Brot-Back-euphorie im netz
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Brot-Back-euphorie im netz
Aus der Küche Anleitung zum Selbermachen Brot-Back-Euphorie im Netz Er ist der Held der Hobby-Bäcker: Lutz Geißler schreibt den besten deutschsprachigen Brotblog. Und er backt selbst mit größter Langsamkeit und Präzision. Manfred Kriener hat den sächsischen Geologen im Erzgebirge besucht. D ie Deutschen sind Europameister. Wenn’s schon im Fußball nicht klappt, dann wenigstens beim Brot verbrauch. In keinem anderen europäischen Land werden mehr Brote und Brötchen verzehrt als bei uns – pro Kopf 84 Kilogramm. Da wundert es kaum, dass sich manche Leute mit Brot genauso obsessiv beschäftigen wie andere mit Wein. Die Brotverrückten reden ständig von Kruste und Krume, von Stockgare und Temperaturführung. Und wenn sie »T 65« loben, dann meinen sie keinen russischen Kampf panzer, sondern eine spezielle französische WeizenmehlType. Ihr ganzer Stolz ist ihr selbstgebauter Sauerteig-Starter. Den behüten sie wie Karl Lagerfeld sein Schoßhündchen, der darf auch mit in den Urlaub. Und wenn andere Leute abends ins Bett gehen, dann versorgen sie ihr Haustier noch schnell mit etwas »Roggenmehl 1370« und tröpfeln ein Schnapsglas lauwarmes Wasser dazu. Vor allem aber gucken sie ständig Brot-Fernsehen: Sie kauern in der Hocke vor dem BackofenAusguck und beobachten unter schrillen Schreien, wie Brot und Brötchen mopsig werden und hochgehen. Diese Men schen leiden an Brot-Back-Euphorie. Forum für passionierte Selbermacher Und sie haben einen Helden: Er heißt Lutz Geißler, wohnt im erzgebirglerischen Sehma-Neudorf und ist mit 30 Jahren für einen Helden ziemlich jung. Eigentlich ist der Mann ja Geologe und für den Marmorabbau vor Ort zuständig. Aber Geißler macht nicht nur in Marmor, sondern als Ausgleich auch in Brot. Sein »Plötzblog« genanntes Internetportal ist ein kreatives Feld für passionierte Selbermacher. Mehr als 9 000 Kommen tare, an die 35 000 Besuche und über 500 000 Seitenzugriffe pro Monat dokumentieren eine erstaunliche Begeisterung. 2013 ist der Blog als bester deutschsprachiger Backblog im Netz ausgezeichnet worden. Zu Recht: Selbst gestandene Bäckermeister suchen hier Zuflucht. Der Plötzblog ist Rezep tebank und Chemielabor, Notrufsäule und Motivationshilfe zugleich – eine echte virtuelle Backstube. »In den letzten vier Jahren hat sich dieses Hobby derart schnell entwickelt, dass ich manchmal selbst überrascht bin«, sagt Geißler. 46 Slow Food | 02/2014 Jeder hat schon mal versucht Irgendwann hat ja jeder schon mal Brot gebacken, hat mit Mehl, Hefe, Salz und Wasser eine Pampe angerührt, daraus ein kugeliges Wesen geformt, in den Backofen gesperrt und auf ein Wunder gehofft. Das Ergebnis war meistens, sagen wir mal, ofenfrisch und essbar. Mit diesem Dilettieren räumt Geißler auf. Mit der Akribie des Wissenschaftlers – »ich bin ein strukturierter Mensch« – hat er sich auf alle Details der Backkunst gestürzt. Denn Brotbacken verlangt vor allem eines: Präzision. Hier kann nichts abgeschmeckt und nach gewürzt werden. Ist der Teig fertig, muss gegessen werden, was der Ofen ausspuckt. Lutz Geißler, Brille, dunkler Bart, ruhige Stimme, schlank, jung, intelligent, sitzt in seiner Küche und begrüßt uns stan desgemäß mit frisch gebackenem Brot. Wie ein Ausstellungs stück sitzt eine karamellduftige Teigkugel mit herrlich auf gesprungener Kruse auf dem Holzbrett. Geißler hat vor fünf Jahren sein erstes Brot gebacken – »konfus zusammengemixt«, nennt er das heute. Er hat es dann immer wieder versucht, hat ein Händchen für den Teig entwickelt und sich eingelesen. Ein Jahr nach dem Premierenbrot setzte er seinen ersten Sauerteigstarter an – Feuertaufe und Beginn des wirklich ernsthaften Backens. Die wichtigste Zutat: Zeit Und ganz langsam hat Geißler auch die wichtigste Zutat eines guten Brots entdeckt: die Zeit! Er begann mit Vorteigen und langen Gehzeiten von bis zu 50 Stunden zu experimentieren. So erfordern die Geißlerschen Brote minutiöse Vorplanung. Wer am Samstag in frisches Brot beißen will, muss womöglich schon am frühen Donnerstag den Sauerteig in Stellung bringen. Die Verlängerung der Geh- und Garzeiten kombiniert Geißler mit einer radikalen Reduktion des Hefeeinsatzes: »Zuviel Hefe hindert das Brot, Eigengeschmack zu entwickeln.« Dies gilt aber nur für zugesetzte Hefen. Denn in jedem Brotteig sitzen ja die ohnehin vorhandenen natürlichen Hefen, die überall herum schwirren und sich im Brotteig gaaanz langsam vermehren. »Je länger sie Zeit haben, desto mehr Geschmack hat das Brot.« Foto © Heike von Au (kochzeilen.de) Ein weiteres faszinierendes Kapitel der Brotkunst ist das Kne ten, Wirken, Falten des Teigs, wiederum unterbrochen von Ruhephasen. Am Ende gilt es »Spannung im Teig aufzubauen«, sagt Geißler und – vor allem bei Weizenbroten – eine straffe Teighaut nach dem Vorbild eines knackigen Apfels zu erzeugen. Immer wieder wird der Teig vom Rand her eingeklappt und plattgedrückt und wieder eingeklappt. Zum Gelingen braucht es mehr als detaillierte Anleitungen: Das Teiggefühl muss sich entwickeln. »Spätestens beim zehnten Brot hat man den Dreh raus«, tröstet Geißler. Aber welches sind denn nun die typischen Anfängerfehler? Der Meister lächelt: Aus der Küche • Zu niedrige Temperatur beim Anbacken. Brot braucht mächtig Feuer unterm Hintern. Viel Unterhitze! Der Teig soll bei 250 Grad in den vorgeheizten Backofen. • Brot braucht Dampf. Wer kein Wasser in den Ofen einleiten kann, muss notfalls die Blumenspritze nehmen oder ein wassergefülltes Blech. • Mal wird der Teig zu lange, mal zu kurz geknetet, weil Technik und Teiggefühl fehlen: Der Teig hat keine Spannung, fließt träge in die Breite, der Laib wird zur Flunder. • Und natürlich braucht jedes Brot ein anständiges Rezept. Da wird schon mal mit der Goldwaage die Salzmenge aufs Gramm taxiert. Geißler hat bisher 500 Backrezepte ins Netz gestellt und einen Teil davon in seinem Buch* veröffentlicht. Jede Woche probiert er an seinem Backtag weitere Ideen aus – auch Wünsche seiner Internetbesucher. Dass er an solchen Tagen um 3 Uhr, also mitten in der Nacht, aufsteht, ist ganz normal. ˘ Olivenölkampagnen aus – Achäa – Apulien – Kalabrien – Katalonien – Korinth – Kreta – Messenien – Toskana – Sizilien ˘ Autochthone Weine ˘ Erzeuger-Verbraucher-Konzeption ˘ Förderer der Accademia Italiana del Peperoncino ˘ Großhandel für Endverbraucher ˘ Jahresvorrat in Großpackungen ˘ Kartongalerie ˘ Kontrolliert biologischer Anbau Brot ist seine Leidenschaft: Der erzgebirgische Geologe Lutz Geißler ist mit seinem Backblog eine Institution im Netz. ˘ Landschafts- und Mühlenmuseum ˘ Mediterrane Spezereien ˘ Nachhaltigkeit ˘ Olivenbaum-Patenschaften ˘ Olivenöl-Abholtage in Wilstedt ˘ Peperoncino-Spezialitäten ˘ Reisen zu den Oliven ˘ Slow Food-Förderer … im Internet unter www.artefakt.eu Slow Food | 02/2014 47 »Naturgesetze kann man nicht außer Kraft setzen. Wer gutes Brot will, braucht Zeit.« Wieder mehr Langsam-Bäcker Foto © Lutz Geißler Nach Geißlers Beobachtungen ist inzwischen aber auch un ter Profibäckern einiges in Bewegung geraten. Die LangsamBäcker haben sich neu organisiert (Die Bäcker – Zeit für Geschmack e. V.), sie stellen um auf alte Rezepte. Und manch mal kommt sogar der Produktionsleiter einer österreichi schen Großbäckerei in einen der Backkurse, die Geißler gibt. Auch Standesorganisationen wie die Bäckerakademie zeigen Interesse am Plötzblog. Und Geißler sucht den Austausch: Im Urlaub tingelt er nach alter Handwerkstradition wochen lang durch alle möglichen Backstuben, um mitzuarbeiten. Da offenbart sich eine bestürzende Leidenschaft für krachende Krusten und wonnige Laibe. Die besten Bäcker fand Geiß ler trotz oder vielleicht gerade wegen des katastrophalen Brotniveaus übrigens in den USA. Deutschland, sagt er, sei dagegen in Sachen Vielfalt unschlagbar. Ein letzter Tipp Spätestens an dieser Stelle könnten wir die Jeremiade an stimmen über das rasante Bäckersterben, über Backenzy me, Emulgatoren und den Chemiebaukasten der Branche, über tiefgefrorene Fertig-Teiglinge aus Asien und Osteuropa, die Karrikaturen von Brot und Brötchen liefern. Allein 2011 exportierte China 280 Millionen Brötchen-Teiglinge nach Deutschland! Geißler konstatiert mit der Nüchternheit des Wissenschaftlers den Verfall der Handwerkskunst. Die indus trialisierte Bäckerei habe keine Zeit mehr für lange Gar- und Fermentationsprozesse, sagt er. Doch Naturgesetze kann man nicht außer Kraft setzen: Wer gutes Brot backen will, braucht Zeit, der hat auch mehr Arbeit, der muss seinen Betrieb neu organisieren. Geißlers Faustregel: Je mehr Filialen ein Bäcker hat, desto eher sollte man ihn meiden. Da hat es der Zuhause bäcker einfacher. Er besitzt zwar nicht die Handfertigkeit der Profis, hat auch keine begehbare Gärkammer mit idealer Luft feuchte. Dafür kann er seine ganze Konzentration einem einzi gen Brot widmen und sich alle Zeit der Welt nehmen. Am Ende einen letzten, 250 Grad heißen Geißler-Tipp: »Einfach losbacken und Erfahrung sammeln!« Zum Backen braucht es neben Mehl, Wasser, Salz und Hefe allenfalls eine Küchenmaschine und einen Backstein, aber ein umgedrehtes Backblech tut es auch. Und spätestens wenn das erste ge lungene Brot im Ofen sitzt, stellt sich dieses eigentümliche Gefühl ein, etwas wirklich Substanzielles erschaffen zu ha ben, ein Ur-Lebensmittel. Brot! Buch-tipp In seinem »BrotBackBuch« hat Internet-Blogger Lutz Geißler die wichtigsten Rezepte aufgeschrieben. Lutz Geißler: Das Brotbackbuch, Verlag Ulmer2013, 272 Seiten, 24,90 Euro → www.ploetzblog.de andere gute Brotblogs: → www.ketex.de → www.wildyeastblog.com → www.mellowbakers.com 48 Slow Food | 02/2014