175 — Dieser Laden ändert ständig seinen Namen und
niemand weiß so recht, warum. Von daher heißt er inzwischen vielleicht wieder
anders, was ja auch nicht unbedingt zu bedauern wäre. Eigentlich ein wirklich
netter Ort, mit einer separaten Raucherlounge und DJs, die alles geben, was sie
haben (das ist ehrlich gesagt nicht besonders viel, aber sie geben sich wirklich
Mühe). Und dann gibt es noch diese blonde Barfrau … du wirst wissen, wen wir
meinen, wenn du dort bist. Das einzig Schlechte an dieser Bar ist: Außer dir wird
dort niemand sitzen.
RAUS AUS DER STADT
Rein ins Vergnügen
OFFENBACH
h du unser Offenbach, Weltkulturerbe des Waschbetons, Stadt der höchsten
Kneipendichte, oh du ehemalige rote Hochburg, die du als letzte die Freiheit
gegen den Hitlerismus verteidigt hast und doch als Ort für die Lohwald-Siedlung,
das totalitaristische Sozialexperiment der Nachkriegszeit par excellence, ausgewählt wurdest. Du Hüterin des Bermuda-Dreiecks (Strandbus — Tarnkappe —
Wundertüte, das Areal mit den meisten mysteriösen Abstürzen der 70er und 80er
Jahre), du Wurmfortsatz Frankfurts, du Bollwerk gegen Hessisch-Uganda,
110.000 Menschen „Ohne Ferstand“ können nicht irren. Wir danken dir für die
schlechtesten Autofahrer der Welt und insbesondere für die höchste Pro-KopfVerschuldung des Landes, die uns Frankfurter noch reicher aussehen lässt, als wir
es ohnehin schon sind. Danke.
O
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Foto von Gerburg Klaehn
WHITE ELEPHANT, Ludwigstr. 45— Die Kellnerin in diesem indischen Restaurant ist derart freundlich, dass man sich nicht sicher sein kann, ob sie verrückt ist
oder einfach täglich eine Menge Antidepressiva frühstückt. Sobald man es sich aber
erstmal bequem gemacht hat und einen der exquisiten Mango-Lassis schlürft, während auf der Leinwand Bollywoodfilme nach Wunsch gezeigt werden, ist es auch
egal, ob die Lady einem noch schnell in das köstliche Massaman-Curry spuckt,
bevor sie es mit einem wahnsinnigen Grinsen serviert.
TRATTORIA DA LUCIANO, Berliner Str. 175 — In diesem italienischen
Restaurant, das offenbar vom Flair der toskanischen Unterschicht inspiriert
ist, kann man fünf Tage in Folge das gleiche Gericht bestellen — es wird nie
langweilig, da man jedes Mal etwas anderes bekommt. Schmecken tut es zum
Glück immer. Die Kellner sind diese typischen kleinen Italiener Mitte 30, die
versuchen mit deiner Freundin zu flirten. Falls du auf Barpiano-Musik stehst,
solltest du mittwochs herkommen. Allen anderen sei dann der Take-AwayService empfohlen.
HAFEN2, Hafen 2a — Unglücklicherweise wird dieser relaxte Laden, der im
Sommer auch einen hübschen Außenbereich aufzuweisen hat, dieses Jahr noch
schließen. So wird Offenbach einen der nettesten Clubs für elektronische Musik
verlieren, wo die Leute zudem noch gut drauf sind und es niemanden interessiert,
was deine Hose gekostet hat. Die Frau an der Garderobe ist vielleicht die
freundlichste von allen Garderobenfrauen im Geschäft. Check das Programm und
wenn du eine Veranstaltung namens „We Are You“ siehst, solltest du dich
umgehend auf den Weg dorthin machen.
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MTW, Nordring 131 — Hier kann man die Teenagerhormone förmlich riechen.
Falls du auf der Suche nach Erstsemesterinnen bist, die ganz frisch in der Stadt
und noch so unschuldig sind, dass sie dich nach dem ersten Kuss gleich ihren
Eltern vorstellen wollen, dann ist dieser Laden an einem Mittwoch genau das,
was du suchst. Vorausgesetzt du erträgst 80er-Mucke und aktuelle Radiohits.
Wenn dir der Sinn eher nach Techno und dem Einsammeln von Drogenwracks
steht, kannst du auf die monatlichen „Home“-Partys gehen, wo jedes Mal andere
DJs auflegen. Aber verschwinde bloß bevor die ersten Sonnenstrahlen diesen Club
mit Tageslicht füllen, sonst wird dir schmerzhaft bewusst werden, wen oder was
du da eigentlich gerade mit nach Hause nehmen willst.
ROTARI, Berliner Str. 50-52 — Im „Rotari“ verlebt man entspannte Abende mit
gepflegter elektronischer Beschallung durch DJs, Live Acts und exotische
Soundsysteme … dazu literweise Bier zu humanen Preisen, und wenn man aus
den Fenstern schaut, gibt’s gratis wahnsinnig interessante visuelle Exkursionen in
das Kleinkriminellentum der Jugendlichen mit Migrationshintergrund am
Offenbacher Marktplatz. Superwarmup mit Local Deejays als perfekter Einstieg
in die Nacht mit den üblichen Verdächtigen, Daniel Herrmann, Tanja Harde und
natürlich die Macher, Andrea und Alex.
ROXI, Maindamm, gegenüber dem Isenburger Schloß—Wie eröffnet man den
coolsten Club in Offenbach? Ganz einfach, man mietet eine ehemalige öffentliche
Toilettenanlage gegenüber vom Main, nennt sie „Roxi“ und lädt seine Freunde ein.
Und auf einmal hast du den kleinsten, kuscheligsten und schwitzigsten Club, den
man jeden Mittwoch im Sommer besuchen kann. Untermauert wird dieser Ruf
durch legendäre Auftritte wie die der Boy Group oder den der Boston Rave Queens.
Klingt alles nach pseudointellektueller Kunstwichserscheiße, ist aber wirklich gut.
WIESBADEN
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Foto von Pascal Schönlau
SKIN ART TATTOO, Aschaffenburger Str. 23 — Dieses Tattoostudio befindet
sich in Offenbach-Bieber — schlimm genug. Aber im Gegensatz zu all den furchtbaren Offenbacher Tattooshops, die dir ein billiges Porträt deiner Mutti
tätowieren können, ohne dass du sie erkennen würdest, handelt es sich hier um
ein echtes Juwel, vor allem was japanische Tätowierkunst angeht. Frag nach
Mirko oder Jacek und du wirst hinterher keinen Grund haben, zu jammern.
KOSMETIKSALON, Nordend — Ein idealer Wellness-Ort für Pärchen, denn
sowohl Frauen als auch Männer bekommen hier eine ausgezeichnete Behandlung.
Allerdings auf unterschiedliche Art und Weise. Da sich im Hinterzimmer dieses
Schönheitssalons noch ein Bordell versteckt, kann er sich genüsslich einen
Blowjob abholen, während sie sich in aller Seelenruhe eine Gesichtsmaske
auftragen lässt. Und danach geht es heim aufs Sofa und kuscheln. Wie einfach das
Leben doch manchmal sein kann.
ährend jeder Frankfurter bereits im Kindesalter eingetrichtert bekommt,
dass Offenbacher böse sind, stinken und ihren Führerschein beim Hütchenspiel gewonnen haben, hat in der Mainmetropole kaum jemand eine
Meinung zu Wiesbaden. Das gut eine halbe Stunde entfernte, blitzsaubere
Kurstädtchen ist den Frankfurtern so ziemlich egal. Die Jungs erfahren meistens
zum ersten Mal von der Existenz dieser Stadt, wenn sie zur Musterung dorthin
beordert werden, und die Mädchen wollen von ihr generell nichts wissen, denn
sie haben natürlich nur Party und Shopping im Kopf und beides macht in
Wiesbaden, zumindest für Frankfurter, keinen Sinn. Wer jedoch von
Hochhäusern, Abgasen und After-Work-Lounges für einen Moment die Schnauze
voll hat, sollte sich ernsthaft überlegen, der Landeshauptstadt mal einen Besuch
abzustatten. Wiesbaden riecht nicht nur gut, sondern ist auch so scheiße pittoresk, dass selbst ein durchschnittliches Reihenhaus dem gemeinen Frankfurter
vorkommen muss wie ein historisches Artefakt aus einer längst vergessenen Zeit.
Die salzhaltigen Thermalbäder geben deinen verteerten Lungenbläschen ihre
Lebensgrundlage zurück, das Neroberg-Panorama ist die perfekte Kulisse für
einen Heiratsantrag und außerdem befindet sich hier eine der strategisch wich-
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tigsten US-Airbases in ganz Europa. Selbst wenn du also ein verdammter Terrorist
bist, gibt es einen Grund, vorbeizuschauen.
SPIELBANK WIESBADEN, Kurhausplatz 1—Schlips tragende Manager mit sattem
Jahresgehalt trifft man in Frankfurt an jeder Pommesbude. Aber warum sieht man
in der Finanzhauptstadt Europas nur so selten mal einen von diesen uralten
Multimillionären, wie man sie aus dem Kino kennt? Ganz einfach, sie lungern alle in
der „Spielbank Wiesbaden“ rum und schieben dort ohne mit der Wimper zu zucken
die satten Jahresgehälter der Manager über grüne Filztische. Das direkt im
prachtvollen Kurhaus gelegene Kasino ist eines der eindrucksvollsten in Europa und
keine dieser Billig-Spielotheken, in denen thailändische Transvestiten und zerzauste
Schnapsleichen einarmige Banditen mit 50-Cent-Stücken füttern. Hier wird das
Glücksspiel noch angemessen zelebriert, also mit Krawattenpflicht, edlem Whiskey
und Zigarren. Die Einsätze sind entsprechend hoch, und die Autos auf dem
Parkplatz lassen einen durchschnittlichen Mercedes aussehen wie eine Kaulquappe.
Falls du kein Glück haben solltest, dann denk einfach an Dostojewski, der in diesen
heiligen Hallen sein gesamtes Vermögen verzockte und daraufhin in nur 26 Tagen
seinen besten Roman, Der Spieler, verfasste. Du siehst, hier kann man nur gewinnen.
KAISER-FRIEDRICH-THERME, Langgasse 38-40 — Wenn du von dem langen
Stadtbummel müde bist, solltest du vielleicht dieses majestätische ThermalSauna-Badeparadies in einem Palast am Ende der Fußgängerzone aufsuchen. Du
wirst dort noch hundertmal müder werden, aber gleichzeitig werden aus deinem
Körper all die todgiftigen Stoffe vertrieben, die sich an einem durchschnittlichen
Partywochenende so ansammeln. Wenn du glaubst, einen Punkt vollständiger
Erschöpfung erreicht zu haben, dein Kreislauf nur noch ein Häuflein Elend ist
und dein Herz fast aufgehört hat zu schlagen, dann hast du es fast geschafft.
Warte noch rund zehn Minuten, dann wirst du in eine Art Trancezustand
verfallen und die ganzen runzligen verschwitzten Rentner verwandeln sich in
bunte Schmetterlinge und Blumen. Eine wahrhaft übersinnliche Erfahrung.
NEROBERG — Wer generell zu bequem zum Laufen ist und trotzdem was erleben will, setzt sich einfach am Hauptbahnhof in den Bus der Linie 1 und fährt
durch bis zur Endstation. Dabei wird man nicht nur an einem Haufen langweiliger Sehenswürdigkeiten vorbeikutschiert, sondern landet am Ende auch bei der
Haltestelle Nerotal zu Fuße des spektakulären Nerobergs. Der Neroberg ist eine
Art Multifunktions-Ausflugsort für Opas, Hippies und kurdische Großfami-lien.
Das klingt schrecklich, schon klar, aber oben bietet sich einem bei gutem Wetter
nicht nur ein Blick bis ins Elsass, sondern auch das schönste Freibad mit dem
attraktivsten weiblichen Publikum, in das wir jemals einen Fuß gesetzt haben.
Und keine Angst, es gibt sogar ’ne Seilbahn, die bis nach oben fährt. Faule Ratte.
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CALIGARI FILMBÜHNE, Marktplatz 9 — Langsam solltest du gecheckt haben,
dass in Wiesbaden alles etwas hübscher und pompöser zugeht als im Rest der
Welt. Es ist ein wenig so, als ob wir noch in einer Monarchie leben würden, und
das fühlt sich großartig an. Das „Caligari“-Programmkino bildet hier keine
Ausnahme und ruft selbst unter den Sohlen deiner stinkenden Sneaker den Glanz
alter Ufa-Paläste wach. Programmtechnisch gibt’s hier Arthaus-, Indie- und
Autorenfilme bis dir der Kopf qualmt, im November auch komprimiert in Form
des großartigen Exground Filmfest.
SCHLACHTHOF, Gartenfeldstr. 57 — Das alternative Kulturzentrum am Hauptbahnhof ist für viele Kurgäste das Erste, was sie von Wiesbaden zu Gesicht
bekommen. Die so Verschreckten glauben dann, die Stadt sei ein mit Graffiti
besprühter Hort der Anarchie, an dem Punks, Indie-Kids und Skater zu
Gitarrenmusik mit Bier gurgeln.
CANAL DU MIDI, Blücherstr. 30 — Ein Paradies für Froschfresser und andere
frankophile Naturen. Über 100 Weine aus ganz Frankreich sind hier im Angebot,
plus die entsprechende Fachliteratur, die dir schlüssig erklärt, warum du
überhaupt 100 Euro für einen Cabernet Franc ausgeben solltest, obwohl es doch
im Supermarkt auch Cabernet für 1,99 gibt. Aber am besten einfach Probesaufen
an der zugehörigen Bar und gleich noch einen Elsässer Flammkuchen dazu. Falls
du schon im Kasino warst und jetzt plötzlich steinreich bist —Champagner haben
die hier auch.
NERO22, Nerostr. 22 — Etwas abseits der ausgetretenen Touristenpfade findet
sich dieser niedliche Shop, der eine Mischung aus Modeladen und Galerie ist.
Klamotten werden hier wie Kunstwerke präsentiert, die meisten davon durchaus
zurecht. Neben dem üblichen Streetwear-Gedöns findet man hier auch
Kollektionen von frischen Designerlabels wie Zebratod, Assozial DeLuxe und Le
Sucre. Samstags gibt es Nightshopping von 22 bis zwei Uhr und die aktuelle
Ausgabe von Vice war auch noch da. Also, keine Klagen.
SCHÖNSCHRÄG, Georg-August-Zinn-Str. 2 — Erinnerst du dich noch an die
Mini Playback Show, in der blasse, pummelige Kinder durch ein Zaubertor
geschickt wurden, um kurze Zeit später als aufgedonnerte Superstar-Verschnitte,
die wohl der feuchte Traum eines jeden Pädophilen waren, wieder
herauszumarschieren? „Schönschräg“ ist so was Ähnliches für Erwachsene, und
von daher uneingeschränkt empfehlenswert. Man kann sich die Haare schneiden
lassen oder von Kopf bis Fuß mit Desingerklamotten ausstatten, dazu haben sie
noch ein eigenes Modelabel, bringen ein Magazin heraus und ihre Homepage ist
ein riesiges Archiv von coolen Sachen, die man alle (bis auf die Frisuren) auch
online bestellen kann.
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ROBERT JOHNSON, Nordring 131 — Wenn du nur für eine Nacht am
Wochenende in Frankfurt bist und unbedingt feiern willst, dann geh in diesen
Club. Nachdem du es durch die etwas willkürliche Auswahl an der Tür geschafft
hast, wirst du wissen, warum. Handverlesene DJs von Ricardo Villalobos bis
Prins Thomas liefern hier nur das Feinste auf dem Gebiet der elektronischen
Tanzmusik, und zwar über eine der besten Anlagen des Landes. Dazu kommt eine
Dachterrasse mit großartigem Blick über den Main. Die entspannte Klofrau
interessiert es nicht, ob du die Toiletten dazu benutzt, wozu sie hier da sind, oder
ob du einfach nur pissen willst. Aber lasst die Digicams zu Hause — die Exzesse
hier sind privat.
COCOON, Carl-Benz-Str. 21 — Mit dem „Cocoon“ hat Sven Väth einen neuen
Standard in Sachen Stil gesetzt. Wer das erste Mal hier ist, steht normalerweise
erstmal einfach nur mit aufgerissenen Augen rum und staunt. Freitags TechHouse, Techno und Minimal mit illustren Gästen wie Villalobos/Hawtin, André
Galluzzi oder Karotte und alle zwei Wochen steht der Papst persönlich an den
Plattentellern. Samstags gibt’s House mit etwas hipperem Publikum und vor
allem die „Fake“-Partys sind eine einzige überdrehte Style-Explosion. Ebenfalls
ziemlich einmalig sind die beiden dem Club angegliederten Restaurants „Micro“
und „Silk“, unter Leitung des Michelinsternträgers Mario Lohninger, der extra
aus New York angekarrt wurde. Das „Micro“ ist ein à la carte-Restaurant, das
sich nach Mitternacht in einen zweiten Dancefloor verwandelt, im „Silk“ liegt
man auf weißen Ledersofas und bekommt ein Zehn-Gänge-Menü serviert, das
um Punkt acht beginnt und die meisten anderen Edelrestaurants wie eine ranzige
Pommesbude aussehen lässt. Sei besser pünktlich und vergiss die Reservierung
nicht, wir haben vor der Tür schon zu oft weinende Menschen sitzen sehen, die
keinen Platz mehr ergattern konnten.
DREI TAGE WACH
Party in Frankfurt
rankfurt ist Techno und Techno ist Geschichte. Das „Omen“ ist zu. Andere sind
immer noch so zu, dass sie davon nichts mitbekommen haben und feiern tapfer
Omen-Revival-Partys. Techno wird in Frankfurt konserviert, im „U60311“, im
„Tanzhaus West“, mithilfe einer Menge Chemie. Aber Frankfurt kann mehr, viel
mehr. Internationaler Chic trifft hier auf Geld und Drogen—eine explosive
Mischung. Wie du weißt, ist Spaß käuflich und die Bilanzsumme der hier ansässigen
Deutschen Bank höher als das Bruttoinlandsprodukt von ganz England. Klar wanken hier eine Menge geltriefender Yuppies über die Tanzfläche, schlürfen abartig
teure Cocktailkreationen und ziehen kokaingeschwängerte, aufgedonnerte Trullas
hinter sich her. Aber wenn dich das daran hindert, Spaß zu haben, solltest du vielleicht einfach zu Hause bleiben und dir ein paar Gedanken über dein armseliges
Leben machen. Die Möglichkeiten sind unbegrenzt, denn Frankfurt ist so was wie
der American Dream von ganz Hessen. Wer das Geld für ein S-Bahn-Ticket hat,
kann herkommen, hier arbeiten und an seiner Legende schmieden. Dabei gleicht die
Stadt selbst einer Legende: Sie ist so supermodern, dass manch einer vermutet, sie
wäre erst zu Beginn des neuen Jahrtausends um das „Cocoon“ herum gebaut worden. Nur hier wird eine Krankenschwester zur First Lady und ein Schulabbrecher
zum Technopapst. Wer nicht in einer Bank arbeitet, wird DJ. Und keine andere Stadt
sieht bei Nacht besser aus. Frankfurt: reich, aber sexy. Viel Vergnügen.
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Foto von Daniel Stevanovic
F
VINYLBAR, Hanauer Landstr. 99 — In diesem Club ist auf 30qm mehr
Clubkultur zu finden als in den meisten anderen Schuppen dieser Art. Und laut
neuem Konzept schlagen die Türsteher nun nicht mehr mit auf dich ein, sondern
helfen dir nun sogar! Im Haus mit der roten Laterne und den legendären
Afterhours, die mitunter vom einzigartigen Plattenpeter bestritten werden, kannst
du dich ohne Probleme morgens neben ein Mädchen setzen, ihren Schweiß vom
Hals ablecken und davon so high werden, dass du glaubst, die Hand Gottes
befummelt deinen Arsch, obwohl sie doch nur beim Knutschen nach deiner
Geldbörse greift. Ein Muss.
SILBERGOLD, Heiligkreuzgasse 22 — Statt wie alle anderen frustrierten DJs
nach Berlin zu ziehen, blieben die Jungs von Les Yper Sound cool und haben den
Club, den sie in Frankfurt immer vermisst haben, einfach selbst aufgemacht. Ihre
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Kumpels legen jetzt dort auf oder spielen Konzerte, das Bier ist billiger als
anderswo und die bescheidenen Räumlichkeiten sorgen für klaustrophobische
Anfälle. Das hessische Nationalgetränk Apfelwein gibt es hier zwar
frevelhafterweise nur in Flaschen, aber trotzdem scheinen alle Bewohner der Stadt
ein klein wenig glücklicher zu sein, seit es diesen Laden gibt.
UNITY, Hanauer Landstr. 1— Über die letzten Jahre hat sich dieser kleine Club
hinter der Konsti als feste Größe im Frankfurter Nachleben etabliert. Bereits am
frühen Abend lässt es sich hier in leicht orientalischem aber unprätentiösem
Ambiente prima chillen, aber spätestens nach Mitternacht ist der Laden brechend
voll mit den heißesten, tanzwütigsten Bräuten der Stadt und der Schweiß tropft von
der Decke. Die Türsteher sind mit einer für ihre Spezies bemerkenswerten sozialen
Intelligenz gesegnet, von daher ist der Idiotenanteil hier erstaunlich gering.
Dienstags gibt’s Livemucke und donnerstags ist der Laden auf jeden Fall erste Wahl
in Frankfurt, dann steht Lokalmatador Julian Smith an den Decks und man mag
gar nicht so recht glauben, dass das Ganze immer noch keinen Eintritt kostet.
KING KAMEHAMEHA, Hanauer Landstr. 190 — Hier ist er, der Club für die
Angestellten des Arbeitgebers Nr. 1 in Frankfurt: Banker. Folglich kommst du hier
nicht rein, wenn du wie ein Penner aussiehst und solltest dabei bedenken, dass
dein Lieblings-Wochenend-Outfit aus einer anderen Stadt hier durchaus noch
unter die Kategorie „Penner“ fällt. Dafür kann man sich als Frau von den
Autoschlüsselanhängern der Herren beeindrucken lassen und als Mann hat man
nun das Vergnügen, das Geld seines Vorgängers in Form von Silikon in den
Auslagen der Damen zu betrachten. Wer auf edles Ambiente samt hochgestellten
Hemdkragen und Perlenohrringen steht, ist hier perfekt aufgehoben.
TANZHAUS WEST, Gutleutstr. 294 — Die kleinen Männchen, die hier
rumrennen und dir Pillen andrehen wollen, sehen für sich bereits aus wie der
schlimmste vorstellbare Horrortrip. Das „Tanzhaus“, ehemals „Space Place“, ist
aber trotzdem ein cooler Club, an dem man sogar nüchtern Spaß haben kann. Bei
größeren Partys öffnen zusätzliche Floors und das Ganze wird zu einem
heimtückischen Labyrinth, in dem man sich besser nicht verlaufen sollte. Nach
ein paar Stunden Party fühlt man sich ohnehin wie auf Drogen, und sei es nur
wegen der ganzen anderen Freaks.
U60311, Rossmarkt—Hier leben sie noch, die Techno-Schlaghosen, die wilden
Frisuren, die Piercings, die Tribal-Tattoos und vor allem das Ecstasy. Mitten in der
Innenstadt liegt diese Techno-Hochburg, die früher eine Unterführung für
Fußgänger war, in der die Zeit seit ein paar Jahren still zu stehen scheint. Hier kann
man seine Jugend noch mal zurückholen, zu Talla2XLC tanzen und verstohlen
seine weißen Handschuhe tragen.
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VICE FRANKFURT
BATSCHKAPP, Maybachstr. 24 — Geht es nur uns so, oder hat Frankfurts
traditionsreichste Live-Location in letzter Zeit ganz schön Federn gelassen?
Während sich einst jede Band, die auch nur ansatzweise was zu melden hatte,
früher oder später hier blicken ließ, erinnert das Veranstaltungsprogramm
mittlerweile an eine Mischung aus Bad-Taste-Partys und Reunion-Konzerten von
Bands, bei denen man gar nicht wissen wollte, dass sie sich aufgelöst haben. Am
Wochenende gibt’s Indie-Disco, für die man sich mit 18 bereits zu alt fühlt, und
in den frühen Morgenstunden ist Resteficken angesagt, zumindest bei den Gästen,
die nicht von ihren Eltern abgeholt werden.
DAS BETT, Klappergasse 16 — Hey, Chef-Crew vom „Bett“. Erstmal Respekt
unsererseits. Euer Konzept einen anständigen Live-Schuppen jenseits des in die
Jahre gekommenen „Batschkapp“ zu etablieren, ist ja schon irgendwie aufgegangen. Aber trotzdem, was zum Teufel hat euch eigentlich geritten, das Ganze in
Alt-Saxa aufzuziehen, wo uns besoffene Amerikaner und dumpf-prollige
Landeier, die glauben, sie könnten zwischen „Oberbayern“ und „Hard Rock“
mal richtig abfeiern, schon auf dem Hinweg alles verderben? Na hoffentlich wird
euch bald gekündigt und ihr versucht’s in ’nem anständigen Viertel noch mal.
CLUBKELLER, Textorstr. 26 — Sympathischer Kellerclub unweit des Ballermann-Viertels Alt-Sachsenhausen mit dem diskreten Charme eines Schülerpartykellers. Musikmäßig gibt’s Indie- und Hardrock. Einige durchaus
ansehnliche Bardamen sowie ein Tischkicker sind weitere gute Gründe dem Keller
einen Besuch abzustatten. Sozusagen die „gute Stube“ für alles, was sich in
Frankfurt alternativ nennt.
STEREO-BAR, Abtsgässchen 7—Hat eigentlich noch jemand Life on Mars
gesehen? Diese endgeile BBC-Serie, wo ein Bulle aus dem Jahr 2006 plötzlich im
Jahre 1973 festsitzt. Die „Stereo-Bar“, von außen eigentlich nur eine Tür in einer
weißen Mauer, hätte auch ganz gut als Discokulisse für eine Folge herhalten können,
inklusive beleuchteten Bodenkacheln, riesengroßer Kuschellounge und Videoinstallationen. Das Ganze ist auch noch so gut versteckt, dass der durchschnittliche
Party-Idiot es glatt übersieht.
TANZEN UND FICKEN — Hinter diesem illustren Namen verbergen sich keine
feucht-fröhlichen Swingerfeten, sondern einfach eine exzellente Partyreihe an
wechselnden Orten, bei der anschließender Geschlechtsverkehr lediglich optional
ist. Die DJs Anne Anderson und Lars lieben Techno zwischen Detroit und
Chicago, hassen aber musikalische Scheuklappen und organisieren diese
ausufernden Exzesse ehrenamtlich und komplett in Eigenregie. Das Bier ist billig,
und weil es sich hier quasi um Familienfeiern handelt, kennt man weder Dresscodes noch Rauchverbote. Check www.tanzenundficken.org!
VICE FRANKFURT
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KUNST IN FRANKFURT
Vom Main zum Mainstream
in Imperator herrscht über Frankfurts Kunstgeschicke: Max Hollein, ein so
kluger wie eitler Zeitgenosse aus Wien, hat nach der Schirn Kunsthalle auch
noch das altehrwürdige Städel und das Skulpturenmuseum Liebieghaus unter die
Fittiche bekommen. War es das, was Udo Kittelmann, den Direktor im MMK —
neben der Schirn Frankfurts zweitem wichtigen Haus für zeitgenössische Kunst —
so geärgert hat, dass er den Posten quittieren und nach Berlin entschwinden will?
Nach dem Boom der letzten Jahre herrscht zur Zeit ein wenig Katerstimmung in
der Frankfurter Kunstszene: Die Fahrgasse, vor kurzem noch zu Frankfurts neuem
Kunstmekka hochgejazzt, ist, seit Eva Winkeler und Parisa Kind sich dort verabschiedet haben, ganz schön trist und mittelmäßig geworden. Dann wurde gerade
noch mit Pauken und Trompeten die Frankfurter Kunstmesse zu Grabe getragen.
Der herrlich provokante Galerist Michael Neff hatte zwei Jahre lang versucht, den
Karren aus dem Dreck zu ziehen, kam mit seinem Versuch, wieder auf Qualität zu
setzen, aber auch nicht aus den roten Zahlen. Der Kunstverein hat nachgelassen.
Und nun verlässt also auch noch Kittelmann die Stadt. Bleibt als wichtigster Mann
für Innovationen Daniel Birnbaum, der Rektor der renommierten Kunstakademie
Städelschule und Portikus-Chef. Das wird schon wieder.
PORTIKUS, Maininsel — Ja, hier findet man noch immer die aufregenden, gerade
noch nicht etablierten Künstler, die bald für Furore sorgen werden. Leute wie
Wolfgang Tillmans oder Tobias Rehberger hatten im Portikus schon zu Beginn
ihre Karriere große Ausstellungen. Gerade sorgten der Architekt Ben van Berkel
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VICE FRANKFURT
Städel-Museum
E
(der für Mercedes das neue Prunkmuseum in Stuttgart gebaut hat) und Paola Pivi
für begeisterte Besprechungen und eine volle Hütte, davor zeigte der Hausmeister
der Städelschule seine charmante Kunstsammlung. Das nun auch nicht mehr ganz
so neue Gebäude auf der Maininsel ist natürlich lange nicht so cool wie die
Containerburg, in der der Portikus früher hauste.
MUSEUM FÜR MODERNE KUNST, Domstr. 10—Das Ausstellungshaus von
Hans Hollein ist eine postmoderne Scheußlichkeit und wird—weil es sich auf einem
dreieckigen Grundstück befindet—„Tortenstück“ genannt. Weil der ehemalige
Direktor mit einem der wichtigsten Leihgeber schludrig verhandelt hat, ist vor
kurzem die halbe Sammlung abhanden gekommen. Und der jetzige, sehr erfolgreiche
Direktor Udo Kittelmann hat gerade seinen Abgang nach Berlin angekündigt. Nun
spekulieren die Feuilletons schon über den Abstieg der Institution. Was schade wäre,
denn einige der großartigsten Ausstellungen der letzten Jahre (Larry Clark, Taryn
Simon, die riesige Schau mit chinesischer Alltagsfotografie) haben hier stattgefunden.
kennenlernen. Gerade ist das Fotografie Forum ins ehemalige Literaturhaus auf
der Bockenheimer Landstraße gezogen.
MUSEUM FÜR ANGEWANDTE KUNST, Schaumainkai 17 — Das Gebäude ist
ein Traum: ein Richard Meier aus der Zeit, als dieser sich noch nicht nur
nachlässig selbst kopierte. Die Sammlung vereint Biedermeier-Langweiligkeiten,
Goldschmuck aus dekadenten Epochen und einige Designklassiker des 20. Jahrhunderts. Recht nett, aber nicht zwingend. Aufregend könnte die Manga-Ausstellung werden, die für das Frühjahr geplant ist.
SCHIRN KUNSTHALLE, Römerberg — Das große Trara fürs große Publikum.
Schirn-Chef Max Hollein weiß, wie er seine Ausstellungen und sich publikumswirksam vermarktet. Er holte Julian Schnabel und seine Achtziger-JahreBombast-Malereien ins Haus, machte Themenausstellungen mit knackigen
Namen wie „Shopping“, „Summer Of Love“, oder jüngst die Tourismus-Schau
und ließ den Kitsch der Sowjetkunst wieder auferstehen. Nicht verpassen: einen
der wenigen guten Museumsshops auf diesem Planeten.
DEUTSCHES FILMMUSEUM, Schaumainkai 41 — Schrulliges Museum mit
einer in die Jahre gekommenen Sammlung, die die Anfänge der Filmkunst erzählt.
Aber die Sonderausstellungen sind häufig sehr gut. Designavantgardistische Filmplakate kann man da bestaunen wie die Karrieren skurriler Diven. Das hauseigene Kino ist klein, unbequem und meistens läuft gruseliges Cineastenfutter,
manchmal gibt es aber auch großartiges wie Peter-Sellers-Reihen oder das
Gesamtwerk von Wong Kar-Wai.
FOTOGRAFIE FORUM INTERNATIONAL, Bockenheimer Landstr. — Kaum
jemand schert sich um diese kleine Fotogalerie — was dumm ist, denn das
Programm ist meistens famos. Die Stars der amerikanischen Dokumentarfotografie kann man sich ankucken oder neue Namen aus den Weltperipherien
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VICE FRANKFURT
(l-r) Schirn Kunsthalle, Museum für Moderne Kunst
FRANKFURTER KUNSTVEREIN, Markt 44 (Römerberg) — Seit Nicolaus
Schafhausen das Haus in Richtung Rotterdam verlassen hat, spielt der
Kunstverein nur noch in der zweiten Liga. Innovativ war früher, heute gibt es
leider viel zu oft belanglose No-Names und spröde Politkunst. Aber der Kuchen
im Café ist fantastisch.
STÄDEL, Schaumainkai 63 — Alte Schinken von Botticelli, Jan van Eyck, Hans
Holbein, ein paar Klassiker der Moderne und, um als trendsicher zu gelten, eine
Rauminstallation von Tobias Rehberger. Bürgerlicher kann ein Museum gar nicht
sein. Wahrscheinlich will Direktor Max Hollein dieses Stigma loswerden, wenn er
nun heiß gehandelte Architekten wie SANAA, Diller Scofidio + Renfro oder UN
Studio an einem Wettbewerb für einen Anbau mitmachen lässt.
DEUTSCHES ARCHITEKTURMUSEUM, Schaumainkai 43—Das Programm ist
wieder abwechslungsreicher und spannender geworden: Auseinandersetzungen über
„schrumpfende Städte“ oder spannende Ausstellungen wie die zur faschistischen
Baukunst in Afrika wechseln sich mit Hommagen an populäre Architekten wie
Gaudí ab. Sehr spaßig sind die vom DAM veranstalteten „Pecha Kucha Nights“: In
zwanzig Dias mit je zwanzig Sekunden Redezeit stellen Architekten und andere
Kreative Projekte und Ideen vor. Sehr unterhaltsam.
FAMILIE MONTEZ, Breite Gasse 24 — Aus der Lola ist eine Familie geworden.
In der neuen Location ist definitiv mehr Platz, was Anja Cioska in die glückliche
Lage versetzt, mehr Kunst zeigen zu können als im ehemaligen MontezKellerloch. Aber ehrlich gesagt geht es den meisten Gästen weniger um die Kunst
als um das samstagabendliche Saufvergnügen, wenn sie den Laden besuchen.
ALEXANDER JÜRGS
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DOs
We have this girl in the DOs exactly once a year. When we took this we said “just checking in” and this
was her reply.
If this ever happens to you lunge at her and
impale a diamond ring on that thing.
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VICE FRANKFURT
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Sorry we had to do this, but do you get what we’re saying about Tevas now?
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Anywhere in Britain!
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VICE FRANKFURT
OK, OK, I won’t hit on you. Jesus. You don’t
have to give my penis nightmares.
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DOs
FREEBASE
RECORDS.
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Splosh is a great magazine and all but why is it always frumpy British chicks? Can we not get some
young American hunks getting “Wet and Messy”?
When people talk about “owning it” they
rarely mean being a douche, but sometimes
they do and sometimes they’re right.
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He’s having a garage sale on his legs and
everyone’s invited.
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DON’Ts
Girls don’t like guys that are prettier than them, so if you have a male-model face try to hide it
with a beard and make everything else as dirtbag as possible. In other words, walk softly and carry
a big dick.
Mixing it up with cowboy boots and the
Academy Awards sounds fun in your head but
it makes you look like a hesher that made
millions of dollars taking a shit.
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VICE FRANKFURT
Hey Lilo & Stitch, where did you get the
confidence to dance like that—with a
fucking tail strapped to your ass no less? Is
this the first night you haven’t stayed in
watching cartoons?
WIE WIRST DU
EIN BÖRSENHAI?
Neun Regeln für die Frankfurter Börse
ie Frankfurter jagen ihren Kindern gern einen Schrecken ein. Sie erzählen
den Blagen, dass die Börse aus Frankfurt weggeht, sollten sie ihr Gemüse
nicht aufessen. Obwohl das wahrscheinlich nie passieren wird, gehen diese
Gerüchte schon seit zwanzig Jahren um. Es hätte verheerende Folgen. Die
Europäische Zentralbank würde dann vermutlich auch von hier weggehen und
früher oder später würden ihr die meisten Prostituierten folgen. Frankfurt würde
zu einer reichen Vorstadt von Offenbach verkommen! Kleiner Scherz. Aber so
wichtig ist hier die Börse. Über 90 Prozent der deutschen Firmen werden an der
Frankfurter Börse, einer der finanzstärksten der Welt, ge- und verkauft. Wir
besuchten ein paar der besten Börsenmakler Frankfurts — diese gierigen Säcke,
die Frankfurt am Leben halten — und baten sie um ein paar Tipps, wie man reich
wird, ohne wirklich einen Finger krumm zu machen.
Sei ein Gentleman!
Der gute Ruf ist das A und O. Du denkst jetzt, es gäbe ein Naturgesetz, dass
Börsenmakler gierig, argwöhnisch, paranoid und spirituell tot sind. Stimmt. Die
Mythen sind alle wahr. Wie es in dem Film Wall Street richtig heißt: „Wenn der
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VICE FRANKFURT
Deutsche Börse AG
D
Aktienmarkt ein Abgrund ist, in den du hineinschaust, findest du in dem Moment
deinen Charakter, in dem nichts zu dir zurückschaut.“
Aber an der Frankfurter Börse sind sich dem alle bewusst und die gemeinsame
existenzielle Einsamkeit wird hier als ehrenhaft betrachtet. Der Punkt ist, hier
musst du nicht lügen. Du bist kein Handelsvertreter und an der Börse macht es
keinen Sinn, leere Versprechungen zu machen. Deine Karriere hängt davon ab, die
Karten auf den Tisch zu legen. Es ist eine Ehrensache — von Mann zu Mann.
An der Frankfurter Börse gibt es seit jeher eine Menge Korruption, besonders
bevor man 1992 anfing, den Markt zu regulieren. Bis dahin war es der Wilde
Westen. Interne Deals, Korruption und Nepotismus hielten die Wirtschaft am
Laufen. Dennoch war es eine ehrlichere Zeit. Alles hing davon ab, wen man kennt
und was diese Leute einem sagen können. Schließlich erreichte 1994 die neue
Gesetzgebung die Leute und ein paar gute Männer wurden in Handschellen vom
Parkett geführt. Selbst wenn sie es schaffen zurückzukommen, ist ihr Ruf ruiniert.
Schaff dir keine Freundin an!
Ein Grund, weshalb moderne Börsenmakler keine Freundinnen haben, ist, dass
sie einfach nicht wissen, wie man das überhaupt anstellt. Sie sind alle miteinander
pickelgesichtige Nerds, für die der Markt einfach eine Art neues Computerspiel
ist. Nachdem sie in zu kurzer Zeit zu viel Geld machen, um noch in der normalen
Gesellschaft funktionieren zu können, wissen sie natürlich genauso wenig davon,
wie man es anstellt, eine Freundin zu bekommen. Der Aktienmarkt gibt ihnen
noch einen weiteren Grund, um lieber beim Porno zu blieben: Mädchen stehen in
diesem Business eigentlich nur im Weg. Es macht keinerlei Sinn, sie um sich zu
haben. Als Makler bleiben all deine Deals, deine Fehler und die Chancen, die du
verpasst hast, nachts bei dir. Wenn ein Tag auf dem Parkett schlecht lief, kriegst
du Panikattacken, wachst um fünf Uhr morgens schreiend auf und hast dir die
Hälfte deines eigenen Körpergewichts aus dem Leib geschwitzt. Das macht keine
Freundin lange mit. Eine andere Sache, welche die wenigsten Mädchen verstehen:
dass ihre Freunde von Zeit zu Zeit Sex mit einer Nutte haben müssen, um einen
Abend geschäftsfördernder Kontaktpflege mit einem Klienten am Laufen zu
halten. Wenn du also ein Gefühlsleben willst, besorg dir einen Hund.
Sei keine Frau!
Es gibt fast keine weiblichen Börsenmakler. Frauen müssen in dieser Branche totale
Arschlöcher sein, um denselben Respekt zu bekommen wie Männer. Wenn du eine
Frau bist und dich entschließt, Börsenmaklerin zu werden, kannst du dein Leben als
Frau ebenso gut gleich an den Nagel hängen. Deine Menstruation wird aussetzen
und deine Eierstöcke werden in einen ewigen Winterschlaf verfallen. Wenn dir der
Chauvinismus und die permanente Anmache deiner Kollegen nichts ausmachen,
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dann nur zu. Du musst dir nur im Klaren sein, dass du es um einiges schwerer haben
wirst, als der Typ an dem Computer neben dir. Nach der Arbeit kannst du auch
nicht einfach eine Hure ficken, um den Stress abzubauen. Der Aktienmarkt mag fair
sein, das Leben ist es ganz sicher nicht.
Geh nicht aufs Klo!
Die Toilette im Büro ist ein sehr wichtiger Ort. Es ist der Ort, wo du am Morgen
deines großen Tages um 6:30 Uhr hingehst. Der Tag, nach dem du das halbe
Vermögen einer Firma verloren hast. Der Tag, um es wieder zurückzugewinnen.
Nur diesen einen Tag. Hier bist du nun, in der angenehmen Wärme deines eigenen
Geruchs. Sitzt einfach nur mit dem Gesicht in den Händen da und hörst dem
entfernten Geräusch des Staubsaugers des Reinigungsdienstes zu. Du musst mehr
entleeren, als nur deine Blase — du musst deine Seele leeren und du musst beides
voneinander trennen. Dann den Körper abstellen. Die nächste Toilette, der du
begegnen wirst, wird deine eigene sein. Da kannst du dich in aller Ruhe mit der
FAZ niederlassen. Wenn du vorher nochmal auf die Bürotoilette musst, verpasst
du den Moment, der darüber entscheidet, ob du im Abgrund versinkst oder nicht.
Auf die Toilette zu gehen, ist ein Zeichen von Schwäche. Makler, die Rücksicht
auf ihren Körper nehmen, kommen als Letzte ans Ziel. Nimm die volle Blase also
einfach in Kauf. Der Moment der Erlösung in den luxuriösen Toiletten im „Bull
+ Bear“ nach der Arbeit ist es wert. Direkt neben der Börse, gehen hier die Türen
der einzelnen Kabinen bis zum Fußboden hinunter.
Studiere auf keinen Fall Wirtschaft!
Ein Abschluss in Wirtschaftswissenschaften ist so ziemlich das Letzte, was du auf
dem Parkett brauchst. Du musst noch nicht mal zur Schule gegangen sein. Es gibt
keine Theorie und kein System, das dir helfen kann, Gewinne zu erzielen. Alles
hängt von deinem Charakter ab, genau wie bei Tekken. Taxifahrer sind zum
Beispiel gute Börsenmakler, weil sie gut reden und Leute überzeugen können. An
der Frankfurter Börse gibt es eine ganze Reihe ehemaliger Taxifahrer.
Werde nicht alt!
Die Regeln der Frankfurter Börse haben sich in den letzten 20 Jahren stark
verändert. Alte Leute denken gerne an die tollen Zeiten zurück, die sie in den
80ern hatten. Als sie wochenlang nichts als Kokain zu sich nahmen, an einem Tag
locker eine Million DM gewannen und die Frau ihres Bosses vögelten, weil sie
eine Wette mit ihm zu laufen hatten. So laufen die Dinge inzwischen nicht mehr.
Jetzt muss man sich mit Algorithmen auskennen. Der Computer macht zwar die
halbe Arbeit, aber dafür gibt es doppelt so viel zu tun. Wenn dir ein Ausrutscher
passiert, oder wenn du während des sogenannten „Hexensabbats“, dem dritten
VICE FRANKFURT
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passiert, oder wenn du während des sogenannten „Hexensabbats“, dem dritten
Freitag im März, Juni, September und Dezember, an dem jeweils haufenweise
Termingeschäfte gleichzeitig auslaufen (was echt die Härte ist), einen verkehrten
Knopf drückst, dann bist du erledigt. Du bist die traurige, 60 Jahre alte Lektion
für die Neulinge.
Lies permanent die Nachrichten!
Wie alle wissen, machten ein paar Leute am 11. September eine Menge Geld. Und
das nicht, weil sie Bin Ladens Schwager aus Saudi Arabien waren, sondern weil
sie ihre Newsfeeds nicht filterten. Es mag etwas desorientierend sein, einen
ungefilterten Reuters Newsfeed auf seinem Monitor laufen zu lassen, weil man
jede Minute Hunderte von Nachrichten bekommt, aber an einem Tag wie 9/11
heißt das, dem Markt zuvorzukommen. Der Trick war erstens, rechtzeitig zu
schnallen, dass Piloten nicht so bescheuert sind, und zweitens, seine kompletten
Anlagen bei Versicherungen zwischen dem ersten und dem zweiten Flugzeug zu
verkaufen. Wer also in Frankfurt mit Anlagen bei der Allianz war, wissend, dass
diese das World Trade Center versichert, konnte diese Aktien verkaufen und
später sehr viel günstiger wieder ankaufen. Viele der Maklerfirmen unterbrachen
den Handel später am Tag als Zeichen des Respekts, aber erst nachdem sie dank
eines sehr trägen Markts haufenweise Kohle gemacht hatten.
Vergiss nicht: Angst kann teuer werden!
Risiken können sich rächen, aber ohne sie kommt man nicht voran. Auf dem
Aktienmarkt muss man spielen, um zu gewinnen, oder man verliert. Mumm ist
das Einzige, was zählt. Ein wichtiger Teil des Zen des Maklertums ist zu wissen,
wie man die schlechten Tage wegsteckt, ohne sich von der Panik oder den eigenen
Gefühlen beeinflussen zu lassen und auf dem disziplinierten System zu beharren,
das man für sich aufgestellt hat. So spricht der Meister.
Freunden zu zeigen, wie erfolgreich du bist. Wenn du gut bist, wirst du darin
einen Zen-artigen Frieden finden.
Aber hier ist Frankfurt und nicht New York. Frankfurt ist die spirituelle
Heimat der Bourgeoisie. Also kommt es vor, dass Makler auch Grundstücke oder
Volvos kaufen. Das gehört zum Frankfurter Vibe dazu.
Wenn du es nicht mehr raffst, setz dich zur Ruhe!
Ein Makler zu sein, ist auf gewisse Weise so ähnlich, wie ein Buddhist zu sein.
Geld hat keine Bedeutung. Es kommt und geht, es ist Teil des ruhigen und
perfekten Zyklus des Lebens. Zugegeben, das Leben eines Maklers dreht sich
darum, soviel davon zu verdienen wie möglich. Aber zwischen der Arbeit, die
man macht, und dem Geld, das man verdient, gibt es keinerlei Zusammenhang.
Es ist absolut. Du kannst an einem ruhigen Tag Millionen verdienen und an einem
verrückten Tag alles verlieren. Also spare nicht erst. Denke nicht darüber nach,
was du mit dem Geld alles anfangen könntest: das Auto, das du kaufen könntest,
die Hypothek, die du abbezahlen könntest, die Menschen in Afrika, die du retten
könntest … Diese Dinge sind nicht real, weil das Geld nicht real ist. Gib es lieber
dafür aus, Prostituierten Zitronensorbet auf die Nippel zu träufeln und deinen
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VICE FRANKFURT
Deutsche Börse AG
Stell dir Geld als etwas Irreales vor!
1997 führte die Frankfurter Börse das Xetra System ein. Xetra ist im Prinzip wie
Skynet in Terminator, nur mit Nerds anstelle von Kampfrobotern. Es weiß und
errechnet alles, bevor du Zeit hast, aufs Klo zu gehen. Ein paar der älteren Makler
finden, dass Xetra dem Aktienhandel die Seele geraubt hat, weil es bedeutet, dass
die Makler der Banken nicht mehr auf dem Parkett sind — man kommuniziert
jetzt über Monitore mit ihnen. Aber in Wahrheit macht das keinen so großen
Unterschied. Du machst die anderen Typen jetzt einfach über einen Draht alle.
Zu versuchen, einem älteren Makler Xetra zu erklären, ist ungefähr so, wie als
Kind deiner Oma begreiflich machen zu wollen, worum es in Sonic the Hedgehog
geht. „Es ist einfach wie im wirklichen Leben, Omi, alle wollen dich umlegen.“
BEN KNIGHT + ANONYME MAKLER
VICE FRANKFURT
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FRANKFURT A–Z
A
CHTUNDSECHZIGER — Frankfurt war das Herz der 68er-Bewegung.
Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit warfen hier ihre ersten Pflastersteine. Die 68er wollten eine bessere Welt, und all ihre Wünsche sind Wirklichkeit
geworden, aber auf eine völlig perverse Weise. Sie träumten von sexueller
Revolution, Freiheit und selbstbestimmter Arbeit. Sie brachten uns AIDS, Hartz
IV und unbezahlte Praktika. Danke für nichts.
ÖHSE ONKELZ—„Türken raus, Türken raus, Türkenfotze nass rasiert,
Türkenfotze glatt rasiert. Nur bis jetzt haben immer die Kanaken gesiegt.
Deutschland den Deutschen!“ Mit raffinierten Texten wie diesem begeisterte die
Frankfurter Band einst ihr Publikum. Vorzeigeliberale wie Daniel Cohn-Bendit oder
Alice Schwarzer ergriffen später für die Onkelz Partei. Ein Beispiel für deren
Wandlungsfähigkeit: Früher hasste Böhse-Onkelz-Kopf Stephan Weidner Hippies,
heute macht er mit Sven Väth gerne mal Urlaub auf einer Ayurveda-Farm in Bali.
C
RACK — Frankfurt hatte in den frühen 90ern ein schlimmes Crackproblem,
aber hey, welche Stadt hatte das nicht? Wir hatten noch ganz andere
Probleme. Als wir als Kinder Der Herr der Ringe gelesen haben, ahnten wir
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VICE FRANKFURT
Foto von Felix Riemann
B
schon, dass die ganze Geschichte mit dem Ring eine Metapher für Drogensucht
war und Tolkien ein Junkie auf Entzug. Ist nicht Gollum das perfekte Porträt
einer Person, die unter permanentem cold turkey leidet? Wir halten das immer
noch für eine raffinierte und zutreffende Interpretation. Das Problem mit der hiesigen Crackszene ist eigentlich nur, dass sie sich mitten im Stadtzentrum befindet,
wo all die Touristen vorbeikommen. Daher Frankfurts schlechter Ruf.
D
ORIAN GRAY — Das „Dorian Gray“ war ein Club von der Größe einer
Kleinstadt, der früher im Frankfurter Flughafen angesiedelt war. Es ist
medizinisch erwiesen, dass der ganze Techno, der den Frankfurtern dort durch die
unglaubliche Anlage des „Dorian Gray“ direkt ins Gehirn injiziert wurde,
Auswirkungen auf ihr Erbgut hatte. Alle Babys, die in der Nähe von Frankfurt
geboren wurden, wollten nie wieder etwas anderes hören als Techno.
E
RNST MAY — Er hatte zu wenig Zeit: der großartige Stadtbaurat Ernst
May, der in den zwanziger Jahren Pläne für ein „Neues Frankfurt“ entwickeln und umsetzen ließ. Zehn oder zwanzig Jahre mehr und Frankfurt wäre eine
perfekte Bauhaus-Mustersiedlung geworden, so schick wie Tel Aviv vielleicht. Die
Überreste von Mays Wirken kann man in der Römerstadt-Siedlung bestaunen.
F
LUGHAFEN — Die Frankfurter haben sich so an ihren gigantischen Flughafen gewöhnt, dass sie seit dem Ende des „Dorian Gray“ kaum noch einen
Grund sehen, dort hinzufahren, es sei denn, sie wollen in den Urlaub. Dabei ist
der Flughafen ein großartiger Ort, um nach einer durchfeierten Nacht etwas
internationales Flair zu schnuppern oder einfach ein wenig auszuspannen. Dort
ist es warm, blitzsauber, die Geschäfte haben rund um die Uhr geöffnet und man
kann sich einfach überall schlafen legen, ohne dass es jemanden stören würde.
Am schönsten ist es aber auf der Aussichtsplattform, wo man startenden
Flugzeugen hinterherschauen und mit einer Träne im Auge die Melodie von
„Über den Wolken“ vor sich her summen kann.
G
UDE — Ist das hessische Pendant zu „Moin“ oder „Servus“. Der gemeine
Frankfurter ist ein ökonomisch denkender Mensch. Wenn er dir ein schlichtes „Gude“ (wird zu einem Drittel fragend betont und zu zwei Dritteln freudig
überrascht) entgegen schmettert, dann will er dir eigentlich sagen: „Hallo mein
Freund! Ich freue mich, dich zu sehen. Wie geht es dir?“ Vielleicht will er dich
aber auch einfach nur verarschen.
H
ONSELLBRÜCKE — Seit sich hier ein ehemaliger Talkshow-Moderator
seine Fernsehkarriere von einem Frankfurter Party-Flittchen hat wegblasen
lassen, firmiert die ästhetisch erstaunlich reizlose Brücke bei den Frankfurtern
unter dem Namen „Andreas-Türk-Brücke“. Wir mögen die Andreas-TürkBrücke weil man hier nach einer MDMA-schwangeren Nacht bei Sonnenunter72
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VICE FRANKFURT
gang und Skylineblick ganz entzückend runterkommen kann. Wenn einem dabei
langweilig wird, dann kann man auch versuchen, die Stelle zu finden, wo die verhängnisvolle Fellatio stattfand und die Szene mit seinen Kumpels nachstellen.
I
G-FARBEN-HAUS — Egal, was man reinschmeißt, das IG-Farben hält es
aus — ähnlich wie Pete Dohertys Magen. Vom Architekten Hans Poelzig
wurde es einst als „eisernes und steinernes Sinnbild deutscher kaufmännischer
und wissenschaftlicher Arbeitskraft“ für den gleichnamigen Chemie-Konzern entworfen. Der Konzern selbst leistete sich nicht nur dieses seinerzeit supermoderne
Bürohaus, sondern nebenbei auch noch ein werkseigenes Sklaven- und
Vernichtungslager im polnischen Monowitz.
Weil die Amerikaner bei aller Coolness doch auch ein durchaus pragmatisches
Völkchen sind, haben sie es während des Bombenkriegs geschafft, zwar die
komplette gotische Altstadt Frankfurts zu zerstören, diese steinerne Monstrosität
aber unbeschadet stehen gelassen. Kaum angekommen, wurde dem Gebäude
erstmal ein Persilschein verpasst und für die nächsten 50 Jahre Quartier bezogen.
RAF und Konsorten dachten sich: Was die Amis nicht schaffen, probieren wir
doch mal, und verübten insgesamt drei Anschläge auf das US-Hauptquartier —
ohne jedoch größeren Schaden anzurichten. Inzwischen befindet sich hier der
neue Campus der Frankfurter Uni, dem so ziemlich alles fehlt, was einen Campus
ausmacht: Plakate, lungernde Studis, Dreck — kurz: Leben. Dafür hat man ganz
in der Tradition der IG-Farben einen Zaun ums Gelände gezogen, damit auch ja
kein unbequemer Gedanke hinein, oder eine ökonomisch verwertbare Idee
unentdeckt hinaus gelangen kann.
J
OHANN WOLFGANG VON GOETHE — Goethe war ein Genie. Was ist
eigentlich ein Genie? Nun, wir denken, ein Genie ist jemand, der sich irgendeinen Gegenstand auf der Welt vornehmen kann — z. B. ein Bügeleisen — und dann
darüber ein Gedicht schreibt, in dem das Bügeleisen zu einer Metapher für unsere
missliche Existenz innerhalb des Universums und unsere ethischen Maßstäbe wird.
Ein Genie kann dir außerdem erklären, wie ein Bügeleisen funktioniert und dir aus
den Dingen, die du in deiner Tasche hast, eines zusammenbauen. Goethe konnte
das und er mochte Grüne Soße.
K
ONSTABLERWACHE — Auch als „Konsti“ bekannter, zentraler Platz am
östlichen Ende der Zeil. Hier hatten die Bullen fast hundert Jahre lang ihr
Hauptquartier, ehe es die Amis in Grund und Boden gebombt haben — nochmals
besten Dank. Heute ein hellgrauer Traum aus Waschbeton. Die Polizei ist immer
noch präsent, versteckt sich aber lieber hinter vollautomatischen Überwachungskameras. Donnerstags ist offizieller Markttag mit einem großem FressalienAngebot für Birkenstock-Fans. Ansonsten einer der größten Freiluftmärkte für
homöopathische Schmerzmittel (Katalog siehe BtMG), die hier täglich und
VICE FRANKFURT
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rezeptfrei erworben werden können, inklusive freundlicher Beratung (für
Mitbürger mit Migrationshintergrund gerne auch in der jeweiligen
Muttersprache) durch die freundlich einsilbigen Händler. 24 Stunden sieben Tage
die Woche geöffnet.
L
ANGENER WALDSEE — Der Langener Waldsee ist Frankfurts Erholungsgebiet Nr. 1. Es ist ein riesiger See, wo jeder aus dem Rhein-Main-Gebiet
hinkommt, um sich direkt in das Land der puren Gesundheit zu schwimmen, zu
radeln oder zu segeln. Natürlich muss man sich erstmal kilometerweit durch zähfließenden Verkehr kämpfen. Am Langener Waldsee wird auch ein Teil des deutschen Iron Man ausgetragen. Iron Man ist diese Veranstaltung, bei der Leute
ohne jeglichen Sinn für Humor ihre eigene Leidensfähigkeit erproben.
M
ILLE PLATEAUX — Das ist das Frankfurter Label, welches Musik aus
Clicks, Cuts und Glitches in ein politisches Statement verwandelt. Nun,
wohl eher in ein philosophisches Statement, bedenkt man, dass der Name von
Gilles Deleuzes poststrukturalistischem Standardwerk ausgeborgt wurde. Selbst
falls man so was zum Kotzen findet, ist der Gedanke doch schön, dass manche
Leute eine unglaublich erlösende, kreative Kraft dabei verspüren, Maschinen
komische Pfeiftöne zu entlocken.
N
IEDERRAD — ist ein stinklangweiliges Viertel, das an den Frankfurter
Stadtwald grenzt. Allerdings gibt es dort eine vorzügliche Möglichkeit, legal
an schnelles Geld zu kommen: Das Uniklinikum sucht ständig Probanden für
medizinische und psychologische Experimente, gegen Bezahlung natürlich. Ob
Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit oder Depression, denkt euch einfach ein
Symptom aus, welches in ihr Anforderungsprofil passt, schluckt ein paar
Tabletten und schon gibt’s Kohle. Als echter Frankfurter muss man seinen
Gewinn aber umgehend auf der Galopprennbahn um die Ecke wieder verwetten.
dest was Migrationsfragen angeht, weshalb Roth die Sache mit dem Kopftuch
auch etwas entspannter sieht als ihre männlichen Kollegen.
Q
UARTIER LATIN — ist eine riesige Studentenkarnevalsparty, und auch
wenn wir Karneval genauso beschissen finden wie du, müssen wir zugeben,
dass es eine verdammt gute Party ist. Riesig groß, laut, hemmungslos, zehn
Floors, zwei Tage in Folge. Wie gefällt dir die Vorstellung, dass es quasi keine
Möglichkeit gibt, im Anschluss an diese Party allein nach Hause zu gehen? Du
weißt nur noch nicht, ob mit einer Meerjungfrau, einer Krankenschwester oder
einer kleinen Elfe.
R
ÖDELHEIM HARTREIM PROJEKT — Die Frankfurter Moses P. und
Thomas H. beglückten uns zu einer Zeit, als die heutigen Rap-Gangster
noch gar nicht sprechen gelernt hatten, mit grandiosen Textzeilen wie: „Ich jag’
euch wie Hasen / deformier’ eure Nasen / deine Mama kann blasen“. Dann waren
sie auf einmal weg, und dafür wurden all die langweiligen Leute, die immer mit
ihnen rumhingen (Sabrina Setlur und Xavier Naidoo), plötzlich weltberühmt.
S
UDFASS — Das „Sudfass“ in der Oskar-von-Miller-Straße ist nicht nur das
älteste, sondern auch das sympathischste Bordell in ganz Frankfurt, weil
man hier für läppische 50 Euro Eintritt in einer gemütlichen Saunabar mit jeder
Menge echt netter Nutten rumhängen kann. Frotteebademantel und Handtuch
gibt es gratis. Leider sieht der Laden aus, als hätte ein bösartiger Dr. Frankenstein
von einem Architekt Teile verschiedener toter Gebäude amputiert und zu einem
neuen obszönen Gebilde zusammengenäht. „Töte mich, bitte töte mich“, glaubt
man es leise aus den Mauern wimmern zu hören, wenn man samstagmorgens
betrunken und ungefickt vor dem „Sudfass“ steht und versucht, die verdammten
fünfzig Tacken zusammenzukratzen.
O
T
P
U
BERRAD — Kaum zu glauben, aber es gibt einen Stadtteil, der noch öder ist
als Niederrad. Oberrad ist so eine Art entmilitarisierte Pufferzone zwischen
Frankfurt und Offenbach und besteht hauptsächlich aus Gärtnereien, in denen
die Zutaten für Grüne Soße angebaut werden. Da es sonst wenig gibt, worauf
man in Oberrad stolz sein kann, hat man der Grünen Soße sogar gleich ein
Denkmal gebaut. Respekt, Leute!
ETRA ROTH — Deutschland hat offensichtlich eine Schwäche für CDUFrauen im besten Alter. Merkel ist immer noch unfassbar beliebt und Petra
Roth, Frankfurts Oberbürgermeisterin, wurde schon als Nachfolgerin von
Roland Koch gehandelt. Die Kombination aus rechtsgerichteter Politik und der
Fähigkeit, Kinder in die Welt zu setzen, scheint den Menschen ein Gefühl von
Sicherheit zu vermitteln. Wer keinen Penis hat, kann auch klarer denken, zumin-
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ÜRKEN — Ohne Türken wäre Frankfurt ein furchtbar langweiliger Ort.
Früher standen sie in kleinen Grüppchen an der Straßenecke rum, trugen
grüne Bomberjacken, Plateau-Schuhe und schnorrten Zigaretten, nur um dir aufs
Maul zu hauen, wenn du die falsche Marke im Angebot hattest (wir wissen nicht,
ob es auch eine richtige Marke gab). Heute haben sie David-Beckham-Frisuren,
deutsche Freundinnen und arbeiten bei H&M, im Sonnenstudio oder bei Saturn
Digital. Von daher möchten wir die Worte „Integration“ und „gescheitert“ nicht
mehr in einem Satz hören, und wenn, dann nur von Türken.
LTRAS — Angeblich hat Frankfurt eine der größten Ultra-Fanszenen in
Deutschland, wobei diese sich eher dem linksextremen Spektrum zuordnen
lässt. Wir würden es ihnen an deiner Stelle nicht ins Gesicht sagen, aber die
Kombination von Fußball und radikalen politischen Ansichten hat schon etwas
Albernes. Warum marschieren sie nicht einfach, wie alle anderen auch? Fußball
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miteinzubeziehen, macht doch alles nur unnötig kompliziert. Barbarentum und
Politik sollten strenger getrennt werden.
V
GF — Die Frankfurter Verkehrsgesellschaft ist wahrscheinlich die unbeliebteste in ganz Deutschland, was sowohl an ihren beschissenen Fahrzeiten
liegt, als auch an der Tatsache, dass sie die Kartenpreise beinahe wöchentlich aus
ziemlich dubiosen Gründen erhöhen. Die Kontrolleure in Frankfurt sind übrigens
nicht uniformiert, aber trotzdem kinderleicht zu erkennen, weil sie alle gleich aussehen. Bauchtasche, Jeansweste und Lederkäppi. Wir kennen Menschen in dem
Outfit, die für 40 Euro einiges mehr zu bieten haben.
W
ÄLDCHESTAG — Der Wäldchestag am Dienstag nach Pfingsten ist ein
Feiertag, den es nur in Frankfurt gibt. Im Stadtwald findet dann so eine
Art Rummelplatz für Arme statt, die Geschäfte in Sachsenhausen schließen am
Nachmittag und die Schule fällt aus. Es ist ein großartiger Ort, um sich mit Äppler abzuschießen und dann vom Kettenkarussell zu kotzen. Wir wissen, es gibt
auch noch die Dippemess, aber das ist ein überteuertes Idiotenfest. Wäldchestag
ist der real shit.
X
WIE RAUS — Radio X ist ein nichtkommerzielles Radioprojekt und vielleicht der Grund dafür, dass wir das Medium Radio noch nicht vollständig
vergessen haben. Jeder dahergelaufene Vollhorst kann dort ein Radiosendung
bekommen, aber erstaunlicherweise geht das Konzept auf. Wenn nicht gerade
fantastische Musik läuft, die du nie zuvor gehört hast (und vielleicht nie wieder
hören wirst), gibt es dort Infosendungen des Kleingärtnervereins oder SelbsthilfeTalkshows für schwule Moslems. Aber auch das ist meist noch um Längen unterhaltsamer, als all die anderen Sender der Stadt zusammen. 91,8 FM.
Y
ARDS — Graffiti in Frankfurt ist qualitativ hochwertig, aber beileibe kein
Wattepusten. Neben den üblichen Bedrohungen durch Polizei, BGS oder privaten Sicherheitsdiensten kriegt man hier schnell mal von ’ner andern Crew eins
auf die Schnauze, weil man seinen Fuß ins falsche Yard gesetzt hat. „Kommst du
noch einma Güterbahnhof, bist du tot, Aller!!!“ Eigentlich wären ja genug SBahnen für alle da, aber wir verstehen schon: Konkurrenz belebt das Geschäft.
Z
EIL UND ZIGARETTEN — Frankfurt war die erste Stadt Deutschlands, in
der man auf die glorreiche Idee kam, das Wegwerfen von Zigaretten in der
Fußgängerzone unter Strafe zu stellen. Vor einigen Jahren war die Zeil deshalb
voll mit übereifrigen Ordnungshütern, die sofort ein 20-Euro-Ticket zückten,
sobald jemandem eine Kippe aus dem Mund fiel. Das Gesetz existiert zwar immer
noch, aber zu viele Leute schmeißen ihre Zigaretten trotzdem auf den Boden, so
dass sich die Polizei mittlerweile wieder den wichtigen Problemen zugewandt hat
und Cracknutten von einem Hauseingang zum nächsten scheucht.
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Innenstadt
Place to be, Weißadlergasse 3, 01
Lala Mamoona, Zeil 1a, 04
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IMA Multibar,
Hitchcock’s Sandwichbar, Fahrgasse 87, 60
Kleine Bockenheimer Str. 14, 02
Neutral, Fahrgasse 37, 60
Hamburger am Turm,
Biohaus-Piraten, Holzgraben 11a, 10
Eschenheimer Tor 1, 03
Marc Ecko Presents, Zeil 112, 06
Club Voltaire, Hochstr. 5, 02
Goethestrasse/Fressgass, 02
Trinkhalle, Obermainanlage 24, 04
Frankfurter Küche, Hanauer Landstr. 86, 63
Maingold, Zeil 1, 04
Superkato, Kornmarkt 3, 01
Zeilgalerie, Zeil 112-114, 06
Azita, Münzgasse 10, 07
T3 Terminal Entertainment,
Große Eschenheimer Str. 41a, 03
Freebase, Petersstr. 2, 08
Pro Vinyl, Elefantengasse 19, 09
Kleidermacher, Heiligkreuzgasse 9a, 04
Railslide, Roßmarkt 10, 06
Sneaker King, Weißfrauenstr.2-8, 07
Knocks Auktionsware, Stolzestr. 12, 09
Neue Stadtbücherei, Hasengasse 4, 10
Zweitausendeins, Am Kornmarkt 14, 01
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Karte von Tobias Friedberg / Team Azita
Sachsenhausen
Maincafe, Schamainkai 50, 11
Buchhandlung Wendeltreppe, Brückenstr. 34, 12
Altes Haus, Große Rittergasse 75, 13
Zum Fichekränzi/Atschel, Wallstr. 5-7, 12
Harmonie, Paradiesgasse 53, 13
Amir Sandwich/Pizza Petro,
Westend
Paradiesgasse 38-46, 13
Soups etc., Parkstr. 1, 23
Trinkhalle Textoreck, Diesterwegstr. 26, 14
IG-Farben-Casino, Grüneburgplatz 1, 23
Malt Whiskey Spirits, Wallstr. 23, 12
Café Laumer, Bockenheimer Landstr. 67, 22
Bong, Head&Smartshop, Elisabethenstr. 21, 13
Pizzeria Quattro Stelle, Grüneburgweg 79, 23
Number 2, Wallstr. 15, 12
King Kamehameha Suite, Taunusanlage 20, 20
Comic- und Romanladen, Wallstr. 24, 12
Palmengarten, Siesmayerstr. 61, 21
Brückenstraße, 12
Grüneburgpark, 24
Flohmarkt, Schaumainkai, 16
IvI – Institut für Vergleichende Irrelevanz , 24
Albanerhaus, Hedderichstr. 43, 17
Jimmy’s, Friedrich-Ebert-Anlage 40, 62
Hotel am Berg, Grethenweg 23, 42
Surf And Turf, Grüneburgweg 95, 23
La Scuderia, Feuerbachstr. 23, 64
Bornheim
Fifty Eight.s, Kronberger Str. 19, 65
Lebensfreude Pur, Mainkurstr. 19, 31
Cafe Kante, Kantstr. 13, 33
Bockenheim
Mampf oder in the Mood for Jazz,
Tannenbaum, Homburger Str. 19, 29
Sandweg 64, 35
Orangerie, Schloßstr. 117, 30
Best Worscht in Town, Berger Str. 80, 35
Da Cimino, Adalbertstr. 29, 29
Blumen, Rotlintstr. 60, 37
Café ExZess, Leipziger Str. 91, 27
Destino, Habsburgerallee 9, 38
Dalli Dalli Stübchen, Basaltstr. 35, 28
Ich Weiss, Rothschildallee 34, 37
Okkulta, Adalbertstr. 21, 29
Nummer 16, Wiesenstr. 52, 39
Bocklyn Banks, 25
Lucky Star Records, Heidestr. 152, 32
Orfeos Erben, Hamburger Allee 45, 30
Gate05, Bergerstr. 46, 33
Albatros, Kiesstr. 27, 25
Heimspiel, Wittelsbacherallee 59-61, 38
Antiquariat Uwe Doehn, Große Seestr. 63, 29
Mythos, Höhenstr. 20, 40
Moes Taverne, Schloßstr. 24, 26
Berger Kinos, Berger Str. 177, 31
Günthersburgpark, 39
Bahnhof
Panoramabad, Inheidener Str. 60, 34
C.W. Engels, Waffen & Stahlwaren, Kaiserstr. 49, 19
Video City, Sandweg 66, 35
7Bello, Niddastr. 82, 61
Auge Tattoo, Sandweg 46, 35
Nordend
Land In Sicht, Rotteckstr. 13, 41
Mal Sehn, Aderflychtstr. 6, 43
Café Größenwahn, Lenaustr. 97, 44
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WIESBADEN
Spielbank Wiesbaden, Kurhausplatz 1, 49
Kaiser-Friedrich-Therme, Langgasse 38-40, 50
Neroberg, 46
Canal Du Midi, Blücherstr. 30, 47
Nero22, Nerostrasse 22, 45
Feinschmeckerei und Freunde, Niederwaldstr. 1, 48
Schlachthof, Gartenfeldstr. 57, 51
Caligari Filmbühne, Marktplatz 9, 48
Schönschräg, Georg-August-Zinn-Str. 2, 65
OFFENBACH
White Elephant, Ludwigstr. 45, 52
LUV, Herrnstr. 36, 53
Cabana, Domstr. 39, 54
Moral, Berliner Str. 175, 54
Trattoria Da Luciano, Berliner Str. 175, 54
Hafen2, Hafen 2a, 56
MTW, Nordring 131, 57
Rotari, Berliner Str. 50-52, 53
Roxi, Maindamm, gegenüber dem Isenburger Schloß, 53
Skin Art Tattoo, Aschaffenburger Str. 23, 58
Kosmetiksalon, Nordend, 54
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