Zisterziensisches Schreiben im Mittelalter

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Zisterziensisches Schreiben im Mittelalter
Zisterziensisches Schreiben
im Mittelalter Das Skriptorium der Reiner Mönche
Beiträge der Internationalen Tagung im
Zisterzienserstift Rein, Mai 2003
lIerausgegeben von
Anton Schwob und
Karin Kranich-Hofbauer
PETERLANG
Bern· Berlin· Bruxelles· Frankfurt am Main· New York· Oxford· Wien
Ö~(~ ~~ ,
Beten und Betrachten - Schreiben und Malen
Zisterzienserinnen
und ihr Beitrag
VOll
zum Buch im
13. Jahrhundert
Christo Bertelsmeier-Kierst
I.
Obwohl Frauen einen nicht geringen Anteil an der klösterlichen Buchherstellung des Mittelalters hatten, sind Bilder von schreibenden oder malenden
Nonnen in Handschriften des 12. und 13. Jahrhunderts selten. Abgesehen
von den Bildzeugnissen Hildegards von Bingen, die jedoch nicht den Typus
der 'Schreiberin' , sondern der göttlich inspirierten Autorin verkörpern,' ist
mir nur ein Selbstportrait einer scriba aus dem 12. Jahrhundert bekannt: Es
ist die Klosterfrau Guda, die sich in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts
in die Initiale eines von ihr geschriebenen und illuminierten Homiliars eingemalt hat.' (Abb. 1, S. 380) Nicht durch die Ikonographie, sondern durch ein
sie umrahmendes Spruchband gibt sie ihre Buchurheberschaft preis: Guda
peccatrix mulier scripsit quae pinxit hunc librum (Die Sünderin Guda hat
dies Buch geschrieben und gemalt).
Auch Zisterzienserinnen, deren Gemeinschaften im 13. Jahrhundert mit
der Welle der Frauenfrömmigkeitsbewegung
so "zahlreich, wie die Sterne
am Himmel" (Jacob von Vitry) wurden, haben in ihren Büchern Selbstdarstellungen als Schreiberinnen oder Buchkünstlerinnen
offenbar gemieden.
Lesley Smitlr' kann erstmals für das frühe 14. Jahrhundert auf eine Miniatur
verweisen, die eine schreibende Nonne in der Tracht der Zisterzienserinnen
2
3
Zu diesem ikonographischen Typus siehe Katrin Graf: Bildnisse schreibender
Frauen im Mittelalter. 9. bis Anfang 13. Jahrhundert. Basel 2002, S.83-177,
hier S. 99.
FrankfurtlM., StUB, Ms. Barth 41, fol. 247vb• Vg!. Karin Schneider: Gotische
Schriften in deutscher Sprache. I. Vom späten 12. Jahrhundert bis um 1300.
Text- und Tafelband. Wiesbaden 1987, Textband S.66; Gerhardt Powitz:
Datierte Handschriften der Stadt- und Universitätsbibliothek
FrankfurtlM.
Stuttgart 1984, Abb. 309; Ornamenta ecclesiae. Kunst und Künstler der Romanik. Ausstellungskatalog. Köln 1985. Bd. I, B 43, S. 244f.; Graf 2002, vg!.
Anm. I, S. 59 u. Abb. 1.
Lesley Smith: Scriba, Femina: Medieval Depiction of Women Writing.
In: Women and the Book. Assessing the Visual Evidence. Hrsg. von Lesley
Smith u. Jane H. M. Taylor. Toronto 1996, S. 21-44, hier S. 32 u. Abb. 11.
Siehe auch Graf 2002, vg!. Anm. I, S. 18, 79f. u. Abb. 2.
164
Beten und Betrachten - Schreiben und Malen
zeigt.' (Abb.2, S. 380) Neben einer I-Initiale, die das Adventsfest am Beginn des liturgischen Jahres einleitet, sitzt eine Zisterzienserin mit Feder und
Radiermesser an einem Schreibpult und bearbeitet einen Pergamentbogen.
Der florale Hintergrund symbolisiert wohl die Freude über die Ankunft
Christi und deutet so die mystische Vermählung der irdischen Braut mit dem
himmlischen Bräutigam an.'
In den untersuchten Handschriften aus Zisterzienserinnenbesitz
bleibt
die Bildformel einer schreibenden Nonne die Ausnahme." Viel häufiger finden sich hier Darstellungen, die auf den ersten Blick nicht als Schreiberinnen- oder Stifterinnenportraits identifizierbar sind, sich jedoch in vielen Fällen, wie Katrin Graf jetzt nachgewiesen hat, als "Inszenierungen von Buchurheberschaft" erweisen.' Ohne Schreib- oder Widmungsvermerk bleibt die
Zuordnung dennoch schwierig. Aus Handschriften mittelrheinischer Zisterzienserinnenabteien führe ich stellvertretend zwei Dedikationsbilder aus dem
13. Jahrhundert an.
Die Frauenzisterze Altmünster bei Mainz besaß ein kleinformatiges
Graduale (17 x 11,8 cm), das gegen 1300 geschrieben und mit vier, mit
Deckfarben auf Goldgrund aufgetragenen Bildinitialen versehen wurde. Die
erste (Introitus zum 1. Adventssonntag: Ad le levavi animam meam, deus
meus [...D zeigt im unteren Bildfeld eine zisterziensische Nonne, die zu dem
über ihr thronenden Gottvater betet, der ihr seinen Segen erteilt! (Abb.3,
4
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6
7
8
Aachen, Diözesanbibliothek (ehedem Privatbesitz), Liber usuum, Nordwestdeutschland, um 1310 (fol. 2'). Zur Datierung der Handschrift siehe: Martin
Werhahn. In: Die Zisterzienser. Ordensleben zwischen Ideal und Wirklichkeit.
Katalog zur Ausstellung des Landschaftsverbandes Rheinland, Rheinisches
Museumsamt, Brauweiler. Hrsg. von K. Elm [u. a.] Köln 1981, S. 45lf., Nr. C 7.
Zu dieser beliebten Metaphorik in Nonnenhandschriften siehe Graf 2002, vgl.
Anm. I, S. 63ff.
Ob die Miniatur im Aachener Codex tatsächlich die Schreiberin darstellt, ist in
der Forschung umstritten. Smith 1996, vg!. Anm. 3, S. 32 erwägt die Darstellung
einer zisterziensischen Heiligen; dagegen Graf 2002, vgl. Anm. I, S. 79f. Zu berücksichtigen sind ferner die Hinweise Werhahns, vgl. Anm. 4, S. 452, der aufgrund von Mitteilungen im Text den Cantor einer nordwestdeutschen Männerzisterze für den Verfasser des Liber usuum hält, dies schließt jedoch eine Abschrift im Zisterzienserinnenkontext nicht aus (s. u. die Kölner Hs. W 255 aus
der Frauenzisterze Blatzheim). Eine genauere Auswertung der Aachener Handschrift steht noch aus.
Oraf2oo2, vg!. Anm. I, S. 22.
London, BL, Add. Ms. 27921, fol. 1'. Vgl. Catalogue of Additions to the Manuscripts in the British Museum in the Years 1911-1915, Part I: Descriptions,
London 1925 (Nachdruck 1969), S. 375; Nigel F. Palmer: Zisterzienser und ihre
Bücher. Die mittelalterliche Bibliotheksgeschichte von Kloster Eberbach im
Rheingau unter besonderer Berücksichtigung der in Oxford und London
Christa Bertelsmeier-Kierst
S.
381)
Wie
die Eingangsminiatur
serinnenabtei
Neben
erweist,
Altmünster,
hundert
ist,"
in Frage,
Besitz
käme
das
sich
nur
einer
Frauenzisterze
die heute
in Hamburg
ersten
Noktum
der Matutin
9
10
11
der an einem
iHodiemam
Schreibpult
eine
der
der Patemität
bestimmt.
mittelrheinischen
von Eberbach
hat,"
Lektionar
gehörte
Für die Lesungen
Handschrift
Zisterzien-
erst im 17. Jahr-
ausgestattetes
erhalten
in der Nähe von Mainz.
aufbewahrte
allerdings
ehesten
Buchschmuck
fragmentarisch
bietet
dem Großen,
am
aus einer
für ein Frauenkloster
das Graduale
die zumeist
stellt waren. JO
Auch ein mit aufwendigem
1250/60),
die Herkunft
war die Handschrift
in dessen
nachweisbar
Schwesterabteien
und
165
(um
vermutlich
zu Pfingsten
eine Bildinitiale
sollempnitatem
unter-
zu der
[...]). Vor Papst Leo
sitzt und entsprechend
der Bildformel
aufbewahrten Handschriften. Regensburg 1998, S. 20, Abb. 9; Citeaux 10981998. Rheinische Zisterzienser im Spiegel der Buchkunst. Ausstellungskatalog
des Landesmuseums Mainz. Wiesbaden 1998, S. 196f. (Nr. 70).
1658 wurde das Graduale aus dem Kloster Altmünster an das Zisterzienserinnenkloster Tiefenthai ausgeliehen: Anno 1658 den 14 tag Juni] ist dis biich auß
dem altenn Münster Closter gehen Difenthal geben [...] Citeaux 1998, vgl.
Anm. 8, S. 196.
Neben Altmünster. das 1243 in den Orden inkorporiert wurde, unterstanden der
Aufsicht Eberbachs noch 17 weitere Frauenzisterzen, in der Diözese Mainz u. a.
noch die älteren, in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts die Zisterzienserregel annehmenden Klöster St. Agnes (1259), Dalheim (1265) und das Weißfrauenkloster (1291/93). Zu den Klostergründungen der Zisterzienserinnen im 12. und
13. Jahrhundert am Mittelrhein vg!. Willi Wagner: Das Aufsichtsrecht Eberbachs über die ihm unterstellten Zisterzienserinnenklöster
mit besonderer Berücksichtigung von Kumbd. In: Landeskundliehe Vierteljahresblätter
10 (1964),
S. 160-173; Yvonne Monsees: Zisterzienserinnenklöster
unter geistlicher Leitung Eberbachs. In: Forschung und Forum. Kloster Eberbach 3 (1989), S. 3-17;
Citeaux 1998, vg!. Anm. 8, insb. S. 192-199, 213-229, 239-243; Palmer 1998,
vg!. Anm. 8, S. 19-21.
Hamburg, SUB, Cod. 1 in scrinio. Vgl. Tilo Brandis: Codices in scrinio der
Staats- und Universitätsbibliothek
Hamburg 1-110. Hamburg 1972. (::; Kataloge
der Staats- u. Universitätsbibliothek
Hamburg. 7.) S. 23f. Die hervorragenden
Miniaturen werden einer mittelrheinischen Werkstatt zugewiesen, aus der auch
ein in Aschaffenburg aufbewahrtes Evangeliar stammt, das vermutlich für den
Mainzer Dom geschaffen wurde. Lit. u. Abb. u. a.: Hanns Swarzenski: Die lateinischen illuminierten Handschriften des XIII. Jahrhunderts in den Ländern an
Rhein, Main und Donau. Berlin 1936, Textband S. 29f. u. 103f. (Nr. 18), Tafelband Abb. 257 u. 260f.; Adam Wienand: 22 Bildtafeln von Buchmalereien aus
cisterciensischen Skriptorien. In: Die Cistercienser. Geschichte - Geist - Kunst.
Hrsg. von Ambrosius Schneider [u. a.] Köln 31986, Nr. 10. Siehe Palmer 1998.
vg!. Anm. 8, S. 160-163, Abb. 127f.; Citeaux 1998, vg!. Anm. 8, S. 194f.
(NT. 69).
166
Beten und Betrachten - Schreiben und Malen
als Autor der Lesungen des Stundengebets verehrt wird, kniet eine Zisterzienserin, die ein Schriftband mit der Aufschrift: 0 lux eternissima, reple
cordis intima (0 ewiges Licht, erfülle das Innerste des Herzens) in ihren
Händen hält. Im unteren Bildfeld sehen wir, ebenfalls kniend und in demütiger Haltung, einen Zisterzienserrnönch. (Abb. 4, S. 367)
Das Lektionar war, wie die prominente Position der Nonne neben dem
Heiligen deutlich macht, für Zisterzienserinnen bestimmt. In welcher Funktion jedoch die Nonne und der kniende Mönch zu sehen sind, bleibt umstritten. Von kunsthistorischer Seite wird der Mönch zumeist mit dem Schreiber
oder Stifter der Vaterabtei Eberbach identifiziert, der das Lektionar für die
Frauenzisterze bereit gestellt habe. Die Nonne muss sich hingegen mit der
Rolle der Buchempfängerin bescheiden, die den Text des Kirchenvaters demütig entgegennimmt. Die Miniatur weist jedoch Bildchiffren auf, die eine
enge Beziehung der Zisterzienserin zur Herstellung des Textes nahelegen.
Nur die Nonne tritt in unmittelbarer Nähe des Autors auf; nur sie hat Blickkontakt mit dem Heiligen und offeriert zudem ein Schriftband, das die
Pfingstsequenz des Lektionars variiert und somit als gängige Buchmetapher
aufgefasst werden kann. Derartige Einzelbeobachtungen erhärten sich, wenn
wir weitere Belege aus Zisterzienserinnen-Handschriften
heranziehen, deren
Entstehungshintergründe
wir besser kennen."
If.
Eine heute als W 255 des Historischen Archivs der Stadt Köln aufbewahrte
Handschrift mit den Predigten Bemhards von Clairvaux (Abb. 5, S. 368)
stammt aus der niederrheinischen Frauenzisterze BIatzheim (bei Bergheim
an der Erft).13 Das Frauenkloster wurde 1247 in den Orden aufgenommen
Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an die frühe, noch aus dem 12. Jahrhundert stammende Eingangsminiatur im Guta-Sintram-Codex
aus Schwarzenthann (Straßburg, BibI. du Grand Seminaire, Ms. 37, fol. 4 der die Augustinerchorfrau Guta und den Kanoniker Sintram in demütiger Haltung zu beiden
Seiten von Maria zeigt. Erst der nachfolgende Text weist die auf dem Andachtsbild dargestellten Personen als scriba und pictor des Codex aus. V gl. Faks.
Luzem 1982; Omamenta ecclesiae 1985, vgl. Anm. 2, Bd, I, B 44 mit Abb.;
Graf 2002, vgl. Anm. I, Abb. 32.
13 Siehe Swarzenski 1936, vgl. Anm. 11, Textband S. 19, Tafelband Abb. 163;
Gisela Plotzek-Wederhake: Buchmalerei in Zisterzienserklöstern. In: Die Zisterzienser 1981, vgl, Anm. 4, S. 369, Abb. 5; Judith H. Oliver: Gothic Manuscript
Illumination in the Diocese of Liege. Bd. 1. Leuve 1988, S. 176; P. Gabriel
Hammer u. Arno Paffrath: Bernhard von Clairvaux. 2: Die Darstellungen des
12
V
),
Christa Bertelsmeier-Kierst
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und der Aufsicht der 1189 von Himmerod aus besiedelten Männerzisterze
Heisterbach unterstellt." Die Kölner Handschrift aus der Zeit um 1300 ist
eine unmittelbare Abschrift des Codex B 31 der Universitätsbibliothek
Düsseldorf, der möglicherweise noch in Heisterbach angefertigt wurde." W 255
bietet auf fol. I' eine ganzseitige Miniatur, die in der Mitte des Bildes Maria,
die Patronin des Klosters, als thronende Madonna mit Krone und Nimbus
zeigt. Links von ihrem Thron steht der heilige Bemhard, ebenfalls nimbiert,
während rechts von Maria - jedoch deutlich kleiner - eine anbetende Zisterzienserin kniet. Das Christuskind auf dem Schoß der Gottesmutter ist ihr zugewendet und segnet die Adorantin, der somit himmlischer Lohn zuteil wird.
Verstärkt wird die Bildwirkung durch die Gestik Bemhards von Clairvaux.
Während sein Blick ebenfalls auf die Nonne gerichtet ist, weist er mit dem
Zeigefinger zugleich auf sich als Autor und leistet so Fürbitte für die Buchherstellerin seiner Predigten." Das Bild bringt damit den Wunsch der Nonne
zum Ausdruck, "den besonderen Segen Christi zu erlangen, vermittelt durch
den wichtigsten Heiligen des Zisterzienserordens."?"
Auch in einem ebenfalls um 1300 für das wittelsbachische Hauskloster
Seligenthai
(bei Landshut) angefertigten
Antiphonar"
wird Bemhards
Heiligen in der bildenden Kunst. Bergisch-Gladbach 1990, S. 85, Abb. Nr. 38;
750 Jahre Zisterzienserinnenabtei Lichtentha!. Ausstellungskatalog. Hrsg. von
Harald Siebenmorgen. Sigmaringen 1995, S. 185 Nr. 7.
14 Vg!. Anja Ostrowitzki: Die Ausbreitung der Zisterzienserinnen im Erzbistum
Köln. Köln 1993. (= Rheinisches Archiv. 131.) S. 17f.
15 Siehe Swarzenski, vg!. Anm. 11, Textband S. 19. Die Hs. B 31 (2. H. 13. Jh.)
könnte als Grundausstattung von der Väterabtei Heisterbach an Blatzheim gelangt sein, ein Besitzeintrag verweist auf die Frauenzisterze Blatzheim (fol,
226'): Hunc librum Sermonum
ex Blatzheim
ad Heisterbacensem
Bibiothecam
transtulit Rms. Dns. Godefridus Broichhausen Abbas Heisterbacensis
du
visitaret dictum monasterium anno 1683.
16 Die Eingangsminiatur in W 255 ist ikonographisch mit älteren Schreiberdarstellungen wie etwa dem Widmungsbild im Clm 17405 aus dem Benediktinerkloster
Scheyem (um 1240) verwandt. Hier knietfrater Cuonradus vor der thronenden
Madonna (an ihrer Seite je ein Engel). Auch ihm wird der Segen des Christuskindes für sein Werk zuteil (ähnlich die Darstellung im Clm 17403). Vg!. Elisabeth Klemm: Die illuminierten Handschriften des 13. Jahrhunderts deutscher
Herkunft in der Bayerischen Staatsbibliothek. Wiesbaden 1998. (= Katalog der
illuminierten Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek in München. 4.)
Textband Nr. 12 u. 14, Tafelband Nr. 54 u. 62.
17 Brigitte Herrbach-Schmidt. In: LichtenthaIl995, vg!. Anm. 13, S. 185, Nr. 7.
18 München, BSB, elm 23046. SeligenthaI wurde 1232 von Ludmilla, Witwe des
bayerischen Herzogs Ludwig I., gegründet und unterstand ab 1238 der Aufsicht
von Kaisheim. Zur Datierung des Antiphonars und seiner Lokalisierung nach
SeligenthaI siehe Robert Suckale: Die Zeit der Gotik. Die Regensburger Buchmalerei von 1250 bis 1350. In: Regensburger Buchmalerei. Von frühkarolingischer
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Beten und Betrachten - Schreiben und Malen
Beistand für die Schreiberin erbeten. In einer lavierten Federzeichnung hat
sich die scriba Adelheid selbst portraitiert (Abb. 6, S. 381). Sie steht neben
dem heiligen Bemhard und bittet für ihre Tätigkeit demütig um Lohn: Finis
adest operis mercedem poseo laboris. Et qui me seribebat Adelhaidis nomen
habebat (fo1. 144'). Bernhard antwortet darauf, dass Christus ihr Lohn sein
werde." Die Brautmystik wird auch in zwei Bildinitialen des Antiphonars
aufgenommen. In Abwandlung des seit dem Visionsbericht des Caesarius
von Heisterbach bei den Zisterziensern besonders beliebten Motivs der Madonna im Schutzmantel bietet das Allerheiligenbild im Seligenthaler Antiphonar (fol. 57') eine Darstellung, die eine mystische Vermählung der Nonnen mit Christi allegorisiert (Abb. 7, S. 382). Unter dem Schutzmantel, den
nun Christus selbst ausbreitet, steht neben dem Heiligen Bernhard auch eine
zisterziensische Nonne." Die Brautmetaphorik des Hohen Liedes bestimmt
ebenso die Darstellung zum Fest der 1100 Jungfrauen (fol. 48 deren Martyrium im unteren Bildfeld festgehalten wird, während im oberen Teil die
heilige Ursula, nimbiert und mit Krone, zusammen mit ihrem königlichen
Bräutigam, in der Beischrift als Sponsus Ursule bezeichnet, steht."
Noch ein weiterer Codex aus der Frauenzisterze SeligenthaI nennt uns
im 13. Jahrhundert seine Schreiberin. Ein noch in der Amtszeit der ersten
Äbtissin Agnes von Grunenbach angefertigtes Graduale (ca. 1270177) enthält am Ende des liturgischen Teils den Kolophon Finite libro laus sit
V
),
Christo. Orate pro scriba, que scripsit hunc librum, nomen ejus Elysabeth
(fo1. 257').22 Die seriba Elisabeth
wird mit der gleichnamigen
Cantorin
Zeit bis zum Ausgang des Mittelalters. Ausstellung der Bayerischen Staatsbibliothek München und der Museen der Stadt Regensburg. Hrsg. von Florentine
Mütherich u. Karl Dachs. München 1987. (= Bayerische Staatsbibliothek Ausstellungskataloge. 39.) S. 79-92, hier Nr. 63, Tafel 57 u. 136; Beatrice Hemad:
Die gotischen Handschriften deutscher Herkunft in der Bayerischen Staatsbibliothek. Teil 1: Vom späten 13. bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts. Mit Beiträgen
von Andreas Weiner. Wiesbaden 2000. (= Katalog der illuminierten Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek in München. 5.) Textband Nr. 65 u. Tafelband Abb. 127-132.
19 Das den Heiligen auszeichnende Schriftband lautet: Sanctus Bemhardus. Dominus noster Jhesus Christus ipse erit merces tua, fiat, fiat.
20 Vgl. Suckale 1987, vgl. Anm. 18, Tafe1136.
21 Siehe Hemad 2000, vg!. Anm. 18, Abb. 130.
22 London, BL, Add. Ms. 16950. Vg!. Catalogue of Additions to the Manuscripts in
the British Museum in the Years MDCCCXLVI-VII [1864], S. 329f.; Swarzenski 1936, vgl, Anm. 11, S. 39, l14f. (Nr. 31), Abb. 395-413. Zur Datierung und
Lokalisierung: Renate Kroos. In: Wittelsbach und Bayern. 1,2: Die Zeit der
frühen Herzöge. Ausstellung Landshut 1980. Hrsg. von Hubert Glaser. MünchenIZürich 1980, S. 124-127, Nr. 156*; Suckale 1987, vgl. Anm. 18, Nr. 62.
Christa Bertelsmeier-Kierst
169
identifiziert werden können, die dieses Amt von 1270 bis 1317 ausübte."
Die Verwendung der zeitaufwendigen Textura und der reiche Bildschmuck
machten das großformatige Chorbuch (51 x 36 cm) zu einem der kostbarsten
liturgischen Bücher von Seligenthai, das bis ins späte 17. Jahrhundert hinein
in der Abtei in Gebrauch blieb. Für die qualitätsvollen Miniaturen wird zumeist Regensburger
(oder Kaisheimer) Provenienz erwogen;" von der
Schreiberin Elisabeth stammen hingegen einige Randeinträge mit Federzeichnungen, die ein beredtes Zeugnis von der Frauenfrömmigkeit
des 13.
Jahrhunderts, ihrem Streben nach confonnitas und geistiger Inniglichkeit
geben. In Übereinstimmung mit dem Seligenthaler Antiphonar findet auch
hier die Brautmystik des Hohen Liedes Eingang. Ihre Freude zum Osterfest
bringt Elisabeth für sich und ihre Schwestern durch die Freude der Braut im
Hohen Lied (2,l1f.) zum Ausdruck: hiems transiit, abiit et recessit. flores
apparuerunt in terra. vox tuturis audita est (fol. 103f).25 Neben die Verse hat
die Nonne - die Braut- und Blumenmetaphorik
des Hohen Liedes illustrierend - einen Rosenstrauch mit zwei Turteltauben gezeichnet (nochmals wiederholt zum österlichen Alleluja fol. 107f).26 (Abb. 8, S. 382)
Von den zwanzig historisierten Initialen, die das Graduale schmücken,
ist vor allem die Miniatur zum Fest der Geburt Mariens von besonderem
Interesse, die eine anbetende Nonne unmittelbar als Schauende des Heilsgeschehens zeigt. Man wird die Adorantin mit der Schreiberin (bzw. Stifte23 Die Cantorin Elisabeth war eine Tochter des niederbayerischen Herzogs Heinrich und seiner Gemahlin Elisabeth von Ungarn. Siehe Wienand 1986, vgl.
Anm. 11, S. 463.
24 Die enge Verwandtschaft zum Seligenthaler Antiphonar (siehe Hemad 2000,
vgl. Anm. 18, Textband S. 45) lässt jedoch auch an Entstehung in SeligenthaI
oder zumindest an eine Werkstatt denken, die über längere Zeit für das Seligenthaler Skriptorium gearbeitet hat.
25 Dieselben Verse des Hohen Liedes benutzte im 12. Jahrhundert bereits Hildegard von Bingen in ihrem Grußbrief an die Nonnen von Wechterswinkel, der
ersten Zisterzienserinnengründung im deutschen Sprachraum: "Und darum freut
sich meine Seele über eure Gemeinschaft, als sei sie bei euch. Nun also kündet
von mir und meinen Schwestern eurem Bräutigam und Tröster, dass wir uns
allesamt dort zusammenfinden, 'wo der Winter vorüber, der Regen dahin und
vorbei ist, die Blumen sich zeigen, die Weinblüten ihren Duft geben' und 'die
Stimme der Turteltaube gehört wird', so dass unsere Erde ein Garten aller
Wohlgerüche wird und wir alle hineingenommen werden in die innige Umarmung der Liebeswonne unseres gemeinsamen Bräutigams." Hildegard von Bingen: Briefwechsel. Hrsg. von A. Furkötter. Salzburg 1967, S. 187 (zitiert nach
Wienand 1986, vgl. Anm. 11, S. 322f.).
26 Swarzenski 1936, vgl. Anm. 11, Textband S. 115, Tafelband Abb.4l3; siehe
auch: Kroos 1980, vgl. Anm. 22, S. 125f.; Wienand 1986, vg!. Anm. 11, S.434
(Abb.).
Beten und Betrachten - Schreiben und Malen
170
rin) des Codex
identifizieren
genthaI
und damit
duales.
Die Andachtsszene
Nähe
deutlich,
schen
Bittstellerin
begegnen
auch
ebenfalls
als Anbetende
der
sucht."
28
29
Heilig
Mariens
Stifterin)
'Inszenierung
von Seli-
des angefertigten
des Klosters
Gra-
macht
die spirituelle
zu Maria,
ihrer himmli-
von Buchurheberschaft'
Handschriften
in Regensburg,
aus dem Do-
in denen
des der Gottesmutter
die Schreibe-
geweihten
Klosters
beiwohnt."
ein reich illuminiertes
Rulle bei
war die Patronin
Besitzerin
eng verwandten
Kreuz
zum Hochfest
der Geburt
(bzw.
Derselben
Codex Gisle,
zienserinnenkloster
27
zum Hochfest
wir in zwei stilistisch
rin Cristina
denn Maria
die rechtmäßige
die die Schreiberin
minikanerinnenkonvent
Auch
können,
Osnabrück,"
Graduale
hält jeweils
aus dem Zister-
im Weihnachts-
und
Siehe Swarzenski 1936. vgl. Anm. 11. Textband S. 115. Tafelband Abb.412.
Nochmals wird zum Fest des Heiligen Benedikt (21.3.) eine anbetende Nonne,
zum Marientod offenbar ein weltlicher Stifter abgebildet (ebd. 409 u. 411).
Ordensfrauen und weltliche Stifter(innen) sind auch im reich illuminierten Lektionar der Regensburger Dominikanerinnen
von Heilig Kreuz als Adoranten
neben biblische Szenen oder Heilige gemalt (siehe u. a. Suckale 1987, vgl.
Anm. 18, Nr.6I u. Tafel 48-49, 133), ebenso im frühen 14. Jahrhundert im
Graduale der Frauenzisterze Wonnental und dem Graduale der Dominikanerinnen aus St. Katharinenthal. Siehe Die Zisterzienser 1981, vgl. Anm. 4, S. 569f.,
Nr. F 30; Liselotte E. Saurma-Jeltsch: Das stilistische Umfeld der Miniaturen.
In: Codex Manesse. Katalog zur Ausstellung. Hrsg. von Elmar Mittler u. Wilfried Wemer. Heidelberg 1988. J 16, J 18 u. Abb. J 16, J 1811-2. Auftraggebergemeinschaften von Konventualinnen und weltlichen Stiftern scheinen für kostbare liturgische Handschriften seit der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts in Mode zu
kommen. Für die frühe Neuzeit wird diese Praxis etwa noch durch das prächtige
Graduale aus dem Zisterzienserinnenkloster
Marienstern bezeugt. das die Äbtissin Elisabeth von Temmritz 1522 in AItzella bei Johannes Helbig in Auftrag
gab. Die Kosten von mehr als 26 Gulden "trugen die Konventualinnen mit Unterstützung 'anderer frommen Menschen' zusammen (fol. 126r)". Vgl. Zeit und
Ewigkeit. 128 Tage in St. Marienstern. Ausstellungskatalog.
Hrsg. von Judith
Oexle [u. a.] Halle 1998, S. 209.
Der Name Cristina wurde im Brevier (München, BSB. Clm 28802) in roter
Schrift über der knienden Figur eingetragen. Darstellung der Adorantin auch in
dem heute in Paris aufbewahrten Sammelband aus Heilig Kreuz (Paris, BN,
Nouv. acq. lat. 772), der im vorgeschaIteten Nekrolog den Eintrag vermerkt:
obiit soror Cristina que scribsit hunc librum (fol. 21r). Siehe Suckale 1987,
vgl. Anm. 18, Nr. 72, 73 u. Tafell44; Hernad 2000, vgl. Anm. 18, Textband Nr.
5 u. Tafelband Abb. 26.
Codex Gisle (Osnabrück, Bistumsarchiv. MA 101; in der Forschung zumeist
noch irrt. Gymnasium Carolinum u. Biseh. Generalvikariat). Zur Geschichte des
Zisterzienserinnenklosters
Rulle, das 1230 gegründet und dem Patronat von
Hude unterstellt war (allerdings erst 1317 offiziell in den Beschlüssen des
Generalkapitels erwähnt), siehe Werner Delbanco: Rulle. In: Die Männer- und
Christa Bertelsmeier-Kierst
171
Osterbild die Nonne Gisle als Augenzeugin des Heilsgeschehens fest. Ein
Eintrag auf der ersten Seite des Codex weist sie als Buchherstellerin des auf
1300 datierten Codex aus:"
Istum egregium librum scribsit, ilIuminavit, notavit, impaginavit, aureis litteris
et imaginibus pulchris decoravit venerabilis ac devota virgo Gysela de Kerzenbroeck in sui memoriam Anno MCCC. Cuius anima requiescat in sancta pace.
Amen. (fol. 1')31
Dieerste
Miniatur (Abb.9, S.383) zeigt Gisle in der Initiale zur Weihnachtsmesse (S. 25). In unmittelbarer Nähe Mariens, der Klosterpatronin von
Rulle, die ihren neugeborenen Sohn in Empfang nimmt, steht eine Gruppe
Frauenklöster der Zisterzienser in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hamburg. Bearbeitet von Ulrich Faust OSB. St. Ottilien 1994. (= Germania Benedictina. XII.) S. 636-654.
30 Die frühere Spätdatierung durch den Osnabrücker Domherrn Christian Dolfen
(Codex Gisle, Berlin 1926, S. 15ff.) wurde von kunsthistorischer Seite revidiert
durch Renate Kroos: Der Codex Gisle. I. Forschungsbericht und Datierung. In:
Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 12 (1973), S. 117-134; dies. in:
Stadt im Wandel. Ausstellungskatalog. Bd.2. Braunschweig 1985, S. 12461249; siehe ferner Handschriften in Osnabrück [... ]. Beschr. von Udo Kühne,
Bernhard Tönnies, Anette Haucap. Wiesbaden 1993, S. 139f. (mit Abb.); Judith
H. Oliver: Worship of the World: Some Gothic Nonnenbücher in their Devotional Context. In: Women and the Book 1996, vgl. Anm. 3, S.106-122 u. Tafell2; Kristin Böse: Aspekte kunsthandwerkliehen Arbeitens in westfälischen Klöstern und Stiften. In: Westfälisches Klosterbuch. Lexikon der vor 1815 errichteten Stifte und Klöster von ihrer Gründung bis zur, Aufhebung. Teil 3.
Institutionen und Spiritualität. Hrsg. von Karl Hengst. Münster 2003. (= Quellen
und Forschungen zur Kirchen- und Religionsgeschichte. 2.) S. 545-569, hier
insb. S. 547f., 557-559 u. Abb. 2. Auch paläographisch spricht nichts gegen eine
Datierung um BOO, wie mein Vergleich mit datierten bzw. gut datierbaren
Handschriften des norddeutschen Raums ergab. Ich danke dem Bistumsarchiv
Osnabrück für die freundliche Unterstützung und Bereitstellung des Originals
bei meinem Besuch.
31 Eine nachmittelalterliche Abschrift des Memorialbuches von Rulle bietet zu
1300, 10. Januar den Eintrag: venerabilis ac devota soror Gisela de Kersenbroick; quae dedit pulcherrimum Graduale in choro. Die Einträge legen nahe,
dass Gisle auch die Stifterin des überaus kostbaren Chorbuchs war. Ähnliche
Beispiele sind im 14. Jahrhundert aus rheinisch-westfälischen Dominikanerinnen- und Clarissenklöstern belegt. So stiftete u. a. die Clarissin Jutta de Alfter
für ihr Seelengedenken ein Antiphonar, das sie mit ihren Pfründen und Almosen
bezahlte. Die Dominikanerin Elisabeth von Lünen schrieb und stiftete für ihr
Gebetsdenken ein Graduale für die Dortmunder Dominikaner. Diese und weitere
Beispiele bei Oliver 1996, vgl. Anm. 3D, S. 108f. und Böse 2003, vgl. Anm. 3D,
S.556.
172
Beten und Betrachten - Schreiben und Malen
singender Nonnen: Gisle (einzig ihr Name wird festgehalten) hat ein Buch
aufgeschlagen und unterweist ihre Mitschwestern im Chorgesang. Wie ihre
Ordensschwester Elisabeth aus SeligenthaI war sie offenbar die Cantorin des
Klosters, der neben der Leitung des liturgischen Gesangs auch die Chorbücher, ihre Anfertigung, Notation und Gestaltung übertragen war."
Die zweite Miniatur (Abb, 10, S. 384) ist ikonographisch mit den Andachtsbildern im Seligenthaler Graduale und dem Lektionar aus Heilig
Kreuz verwandt. Sie zeigt Gisle in der Ostermesse demütig neben dem auferstandenen Christus kniend (S. 139) - nicht als Schreiberin, sondern als
geistig Schauende, gewissermaßen als eine der Frauen am Grab Christi."
Eine besondere Nähe zu Maria wird im Graduale von Rulle dadurch erzielt,
dass Maria bei der Auferstehung Christi am Grab zugegen ist und Gisle "zwar kleiner als Maria und in der Höhe versetzt, vom Rand aus die Angleichung an die Gestik der Gottesmutter sucht."?' Unterstrichen wird diese 'Angleichung' durch ein Schriftband in Gisles Händen: Per tuam gloriosam
victoriam aeternam confer laetitiam. "In Wort und Bild", so urteilt Frank
Büttner, vernehmen wir hier das Verlangen "nach conformitas mit Maria,
und zwar nach einer VerähnIichung im collaetart'P
32 Gisle nur als Stifterin der Handschrift zu sehen, wie dies in Übereinstimmung
mit der älteren kunsthistorischen Forschung Delbanco (vgl. Anm. 29, S. 645)
und Plotzek-Wederhake (vgI. Anm. 13, S.366) tun, scheint mir daher nicht
überzeugend (s.a. die Kritik von Oliver 1996, vgl. Anm. 30, S. 109). Selbst
wenn man mit Kroos (vgl. Anm. 30) annimmt, dass die qualitätsvollen Miniaturen nicht in Rulle entstanden sind, hat Gisle die liturgische Anordnung des
Textes und die begleitende Notation sicher beaufsichtigt, wenn nicht selbst
erstellt, wie es der Eintrag scripsit im Codex auch nahelegt. Rulle verfugte über
ein leistungsfähiges Skriptorium; so wird im Nekrolog für die zweite Hälfte des
13. Jahrhunderts noch eine weitere scribtrix erwähnt. Christina von Haltern (t
1280) schrieb eine zweibändige Bibel (AT), von der gemäß dem Kolophon
(fol. 255r) 1278 der erste Band fertiggestellt wurde. (Die Bände befinden sich
laut dem maschinenschriftl. Katalog von Benno Suerbaum [Verzeichnis der
Handschriften des Gymnasiums Carolinum Osnabrück. Teil l. 1991, S. 122126] in Osnabrück, Gymnasium Carolinum u. Bischöfliches Generalvikariat
HS.90 u. Hs. 91; Einsicht wegen Umzugs der BibI. momentan nicht möglich).
Dem Nekrologeintrag zufolge hat die Nonne Christina viele weitere Bücher geschrieben (Osnabrücker Urkundenbuch IV, 608; siehe Delbanco 1994, vgl.
Anm. 29, S. 645).
33 Siehe auch Graf2002, vgl. Anm. I, S. 74.
34 Frank O. Büttner: Imitatio Pietatis. Motive der Christlichen Ikonographie als
Modelle der Verähnlichung. Berlin 1983, S. 117.
35 Ebda.
Christa Bertelsmeier-Kierst
173
Ill.
Ziehen wir ein erstes Resumee und werten die Beispiele unserer kleinen
Fallstudie aus. Zisterzienserinnen bedienen sich im 13. Jahrhundert, wenn
sie ihre Buchurheberschaft durch bildliehe Darstellungen in Handschriften
zum Ausdruck bringen wollen, offensichtlich anderer ikonographischer Entwürfe als ihre Ordensbruder. Während gewöhnlich Mönche ihr Buch einem
verehrten Heiligen überreichen oder sich durch Schreib- bzw. Mal attribute
unmittelbar als scriptores oder pictores zu erkennen geben," werden diese
traditionellen Bildmuster in Frauenhandschriften nicht benutzt. Die humilitas
der Schreiberin, ihre Ehrfurcht vor der uneingeschränkten
Autorität des
heiligen Autors, bringt in weiblichen Orden offenbar eine Ikonographie hervor, die eine imitatio des am Schreibpult sitzenden Heiligen vermeidet. Auch
Dedikationsformeln,
in denen ein Buch präsentiert wird, kommen praktisch
nicht vor.
Stattdessen lässt sich bei den Zisterzienserinnen (wie wenig später auch
bei den Dominikaner- und Franziskanerinnen) bevorzugt eine Ikonographie
nachweisen, die den Schreib- bzw. Buchherstellungsvorgang
als innere
Schau des Herzens, als Akt der Kontemplation und geistiger Innigkeit festhält. Die Schreiberin (oder geistliche Stifterin) lässt sich vorrangig als Adorantin abbilden, sie wird damit zur Augenzeugin, die das Heilsgeschehen
als Andachtsgegenstand
kommentiert und sich und ihre Mitschwestem so
auf den nachfolgenden liturgischen Gesang oder das Chorgebet einstimmt.
In dem Streben nach conformitas wird von den geistlichen Frauen bevorzugt
eine Angleichung an Maria, eine imitatio ihrer passio oder laetitia gesucht.
Marias Schmerz am Grab Jesu wird zur Inspiration der individuellen
Passionsmeditation,
wie umgekehrt ihre Freude bei der Geburt oder Aufer36 Aus zisterziensischem Kontext verweise ich für die Bildformel des schreibenden
Mönchs u. a. auf Cod. 144 des Stifts Zwettl (fol. 26', Abb.: Paffrath/Hammer
1990, vgl. Anm. 13, S. 79, Nr. 32); auf Cod. 224 aus Heiligenkreuz (fol. 1V), das
Reiner Musterbuch (Wien, ÖNB, Cod. 507) oder die Darstellung von frater
Sifridus Vitulus in der Bibel des Klosters Ebrach (Wolfenbüttel, HAB, Cod.
Guelf. 131, fol. 317'). Abb.: Die Cistercienser 1986, vgl. Anm. 11, S. 395, 400
und Wienand 1986, vgl. Anm. 11, Abb. Nr. XIV. Die Buchpräsentation des
Schreibers (bzw, Stifters) verkörpert besonders ausdrucksstark das Bild des
Abtes Folknandus (1150-1180) aus der Zisterze Sittich. der eine Abschrift von
De Civitate Dei des Augustinus in Auftrag gab. In der Rechten hält er den
Bischofsstab und mit der Linken ein Buch, dessen aufgeschlagene Seite die
Information bietet: Civis catholicus Folknandus iam moriturus - Hunc scribi librum eommunem jussit in usum (Wienand 1986, vgl. Anm. 11, Abb. IV). Siehe
auch die Titelillustration bei Palmer 1998. vgl. Anm. 8, aus dem 14. Jahrhundert
In diesem Zeitraum nehmen unter dem Einfluss der sich ausbreitenden Mystik
allerdings auch in den Männerzisterzen Bilder von Adoranten deutlich zu.
174
Beten und Betrachten - Schreiben und Malen
stehung Christi in der Andacht zur Weihnachts- und Ostermesse vergegenwärtigt und miterlebt wird.
Die emotionale Nähe, die die Buchherstellerin zu Maria, der Klosterpatronin sucht, zielt zugleich auf die Fürsprache der Gottesmutter. Die
himmlische Bittstellerin soll von den guten Werken künden, damit, wie Hildegard von Bingen es in ihrem Brief an die ersten zisterziensischen Nonnen
von Wechterswinkel aussprach,
die Stimme der Turteltaube gehört [...],
und wir alle hineingenommen werden
in die innige Umarmung der Liebeswonne
.
B'"räutigams. 37
unseres gemeInsamen
.
Da geistliche Frauen sich zuallererst als Bräute Christi definieren und sich so
auch in die Bildnisse ihrer Handschriften einschreiben, werden sie von der
Forschung nur selten als scribae oder Buchherstellerinnen im weiteren Sinne
wahrgenommen.
Wie groß der Anteil zisterziensischer Ordensfrauen an der Buchproduktion des 13. Jahrhunderts war, lässt sich heute kaum noch ermitteln. Die
meisten ihrer Abteien sind zerstört, vor allem die bedeutenden Ordensgründungen im Norden und der Mitte Deutschlands wurden schon früh säkularisiert, ihr Buchbesitz abtransportiert, veräußert oder makuliert. Nur in glücklichen Einzelfällen ist er noch rekonstruierbar." Immerhin wissen wir von so
bedeutenden Abteien wie SeligenthaI in Landshut, Trebnitz in Schlesien
oder den niedersächsischen
Klöstern Wöltingerode, Wienhausen und dem
berühmten Helfta, in dem im 13. Jahrhundert die drei großen Mystikerinnen,
Gertrud die Große, Mechthild von Hackeborn und Mechthild von Magdeburg, wirkten. Systematische Untersuchungen ihrer Skriptorien, wie sie etwa
für die Männerzisterzen Eberbach, Kamp oder Altzella vorliegen, fehlen bislang." Erschwerend kommt hinzu, dass aus Klosterbeständen zumeist nur
die illuminierten lateinischen Handschriften näher analysiert und primär
unter kunsthistorischen, weniger unter paläographisch-kodikologischen
Aspekten betrachtet wurden.
37 S. o. Anm. 25.
38 Siehe hierzu auch Palmer 1998, vgl. Anm. 8, S. 19, für die mittelrheinischen
Klöster, die der Paternität Eberbachs unterstanden.
39 Untersuchungen existieren vereinzelt und meist nur dort, wo relativ geschlossene Bibliotheksbestände erhalten sind, die im Rahmen der Handschriftenkatalogisierung der betreffenden Bibliothek erfasst wurden, so z. B. die Bestände
von Lichtenthai in Baden. Siehe Felix Heinzer u. Gerhard Stamm: Die Handschriften von LichtenthaI. Wiesbaden 1987. (= Die Handschriften der badischen
Landesbibliothek in Karlsruhe. 11.); Felix Heinzer: 'Ut idem Iibri eccIesiastici et
consuetudines sint omnibus' - Bücher aus Lichtenthais Gründerzeit. In: Liehtenthal1995, vg!. Anm. 13, S. 43-48.
Christa Bertelsmeier-Kierst
175
Was fehlt, ist vorrangig eine Bestandssicherung,
ein Überblick über
sämtliche heute noch erhaltenen Handschriften, die sich ehemals im Besitz
zisterziensischer Frauenklöster befunden haben. Erst ein solches Verzeichnis
würde die Möglichkeit bieten, gezielt nach Schreib-, Stiftungs- oder Besitzvermerken zu suchen. Ein Teil der für Zisterzienserinnen bestimmten Handschriften dürfte in den Männerabteien, denen sie unterstellt waren, angefertigt worden sein. Sie lieferten in der Regel die Grundausstattung an Liturgica
und Gebrauchshandschriften;" doch schon bald werden die Frauen auch
eigene Skriptorien betrieben haben. Da die Neugründungen der Zisterzienserinnenklöster die Zahl der Männerabteien bei weitem überstieg," war selbst
ein so leistungsfähiges Skriptorium wie Eberbach im Rheingau, das die
Paternität über 18 Frauenklöster ausübte, nicht in der Lage, den immensen
Handschriftenbedarf
dieser Abteien zu stillen. Darüber hinaus unterhielten
viele Nonnenkonvente
schon lange Skriptorien, bevor sie die Regel der
Zisterzienser im 13. Jahrhundert übernahmen, so in der Diözese Mainz Altmünster (1242), Dalheim (1266), beide vormals Benediktinerinnenabteien,
ferner das Weißfrauenkloster
(1293), ehemals ein Reuerinnenkloster.
In
Franken traten z. B. die Benediktinerinnen
des ehrwürdigen Bamberger
Klosters St. Maria und Theodora (1157) dem Zisterzienserorden
bei und
entsandten 1203 ihre Nonnen nach Trebnitz in Schlesien, um dort eine
Tochterabtei zu gründen.
Neben der Anfertigung lateinischer Handschriften haben sich Zisterzienserinnen offenbar schon früh um die Herstellung deutschsprachiger Texte
bemüht. Diese Leistung ist bisher noch kaum in das Bewusstsein der Forschung gerückt. Da der Orden Bücher für Konversen verbot, haben sich aus
den Männerzisterzen im 12. und 13. Jahrhundert keine volkssprachlichen
Texte erhalten." Aus den Frauenabteien sind es zunächst Bücher, die für die
40 Siehe Heinzer 1995, vgl. Anm. 39, für die Abtei LichtenthaI.
41 Obwohl das Generalkapitel durch wiederholte Aufnahmeverbote (1220 - 12281256) dem nichtabreißenden Strom religiöser Frauen in den Orden Herr zu
werden versuchte, zählte man allein im Erzbistum Mainz bis zur Mitte des 13.
Jahrhunderts schon 33 Frauenzisterzen, in ganz Deutschland dürften es bis 1250
schon über 220 Konvente gewesen sein. Siehe Monsees 1989, vgl. Anm. 10,
S.6f.
42 Für die Abtei Eberbach weist Palmer mit Nachdruck auf diesen Umstand hin:
"Die Handschriften sind alle in Lateinischer Sprache abgefasst, und man gewinnt insgesamt den Eindruck, dass die volkssprachliche Schriftlichkeit bei den
Zisterziensern keine Rolle spielte. Es gab keine Laienbrüderbibliothek, was
darauf zurückzuflihren ist, dass im Zisterzienserorden, im Unterschied etwa zu
den Kartäusern oder zu den reformierten Benediktinern, die Vorschrift streng
beachtet wurde, dass die Konversen keine Bücher haben durften." (Palmer 1998,
vg!. Anm. 8, S. 138.) Die wenigen volkssprachlichen Handschriften, die im Umkreis Eberbachs auftauchen, ordnet Palmer (ebd., S. 140f.) demnach folgerichtig
einer der unter der Patemität von Eberbach stehenden Frauenzisterzen zu.
176
Beten und Betrachten - Schreiben und Malen
Lesen, die lectio
schon früh erkennen lassen." Vor allem Texte, die den geistlichen Frauen zur Meditation
und Kontemplation im Gebet oder zur Inspiration und Einstimmung für die
nachfolgenden Verrichtungen im Chor dienten, sind deutsch oder bilingual
abgefasst. Hierzu zählen ein deutsch-lateinischer Psalter aus dem Zisterzienserinnenkloster
Kirschgarten
(bei Worms)," lateinisch-deutsche
Gebetbücher aus den Frauenklöstern Trebnitz," St. Thomas an der KyII (bei
Trier)46 und dem niedersächsischen Wöltingerode, aus dem sich bereits sechs
bilinguale Gebetbücher vom Ende des 13. bis zum Anfang des 14. Jahrhunderts erhalten haben." Neben diesen für die private Andacht bestimmten
Handschriften besitzen wir aus dem welfischen Hauskloster Wienhausen,"
das besonders durch seine Bildteppiche und Fresken im Nonnenchor berühmt ist, ein mittelniederdeutsches
Verslegendar," das gegen 1300 bereits
eine intensive Rezeption der Legenda Aurea im Zisterzienserinnenorden
bezeugt." Das Wienhäuser Legendar, das offenbar für die gemeinsame Lesung
persönliche
Andacht der Nonnen oder für das gemeinsame
divina, bestimmt waren, die den Gebrauch der Volkssprache
43 Erst mit dem allgemeinen Rückgang der Lateinkenntnisse im 14. Jahrhundert
werden auch Ordensregeln zunehmend in deutscher Sprache abgefasst: So stammen die Oxforder Benediktinerregel (Palmer 1998, vgl. Anm. 8, S. 140 u. 290),
die deutsche Regelübersetzung aus Lichtenthai (Lichtenthai 1995, vgl. Anm. 13,
Nr. 68) und die Benediktinerregel aus Oslavan (s. den Beitrag von Andräs
Vizkelety in diesem Band) erst aus dem 14. Jahrhundert. Die noch im 13. Jahrhundert geschriebene Regel aus dem zisterziensischen Frauenkloster Wöltingerode (Wolfenbüttel, HAB, Cod. Helmst. 498) wurde erst im Spätmittelalter mit
niederdeutschen Interlinearversionen versehen.
44 Karlsruhe, LB, Cod. Liehtenthal37 (E. 13. Jh.). Der Psalter (13 x 7 cm) gehörte
der Nonne Anna von Bolanden, die 1320 in Kirsehgarten verstarb.
45 New York, Pierpont Morgan Library, Ms. 739 (1. V. 13. Jh.). In der Forschung
zumeist als Gebetbuch der hI. Hedwig von Schlesien bezeichnet, vermutlich aber
für ihre Tochter Gertrud, zweite Äbtissin in Trebnitz, angefertigt. Siehe demnächst meinen Aufsatz zu den deutsch-lateinischen Gebetbüchern des 13. Jahrhunderts.
46 Trier, StB, Hs. 1149/451 (1298-1302/ Forts. bis 1316).
47 Eine nähere Untersuchung zu den deutsch-lateinischen Gebetbüchern aus Wöltingerode ist in Vorbereitung.
48 Das Kloster wurde von Agnes von Landsberg, der zweiten Gemahlin des Pfalzgrafen Heinrich, Sohn Heinrichs des Löwen, gestiftet und mit Nonnen aus
Wöltingerode besiedelt.
49 Den Hinweis auf das Wienhäuser Legendar verdanke ich Franz-Joseph Holznagel. Siehe demnächst den Beitrag von F.-J. Holznagel u. Tanja Mattem im
Nachtragsband des Verfasserlexikons. Eine Edition des Legendars bereitet Frau
Mattem vor.
50 Eine lateinische Abschrift der Legenda Aurea (Oxford, Bodleian Library, Ms.
Laud Mise. 415) wurde 1294 von der Zisterzienserin Jutta aus dem Kloster Hei-
Christa Bertelsmeier-Kierst
177
der Nonnen bestimmt war, berücksichtigt vor allem weibliche Heilige und
lässt eine enge Verbindung zu den Heiligenbildern erkennen, mit denen Decken und Wände des Nonnenchors wenig später so farbenprächtig ausgemalt
wurden_51
Mit der Legenda-Allrea-Rezeption
im Kloster Wienhausen schließe ich
meinen Überblick zu den Zisterzienserinnen und ihrem Beitrag zum Buch im
13. Jahrhundert. Schon die erste Spurensuche hat gezeigt, wie vielfältig die
literarische Produktion im Nonnenkloster in diesem Zeitraum war. Um die
Leistungen der Skriptorien, wie überhaupt die Pflege der Bücher in den
Frauenzisterzen annähernd zu würdigen, bedarf es weiterer Untersuchungen.
Sie müssten die Handschriften auch in Beziehung setzen mit dem geistlichen
Leben der Frauen, ihren gemeinsamen Verrichtungen im Chor wie ihrer privaten Andacht, ihre Buchkultur vergleichen mit den Stick- und Webarbeiten
wie den Bildzeugnissen, die Zisterzienserinnen
im KlosteralItag umgaben,
den HeiligendarsteIlungen,
den Skulpturen, Fresken und Glasfenstern im
sakralen Raum ebenso wie den kleinen Andachtsbildern zum täglichen Gebet der Nonne. Erst diese Zusammenschau vermag vielleicht ein Bild von
der Frömmigkeit der Frauen im 13. Jahrhundert, ihrer besonderen Spiritualität, zu zeichnen.
51
liggeist bei Alzey (Worms) ad peticionem Henrici Prespiteri de Schimisheim
angefertigt. Siehe Palmer 1998, vgl. Anm. 8, S. 202f., 294f. u. Abb. Nr. 147-149.
Vgl. Holznagel/Mattem, vgl. Anm. 49.