Deutsches IngenieurBlatt
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Deutsches IngenieurBlatt | 03 I 12 Technik 28 DEN ZUSTAND solcher Brücken kontinuierlich und aussagefähig zu überwachen... Messen ist Wissen Das Bauwerksmonitoring kann dem Ingenieur für viele seiner Aufgaben effektiv nutzbare Daten und Erkenntnisse liefern Wenn Ingenieure und Baulastträger nachhaltige Informationen über den Zustand von Bauwerken benötigen, gibt es für dieses Problem eine zweckdienliche Lösung: das Bauwerksmonitoring: 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. Bauwerksmonitoring bietet, wie der folgende Beitrag zeigt, eine effektive Möglichkeit, die Signatur von Bauwerksstrukturen unter äußeren Einwirkungen zu entschlüsseln, wenn Kenntnisse über Bauwerkszustände oder einzelne Tragwerksteile vertieft oder Einwirkungsgrößen für den sicheren Betrieb identifiziert werden müssen oder wenn Eingangsgrößen für Sanierungsplanungen, für die Abschätzungen von Restlebenszeiten oder für Ermüdungsberechnungen benötigt werden. Ulf Kohlbrei Die Summe der öffentlichen und privaten Bauwerke in Deutschland bildet ein großes Anlagenvermögen in Deutschland. Vor allem Infrastrukturbauwerke sind von besonders hoher volkswirtschaftlicher Bedeutung. Bei einem teilweisen Ausfall oder einem gänzlichen Versagen bergen, wenn tragwerksrelevante Veränderungen nicht frühzeitig erkannt werden, diese Bauwerke jedoch auch ein immenses Schadenspotential. Die dauerhafte Überwachung, das Monitoring von Bauwerken oder Bauteilen, 02-03-05-2012_KOHLBREI.indd 28 wird deshalb künftig eine noch wichtigere Rolle spielen als bisher. Gründe dafür sind der Wunsch nach einer optimierten Instandhaltungsplanung auf Basis verlässlicher Daten und die Notwendigkeit einer kontrollierten Nutzung von Bauwerken. Die Zahl der Bauwerke, die ihres Alters wegen entweder geschädigt sind oder Lasten ertragen müssen, für die sie zum Zeitpunkt ihrer Errichtung nicht ausgelegt worden waren, wird beständig größer. Um den Vorteil von Monitoringmaßnahmen zu optimieren, sind eine gründliche Analyse der Probleme und eine zielgerichtete, maßvolle technische Instrumentierung angezeigt. ... ist heute kein Problem mehr. Abb. 1: Unterscheidung der Messarten Monitoring und periodische Messung 27.02.12 12:07 29 03 I 12 | Deutsches IngenieurBlatt Ulf Kohlbrei Was ist Monitoring? Die Online-Enzyklopädie Wikipedia [1] definiert Monitoring als einen Überbegriff für alle Arten der unmittelbaren systematischen Erfassung (Protokollierung, Beobachtung oder Überwachung) eines Vorgangs oder Prozesses mittels technischer Hilfsmittel oder anderer Beobachtungssysteme. Dabei ist die wiederholte regelmäßige Durchführung ein zentrales Element der jeweiligen Untersuchungsprogramme, um anhand von Ergebnisvergleichen Schlussfolgerungen ziehen zu können. Auf das Ingenieurwesen übertragen bedeutet dies eine permanente Überwachung sensibler Bauwerksstrukturen 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr verbunden mit der Notwendigkeit die Daten ingenieurmäßig zu bewerten und bauwerksspezifische Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Im Bauwesen wird auch von Bauwerksmonitoring oder structual health monitoring gesprochen (Abb. 1) Die großen Vorteile von Monitoring sind nur dann vollständig zu nutzen, wenn die Datenanalyse zu eindeutigen Strategien für die weitere Nutzung des jeweiligen Bauwerks und/oder zu einer Instandhaltungsplanung führt. Das Messen allein stellt für sich keinen Wert und keine Wertschöpfung dar. Monitoring wird den zerstörungsfreien Prüfungen zugerechnet und ist zweifelsohne eine für das Bauwerk schonende Überwachungs- und Analysemethodik (Abb. 2). Technik Dipl.-Ing., Studium des Bauingenieurwesens an der Fachhochschule Köln; seit 2002, nach elf Jahren Prüf- und Aufstellertätigkeit bei den Kölner Prüfingenieuren Jeromin & Vester, Projektleiter Bauwerksmonitoring bei der TÜV Rheinland LGA Bautechnik GmbH“ Abb. 2: Beispiele für zerstörungsfreie Prüfungen Abb. 3: Kenngröße Beanspruchungsüberprüfung Aufgaben und Ziele des Monitoring Eine bislang weitreichende Grundlage für Anwendungsbereiche, technisches Equipement und Auswertungsverfahren beim Bauwerksmonitoring ist das Merkblatt über die automatisierte Dauerüberwachung im Ingenieurbau, das die Deutsche Gesellschaft für zerstörungsfreie Prüfungen (DGZfP) herausgegeben hat [2]. Die Aufgaben für ein Monitoring sind sehr vielfältig. Konkret ist Monitoring immer dann sinnvoll, wenn die Kenntnis über den aktuellen Bauwerkszustand insgesamt Abb. 4: Kenngröße Zustandsüberwachung www.deutsches-ingenieurblatt.de 02-03-05-2012_KOHLBREI.indd 29 27.02.12 12:07 30 Deutsches IngenieurBlatt | 03 I 12 Technik Abb. 5: Kenngröße äußere Einwirkungen Ermittlung äußerer Einwirkungen (Auswahl) Ermittlung von Lastkollektiven Ermittlung von Fahrzeuglasten Ermittlung von Schwingbeiwerten Ermittlung von weiteren Einwirkungen wie Temperatur, Windgeschwindigkeit, Feuchte Klassierung nach Intensität und Häufigkeit Foto: Beweissicherung unzulässige Lasten Abb. 6: Hauptziele des Monitoring oder einzelner Tragwerksteile effektiv gesteigert werden muss; ebenfalls dann, wenn Einwirkungsgrößen für den sicheren Betrieb identifiziert werden müssen und Eingangsgrößen für weitergehende Planungen und Berechnungen (Sanierungsplanung, Restlebensdauerabschätzung, Ermüdungsberechnung etc.) benötigt werden. Monitoring ist bei richtiger Anwendung ein wichtiger Baustein für das Werterhaltungsmanagement, da nachteiligen Entwicklungen frühzeitig entgegengesteuert werden kann. Eine Qualitäts- und/oder Beweissicherung im Rahmen von Bautätigkeiten, innovativen Bauverfahren oder besonderen Beanspruchungszuständen (zum Beispiel Schwertransporte) rundet die häufigsten Ziele ab. Die drei Hauptaufgaben lassen sich nach [2] unterteilen in die Zustandserfassung, die Beanspruchungsüberprüfung und in die Ermittlung äußerer Einwirkungen. Die Abb. 3, 4 und 5 illustrieren diese signifikante Aufgabenschwerpunkte. Aus die- Sensor Abb. 7: Monitoringprinzip 02-03-05-2012_KOHLBREI.indd 30 sen Aufgabenfeldern ergeben sich auch die Hauptziele des Monitoring, die in Abb. 6 dargestellt werden. Monitoringprinzip und Messtechnik Zu den grundsätzlichen Eigenschaften der Monitoringtechnik gehört, dass Daten mit frei wählbaren Abtastraten zuverlässig erfasst, vor Ort am Bauwerk gespeichert und verwaltet werden. Besondere Ereignisse werden auf entsprechend vorab festgelegten Alarmwegen per SMS, E-Mail oder vor Ort befindlichen Signalgebern (Schranken, Hupen etc.) gemeldet, Daten an autorisierte Nutzer weitergeleitet und dort visualisiert und archiviert. Abb. 7 veranschaulicht den prinzipiellen Ablauf des Monitoringprozesses anhand einer Zustandsüberwachung einer Spannbetonbrücke. An die Monitoring Technik, die nach Sensorik, Geräten zur Datenerfassung (Monitoring-Station) und Datenmanagement unterschieden wird, richten sich spezifische Anforderungen. Wichtig für die Sensorik sind (Abb. 8): Robustheit, um einen mehrjährigen Einsatz unter teils schwierigen äußeren Bedingungen zu garantieren, hohe Auflösung im μm-Bereich bei dynamischen Ereignissen, eine im Hinblick auf die zu erwartende Veränderung hinreichende und dauerhafte Genauigkeit, gegebenenfalls Unempfindlichkeit beim Einsatz in starken elektrischen Feldern, Möglichkeit einer Qualitätsprüfung und Kalibrierung im Betrieb. Die Monitoring-Station am Bauwerk ist die zentrale Schnittstelle zwischen dem Bauwerk oder Bauteil und dem Monitoring-Nutzer. Wesentliche Funktionen sind hier: ein stabiles Betriebssystem, Schnittstellen für Datenkommunikation und für die Ansteuerung akustischer oder optischer Signale, Darstellung aktueller und historischer Daten, mehrere voneinander unabhängige Informations- und Alarmierungshierarchien (Prüfund Eingreifwerte), Reduzierung von Daten durch zum Beispiel Filterung, Mittelwertbildung, wobei besondere Ereignisse durch eine Triggerung vollständig aufgezeichnet und gespeichert werden müssen, bei hochsensiblen Überwachungen ist ein Notstromaggregat oder ein leistungsstarkes Batteriesystem unabdingbar. Redundante Monitoring-Systeme erzielen eine höchst mögliche Sicherheit. Beim Datenmanagement ergeben sich folgende Anforderungen: Automatisierte Funktions- und Plausibilitätskontrolle, Datensicherheit gegen Vandalismus oder Systemausfälle durch automatischen Datenexport auf einen externen Datenbankserver, Visualisierung der Daten in verschiedenen 27.02.12 12:07 31 03 I 12 | Deutsches IngenieurBlatt Abb. 8: Sensoren verschiedener Hersteller – Wegsensoren, Temperatursensor, Beschleunigungssensor, Geophon, Inklinometer (Neigungssensor), Dehnmessstreifen (DMS) Abb. 9: Ausgewählte Einsatzgebiete von Monitoring in der Bautechnik Ansichten (zum Beispiel Balkendiagramme, Weg-Zeitdarstellungen, Histogramme), Standard-Auswertefunktionen, zum Beispiel statistische Funktionen, Klassierung, Fouriertransformation, Datenzugang über Internet und langfristige Sicherung auf einem Datenbankserver für autorisierte Nutzer, einfacher Datenexport für weitergehende Auswertungen. Die Anwendungsgebiete des Monitoring in der Bautechnik Allein mit Rechen- und Modellannahmen und visuellen Prüfungen ist eine vollständige Beschreibung eines Bauwerkszustands nur unzureichend möglich. Wird Wert auf eine zerstörungsfreie Analyse mit objektiven und verlässlichen Entscheidungshilfen (Messdaten) gelegt, kann auf ein Monitoring mit Frühwarnfunktion nicht verzichtet werden. Generell kommen für das Monitoring alle Bauwerke, Bauwerksteile und Anlagen in Betracht, bei denen (veränderliche) Einwirkungen und deren Auswirkungen auf das Tragwerk in ihrer zeitlichen Entwicklung und Intensität kontinuierlich beobachtet werden müssen (Abb. 9). Besonders sinnvoll ist Monitoring dort, wo die Bauwerksnutzung in einen Wertschöpfungsprozess eingebunden ist, wo Risiko- und Schadenspotentiale besonders ausgebildet sind oder wo eine effektive und kostenoptimierte Instandhaltungsplanung [3] erforderlich ist. Dies ist vornehmlich der Fall für: Infrastrukturbauwerke (zum Beispiel Brücken, Tunnel, Schleusen, Parkhäuser, Schienentrassen), Bauwerke für die Energieerzeugung (zum Beispiel Staudämme, Windenergieanlagen, Lagerstätten), Geotechnik allgemein (zum Beispiel Hänge, Spalten, Gesteinsformationen), öffentliche Bauwerke (Versammlungsstätten, Hallen, U-Bahnhöfe, Stadien), Bauwerke für die Signalübertragung (zum Beispiel Fernmeldetürme, Leuchttürme, Funkmasten), industrielle Anlagen für die Rohstoffgewinnung (zum Beispiel Förderbauwerke, Schachtanlagen, Gasleitungen), historische Bauwerke (Kirchen, Denkmäler, Burgen). www.deutsches-ingenieurblatt.de 02-03-05-2012_KOHLBREI.indd 31 27.02.12 12:07 32 Deutsches IngenieurBlatt | 03 I 12 Technik Abb. 10: Einsatz des Monitoring bei Verkehrsbauwerken der Straße Bauwerksüberwachung und Tragfähigkeitseinstufung Je nach Bauwerksart und Nutzung sind unterschiedliche Normen und Vorschriften bei der Überwachung im life circle der Bauwerke maßgebend. Bei Straßenverkehrsbauwerken ist die DIN 1076 (Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen [4]), das Regelwerk für durchzuführende Inspektionen, während bei der Bahn die DS 803 [5] die maßgebliche Richtlinie ist (Abb. 10). Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung hat für Nichtverkehrsbauwerke eine Richtlinie für die Überwachung der Verkehrssicherheit von baulichen Anlagen des Bundes (RÜV) [7], herausgebracht. Pendant für private Bauwerke ist die VDI Richtlinie 6200 [8] mit Empfehlungen für die regelmäßige Überprüfung der Standsicherheit von Gebäuden. Monitoring kommt zunehmend bei den Verkehrsbauwerken der Straße im Rahmen einer sogenannten Objektbezogenen Schadensanalyse [9] zum Einsatz. Das ist immer dann der Fall, wenn bauwerksspezifische Fragestellungen zur Tragwerkssicherheit oder zu aufgetretenen Schadensbildern im Rahmen der Inspektionen nach DIN 1076 nicht beantwortet werden können. Tiefergehende Analysen erfordern unter anderem belastbares Zahlen- und Datenmaterial, das durch Monitoring-Messungen sicher gewonnen werden kann. In der 2011 erschienenen mehrstufigen Nachrechnungsrichtlinie für die Bewertung der Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit bestehender Straßenbrücken [10], die nicht nach den aktuellen Normen konzipiert wurden, wird die Möglichkeit einer messwertgestützen Berechnung gegeben, um das gewünschte Ziellastniveau zu erreichen. Das ist dann erforderlich, wenn reine Berechnungsansätze nicht zum Ziel geführt haben und die tatsächlichen Beanspruchungen am Tragwerk ermittelt werden sollen. Da eine kurzzeitige Messung zum Beispiel nur bedingt die Einwirkungen aus dem Lastfall Temperatur (veränderlicher Jahresverlauf) abbilden kann, wird man hier im Regelfall auf ein längerfristiges Monitoring zurückgreifen. Auch die Bahnrichtlinie 805 [6] zur Bestimmung der Tragsicherheit bestehe der Brückenbauwerke sieht ein mehrstufiges Nachweisverfahren vor. Kann die Tragsicherheit auch nicht durch komplexe Berechnungen nachweisen werden, 02-03-05-2012_KOHLBREI.indd 32 bleibt nur der Weg einer messwertgestützen Berechnung, wobei auch hier ein Monitoring einer Kurzzeitmessung vorzuziehen ist, um die tatsächlichen Beanspruchungen sicher zu ermitteln. In der Gebäude-Richtlinie VDI 6200 [8] wird Bauwerksmonitoring explizit als Teil des Sicherheitsmanagements für die Zustandsprognose aufgeführt. Zahlreiche Beispiele (zum Beispiel Hallenmonitoring zur Vermeidung von Überlasten aus Schnee und Eis) belegen die Praxistauglichkeit von Monitoring. Grundsätzlich gilt, dass Baulastträger und Eigentümer von Bauwerken oder Immobilien gehalten sind, die Standsicherheit regelmäßig überprüfen zu lassen. Alle am Überwachungsprozess beteiligten Fachplaner und Ingenieure sollten die Möglichkeiten eines Monitorings nicht zuletzt unter wirtschaftlichen Erwägungen ergebnisoffen ausloten. In der nächsten Ausgabe: Bauwerksmonitoring Teil II: „Sicherheit dauerhaft installieren. Literatur [1] http://de.Wikipedia.org/wiki/Monitoring (Abrufdatum 25.10.2011) [2] DGZfP-Fachausschuss für Zerstörungsfreie Prüfung im Bauwesen, Unterausschuss Dynamische Untersuchungen: Merkblatt B9, Merkblatt über die automatisierte Dauerüberwachung im Ingenieurbau; 22 Seiten, 20 Abbildungen, Fraunhofer IRB Verlag 2000; 35 Euro (nur als Download als druckbare PDF-Datei) [3] Kohlbrei U., Roloff J.: Monitoring als Grundlage für effektive Instandhaltung, Neue Wege bei der Bauwerkserhaltung, VDI Jahrbuch 2006/2007, Bautechnik, 2006 4] DIN 1076:1999-11: Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen, Deutsches Institut für Normung e.V., Berlin [5] Richtlinie DS 803: Vorschrift für die Inspektion von Kunstbauten, Deutsche Bahn AG, 1999 [6] Richtlinie DS 805, Tragsicherheit bestehender Brückenbauwerke, Deutsche Bahn AG, 2002 [7] Richtlinie für die Überwachung der Verkehrssicherheit von baulichen Anlagen des Bundes (RÜV), Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, 2008 [8] VDI Richtlinien, Standsicherheit von Bauwerken, Regelmäßige Überprüfung, VDI 6200, 2010 [9] Richtlinie für die Erhaltung von Ingenieurbauwerken (RI-ERH-ING), Leitfaden objektbezogene Schadensanalyse, Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung [10] Richtlinie von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie), Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. 2011 01.03.12 14:23